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Ein Zimmer
Danton. Lacroix. Philippeau. Paris. Camille Desmoulins.
Camille. Rasch, Danton, wir haben keine Zeit zu verlieren!
Danton (er kleidet sich an). Aber die Zeit verliert uns. Das ist sehr langweilig, immer das Hemd zuerst und dann die Hosen drüber zu ziehen und des Abends ins Bett und morgens wieder herauszukriechen und einen Fuß immer so vor den andern zu setzen; da ist gar kein Absehen, wie es anders werden soll. Das ist sehr traurig, und daß Millionen es schon so gemacht haben, und daß Millionen es wieder so machen werden, und daß wir noch obendrein aus zwei Hälften bestehen, die beide das nämliche tun, so daß alles doppelt geschieht – das ist sehr traurig.
Camille. Du sprichst in einem ganz kindlichen Ton.
Danton. Sterbende werden oft kindisch.
Lacroix. Du stürzest dich durch dein Zögern ins Verderben, du reißest alle deine Freunde mit dir. Benachrichtige die Feiglinge, daß es Zeit ist, sich um dich zu versammeln, fordere sowohl die vom Tale als die vom Berge auf! Schreie über die Tyrannei der Dezemvirn, sprich von Dolchen, rufe Brutus an, dann wirst du die Tribunen erschrecken und selbst die um dich sammeln, die man als Mitschuldige Héberts bedroht! Du mußt dich deinem Zorn überlassen. Laßt uns wenigstens nicht entwaffnet und erniedrigt wie der schändliche Hébert sterben!
Danton. Du hast ein schlechtes Gedächtnis, du nanntest mich einen toten Heiligen. Du hattest mehr recht, als du selbst glaubtest. Ich war bei den Sektionen; sie waren ehrfurchtsvoll, aber wie Leichenbitter. Ich bin eine Reliquie, und Reliquien wirft man auf die Gasse, du hattest recht.
Lacroix. Warum hast du es dazu kommen lassen?
Danton. Dazu? Ja, wahrhaftig, es war mir zuletzt langweilig. Immer im nämlichen Rock herumzulaufen und die nämlichen Falten zu ziehen! Das ist erbärmlich. So ein armseliges Instrument zu sein, auf dem eine Saite immer nur einen Ton angibt! – 's ist nicht zum Aushalten. Ich wollte mir's bequem machen. Ich habe es erreicht; die Revolution setzt mich in Ruhe, aber auf andere Weise, als ich dachte.
Übrigens, auf was sich stützen? Unsere Huren könnten es noch mit den Guillotinen-Betschwestern aufnehmen; sonst weiß ich nichts. Es läßt sich an den Fingern herzählen: die Jakobiner haben erklärt, daß die Tugend an der Tagesordnung sei, die Cordeliers nennen mich Héberts Henker, der Gemeinderat tut Buße, der Konvent – das wäre noch ein Mittel! aber es gäbe einen 31. Mai, sie würden nicht gutwillig weichen. Robespierre ist das Dogma der Revolution, es darf nicht ausgestrichen werden. Es ginge auch nicht. Wir haben nicht die Revolution, sondern die Revolution hat uns gemacht.
Und wenn es ginge – ich will lieber guillotiniert werden als guillotinieren lassen. Ich hab es satt; wozu sollen wir Menschen miteinander kämpfen? Wir sollten uns nebeneinander setzen und Ruhe haben. Es wurde ein Fehler gemacht, wie wir geschaffen wurden; es fehlt uns etwas, ich habe keinen Namen dafür – aber wir werden es einander nicht aus den Eingeweiden herauswühlen, was sollen wir uns drum die Leiber aufbrechen? Geht, wir sind elende Alchymisten!
Camille. Pathetischer gesagt, würde es heißen: wie lange soll die Menschheit in ewigem Hunger ihre eignen Glieder fressen? oder: wie lange sollen wir Schiffbrüchige auf einem Wrack in unlöschbarem Durst einander das Blut aus den Adern saugen? oder: wie lange sollen wir Algebraisten im Fleisch beim Suchen nach dem unbekannten, ewig verweigerten X unsere Rechnungen mit zerfetzten Gliedern schreiben?
Danton. Du bist ein starkes Echo.
Camille. Nicht wahr, ein Pistolenschuß schallt gleich wie ein Donnerschlag. Desto besser für dich, du solltest mich immer bei dir haben.
Philippeau. Und Frankreich bleibt seinen Henkern?
