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II. Die blutigen Wunden

Prinzessin Euphemia hat ihre Magd zur Ruhe geschickt, um mit ihren Kindern und mit ihren Gedanken allein zu sein. Nun steht sie am offenen Fenster und schaut in die helle Nacht hinaus.

Die Stadt da drunten ist zur Ruhe gegangen. Der Mond tritt aus den Wolken. Dicht bei ihm funkelt seltsam fahl ein einsamer Stern. Ein Hund bellt das Licht an, und in des Schloßvogts Wiesenteich quaken die Frösche im Chor. Ein milder Hauch vom Meere her trägt den Duft der Apfelblüten durchs offene Fenster in die Kammer herein, wo er sich mit der halbmodrigen Luft vermischt, über die man bei der überstürzten Auslüftung der Zimmer in dem alten Flügel nicht Herr geworden war.

Euphemia empfindet diese Luft wie einen beklemmenden Druck auf der Brust. Sie streicht sich das glänzende schwarze Haar, das ihr über die Schläfe hereingefallen ist, mit den schmalen, weißen Händen zurück und atmet tief auf.

Erik wirft sich unruhig in seiner Wiege hin und her und weint dazwischen ein wenig. Margarete, die auf dem Ruhebett zwischen den Fenstern liegt, scheint die Luft nicht zu beengen; ihre kleine Brust, von der sie bei der drückenden Hitze die Decke zurückgeschlagen hat, hebt und senkt sich in regelmäßigen Zügen.

Sie ist auch zwei Jahre älter als der Junge und von ruhigem Gemüt, denn als sie erwartet wurde, im ersten Jahr ihrer Ehe, da war das Leben noch hell und die Verhältnisse für alle leicht gewesen. Dagegen haben bei Erik die bösen Säfte ein gar leichtes Spiel, denn als sie ihn unter dem Herzen trug, wurden sie von Ort zu Ort gejagt und wußten sich niemals sicher vor der Bosheit der Verleumdung, die der Marschall und andere von König Eriks Mannen ewig gegen sie aufbrachten. Damals hatten sie das böse Gerücht verbreitet, der Prinz habe durch Hexerei und Zaubersprüche den neugeborenen Sohn des Königs, seines Bruders, umgebracht, damit das Kind, das sie – Euphemia – gebären würde, ein Junge werde und das Königreich nach seinem Vater erbe.

Nun wimmert der Junge und hebt den Kopf nach seiner Mutter.

Euphemia läßt sich neben der Wiege auf die Knie nieder und heftet ihre großen, dunklen Augen ängstlich forschend auf seine roten Wangen, während sie ihn leise einhüllt und die Wiege schaukelt. Sie drückt ihre weiche Wange an seine Stirne, um zu fühlen, wie heiß sie ist.

Wenn er nur nicht ernstlich krank wird in diesem alten, unheimlichen Gemach mit der brütenden Dunkelheit in dem düsteren Kamin dort in der Ecke – und dem großen Himmelbett mit den Löwenköpfen auf den Bettpfosten, die ihre schrägen Schatten an der angelehnten Turmtüre ganz hinaufwerfen.

Sie sendet der elfenbeineren Madonna mit dem Christuskinde dort über dem Rauchkessel an der Wand einen flehenden Blick zu. Dann steht sie auf, taucht ihre Finger ein und netzt mit dem Weihwasser vorsichtig die unruhigen Augenlider des Knaben.

Da dringt durchs offene Fenster Geigen- und Flötenklang vom Rittersaal her, wo der König und der Prinz und deren Mannen beim Versöhnungsmahl versammelt sind. Nun wird da drüben zu dem ernsten, traurigen Ton schon getanzt.

Euphemia lauscht. Ja – das ist die Weise von Buris und Klein Kirsten.

Hin und her geht der Tanz – hin und her – und im Kreise herum.

Sie macht ein paar Schritte mit im Takt. Ihre großen, dunklen Augen lachen, und die kurze, weiche Oberlippe mit dem feinen Flaumschatten verzieht sich in schmerzlicher Sehnsucht. Einen Augenblick wünscht sie sich da hinunter, fort von ihren Kindern.

