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Als Jula in der Frühe des nächsten Tages vor die Pflanzung trat den Segen der Sonne zu empfangen und ihn demütig der Erde anzubieten aus ihrem Frauenleben heraus, geschah das mit einer besonderen Fröhlichkeit, über deren Ursprung sie sich nicht klar werden konnte. Schon angekleidet hatte sie sich mit einem festlichen Empfinden, ja, wenn sie weiter zurückfühlte, kam es ihr vor, als sei sie bereits mit einem königlichen Erlebnis im Hintergrunde erwacht.
Nachdem sie dem Pferdchen den Hafer und den Häcksel zugeschüttet hatte, ging sie daran das Kapellen-Körbchen zu besorgen. Und als sie daran war, die Milch in die kleine Kanne zu gießen, hielt sie betroffen inne. Denn dieser weiße Nahrungsborn erinnerte sie mit einem fühlbaren Ruck an den hellen Traum, den sie in der Nacht gehabt. Doch es war keine geschlossene Erinnerung, vielleicht war es gar kein geschlossener Traum gewesen. Nur ein weißes Bild hatte sich aus der Nacht in den Tag 120 herübergehoben, ein Bild, das vielleicht nicht einmal ein Traum gewesen war, sondern nur eine Erscheinung zwischen Schlummer, Erwachen und wieder Schlummer, die sich merkwürdig und nachdrücklich über die Augenrinde gelegt hatte.
Die Erscheinung aber war so: in einem weißen Raum ohne Anfang und Ende stand der Geliebte ganz bar jeder Bekleidung; und sein Körper war ebenfalls weiß wie Schnee und schien hinüberzufließen in das weiße, helle Sein, das ihn umgab. Er stand ergeben, geduldig, und es waren keine Merkmale eines Geschlechts an ihm wahrzunehmen. Da trat aus dem flutenden Licht der Innige auf ihn zu, angetan mit einem weißen Umhang und auf dem Kopf einen weißen Turm. In Händen hielt er eine Krone aus blendendem Silber. Und diese Krone legte er dem erschütterten Jüngling lächelnd aufs Haupt. Und sprach hohe Worte, die Jula empfunden, aber vergessen hatte. Das Bild war verronnen. Schmerzhaft suchte sie sich dieser Worte zu erinnern. Es gelang ihr nicht. Sie klagte sich gleichgültiger Unachtsamkeit an.
Während sie die Milch in die kleine Kanne laufen ließ, erschrak sie vor einem Schatten, der am Küchenfenster auftauchte. Es war Jutt, der ihr freundlich zulachte und mit spaßiger Freude seine Nase an der Scheibe neugierig breitquetschte. Dann trommelte der Unbändige mit beiden Fäusten gegen das Glas, daß es zu zerspringen drohte und 121 das freudig überraschte Mädchen herzusprang, um das Fenster zu öffnen.
Jula überkam es dabei beglückt, daß auch eine Glasscheibe noch Trennung war von Mensch zu Mensch, wie es hinwiederum auch Zustände gab, geben mußte, in denen schreckliche Entfernungen und dicke Mauern kein Gefühl von Trennung aufkommen lassen konnten.
»Wir brauchen heut kein Frühstück,« rief Jutt und streckte ihr die Hand entgegen. »Der Innige ist schon lange tiefer hineingegangen in den Wald, um sich mit einigen besonderen Baumgeistern zu besprechen. Das ist schon so ein Mann! Haha!!«
»Und ihr habt nichts gegessen und getrunken!« sagte Jula besorgt.
»Oh! Wir haben Brot gegessen. Es ist noch viel Brot da. Dann haben wir uns auf den Bauch gelegt und eine halbe Stunde den Morgentau von den Gräsern geleckt. Auch frischen Sauerampfer gab es auf der Wiese. Die Frösche ließ ich heute noch so weghopsen. Nächstes Mal werde ich sie greifen und ihnen ihre schmackhaften Beine ausreißen. Man darf so viel kostbares Essen nicht nutzlos umherhüpfen lassen.«
Jula schlug sich schüttelnd die Hände vors Gesicht und lief aus der Küche. Und da sie nicht ins Freie kam und Jutt nie mehr vor seiner Ehereinheit das Haus betreten wollte, begann er sich auf dem Hof umzusehen. Er öffnete 122 Türen und Verschläge und sah hinein. Aber meistens enthielten die Gelässe Gegenstände, die auf diesem Anwesen nicht mehr gebraucht wurden. In seinem Sinne »lebendig« war nur die große Holzkammer und der Futterraum. Das Pferdchen wieherte ihn warm an und sah nach dem Wassereimer, der im Gange stand.