Danton. Was liegt daran? Die Leute befinden sich ganz wohl dabei. Sie haben Unglück; kann man mehr verlangen um gerührt, edel, tugendhaft oder witzig zu sein, oder um überhaupt keine Langeweile zu haben? – Ob sie nun an der Guillotine oder am Fieber oder am Alter sterben! Es ist noch vorzuziehen, sie treten mit gelenken Gliedern hinter die Kulissen und können im Abgehen noch hübsch gestikulieren und die Zuschauer klatschen hören. Das ist ganz artig und paßt für uns; wir stehen immer auf dem Theater, wenn wir auch zuletzt im Ernst erstochen werden.
Es ist recht gut, daß die Lebenszeit ein wenig reduziert wird; der Rock war zu lang, unsere Glieder konnten ihn nicht ausfüllen. Das Leben wird ein Epigramm, das geht an; wer hat auch Atem und Geist genug für ein Epos in fünfzig oder sechzig Gesängen? 's ist Zeit, daß man das bißchen Essenz nicht mehr aus Zubern, sondern aus Likörgläschen trinkt; so bekommt man doch das Maul voll, sonst konnte man kaum einige Tropfen in dem plumpen Gefäß zusammenrinnen machen.
Endlich – ich müßte schreien; das ist mir der Mühe zuviel, das Leben ist nicht die Arbeit wert, die man sich macht, es zu erhalten.
Paris. So flieh, Danton!
Danton. Nimmt man das Vaterland an den Schuhsohlen mit?
Und endlich – und das ist die Hauptsache: sie werden's nicht wagen. (Zu Camille:) Komm, mein Junge; ich sage dir, sie werden's nicht wagen. Adieu, adieu! (Danton und Camille ab.)
Philippeau. Da geht er hin.
Lacroix. Und glaubt kein Wort von dem, was er gesagt hat. Nichts als Faulheit! Er will sich lieber guillotinieren lassen als eine Rede halten.
Paris. Was tun?
Lacroix. Heimgehn und als Lukretia auf einen anständigen Fall studieren.
Eine Promenade
Spaziergänger.
Ein Bürger. Meine gute Jacqueline – ich wollte sagen Korn... wollt ich: Kor...
Simon. Kornelia, Bürger, Kornelia.
Bürger. Meine gute Kornelia hat mich mit einem Knäblein erfreut.
Simon. Hat der Republik einen Sohn geboren.
Bürger. Der Republik, das lautet zu allgemein; man könnte sagen...
Simon. Das ist's gerade, das Einzelne muß sich dem Allgemeinen...
Bürger. Ach ja, das sagt meine Frau auch.
Bänkelsänger
(singt). Was doch ist, was doch ist
Aller Männer Freud' und Lüst'?
Bürger. Ach, mit den Namen, da komm ich gar nicht ins reine.
Simon. Tauf ihn Pike, Marat!
Bänkelsänger. Unter Kummer, unter Sorgen
Sich bemühn vom frühen Morgen,
Bis der Tag vorüber ist.
Bürger. Ich hätte gern drei – es ist doch was mit der Zahl Drei – und dann was Nützliches und was Rechtliches; jetzt hab ich's: Pflug, Robespierre. Und dann das dritte?
Simon. Pike.
Bürger. Ich dank Euch, Nachbar; Pike, Pflug, Robespierre, das sind hübsche Namen, das macht sich schön.
Simon. Ich sage dir, die Brust deiner Kornelia wird wie das Euter der römischen Wölfin – nein, das geht nicht: Romulus war ein Tyrann, das geht nicht. (Gehn vorbei.)
Ein Bettler (singt). »Eine Handvoll Erde und ein wenig Moos...« Liebe Herren, schöne Damen!
Erster Herr. Kerl, arbeite, du siehst ganz wohlgenährt aus!
Zweiter Herr. Da! (Er gibt ihm Geld.) Er hat eine Hand wie Sammet. Das ist unverschämt.
Bettler. Mein Herr, wo habt Ihr Euren Rock her?
Zweiter Herr. Arbeit, Arbeit! Du könntest den nämlichen haben; ich will dir Arbeit geben, komm zu mir, ich wohne...
Bettler. Herr, warum habt Ihr gearbeitet?
Zweiter Herr. Narr, um den Rock zu haben.
Bettler. Ihr habt Euch gequält, um einen Genuß zu haben; denn so ein Rock ist ein Genuß, ein Lumpen tut's auch.
Zweiter Herr. Freilich, sonst geht's nicht.
Bettler. Daß ich ein Narr wäre! Das hebt einander.