Sie fühlt sich auf einmal so leicht und frei, als sei alles Schwere von ihren Schultern, jeder Druck von ihrer Stirne hinweggenommen. Die Brust dehnt sich, und sie öffnet die Arme weit dem Leben entgegen, legt sie dann aber langsam unter ihrem Nacken wieder zusammen. Seltsam fahl funkelt der eine Stern.

Ob sich am Ende nicht das Glück ihnen zugewandt hat an diesem Tag?

Hat er sich doch jetzt bei des Heilands blutigen Wunden rein gemacht, so frei und rein wie das Kind in der Wiege – hat er nicht den Marschall und den Truchseß und deren herbeigerufene norwegische Ohrenbläser beschämt, so daß sie sich zum Feste alle abgemeldet haben, alle miteinander?

Hin und her – und im Kreise herum.

Nun endlich wird es gut werden zwischen dem König und ihm – ihrem großen, schönen, unruhigen Mann!

Still! – Schritte ertönen auf der Treppe. Kommt er schon?

Sie hört, wie die Türklinke im Turmzimmer nebenan geöffnet wird, und nun fällt der Schein einer Kerze durch die Türöffnung herein.

Sie treten hart auf den Steinboden – wenn sie nur den Jungen nicht aufwecken! Deutlich vernimmt sie jedes Wort.

»Wir nennen ihn auch den Buristurm –«

Die Stimme des Schloßvogts ist es, des jungen Bo Falk, der ihnen gestern ihre Zimmer anwies, gleich nach ihrer Ankunft.

»Denn hier saß er, nachdem er hierherberufen worden war, weil er dem König nach dem Leben trachtete.«

»Ich habe davon gehört als Kind,« ertönt nun Christoffers Stimme – mild und huldvoll klingt sie – »seit zwanzig Jahren bin ich nicht mehr in diesem Flügel gewesen; und alles ist noch gerade wie damals.«

Bo Falk zeigt ihm, wo Prinz Buris seinen Namen in die Holzwand geschnitten hat, mit einem Kreuz darüber und darunter. Lang und breit erzählt er mit einer Bierstimme das unglückliche Schicksal des Prinzen.

Nun öffnet sich die Tür. Hinter dem Prinzen tritt Bo Falk mit dem Licht ein und verbeugt sich tief vor Euphemia, die seine Begrüßung stumm erwidert.

Er ist klein und untersetzt. Seine kleinen Augen schauen geradeaus, und der Mund ist von einem ungepflegten, an den Spitzen dunklen Schnurrbart bedeckt. Er hebt den Leuchter hoch, wirft seinen viereckigen Kopf zurück, als sei er es, dem all diese Größe zu eigen gehörte, und indem er auf das große Himmelbett und die roten mottenzerfressenen seidenen Decken deutet, sagt er:

»Seht Ihr« – und er wendet sich an Euphemia, damit auch sie an der Feierlichkeit teilnehmen könne – »seht Ihr das Himmelbett dort – so wie Ihr es dort seht, steht es seit den Tagen Eures berühmten Vorfahren, des hochseligen Königs Waldemar des Siegers. Darin haben er und sein Vater, der große Waldemar, den letzten Atemzug getan.

In plötzlicher halbtrunkener Rührung bekreuzt er sich und fährt fort:

»Gott sei uns allen gnädig in dieser sündigen Zeit. Amen!«

Christoffer streckt ihm gnädig die Hand hin, aber der Schloßvogt tut, als sehe er die dargereichte Hand nicht, verbeugt sich und sagt:

»Ich wünsche Euch, Prinz Christoffer, und Euch, hohe Prinzessin, einen so guten und ruhigen Schlaf, wie unsere liebe Frau Euch gewähren will!«

Dann stellt er den Leuchter auf den Kamin und entfernt sich durchs Turmzimmer.

Kaum ist die Klinke drinnen hinter ihm zugefallen, da streckt Christoffer drohend den Arm nach der Tür aus:

»Der Teufel hole dich und deine Brut, du hochmütiger Sklave!«

Verwundert und fragend betrachtet Euphemia sein zorniges Gesicht mit dem zusammengebissenen Mund.

