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Die Dame Fiammetta beschreibt, wer sie war und durch welche Zeichen ihre künftigen Leiden ihr vorher angedeutet wurden; auch, zu welcher Zeit, wo, auf was für Art und in wen sie verliebt ward; nebst der darauf folgenden Freude.
In den Tagen, wo die neu geschmückte Erde sich schöner als in der ganzen übrigen Zeit des Jahres zeigt, kam ich auf die Welt, von edlen Eltern gezeugt und von einem freundlichen, überreichen Glück empfangen.
O! unseliger Tag der Geburt! welcher Sterbliche darf dich mit größerm Abscheu betrachten als ich?
Ach! wie weit glücklicher, wenn ich nie geboren wäre, oder wenn sie mich bald nach der traurigen Geburt ins Grab getragen hätten, wenn die Parze den Faden meines Lebens in derselben Stunde, wo sie ihn ausgezogen, auch wiederum abgerissen hätte! Dann hätte die unentfaltete Knospe meines Daseins all die unendlichen Qualen in sich verschlossen, die mir nun betrübten Stoff zu dieser Schrift darbieten. Doch was hilft es, mich zu beklagen? Ich lebe! Es gefiel Gott und gefällt ihm noch, mich auf der Erde zu lassen.
Die freudenvollsten Umgebungen hatten mich auf Erden empfangen; Vergnügen war meine Nahrung, und als die zarte Kindheit verschwunden war und das liebliche Mädchenalter begann, lehrte eine ehrwürdige Meisterin mir alle die Sitten, die einer edlen Jungfrau angemessen sind. Und so, wie ich an Alter wuchs, wuchsen auch meine Reize, die vornehmsten Quellen meines Unglücks.
Ach! wie stolz schlug mir das Herz, so klein ich auch noch war, wenn ich meine Schönheit von so vielen preisen hörte! wie bemüht war ich, sie durch Sorgfalt und Kunst immer mehr zu erhöhen! Und als ich in ein reiferes Alter getreten war und die Natur mich wahrnehmen lehrte, wie heftig weibliche Schönheit die Jünglinge zu entflammen vermag, da bemerkte ich bald, daß mein Reiz – ach ein trauriges Geschenk für ein Herz, das ruhig und tugendhaft zu leben wünscht! – alle meine Gespielen und viele andere edle Männer immer mehr mit zärtlicher Glut entzündete.
Sie alle waren bemüht, durch ausdrucksvolle Blicke und Worte, in zahllosen Versuchen mir das Gefühl mitzuteilen, das sie verzehrte und das mich selbst in der Folge stärker als alle anderen zu entflammen und zu verzehren bestimmt war. Viele auch zeigten sich, die mit höchstem Eifer meine Hand zu erhalten strebten.
Doch da bald darauf derjenige unter ihnen, welcher mir in jeder Hinsicht am angemessensten war, mein Gemahl ward, so zerstreute sich mit der verlorenen Hoffnung die beschwerliche Schar der Liebhaber, und sie hörten auf, mich mit ihren verliebten Torheiten zu bestürmen.
Mit einem so würdigen Gemahl, wie billig, vollkommen zufrieden, lebte ich nun höchst glücklich, bis die sinnberaubende Liebe mit nie empfundenem Feuer mein jugendliches Gemüt erfüllte. Ach! damals gab es nichts in der Welt, was meinen Wunsch – ja den Wunsch irgend einer Frau – hätte reizen können, was mir nicht sogleich im vollen Maß gewährt worden wäre!
Mein junger Gemahl fand in mir sein einziges Gut, seine höchste Glückseligkeit, und so wie er von mir geliebt ward, liebte er mich auch wieder.
O! wie weit glücklicher als andere hätte ich mich preisen können, wenn das Gefühl solcher Liebe mir stets treu geblieben wäre! Ich war zufrieden, und mein Leben schien ein immerwährendes Fest, als das Glück, welches schnell die irdischen Dinge verkehrt und die mir geschenkten Güter selbst zu beneiden schien, auf einmal seine Hand von mir abzog und mit schlauer Überlegung, auf welche Art es meine Ruhe am besten vergiften könne, mich durch meine eigenen Augen den Weg ins Verderben finden ließ. Und gewiß, kräftiger hätte das Gift auf keine andere Weise wirken können als auf diese.
Aber die Götter, die mich damals noch liebten und wegen meines Geschickes besorgt waren, sahen, wie das Glück mir heimlich nachstellte, und wollten meine Brust bewaffnen, wenn ich anders ihren Willen verstanden hätte; nicht unbewehrt sollte ich in den Kampf gehen, in dem ich fallen sollte.
