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Fünftes Buch.


Erstes Kapitel.

Die große Schlacht.

 

Langsam dämmerte der Tag nach dieser schreckenvollen Nacht, und die Mohren, noch immer auf den Bollwerken Granadas, sahen, wie das gesammte Heer Ferdinands gegen ihre Mauern heranrückte. In der Entfernung lagen die Trümmer des rauchenden, dampfenden Lagers, während im Vorgrund, im Wehen bunter, glänzender Fahnen und unter dem Geschmetter der Trompeten, die triumphirenden Legionen des Feindes herannahten. Kaum trauten die Mohren ihren Augen. Sie hatten angenommen, nach einem so herben Unglücksfall müßten die Christen sich zurückziehen, und wurden jetzt beim Gewahrwerden ihres freudigen Heranzugs bestürzt und erschrocken.

Während sie noch staunend und thatlos da standen, erklang hinter ihnen Boabdils Trompete und man erblickte den maurischen König, wie er, an der Spitze seiner Leibwache, die Straßen herabzog, die zum Thor führen. Dieser Anblick gab Muth und Freudigkeit zurück, und als Boabdil vor der Pforte anhielt, schlug der Ruf von zwanzigtausend Kriegern deutungsvoll ans Gehör der vorrückenden Christen.

»Männer Granadas,« sprach Boabdil, sobald ein tiefes, odemloses Schweigen auf diesen kriegerischen Gruß gefolgt war – »das Herannahen der Feinde ist ihr Untergang. Im Feuer der vorigen Nacht schrieb die Hand Allahs ihr Schicksal. Laßt uns hinaus, bis auf den letzten Mann. Wir wollen unsere Häuser unbewacht lassen – unsere Herzen seyen ihre Mauer! Zwar ist unsere Zahl gelichtet durch Hunger und Schwert, aber noch sind wir unserer genug zur Befreiung Granadas. Und die Todten sind nicht von uns gewichen: sie kämpfen mit uns: ihre Seelen beleben die unsrigen! Wer einen Bruder verloren hat, wird zu einem doppelten Manne. An diese Schlacht wollen wir Alles setzen. Freiheit oder Ketten! Herrschaft oder Verbannung! Sieg oder Tod! Vorwärts!«

Er sprach's und ließ seinem Berberrosse den Zügel. Es that einen Sprung, setzte durch den dunkeln Bogen des Stadtthores, und Boabdil el Chico war der erste Maure, der zum letzten, entscheidenden Kampf aus Granada zog. Und hervor flutheten, einem Strome gleich, der aus einer Höhle zu Tag bricht, die glänzenden, geschlossenen Reihen der mohrischen Reiterei. Musa kam zuletzt, die Hinterhut schließend. Auf seinem finstern, strengen Antlitz stand die feurige Begeisterung des sanguinischen Königs nicht. Es war verschlossen und unbewegt; die Qualen der letzten Schmerzenswochen hatten seine Wangen verdünnt, und tiefe Linien um die festen Lippen und den ehrnen Kiefer, die Zeugen der unbeugbaren Entschlossenheit seiner Seele, gezogen.

Als Musa jetzt vorsprengte und die sich tummelnden Züge in Ordnung stellte, vernahm man Ruf von Frauenstimmen, und die Krieger, die sich umwendeten, sahen, wie ihre Weiber und Töchter, ihre Mütter und Bräute (befreit aus ihrer häuslichen Einschließung in Folge eines Stratagems, welches den verzweifelten Zustand der ganzen Sache deutlich genug aussprach) – mit ausgestreckten Armen von den Zinnen und Thürmen auf sie niederblickten. Die Mauren fühlten, daß sie für Herd und Altar im Angesicht Derer zu kämpfen hätten, die, wenn der Kampf mißlang, Sklavinnen und Buhlerinnen würden, und jedem Moslem ward es, als ob sein Herz sich härte, wie der Stahl seines Säbels.

Während die Reiterei sich in regelmäßige Geschwader bildete, und das Stampfen der feindlichen Rosse näher und näher kam, strömte das maurische Fußvolk in wildem Durcheinander heraus, bis Boabdils Berber in weiter Schwingung unter den Mauern hinsprengte und sein Reiter in kurzer aber deutlicher Anweisung oder feuriger Beschwörung die Bewegung zu ordnen, den kühnen, aber eigensinnigen Muth zu stählen suchte.

Unterdessen hatten die Christen plötzlich Halt gemacht, denn der kluge Ferdinand hielt es nicht für räthlich, dem vollen Anprall einer ganzen Völkerschaft im ersten Ausbruch ihrer Begeisterung und Verzweiflung entgegen zu treten. Er rief Hernando del Pulgar zu sich und befahl ihm, mit einem Trupp der kühnsten und geübtesten Reiter der mohrischen Cavallerie entgegen zu rücken und es zu versuchen, ob er den feurigen Muth Musas nicht vom Hauptcorps wegzulocken vermöchte. Sofort trennte er seine Macht in mehrere Abtheilungen und schickte sie auf verschiedene Punkte ab; die Einen zum Sturm auf die anliegenden Vorwerke, die andern um die Gärten und Bäume um die Stadt her in Brand zu stecken, damit die Aufgabe des Tags nicht sowol zu einer Hauptschlacht, als zu vielen kleinen Gefechten würde, und die Mohren die Concentration und Einheit, worin für jetzt noch ihre Hauptstärke lag, verlieren möchten.

So sahen denn die Muselmanen, während sie in guter Ordnung auf den Angriff warteten, wie die Hauptmasse der Christen sich plötzlich zerstreute, und, während sie selbst noch in Staunen und Verwirrung darüber anhielten, Feuer aus den herrlichen Gärten rechts und links neben den Mauern brach. Zugleich rollte der Donner des christlichen Geschützes gegen die zerstreuten Bollwerke, welche die Zugänge zu der Stadt deckten.

In diesem Moment wirbelte eine Staubwolke rasch gegen den von Musa mit der Vorhut besetzten Ort, und der Stoß der christlichen Ritter in ihrer schweren Rüstung traf gerade in die Mitte des von dem Prinzen befehligten Geschwaders.

Um mehrere Zoll höher, als die Federbüsche seiner Gefährten, wehte der Helmschmuck des riesigen Pulgar, und indem Mohr um Mohr vor seiner ausgestreckten Lanze niederstürzte, rief er mit einer Stimme, die tief und geistermäßig aus dem Visier klang: »Tod den Ungläubigen!«

Granadas schnelle, gewandte Reiter waren jedoch durch diesen wilden Angriff noch nicht entmuthiget. Ihre Reihen mit außerordentlicher Hurtigkeit öffnend, ließen sie den Sturm ohne bedeutende Gegenwehr hindurch, schlossen sich dann wieder in langer, starrer Linie und schnitten den Rittern den Rückzug ab. Die Christen schwenkten um und warfen sich von Neuem auf den Feind.

»Wo bist Du, Hund von einem Moslem, der den Löwen spielen will? – Wo bist Du, Musa Ben Abil Gasan?«

»Vor Dir, Christ!« erwiederte eine strenge, helle Stimme, und aus den Helmen seines Volkes hervor schimmerte der funkelnde Turban des Gerufenen.

Hernando hielt sein Roß an, sah einen Augenblick auf den Gegner, wendete sich rückwärts um seinem Anlauf größere Kraft zu geben, und in der nächsten Sekunde waren die zwei tapfersten Ritter der beiden Heere Lanze gegen Lanze im Kampf.

Der runde Schild Musas fing des Christen Waffe auf; sein eigener Speer zersplitterte unschädlich an der Brust des Riesen. Er zog den Säbel, schwang ihn blitzesschnell über dem Kopf, und mehrere Minuten lang vermochten die Augen der Umstehenden der wunderhaften Raschheit, womit von diesen berühmten Kämpfern Hiebe ausgetheilt und parirt wurden, kaum zu folgen.

Endlich sprengte Hernando, um aus seiner überragenden Körperstärke Vortheil zu ziehen, hart auf Musa an, faßte, indem er das an einem Strang um die Lenden gebundene Schwert hängen ließ, Musas Schild mit der furchtbaren Rechten und riß denselben mit einer Gewalt an sich, welcher der Mohr vergebens Widerstand zu leisten suchte; Dieser ließ daher Jenem seine Beute, und eh der Spanier das durch die eigene Kraftanstrengung verlorene Gleichgewicht wieder erlangen konnte, warf er seinen Rappen ihm entgegen und führte mit einer kurzen, schweren, an seinem Sattelknopf hängenden Keule einen solchen Streich auf den Helm Hernandos, daß der Riese betäubt und sinnlos zu Boden stürzte.

Vom Pferd zu springen, sich seines Schildes wieder zu bemächtigen, nach dem Säbel zu greifen und dem gefallenen Feinde ein Knie auf die Brust zu setzen, war das Werk eines Augenblicks, und Don Hernando del Pulgar wäre ohne Priester und Wundarzt von dannen gefahren, hätten nicht, erschreckt durch die Gefahr ihres tapfersten Genossen, zwanzig Ritter zugleich die Sporen gegeben, und zwanzig Lanzenspitzen den Löwen Granadas von seinem Raube abgehalten. Mit gleicher Schnelligkeit sprengten auch die maurischen Kämpfer heran, und ein tödtliches Handgemenge bildete sich um den Körper des noch immer bewußtlosen Christen. Dem Musa blieb kein Augenblick, Hernando's Helm zu lösen, was das einzige Mittel gewesen wäre, der Mohrenklinge eine lebengefährdende Stelle aufzufinden; ja, durch die Speere und stampfenden Hufe um ihn her ward die Lage des Ungläubigen gefährlicher, als diejenige des Christen selbst. Mittlerweile kam Hernando wieder zu Sinnen, nahm, in seinen Zustand sich schnell findend, seinen Vortheil wahr, und schüttelte plötzlich das Knie des Mohren von sich. Durch einen zweiten Ruck kam er auf die Beine, und die beiden Kämpfer standen sich Stirn gegen Stirn, keiner sonderlich geneigt, den Kampf zu erneuern. Zumal zu Fuß mußte Musa bei aller Kühnheit und Hitze seinen Nachtheil gegen die ungeheure Kraft und undurchdringliche Rüstung des Christen anerkennen; er trat daher zurück, pfiff seinem Roß, das, die Reihen der Reiter durchbrechend, Augenblicks an seiner Seite stand, stieg wieder auf und befand sich mitten im Feind, beinah ehe der langsamere Spanier nur seine Entfernung wahrgenommen hatte. Aber dieser war dadurch nicht von dem Gegner befreit. Sich durch das Niederstrecken dreier Ritter freien Raum verschaffend, zog Musa den kurzen arabischen Bogen hinter der Schulter vor, und Pfeil um Pfeil rasselte auf den Panzer des pferdelosen Christen mit so wunderhafter Schnelligkeit, daß dieser, unter der Bürde seines schweren Gewandes eben so unfähig zu entrinnen, als sich gegen den Pfeilhagel zu decken, fühlte, nur ein glücklicher Zufall oder Unsere Frau könne den Tod verhindern, den irgend einer der Bolzen, der die Oeffnung des Visiers oder die Fugen des Harnischs träfe, nothwendig bringen müsse.

»Gnadenmutter!« stöhnte der Ritter grimmerfüllt, »laß Deinen Knecht nicht in diesem feigen Waffenspiel wie ein Hirsch niedergeschossen werden, sondern wenn ich fallen soll, so sey es im Handgemenge mit meinem Feind.«

Noch murmelte er dieses kurze Stoßgebet, als dicht nebenan der Schlachtruf der Spanier erklang und Villena's tapferes Geschwader über die Ebene daher sprengte, den Freunden zu Hülfe. Musas Aufmerksamkeit ward vom persönlichen Gegner, trotz dessen hoher Bedeutung, abgelenkt; er schwenkte um, sammelte seine Mannen, und traf in geschlossenen Reihen mit den Feinden zusammen.

Während der Kampf auf diesem Theile des Feldes besprochener Maßen fortschritt, war der Plan Ferdinands so weit gelungen, daß die Schlacht in verschiedene Treffen zerfiel. Fern und nah boten Ebne, Garten, Thurm, Gesträuch den Anblick eines harten, entschlossenen Handgemenges. Boabdil an der Spitze seiner auserlesenen Leibwache, der Blüte der vornehmsten Häuptlinge, die eifersüchtig auf den Ruhm von Musas minder edelgeborner Schaar hinüberblickten, und gefolgt von seinen riesenhaften Aethiopiern, setzte mit der verzweiflungsvollen Kühnheit eines Menschen, der fühlt, daß sein Alles auf dem Spiel stehe, seine Person jeder Gefahr aus. Da er in das Fußvolk den mindesten Glauben hatte, so hatte er sich am meisten unter diesem, und allenthalben reichte seine Gegenwart für den Augenblick hin, das Glück des Kampfes auf seine Seite zu wenden. Endlich, um Mittag, führte Ponce de Leon gegen die stärkste Abtheilung der mohrischen Fußgänger einen zahlreichen Haufen der best eingeübten, alten spanischen Soldaten. Es war ihm gelungen, ein Vorwerk wegzunehmen, von welchem aus sein Geschütz mit Nachdruck spielen konnte, und die Truppen, die ihm nunmehr folgten, bestanden theils aus Leuten, denen der eben errungene Sieg neue Schnellkraft gab, theils aus einer frischen Reserve, die jetzt eben erst ins Gefecht kam. Es war ein stilles, prächtiges Schauspiel, diese Christenschaar aus einem Gehölz hervorkommen zu sehen, das sie unterwegs in Brand gesteckt hatte; die rothe Flamme spiegelte sich in den Rüstungen, wie jene in fester, feierlicher Ordnung gegen die unstäten, lärmenden Reihen der Mohren daher rückten. Boabdil, durch das Geschrei auf die Gefahr aufmerksam gemacht, schied schnell von einem Thurm, von welchem er eben einen feindlichen Angriff zurückgeschlagen, und warf sich mitten unter die von Ponce de Leon bedrohten Kämpfer. Beinah in gleichem Moment erschien am nämlichen Orte die wilde, deutungsvolle Gestalt Almamens, die den Augen der Mohren lange unsichtbar gewesen, so plötzlich und unerwartet, daß Niemand begriff, von wo sie aufgetaucht; das heilige Banner in der Linken, den nackten, blutträufelnden Säbel in der Rechten, das Gesicht unbedeckt und die gewaltigen Züge von einer Begeisterung glühend, die Werk eines übernatürlichen Anhauchs zu seyn schien, brachte er auf Einmal eine neue Seele in die Mohren.

»Sie kommen! sie kommen!« rief er laut. »Der Gott des Morgenlandes hat die Gothen in eure Hände geliefert!«

Von Reihe zu Reihe, von Linie zu Linie sprengte der Santon; und als das geheimnißvolle Banner vor den Kriegern funkelte, schloß Jeder die Augen und murmelte ein Amen zu des Zauberers Beschwörungen.

Und jetzt mit dem Ruf: »Spanien und St. Jago!« brach der stürmende Angriff der Christen herein. Zugleich eröffnete das Geschütz von dem durch Ponce de Leon vorhin genommenen Vorwerk aus sein Feuer auf die Mohren und erwies seine volle Tödtlichkeit. Die Moslems wankten einen Augenblick; da strahlte Almamens weißes Banner vor ihnen, und man sah ihn, zu Fuß und allein, mitten unter den Feind stürzen. In dem ihnen angeredeten Glauben, daß das Schicksal des Kriegs von der Erhaltung der bezauberten Fahne abhänge, konnten die Heiden dieselbe nicht ohne Besorgniß und Schaam so vorschnell aufs Spiel gesetzt sehen: sie sammelten sich, rückten festen Fußes vor und Boabdil selbst, mit geschwungenem Säbel und wildem Ruf, stürmte an der Spitze seiner Leibwächter und Äthiopier vollen Laufs in die Angreifenden. Das Gefecht ward hartnäckig und blutig. Dreimal verschwand das weiße Banner unter den gegen einander drückenden Reihen, und dreimal kam es, wie ein Mond aus den Wolken, wieder zum Vorschein, ein Licht und Leitstern der Macht der Heiden.