Das Geschöpf hat Durst – dachte er und nahm den Eimer, begab sich zur Pumpe und trug dann den Pferdewein in den Stall. Er hatte tiefe Freude daran, wie das Tier bedächtig das Wasser aufsog. Aber diese Freude wurde jäh unterbrochen
Hochrot im Gesicht kam Jula in den Verschlag gestürzt. Sie war aus irgendeinem Grunde tief verletzt – das sah Jutt sofort. Bald hätte er den Eimer fallen gelassen. Sie drängte ihn zur Seite, indem sie selber den Eimer ergriff.
»Verzeih schon, daß ich verzögert habe dem Pferd das Saufen zu geben,« warf sie spitz und gereizt hin. »Du wirst mich nie mehr zu erinnern haben!« Ihre kleine Wut kämpfte mit Tränen.
Jutt setzte sich ganz erstaunt auf den niedrigen Schemel, der im Gange stand, dachte mit verwunderter Neugierde diese lebendige Szene durch und erhob sich energisch.
»Liebe Jula,« sagte er leise, sagte es zitternd in der Stimme, »so wollen wir nie wieder im Leben handeln! Das muß unser höchstes Gebot sein! Einteilung von 123 Arbeit ist Unsinn. Es sei denn, daß es zwei oder fünf Minuten vor dieser Arbeit geschieht. Und auch dann noch sind Ausnahmen gestattet. Wer davorsteht, faßt an. Faßt an mit der innigen Freude, mit der ich diesen Eimer zur Hand nahm. Eine Handreichung, die man dem geliebten Menschen, die man überhaupt einem Menschen abnimmt, darf nie aus dem Grunde entspringen diesem Mitmenschen einen Vorwurf in die Seele zu malen!«
Jula trat vor, ließ den Eimer fallen und sank an die Brust des Geliebten. Sie weinte und schluchzte.
»Ich bin so zerbrochen,« hauchte sie.
Jutt fuhr ihr derb mit der Hand übers Haar, nahm ihr Gesicht zwischen seine energischen Hände.
»Wir haben ein Boot. Und mit Rudern! Das hast du mir noch nicht gesagt! Laß uns das Boot auf den Teich bringen!«
Und Jutt sah zu, wie man ein Pferd aufschirrt. Er öffnete die Tür zum Gelaß, in dem das Boot auf einem niederen Wäglein stand. Es war ein treffliches Boot. Und Jula war mit Feuereifer dabei. Mit Hüh und Hott wurde es an den Teich hinuntergeschafft.
Doch es wollte nicht vom Wäglein ab in das Wasser rutschen. Zu heben zwangen es beide nicht.
»Schmierseife! Wenn man Schmierseife hätte,« sagte Jutt.
Jula lief schon.
124 Der Jüngling stallte inzwischen das Roß wieder ein.
Und endlich war der Kahn zu Wasser gebracht. Die Freude bezahlte die Mühe reich. Noch nie war Jula so auf dem Wasser gefahren, denn im Ausholen der Riemen war Jutt ein Meister. Er setzte sie so genau ins Wasser, daß es ganz lautlos war – und hob sie wieder herauf, daß auch nicht ein Spritzer oder Tropfen von der Breite aufgerührt wurde. Dabei schoß das Fahrzeug über die blanke Fläche dahin, als würde es von unsichtbaren Händen vorwärtsgestoßen.
Jula hielt achtern das Ruder. Der Jüngling freute sich, daß sie so sicher lenkte. Er fragte nach schönen Stellen im Oberlauf des Flusses. Das Mädchen nickte ihm glücklich zu.
Als sie den Teich verlassen hatten und zwischen den nahen Ufern dahinglitten, nahm Jutt von der Flußmitte erst wahr, in welcher schönen Landschaft er sich befand. Was Lieblicheres konnte es geben als dieses Bild vor seinem seligen Blick!? Ganz im Hintergrunde träumte die Wassermühle. Der Spiegel des Teiches erstrahlte im weißen Sonnenlicht. Und die Flußmündung war umrahmt von zwei Gruppen uralter Pappeln, hinter denen sogleich die Ufer begannen steil anzusteigen. Und dicht vor ihm saß das reizende Geschöpf mit den großen Augen des Wartens.
Es war ein warmer Tag. Wo sie Ausblick hatten auf eine Waldwiese zitterte die Luft. Er freute sich über die 125 blumigen Matten. Hier gab es noch Blumen. Künstlicher Dung und Kohlenstaub waren noch nicht bis hier gekommen. Aus den ragenden Wipfeln rief der Vogel Bülow seine volle Melodie. Durch die kleinen Lichtungen ging der scheue Schritt verhoffender Rehe. Und aus der Ferne zählte ein Kuckuck fremde Jahre.