Deshalb ward ich in der Nacht vor dem Tage, da mein Verderben begann, durch ein deutliches Gesicht über die künftigen Begebenheiten erleuchtet, und zwar auf folgende Weise: Mir, die ich auf dem weichsten Lager, alle Glieder waren in tiefem Schlaf aufgelöst, ruhete, kam es vor, als wäre es Tag, aber heiterer und strahlender wie noch je, und ich selbst fröhlicher und leichter als jemals.
Und weiter schien es mir, als säße ich in meinem fröhlichen Mut ganz allein auf dem zarten Grün einer Wiese, wo die Schatten jung blühender Bäume mich vor den sengenden Strahlen der Sonne schirmten. Der ganze Grund war mit Blumen übersäet; ich hatte verschiedene gepflückt und mit meinen weißen Händen in eine Falte meines Gewandes gesammelt: jetzt zog ich jede Blume einzeln hervor, und aus den schönsten und gewähltesten wand ich mir einen Kranz, womit ich meine Locken schmückte. So Proserpinen gleich geziert, als Pluto sie ihrer Mutter raubte, stand ich auf und ging mit fröhlichem Gesang durch den neuen Frühling dahin, bis ich ermüdet mich in das weiche, dichte Gras ausstreckte und ruhete. Aber ebenso wie damals ein verborgenes Tier Eurydicens zarten Fuß verletzte, so kam es mir im Traum auch vor, als schliche sich aus dem Gras eine Schlange zu mir heran, die mich unter der linken Brust verwundete. Anfangs schien es mir, als fühlte ich bei dem ersten Biß ihrer scharfen Zähne ein leichtes Brennen. Und da ich nichts Schlimmeres besorgte und kühner ward, verbarg ich die kalte Schlange an meinem Busen, weil ich durch die Güte, sie an meinem Busen zu wärmen, sie zu bewegen hoffte, auch mir freundlicher zu sein. Aber durch meine Milde nur stolzer geworden und sicherer, nahte sie mit ihrem verruchten Mund wiederum der mir gegebenen Wunde, und nachdem sie lange mein Blut getrunken hatte, dünkte es mir, als schlüpfte sie von meinem Busen hinweg und schliche mit neuem Leben unter die Blumen, wo sie zuerst gelegen hatte.
Und wie sie verschwand, trübte sich der fröhliche Tag, sein Schatten kam hinter mir her und bedeckte mich ganz. Und so wie die Schlange sich entfernte, folgte die Dunkelheit, als würde sie von ihr angezogen. Eine Menge dunkler Wolken drangen herab und folgten ihr.
Und so wie ein weißer Stein, in tiefes Wasser geworfen, nach und nach vor den Blicken des Zuschauers undeutlich wird und verschwindet, so verlor auch ich sie endlich ganz aus dem Gesicht. Jetzt sah ich den Himmel gänzlich eingehüllt, die Sonne war hinweggegangen, und ich glaubte, eine Nacht sei angebrochen, wie sie einst bei den Griechen dem Verbrechen des Atreus folgte. Blitze zuckten in wilder Verworrenheit durch den Himmel, und mein Herz bebte gleich der Erde vor der furchtbaren Stimme des Donners.
Meine Wunde, die mich bis jetzt nur an einer Stelle geschmerzt hatte, verbreitete sich mit giftiger Glut, und ohne rettende Heilmittel ward der ganze Körper von einer häßlichen Geschwulst bedeckt.
Mit der Flucht der Schlange schien auf eine unbeschreibliche Art mir auch die Seele entflohen zu sein. Ich fühlte, wie die Macht des Giftes auf den feinsten Zugängen nach dem Herzen drang, und ich streckte mich auf die frischen Rosen hin, um den Tod zu erwarten. Schon schien der Augenblick gekommen zu sein, wo ich sterben sollte, als mein Herz, noch von Schrecken über den furchtbaren Sturm pochend und den Tod erwartend, einen so heftigen Schmerz empfand, daß der ganze Körper auch im Schlummer erzitterte und die Bande seines tiefen Schlafes zerrissen. Kaum war ich erwacht, so fuhr ich, noch voll Furcht über mein Traumgesicht, schnell mit der rechten Hand nach der verwundeten Stelle. Ach! ich suchte in der Gegenwart die Wunde, welche erst in Zukunft meiner harrte!
