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War er durch Kenelm's Lob und Begeisterung oder durch sonst etwas in eine gehobene Stimmung versetzt, gewiß ist, daß die Reden des Troubadours an jenem Tage einen solchen Reiz übten, daß Tom wie von einem Zauber gebannt war und daß Kenelm sich seinerseits mit kurzen Bemerkungen begnügte, welche nur den Zweck hatten, den Hauptacteur zu animiren.
Die Unterhaltung drehte sich um äußere, der Natur entnommene Gegenstände, wie sie Kinder und Männer interessiren, die wie Tom Bowles sich gewöhnt haben, die sie umgebenden Dinge mehr mit den Augen des Herzens als mit denen des Geistes zu betrachten. Dieser das Land durchstreifende Wanderer wußte viel von den Gewohnheiten der Vögel, der vierfüßigen Thiere und der Insekten und erzählte Anekdoten von ihnen 66 mit einer Mischung von Humor und Pathos, welche Tom's Aufmerksamkeit wie mit einem Zauber fesselte, ihn herzlich lachen machte und bisweilen seinen großen blauen Augen Thränen entlockte.
Sie aßen in einem Gasthofe an der Landstraße zu Mittag und das Mittagsessen war heiter; dann schlugen sie langsam den Rückweg ein. Als der Tag zu Ende ging, wurde ihr Gespräch etwas ernster und Kenelm nahm größeren Antheil daran. Tom hörte noch immer bezaubert stumm zu. Als endlich die Stadt in Sicht kam, machten sie eine Weile Halt an einem lauschigen, von Gebüsch überschatteten, moosweichen und von wildem Thymian duftenden Plätzchen.
Als sie hier behaglich ausgestreckt lagen, während die Vögel in den Zweigen ihren Abendgesang ertönen ließen oder sich geräusch- und furchtlos auf den Rasen herabließen, um ihr Abendbrod einzusammeln, sagte der Wanderer zu Kenelm:
»Sie sagen, Sie seien kein Dichter, und doch haben Sie sicherlich eine dichterische Auffassung; Sie müssen selbst gedichtet haben?«
»Nein; wie ich Ihnen bereits gesagt habe, nur Schulverse in todten Sprachen. Aber diesen Morgen fand ich in meinem Ränzel eine Abschrift einiger, von einem Universitätsfreunde gedichteter Verse, die ich mit 67 der Absicht in die Tasche gesteckt habe, sie Ihnen beiden vorzulesen. Es sind nicht Verse wie die Ihrigen, die offenbar Ihrer unmittelbaren Eingebung entströmen und keine Nachahmung irgend eines andern Dichters sind. Diese Verse rühren von einem Schotten her und tragen das Gepräge der Nachahmung des alten Balladenstils. Die Verse an und für sich sind nicht sehr schön, aber die zu Grunde liegende Idee frappirte mich als originell und machte mir so viel Eindruck, daß ich mir eine Abschrift behielt. Diese Abschrift ist, ich weiß selbst nicht wie, in eins der beiden Bücher gerathen, die ich von Hause mitgebracht habe.«
»Was für Bücher sind das? Ich wette, sie enthalten beide Poesie.«
»Sie irren sich; beide sind metaphysischen Inhalts und so trocken wie ein Knochen. Tom, stecken Sie Ihre Pfeife an, und Sie, mein Herr, stützen Sie sich noch bequemer auf Ihren Ellbogen; ich muß Sie darauf vorbereiten, daß die Ballade lang ist. Also Geduld!«
»Aufgepaßt!« sagte der Troubadour.
»Feuer!« fügte Tom hinzu.
Kenelm fing an zu lesen und er las gut. 68
Lord Ronald's junge Gattin.
I. | |
»Was drängt das Volk, eh' der Sterne Licht
Vom Himmel noch kaum verschwand?« «Zu dem festlichen Schauspiel, zum Hochgericht. Denn heut' wird die Hexe verbrannt.« »Was that sie, daß zum Tod man sie führt?
»Nicht des Pacts mit dem Bösen sie konnte man zeihn!