Die Sonne scheint warm an das Eck, und das geht ganz leicht.
(Singt:) »Eine Handvoll Erde und ein wenig Moos...«
Rosalie (zu Adelaiden). Mach fort, da kommen Soldaten! Wir haben seit gestern nichts Warmes in den Leib gekriegt.
Bettler. »Ist auf dieser Erde einst mein letztes Los!« Meine Herren, meine Damen!
Soldat. Halt! Wo hinaus, meine Kinder? (Zu Rosalie:) Wie alt bist du?
Rosalie. So alt wie mein kleiner Finger.
Soldat. Du bist sehr spitz.
Rosalie. Und du sehr stumpf.
Soldat. So will ich mich an dir wetzen.
(Er singt:)
Christinlein, lieb Christinlein mein,
Tut dir der Schaden weh, Schaden weh,
Schaden weh, Schaden weh?
Rosalie
(singt). Ach nein, ihr Herrn Soldaten,
Ich hätt' es gerne meh, gerne meh,
Gerne meh, gerne meh!
(Danton und Camille treten auf.)
Danton. Geht das nicht lustig? – Ich wittre was in der Atmosphäre; es ist, als brüte die Sonne Unzucht aus. – Möchte man nicht drunter springen, sich die Hosen vom Leibe reißen und sich über den Hintern begatten wie die Hunde auf der Gasse? (Gehn vorbei.)
Junger Herr. Ach, Madame, der Ton einer Glocke, das Abendlicht an den Bäumen, das Blinken eines Sterns...
Madame. Der Duft einer Blume! Diese natürlichen Freuden, dieser reine Genuß der Natur! (Zu ihrer Tochter:) Sieh, Eugenie, nur die Tugend hat Augen dafür.
Eugenie (küßt ihrer Mutter die Hand). Ach, Mama, ich sehe nur Sie.
Madame. Gutes Kind!
Junger Herr (zischelt Eugenien ins Ohr). Sehen Sie dort die hübsche Dame mit dem alten Herrn?
Eugenie. Ich kenne sie.
Junger Herr. Man sagt, ihr Friseur habe sie à l'enfant frisiert.
Eugenie (lacht). Böse Zunge!
Junger Herr. Der alte Herr geht nebenbei; er sieht das Knöspchen schwellen und führt es in die Sonne spazieren und meint, er sei der Gewitterregen, der es habe wachsen machen.
Eugenie. Wie unanständig! Ich hätte Lust, rot zu werden.
Junger Herr. Das könnte mich blaß machen. (Gehn ab.)
Danton (zu Camille). Mute mir nur nichts Ernsthaftes zu! Ich begreife nicht, warum die Leute nicht auf der Gasse stehenbleiben und einander ins Gesicht lachen. Ich meine, sie müßten zu den Fenstern und zu den Gräbern heraus lachen, und der Himmel müsse bersten, und die Erde müsse sich wälzen vor Lachen. (Gehn ab.)
Erster Herr. Ich versichre Sie, eine außerordentliche Entdeckung! Alle technischen Künste bekommen dadurch eine andere Physiognomie. Die Menschheit eilt mit Riesenschritten ihrer hohen Bestimmung entgegen.
Zweiter Herr. Haben Sie das neue Stück gesehen? Ein babylonischer Turm! Ein Gewirr von Gewölben, Treppchen, Gängen, und das alles so leicht und kühn in die Luft gesprengt. Man schwindelt bei jedem Tritt. Ein bizarrer Kopf. (Er bleibt verlegen stehn.)
Erster Herr. Was haben Sie denn?
Zweiter Herr. Ach, nichts! Ihre Hand, Herr! die Pfütze – so! Ich danke Ihnen. Kaum kam ich vorbei; das konnte gefährlich werden!
Erster Herr. Sie fürchteten doch nicht?
Zweiter Herr. Ja, die Erde ist eine dünne Kruste; ich meine immer, ich könnte durchfallen, wo so ein Loch ist. – Man muß mit Vorsicht auftreten, man könnte durchbrechen. Aber gehn Sie ins Theater, ich rat es Ihnen!
Ein Zimmer
Danton. Camille. Lucile.