Als ich mich gesund und unverletzt sah, da kehrten schnell mein fröhlicher Mut und meine Sicherheit zurück; ich verhöhnte die Torheiten meines Traumes und vereitelte so die Bemühung der Götter. Ach weh mir, daß ich diese damals verachteten Winke, zu meinem tiefen Schmerz, in der Folge für wahr anerkennen mußte! –
Was half es mir, meine Blindheit zu beweinen und die Götter anzuklagen, daß sie ihre Geheimnisse dem groben Sinn des Menschen so dunkel und unverständlich kundtun und ihre Warnungen nicht eher begreiflich werden, bis die Begebenheiten selbst sie erklären!
So war ich denn erwacht und richtete das schlaftrunkene Haupt in die Höhe. Da fiel durch einen kleinen Spalt ein Strahl der neuen Sonne in meine Kammer; mit ihm entwich mir jeder andere Gedanke, und fröhlich stand ich auf.
Dieser Tag war höchst feierlich für jedermann. Deshalb wandte auch ich die größte Sorgfalt an, mich festlich zu schmücken. Mein Gewand leuchtete von Gold, und mit Meisterhand wußte ich mich, gleich einer der Göttinnen, als sie sich in Idas Tal dem Paris zeigen wollten, zu zieren, um an der großen Festlichkeit würdig teilnehmen zu können. Als ich mich jetzt im Spiegel sah und wie der Pfau seine schimmernden Federn von allen Seiten betrachtete, als ich in süßer Selbstbewunderung den andern ebenso zu gefallen hoffte wie mir selbst, da weiß ich nicht, wie es geschah, daß eine Blume meines Hauptschmuckes sich in den Vorhang meines Lagers verwickelte und zur Erde fiel. Vielleicht auch, daß eine himmlische Hand, von mir ungesehen, sie mir entführte. Ich aber, auch dieses geheimen Winkes der Götter nicht achtend, hob sie wieder auf, befestigte sie von neuem in meine Locken und ging hinweg, als wenn nichts geschehen wäre.
Ach! konnten die Himmlischen mir ein deutlicheres Zeichen von dem, was mir bevorstand, geben? Gewiß, sie konnten es nicht. Hätte ich es recht verstanden, so war dies hinreichend, mir zu sagen, daß an diesem Tage meine Seele, die bis dahin eine freie Herrin ihrer selbst gewesen war, ihr Fürstentum verlieren und eine Sklavin werden sollte – und es ward! O! wenn damals mein Gemüt gesund gewesen wäre, so hätte ich leicht erkennen müssen, welch ein schwarzes Verhängnis an diesem Tag über mir waltete, und im stillen, in meine Wohnung eingeschlossen, hätte ich ihn verlebt! Aber es berauben die himmlischen Mächte die, gegen welche sie erzürnt sind, der wahren Einsicht, obgleich sie ihnen die heilsamen Winke über ihr Heil nicht vorenthalten. Und so scheint es, daß sie mit einem Male beides, ihrer Schuldigkeit Genüge leisten und ihren Zorn sättigen, wollen.
Mein Schicksal also wollte, daß ich glänzend und mit sorglosem Mut mein Haus verließ. Von mehreren begleitet, gelangte ich mit abgemessenen Schritten in den geheiligten Tempel, wo die an solchen Tagen üblichen, feierlichen Gebräuche bereits begonnen hatten. Mir aber hatten ein alter Gebrauch und mein Rang unter den andern Frauen eine sehr ausgezeichnete Stelle aufbewahrt, und sobald ich Platz genommen hatte, unterließ ich nicht, meiner Gewohnheit nach die Augen nach allen Seiten hin zu wenden und die vielen Männer und Frauen zu betrachten, welche in verschiedenen Gruppen den Tempel erfüllten.
Die heiligen Gebräuche huben an, und sobald man mich im Tempel wahrnahm, geschah es, wie ich schon gewohnt war, daß nicht allein die Männer, sondern auch die Frauen ihre Blicke bewundernd auf mich hefteten, nicht anders, als wäre eine Göttin sichtbar zu ihnen herabgestiegen. O! wie oft hatte ich bei mir selbst diesen Wahn belächelt, der mich jedoch sehr ergötzte und mich in meinen Gedanken wirklich zu einer Göttin erhob. Alle die Kreise von Jünglingen hörten nun auf, sich um andere zu drehen, und bildeten, dicht um mich versammelt, gleichsam einen Kranz, indes sie abwechselnd über meine Schönheit sprachen und mich fast einstimmig erhoben und rühmten. Und ich, indes meine Augen mit andern Gegenständen beschäftigt schienen, lauschte ihren Worten mit der süßesten Wollust und gönnte ihnen dann wohl, als wäre ich ihnen deshalb verpflichtet, einige günstigere Blicke. O! nicht einmal, sondern oft bemerkte ich dann, wie einer oder der andere sich deshalb mit leerer Hoffnung schmeichelte und gegen seine Gefährten voll Eitelkeit brüstete. So von vielen angestaunt, nur wenigen einen Blick gönnend und fest glaubend, daß meine Schönheit alles besiegte, nahte der Augenblick, wo ein fremder Reiz meiner selbst sich gänzlich bemeistern sollte.