Der Tag neigte sich, und bereits warfen die Berge längere Schatten auf die glimmenden Baumgruppen und den stillen Darro, dessen Fluten in jeder Bucht, wo die Strömung langsamer floß, roth vom Blute waren, als Ferdinand, seine ganze Reserve an sich ziehend, von der Anhöhe herabstieg, die er bisher eingenommen. Mit ihm nahten dreitausend Fußgänger und tausend Reiter, frisch an Kraft und nach einer Theilnahme an diesem glorreichen Tage schmachtend. Der König selbst, der, obwol von Natur unerschrocken, doch aus Gründen der Staatsklugheit sich nur bei sehr bedeutenden Veranlassungen persönlicher Gefahr aussetzte, war entschlossen, sich von Boabdil nicht verdunkeln zu lassen; und, vom Wirbel bis zur Zehe in Stahl gehüllt, der so mit Gold eingelegt war, daß die Rüstung fast durchweg aus diesem kostbaren Metall selbst zu bestehen schien, im Flattern seines schneeweißen Federbusches über dem kleinen, den hohen Helm krönenden Diadem, paßte er ganz zum Führer jener heldenhaften Umgebung. Hinter ihm wogte das große Reichspanier von Spanien, und Trommel und Zimbel verkündeten sein Heranrücken. Der Graf Tendilla ritt neben ihm.

»Senhor,« sprach Ferdinand, »die Ungläubigen wehren sich hart; aber sie sind in die Schlinge gegangen – in Kurzem können wir die Netze über ihnen zusammenziehen. Aber welcher Zug kommt hier?«

Die Gruppe, welche des Königs Aufmerksamkeit erregte, bestand aus sechs Knappen, die auf einer kriegerischen, aus Schilden bestehenden Sänfte die riesige Gestalt Hernando's del Pulgar trugen.

»Ach die Hunde,« rief Ferdinand, als er das blasse Antlitz des Lieblings des Heeres erkannte, – »haben sie den tapfersten Ritter gemordet, der je für die Christenheit focht?«

»Das eben nicht, Eure Majestät,« erwiederte Jener mit schwacher Stimme; »aber ich bin übel verwundet.«

»Es muß mehr als ein Menschenarm gewesen seyn, was Dich niederstreckte,« sprach der König.

»Es war, mit Ew. Majestät Erlaubniß, die Keule des Musa Ben Abil Gasan,« antwortete einer der Knappen; »aber sie traf den guten Ritter, ohne daß er sich ihrer versah, und lange nachdem sein Arm den Heiden dem Anschein nach von sich getrieben hatte.«

»Du sollst gerochen werden, mein tapferer Namensbruder,« entgegnete der König mit aufgeworfenem Haupte. »Unsere eigenen Leibärzte sollen nach Deinen Wunden sehen. Vorwärts meine Ritter, St. Jago und Spanien!«

Die Schlacht hatte sich jetzt zu einem Knäul zusammmengeballt, Musa und seine Reiterei sich mit Boabdil und dem mohrischen Fußvolk vereinigt. Andererseits war dem Villena Verstärkung zugekommen durch die Schaaren, die fast an jedem andern Orte der Wahlstatt den Feind geworfen. Die Mohren waren zurückgetrieben worden, aber nur Zoll für Zoll; jetzt befanden sie sich auf dem freien Raum unmittelbar vor den Stadtmauern, auf welchen sich noch immer die bleichen, angstvollen Gestalten der Greise und Frauen drängten, und bei jeder Pause des Geschützdonners drangen die Stimmen der Heimat durch die stäubende Luft ans Gehör der Ungläubigen. Das Geschrei, das durch das christliche Heer hinlief, als Ferdinand sich mit demselben vereinigte, traf wie ein Grabgeläute auf Boabdils letzte Hoffnung. Aber das Blut seiner sieggewohnten Väter brannte in seinen Adern, und der Zuspruch Almamens, den nichts außer Fassung setzte, hauchte ihm eine Art wilden Wahnsinns ein.

»König gegen König – sey es so! Allah möge zwischen uns entscheiden,« rief der Herr der Mohren. – »Verbindet diese Wunde! – Schon gut! – Ein anderes Pferd! – Jetzt, mein Prophet und Freund, besteig ein Roß zur Seite Deines Königs – laß uns mindestens neben einander fallen!«

Durch die Reihen der tapfern Christen ging ein Schauder unwillkührlicher Bewunderung, als sie den Beherrscher der Muselmanen, kennbar an dem schönen Bart und den Edelsteinen des Harnisches, den dürftigen Ueberrest seiner Leibwache noch einmal ins dichteste Getümmel führen sahen. Zugleich sprengten Musa und seine Zegri's in grimmigem Angriff herbei, und das mohrische Fußvolk, angefeuert durch das Beispiel seiner Häuptlinge, folgte mit ungebrochenem, starrem Muthe. Die Christen wichen – sie wurden zurückgeschlagen: Ferdinand gab seinem Pferd die Sporen und eh es auf beiden Seiten recht bemerklich geworden, trafen sich beide Könige im Gedränge: jede Ordnung und Kriegszucht war für den Augenblick aufgehoben und Heerführer und Monarch fochten, wie gemeine Soldaten, Hand gegen Hand. In diesem Moment geschah es, daß der Beherrscher Spaniens, nachdem er Naim Reduon, von den Liedern Granadas gleich nach Musa gepriesen, durch seine Lanze niedergeworfen, eine seltsame Gestalt vor sich sah, die ihm eher eine Ausgeburt der Hölle, denn ein Mensch dünkte. Das rabenschwarze, von Blut starrende Kopf- und Barthaar hing wie Schlangen um ein Gesicht, dessen für den Ausdruck der dunkelsten Leidenschaften geformte Züge der Wahnsinn verzweifelnder Wuth verzerrte. Blut rieselte aus mehreren Wunden auf den Harnisch des Schreckbildes, und über dem Haupt schwang es jenes mit geheimnißvollen Zeichen besetzte Banner, das bei Ferdinanden bereits als Werk der Dämonen galt.

»Treffen wir uns endlich, eidbrüchiger König der Nazarener!« rief der furchtbare Kämpfer, »hier sind wir nicht mehr Wirth und Gast, Fürst und Derwisch, sondern Mann gegen Mann. Ich bin Almamen! Stirb!«

Er sprachs und sein Schwert fuhr so grimmig auf das gesalbte Haupt herab, daß Ferdinand nach dem Sattelknopf vortaumelte. Aber schnell gewann er seine feste Stellung wieder und warf sich dem Angriff muthvoll entgegen. Leidenschaften, die in solcher Zahl, solcher Art und solchem Uebermaß keinen andern Kämpfer in beiden Heeren beseelten, gaben dem Arm Almamens, des Israeliten, eine übernatürliche Kraft; seine Streiche fielen wie Hagel auf die Rüstung des Königs, und die glühenden Augen, das funkelnde Banner des Zauberers, welcher der Folter der Inquisition entgangen, welcher unbeschädigt mitten durch das Christenheer geschritten war, welcher, ein einziger Mann, das Lager einer ganzen Armee in Brand gesteckt hatte, füllten das tapfere Herz des Königs mit dem Glauben, daß er keinem irdischen Feind gegenüber stehe. Glücklicherweise vielleicht für Ferdinand und Spanien dauerte der Kampf nicht lange. Zwanzig Ritter sprengten dem Federbusche auf dem Diadem zu Hülfe; Tendilla langte zuerst an; durch einen Streich seines Zweihändlers brach das weiße Banner vom Schaft und fiel zu Boden. Bei diesem Anblick brachen die Mohren umher in ein wildes Geschrei des Entsetzens aus, das von Reihe zu Reihe, von den Reitern zum Fußvolk hinüber lief; nicht sobald erfuhr letzteres, von allen Seiten hart gedrängt, das böse Zeichen, als es sich zur Flucht wendete, die eben so unglückbringend als plötzlich war; denn die eben erst ins Treffen geführte christliche Reserve brach gerade jetzt mit gemeinsamem Stoß auf die Mohren herein. Boabdil, zu beschäftigt, um den Fall der heiligen Fahne sogleich wahrzunehmen, sah sich plötzlich, mit seinen zusammengeschmolzenen Aethiopiern und einer Handvoll seiner Ritter, beinah allein.

»Ergib Dich, Boabdil el Chico!« rief Tendilla, bereits hinter seinem Rücken, »oder keine Rettung ist für Dich möglich!«

»Nimmermehr, beim Propheten!« erwiederte der König und sprengte den Berber gegen die Mauer von Speeren hinter ihm; und mit nicht viel mehr als einem Dutzend Leuten aus seiner Leibwache hieb er sich Weg durch die Christen, die vielleicht nicht ungern eines so tapfern Feindes schonten. Nachdem er sich durch die spanischen Schlachthaufen etwas durchgebrochen, hielt der Unglückliche sein Pferd für einen Augenblick an und überblickte die Ebene: er sah sein Heer in allen Richtungen fliehen, außer auf dem einzigen Fleck, wo der Turban Musa's Ben Abil Gasan noch immer schimmerte. Noch schaute er hin, als er die schnaubenden Nüstern der Rosse hinter sich hörte, und die eingelegten Speere eines Geschwaders wahrnahm, von Ferdinand entsendet, um ihn todt oder lebendig in seine Gewalt zu bringen: er ließ die Zügel schießen und stürmte in vollem Rennlauf in die Stadt; drei Lanzen schütterten gegen das Thor, als er unter dessen dunkelm Gewölbe verschwand. Aber so lange Musa noch übrig, war noch nicht Alles verloren: er sah die Flucht des Fußvolks und des Königs, und sprengte mit seinen Begleitern über die Ebene daher, noch zu rechter Zeit eintreffend, um die Verfolger Boabdils bis zum letzten Mann niederzuhauen. – Dann warf er sich vor die fliehenden Mohren.

»Flieht Ihr im Angesicht Eurer Weiber und Töchter? Wollt Ihr nicht lieber, daß sie Euch sterben sehen?«

Tausend Stimmen antworteten ihm: »Das Banner ist in den Händen der Ungläubigen – Alles ist verloren!« Alle stürzten an ihm vorüber und hielten nicht an, bis sie das Thor erreicht hatten.

»Verflucht seyen solche Zauberpfänder!« rief Musa. »Wäre das Vaterland unser einziger Zauber, so hätten wir diesen nie verloren!«

Aber immer noch blieb ein kleiner, treuer Rest der Mohrenritter übrig, um einen letzten Glanz auf das Unterliegen selbst zu werfen. Mit Musa, ihrer Seele und ihrem Lebenspunkt, vertheidigten sie jeden Zoll des Bodens; es war, nach dem Ausdruck des Chronisten, als ob sie die Erde mit ihren Waffen fest hielten. Zweimal warfen sie sich mitten in den Feind; das Blutbad, das sie unter ihm anrichteten, verdoppelte ihre eigene Zahl; aber in geschlossenen Kolonnen drängte sich jetzt das ganze Christenheer heran, und wie von einem Meer wurden Jene umfluthet, ermattet, zurückgeworfen. Gleich wilden Thieren, die man endlich nach ihrem Lager getrieben hat, zogen sie sich, das Antlitz dem Feind zugewendet, zurück; und als Musa, der Letzte, – den Säbel am Griff abgeschlagen – ankam, hatte er kaum noch Athem genug, um die Thore zu schließen, die Zugbrücken aufziehen zu heißen, worauf er alsbald in plötzlicher, tiefer Ohnmacht, mehr Folge des Seelenschmerzes und der Scham, als der körperlichen Erschöpfung, vom Pferde sank. So endete die letzte für das Reich Granada gefochtene Schlacht.

Zweites Kapitel.

Die Novizin.

 

In den Zellen eines wegen der Frömmigkeit seiner Bewohnerinnen und der heilsamen Strenge seiner Gesetze berühmten Klosters saß eine junge Novizin allein. Das enge Fenster befand sich so hoch in der kalten, grauen Wand, daß jede Tröstung gegen traurige oder jede Unterbrechung in frommen Gedanken, so weit sie durch einen Blick auf die Welt draußen hätten kommen dürfen, der Inhaberin des Gemaches abgeschnitten blieb. Blos ein schwacher Sonnenstrahl brach durch die Oeffnung, und machte damit das düstre Bild der Zelle noch freudeloser. Die junge Novizin schien jenen Kampf der Gefühle zu kämpfen, ohne welchen es keinen Sieg in den Entschlüssen zur Tugend gibt. Bisweilen weinte sie bitterlich, aber in leisem, niedergehaltenen Schmerz, der eher von Wehmuth als von Aufregung zeugte; bisweilen hob sie das Haupt von der Brust, und lächelte, wenn sie emporblickte, oder wenn ihr Auge das Crucifix und den Todtenkopf auf dem rauhen Tisch neben ihrem Strohlager faßte. So waren es denn Zeichen des Todes hienieden und des Lebens dort droben, was ihr, vielleicht, zur Quelle eines doppelten Trostes wurde.

Noch saß sie in tiefen Gedanken, als ein leichtes Klopfen an der Thür sich hören ließ, und die Aebtissin des Klosters hereintrat.

»Tochter,« sprach sie, »ich bringe Dir den Trost eines heiligen Besuches. Die Königin von Spanien, mütterlich besorgt für Deine volle Zufriedenheit mit Deinem Loose, hat einen heiligen Mönch hieher gesendet, dessen Berathungen sie für sanfter hält, als diejenigen unseres Bruders Thomas; denn dieser erschreckt oft durch seinen glühenden Eifer Diejenigen, die sein edles Gemüth nur läutern und leiten will. Ich will ihn allein bei Dir lassen. Mögen die Heiligen sein Amt segnen!« Mit diesen Worten zog sich die Aebtissin zurück, und ließ eine Gestalt in einem Mönchsgewand, die Kapuze über's Gesicht gezogen, herein. Der Bruder neigte den Kopf sanft, schloß die Zelle ab und setzte sich auf einen Stuhl, der nebst dem Tisch und dem Strohlager das einzige Geräth des dürftigen Gemaches zu seyn schien.

»Tochter,« hob er nach einer Pause an, »es ist ein rauhes und trübes Loos, also zu entsagen der Erde und all' ihren Schönheiten und zarten Banden, für Jeden, der für ein solches Opfer nicht vollkommen bereit und gerüstet ist. Vertraue in mich, mein Kind; ich bin kein grimmer Inquisitor, der Deine Worte zu Deinem Nachtheil zu verdrehen sucht. Ich bin kein bitterer, mürrischer Selbstpeiniger. Noch schlägt unter diesem Gewande ein menschliches Herz, das Gefühl für menschliche Schmerzen hat. Vertraue ohne Furcht in mich. Graut Dir vor dem Schicksal nicht, das man Dir aufzwängen will? Bebst Du nicht zurück? Möchtest Du nicht frei seyn?«

»Nein,« erwiederte die arme Novizin; aber die Verneinung kam schwach und unentschlossen aus ihrem Munde.