Camille. Ich sage euch, wenn sie nicht alles in hölzernen Kopien bekommen, verzettelt in Theatern, Konzerten und Kunstausstellungen, so haben sie weder Augen noch Ohren dafür. Schnitzt einer eine Marionette, wo man den Strick hereinhängen sieht, an dem sie gezerrt wird und deren Gelenke bei jedem Schritt in fünffüßigen Jamben krachen – welch ein Charakter, welche Konsequenz! Nimmt einer ein Gefühlchen, eine Sentenz, einen Begriff und zieht ihm Rock und Hosen an, macht ihm Hände und Füße, färbt ihm das Gesicht und läßt das Ding sich drei Akte hindurch herumquälen, bis es sich zuletzt verheiratet oder sich totschießt – ein Ideal! Fiedelt einer eine Oper, welche das Schweben und Senken im menschlichen Gemüt wiedergibt wie eine Tonpfeife mit Wasser die Nachtigall – ach, die Kunst!
Setzt die Leute aus dem Theater auf die Gasse: die erbärmliche Wirklichkeit! – Sie vergessen ihren Herrgott über seinen schlechten Kopisten. Von der Schöpfung, die glühend, brausend und leuchtend, um und in ihnen, sich jeden Augenblick neu gebiert, hören und sehen sie nichts. Sie gehen ins Theater, lesen Gedichte und Romane, schneiden den Fratzen darin die Gesichter nach und sagen zu Gottes Geschöpfen: wie gewöhnlich! – Die Griechen wußten, was sie sagten, wenn sie erzählten, Pygmalions Statue sei wohl lebendig geworden, habe aber keine Kinder bekommen.
Danton. Und die Künstler gehn mit der Natur um wie David, der im September die Gemordeten, wie sie aus der Force auf die Gasse geworfen wurden, kaltblütig zeichnete und sagte: ich erhasche die letzten Zuckungen des Lebens in diesen Bösewichtern. (Danton wird hinausgerufen.)
Camille. Was sagst du, Lucile?
Lucile. Nichts, ich seh dich so gern sprechen.
Camille. Hörst mich auch?
Lucile. Ei freilich!
Camille. Hab ich recht? Weißt du auch, was ich gesagt habe?
Lucile. Nein, wahrhaftig nicht.
(Danton kommt zurück.)
Camille. Was hast du?
Danton. Der Wohlfahrtsausschuß hat meine Verhaftung beschlossen. Man hat mich gewarnt und mir einen Zufluchtsort angeboten.
Sie wollen meinen Kopf; meinetwegen. Ich bin der Hudeleien überdrüssig. Mögen sie ihn nehmen. Was liegt daran? Ich werde mit Mut zu sterben wissen; das ist leichter, als zu leben.
Camille. Danton, noch ist's Zeit!
Danton. Unmöglich – aber ich hätte nicht gedacht...
Camille. Deine Trägheit!
Danton. Ich bin nicht träg, aber müde; meine Sohlen brennen mich.
Camille. Wo gehst du hin?
Danton. Ja, wer das wüßte!
Camille. Im Ernst, wohin?
Danton. Spazieren, mein Junge, spazieren. (Er geht.)
Lucile. Ach, Camille!
Camille. Sei ruhig, lieb Kind!
Lucile. Wenn ich denke, daß sie dies Haupt –! Mein Camille! das ist Unsinn, gelt, ich bin wahnsinnig?
Camille. Sei ruhig, Danton und ich sind nicht eins.
Lucile. Die Erde ist weit, und es sind viel Dinge drauf – warum denn gerade das eine? Wer sollte mir's nehmen? Das wäre arg. Was wollten sie auch damit anfangen?
Camille. Ich wiederhole dir: du kannst ruhig sein. Gestern sprach ich mit Robespierre: er war freundlich. Wir sind ein wenig gespannt, das ist wahr; verschiedne Ansichten, sonst nichts!
Lucile. Such ihn auf!
Camille. Wir saßen auf einer Schulbank. Er war immer finster und einsam. Ich allein suchte ihn auf und machte ihn zuweilen lachen. Er hat mir immer große Anhänglichkeit gezeigt. Ich gehe.
Lucile. So schnell, mein Freund? Geh! Komm! Nur das (sie küßt ihn) und das! Geh! Geh! (Camille ab.)
Das ist eine böse Zeit. Es geht einmal so. Wer kann da drüber hinaus? Man muß sich fassen.
(Singt:)
Ach Scheiden, ach Scheiden, ach Scheiden,
Wer hat sich das Scheiden erdacht?
Wie kommt mir grad das in Kopf? Das ist nicht gut, daß es den Weg so von selbst findet. – Wie er hinaus ist, war mir's, als könnte er nicht mehr umkehren und müsse immer weiter weg von mir, immer weiter.