Er erschien, der verderbliche, schmerzhafte Augenblick, der mir gewissen Tod oder ein unendlich qualvolles Leben erschaffen sollte, und von einem unbekannten Geist getrieben, erhob ich mit leichtem Anstand die Augen und überschaute die Menge der um mich versammelten Jünglinge mit festem und sicherm Blick.
Dicht in meiner Nähe zeigte sich mir an eine Marmorsäule gelehnt ein Jüngling, dessen Ansehen und Anstand, was bis dahin noch nie geschehen, meine Aufmerksamkeit unwiderstehlich an sich fesselte. Seine Gestalt – so urteilte ich schon damals, da mein Urteil noch nicht durch Liebe befangen war – hatte die schönste Form, seine Bewegungen zeigten die größte Anmut, Anstand und Kleidung Würde und Schicklichkeit. Die Zartheit seiner Wangen gab ein sprechendes Zeugnis seiner Jugend, und seine Blicke, mit denen er aus der ganzen Versammlung mich auszeichnete, waren ebenso zärtlich als verständig. Zwar stand es in meiner Gewalt, meine Augen von ihm wegzuwenden, aber keine Gewalt vermochte, wie ich mich auch immer bemühte, die schnell empfangenen Eindrücke aus meinem Herzen zu verdrängen und meinem Sinn eine andere Richtung zu geben. Das Bild seiner Schönheit war bereits tief in meine Seele gedrückt, mit geheimer Wollust schaute ich es an, und erfinderisch wußte ich mit Gründen die Empfindung all des Herrlichen, was mir in ihm erschien, zu rechtfertigen. Es entzückte mich, der Gegenstand seiner Blicke zu sein, doch war ich stets auf meiner Hut, sooft sein Auge mir begegnete. Aber einmal, als ich, ganz sorglos über die Gefahr, ihn betrachtete und meine Augen länger und fester als gewöhnlich auf den seinigen verweilten, da schien es mir, als läse ich in ihnen deutlich die Worte: ›O Gebieterin! Du allein bist meine Seligkeit!‹, und mein Entzücken war so groß, so überraschend, daß mit einem leisen Seufzer mein Herz die Antwort gab: ›Und du die meinige!‹ Doch schnell mich fassend und meiner selbst bewußt, drängte ich sie von der Lippe zurück. Doch was auch der Mund verschweigt, wird dennoch von dem Herzen verstanden, und hätte ich damals ausgesprochen, was ich im Innern verschlossen hielt, vielleicht daß ich jetzt noch frei wäre. So aber schwieg ich und verstattete meinen törichten Augen die größte Freiheit, sich an den Reizen zu sättigen, die sie bereits so sehr entzückt hatten.
Ach! hätten die Götter, die jedes Ereignis zu einem verständigen Zweck leiten, mir damals nicht allen Verstand geraubt, ich könnte jetzt noch mir selbst angehören! Doch ich verbannte alle Überlegung, ich folgte meinen Gelüsten und setzte so mein Gemüt in den Stand, leicht eine Beute der Liebe zu werden.
Und wie der Lichtstrahl eigenmächtig von einem Ort zum andern fliegt, drang ein Feuer aus seinen Augen, das mit dem feinsten Strahl die meinigen traf. Aber nicht die Augen allein; weiß ich es, durch welche geheimen Wege er plötzlich bis zum Herzen drang, daß dieses, erschreckt über die unvermutete Erscheinung des fremden Gefühls, alle Lebensgeister zu sich rief und ich äußerlich ganz blaß und fast ohne Leben und Wärme blieb?
Aber nicht lange, so entzündete eine schnelle Glut das Herz; alle Lebensgeister waren von der innern Flamme ergriffen. Die Blässe verschwand, eine brennende Röte trat auf meine Wangen, und ich seufzte still über die Quelle dieses Wechsels, den ich verwundernd wahrnahm. Von diesem Augenblick an hatte ich keinen andern Gedanken mehr als den, ihm allein zu gefallen.
