Alfred Brust
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Das indische Spiel

(Der exotischen Kulturspiele zweites Stück)

Menschen:

Vaddasin

Vaddasins Mutter

Sananasani

Sananasanis Mutter

Der Priester

Der Fakir

Der Bildner

Der Arzt

Männer und Frauen in Indien


Schauplatz: Die wandernde Zeit


Das Stück wird in langsam abgemessenem Schritte gespielt.

 

Der Priester (spricht mit geschlossenen Händen zum Himmel). Deine ganze Kraft liegt in uns. Ich muß den Geist schärfen, daß ich sie finde. Es rauscht ein Strom, der bist du. Und wir sind der Strom, in dem wir fluten . . .

Vaddasins Mutter (mit Vaddasin auf dem Arme). Dies ist mein Sohn Vaddasin.

Der Priester. Möge er einst durch die Kraft seines Geistes in das Licht des Alls gehoben werden.

Sananasanis Mutter. Diesem Mädchen habe ich das Leben geschenkt.

Der Priester. Gib ihm den Namen Sananasani. Und aus der Fülle der Erleuchtungen, die auf mich zuströmen, vermähle ich zwei junge Menschen für die Zukunft. (Er berührt die Kinder beide.) Es wird viel Schmerz in ihrem Leben sein. Doch sie werden das Höchste schauen! Geht hin in den Tempel und sammelt euch im Geiste Buddhas.

Die Frauen (gehen vorwärts ab).

Der Fakir (tritt auf).

Der Priester. Du starker schöner Mensch! Junger Bruder.

Der Fakir. Ich komme aus der Wildnis und will wert sein, ein Stern in eurer Kaste zu bedeuten . . . 20

Der Priester. Sprich, was du kannst.

Der Fakir. Wer kann sprechen, was er kann? Wer kann beweisen? Man denkt, denkt, denkt! Denkt Menschen und Schicksale! Denkt Menschen ans Licht, denkt Menschen zu Tode. Du hast soeben getan, was ich gedacht habe!

Der Priester. Ich war unfrei. Du bist stärker als ich!

Der Fakir. Ich will zwanzig Jahre auf einem Bein stehn, leiblich ersterben und meinen Geist in Vaddasins Hirn tauchen, auf daß er zu großer Höhe geführt werde und von dort zu größter Höhe gelange. (Er stellt sich auf ein Bein, legt den Oberkörper nach hinten über, die Arme gestreckt zur Höhe.)

Der Bildner (mit einer großen Figur). Ich habe ein Bild gemacht und meinen ganzen Geist hineingelegt. Weihe es mit deinem Geiste, und es ist Gott! (Er stellt das Bild auf.)

Der Priester. Wie schön das ist. Ich will mein Leben lang all mein Fühlen, Sinnen und Trachten in diese Gestalt senken. So soll sie leben zum Schicksal Sananasanis. (Er berührt die Plastik.) Schicksale zu bauen. Das ist die Aufgabe aller Priester und Former! (Er verliert sich schweigend.)

Der Arzt (tritt auf). Du hast Schmerzen . . .

Der Bildner. Ja – du großer Arzt. Berühre mich und sage mir, ob es schon an der Zeit ist, daß ich hingehe . . .

Der Arzt (nimmt die Hand des Bildners und blickt ihm tief ins Auge). Dein Herz pocht in wilden Schlägen. Der Schmerz aber sitzt im Kopfe und sticht wie Messer. Ich fühle ihn so stark wie du . . . 21 Doch ich töte den Schmerz in meinem Hirn und sänftige den Blutdruck in meinem Herzen.

Der Bildner (atmet auf). Alles Weh ist von mir gegangen. Halte mich lange fest, auf daß ich ganz genese!

Der Arzt. Noch andere Menschen wollen gesunden. Suche mich morgen wieder . . . (Er geht.)

Der Bildner (verliert sich).

Der Priester (mit Sananasani und Vaddasin, die zehnjährig geworden sind, an der Hand). Dies ist dein Gott, Sananasani . . . Und dies ist dein Gott, Vaddasin. (Er läßt die Kinder vor den Gestalten stehen.) Seid ernst und versunken in der Nähe eurer Götter. Sie lieben euch und weisen euch den Weg durch euer Leben. (Er geht fort und läßt die Kinder allein.)

Vaddasin. Ich fürchte mich . . .

Sananasani. Wovor fürchtest du dich?

Vaddasin. Das weiß ich nicht. – Zehn Jahre steht mein Gott hier auf einem Bein, hat der Priester gesagt.

Sananasani. Mein Gott denkt jetzt, ich soll fortgehen. –

Vaddasin. Weshalb denkt er das?

Sananasani. Vielleicht kommt eine giftige Schlange und tötet mich, wenn ich hierbleibe.

Vaddasin. Im Angesicht deines Gottes? 22

Sananasani. Ist es denn nicht genug, daß er warnt? (Sie entfernt sich.)

Vaddasin. Es ist möglich. (Er folgt ihr versunken.)

Der Priester. (Er ist älter geworden. Vor dem Bilde aus Holz bleibt er in geschlossener Haltung stehn.) Das wilde Tier im Dschungel wird zahm in meiner Nähe. Vögel sterben in meinem Blick. Es wächst der Strauch zum Baum unter meinem Atem. Menschen siechen hin und sterben vor meinem Willen. Ich lege die Wucht meines Geistes in dieses Bild zum starken Erblühen Sananasanis.