Wie das Zimmer so leer ist; die Fenster stehn offen, als hätte ein Toter drin gelegen. Ich halt es da oben nicht aus. (Sie geht.)
Freies Feld
Danton. Ich mag nicht weiter. Ich mag in dieser Stille mit dem Geplauder meiner Tritte und dem Keuchen meines Atems nicht Lärm machen. (Er setzt sich nieder; nach einer Pause:)
Man hat mir von einer Krankheit erzählt, die einem das Gedächtnis verlieren mache. Der Tod soll etwas davon haben. Dann kommt mir manchmal die Hoffnung, daß er vielleicht noch kräftiger wirke und einem alles verlieren mache. Wenn das wäre! – Dann lief ich wie ein Christ, um einen Feind, d. h. mein Gedächtnis, zu retten.
Der Ort soll sicher sein, ja für mein Gedächtnis, aber nicht für mich; mir gibt das Grab mehr Sicherheit, es schafft mir wenigstens Vergessen. Es tötet mein Gedächtnis. Dort aber lebt mein Gedächtnis und tötet mich. Ich oder es? Die Antwort ist leicht. (Er erhebt sich und kehrt um.)
Ich kokettiere mit dem Tod; es ist ganz angenehm, so aus der Ferne mit dem Lorgnon mit ihm zu liebäugeln.
Eigentlich muß ich über die ganze Geschichte lachen. Es ist ein Gefühl des Bleibens in mir, was mir sagt: es wird morgen sein wie heute, und übermorgen und weiter hinaus ist alles wie eben. Das ist leerer Lärm, man will mich schrecken; sie werden's nicht wagen! (Ab.)
Ein Zimmer
Es ist Nacht.
Danton (am Fenster). Will denn das nie aufhören? Wird das Licht nie ausglühn und der Schall nie modern? Will's denn nie still und dunkel werden, daß wir uns die garstigen Sünden einander nicht mehr anhören und ansehen? – September! –
Julie (ruft von innen). Danton! Danton!
Danton. He?
Julie (tritt ein). Was rufst du?
Danton. Rief ich?
Julie. Du sprachst von garstigen Sünden, und dann stöhntest du: September!
Danton. Ich, ich? Nein, ich sprach nicht; das dacht' ich kaum, das waren nur ganz leise, heimliche Gedanken.
Julie. Du zitterst, Danton!
Danton. Und soll ich nicht zittern, wenn so die Wände plaudern? Wenn mein Leib so zerteilt ist, daß meine Gedanken unstet, umirrend mit den Lippen der Steine reden? Das ist seltsam.
Julie. Georg, mein Georg!
Danton. Ja, Julie, das ist sehr seltsam. Ich möchte nicht mehr denken, wenn das gleich so spricht. Es gibt Gedanken, Julie, für die es keine Ohren geben sollte. Das ist nicht gut, daß sie bei der Geburt gleich schreien wie Kinder; das ist nicht gut.
Julie. Gott erhalte dir deine Sinne! – Georg, Georg, erkennst du mich?
Danton. Ei warum nicht! Du bist ein Mensch und dann eine Frau und endlich meine Frau, und die Erde hat fünf Weltteile, Europa, Asien, Afrika, Amerika, Australien, und zwei mal zwei macht vier. Ich bin bei Sinnen, siehst du. – Schrie's nicht September? Sagtest du nicht so was?
Julie. Ja, Danton, durch alle Zimmer hört ich's.
Danton. Wie ich ans Fenster kam – (er sieht hinaus:) die Stadt ist ruhig, alle Lichter aus...
Julie. Ein Kind schreit in der Nähe.
Danton. Wie ich ans Fenster kam – durch alle Gassen schrie und zetert' es: September!
Julie. Du träumtest, Danton. Faß dich!
Danton. Träumtest? Ja, ich träumte; doch das war anders, ich will dir es gleich sagen – mein armer Kopf ist schwach – gleich! So, jetzt hab ich's: Unter mir keuchte die Erdkugel in ihrem Schwung; ich hatte sie wie ein wildes Roß gepackt, mit riesigen Gliedern wühlt' ich in ihren Mähnen und preßt' ich ihre Rippen, das Haupt abwärts gewandt, die Haare flatternd über dem Abgrund; so ward ich geschleift. Da schrie ich in der Angst, und ich erwachte. Ich trat ans Fenster – und da hört' ich's, Julie.
Was das Wort nur will? Warum gerade das? Was hab ich damit zu schaffen? Was streckt es nach mir die blutigen Hände? Ich hab es nicht geschlagen. – O hilf mir, Julie, mein Sinn ist stumpf! War's nicht im September, Julie?