Dies alles ward von ihm, der unbeweglich seinen Platz behielt, mit feinem, scharfem Blick beobachtet. Vielleicht schon erfahren im Reich der Liebe und mit den Waffen bekannt, welche die gewünschte Beute leicht erobern können, nahm er sogleich die Miene der frömmsten Demut und eines liebenden Verlangens an. Ach! welche Arglist war unter dieser Milde, dieser Unterwürfigkeit verborgen! Einmal aus seinem Herzen entwichen – so hat es mich der Erfolg gelehrt –, war die fromme Liebe nie wieder dahin zurückgekehrt und leuchtete nur mit betrügerischem Schein aus den Zügen seines Angesichts.
Doch ich will nicht jeden kleinen Zug voll von erfinderischer Arglist erzählen, und es sei genug, zu sagen, daß sein ganzes Wesen mich mit schneller, unerwarteter Liebe entzündete. Ich weiß nicht, war es sein Werk oder das Werk der Schicksalsmächte: genug, ich liebte ihn, und ich liebe ihn noch!
Dieser also war es, ihr mitfühlenden Frauen, den mein Herz vor allen andern wählte! Nach einer flüchtigen Aufmerksamkeit erkor es sich unter so vielen edeln, schönen und mutigen Jünglingen meines ganzen Landes nur diesen allein auf ewig, zum unumschränkten Gebieter meines Lebens. Er war es, den ich über alles liebte und liebe. Er war es, welcher Anfang und Quelle all meiner Leiden sein sollte, und wie ich hoffe, auch meines Todes. Dies war der Tag, der mich zuerst aus einem freien Weib zu der elendesten Sklavin machte. Dies war der Tag, an dem ich die Liebe, mir bis dahin gänzlich unbekannt, zum erstenmal kennenlernte. Dies war der Tag, an dem das Gift der Leidenschaft zum erstenmal die reine, keusche Brust durchdrang! Ach! daß zu meinem Elend je ein solcher Tag der Welt geleuchtet hat! Wieviel Schmerz und Angst wäre mir ferngeblieben, wenn dichtes Dunkel diesen Tag verschlungen hätte! Doch was klage ich! Das einmal geschehene Übel kann eingesehen, aber niemals wieder gutgemacht werden.
Ich war bezwungen; die feindliche Macht, deren Gewalt ich erlag, war es eine Furie der Hölle oder eine feindliche Schicksalsgöttin, welche meine reine Glückseligkeit beneidete und ihr nachstellte – sie durfte sich seit diesem Tag mit der größten Hoffnung eines unfehlbaren Triumphs tragen. Ganz in der neuen, unbekannten Leidenschaft verloren, saß ich erstaunt und mir selbst entrückt unter den andern Frauen; die heiligen Lieder wurden von mir kaum gehört, viel weniger verstanden, und ebensowenig vernahm ich, was die Gespielinnen unter sich oder mit mir redeten. So sehr erfüllte die neue, plötzliche Liebe meine ganze Seele, daß ich mit Blicken und Gedanken stets nach dem geliebten Jüngling hingewandt war und in mir selbst nicht begreifen konnte, wohin ein so heftiger Trieb mich führen würde.
O! wie oft schalt ich, voll Sehnsucht, ihn näher bei mir zu sehen, sein Verweilen hinter den andern und schrieb auf die Rechnung der Lauigkeit, was nur seine Klugheit war. Denn schon war die Aufmerksamkeit der andern Jünglinge, die vor ihm standen, erregt: da meine Augen immer einen unter ihnen suchten, so wähnten sie selbst das Ziel meiner Blicke und vielleicht meiner Sehnsucht zu sein.
Während ich verloren in träumerischen Gedanken war, ging der Gottesdienst zu Ende; schon waren die Gefährtinnen aufgestanden, um den Tempel zu verlassen, als ich endlich die Seele, die das Bild des lieblichen Jünglings umschwebte, gewaltsam zurückrief und, was um mich her vorging, wahrnahm. Ich stand auf, und meine Blicke, die den seinigen zu begegnen suchten, lasen in seinen Augen, was die meinigen ihm selbst zu sagen strebten: wie schmerzlich mir das Weggehen sei! Gleichwohl mußte ich, mit Seufzen und ohne zu wissen, wer er sei, mich aus dem Tempel entfernen.
O! wer sollte glauben, meine Freundinnen, daß ein einziger Augenblick das Herz in so hohem Grade erschüttern, daß ein nie gesehener Mann auf den ersten Anblick so unbegreiflich geliebt werden könne!