»Hast du nicht verstanden? – Buris?, – Der Verräter, der Aufrührer! Einen so guten und ruhigen Schlaf, wie unsere liebe Frau Euch gewähren will! – Knecht! Pferdeknecht!« höhnt er rasend nach der geschlossenen Tür. »Ich werde mich an dieses ›Gute Nacht‹ erinnern – ich werde – o ich werde – du kannst es glauben, ich werde! –«

Mit langen, ungleichen Schritten durchmißt er den Raum, als müsse er sich kräftig bewegen, damit ihn die Todmüdigkeit, die ihn umfängt, nicht überwältige. Halblaut macht er seinen Gedanken Luft – Drohungen und Verwünschungen sind darunter. Dann hält er einen Augenblick an, greift unter tiefem Seufzen mit beiden Händen an seine Brust und geht dann weiter mit flackerndem, stechendem Blick unter den zusammengekniffenen Augenlidern.

»Du hättest es sehen sollen – sobald ich mich jemand näherte – gleich trat er zurück, als habe eine giftige Schlange seinen Ärmel berührt! Und der König – mit seinen großen, runden Knabenaugen – glotzte er mich nicht an, als wolle er ergründen, ob der Böse in meinem Leibe sitze und aus meinen Augenhöhlen herausschaue!«

Nun trifft sein flackernder Blick das offene Fenster; und der ganze Auftritt steht wieder vor ihm. Des Erzbischofs gelbe Augen mit dem scharfen Rand – das Antlitz der Mutter Gottes mit dem milden, traurigen Blick – die Blätter der Bibel mit der großen verschnörkelten Schrift.

Und wieder läuft ihm der kalte Schauder über den Rücken, wie in dem Augenblick, wo der Marschall rief:

»Macht das Fenster auf!«

»Schließ das Fenster!« schreit er und stampft mit dem Fuß auf den Boden. Aber ehe Euphemia es erreicht hat, stößt er sie zurück und schlägt es selbst so heftig zu, daß die kleinen Scheiben in ihrer Einfassung klirren.

»Weck den Jungen nicht auf!« bittet Euphemia und streckt ihre Hand nach seinem Arm aus. »Ich fürchte, er ist krank.«

Ohne ein Wort zu sagen, stürzt er neben der Wiege auf die Knie nieder. Sein Blick wird fest, und die Augen mit ihren kleinen Pupillen in dem gelblichen Blau betrachten starr den hastig atmenden Kindermund, die erhitzten Wangen und die hohe gewölbte Stirn, auf der helle Schweißtropfen perlen. Seine Lippen bewegen sich wie im Gebet; er streckt den Arm aus und Euphemia entgegen, die seine Bewegung versteht und seine Hand ergreift. Sie fühlt, daß er denkt, wenn der Junge in dieser Stunde von Krankheit und Tod getroffen würde – warum hätte er dann gestritten und gelitten? Warum hätte er dem Frieden und dem Glück des Lebens abgesagt, wenn nicht, um aufzubauen, was er – der Kleine – einmal weiterführen soll?

Nun schlägt der Junge die Augen auf und starrt erschreckt auf das große, lange Gesicht mit dem dünnen roten Bart. Doch gleich erkennt er den Vater und streckt mit einem plötzlichen Lächeln beide Arme nach ihm aus.

Christoffer lacht. Als schiene die Sonne plötzlich hell und warm ins Zimmer, so lacht er, zieht die Augenbrauen hinauf, sperrt die Lider auf und lacht; hastige, unzusammenhängende Liebkosungsworte murmelt er über des Kindes Gesicht. Dann küßt er es, winkt ihm zu und sagt:

»Schlaf – schlaf nun – schlaf, Erik, mein Junge!«

Indem er sich aus seiner knienden Stellung aufrichtet, fällt sein Blick auf die Madonnenfigur über dem Weihwasser, und wieder ziehen tiefe Schatten über sein Gesicht.

Einen Augenblick betrachtet er forschend Euphemia, die sich, die Hände in dem Schoß, neben Margaretes Kopf auf den Rand des Ruhebettes gesetzt hat.