Doch ein heil'ger Mann, der in Rom verweilt,
Es hätte der Papst – denn die Dame war reich
Doch still! Es nahet mit Fackeln der Zug
So ward die Hexe verbrannt auf dem Scheit,
Und der Knabe wuchs kräftig, tapfer und gut.
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II. | |
Lord Ronald kehrt heim und mit ihm die Braut
Aus unbekanntem Geschlecht. Gegen den, der das Weib zu küssen sich traut, War selbst Wallace ein feiger Knecht. Wie der Berkkatz' Auge ihr Auge blitzt,
Wie der Bluthund heult, wenn er Beute schaut,
»Lord Ronald! Man freiet um Lieb' oder Erz.
Mein Weib ist fürwahr die Reichste für mich,
Sprach der Bischof zum Könige, unserm Hort:
Lord Ronald kam heim von dem Paynim-Land,
Es ist klar, daß ein Schotte, der blindlings liebt
Drum vernichtet den Baum aus dem Höllenpfuhl,
»Heil'ger Mann!« sprach der Herr und er lachte: »Sehr wohl
Doch dem Ritter, der sich einer Hexe vertraut,
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III. | |
Lord Ronald erschien vor des Königs Thron,
Zur Seit' ihm sein schrecklich Gemahl; Die Ritter, die anfangs voll Spott und Hohn, Erbebten vor Furcht allzumal. Und der Bischof, bewehrt mit Glocke und Buch,
»Lord Ronald, den Rittern von unserm Schlag
Was war denn die Mitgift an Gold oder Land,
Und es lachten die Herren laut spottend all',
Bracht' ich gleich dem Lord Ronald nicht Gold noch Land
Und was er den Heiligen selbst nicht gesteht,
Laß ins Herz sich blicken jeglicher Mann,
Und jedermann, König, Bischof und Lord,
Nicht länger ein Scheusal er nun erschaut,
Ein Jeder entbrannt wünscht der Dame Hand,
Dann dunkel wird's in der Hall', im Palast,
Als das Licht von neuem durchs Gitter brach,
Lord Ronald stand bei dem Todten dicht,
Nun möge sie Anderen schwellen die Brust,
Und die Mitgift sie bracht', gab zurück ich hier,
Lord Ronald durchschreitet den Marmorsaal,
Und die Dame, die Wittib, ward viel umfreit
Helf' Gott, daß der Wunsch, den nie zu erflehn
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Als Kenelm geendet hatte, fiel sein Blick auf Tom, der mit offenem Munde, bleichen Wangen und jenem starren Blick des Entsetzens, den ehrfurchtsvolle Scheu hervorbringt, zu ihm aufschaute. Als Tom Kenelm's Blick begegnete, versuchte er zu sprechen und wollte gezwungen lächeln, aber Beides wollte ihm nicht gelingen. Er stand plötzlich auf und ging fort, schlich unter den Schatten einer großen Buche und blieb hier an den Stamm gelehnt stehen.
75 »Was sagen Sie zu der Ballade?« fragte Kenelm den Sänger.
»Sie ist nicht ohne Wirkung«, erwiderte dieser.
»Ja, von einer besonderen Art.«
Der Troubadour sah Kenelm scharf ins Gesicht und ließ dann mit hochgerötheten Wangen den Blick sinken.
»Die Schotten sind ein gedankenreiches Volk. Der Schotte, der das Gedicht geschrieben hat, mag dabei wohl an einen Tag in seinem Leben gedacht haben, als ihm eine sündige Lust schön erschien; aber wenn dem so war, so ist es doch offenbar, daß sein Auge seitdem von dieser Sinnestäuschung geheilt wurde. Sollen wir weiter gehen? Kommen Sie, Tom.«
Der Troubadour verabschiedete sich, als sie wieder in die Stadt kamen, mit den Worten: »Ich bedaure Sie beide nicht wiedersehen zu können, da ich Luscombe mit Tagesanbruch verlasse. Da fällt mir noch ein, hier ist auch die von Ihnen gewünschte Adresse.«
»Des kleinen Mädchens?« ergänzte Kenelm. »Es freut mich, daß Sie an sie gedacht haben.«
Der Troubadour sah Kenelm wieder scharf ins Gesicht, diesmal, ohne den Blick zu senken, denn Kenelm's Gesichtsausdruck trug das Gepräge einer so vollkommenen Ruhe, daß man ihn fast leer hätte nennen können.