Wer sollte glauben, daß das Anschauen allein die Sehnsucht so wunderbar entzünden könnte, daß, dieses Anschauens beraubt, ein brennender Schmerz die Seele durchdringt und nur der Wunsch nach Wiedersehen sie ganz erfüllt!
Wer sollte glauben, daß nichts von allem, was uns sonst höchst erfreulich war, nach diesem neuen Eindruck uns mehr ergötzt? Ach! gewiß keiner vermag es, der diese Erfahrungen nicht gleich mir selbst gemacht hat oder macht.
Warum mußte die Liebe nur gegen mich mit nie erhörter Grausamkeit verfahren! warum einen Gefallen daran finden, nach neuen Gesetzen mich zu beherrschen? Denn mehr als einmal habe ich sagen hören, die Liebe sei anfänglich kindisch und unbedeutend, nur durch die Phantasie genährt und mit Kräften ausgerüstet werde sie erst stark und bedeutend. Aber wie anders ist sie mir erschienen! Mit siegreicher Gewalt erfüllte sie im ersten Moment mein Herz und erfüllt es noch; vom ersten Augenblicke an ward sie unumschränkte Gebieterin meines ganzen Wesens. Ergangen ist es mir wie frischem Holz, das schwer und mit Widerstand Feuer fängt, aber wenn es einmal angezündet ist, es länger und mit stärkerer Glut festhält.
Als ich mich endlich allein und frei in meinem Gemache befand, von mancherlei Wünschen entflammt, mit neuen Gedanken erfüllt und von neuen Sorgen gepeinigt, und nun dies alles in dem Bilde des lieblichen Jünglings sich verlor, da gedachte ich, daß, wenn es auch unmöglich sei, die Liebe aus meinem Herzen zu verjagen, ich sie doch zum mindesten verschwiegen und vorsichtig in der traurigen Brust verschließen müsse. Aber wie schwer diese Sorge ist, kann nur der begreifen, der sie erfahren hat; ja ich irre wohl nicht, wenn ich glaube, daß die Liebe selbst keine größere Qual verursacht als sie. Auch wußte ich nicht, wen, ich fühlte nur, daß ich liebte.
Doch alle die Herzensbewegungen zu schildern, welche die Leidenschaft in mir erzeugte, würde zu weitläufig sein: nur einiges sei mir vergönnt. Bald fühlte ich, wie eine nie empfundene, lebhafte Freude sich meiner bemächtigte. Dann suchte ich alles andre zu vergessen und ergötzte mich einzig und allein in dem Gedanken an den geliebten Jüngling, bis mich die Sorge wiederum störte, daß ich durch solche Träumerei gerade das Geheimnis verraten möchte, welches ich so sehr zu verhehlen strebte, und dann verwies ich mir selbst mein Nachsinnen. Vor allem aber sehnte ich mich zu erfahren, wer der fremde Jüngling sei, und meine Liebe machte mich bald sinnreich genug, schlaue und geschickte Mittel zu erfinden, dies Verlangen zu befriedigen.
Auch fand ich jetzt allen Schmuck, der mir bis dahin, weil unbrauchbar, gar gleichgültig gewesen war, bedeutend und schätzbar. Jetzt hielt ich ihn für ein Mittel, noch mehr zu gefallen, und aus diesem Grunde kamen mir Kleider, Gold, Perlen und mancher andere köstliche Putz als Dinge von Wert und hoher Wichtigkeit vor. Und ich, die bis dahin Tempel, Feste, Meeresufer und Gärten bloß in der unschuldigen Absicht, mich mit meinen jungen Gespielinnen zu erfreuen, besucht hatte, fand mich jetzt von einem neuen Verlangen an diese Orte gezogen, denn mein Herz sagte mir, daß ich meinen Abgott dort sehen und von ihm gesehen werden könnte.