Dann geht er wieder langsam im Zimmer hin und her, während er mit müden, schwerfälligen Bewegungen anfängt, sich auszukleiden. Seine Augen haften an dem großen Himmelbett, und er denkt an das, was Bo Falk vorhin gesagt hat.

Ja – um ihre Arbeit zu übernehmen – um gutzumachen, was das Geschlecht seit einem Jahrhundert verbrochen hat – um in ihren Fußtapfen zu wandeln – in denen der Großen, der Alten, der Toten – hat er gestritten und gelitten, verraten und erschlichen, verlockt und gedroht. Dem Herzensfrieden und dem Lebensglück hat er abgesagt – war gewesen wie ein jagendes, gejagtes Tier.

Von klein auf war er der Große gewesen – Erik der Kleine – er der Kluge und Beschützende. Er hatte die Kräfte, aber der andere hatte das Recht.

Welch ein leeres und hohles Wort – das Recht!

Das Recht gehört dem, der es sich erzwingt, wie das Weib dem gehört, der versteht, es einzufangen und festzuhalten.

Die unwesentliche Zufälligkeit einer Liebesnacht – die erste Empfängnis – soll die für ein ganzes Leben entscheidend sein – für ein ganzes Geschlecht – für die ganze Welt, die von ihm und Euphemia nun ihren Ursprung erhält?

Was ist das Erstgeburtsrecht gegen das, daß man der stärkste, der klügste ist?

Wie seinem Paten, dem König, so ist auch dem Jungen in der Wiege hier bestimmt, einmal der Erste zu sein. Aber er dann – der nachher kommt – wenn Euphemia ihm noch einen Sohn gebärt – wird sein Schicksal sein, wie das seines Vaters – von der Empfängnis an dazu bestimmt, die rechtlose Nummer zwei zu sein, und sollte er auch die Kraft von zehn Männern und den Verstand von zwölf haben?

Der Prinz bleibt stehen und sieht den Jungen an, der in seiner Wiege liegt mit geöffnetem Mund, die glühenden Rosen des Schlafs auf seinen runden Wangen.

So gesund und rotwangig hat auch einst König Erik geschlafen; und ein anderer ist gekommen – aus demselben Schoß zur Welt geboren – hat ihn beneidet und ihm nach dem Leben getrachtet, um ihm seinen Platz und sein Recht zu nehmen – ein Entarteter – ein Verdammter – ein Kain!

Und dieser andere ist er selbst.

Er faßt mit beiden Händen nach seinem Kopf. Ist es das feurige Schwert, das ihm in den Ohren saust? Ist es das Auge Gottes, das drohend und lähmend auf ihm ruht; so daß er sich in diesem Augenblick geknickt und gedrückt fühlt, wie mit der Wurzel losgerissen – von Frau und Kindern – von der menschlichen Gesellschaft?

Was hätte das Leben nicht für ihn und Euphemia und für ihre Kinder sein können, wenn er aus dem Land geflohen, als einfacher Kreuzfahrer nach dem heiligen Lande gezogen wäre – damals, als er sich mit ihr verband, wenn er abgesagt hätte dem bösen und quälenden Treiben, das König werden zu wollen für den ist, der wohl die Kraft dazu in sich fühlt, dem aber das Recht der Geburt fehlt?

Und nun – heute – nun hat er das letzte Lot auf die Wage des Schicksals gelegt – hat den letzten Wurf getan, den ein Mensch tun kann – seiner Seele Seligkeit hat er zum Pfand gesetzt!

Sollte wirklich für das, was doch nur Worte sind – für diesen Fußfall – für diesen Handschlag – seine Seele einmal an den Ort kommen, wo von Ewigkeit her ein loderndes Feuer bereitet ist?

Und sollte dies, wovon nie jemand irgendeine Botschaft gebracht hat – einem Menschen und seinem Tun Tür und Tor verrammeln?

Todmüde wirft er sich aufs Bett und faltet die Hände unter seinem Kopf, der ihn schmerzt, als ob er mehrere Tage hindurch geschlemmt hätte.