Vaddasin (vierzehnjährig). Ich will Ruhe suchen bei meinem Gott . . . Was marterst Du mich in schlaflosen Nächten! Was läßt du mich weinen, daß die Knospen brechen und die Waldtaube in hohen Wipfeln gurrt und lacht! Schöne Tiere springen fröhlich auf herrlichen Fluren. Inmitten ruhiger Sterne schreitet der silberne Mond. Ich aber weine und weine und lege den Leib in kühles Wasser – und dennoch brennt er . . .

Sananasani (vierzehnjährig). Es reißt mich hierher. Der Duft von Jasmin nimmt mir die Sinne. Gott, Gott, Gott, töte doch meine Qual!

Der Priester. In allen Göttern lebt guter Geist. Reicht euch die Hände im Bewußtsein eurer Götter. Geht in mein Haus und lernt euch kennen.

Vaddasin und Sananasani (reichen einander bebend die Hände, blicken sich starr an und gehen zögernd nach dem Hintergrunde).

Der Arzt (älter geworden). Ein Kaufmann aus Ägypten starb einen schweren Tod, weil er mit seinen eigenen Händen an sich Unzucht getrieben hat. Willst du für ihn beten? 23

Der Priester. Was irre Menschen an sich selbst erfahren, ist immer gut, ist Gebet. Da soll man nicht noch mehr beten.

Vaddasin (mit strahlenden Augen aus dem Hintergrunde). Dazu ist das Weib da!!!! – Wie schön . . . (Er geht weinend vorüber.)

Der Priester und Der Arzt (folgen ihm schweigend ergriffen).

Männer und Frauen (von allen Seiten).

Alter Mann. Dies sind die Götter Vaddasins, des jungen Weisen, und seines Weibes Sananasani.

Junger Mann. Hier wirkt das All Wunder in menschlichen Hirnen.

Eine Frau. Lasset uns schweigen . . .

(Das Volk steht abgeschlossen und versunken.)

Drei Männer (bringen gefesselt einen Mörder). Der hat den Arzt gemordet. Er soll diesen Göttern geopfert werden. (Man drückt den Mörder in die Knie.)

Das Volk (bildet einen Kreis um die Gruppe).

Vaddasin (siebzehnjährig, tritt ernst und langsam hervor). Was ist mit diesem Manne?

Ein Mann. Er soll sein Leben lassen, weil er ein anderes nahm.

Vaddasin. Man zeichne seine Stirn mit einem Brandmal und lasse ihn unter uns. Wir werden ihn der Menschheit wiedergewinnen – und das All nicht unrein belasten. Die Reue ist mehr wert als dieser Tod. 24

Der Mörder (erhebt sich). Dies ist der Tag, da eine neue Zeit anfängt.

Vaddasin (vor seinem Gotte). Ich sauge aus dir, was das All durch deine Form schickt und gebe es geläutert weiter. So kommt reines Denken ans Licht und strömt zu den Menschen, die meiner bedürfen. O brause rastlos Quell hohen Geistes. Und gib meinem Können Klang und Richtung.

Alter Mann. Wir haben Hunger, jugendlicher Priester; ganz menschlichen, ganz irdischen Hunger. Das Volk stirbt ringsher an Entkräftung, und selbst die Starken rafft schlimmste Krankheit hinfort!

Vaddasin. Was geht mich euer Magen an? Opfert gesunde Menschen und lasset sie euch als Nahrung dienen! Aber opfert! Und freßt nicht!

Junge Frau. Er spricht das Grauen!

Das Volk (weicht).

Vaddasin. So werden eure Zahl Seuchen und Hunger mindern. Die Erde will nicht mehr Menschen, als an ihrer Frucht satt werden. Und sie rächt alles Künstliche. Wenn ihr Tiere freßt, weshalb solltet ihr es nicht mit euch selber tun!

(Er ist allein.)

Sananasani. Willst du mich wirklich verlassen, Mann?

Vaddasin. Ich muß, mein Weib! Drei Jahre habe ich genossen, was Süßes an dir ist. Mich ruft das All in die Einsamkeit. Freue dich! Du bist jung und schön. Freue dich deiner Schönheit und meiner Einsamkeit! 25

Sananasani. Ich sterbe daran. Ist dir das gleich . . .

Vaddasin. Wenn du es tun willst, muß es mir gleich sein. Jeder Mensch muß seiner Sehnsucht folgen. O laß mich! (Das Holzbild berstet auseinander.)

Sananasani (sinkt um und stirbt).

Der Priester (sehr alt). Sananasani! . . . (Zum Götzen Fakir) Du bist stärker als ich!

Der Fakir (sinkt lautlos zusammen).

Vaddasin. Was bin ich? Mir schwimmt das Auge. War ich denn nur ein Erzeuger von Gedanken für das Hirn eines höheren Menschen? (Zum Priester) Sprich, was ich war?

Der Priester. Ein Werkzeug Gottes!

Vaddasin (beugt sich über Sananasani, sinkt hin und stirbt).

Der Fakir (wächst und wird groß und lebend). Ich habe das All geschaut. Jetzt bin ich ein Weiser.

Der Priester. Zwei Blumen brachen . . .

Der Fakir. Sterben und Werden, das ist das gleiche. Weshalb sollen nicht hundert Blumen brechen, um ihre Säfte zur Schönheit einer einzigen hinzuströmen!! Denn die Kraft bleibt! (Er hebt die Hände zum Himmel.) Es rauscht ein Strom, der bist du . . . Und wir sind der Strom, in dem wir fluten . . .

 


 


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