Nur etwas fehlte in dieser Landschaft, empfand der Jüngling. Der nackte, reine Mensch fehlte, der sie erst vollkommen machte.
Jula sah offenbar wenig von allem. Sie saß und sah schweigend ins Wasser. Recht hatte Jutt beobachtet. Sie saß mit Augen des Wartens. Alles an ihr war Warten. Und so groß war in Augenblicken dies Warten, daß es ihr Schweigen zu sprengen drohte. Und sie glaubte, sie würde sich darob hinterher bitter schämen müssen. Jeder Tag, der verrann, war für ihr Leben verloren. Denn immer drängender, kam es ihr vor, wurde das Bitten und Flehen der unerlösten Englein, die das Mutterherz herbeijammerten, darunter sie getragen werden wollten. Und wieviel denn konnte eine einzige Mutter wohl erlösen? Von dreißig Kindern, die eine Frau ausgetragen, hatte sie gehört. Und nun verging ein Tag nach dem andern. Sie wußte nicht, ob sie nah oder fern dem Ziel war. Diese Ungewißheit nagte in ihrer Brust. Es war so ein quälender, dumpfer und manchmal auch blanker Schmerz, an dem sie zu zerbrechen drohte. Und von diesem Zerbrechen 126 hatte sie im Stalle ausgerufen. Der junge Mann hatte sie aber nicht verstanden.
Und doch war sehr klarer Blick in ihm. Denn sie fühlte ganz deutlich: er hatte erst den Beweis einer großen reinen Liebe zu erbringen. Um diesen Gegenstand hatte Tante Maria so lange zu Jula geredet, bis in das junge Mädchenhirn ein Grundsatz in furchtbaren Runen stand: Sinnenlust ohne den Hintergrund reiner Liebe von Herz zu Herz tötet das Edle im Menschen und bringt geistigen Tod . . . Und der Geliebte hatte ihr das bestätigt.
In einer seltsamen Bucht hatte Jutt die Riemen eingezogen und ließ den Kahn leise ans Ufer treiben. Haselgebüsch eiferte mit dem jungen Grün. Doch eine breite Stelle des Ufers, die sich zum Hügel hob, war ganz dicht mit frischen saftigen Brennesseln bewachsen.
»Das ist die Nesselschonung,« sagte Jula. »Eine Fabrik hat sie für lange Zeit gepachtet . . . Der Fluß hat einen großen Bogen gemacht. Gleich dort hinten ist die Kapelle.«
Sie schwiegen wieder . . . Aber nach einer Weile schluchzte das Mädchen trocken auf.
Jutt sah der Geliebten gespannt ins Gesicht.
Er wollte aufstehen, aber der Kahn stieß gegen das Land und schwankte.
»Hast du gestern abend gezwungen?« fragte sie gequält und hielt die Hände vor die Augen.
127 Ein heiterer Strahl fiel ihm übers Gesicht und blieb darauf liegen.
»Ja, Jula. Ich habe so sehr gut gezwungen, daß ich glaube den Stein der Weisen, das himmlische Feuer und den Ton der Ewigkeit gefunden zu haben. Und du bist mitten dabei und darin. Es ist eine große, heilige, reine Gewißheit.«
Jula zitterte an allen Gliedern. Heiße Freude schoß ihr jäh in das Antlitz. Oh – sie konnten jetzt wohl vor den Innigen treten und ihn bitten um den gewaltigen Segen! Und er würde dann den Mund öffnen und das Geheimnis lösen, das ihn und Tante Maria umgab. Denn ein Geheimnis lag da verschlossen.
Jutt war an das Land gesprungen. Die ungewohnte Arbeit, der warme Tag hatten ihn heiß gemacht.
»Dieses ist unsere Badestelle,« sagte Jula.
Und der Jüngling die Jungfrau mit überraschter Freude anstarrend, rief aus: »Wollen wir baden!?«
Sie nickte ihm glücklich rasch mehrmals zu. Dann kehrten sie einander den Rücken und entkleideten sich. Fast zu gleicher Zeit sprangen sie in das flache Wasser und blieben dann doch wie in seliger Lähmung voreinander stehen – mit halb erhobenen Händen, mit weitgeöffnetem Blick, mit dem Ausdruck des Unwahrscheinlichen um den Mund. Beider Augen waren bis zum Rande mit Tränen gefüllt. Und plötzlich reichten sie einander die Hände 128 entgegen und sahen sich mit dem zartesten Lächeln in die Augen.