»Halt an,« entgegnete der Mönch, und sein Ton ward angelegener; »halt an – noch ist es Zeit.«

»Nein,« versetzte die Novizin, mit einiger Verwunderung in der Miene aufblickend; »nein; wär' ich auch schwach genug, so ist ein Entkommen jetzt doch unmöglich. Welche Hand könnte die Klosterthore aufriegeln?«

»Die meinige!« rief der Mönch mit Nachdruck. »Ja, ich habe diese Gewalt. In ganz Spanien ist nur Ein Mensch, der Dich retten kann, und der bin ich.«

»Ihr?« stammelte die Novizin und schaute mit einer Mischung von Staunen und Schrecken auf ihren seltsamen Besuch. »Und wer seyd Ihr, der dem Beschluß dieses Thomas von Torquemada widerstreben darf, vor welchem sich, wie man mir sagt, selbst die gekrönten Häupter Castiliens und Arragoniens niederbeugen?«

Der Mönch fuhr bei dieser Frage mit einer heftigen, beinahe stolzen Bewegung halb in die Höhe, setzte sich jedoch wieder und nahm mit leiser, fast flüsternder Stimme das Wort:

»Tochter, hör auf mich. Es ist wahr, daß Isabella von Spanien (welche die Gnadenmutter segnen wolle! denn mitleidig ist ihr geheimes Herz gegen Jedermann, wenn auch nicht ihr äußerliches Verfahren) – es ist wahr, daß Isabella von Spanien, besorgend, der Pfad zum Himmel möchte für Deine Füße rauher gemacht werden, als von Nöthen ist,« – (ein leichter Ton von Spott spielte durch die Stimme des Mönches, als er dies sprach) – »einen Bruder von überredender Zunge und sanftem Benehmen auslas, um Dich zu besuchen. Er hatte Briefe der Königin an die Aebtissin zu überbringen. So sanft indessen der Bruder, war er doch ein Heuchler. Nein, hör mich aus! er verehrte gern die aufgehende Sonne, und hatte nicht Lust, immer ein schlichter Mönch zu bleiben, während die Kirche höhere Würden auszutheilen vermag. Im Christenlager, Tochter, befand sich Jemand, der nach einer Kunde von Dir brannte, – den Dein Bild verfolgte – der, so streng Du gegen ihn warst, Dich mit einer Liebe liebte, von welcher er nichts gewußt, bis er Dich verloren hatte. Was zitterst Du, Tochter? Höre, höre mich! Zu diesem Liebenden, der von hohem Range war, kam der Mönch; an diesen Liebenden verkaufte der Mönch seinen Auftrag. Eine Geschichte, daß ihm im Gebirg von Bewaffneten der Weg verlegt und er seiner Briefe an die Aebtissin beraubt worden, bietet sich dem Mönch leicht dar. Der Liebende nahm das Kleid desselben sammt den Briefen und eilte hierher. Leila! geliebte Leila! sieh ihn zu Deinen Füßen!«

Der Mönch hob die Kappe auf, stürzte auf ein Knie nieder und die Züge des Prinzen von Spanien strahlten in das Antlitz der Erschrockenen.

»Ihr!« sprach Leila, das Gesicht abwendend und umsonst die Hand, die er gefaßt, loszumachen suchend. »Das ist wahrhaftig grausam! Ihr, die Ursache so vieler Leiden – so übler Nachrede – solcher Vorwürfe!«

»Ich will Alles wieder gut machen!« rief Don Juan glühend. »Ich allein, ich wiederhole es, habe die Macht, Dich in Freiheit zu setzen. Du bist keine Jüdin mehr; – Du bist Eine unseres Glaubens; keine Schranke steht mehr zwischen unserer Liebe. So gebieterisch mein Vater – so dunkel und grausig die neue Macht, die er in seinen Landen voreilig einführt: der Erbe zweier Königsthrone ist gleichwol nicht so arm an Einfluß und an Freunden, um dem Weib seiner Liebe nicht eine unverletzliche Freistatt gegen Priester und Despoten bieten zu können. Flieh mit mir; verlaß dieses schaudrige Grabgewölbe, eh der letzte Stein sich auf immer über Deinem Haupte schließt! Ich habe Pferde und Gewaffnete zur Hand. Diese Nacht kann Alles ins Werk gesetzt werden – diese Nacht – o Wonne! – kannst Du der Erde und der Liebe zurück gegeben werden!«

»Prinz,« erwiederte Leila, die sich während dieser Worte von Juan losgerissen, und jetzt in einiger Entfernung, aufrecht und stolz, da stand, »Ihr versuchet mich umsonst; oder vielmehr, Ihr setzt mich nicht in Versuchung. Ich habe gewählt und bleibe bei meiner Wahl.«

»O bedenke,« entgegnete der Prinz in dem Ton wirklicher, flehender Seelenqual, »bedenke die Folgen Deiner Weigerung wohl. Jetzt siehst Du sie noch nicht ein; Dein Eifer verblendet Dich. Aber wenn Stunde um Stunde, Tag um Tag, Jahr um Jahr in der entsetzensvollen Einförmigkeit dieses heiligen Kerkers dahin schleichten; wenn Du Deine Jugend ohne Liebe, Dein Alter ohne Ehre hinwelken sehen wirst; wenn Dein Herz zu Stein werden wird unter dem Blick dieser eisigen Gespenster; wenn in die schmerzliche Dumpfheit eines verwüsteten Lebens nichts eine Abwechselung bringt, als ein längeres Fasten, eine strengere Büßung: dann, o dann wird Dein Kummer verzehnfacht werden durch den verzweiflungsvollen Gedanken, daß Deine eigenen Lippen Deine Verdammung ausgesprochen haben. Du denkst vielleicht,« fuhr Juan in raschem Eifer fort, »meine Liebe zu Dir sey Anfangs leicht und unehrenvoll gewesen. Sey es so! Ich gestehe, daß meine Jugend unter eiteln Tändeleien und den Scheinbildern wirklicher Leidenschaft hinfloß. Jetzt aber, zum erstenmal in meinem Leben, fühl' ich, daß ich liebe. Deine dunkeln Augen – Deine edle Schönheit – selbst Deine weibliche Strenge – haben mich bezaubert. Ich – nie sonst zurückgewiesen, wo ich um eine Gunst warb, – kenne endlich an, daß ein Triumph in der Besiegung eines Weiberherzens liegt. O Leila! verstoße mich nicht! Du weißt nicht, welche seltene und tiefe Liebe Du von Dir wirfst!«

Die Novizin war gerührt: die nunmehrige Sprache Don Juans war so verschieden von seiner frühern; die ernstliche Liebe, die aus seiner Stimme bebte, aus seinen Augen blickte, rührte an eine Saite in ihrer Brust; sie rief ihr die eigene unbesiegte, unbesiegbare Liebe zu dem verlorenen Musa ins Gedächtniß. Denn es liegt in der Natur des Weibes, daß wenn sie liebt, sie eine aufrichtige Bewerbung eines Dritten zwar immerhin zurückweisen mag, aber dieselbe nicht verachten kann: sie fühlt im eigenen Herzen die Qual, die Jener dulden muß, und hat, durch eine Art Egoismus, Mitleiden mit dem Widerbild ihrer selbst. So war denn Leila gerührt – bis zu Thränen gerührt, aber ihr Entschluß gleichwol nicht zu erschüttern.

»O Leila,« nahm der Prinz wieder das Wort, die Ursache ihrer Rührung mißverstehend und den Vortheil, den er gewonnen zu haben glaubte, zu verfolgen suchend, »sieh jenen Sonnenstrahl, der sich durch die Ritze Deiner Zelle kämpft: ist er nicht ein Bote aus der glücklichen Welt? redet er mir nicht das Wort? flüstert er Dir nicht von den grünen Feldern und lachenden Weingeländen und all der schönen Verschwendung der Erde, welcher Du für immer entsagen willst? Fürchtest Du meine Liebe? Sind die selbstquälerischen, leblosen Gestalten um Dich her für Dein Auge schöner, als die meinige? Bezweifelst Du meine Macht, Dich zu beschützen? Ich sage Dir, die stolzesten Edeln Spaniens würden sich um meine Fahne schaaren, wäre es nöthig, Dich durch Waffengewalt zu schützen. Dennoch, sprich nur ein Wort – sey die Meine, und ich will mit Dir von hier wegfliehen unter einen Himmel, wo die Kirche ihre tödlichen Wurzeln nicht geschlagen hat, und, der Krone und Sorgen vergessend, nur für Dich leben. O sprich!«

»Fürst,« sprach Leila ruhig, und suchte sich die nöthige Kraft zu geben, »ich fühle tiefe und aufrichtige Dankbarkeit für die Theilnahme, die Ihr ausdrückt – für die Zärtlichkeit, die Ihr mir gelobet. Aber Ihr täuschet Euch. Ich habe die Wahl, die ich getroffen, reiflich überlegt. Ich bereue sie weder, noch bedauere ich sie – geschweige, daß ich sie rückgängig machen möchte. Die Erde, von der Ihr sprechet, voll Liebe und Segen für die Andern, hat keine Bande, keine Reize für mich. Ich wünsche blos Frieden, Ruhe und einen baldigen Tod.«

»Wär's möglich,« rief Juan und ward blaß, »solltest Du einen Andern lieben? dann freilich, und dann nur würde meine Bewerbung fruchtlos seyn.«

Die Wange der Novizin ward tief geröthet, aber der Purpur wich schnell wieder. Sie flüsterte vor sich hin: »Warum sollt' ich mich schämen es jetzt zu gestehen?« und setzte dann laut hinzu: »Prinz, ich hoffe mit der Welt abgeschlossen zu haben, und bitter ist die Qual, die ich fühle, wenn Ihr mich in dieselbe zurück rufet. Aber Ihr verdienet mein unumwundenes Geständniß: Ich habe einen Andern geliebt, und in diesem Gedanken liegt, wie in einer Urne, die Asche jeder Zuneigung. Dieser Andere ist verschiedenen Glaubens von mir. Hienieden können wir uns nie – nie wieder treffen; aber es ist ein Trost in dem Gebet, daß wir uns dort oben wieder begegnen mögen. Dieser Trost und diese Hallen sind mir theurer, als alle Pracht, alle Wonnen der Welt.«

Der Prinz sank nieder, bedeckte das Gesicht mit den Händen und stöhnte laut – gab aber keine Antwort.

»Gehet denn, Prinz von Spanien,« fuhr die Novizin fort. »Sohn der edeln Isabella, Leila ist der Fürsorge derselben nicht unwürdig. Gehet der großen Bestimmung entgegen, die Eurer wartet. Und wenn Ihr dem armen jüdischen Mädchen verzeihet – wenn Ihr eine Erinnerung an sie beibehaltet, so lindert, erleichtert, mildert das unselige Loos des gefallenen Volkes, aus welchem sie, um Eures Glaubens willen, getreten ist.«

»Ach,« versetzte der Prinz trauervoll, »Dich allein vielleicht von Deinem ganzen Volke hätte ich vor der Frömmelei retten können, welche dieses ritterliche Land über und über zu bedecken anfängt, wie die Flut eines unwiderstehlichen Meeres – und Du verwirfst mich! Nimm Dir wenigstens Zeit, nachzudenken – zu überlegen. Laß mich morgen noch einmal zu Dir kommen.«

»Nein, Prinz, nein – nicht noch einmal! Ich bewahre Euer Geheimniß bloß, wenn ich Euch nicht mehr sehe. Beharrt Ihr bei einer Bewerbung, in der, wie ich fühle, Sünde und Schmach liegen, so verlangt meine Ehre …«

»Halt!« unterbrach sie Juan, hoch herab – »ich quäle, ich plage Dich nicht länger. Ich befreie Dich von meiner Zudringlichkeit. Vielleicht hab' ich mich zu tief herabgelassen!« Er zog die Kapuze über das Gesicht und schritt trotzig auf die Thür zu. Als er jedoch einen letzten Blick auf die Gestalt warf, die sein für edle Empfindungen nicht unfähiges Herz so wunderbar gefesselt hatte – erweichten die sanfte, gramerfüllte Stellung der Novizin, ihre zarte Jugend, ihr düsteres Schicksal den augenblicklichen Stolz und Zorn wieder. »Gott segne und behüte Dich, armes Kind,« sprach er mit einer durch den Widerstreit seiner Gefühle bebenden Stimme – und die Thür schloß sich hinter ihm ab.

»Ich danke dir, Himmel, daß es nicht Musa war,« lispelte Leila, aus einer Träumerei auffahrend, worin sie mit der eigenen Seele Zwiesprache zu halten schien. »Ich fühle, ihm hätt' ich nicht zu widerstehen vermocht.« Mit diesem Gedanken kniete sie, in demüthiger, reuevoller Selbstanklage nieder und betete um Kraft.

Noch hatte sie sich von dem Gebet nicht erhoben, als ihre Einsamkeit abermals durch den Dominikaner Torquemada unterbrochen ward.

Bei diesem seltsamen Menschen, dem Urheber von Grausamkeiten, vor welchen die Natur zurückschaudert, liefen gleichwol einige Adern warmen, zarten Gefühles durch den Marmor seines harten Charakters. Als er sich von dem reinen, angelegenen Eifer der jungen Neubekehrten zur Genüge überzeugt hatte, ließ er von der rauhen Strenge, die er Anfangs gegen sie gezeigt, nach, und übte die ihm zu Gebot stehende Beredsamkeit in der Erhebung ihres Geistes, in der Beschwichtigung ihrer Zweifel. Er betete für sie und betete neben ihr mit Thränen und Inbrunst.

Lange verzog er diesmal bei der Novizin, und als er sie verließ, war sie, wenn nicht glücklich, mindestens beruhigt. Ihr wärmster Wunsch blieb jetzt, daß die Zeit ihres Noviziats abgekürzt werden möge, das, auf ihr Anliegen, die Kirche bereits nur noch dem Namen nach von wirklicher Einkleidung unterschied. Sie sehnte sich nach der Unmöglichkeit eines Widerrufs, nach dem unverweilten Betreten des schmalen Pfades.

Die sanfte, bescheidene Frömmigkeit der Jungfrau rührte die Schwesterschaft: sie wurde Allen theuer. Die Unterredung mit ihr war ein Ereigniß, das den Todesschlaf jenes stagnirenden Lebens unterbrach. Diese Theilnahme, diese Freundlichkeit der Nonnen gegen sie, die von der Wiege an so wenig mit ihrem eigenen Geschlecht verkehrt hatte, trug mächtig zur Stillung und Sänftigung ihres Gemüthes bei. Nachts aber führten ihr ihre Träume das dunkle, drohende Antlitz ihres Vaters vor die Seele. Bald wars ihr, als risse er sie von den Thoren des Himmels, bald sah sie ihn neben sich am Altar knieen und sie beschwören, dem Heiland zu entsagen, vor dessen Bild am Kreuz sie kniete. Zuweilen streifte auch Musa durch ihre nächtlichen Gesichte, – aber in minder furchtbarer Gestalt. Seine ruhigen, gramvollen Augen waren auf sie gerichtet, und seine Stimme fragte: »Kannst Du ein Gelübde ablegen, das die Erinnerung an mich zur Sünde macht?«

So war denn die Nacht, die sonst den Trauernden Balsam und Vergessenheit bringt, furchtbarer für Leila als der Tag. Ihre Gesundheit litt mehr und mehr, aber ihr Gemüth blieb fest. In glücklicheren Zeiten und Verhältnissen würde die arme Neubekehrte ein großer Charakter geworden seyn; aber so bildete sie nur eines der unzähligen, der Welt unbekannten Opfer, deren Tugenden stille Beweggründe haben, deren Kämpfe in einsamen Herzen vorgehen.

Vom Prinzen hörte und sah man nichts mehr. Es gab Augenblicke, wo sie aus zweideutigen, dunkeln Winken schloß, der Dominikaner habe um Don Juans Verkleidung und Besuch gewußt. War dem so, so schien dieses Wissen die Milde, beinah die Verehrung, welche Torquemada ihr bewies, nur zu vermehren. Gewiß blieb, daß von jenem Tage an das Benehmen des Priesters gegen sie aus irgend einem Grunde weit sanfter geworden, und daß er, der selten zu andern Mitteln, als der Strafe und Drohung, seine Zuflucht nahm, über sie oft Aeußerungen halb des Mitleids, halb des Lobes that.

Also getröstet und gestärkt am Tage – also geschreckt und geängstigt bei Nacht, aber nimmer ihren Entschluß bereuend, sah Leila die Zeit zu jener ereignißvollen Stunde hingleiten, wo ihre Lippen das unverbrüchliche Gelübde aussprechen sollten, das die Grabschrift des Lebens ist.

Während in jenem abgelegenen, stillen Kloster die Geschichte eines einzelnen Menschen auf diese Art vorschreitet, werden wir wieder entboten, die letzten Tage eines fallenden Königshauses vor uns vorüber gehen zu lassen.

Drittes Kapitel.

Pause zwischen Niederlage und Uebergabe.