76 Kenelm und Tom setzten ihren Weg nach dem Hause des Thierarztes einige Minuten lang schweigend fort, dann sagte Tom flüsternd:
»Meinten Sie nicht, daß die Reime mich hier, hier« – und dabei schlug er sich auf die Brust – »getroffen haben müßten?«
»Die Reime waren längst gedichtet, als ich Sie zuerst sah, Tom; aber es kann uns allen nur gut thun, wenn wir von ihrer Bedeutung betroffen werden. Für Sie, mein Freund, fürchte ich jetzt nichts mehr. Sind Sie nicht schon ein ganz anderer Mensch geworden?«
»Mir ist zu Muthe, als ginge eine Umwandlung mit mir vor«, erwiderte Tom langsam in einem traurigen Ton. »Als ich Sie und den Herrn soviel von Dingen reden hörte, an die ich nie gedacht hatte, fühlte ich in mir etwas – Sie werden lachen, wenn ich es Ihnen sage – etwas von einem Vogel.«
»Von einem Vogel? Nun ja, ein Vogel hat Flügel.«
»Das ist es grade.«
»Und es war Ihnen, als ob Sie mit Flügeln, deren Sie sich bis dahin nicht bewußt gewesen waren, umherflatterten und wie gegen das Drahtgitter eines Käfigs anschlügen. Dieses Gefühl, mein Freund, entsprach der uns eingeborenen Sehnsucht nach Freiheit 77 und nach einem höheren Dasein. Muth! Die Thür des Käfigs wird sich bald öffnen. Und nun, um praktisch zu reden, lassen Sie mich Ihnen beim Abschied einen Rath geben. Sie haben einen lebhaften und feinen Geist, den Sie aber durch Ihren starken Körper gefangen nehmen und unterdrücken ließen. Lassen Sie diesen Geist frei gewähren. Widmen Sie sich mit Eifer Ihren Berufsgeschäften; das Verlangen nach regelmäßiger Arbeit ist der gesunde Appetit des Geistes; aber in Ihren Mußestunden pflegen Sie die neuen Ideen, welche durch die Unterhaltung mit Männern, die gewöhnt sind, den Geist mehr als den Körper zu pflegen, in Ihnen geweckt sind. Treten Sie in einen Leseclub ein und interessiren Sie sich für Bücher. Ein Weiser hat gesagt: Bücher erweitern die Gegenwart, indem sie ihr die Vergangenheit und die Zukunft hinzufügen. Suchen Sie die Gesellschaft gebildeter Männer und auch gebildeter Frauen auf, und wenn Sie einmal wieder gegen Jemand etwas auf dem Herzen haben, so disputiren Sie mit ihm, schlagen ihn aber nicht zu Boden, und lassen Sie sich selbst nicht von einem Feinde, der viel stärker ist als Sie, von dem Branntwein zu Boden werfen. Thun Sie das Alles, und wenn ich Sie wiedersehe, werden Sie –«
»Halt, Herr, werde ich Sie wiedersehen?«
78 »Ja, wenn wir beide leben, verspreche ich es Ihnen.«
»Wann?«
»Sie sehen, Tom, wir müssen beide daran arbeiten, etwas von unserem alten Menschen abzustreifen. Sie müssen dieses Etwas durch Ruhe und ich muß es womöglich im Umherschweifen abstreifen. Deshalb wandere ich durchs Land. Möge es uns beiden, wenn wir einander wieder die Hände schütteln, gelungen sein, uns zu neuen Menschen zu machen, die besser sind, als die alten waren. Versuchen Sie Ihrerseits Ihr Bestes, lieber Tom, und der Himmel stehe Ihnen bei.«
»Und der Himmel segne Sie«, rief Tom feurig, während ihm die Thränen, die er nicht zurückzuhalten suchte, aus den kühnen blauen Augen über die Wangen rannen. 79