Er zwingt sich, an den morgenden Tag zu denken – an das drohende Betragen des Marschalls – an das Gerücht, das sein Schreiber aufgeschnappt hat, daß man ihm trotz der Reinigung durch den Eid sein Lehen Samsö und Sönderhalland nehmen wolle, wie man ihm damals sein altes Erblehen Estland genommen hatte. Aber immer kehren die Gedanken zu demselben Grauenvollen zurück.

Sein Auge sucht Euphemia. Sie hat ihr Überkleid abgenommen und ist nun damit beschäftigt, die Kinder zur Nacht zuzudecken. Er denkt an die Kleinen, die so ruhig und unangefochten schlafen – aber es hilft alles nichts. Von überall her laufen seine Gedanken zurück zu dem einen – zu dem unfaßlichen, grauenvollen Augenblick, wo er den Eid schwören mußte, und wo der Marschall rief: »Macht das Fenster auf!«

Ein Laut kommt vom Fenster her.

Er wendet den Kopf.

Es steht ja offen, und er glaubte doch, es vorhin geschlossen zu haben!

In diesem Augenblick gleitet eine Wolke vom Monde weg. Neben ihm funkelt seltsam fahl der eine Stern. Da hebt sich auf dem hellen Grund eine dunkle, lebendige Masse, die sich am Fensterrahmen bewegt.

Einen Augenblick hält sie an, dann macht sie einen Buckel wie eine Katze und gleitet lautlos an der Wand nieder – hin nach dem Ruhebett. Schnüffelnd neigt sie den Kopf nach Margaretes Gesicht, wendet sich jedoch hastig ab, schleicht an der Wiege vorüber – nach dem Himmelbett.

Da – da – auf dem hohen Fußende taucht ein Kopf auf – schwarz und haarig und mit dunklen, feurigen Augen! Dann folgt ein Körper.

Da sitzt der Böse auf dem Bettrand, die Krallen fest um die Löwenköpfe geschlungen, und starrt ihn an.

Entsetzt zieht er das Bettuch über den Kopf. Aber die Decke ist wie Glas. Die feurigen Augen starren durch sie hindurch.

»Heilige Jungfrau – Mutter Gottes!« betet er, und seine Zähne klappern um das Bettuch, das er in den Mund gestopft hat. Ach – wenn er das Weihwasser erreichen könnte!

Aber die Mutter Gottes dort an der Wand wendet sich ab. Unter dem Bettuch streckt er die Arme nach ihr aus. Aber sie schüttelt den Kopf und wendet sich ab.

Da steigt ihm alles Blut in den Kopf. Mit der Raserei der Verzweiflung richtet er sich auf den Ellbogen auf und hebt die Beine, um den Bösen von seinem hohen Sitz auf König Waldemars Bett wegzustoßen.

Er stößt in die Luft – denn der Böse schrumpft zusammen zu einem kleinen, schwarzen Tier mit einem langen, dünnen Schwanz, aber der Blick in den glänzenden, garstigen Augen ist noch derselbe, und die Bockshörner sind zu kleinen, spitzigen Ohren geworden. Wie eine große, große Maus sitzt es da und stiert – böse und unrein anzuschauen.

Nun läuft es an der Innenwand des Betts hinunter. Nun springt es auf Christoffers Fuß – seine spitzige Schnauze bohrt sich mit den steifen Bartborsten kitzelnd zwischen die langen Haare an seinem Schienbein.

Nun erreicht es die Weiche – er fühlt das Kratzen der Krallen an seinem Körper wie Nadelstiche.

Er ist von Schrecken gelähmt; in seinem Herzen hämmert das Blut mit heftigen Schlägen, während seine Augen in irrer Angst nach der Madonna mit dem Kind auf dem Arm stieren.

»Jesus – Christus – Freund und Tröster aller Sünder – schaue in Gnaden auf mich!«

Da macht sich das Kind vom Arm der Mutter los. Es hebt sich in die Höhe, schwebt zum Bett heran. Seine Augen gleichen denen Eriks, als wären sie Brüder. Am Fußende wächst es in die Höhe – und plötzlich ist es der große Christus, wie er drüben in der Kirche am Kreuz hängt.