 

Der unglückliche Boabdil versenkte sich noch einmal in die Verborgenheit der Alhambra. Wie groß seine Qual, seine Trostlosigkeit sein mochten: Niemand durfte seine Gefühle theilen, oder auch nur Zeuge derselben werden. Ausdrücklich versagte er den Zutritt in seine Einsamkeit, welchen seine Mutter verlangte, um welchen die getreue Amine flehte, welchen Musa voll Sorgen zu erringen suchte: gerade die geliebtesten oder verehrtesten Personen waren es vor Allen, vor welchen er am meisten zurückbebte.

Von Almamen vernahm man nichts mehr. Man glaubte, er sey in der Schlacht gefallen. Er gehörte jedoch zu denjenigen Menschen, die, so mächtig ihre Wirksamkeit auch ist, wenn sie zugegen sind, doch, sobald sie abwesend, sogleich vergessen werden. Zugleich lenkte der Hunger, der bei der gänzlichen Verwüstung der Vega und der Abschneidung jeglicher Zufuhr, täglich entsetzensvoller wurde, die Aufmerksamkeit jedes geringern Mohren vom Untergang der Stadt auf seine persönlichen Leiden ab.

Neue Verfolgungen trafen die unseligen Juden. Da sie durchaus keinen Theil an dem Kampf genommen (wie bei Menschen zu erwarten stand, um deren Interessen es sich bei dem Schicksal des Landes, worin sie wohnten, nicht handelte, und deren Brüder die Thorheit einer Einmischung in den Krieg so schwer gebüßt hatten), so milderte kein Gefühl von Verbrüderung in der Gefahr den Haß und Abscheu, der auf ihnen lag; und da in ihrer Gewinnsucht Manche fortfuhren, mitten in der Hungersnoth der Bewohner Nahrungsmittel zu ungeheuren Preisen zu verkaufen, so gab sich die Entrüstung der Menge gegen sie – bei dem Zustand der Stadt jedes Zügels und Gesetzes ledig – in schauderhaften Ausbrüchen kund. Viele Judenhäuser wurden angegriffen, geplündert, niedergerissen, und die Eigenthümer bis auf den Tod gequält, um über die Schätze, in deren Besitz man sie wähnte, Geständniß zu erhalten. Nicht zu verkaufen, was verlangt wurde, war ein Verbrechen, und es zu verkaufen, war ebenfalls eines. Die Elenden flohen nach jedem Schlupfwinkel, den ihnen die Gewölbe ihrer Häuser, oder die Höhlen in den innerhalb der Stadt gelegenen Hügeln noch anboten, ihr Schicksal verfluchend und beinah sehnsüchtig nach dem Joch der christlichen Fanatiker.

So verstrichen mehrere Tage; die Vertheidigung der Stadt blieb deren nackten Mauern und mächtigen Thoren überlassen. Die helle Sonne sah auf verschlossene Läden und entvölkerte Straßen herab, außer wenn etwa ein Haufe gespensterhafter, abgezehrter Menschen aus der ärmern Klasse sich in einem plötzlichen Anfall von Wuth oder Verzweiflung um ein gestürmtes, in Brand gestecktes Judenhaus drängte.

Endlich entriß sich Boabdil selbst seiner Abgeschiedenheit, und Musa ward zu seinem eigenen Erstaunen in die Gegenwart des Königes beschieden. Er fand Diesen in einem der prachtvollsten Gemächer seines prachtvollen Palastes.

Im Thurm von Comares ist ein großes Zimmer, noch auf den heutigen Tag der Saal der Gesandten genannt. Hier hielt Boabdil jetzt Hof. An den schimmernden Wänden hingen Trophäen und Fahnen und hie und da das arabische Bildniß irgend eines bärtigen Königes. An den Fenstern, die auf die lieblichen Ufer des Darro hinab schauten, standen dicht gedrängt die Santons und Alfaquis, etwas entfernt von der übrigen Menge. Im Hintergrund öffnete sich, halb von Draperie verhüllt, der große Hof der Alberca, dessen Säulengänge mit Blumen behängt waren, während in der Mitte das riesige Bassin, das dem Hof seinen Namen gibt, das Sonnenlicht auffing, so daß das Wasser aus den umrankenden Rosen heraus ins Auge blitzte.

Im Audienzsaal selbst war ein Thronhimmel über Boabdils Sitze mit den Wappeninsignien der Beherrscher Granadas geschmückt. Leibwächter, Stumme, Ein bekannter Titel an den orientalischen Höfen. Eunuchen, Höflinge, Räthe, Offiziere reihten sich in langer Linie zu beiden Seiten des Thrones. Es schien das letzte Flackern der mohrischen Lebenslampe, dieses hohle, wirklichkeitslose Gepränge! Als Musa sich dem Monarchen näherte, erschrack er über die Veränderung in dessen Zügen: der junge, schöne Boabdil schien plötzlich alt geworden zu seyn; seine Augen waren eingesunken; sein Gesicht mit Furchen durchzogen, und seine Stimme tönte hohl und gebrochen ins Ohr seines Verwandten.

»Komm her, Musa,« sprach er, »setze Dich neben mich und höre auf die Nachrichten, die wir vernehmen werden.«

Nachdem Musa auf einem Kissen, etwas unter dem König, Platz genommen, winkte Boabdil Einem aus dem Gefolge.

»Hamet,« sprach er, »Du hast den Zustand des christlichen Lagers untersucht: was Neues bringst Du?«

»Licht der Gläubigen,« erwiederte der Mohr, »es ist nicht mehr ein Lager, – es ist bereits eine Stadt geworden. Neun spanische Flecken wurden mit der Arbeit beauftragt: Stein ist an die Stelle des Zelttuches getreten; Thürme und Straßen erheben sich wie das Werk eines Zauberers, und der ungläubige König hat geschworen, seine neue Stadt nicht zu verlassen, bis seine Fahne auf Granadas Mauern weht.«

»Weiter,« sagte Boabdil ruhig.

»Krämer und Händler kommen täglich in Menge dorthin; der ganze Ort ist ein Bazaar; Alles was unserer hungernden Stadt zu Gut kommen sollte, strömt seine Fülle auf jenen Markt aus.«

Boabdil winkte dem Mohren sich zurückzuziehen und ein Alfaqui trat an dessen Stelle.

»Nachfolger des Propheten und Liebling der Welt,« sprach derselbe, »die Alfaquis und Seher Granadas beschwören Dich auf ihren Knieen auf ihre Stimme zu hören. Sie haben das Buch des Schicksals befragt, sie haben ein Zeichen vom Propheten erfleht, und ihr Erfund war, daß der Glanz gewichen ist von Deiner Krone und Deinem Volke. Granadas Fall ist vom Geschick voraus bestimmt – Gott ist groß!«

»Ihr sollt meine Antwort sogleich erhalten,« entgegnete Boabdil. »Abdelmelic, tritt vor.«

Aus der Menge trat ein bejahrter Mann mit weißem Bart, der Befehlshaber der Stadt.

»Sprich, alter Mann,« sagte der König.

»O Boabdil,« sprach der Veteran mit gebrochener Stimme, während die Thränen ihm die Wangen herab flossen, »Sohn eines Geschlechtes von Helden und Königen, wäre doch Dein Diener heute todt auf Deine Schwelle gefallen und der Mund eines mohrischen Edeln nie durch die Worte entweiht worden, die ich jetzt ausspreche. Unser Zustand ist hoffnungslos: unsere Vorrathshäuser sind wie der Sand in der Wüste; weder für Mensch noch Thier ist Leben in ihnen. Das Kriegsroß, das sonst den Helden trug, wird jetzt als dessen Speise verzehrt, und die Bevölkerung der Stadt schreit mit Einer Stimme nach Ketten und Brod! – Ich bin fertig.«

»Laßt die Gesandten Egyptens herein,« sprach Boabdil, nachdem Abdelmelic sich zurückgezogen. Eine Pause entstand; einer der Vorhänge am Ende des Saales wurde weggezogen, und mit der langsamen, gesetzten Majestät seines Volks und Landes schritt ein dunkelbrauner Zug hervor, Abgeschickte des Soldans von Egypten. Sechs von ihnen trugen kostbare Geschenke, in edelm Gestein und Waffen bestehend, und zuletzt kamen vier verschleierte Sklavinnen, deren Schönheit der Stolz des alten Nilthals gewesen war.

»Sonne Granadas und Morgenstern der Gläubigen,« nahm der Oberste der Egypter das Wort, »mein Herr, der Soldan von Egypten, die Wonne der Welt und der Rosenbaum des Orients, antwortet also auf die Briefe Boabdils: Er bedauert, die von Dir gewünschte Hülfe nicht schicken zu können, und findet überdies bei näherer Erkundigung über den Zustand Deines Gebietes, daß Granada keinen Seehafen mehr hat, von welchem aus unsere Truppen (könnte er solche senden) Eingang in Spanien fänden. Er beschwört Dich, Deine Hoffnung auf Allah zu setzen, der seine Erwählten nicht verlassen wird, und legt diese Geschenke, als ein Pfand seiner Freundschaft und Liebe, zu den Füßen meines Herrn, des Königs.«

»Ein freundliches und zeitgemäßes Geschenk,« entgegnete Boabdil mit zuckender Lippe; »wir danken ihm.« Ein langes, todtenhaftes Schweigen folgte, als die Gesandten den Audienzsaal verließen; sofort erhob Boabdil plötzlich das Haupt von der Brust, warf einen königlichen, hoheitsvollen Blick in der Halle umher und sprach: »Die Herolde Ferdinands von Spanien mögen eintreten.«

Unwillkürlich brach ein Seufzer aus Musas Brust und fand seinen Widerhall in einem Gemurmel des Abscheus und der Verzweiflung von Seiten der umherstehenden tapfern Heerführer; doch diesem augenblicklichen Ausbruch folgte ein athemloses Schweigen, und hinter einem andern Vorhang hervor, dem königlichen Sitz gegenüber, schimmerten die glänzenden Harnische der spanischen Ritter. Voran diesen stolzen Gästen, deren ehrne Fersen laut auf dem eingelegten Boden anschlugen, trat eine edle, stattliche Gestalt, mit Ausnahme des Helms in voller Rüstung und in einen Mantel von blauem Sammt, worein das silberne Kreuz, das Wahrzeichen des Christenkampfes, eingestickt war. Auf seinem männlichen Antlitz zeigte sich keine Spur unziemlichen Hochmuths oder Siegesjubels; sondern etwas von jenem Mitleid, das tapfere Männer mit bezwungenen Feinden fühlen, dämpfte den Glanz seines gebietenden Auges und sänftigte die gewohnte Strenge seines kriegerischen Benehmens. Er und sein Gefolge näherten sich dem König mit tiefer Verbeugung, worauf er dem ihn begleitenden Herold, dessen Gewand auf Brust und Rücken die Wappen Spaniens eingestickt hatte, winkte, sich selbst seines Auftrags zu entledigen.

»An Boabdil,« begann der Herold mit lauter Stimme, die den ganzen Saal erfüllte, und die stumme Versammlung mit verschiedenen Gefühlen durchzuckte, »an Boabdil el Chico, König von Granada, senden Ferdinand von Arragon und Isabella von Castilien ihren königlichen Gruß. Sie befehlen mir ihre Hoffnung auszudrücken, daß der Krieg endlich zu Ende sey, und bieten dem Könige von Granada solche Bedingungen der Uebergabe, wie sie ein König annehmen kann, ohne sich zu entehren. Im Austausch für diese Stadt, welche die allerchristlichsten Majestäten billigermaßen mit ihrem eigenen Gebiet wieder vereinigen wollen, bieten sie, o König, Eurem Scepter fürstliche Besitzungen in den Alpuxarras-Gebirgen als Lehn der spanischen Krone. Dem Volk von Granada versprechen ihre allerchristlichsten Majestäten vollen Schutz des Eigenthums, Lebens und Glaubens, unter selbstgewählten Obrigkeiten, die es nach seinen eigenen Gesetzen regieren; Erlassung der Abgaben auf drei Jahre und sodann eine Regulirung der Steuern nach dem Fuß und Umfang seiner jetzigen Taxen. Solchen Mohren, die, unzufrieden mit diesen Vorkehrungen, Granada verlassen wollen, wird freier Abzug für sich und ihre ganze Habe zugesichert. Zur Erwiederung für diese Zeichen ihrer königlichen Milde fordern ihre allerchristlichsten Majestäten Granada auf, sich innerhalb siebzig Tagen, falls unterdessen kein Succurs für die Belagerten anlangt, zu ergeben. Diese Anerbietungen sind hiemit feierlich verkündigt in Gegenwart und durch Sendung des edeln und preiswürdigen Ritters Gonsalvo de Cordova, Abgeordneten ihrer allerchristlichsten Majestäten aus ihrer neuen Stadt Santa Fè.«

Als der Herold geendet, warf Boabdil das Auge auf seinen dicht gedrängten, glänzenden Hof. Kein Feuerblick begegnete dem seinigen; unter der schweigenden Menge machte sich blos eine resignirte Zufriedenheit bemerkbar: die Vorschläge übertrafen die Erwartung der Belagerten.

»Und,« fragte Boabdil mit einem tief geholten Seufzer, »wenn wir diese Anerbietungen verwerfen?«

»Edler Fürst,« erwiederte Gonsalvo angelegen, »heiß mich Dein Ohr nicht mit dem Entschluß für den entgegengesetzten Fall verwunden. Ueberlege und bedenke unsere Erbietungen; und zweifelst Du noch, tapferer König, so besteige die Thürme Deiner Alhambra, überschaue unsere Legionen Reih um Reihe vor Deinen Mauern, und wende dann Deine Augen auf ein tapferes Volk, das nicht menschlicher Kraft, sondern dem Hunger und dem unerforschlichen Willen Gottes erlegen ist.«

»Eure Beherrscher, edler Christ, sollen unsere Antwort haben, vielleicht eh die Nacht anbricht. Und Du, braver Ritter, der einem König eine bittere Botschaft gebracht hat, empfange mindestens unsern Dank für ein Benehmen, das den Inhalt derselben möglichst mildern wollte. Unser Wessir wird in Dein Gemach solche Zeichen der Erinnerung bringen, wie sie Granadas Monarch noch zu geben vermag.«

»Musa,« nahm der König wieder das Wort, als die Spanier abgetreten waren – »Du hast Alles angehört. Was ist der letzte Rath, den Du Deinem Oberhaupte ertheilen kannst?«

Der kühne Mohr hatte mit Mühe bis zu dieser Aufforderung gewartet, um Gesinnungen laut werden zu lassen, die nur der Tod aus dieser Heldenbrust verdrängen konnte. Er erhob sich, stieg von seinem Sitze herab, stellte sich etwas unter den König und sprach, das Gesicht der verschiedenartigen Menge zugewendet, die Alles in sich faßte, was von Weisheit oder Tapferkeit in Granada noch übrig war, also:

»Warum uns ergeben? Zweimalhunderttausend Einwohner sind noch innerhalb unserer Mauern; unter diesen mindestens zwanzigtausend Mohren, die Arme und Schwerter haben. Warum uns ergeben? Zwar drängt uns Hunger; aber soll er, der den Löwen furchtbarer macht, den Menschen feiger machen? Verzweifelt ihr? Sei's drum! Verzweiflung im Tapfern muß eine unwiderstehliche Kraft haben. Verzweiflung hat Memmen tapfer gemacht: soll sie Tapfere zu Memmen herabwürdigen? Laßt uns das Volk aufregen; bisher haben wir zu sehr blos auf die Edeln gerechnet. Laßt uns unsere ganze Macht sammeln und gegen diese neue Stadt ziehen, während die spanischen Soldaten in ihrem neuen Beruf als Baumeister und Maurer beschäftigt sind. Hör mich, o Gott und Prophet der Muselmanen! höre Einen, der Dir nie untreu ward! Wenn ihr, Mohren von Granada, meinem Rath folget, so kann ich euch nicht den Sieg versprechen, aber ich verspreche euch, daß ihr nie ohne denselben leben werdet: ich verspreche euch mindestens eure Unabhängigkeit – denn die Todten kennen keine Ketten. Laßt uns sterben, wenn wir nicht leben können, daß wir noch in den fernsten Zeiten einen Ruhm haben mögen, der dauernder seyn wird, als irgend ein Menschenreich. König von Granada, dies ist der Rath Musa's Ben Abil Gasan.«

Der Prinz schwieg. Aber er, dessen schwächstes Wort sonst Feuer in das dumpfste Herz gehaucht, hatte diesmal seinen Muth auf kalten, leblosen Stoff ausgeströmt. Niemand antwortete – Niemand rührte sich.