Gleichwohl floh mich das Vertrauen, das ich in meine Schönheit zu setzen pflegte. Nie verließ ich mein Gemach, ohne von meinem Spiegel die treuesten Ratschläge eingezogen zu haben, und meine Hände, von einer unbekannten Meisterin belehrt, wußten jeden Tag einen neuen reizenden Putz zu erfinden, der durch künstliche Schönheit die natürliche hob und mich unter allen Frauen glänzend hervorleuchten ließ. So fing ich jetzt auch an, die Ehrenbezeugungen, die mir teils aus der gegen Frauen üblichen Achtung, vielleicht auch wegen meines Ranges erwiesen wurden, gleichsam für Pflicht anzusehen. Denn im stillen schmeichelte ich mir, daß mich mein Geliebter nur begehrenswerter und der Liebe würdiger finden würde, je herrlicher und prachtvoller ich vor ihm erschien. Die den Frauen angeborne Sparsamkeit entwich gänzlich von mir, und meine eigenen Angelegenheiten wurden mir so unwichtig, als gingen sie mich gar nichts an. Die Kühnheit wuchs, die weibliche Mäßigung fehlte bei allem, und manches war mir jetzt unendlich lieber geworden als sonst. Auch veränderten meine Augen ganz ihren Charakter, und sie, die bis dahin mir nur allein zum Sehen gedient hatten, erlernten jetzt eine wunderbare Fertigkeit, sich auf das sinnreichste verständlich zu machen. Noch vieles könnte ich erzählen von den Veränderungen, die in mir vorgingen, wenn ich nicht fürchtete, zu weitläufig zu sein, und auch glaubte, daß ihr, die ihr gleich mir die Liebe kennt, auch sehr wohl wisset, wie mannigfaltig die seltsamen Wirkungen ihrer Allgewalt sind.
Mehr als eine Erfahrung bewies mir, wie äußerst vorsichtig und verständig der Jüngling war. Denn nur selten und mit größter Besonnenheit kam er an die Orte, wo ich war, und als hätte er den gleichen Entschluß gefaßt wie ich selbst, die Flamme der Liebe vor jedem fremden Auge zu verbergen, betrachtete er mich nur mit bescheidenen und vorsichtigen Blicken. Sein Anblick hauchte stets die lebendigen Flammen in mir zu höherer Glut an, und die erlöschenden – wenn es deren gab – wurden von neuem entzündet.
Gleichwohl war der Anfang dieser Liebe bei weitem nicht so leicht und fröhlich wie das Ende traurig und schwer. Oft blieb ich seines Anblicks beraubt, und eine schmerzhafte Ahnung von Leiden drang in mein Herz. Dann quollen aus dem Herzen gar tiefe Seufzer hervor, und das Verlangen, das aus dem leisesten Gefühl sprach, versetzte mich gleichsam außer mir selbst, so daß alle, die mich sahen, über mein Betragen erstaunten. Doch von der Liebe selbst gelehrt, fehlte es mir nicht an zahllosen Vorwänden, durch welche ich dies rätselhafte Benehmen zu erklären wußte. Auch fehlte mir oft die Ruhe des Nachts, oft die nötige Nahrung bei Tage, und nicht selten fühlte ich mich zu Handlungen verleitet, mehr wahnsinnig als rasch, und zu Reden, die ich sonst nie zu gebrauchen pflegte.
So geschah es, daß der sorgfältige Putz, die brennenden Seufzer, die neue Art zu sein, die wilden Bewegungen, die verlorne Ruhe und andere Dinge, die mit der neuen Liebe bei mir eingezogen waren, unter dem übrigen Hausgesinde die Aufmerksamkeit meiner Amme erregten, die an Jahren alt und an Einsicht nicht jung war. Diese, durch eigene Erfahrung schon mit dieser traurigen Glut bekannt, stellte sich gleichwohl ganz fremd und stellte mich mehrmals über mein seltsames Benehmen zur Rede. Und da sie mich einst voll Melancholie auf meinem Lager ausgestreckt und mein Gesicht mit trüben Gedanken bedeckt fand, hub sie an, da kein Dritter zugegen war, mich mit diesen Worten anzureden: »O Töchterchen! das mir so lieb ist, wie ich mir selbst bin, sag, welches Bekümmernis drückt dich doch seit einiger Zeit? Keine Stunde geht dir ja ohne Seufzer hin, dir, die ich sonst immer leicht und frei von aller Schwermut zu sehen gewohnt war.« Ich seufzte tief, als ich sie so reden hörte; meine Farbe wechselte mehr als einmal, und ich wandte mich hin und her, um Zeit zur Antwort zu gewinnen. Kaum war ich meiner Zunge mächtig, um ein verständliches Wort hervorzubringen. Doch antwortete ich endlich: »Liebe Amme, es ist nichts Neues, was mich drückt, noch fühle ich anders, als ich zu fühlen gewohnt bin. Es ist bloß der natürliche Lauf der Dinge, der den Lebendigen, wie du wohl weißt, nicht immer auf gleiche Art zu sein vergönnt und der auch jetzt mich mehr als gewöhnlich sinnig und tiefsinnig macht.