Dann rann Jugend und Mutwille durch ihre glatten Leiber. Sie begannen sich im Wasser zu tummeln. Es war noch etwas kühl. Und sie brauchten heftige Bewegung, um nicht zu frieren oder frösteln. Und es war jedes Wunsch so lange wie möglich in dieser beseligenden Nacktheit beieinander zu bleiben. Als Jula dennoch zu frieren begann, eröffnete sie eine Wasserschlacht. Und diese wurde rasch so heftig, daß mitunter der eine den andern nicht sah. Das Mädchen fühlte bald, daß es unterliegen mußte vor dem leidenschaftlichen Rasen des Mannes. Da ging sie über zu einer so sicheren Verteidigung, die bald Offensive wurde. Denn mit abgezählten Hieben fing sie an das Wasser gegen Jutt in Bewegung zu setzen, in richtigem Takt, vollständig zielsicher. Und jeder Wassersturz klatschte so genau in die Augen des Gegners, daß dieser Schritt für Schritt nach dem Ufer entweichen mußte. Jula hielt im Gefühl des Sieges die Zähne aufeinandergebissen. Ihr Blick stand funkelnd und hart. Und als Jutt auf das Ufer sprang, verharrte sie einen Augenblick lang in der Haltung einer Wasserkönigin. Aber – nur einen Augenblick lang – – –
Denn über Jutt war der Zorn des Mannes und des Mannes Kraft gekommen. Er hob die Arme um mit stählerner Stärke sich aufs neue ins Wasser zu stürzen. 129 Da sah er, wie Jula zurückwankte, wie ihr Gesicht der Ausdruck unsäglicher Angst und Qual überzog, wie ihre Augen dennoch nicht von ihm ließen.
Da – sah – er – an sich – herab! Und da erkannte er den Zustand der Erregung, aus dem heraus seine Kampfwut gewachsen war. Ein Schrei unbändiger Verachtung entrang sich seiner Kehle. Er wandte sich um. Sein Blick fiel auf den Hügel. Er lief ihn hinauf. Und von der Höhe herab ließ er sich den ganzen Abhang hinunterrollen, durch die giftige, saftgrüne Brennesselschonung, mitten hindurch.
Jula schrie auf und lief ihm entgegen. Voll Pein und Schmerz sprang er auf. Von Blasen und Blüten war sein Leib übersät. Und auf Brust und Rücken blutete er aus mehreren Fleisch- oder Hautwunden. Dann stürzte er davon wie gehetzt und sah auch nicht einmal mehr zurück . . .
In der Kapelle sank er in die Arme des Alten. Der küßte ihn leise auf die Stirn, nahm den Krug mit Wasser und ließ darein aus einem Fläschchen ein paar Tropfen fallen. Vor der Tür goß er von diesem Wasser auf die Hände des Jünglings, der sich damit den Körper rieb. Und auch die Wunden wusch der Innige aus und strich dann eine Salbe darein. Und der Jüngling sah zu, wie sich die Wunden schlossen, wie die Nesselbeulen sich glätteten und verschwanden. Und als der Alte dann in den 130 Rest des Wassers noch ein paar Tropfen fallen ließ und den großen Schluck Jutt zum Trinken reichte, spürte dieser ein Feuer durch seine Adern jagen, das ihm einen ungeahnten Schwung und neuen Lebensmut einbrannte. Dennoch wurde er aufs Lager geschickt, wo er sofort entschlief . . .
Erst am Abend erwachte er. Der Innige saß und schrieb mit einem Stift in ein Buch.
Da fuhr Jutt auf. Er hörte die Schritte Julas. Sie stand vor der Tür. Ganz rasch klopfte sie. Und eilig entfernte sich wieder das Auftreten ihrer bebenden Füße.
Der Innige ging hinaus. Das Körbchen brachte er herein. Und er wies mit der Hand Jutt zur Tür. In seine Decke gehüllt folgte er der Weisung. Und er erschrak draußen.
Da hing fein säuberlich sein kurzer schwarzer Anzug, hing neue Unter- und Oberwäsche, hing sein schwarzer Schlapphut, standen seine Lackschuhe mit einem Paar frischer weißer Strümpfe drin. Und auch die Krawatte, die aus der Rocktasche lugte, war schneeweiß.
Jula war im Dorf gewesen. Und da waren die Pakete angekommen. Und so eins fühlte sie mit ihm, daß sie geöffnet hatte und herausgesucht hatte eine Kleidung, in der sie ihn so gern zu sehen wünschte.
Trauliche Wärme rann ihm wie linde Milch übers Herz . . . 131