Julie. Die Könige waren nur noch vierzig Stunden von Paris...
Danton. Die Festungen gefallen, die Aristokraten in der Stadt...
Julie. Die Republik war verloren.
Danton. Ja, verloren. Wir konnten den Feind nicht im Rücken lassen, wir wären Narren gewesen: zwei Feinde auf einem Brett; wir oder sie, der Stärkere stößt den Schwächeren hinunter – ist das nicht billig?
Julie. Ja, ja.
Danton. Wir schlugen sie – das war kein Mord, das war Krieg nach innen.
Julie. Du hast das Vaterland gerettet.
Danton. Ja, das hab ich; das war Notwehr, wir mußten. Der Mann am Kreuze hat sich's bequem gemacht: es muß ja Ärgernis kommen, doch wehe dem, durch welchen Ärgernis kommt! – Es muß; das war dies Muß. Wer will der Hand fluchen, auf die der Fluch des Muß gefallen? Wer hat das Muß gesprochen, wer? Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet?
Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst! die Schwerter, mit denen Geister kämpfen – man sieht nur die Hände nicht, wie im Märchen. – Jetzt bin ich ruhig.
Julie. Ganz ruhig, lieb Herz?
Danton. Ja, Julie; komm, zu Bette!
Straße vor Dantons Haus
Simon. Bürgersoldaten.
Simon. Wie weit ist's in der Nacht?
Erster Bürger. Was in der Nacht?
Simon. Wie weit ist die Nacht?
Erster Bürger. So weit als zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang.
Simon. Schuft, wieviel Uhr?
Erster Bürger. Sieh auf dein Zifferblatt; es ist die Zeit, wo die Perpendikel unter den Bettdecken ausschlagen.
Simon. Wir müssen hinauf! Fort, Bürger! Wir haften mit unseren Köpfen dafür. Tot oder lebendig! Er hat gewaltige Glieder. Ich werde vorangehn, Bürger. Der Freiheit eine Gasse! – Sorgt für mein Weib! Eine Eichenkrone werd ich ihr hinterlassen.
Erster Bürger. Eine Eichelkrone? Es sollen ihr ohnehin jeden Tag Eicheln genug in den Schoß fallen.
Simon. Vorwärts, Bürger, ihr werdet euch um das Vaterland verdient machen!
Zweiter Bürger. Ich wollte, das Vaterland machte sich um uns verdient; über all den Löchern, die wir in andrer Leute Körper machen, ist noch kein einziges in unsern Hosen zugegangen.
Erster Bürger. Willst du, daß dir dein Hosenlatz zuginge? Hä, hä, hä!
Die andern. Hä, hä, hä!
Simon. Fort, fort! (Sie dringen in Dantons Haus.)
Der Nationalkonvent
Eine Gruppe von Deputierten.
Legendre. Soll denn das Schlachten der Deputierten nicht aufhören? – Wer ist noch sicher, wenn Danton fällt?
Ein Deputierter. Was tun?
Ein anderer. Er muß vor den Schranken des Konvents gehört werden. – Der Erfolg dieses Mittels ist sicher; was sollten sie seiner Stimme entgegensetzen?
Ein anderer. Unmöglich, ein Dekret verhindert uns.
Legendre. Es muß zurückgenommen oder eine Ausnahme gestattet werden. – Ich werde den Antrag machen; ich rechne auf eure Unterstützung.
Der Präsident. Die Sitzung ist eröffnet.
Legendre (besteigt die Tribüne). Vier Mitglieder des Nationalkonvents sind verflossene Nacht verhaftet worden. Ich weiß, daß Danton einer von ihnen ist, die Namen der übrigen kenne ich nicht. Mögen sie übrigens sein, wer sie wollen, so verlange ich, daß sie vor den Schranken gehört werden.
Bürger, ich erkläre es: ich halte Danton für ebenso rein wie mich selbst, und ich glaube nicht, daß mir irgendein Vorwurf gemacht werden kann. Ich will kein Mitglied des Wohlfahrts- oder des Sicherheitsausschusses angreifen, aber gegründete Ursachen lassen mich fürchten, Privathaß und Privatleidenschaft möchten der Freiheit Männer entreißen, die ihr die größten Dienste erwiesen haben. Der Mann, welcher im Jahre 1792 Frankreich durch seine Energie rettete, verdient gehört zu werden; er muß sich erklären dürfen, wenn man ihn des Hochverrats anklagt. (Heftige Bewegung.)