Boabdil allein, an den Schatten einer Hoffnung sich anklammernd, wendete sich endlich gegen die Versammlung.

»Krieger und Weise,« sprach er, »da Musa's Rath der Wunsch Eures Königes ist, so sprecht nur Euer Ja aus, und ehe der letzte Sand dieser Stunde verrinnt, soll der Klang unserer Trompeten durch die Vivarrambla schmettern.«

»O König, ficht nicht gegen den Willen des Schicksals – Gott ist groß!« erwiederte das Oberhaupt der Alfaquis.

»Ach!« rief Abdelmelic, »läßt die Stimme Musa's und Deine eigene, o Boabdil, uns so kalt, wie willst Du vollends die leb- und herzlose Menge aufregen?«

»Ist dies Eure allgemeine Ansicht und Euer allgemeiner Wille?« fragte Boabdil.

Ein gemeinsames Murmeln antwortete: »Ja!«

»So geh denn, Abdelmelic,« nahm der seinen Sternen verfallene König wieder das Wort; »geh mit diesen Spaniern ins Christenlager, und bring uns so gute Bedingungen, als Dir zu erhalten möglich seyn wird. Die Krone ist vom Haupt El Zogoybi's gewichen. Das Schicksal drückt sein Siegel auf meine Stirne. Unglücklich war der Anfang meiner Regierung – unglücklich deren Ende. Der Divan ist aufgehoben.«

Boabdils Rede rührte die Zuhörer, denen seine Freundlichkeit, sein Verstand, sein natürlicher Muth noch nie so lebendig vor die Seele getreten, auf's Innigste. Viele warfen sich ihm mit Seufzern und Thränen zu Füßen, und die Menge drängte sich an ihn, den Saum seines Mantels zu berühren.

Musa blickte in tiefer Verachtung mit gekreuzten Armen und schwellender Brust auf sie.

»Weiber, nicht Männer!« rief er; »Ihr vergießt Thränen, als hättet Ihr kein Blut mehr zu vergießen! Ihr versöhnt Euch mit dem Verlust der Freiheit, weil man Euch sagt, Ihr werdet nichts Anderes verlieren! Thoren und Betrogene! Von dem Ort aus, auf welchem meine Seele über Euch wegschaut, sehe ich die dunkle, schauerliche Zukunft, der Ihr auf Euern Knieen entgegen kriechet: Knechtschaft und Beraubung – Gewaltthat roher Lust – Verfolgung des feindlichen Glaubens – Euer Gold Euch durch die Folter abgepreßt – Euer Name vom Boden ausgerottet! Tragt dies und denkt an mich! Lebe wohl, Boabdil; Dich bemitleide ich nicht; denn in Deinen Gärten wächst noch ein Gift, in Deinen Rüstkammern ist noch ein Schwert. Lebt wohl, Edle und Santons von Granada! Ich verlasse mein Vaterland, so lange es noch frei ist.«

Kaum hatte er geendet, als er aus dem Saale verschwand. Es war, als ob Granadas Schutzgeist den Ort verließe.

Viertes Kapitel.

Die Begebenheit des einsamen Reiters.

 

Es war ein brennender, schwüler Mittag, als durch ein von rauhen, steilen Hügeln begrenztes, mehrere Meilen von Granada gelegenes Thal ein Reiter in vollständiger Rüstung seinen einsamen Weg hinzog. Sein Harnisch war schwarz und schmucklos, auf seinem Helm flatterte keine Feder. Aber in Gestalt und Haltung und der auffallenden Schönheit des kohlschwarzen Pferdes lag etwas, was auf höheren Rang zu deuten schien, als, bei der Abwesenheit von Pagen und Knappen und der Schlichtheit des Anzuges, ein oberflächlicher Blick vielleicht bemerken mochte. Der Ritter ritt sehr langsam und sein Hengst hielt, mit der Freiheit eines verzogenen Günstlings, unterwegs oft auf seinem heißen Pfade an, wenn ihn ein Grasfleckchen oder der Zweig eines überhangenden Baumes lockte. Als er einmal so dastand, ließ sich ein Geräusch in dem benachbarten, die steile Bergwand bekleidenden Gebüsch hören; das Roß fuhr zurück und weckte den Wanderer aus tiefen Gedanken. Mechanisch blickte er auf und sah die Gestalt eines Mannes mit schnellen, unregelmäßigen Schritten durch die Bäume herabkommen. Die Gestalt paßte zu der Stille und Einsamkeit des Ortes, und hätte für einen jener strengen Klausner angesprochen werden dürfen, die, halb Einsiedler, halb Krieger, während der Kreuzzüge ihr wildes Haus in den Sandflächen und Höhlen Palästinas aufschlugen. Der Unbekannte stützte sich auf einen langen Stab; Haar und Bart hingen ihm lang und wirr über die breiten Schultern. Ein verrosteter Panzer, ehedem von reichen Arabesken funkelnd, schützte seine Brust; das weite Gewand aber – eine Art Waffenrock, der unter dem Harnisch hervorsah – war zerrissen, ja zerfetzt, und die Füße bloß; im Gürtel stack ein kurzer, gekrümmter Säbel, ein Messer oder Dolch, und eine mit Eisen gebundene Pergamentrolle.

Als der Reiter diesen plötzlichen Eindringling erblickte, bebte seine ganze Gestalt vom Sturm seiner Empfindung; er richtete sich zu seiner ganzen Höhe auf und rief mit lauter Stimme: »Dämon oder Santon – was von Beiden Du seyn magst – was suchst Du an diesem einsamen Ort, fern von dem König, den Dein Rath betrog, und der Stadt, die Deine falschen Prophezeiungen und unheiligen Zauber verrathen haben?«

»Ha!« entgegnete Almamen, denn allerdings war es der Israelite, »an Deinem schwarzen Rosse und dem Ton Deiner stolzen Stimme erkenn' ich den Helden Granadas. Und so frag' ich denn vielmehr Dich, Musa Ben Abil Gasan, warum bist Du abwesend von dem letzten Haltpunkt des Maurenreiches?«

»Gibst Du vor, die Zukunft zu lesen und bist blind für die Gegenwart? Granada hat sich den Spaniern ergeben. Ich allein habe ein Sklavenland verlassen, und will in Afrika, der Heimat unserer Väter, einen Ort suchen, den der Fuß der Ungläubigen noch nicht entweiht hat.«

»So ist denn das Schicksal des einen Götzendienstes vollendet,« sprach Almamen düster; »aber der andere, welcher dafür eintritt, ist noch lichtloser.«

»Hund!« rief Musa und legte die Lanze ein, »wer bist Du, daß Du also das Heilige schmähest?

»Ein Jude,« erwiederte Almamen mit einer ehrnen Stimme und zog den Säbel, »ein verachteter und verachtender Jude! Fragst Du mehr? ich bin der Abkömmling eines Geschlechtes von Königen. Ich war der ärgste Feind der Mohren bis ich die Nazarener für noch hassenswerther, als die Moslem's, erfand, und von da an kämpfte Musa selbst nicht ruhmvoller für seine Brüder, als ich. Komm jetzt, wenn Du willst, Mann gegen Mann: ich biete Dir Trotz!«

»Nein, nein,« versetzte Musa und senkte die Lanze; »Dein Panzer ist rostig vom Blut der Spanier: mein Arm kann sich gegen den Tödter der Christen nicht erheben. Scheiden wir in Frieden.«

»Halt, Prinz,« sprach Almamen mit veränderter Stimme: »ist Dein Vaterland das Einzige, was Dir theuer? Ist Frauenlächeln nie durch Deine Rüstung gedrungen? Hat Dein Herz nie für ein sanfteres Zusammentreffen geschlagen, als für die Begegnung des Feindes?«

»Hör' ich recht?« entgegnete Musa. »Du hast mich errathen, und könnte Dein Zauber diesen Augen nur Einmal noch den Anblick des Einzigen verschaffen, was mir auf Erden noch geblieben ist, so würde ich so gläubig an Deiner Magie hangen, als Boabdil.«

»Du liebst sie also immer noch – diese Leila?«

»Dunkler Nekromant, hast Du mein Geheimniß gelesen und weißt den Namen meiner Geliebten? Ach, so laß mich Dich wirklich für einen Seher halten und enthülle mir den Ort der Erde, der den Schatz meiner Seele bewahrt! Ja,« fuhr der Mohr mit steigender Bewegung fort und öffnete das Visier, wie um Luft zu schöpfen – »ja, Allah vergebe mir's, aber als Alles verloren war in Granada, hatt' ich immer noch Einen Trost beim Scheiden aus meiner unglücklichen Heimat: es stand mir jetzt frei, Leila aufzusuchen; es war möglich, meiner Fahrt ins ferne Land ein Wesen beizugesellen, neben dessen Blick die Augen der Huris dämmerig werden würden. Doch ich verliere Zeit: sag' mir, wo Leila ist, und führe mich zu ihren Füßen!«

»Moslem, ich will Dich zu ihr führen,« erwiederte Almamen und blickte den Prinzen mit einem Ausdruck seltsamen, furchtbaren Triumphes in den dunkeln Augen an: »ich will Dich zu ihr führen – folge mir. Erst gestern Abend erfuhr ich, welche Wände sie einschließen, und von jener Stunde bis zu diesem Augenblick bin ich ohne Ruhe und Nahrung über Berg und Wüste gewandert.«

»Aber was ist Leila für Dich?« fragte Musa argwöhnisch.

»Du sollst es bald genug erfahren. Gehen wir weiter.«

Damit stürzte Almamen mit einer Kraft vorwärts, welche nur die Aufregung seiner Seele in seinen erschöpften Körper gießen konnte. Musa trieb verwundert sein Pferd an und suchte den geheimnißvollen Führer in ein Gespräch zu ziehen; aber Almamen achtete kaum auf ihn. Sein langes Fasten, sein einsames Wandern, seine Herzensqual, die raschen Glückswechsel, die er durchgemacht, und vor Allem die verzehrende Wuth seiner Leidenschaften hatten die halb verrückten Gefühle, die schon seit Monaten die natürliche Schärfe seines Geistes getrübt, der Grenze wirklichen Wahnsinns näher und näher gebracht, und wenn er sein düsteres Schweigen brach, so geschah es blos durch einzelne, kurze Ausrufungen, oft in einer für das Ohr seines Gefährten fremden Sprache. Der kühne Maure, wenn auch gegen den Aberglauben seines Volkes nicht so sehr durch philosophische Bildung als durch die Verachtung eines Heldenherzens gestählt, fühlte sich gleichwol von Schauder beschlichen, wenn er, umgeben von riesigen Felsen und einsamen Schluchten, dann und wann auf die unheimliche Gestalt und die funkelnden Augen des berufenen Zauberers blickte, und mehr als Einmal murmelte er diejenigen Verse aus dem Koran, die bei seinen Landsleuten als Gegenzauber wider den Einfluß böser Geister galten.

Eine Stunde lang mochten sie also fortgezogen seyn, als Almamen plötzlich stehen blieb. »Ich bin ermattet,« sprach er mit schwacher Stimme, »und so dringend auch meine Eile seyn sollte, besorge ich doch, meine Kraft möchte vor dem Ziel erliegen.«

»So steig hinter mir auf,« entgegnete der Mohr nach einigem Zaudern. »Bist Du auch ein Jude, so will ich die Befleckung um Leilas willen verwinden.«

»Mohr,« rief der Hebräer grimmig, »die Befleckung würde auf meiner Seite seyn. Unter Dingen von Gestern her, wie Dein Prophet und Dein Glaube sind, vermagst Du die Tiefen des Abscheus nicht zu ermessen, den jedes dem Alten der Tage treue Herz gegen Dich und Deines Gleichen empfindet.«

»Bei der Kaaba!« erwiederte Musa, und es ward finster auf seiner Stirn: »noch ein solches Wort, und die Hufe meines Rosses sollen Dir den gotteslästernden Odem aus dem Leibe stampfen.«

»Ich würde Dich herausfordern, wer dem Andern den Tod zu geben vermag,« versetzte Almamen verächtlich; »aber ich spare mir den tapfersten der Mohren zum Zeugen für eine That auf, die eines Abkömmlings von Jephtha würdig ist. Doch still! ich höre Hufe!«

Musa horchte und an sein scharfes Ohr drang aus einiger Entfernung Pferdetritt auf dem harten, steinigen Boden. Er wendete sich und sah, wie Almamen in das dichte Unterholz schlich, so daß die Zweige seine Gestalt versteckten. Gleich darauf machte eine Krümmung des Pfades einen spanischen Ritter auf einem andalusischen Zelter bemerklich; fröhlich sang er eine der Volksballaden jener Zeit, und da sich dieselbe auf die Thaten der Spanier gegen die Mauren bezog, war Musas stolzes Blut augenblicklich in Aufruhr, und sein Schnurrbart zitterte über der Lippe. »Ich will die Weise ändern,« flüsterte er, und faßte die Lanze, als er, noch in demselben Moment, den Spanier plötzlich im Sattel taumeln und der Länge nach zu Boden fallen sah. In dem gleichen Augenblick hatte Almamen aus seinem Versteck einen Sprung hervor gethan, sich auf des Ritters Pferd geschwungen und seine Stelle neben dem Prinzen wieder erreicht, eh dieser von seinem Erstaunen noch zu sich gekommen.

»Durch welchen Zauber,« fragte Musa, und hielt den sich bäumenden Berber, hast Du den Spanier ohne sichtbaren Schlag gefällt?«

»Wie David den Goliath niederstreckte – durch Kiesel und Schleuder,« antwortete Almamen gleichgültig. »Jetzt im gestrecktem Lauf vorwärts, wenn es Dich drängt, Deine Leila zu sehen!«

Die Reiter setzten über den Leib des betäubten Spaniers weg. Baum und Berg tanzten vorüber, allmälig verschwand das Thal und ein dichter Wald blickte finster über den Weg herein. Immer noch trieben sie rasch an, obwol das dichte Gebüsch und die Unebenheit des Bodens ihrer Bahn gar manches Hemmniß entgegensetzten. Endlich, als die Sonne sich zum Sinken neigte, gelangten sie auf einen freien, ziemlich kreisförmigen Raum, um welchen her Bäume vom höchsten Alter ihre bewegunglosen, schattenden Zweige breiteten. In der Mitte des Rasengrundes lag ein alter, rauher Stein, der dem Altar irgend einer barbarischen, hingeschwundenen Religion ähnelte. Hier hielt Almamen auf Einmal an und flüsterte unverständlich in sich hinein.