Gleichzeitig zittert das Tier auf seiner Brust. Er fühlt, wie es vor Schrecken bebt, zusammenschrumpft und verschwindet.

Aber der Herr Jesus sieht Christoffer unverwandt zornig und betrübt an. Er streckt ihm die Hände entgegen, zeigt ihm seine blutigen Wunden und sagt:

»Diese hast du mir geschlagen. Aber nun befehle ich den Geistern der Hölle, dich mit ihrem Feuer zu verzehren.«

Dann entschwindet der Tröster vor Christoffers Blick in einem Nebel.

Aber unter dem Bettuch hervor dringen schwarze Tiere, eines nach dem andern. Alle haben lange, dünne Schwänze, in ihren glänzenden Augen leuchtet eine Glut, und nun lodert diese Glut in kleinen, blauen Flammen empor. Sie lecken an seinen Beinen herauf, an seinen Seiten, an seinen Armen; er kann sich ihrer nicht erwehren.

Er wirft sich mit den Armen über Euphemia, die neben ihm liegt und schläft.

»Fasse mich – halte mich – sie brennen mich in der Seele!«

Euphemia erwacht – schlingt ihre Arme um seinen Kopf und betet laut zur Mutter Gottes.

»Nicht zu ihr – sie hilft nicht! Sie kann mich nicht erhören, denn ich habe ihrem Sohn die blutigen Wunden geschlagen – in der Kirche drüben – und nun bin ich für ewig in der Gewalt des Teufels.«

Da läßt ihn Euphemia los. Sie fährt vor ihm zurück, Entsetzen im Herzen und in den großen, starren Augen, während sie an ihre Kinder denkt.

Er tastet nach ihren Händen, nach ihrem Kopf und erfaßt ihr langes, aufgelöstes Haar.

Sie springt aus dem Bett und schüttelt mit dem Kopf, um sich von ihm los zu machen, aber er springt ihr nach, während sich all die Tiere mit den Krallen an ihn anklammern und sich mit ihren spitzigen Zähnen festbeißen, um nicht abgeschüttelt zu werden.

Nun dringen sie ihm bis an die Brust – nun beißt sich eine fest an der Brustwarze, um ihm das teure Herzblut auszusaugen.

»Das Weihwasser – das Weihwasser!« stöhnt er in der äußersten Not.

Euphemia erreicht den Kessel und bespritzt ihn mit dem heiligen Wasser.

Da lassen die Tiere von ihm ab. Es ist, als seien sie in die Erde versunken – durch den Fußboden in die Erde unter ihm.

Neben Eriks Wiege liegt er platt auf dem Boden. Dann hebt er den Kopf über den Rand.

»Erik – Erik!« fleht er, während ihm die Tränen aus den Augen stürzen, »ich rettete dich vor dem Stier – erinnerst du dich im Obstgarten – ich trug dich auf meinem Rücken. Ich rettete dich vor Schlägen, als du den Gottesmann verspottetest, der dich zum Beten zwingen wollte. Erik – um des Heilandes willen – um unserer Mutter willen – vergiß alles – rechne es mir nicht zu, was ich gegen dich getan habe!«

Er sinkt wieder zu Boden, erfaßt den Saum von Euphemias Nachtgewand und führt ihn an den Mund, um ihn zu küssen.

Da wirft sie sich neben ihm nieder, schlingt ihre Arme um seinen Hals, drückt ihn an sich wie ein krankes Kind und legt seinen Kopf in ihren Schoß.

Nun endlich bekommt er Ruhe. Er macht die Augen weit auf und betrachtet verwundert die große, tiefe Liebesfülle in ihrem Blick.

Lange sitzt er so, zusammengekauert, seinen Blick in dem ihrigen.

Friede und Trost fallen wie Tau aus ihren Augen, ergießen sich wie warmes Öl über seine gequälte Seele.

Er nähert seinen Kopf dem ihrigen, macht seine Arme los und umarmt sie. So ruhen sie eng umschlungen auf dem Boden neben des Kindes Wiege.

Durchs Fenster funkelt seltsam fahl der eine Stern.

*

Im nächsten Jahr gebar Euphemia einen Sohn, der in der Taufe den Namen Otto erhielt.


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