Einige Stimmen. Wir unterstützen Legendres Vorschlag.
Ein Deputierter. Wir sind hier im Namen des Volkes; man kann uns ohne den Willen unserer Wähler nicht von unseren Plätzen reißen.
Ein anderer. Eure Worte riechen nach Leichen; ihr habt sie den Girondisten aus dem Munde genommen. Wollt ihr Privilegien? Das Beil des Gesetzes schwebt über allen Häuptern.
Ein anderer. Wir können unsern Ausschüssen nicht erlauben, die Gesetzgeber aus dem Asyl des Gesetzes auf die Guillotine zu schicken.
Ein anderer. Das Verbrechen hat kein Asyl, nur gekrönte Verbrecher finden eins auf dem Thron.
Ein anderer. Nur Spitzbuben appellieren an das Asylrecht.
Ein anderer. Nur Mörder erkennen es nicht an.
Robespierre. Die seit langer Zeit in dieser Versammlung unbekannte Verwirrung beweist, daß es sich um große Dinge handelt. Heute entscheidet sich's, ob einige Männer den Sieg über das Vaterland davontragen werden. – Wie könnt ihr eure Grundsätze weit genug verleugnen, um heute einigen Individuen das zu bewilligen, was ihr gestern Chabot, Delaunai und Fahre verweigert habt? Was soll dieser Unterschied zugunsten einiger Männer? Was kümmern mich die Lobsprüche, die man sich selbst und seinen Freunden spendet? Nur zu viele Erfahrungen haben uns gezeigt, was davon zu halten sei. Wir fragen nicht, ob ein Mann diese oder jene patriotische Handlung vollbracht habe; wir fragen nach seiner ganzen politischen Laufbahn. – Legendre scheint die Namen der Verhafteten nicht zu wissen; der ganze Konvent kennt sie. Sein Freund Lacroix ist darunter. Warum scheint Legendre das nicht zu wissen? Weil er wohl weiß, daß nur die Schamlosigkeit Lacroix verteidigen kann. Er nannte nur Danton, weil er glaubt, an diesen Namen knüpfe sich ein Privilegium. Nein, wir wollen keine Privilegien, wir wollen keine Götzen! (Beifall.)
Was hat Danton vor Lafayette, vor Dumouriez, vor Brissot, Fabre, Chabot, Hébert voraus? Was sagt man von diesen, was man nicht auch von ihm sagen könnte? Habt ihr sie gleichwohl geschont? Wodurch verdient er einen Vorzug vor seinen Mitbürgern? Etwa, weil einige betrogene Individuen und andere, die sich nicht betrügen ließen, sich um ihn reihten, um in seinem Gefolge dem Glück und der Macht in die Arme zu laufen? – Je mehr er die Patrioten betrogen hat, welche Vertrauen in ihn setzten, desto nachdrücklicher muß er die Strenge der Freiheitsfreunde empfinden.
Man will euch Furcht einflößen vor dem Mißbrauche einer Gewalt, die ihr selbst ausgeübt habt. Man schreit über den Despotismus der Ausschüsse, als ob das Vertrauen, welches das Volk euch geschenkt und das ihr diesen Ausschüssen übertragen habt, nicht eine sichre Garantie ihres Patriotismus wäre. Man stellt sich, als zittre man. Aber ich sage euch, wer in diesem Augenblicke zittert, ist schuldig; denn nie zittert die Unschuld vor der öffentlichen Wachsamkeit. (Allgemeiner Beifall.)
Man hat auch mich schrecken wollen; man gab mir zu verstehen, daß die Gefahr, indem sie sich Danton nähere, auch bis zu mir dringen könne. Man schrieb mir, Dantons Freunde hielten mich umlagert, in der Meinung, die Erinnerung an eine alte Verbindung, der blinde Glauben an erheuchelte Tugenden könnten mich bestimmen, meinen Eifer und meine Leidenschaft für die Freiheit zu mäßigen. – So erkläre ich denn: nichts soll mich aufhalten, und sollte auch Dantons Gefahr die meinige werden. Wir alle haben etwas Mut und etwas Seelengröße nötig. Nur Verbrecher und gemeine Seelen fürchten, ihresgleichen an ihrer Seite fallen zu sehen, weil sie, wenn keine Schar von Mitschuldigen sie mehr versteckt, sich dem Licht der Wahrheit ausgesetzt sehen. Aber wenn es dergleichen Seelen in dieser Versammlung gibt, so gibt es in ihr auch heroische. Die Zahl der Schurken ist nicht groß; wir haben nur wenige Köpfe zu treffen, und das Vaterland ist gerettet. (Beifall.)