»Was bewegt Dich, dunkler Fremdling?« fragte der Mohr, »und was blickst Du murmelnd auf diesen Platz?«

Almamen gab keine Antwort, sondern stieg ab, band den Zügel an den Zweig einer hohlen, verwitterten Ulme, und schritt allein in die Mitte des Raumes vor. »Furchtbare prophetische Macht in mir,« begann er, »dies ist also der Ort, den Du mir in Träumen und Gesichten vorausgezeigt, um darauf den Schwur auszusprechen, der den Geist von der letzten Schwäche des Fleisches befreien soll! Nacht um Nacht hast Du in Dunkel und Schlaf die weihevolle Oede, die mich hier umgibt, mir vor's Auge gebracht. Sey es so: ich bin bereit!«

Damit zog er sich ein paar Augenblicke ins Gehölze zurück, sammelte einen Arm voll von dem welken Laub und Reisig, das den wilden Boden bedeckte und legte es als Brandstoff auf den Stein. Dann wendete er sich gegen Osten und sprach mit erhobenen Händen: »Sieh, auf diesem Altar, einst vielleicht von wilden Heiden errichtet, verspricht Dir, o Namenloser, der letzte kühne Geist in Deinem gefallenen und zerstreuten Volke, jenes kostbare Opfer, das Du einst in grauen Zeiten von einem Vater gefordert. Nimm die Gabe gnädig auf.«

Nach diesem Gebet zog er ein Fläschchen aus dem Busen und sprengte ein paar Tropfen auf das dürre Laub. Eine bleiche, blaue Flamme loderte sogleich empor, und wie sie die gespenstischen, ernsten Züge des Israeliten beleuchtete, fühlte Musa sein heißes Mohrenblut erstarren und schauderte, ohne recht zu wissen warum. Almamen schnitt sich mit dem Dolch eine der langen Locken ab und warf sie ins Feuer. Er sah zu, bis sie verzehrt war, dann fiel er mit einem unterdrückten Schrei in todtengleicher Ohnmacht auf die Erde nieder. Der Maure eilte zu ihm, hob ihn auf, rieb ihm Hände und Schläfen und löste ihm das Gewand auf der Brust; er vergaß, daß sein Gefährte ein Jude und Zauberer war, so sehr hatte der grausame Seelenschmerz desselben sein Mitgefühl erregt.

Erst nach Verfluß mehrerer Minuten kam Almamen mit einem tiefen Seufzer wieder zu sich. »Ach, Geliebte, Braut meines Herzens,« flüsterte er, »hast Du mir hiezu das einzige Pfand unserer jugendlichen Liebe empfohlen? Verzeihe mir! Ich gebe es der Erde zurück, unbefleckt von den Heiden.« Wieder schloß er die Augen, und heftige Zuckungen erschütterten seinen Leib. Der Anfall war endlich vorüber, und er erhob sich wie ein Mann aus einem furchtbaren Traume, beruhigt und beinahe erfrischt durch die Schrecken, die über ihn hingegangen. Das letzte Glimmen der blauen Flamme erlosch auf dem alten Altar, und ein leiser Wind schlich seufzend durch die Bäume.

»Zu Pferd, Prinz!« sprach Almamen ruhig, aber die Augen von dem Stein abwendend; »jetzt hält uns nichts mehr auf!«

»Willst Du mir Deine Beschwörung erklären?« fragte Musa; »oder war sie, wie meine Vernunft mir sagt, ein bloses Gaukelspiel?«

»Ach!« erwiederte der Hebräer mit trauervollem, verändertem Ton, »bald wirst Du Alles wissen!«

Fünftes Kapitel.

Das Opfer.

 

Langsam sank die Sonne durch jene dem iberischen Himmel eigenthümlichen Massen von Purpurgewölke hinab, als die aus dem Wald hervorkommenden Wanderer eine liebliche kleine Ebene vor sich erblickten, die wie ein Garten bebaut war. Reihen von Orangen- und Citronenbäumen hatten zum Hintergrund das dunkelgrüne Laub der Reben, und dieses fand wiederum einen Saum in einem Gürtel von Wallnußbäumen, Eichen und dem tiefen Dunkel der Pinien, während der ferne, dämmernde Umriß der Gebirgskette, der sich von der weichen Färbung des Himmels kaum unterscheiden ließ, dem Gesichtkreis schloß. Durch das reizende Gelände zog ein schmaler, flimmernder Bach, und sammelte seine Wasser in einem runden Becken, über welches Rose und Orange ihre verschiedenartigen Blüten herein beugten. Auf einer kleinen Anhöhe erhoben sich die Thürme eines Klosters, dessen lange Bogenfenster, obwol es noch volles Tageslicht, von Innen beleuchtet waren, und als die Reiter ihre Augen auf das Gebäude warfen, wogte der Klang heiliger Gesänge – in seiner Lieblichkeit und Feierlichkeit noch gehoben durch seine Ferne, durch die Stille des Momentes, durch die plötzlich hervorgetretene Anmuth der einsamen Gegend, die so gut zu der frommen Ruhe des Klosterlebens paßte, – melodisch durch die balsamische, klare Luft.

Doch dieser Anblick und dieser Laut, so geeignet, um Milde und Einklang in die Gedanken zu bringen, schienen Schmerz und Wuth in Almamen zu wecken. Er schlug sich die Brust mit der geballten Faust, und mit dem Schrei: »Gott meiner Väter! bin ich zu spät gekommen?« grub er die Sporen bis unter die Räder in die Seiten seines keuchenden Renners. Auf dem Rasen hin, durch das duftige Gesträuch, über den kleinen kieseligen Bach, den Hügel zum Kloster hinauf, sprengte der Israelit. Musa, verwundert und halb widerstrebend, folgte in einiger Entfernung. Deutlicher und näher erschollen die Stimmen des Chores; heller und freier schimmerten die Lichter aus den gothischen Fenstern; die Vorhalle der Klosterkapelle war erreicht; der Hebräer sprang vom Pferde. Eine kleine Gruppe der dem Kloster hörigen Landleute weilte ehrfurchtsvoll vor dem Thor: wie ein Rasender durch sie hin stürzend trat Almamen in die Kapelle und verschwand.

Eine Minute verstrich. Musa hatte das Thor erreicht, hielt aber unentschlossen an, eh' er abstieg. »Was für eine Feier wird da drin gehalten?« fragte er die Landleute.

»Eine Nonne legt das Gelübde ab,« erwiederte Einer von ihnen.

Ein Schrei der Entrüstung, des Entsetzens ließ sich drinnen vernehmen. Musa zögerte nicht länger; er gab sein Pferd einem der Umstehenden, schob den schweren Vorhang über der Schwelle zurück und stand in der Kapelle.

Neben dem Altar drängte sich eine wirre, ungeordnete Gruppe: – die Schwestern mit der Aebtissin. Um das heilige Gitter sammelten sich athemlos und erstaunt die Zuschauer. Ueber Alle hervorragend, auf der höchsten Stufe des geweihten Ortes, stand Almamen, den gezogenen Dolch in der Rechten, den linken Arm um eine Novizin geschlungen, deren Kleid, noch nicht durch das härene Gewand verdrängt, sie als diejenige anzeigte, die den Schleier nehmen sollte. Dieser gegenüber, die eine Hand auf ihrer Schulter, mit der andern ein Crucifix haltend, erhob sich eine strenge, ruhige, gebietende Gestalt in der weißen Tracht des Dominikanerordens: es war Thomas von Torquemada.

»Hinweg Abaddona!« lauteten die ersten Worte, die in Musas Ohr drangen, als er unbemerkt in der Mitte der Kirche anhielt. »Hier helfen Dir Deine Zauberkünste nicht! Laß die Gottgeweihte los!«

»Sie gehört mir! sie ist mein Kind! ich fordere sie von Dir als ihr Vater im Namen des großen Vaters der Menschen!«

»Faßt den Zauberer! faßt ihn!« rief der Inquisitor, als sich Almamen mit einer plötzlichen Bewegung Bahn durch die zerstreute, entsetzte Menge brach, und mit der Tochter in den Armen in den freien Raum vortrat.

Aber kein Fuß rührte, keine Hand erhob sich. Der dem Eindringling gegebene Name hatte einen panischen Schrecken unter die Zuhörer geworfen, und lieber würden sie einem Tieger in seinem Lager entgegengestürzt seyn, als dem erhobenen Dolch und wilden Antlitz des grimmen Unbekannten.

»O mein Vater,« sprach jetzt eine leise, wankende Stimme, die den Mohren wie ein Laut aus dem Grab durchschauderte, »kämpfe nicht gegen die Beschlüsse des Himmels. Deine Tochter ward zu ihrer heiligen Wahl nicht gezwungen. In Demuth, aber in Glauben, zu der Lehre Christi bekehrt, wünscht sie nichts Anderes auf Erden, als das heilige, ewige Gelübde abzulegen.«

»Ha!« stöhnte der Hebräer, indem er die ihm zu Füßen Fallende plötzlich los ließ, »so hab' ich denn wirklich das Aergste vernommen! Der Schleier ist zerrissen – der Geist hat den Tempel verlassen. Deine Schönheit ist entheiligt; Deine Gestalt ist nur noch verächtlicher Staub. – Hund!« rief er grimmiger und blickte auf das unbewegte Gesicht des Inquisitors, »das ist Dein Werk! aber Du sollst nicht triumphiren! – Hier, vor Deinem Altar biet' ich Dir Trotz, wie vorher unter den Folterbänken Deines entmenschten Gerichtshofs. – So – so – so befreit Almamen, der Jude, die Letzte seines Hauses von dem Fluch des Galiläers.«

»Halt, Mörder!« rief eine Donnerstimme und ein bewaffneter Mann brach durch die Menge und stand vor dem Wüthenden. Es war zu spät: dreimal hatte der Stahl des Hebräers die unschuldige Brust durchdrungen; dreimal hatte er sich mit dem jungfräulichen Blut gefärbt. Leila sank in die Arme ihres Geliebten; ihre dämmernden Augen ruhten auf seinem Antlitz, das ihr unter dem erhobenen Visier entgegen sah – ein schwaches, zärtliches Lächeln spielte um ihre Lippen: – Leila war nicht mehr.

Almamen warf einen hastigen Blick auf sein Opfer und stürzte dann mit einem wilden Gelächter, das jedes Echo in den düstern Mauern weckte, von dem Ort weg. Die blutige Waffe über dem Kopf schwingend drang er durch die bebende Menge, und ehe selbst der Dominikaner in seiner Bestürzung eine Stimme gefunden, klang der Hufschlag seines in wilden Lauf gesetzten Rosses durch die Luft: noch ein Augenblick – und Alles war still.

Aber über die ermordete Jungfrau beugte sich knieend der Mohr, als glaubte er noch nicht an ihren Tod; ihr, der glänzenden Locken noch nicht beraubtes Haupt auf seinen Schoß gelehnt, ihre eisige Hand fest in der seinigen haltend, seine Rüstung von ihrem Blut überquollen. Niemand störte ihn; denn unter dem Gewand des christlichen Ritters argwöhnte Niemand einen fremden Glauben, und Alle, selbst der Dominikaner, empfanden einen Schauder des Mitgefühls über sein Wehe. Mit der Schnelligkeit der Auffassung, die jenem Himmelsstriche eigen ist, verstand man sogleich, ein Liebender sey derjenige, welcher die schöne Leiche hielt. Wie er hergekommen, in welcher Absicht, welcher Hoffnung, darüber jetzt Vermuthungen aufzustellen, war die Denkkraft durch das Mitleid zu sehr gehemmt. Stumm und bewegungslos kniete Musa, bis einer der Mönche hinzu trat und den Puls fühlen wollte, um sich zu vergewissern, ob das Leben wirklich ganz entflohen sey.

Der Mohr winkte ihm zuerst gebieterisch hinweg; als er aber seine Absicht errieth, ließ er ihn still die geliebte Hand fassen. Er heftete die dunkeln, flehenden Augen auf ihn, und als der Bruder die Hand wieder sinken ließ und sich mit sanftem Kopfschütteln abwendete, war ein tiefer, martervoller Seufzer das Einzige, was die Zuhörer von dem Herzen vernahmen, worein der letzte Pfeil des Schicksals gedrungen. Heiß küßte er Stirn, Wangen, Lippen des verstummten, engelhaften Antlitzes – und erhob sich.

»Was thust Du hier, und was weißt Du von jenem mörderischen Feinde Gottes und der Menschen?« fragte der Dominikaner, hinzutretend.

Musa antwortete nicht und schritt langsam durch die Kapelle. Die Zuschauer waren zu plötzlichen Thränen gerührt. »Laß ihn!« rief man fast mit Einem Tone dem rauhen Inquisitor zu, »er hat keine Stimme um Dir zu antworten.«

So, unter dem hülfreichen Kummer und Mitleid des christlichen Haufens, erreichte der unbekannte Muselman das Thor, bestieg sein Pferd, und als er sich noch einmal umwendete und einen schnellen Blick auf das verhängnißvolle Gebäude warf, sahen die Umstehenden große Thränen von seinen braunen Wangen niederrollen.

Langsam stieg das kohlschwarze Roß den Hügel wieder herunter, durchschritt den stillen, lieblichen Garten, und verschwand im Walde. Und weder Christ noch Mohr erfuhren je, was von da an aus dem Helden Granadas geworden. Habe er die Küste des afrikanischen Ahnenlandes erreicht, und dort ein neues Schicksal und einen neuen Namen sich geschaffen, oder habe der Tod, durch Krankheit oder Kampf, seine kurze, glorreiche Laufbahn dunkel geendet: ein Geheimniß, – tief und undurchdrungen selbst von der Phantasie der tausend Barden, die seine Thaten zu Liedern gemacht, – hüllt in ewige Nacht die Geschicke Musa's Ben Abil Gasan von der Stunde an, wo die untergehende Sonne ihren Scheidestrahl auf seine schlanke Gestalt und seinen schwarzen Berber warf, als sie verschwanden unter den lautlosen Schatten des Waldes.

Sechstes Kapitel.

Die Wiederkehr. – Der Tumult. – Der Verrath. – Der Tod.

 

Es war am Vorabend des verhängnißvollen Tages, wo Granada an die Spanier übergeben werden sollte, als in dem schon beschriebenen Gewölbe unter Almamens Wohnung drei alte Männer des jüdischen Glaubens zusammenkamen.

»Treuer und vielgeliebter Ximen,« rief der Eine – ein reicher, wucherischer Kaufmann mit einem blinzenden, feuchten Auge und einem glatten, schmeerigen Gesicht, das jedoch etwas Wildes und Hinterlistiges in der niedern Stirn und den eingekniffenen Lippen nicht gänzlich zu verstecken vermochte: »treuer und vielgeliebter Ximen«, sprach er, »wahrlich Du hast uns guten Dienst gethan, daß Du Deinen verfolgten Brüdern anwiesest diese geheime Freistatt. Hier suchen uns die Heiden umsonst. Wahrhaftig, meine Adern werden wieder warm und Dein Diener bekommt Hunger und Durst.«

»Iß, Isaak, iß; dort ist Speise für Dich bereitet; iß und scheu Dich nicht. Und Du, Elias, – willst nicht auch an den Tisch rücken? Alt und kostbar ist der Wein und wird Dir wieder Leben geben.«

»Asche und Wermuth, Wermuth und Asche sind Speise und Trank für mich!« erwiederte Elias mit leidenschaftlicher Bitterkeit. »Sie haben geschleift mein Haus – sie haben verbrannt meine Kornböden – sie haben geschmolzen mein Gold. Bin ein ruinirter Mann!«

»Na,« versetzte Ximen, und warf einen boshaften Blick auf ihn (denn so sehr hatten Alter und Schmerzen selbst das einzige bessere Gefühl, das er besaß, mit Galle getränkt, daß er einen innerlichen Kizzel über eben die Leiden, die er linderte, und eben die Unmacht, die er beschützte, nicht abzuwehren vermochte, – »na, Elias, hast ja noch in den Seestädten Schätze, mit welchen man halb Granada aufbauen könnte.«

»Die Nazarener werden Alles packen!« rief Elias. »Ich seh' es schon in ihren Griffen!«

»Na, glaubst Du Das – und warum?« fragte Ximen, erschrocken und zu aufrichtigem Mitgefühl angeregt, weil es diesmal selbstsüchtiger Art war.

»Hört mich! Unter dem Schutz des Waffenstillstandes begab ich mich gestern Nacht ins christliche Lager und hatte eine Unterredung mit dem Christenkönig; aber als er vernahm meinen Namen und Glauben, sträubte sich sein Bart vor Zorn. ›Hund Belials,‹ brüllte er, ›hat nicht Dein Satansbruder, der Zauberer Almamen, die Majestät Spaniens genugsam betrogen und verhöhnt? Seinetwegen sollt Ihr keine Schonung erhalten. Verweile noch eine Minute länger und Du baumelst! Geh und überzähl Deinen sündhaften Reichthum: er soll genau geschätzt werden, und verkürzest Du unsere heilige Steuer nur um ein Kupferstück, so issest Du mit dem Teufel zu Nacht!‹ – So lautete die Antwort, die ich erhielt auf meine Mission. Ich kehrte nach Hause und sah mein Haus in Asche gelegt! Weh über mich!«

»Und Das danken wir Almamen, dem vorgeblichen Juden!« rief Isaak von seinem einsamen aber nicht geschäftlosen Platz am Tisch.

»Ich wollte, ich hätte dieses Messer an seiner falschen Kehle!« stöhnte Elias, und faßte seinen Dolch mit den langen, knöchernen Fingern.

»Das wird nie geschehen,« murmelte Ximen; »Der kehrt nicht wieder nach Granada zurück. Geier und Wurm haben sich längst in seinen Leichnam getheilt, und« (setzte er im Innern, mit einem grinsenden Lächeln hinzu) »sein Haus und Gold sind gefallen in die Hände des alten, kinderlosen Ximen.«

»Ein seltsam, ängstliches Gewölbe!« bemerkte Isaak, und stürzte einen großen Becher feurigen Vega-Weines hinunter. »Hier hätte die Hexe von Endor die Todten heraufrufen können! Jene Thür – wohin führt sie?«

»In Gänge,« erwiederte Ximen, »die, so viel mir bekannt, noch Niemand betreten hat, als mein Herr: Ich habe gehört, sie erstreckten sich bis in die Alhambra. Komm, würdiger Elias, Du zitterst vor Kälte – nimm diesen Wein!«

»Still!« flüsterte Elias, an allen Gliedern bebend. »Unsere Verfolger sind an uns – ich höre Tritte!«

Noch sprach er, als die Thür, auf welche Isaak gezeigt, sich langsam öffnete und Almamen in das Gewölbe trat.

Hätte wirklich eine neue Hexe von Endor die Todten heraufbeschworen, die Erscheinung hätte die guten drei Leute nicht mehr entsetzen können. Elias, sein Messer fassend, zog sich in den hintersten Winkel zurück. Isaak ließ den Becher, den er eben angesetzt, fallen, und sank auf die Knie. Nur Ximen, dessen Züge, wo möglich, noch gespensterhafter wurden, als gewöhnlich, behielt eine Art Fassung, in welcher er vor sich hin murmelte: »Er lebt! und sein Gold wird nicht mein! Fluch über ihn!«

Die seltsamen Gäste, die sein Heiligthum beherbergte, dem Ansehen nach nicht bemerkend, schritt Almamen vorwärts, wie ein Mensch, der im Schlaf wandelt.

Ximen ermannte sich – riegelte die Thür, die nach den obern Gemächern führte, sachte auf, und winkte den Gefährten zu, sich diesen Ausgang zu Nutze zu machen: als jedoch Isaak, der Erste, welcher dem Wink Folge leistete, hinüber schlich, heftete Almamen sein furchtbares Auge auf ihn, und rief, indem er plötzlich zum Bewußtseyn zu erwachen schien, mit donnernder Stimme: »Ha, Ximen, Du Schurke, Wen hast Du in die Geheimnisse Deines Herrn zugelassen? Die Thür zu! – diese Leute müssen sterben!«

»Mächtiger Gebieter,« versetzte Ximen ruhig, »ist Dein Diener zu tadeln, daß er dem Gerücht von Deinem Tode geglaubt hat? Diese Männer sind von unserem heiligen Volke; ich habe sie der Gewaltthätigkeit des gottesschänderischen, wahnsinnigen Pöbels entzogen. Kein Ort als dieser schien sicher vor der Wuth des Volkes.«

»Seid Ihr Juden?« fragte Almamen. »Ach ja! jetzt erkenn' ich Euch – Dinge vom Marktplatz und Bazar. Ja freilich seyd Ihr Juden! Geht, geht. Verlaßt mich!«

Ohne auf weitere Erlaubniß zu warten, verschwanden die Drei; aber Elias wendete, eh' er das Gewölbe verließ, das grollende Gesicht mit einem Racheblick noch einmal gegen Almamen, der aufs Neue in tiefes Sinnen versank. –

Almamen war allein. Es stand keine Viertelstunde an, so kehrte Ximen zurück, nach seinem Herrn zu sehen, traf aber den Ort abermals verlassen.

Es war Mitternacht, Mitternacht, aber nicht Ruhe in den Straßen Granadas. Die Menge, durch die Vorstellung, daß morgen wirklich der Tag der Unterwerfung unter den christlichen Feind komme, zu einem ihrer Anfälle von Wuth und Schmerz gereizt, strömte zu zwanzig Tausenden durch die Stadt. Es war eine wilde, stürmische Nacht; die furchtbaren Windstöße, die oft mit plötzlichem Winterfrost vom Schnee der Sierra Nevada herabsausen, heulten durch die wogenden Baumgruppen und die gekrümmten Straßen. Aber der äußere Sturm schien, wie durch eine Sympathie der Elemente, den Sturm und Wirbel des Volkes zu erhöhen. Waffen und Fackeln schwingend, abgezehrt von Hunger, glichen die dunkeln Gestalten der wüthenden Mohren eher Gespenstern, als lebenden Menschen, zumal sie dem Ansehn nach ohne weitern Zweck, als ihrer eigenen Unruhe Luft zu machen oder geisterhaftes Grausen zu erregen, durch die verödeten Straßen schwärmten.

Auf dem breiten Platz der Vivarrambla machte der Haufe Halt, ohne eigentlichen Entschluß über sonst Etwas mindestens darin entschlossen, daß noch Etwas für Granada gethan werden sollte. Die Mehrzahl war nach mohrischer Art bewaffnet, jedoch ohne irgend einen Führer: Edlen, Mitgliedern der Obrigkeit, Offizieren konnte das hoffnungslose Unternehmen, den Waffenstillstand mit Ferdinand zu brechen, nicht im Traum einfallen. So blieb es denn ein bloßer Auflauf der großen Masse, ein Wahnsinn des niedern Volkes, aber nicht um so minder gefährlich, denn es war ein orientalisches Volk und ein Volk mit Schwertern und Lanzen, mit Schild und Harnisch – das Volk, durch welches im Orient Reiche gegründet und zerstört worden sind. Auf jenem prachtvollen Platz, einst dem Zeugen der Waffenspiele arabischen und afrikanischen Ritterthums, wo so viele Jahre hindurch Könige getreue, siegreiche Heere gemustert, standen denn die verzweifelten Menschen, und die pfeifenden Winde wogten durch die bebenden Fackeln, die gegen die mondlose Nacht ankämpften.

»Lasset uns die Alhambra stürmen!« rief Einer aus dem Haufen. »Lasset uns den Boabdil greifen und in unsere Mitte nehmen; wir wollen auf die Christen einstürmen, die in ihrer stolzen Ruhe begraben sind!«

»Allah il Allah! – die Schlüssel und den Halbmond!« schrie die Menge.

Das Geschrei erstarb, und am Rand des Platzes ließ sich plötzlich eine einst wohlbekannte, stets Schauder erregende Stimme vernehmen.

Die Mohren wendeten sich mit Staunen und Grauen um, und erblickten auf dem Stein, von welchem herab sonst die Ausrufer oder Herolde die königlichen Proklamationen bekannt gemacht hatten, die Gestalt Almamens, des Santons, den sie bereits bei den Todten geglaubt.

»Volk von Granada,« begann er mit feierlichem aber hohlem Tone, »noch bin ich bei Dir. Dein König und Deine Edeln haben Dich verlassen, aber ich bleibe bei Dir bis zum letzten Augenblick! Ziehet nicht nach der Alhambra: die Feste ist unbezwinglich – die Wachen sind getreu. Die Nacht verginge darüber und der nächste Tag bringt das Christenheer über Euch. Geht gerade auf die Thore los; ziehet die Vega hinab und stürzt mit Einmal auf den Feind!«

Er sprach's, und zog den Säbel; er schimmerte in dem Fackellicht – die Mauren beugten die Häupter in fanatischer Ehrfurcht – der Santon sprang vom Steine und drängte sich mitten unter den Haufen.

Da erschollen noch einmal Freudenrufe. Die Menge hatte einen ihrer Begeisterung würdigen Führer gefunden; rasch ordnete sie sich in Reihen, und strömte die engen Straßen entlang.

Vermehrt durch verschiedene Gruppen herumschleichender Plünderer (den Auswurf der Stadt) befanden sich die Ungläubigen bereits nur noch wenige Ruthen von dem großen Thor, aus welchem sie so oft gegen den Feind hinaus gezogen. Wären sie hinausgekommen und bis an das in sicherem Schlaf liegende christliche Lager gelangt, so hätte dieses wilde Heer von zwanzigtausend verzweifelten Menschen vielleicht Granada gerettet und Spanien besäße heute noch das einzige civilisirte Reich, das der mohammedanische Glaube gegründet.

Aber Boabdils böser Stern überwog. Die Nachricht von dem Aufruhr gelangte zu ihm. Zwei alte Männer aus der untern Stadt eilten in die Alhambra, verlangten und erhielten Gehör, und was sie sagten, wirkte diesmal blitzesschnell auf den König. Er sah in dem Wuthausbruch des Volks nur eine Rechtfertigung für Ferdinand, um die Bedingungen des Vertrags zu brechen, die Stadt zu schleifen und die Bewohner zu vertilgen. Von einem edeln Mitleid mit seinen Unterthanen ergriffen, und eben so sehr von dem Gefühl königlicher Ehre durchdrungen, vermöge dessen er einen feierlich beschworenen Pakt gehalten wissen wollte, bestieg er noch einmal sein gelbweißes Roß, nahm die zwei Alten, die ihn aufgesucht, neben sich, und verließ, gefolgt von seiner Leibwache, die Alhambra. Der Klang seiner Trompeten, das Stampfen der Hufe, die Stimme seiner Herolde drangen zugleich in die Menge, und eh sie Zeit hatte, sich für Gehen oder Bleiben zu entscheiden, befand sich der König mitten unter ihr.

»Welcher Wahnsinn ist dies, mein Volk?« rief Boabdil, und sprengte in den Haufen. »Wohin wollt ihr?«

»Gegen die Christen! – gegen die Gothen!« hallten tausend Stimmen. »Führ uns! Der Santon ist vom Tod erstanden und wird neben Dir reiten!«

»Ach!« erwiederte der König, »gegen die Christen wollt ihr ziehen! Erinnert euch, daß unsere Geiseln in ihrer Gewalt sind! bedenket, daß ihnen kein Vorwand gelegener kommen kann, um Granada dem Staube gleich zu machen, und euch und eure Kinder niederzuhauen. Wir haben einen Vertrag gemacht, wie nie einer geschlossen worden zwischen Feind und Freund! Euer Leben, Gesetz, Besitz – Alles ist gerettet. Nichts ist verloren, als die Krone Boabdils. Ich bin der einzige Leidende! Sey es so! Mein böser Stern hat dieses üble Geschick auf euch gebracht: bin ich hinweg, so lebet ihr vielleicht wieder auf und werdet noch einmal ein Volk. Fügt euch heute dem Schicksal und ihr könnt morgen seinen stolzesten Lohn erringen. Unterwerfung ist nicht Unterjochung. Zieht ihr aber gegen die Christen und gewinnt die Schlacht, so ist es nur, um euch in einen noch furchtbarern Krieg zu stürzen; verliert ihr sie, so geht ihr keiner ehrenvollen Capitulation, sondern gewisser Vertilgung entgegen! Lasset euch überreden und folgt noch einmal eurem Könige.«

Die Menge war gerührt, besänftigt, halb überzeugt. Schweigend wendete sie sich gegen ihren Santon; aber dieser bebte vor der Berufung an ihn nicht zurück. Da er sich wenig um die Mohren kümmerte, folgte er blos dem Trieb seines Hasses gegen die Christen, um durch irgend einen Schritt noch einmal die Erde mit ihrem verabscheuten Blut zu tränken. Er trat vor, dem Könige gegenüber.

»König von Granada,« rief er laut, »sieh Deinen Freund, Deinen Propheten! Komm! ich sichere Dir Sieg zu!«

»Halt,« unterbrach ihn Boabdil, »Du hast mich lange genug getäuscht und betrogen! Mohren! kennt ihr diesen vorgeblichen Santon? Er ist nicht vom Glauben Mohammeds. Er ist ein Hund Israels, der euch dem Meistbietenden verkaufen wollte! Nieder mit ihm!«

»Ha!« rief Almamen, »und wer ist mein Ankläger?«

»Dein Diener – sieh ihn hier!« Bei diesen Worten erhoben die Wachen ihre Fackeln und der Schimmer fiel roth auf die todtengleichen Züge Ximens.

»Licht der Welt! es gibt noch andere Juden, die ihn kennen!« sprach der Verräther.

»Willst Du Dich von einem Juden führen lassen, Volk des Propheten?« rief der König.

Die Menge stand verwirrt und betäubt. Almamen fühlte, daß seine Stunde gekommen sey; er blieb still, die Arme gekreuzt, die Stirne hoch erhoben.

»Sind noch Andere vom Volke Mose's unter der Menge?« fragte Boabdil, seinen Vortheil verfolgend; »wenn dem so ist, so mögen sie herzutreten und bezeugen was sie wissen.«

Und hervor trat – nicht aus der Menge, sondern aus Boabdils Gefolge, ein wohl bekannter Israelit.

»Wir stoßen diesen Mann des Trugs und Blutes von uns,« sprach Elias, sich bis zur Erde bückend; »aber er war unsres Glaubens.«

»Sprich, falscher Santon! bist du stumm?« rief der König.

»Fluch treffe dich, blöder Thor!« entgegnete Almamen grimmig. »Was liegt daran, wer das Werkzeug gewesen wäre, das Dir Deinen Thron zurückgegeben hätte? Ja, ich der Deinen Diwan beherrscht, Deine Heere geleitet, ich bin vom Geschlecht Josuas und Samuels – und der Herr der Heerschaaren ist der Gott Almamens.«

Ein Schauder lief durch das Volk, aber die Blicke, die Haltung, die Stimme des Mannes flößten Allen Scheu ein und keine Waffe erhob sich gegen ihn. Noch jetzt hätte er unbeschädigt mitten durch das Gedränge wegschreiten, hätte seine flammende Leidenschaft und seinen folternden Schmerz unter einen andern Himmel tragen können: aber das Leben war ihm eine Last geworden; er wollte nur noch die Opfer seines Betrugs verfluchen und dann sterben. So hielt er denn an, blickte umher und brach dann in ein Gelächter so bittern, verachtenden Hohnes aus, wie es die Verführten drunten aus den Lippen des Erzfeindes hören mögen.

»Ja,« rief er, »der bin ich! ich bin euer Abgott und euer Götze gewesen; ich mag euer Opfer werden, aber noch im Tode bin ich euer Sieger. Christ und Moslem, beide sind meine Feinde und beiden hätt' ich den Fuß auf den Nacken setzen mögen; aber der Christ, klüger als ihr, gab mir glatte Worte und ich wollte euch in seine Gewalt verkaufen; doch, verrätherischer als ihr, betrog er mich, und nun wollte ich ihn zertreten, um fortwährend die Puppen, die ihr eure Oberhäupter nennt, beherrschen und betrügen zu können. Diejenigen aber, um deretwillen ich rang und arbeitete und sündigte – um deretwillen ich Friede und Ruhe hingab, ja das Dasein, das Blut einer Tochter opferte, – diese haben mich euch verrathen und der alte Fluch bleibt für ewig auf ihnen – Amen! Die Hülle ist zerrissen: Almamen, der Santon, ist der Sohn Isaschars des Juden!«

Noch hätte er fortgefahren, aber der Zauber war gebrochen. Mit einem grimmigen Gebrüll brausten die Wogen der Menge über den wilden Schwärmer herein; sechs Säbel durchdrangen ihn und er fiel nicht: beim siebenten war er eine Leiche. In den Staub getreten – dann wieder hoch empor geschleudert – Glied von Glied gerissen – blieb, eh man neunmal Athem holen konnte, an dem zerquetschten, blutigen Körper kaum eine Spur menschlicher Gestalt.