Ich verlange, daß Legendres Vorschlag zurückgewiesen werde. (Die Deputierten erheben sich sämtlich zum Zeichen allgemeiner Beistimmung.)
St. Just. Es scheint in dieser Versammlung einige empfindliche Ohren zu geben, die das Wort »Blut« nicht wohl vertragen können. Einige allgemeine Betrachtungen mögen sie überzeugen, daß wir nicht grausamer sind als die Natur und als die Zeit. Die Natur folgt ruhig und unwiderstehlich ihren Gesetzen; der Mensch wird vernichtet, wo er mit ihnen in Konflikt kommt. Eine Änderung in den Bestandteilen der Luft, ein Auflodern des tellurischen Feuers, ein Schwanken in dem Gleichgewicht einer Wassermasse und eine Seuche, ein vulkanischer Ausbruch, eine Überschwemmung begraben Tausende. Was ist das Resultat? Eine unbedeutende, im großen Ganzen kaum bemerkbare Veränderung der physischen Natur, die fast spurlos vorübergegangen sein würde, wenn nicht Leichen auf ihrem Wege lägen.
Ich frage nun: soll die geistige Natur in ihren Revolutionen mehr Rücksicht nehmen als die physische? Soll eine Idee nicht ebensogut wie ein Gesetz der Physik vernichten dürfen, was sich ihr widersetzt? Soll überhaupt ein Ereignis, was die ganze Gestaltung der moralischen Natur, das heißt der Menschheit, umändert, nicht durch Blut gehen dürfen? Der Weltgeist bedient sich in der geistigen Sphäre unserer Arme ebenso, wie er in der physischen Vulkane und Wasserfluten gebraucht. Was liegt daran, ob sie an einer Seuche oder an der Revolution sterben?
Die Schritte der Menschheit sind langsam, man kann sie nur nach Jahrhunderten zählen; hinter jedem erheben sich die Gräber von Generationen. Das Gelangen zu den einfachsten Erfindungen und Grundsätzen hat Millionen das Leben gekostet, die auf dem Wege starben. Ist es denn nicht einfach, daß zu einer Zeit, wo der Gang der Geschichte rascher ist, auch mehr Menschen außer Atem kommen?
Wir schließen schnell und einfach: Da alle unter gleichen Verhältnissen geschaffen werden, so sind alle gleich, die Unterschiede abgerechnet, welche die Natur selbst gemacht hat; es darf daher jeder Vorzüge und darf daher keiner Vorrechte haben, weder ein einzelner noch eine geringere oder größere Klasse von Individuen. – Jedes Glied dieses in der Wirklichkeit angewandten Satzes hat seine Menschen getötet. Der 14. Juli, der 10. August, der 31. Mai sind seine Interpunktionszeichen. Er hatte vier Jahre Zeit nötig, um in der Körperwelt durchgeführt zu werden, und unter gewöhnlichen Umständen hätte er ein Jahrhundert dazu gebraucht und wäre mit Generationen interpunktiert worden. Ist es da so zu verwundern, daß der Strom der Revolution bei jedem Absatz, bei jeder neuen Krümmung seine Leichen ausstößt?
Wir werden unserm Satze noch einige Schlüsse hinzuzufügen haben; sollen einige hundert Leichen uns verhindern, sie zu machen? – Moses führte sein Volk durch das Rote Meer und in die Wüste, bis die alte verdorbne Generation sich aufgerieben hatte, eh' er den neuen Staat gründete. Gesetzgeber! Wir haben weder das Rote Meer noch die Wüste, aber wir haben den Krieg und die Guillotine.
Die Revolution ist wie die Töchter des Pelias: sie zerstückt die Menschheit, um sie zu verjüngen. Die Menschheit wird aus dem Blutkessel wie die Erde aus den Wellen der Sündflut mit urkräftigen Gliedern sich erheben, als wäre sie zum ersten Male geschaffen. (Langer, anhaltender Beifall. Einige Mitglieder erheben sich im Enthusiasmus.)
Alle geheimen Feinde der Tyrannei, welche in Europa und auf dem ganzen Erdkreise den Dolch des Brutus unter ihren Gewändern tragen, fordern wir auf, diesen erhabnen Augenblick mit uns zu teilen. (Die Zuhörer und die Deputierten stimmen die Marseillaise an.)