Das einzige Opfer reichte hin, den Zorn des Haufens zu besänftigen. Wie wilde Thiere, deren Hunger gestillt worden, sammelten sich die Mohren um ihren Beherrscher, der vergebens gesucht hatte ihrer vorschnellen Rache Einhalt zu thun und nun, bleich und athemlos, vor den Leidenschaften zurückschauderte, die er losgelassen. Er stammelte einige Worte der Ermahnung, wendete sein Pferd und nahm den Weg nach seinem Palast.

Die Masse zerstreute sich, aber noch nicht in ihre Häuser. Der Frevel Almamens wirkte gegen sein ganzes Volk fort. Einige stürzten nach dem Judenquartier, das sie in Brand steckten; Andere nach Almamens einsamer Behausung.

Ximen war, sobald er den König verlassen, nach dem Hause geeilt, das er endlich für sein Eigenthum hielt. Eben hatte er die Schatzkammer seines todten Gebieters erreicht, – eben seine Augen an den massiven Barren und flimmernden Juwelen gewaidet, – in der Lust seines Herzens eben laut ausgerufen: »und das ist mein!« – als er das Gebrüll der Menge vor den Mauern vernahm – als er den Schein ihrer Fackeln durch das Fenster dringen sah. – Umsonst schrie er laut: »Ich bins, der den Juden angegeben hat! –« Der wilde Wind zerflatterte seine Worte über dem ohrlosen Haufen. Durch Rauch und Flamme aus dem Gemach getrieben, aber nicht wagend den Wüthenden entgegen zu treten, belud sich der Knauser mit dem Kostbarsten aus der Schatzkammer, stieg die Treppe hinab und wollte seinen Weg nach dem geheimen Gewölbe nehmen, als plötzlich das Estrich, von den Flammen durchdrungen, unter ihm zusammenbrach, die Lohe in grimmigen, raschen Wirbeln emporschlug, und sein Todesschrei durch dieses blaßblaue Sterbegewand zuckte.

Dies waren die Ereignisse in der letzten Nacht der Maurenherrschaft zu Granada.

Siebentes Kapitel.

Schluß.

 

Der Tag dämmerte über Granada; das Volk hatte sich in seine Wohnungen zurückgezogen und tiefe Stille lag auf den Straßen, außer wo man etwa, als Folge des im Tumult eingelegten Feuers, noch das Krachen von Dächern oder das Knattern des leichten, duftigen Gebälkes an den Sommerhäusern hörte. Die Bauart Granadas, vermöge welcher jedes Haus von dem andern durch geräumige Gärten getrennt war, verhinderte glücklicherweise eine weitere Verbreitung des Brandes. Die Bewohner kümmerten sich übrigens so wenig um ein möglicherweise noch entstehendes Unglück, daß kein einziger Wächter ausgestellt war, um zu beobachten, welches Ende die Flammen nehmen würden. Dann und wann sah man einige klägliche Gestalten in jüdischer Tracht über den Trümmern ihrer Wohnstätten kauern, jenen Seelen gleich, die, nach Plato, ihre eigenen vermodernden Leiber bewachen. Der Tag brach an und die Strahlen der Wintersonne, die Wolken der Nacht hinweglächelnd, spielten heiter über den murmelnden Wellen des Xeno und Darro.

Allein, auf einem Balkon, der die reizende Landschaft beherrschte, stand der letzte der Mohrenkönige. Er hatte alle Lehren der von ihm verehrten Philosophie zu seiner Hülfe aufzubieten gesucht.

»Was sind wir,« dachte der sinnende Fürst, »daß wir die Welt mit uns erfüllen möchten, wir Könige? Die Erde hallt vom Sturze meines Thrones wieder; im Ohr noch ungeborner Geschlechter wird sein Echo forttönen: aber was hab' ich verloren? nichts was für mein Glück, meine Ruhe nothwendig war; nichts als die Quelle meiner Schmerzen, den bittern Tropfen im Kelch meines Lebens! Werd' ich Himmel und Erde, oder Gedanken oder Handlung, oder Speise oder Schlaf – das gemeinsame, leicht zu befriedigende Verlangen Aller – minder genießen? Im schlimmsten Falle sink' ich blos auf Eine Linie mit Edeln und Fürsten herab, steh' ich blos Denen gleich, welche der große Haufe noch bewundert und beneidet. Herauf denn, mein Herz! viele und tiefe Gefühle des Schmerzes und der Wonne bleiben dir noch, um des Lebens Einförmigkeit zu unterbrechen!«

Er schwieg und sein Auge fiel auf die einsamen Minarets des fernen, einsamen Palastes von Musa Ben Abil Gasan.

»Du hattest Recht,« nahm der König wieder das Wort, »du hattest Recht, tapferer Geist, Boabdil nicht zu bemitleiden: aber nicht deshalb, weil ihm der Tod zum Ausweg blieb; des Menschen Seele ist größer als sein Schicksal, und Hoheit ist in einem Leben, das über den Trümmern emporragt, die auf seinen Pfad niederfallen. –« Er wendete sich und seine Wange ward plötzlich bleich, denn drunten im Hof vernahm er das Stampfen von Hufen, und reisefertiges Getümmel: es war die Stunde des Aufbruchs. Seine Philosophie schwand dahin; er seufzte laut und zog sich in das Zimmer zurück, eben als sein Wessir und der Oberste der Leibwache eintraten.

Der alte Wessir wollte sprechen, aber die Stimme versagte ihm.

»So ists also Zeit zum Aufbruch;« sprach Boabdil ruhig. »Sey es so. Uebergib Palast und Burg, und folge Deinem Freund, nicht mehr Deinem Gebieter, in seine neue Heimath nach.«

Er wartete keine Antwort ab; er stürmte hinaus, eilte die Treppe hinab, schwang sich auf seinen Berber und sprengte mit einem kleinen, düstern Gefolge durch das Thor, das sich noch heut zu Tage unter einem angeschwärzten, verwitterten Thurm, umrankt von Reben und Epheu, dem Blicke darbietet. Von da nahm er durch Gärten, die jetzt dem Kloster des zum Sieger gewordenen Glaubens angehören, seinen Weg. Als er die Mitte des Hügels erreicht hatte, der sich über diesen Gärten erhebt, schimmerte ihm der Stahl spanischer Rüstungen entgegen, indem das zur Besetzung des Palastes abgesandte Corps in geordneter Reihe und tiefem Schweigen über die Anhöhe herein kam.

An der Spitze dieser Vorhut ritt auf einem schneeweißen Zelter der Bischof von Avila, gefolgt von einem Zug baarfüßiger Mönche. Sie blieben bei Boabdils Annäherung stehen und der hoch herabschauende Bischof grüßte ihn mit der Miene eines Mannes, der sich an einen Ungläubigen und Niedrigern wendet. Mit dem schnellen Gefühl für Würde, das alle Großen, und die Gefallenen in noch stärkerem Grade, besitzen, empfand Boabdil den Stolz des Priesters, ohne sich dagegen zu rächen. »Geh, Christ,« sprach er milde, »die Thore der Alhambra stehen offen, Allah hat den Palast und die Stadt Eurem König übergeben: mögen seine Tugenden die Fehler Boabdils wieder gut machen.« Ohne auf Antwort zu warten, ritt er weiter, und blickte weder zur Rechten noch zur Linken. Auch die Spanier setzten ihren Weg fort. Die Sonne war in vollem Glanz über die Gebirge emporgestiegen, als Granadas abziehender Herrscher von dem Gipfel des Hügels aus das ganze Heer der Spanier erblickte; zugleich drang, das Stampfen der Rosse und das Klirren der Waffen übertönend, deutlich der feierliche Gesang des Te Deum's herauf, welcher dem Flimmer der aufgerollten, hocherhobenen Fahnen vorauswogte. Boabdil, bisher immer noch schweigend, hörte die Seufzer und Klagerufe seiner Begleiter; er wendete sich, und wollte sie trösten oder schelten; da sah er, wie von seinem Schloßthurm herab, die Sonne rein und voll widerstrahlend, Spaniens Silberkreuz funkelte. Seine Alhambra war bereits in den Händen der Feinde, und neben jenem Wahrzeichen des heiligen Kriegs flatterte die lustige, prunkende Fahne St. Jagos, des geheiligten Kriegsgottes der Spanier.

Bei diesem Anblick versagte dem König die Stimme; er ließ dem Berber die Zügel schießen, ungeduldig die qualvolle Förmlichkeit, die er noch zu bestehen hatte, zu enden, und hielt nicht an bis beinah auf Bogenschußweite von der Armee. Nie hatte ein Christenheer einen glänzendern, stolzern Anblick dargeboten. So weit das Auge reichte, dehnten sich die schimmernden Reihen dieser tapfern Schaaren mit sonnestrahlenden Speeren und blitzenden Fahnen aus, während ihnen zur Seite der silberne, lachende Xenil murmelnd hintanzte, gleichgültig welcher Herr für ein kurzes Menschenleben die Ufer besitze, die vom Anhauch seiner ewigen Wellen blühten. Bei einer kleinen Moschee stand die Blüthe des Heeres. Umgeben von den Hochwürdeträgern der mächtigen Geistlichkeit, von den Pairs und Prinzen eines Hofes, der mit den Roland's eines Karls des Großen um den Preis stritt, erblickte man die königliche Gestalt Ferdinands, Isabellen und die edelsten Frauen Spaniens zu seiner Rechten, die mit ihren heitern Farben und funkelnden Geschmeiden den ernstern Glanz der bebuschten Helme und glatten Harnische prachtvoll hervorhoben.

Unweit der königlichen Gruppe hielt Boabdil, suchte durch Annahme einer ruhigen Miene seine Seele, so weit ihm möglich, zu verbergen – und seinem spärlichen Gefolge etwas voraus, aber in Haltung und Hoheit kein König mehr, kam sofort Abdallahs Sohn bei seinem stolzen Ueberwinder an.

Beim Anblick seines edeln Antlitzes und goldenen Haares, seiner freundlichen, gewinnenden Schönheit, die durch seine Jugend noch rührender wurde, lief ein Schauder mitleidsvoller Bewunderung durch die Versammlung. Ferdinand und Isabella ritten langsam vor, dem neuen Unterthan, der bisher ihr Nebenbuhler gewesen, entgegen, und als Boabdil absteigen wollte, legte ihm der spanische König die Hand auf die Schulter. »Bruder und Fürst,« sprach er, »vergiß Deinen Schmerz, und möge unsere Freundschaft Dich fortan über ein Unglück trösten, gegen das Du als Held und König angekämpft hast – den Menschen widerstehend, aber Gott Dich endlich unterwerfend!«

Boabdil suchte den bittern aber unbeabsichtigten Spott dieser Artigkeit nicht zu erwiedern. Er beugte das Haupt und blieb einen Augenblick still; sofort näherten sich auf seinen Wink vier seiner Offiziere, knieten vor Ferdinand nieder, und überreichten ihm auf einer silbernen Platte die Schlüssel der Stadt.

»O König,« begann jetzt Boabdil, »empfange die Schlüssel der letzten Feste, die den Waffen Spaniens widerstanden hat! Das Reich der Muselmanen ist zu Ende. Dir gehören Stadt und Volk Granadas: Deiner Tapferkeit erliegend, vertrauen sie auf Deine Gnade.«

»Sie dürfen es,« erwiederte Jener; »unsere Versprechen sollen nicht gebrochen werden. Doch da wir die Feinheit der mohrischen Ritter kennen, so mögen die Schlüssel Granadas nicht uns, sondern zärteren Händen übergeben werden.«

Damit überreichte Ferdinand die Schlüssel Isabellen, die einige mildernde Schmeicheleien an Boabdil richten wollte; aber die Rührung war für ihr theilnehmendes Herz, so sehr sie auch Heldin und Königin, zu gewaltig, und als sie die Augen gegen die stillen, bleichen Züge des gefallenen Herrschers aufschlug, stürzten ihr die Thränen unwiderstehlich herab, und ihre Stimme erstarb in einem Lispeln. Eine schwache Röthe überflog Boabdils Züge und es entstand eine augenblickliche Pause der Verlegenheit, die der Mohr zuerst brach.

»Schöne Königin,« sprach er mit gramvoller, ernster Würde, »Du kannst in dem Herzen lesen, das Dein edles Mitleid rührt und überwältigt: dies ist Dein letzter, nicht Dein geringster Sieg. Doch ich halte Euch auf: möge mein Anblick Euern Triumph nicht verdüstern. Erlaubt mir, mich zu verabschieden.«

»Könnten wir nicht auf die segensreiche Möglichkeit einer Bekehrung hindeuten?« flüsterte die fromme Königin durch ihre Thränen ihrem Gemahl zu.

»Nicht jetzt – nicht jetzt, bei St. Jago!« gab ihr Ferdinand schnell in dem gleichen Ton zurück, sich selbst nach einer Beendigung des qualvollen Gespräches sehnend. Laut setzte er dann bei: »Geht, mein Bruder, und Glück mit Euch! vergesset das Vergangene.«

Boabdil lächelte bitter, grüßte das königliche Paar mit tiefer, schweigender Verbeugung und ritt langsam von dem Heer weg, den Pfad hinauf, der zu seiner neuen Herrschaft jenseits der Alpuxarras führte. Nachdem die Bäume den mohrischen Reitertrupp Ferdinanden aus dem Auge gebracht, befahl er der Armee, sich in Bewegung zu setzen, und Trompete und Zimbel klangen alsbald ins Ohr der Moslems.

Boabdil sprengte in vollem Rennlauf dahin, bis das keuchende Roß bei dem kleinen Dorf anhielt, wo, vorausgesandt, seine Mutter, seine Sklavinnen und seine getreue Amine ihn erwarteten. Sich ihnen anschließend, setzte er seine düstere Bahn ohne Verzug fort.

Man gelangte auf die Anhöhe, die den Paß zu den Alpuxarras bildet. Auf diesem Gipfel strahlten das Thal, die Flüsse, die Minarets, die Thürme Granadas noch einmal in voller Glorie ins Gesicht des kleinen Zuges. Mechanisch, unvorbereitet machte man Halt; jedes Antlitz war nach der geliebten Stätte gerichtet. Die stolze Scham besiegter Krieger, – die zarte Erinnerung an das Haus – die Kindheit – das Vaterland – hoben jede Brust und strömten aus jedem Auge. Plötzlich drang der ferne Donner des Geschützes von der Citadelle und rollte das sonnige Thal, den krystallenen Fluß entlang. Ein allgemeiner Wehlaut brach aus den Verbannten; er zerschnitt – er überwältigte das Herz des unglücklichen Königs, der sein Selbst vergebens in orientalischen Stolz oder stoische Philosophie einzuhüllen suchte. Die Thränen stürzten ihm aus den Augen und er bedeckte das Gesicht mit den Händen.

Da wendete seine strenge Mutter, ihn mit harten, verächtlichen Augen messend, jenen ungerechten, berufenen Vorwurf an ihn, den die Geschichte aufbehalten hat: »Ja, weine wie ein Weib über Das, was Du nicht wie ein Mann zu vertheidigen vermocht hast.«

Boabdil erhob das Antlitz mit entrüsteter Majestät, als er seine Hand zärtlich umfaßt fühlte und, sich umwendend, Amine neben sich erblickte.

»Achte ihrer nicht, achte ihrer nicht, Boabdil!« sprach die Sklavin: »nie erschienst Du mir edler, als in diesem Schmerz. Du warst ein Held für Deinen Thron; aber fühle stets, o Licht meiner Augen, wie ein Weib für Dein Volk.«

»Gott ist groß!« versetzte Boabdil, »und Gott tröstet mich stets noch! Deine Lippen, die mir während meiner Macht nie geschmeichelt, haben keinen Vorwurf für mich in meinem Leid.«

Er sprachs und lächelte auf Amine – es war ihre Stunde des Triumphs.

Langsam wand sich der Zug den Hohlweg entlang; und noch heute heißt der Ort, wo der König geweint und die Geliebte ihn getröstet: » El ultimo suspiro del Moro,« – » Der letzte Seufzer des Mohren


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