« »Töchterchen,« versetzte die Alte, »gewiß hintergehst du mich. Und glaubst du, es sei so leicht, einer erfahrenen Person mit Worten etwas einzureden, was doch Gebärden und Aussehen Lügen straft? Es ist nicht nötig, mir das zu verhehlen, was ich schon seit mehreren Tagen ganz deutlich in dir erkannt habe.« Ach! als ich sie so reden hörte, so geängstet und gequält wie ich war, brach ich in die Worte aus: »Wozu denn also die Fragen, wenn du schon alles weißt? Du hast dann nichts weiter zu tun, als das wohl zu verhehlen, was du entdeckt hast.«
»Wahrlich,« erwiderte sie, »ich werde das wohl verhehlen, was nicht erlaubt ist, daß es ein anderer wisse. Und eher wird die Erde sich auf tun und mich verschlingen, ehe sich meine Lippen auf tun und ich jemals etwas kundtue, das dir zur Schmach gereichen könnte. Schon vor langer Zeit lernte ich die Kunst des Schweigens, und darum lebe wegen deines Geheimnisses in Sicherheit und suche nur mit allem Fleiß es vor andern zu verbergen, damit keiner errate, was ich, ohne dein Geständnis, bloß aus deinem Wesen erkannt habe. Ja, wenn die Torheit, worin ich dich verloren sehe, zu dir paßte, wenn sie des Verstandes würdig wäre, den ich sonst an dir kannte, so wollte ich es gern deinen eigenen Gedanken überlassen, denn ich wäre sicher und gewiß, daß meine Vorstellungen gar nicht nötig sein würden. Da du aber, jung und unbewacht wie du bist, dich auf Gnade und Ungnade diesem grausamen Tyrannen hingegeben hast und dieser, seiner Gewohnheit nach, dir mit der Freiheit auch die Einsicht raubt, so will ich dich wohl ermahnt und gebeten haben, daß du aus deiner keuschen Brust die schlechten Gäste auf das schleunigste entfernst, die ehrlosen Flammen dämpfest und dich nicht zur Sklavin der schimpflichsten Hoffnung erniedrigst. Jetzt ist die Zeit, mit Gewalt zu widerstehen, denn wer im Anfang wacker und mutig kämpft, dem gelingt es, die schimpfliche Liebe zu verjagen, und ihm bleibt Sicherheit und Sieg. Der aber, welcher sie lange mit schmeichelnden Gedanken nährt, der kann nur spät und schwer das Joch abwerfen, dem er sich fast freiwillig unterworfen hat.«
»Ach!« sagte ich da, »wie weit leichter ist es doch, dies alles zu sagen, als es selbst zu tun.« »So schwer auch immer die Ausführung sein mag,« erwiderte sie, »so ist sie doch möglich und muß geschehen. Überlege selbst, mein Töchterchen, ob du die Hoheit deines Stammes, den großen Ruhm deiner Tugend, deiner Schönheit Blüte, deiner Zeitgenossen Verehrung und noch alle die andern Dinge, die einer edlen Frau wert sein müssen, und vor allem die Gunst deines Gemahls, den du so sehr liebst und von dem du wiederum so sehr geliebt wirst, hingeben möchtest, um diesen einzigen Wunsch zu befriedigen.
Gewiß, dies darfst du nicht wollen, und ich glaube auch nicht, daß du es willst, sobald du mit dir selbst zu Rate zu gehen weißt. Darum beschwöre ich dich bei Gott, nimm dich zusammen und jage die falschen Freuden, die nur eine eitle Hoffnung dir verheißt, weit von dir hinweg und mit ihnen die treulose Glut. Ich beschwöre dich demütigst bei dieser alten, treuen Brust, die schon manche Sorge bewegt hat und von welcher du die erste Nahrung empfangen hast, suche dir selbst zu helfen und trage Sorge für deine Ehre. Achte meine Ratschläge nicht gering, sondern denke, daß der ernste Wille, geheilt zu sein, schon ein Teil der Gesundheit ist.«
Hierauf sagte ich ihr: »O! liebe Amme, ich sehe hinlänglich ein, daß alles, was du mir sagst, durchaus wahr ist, aber ein fremder Wahnsinn zwingt mich, das Schlimmste zu erwählen, und das Herz, im stillen mit ihm einverstanden, strengt sich vergebens an, deinen Rat zu befolgen, und selbst der Wille der Vernunft wird durch die herrschende Gewalt überwunden. Liebe besitzt und bemeistert mit ihrer Göttlichkeit mein Gemüt gänzlich, und du weißt, daß es kein leichtes Unternehmen ist, ihrer Macht zu widerstehen.«
Als ich das gesagt hatte, sank ich wie erschöpft und überwunden in ihre Arme. Sie aber, noch mehr bewegt als zuvor, begann mit strengerem Ton folgende Worte: »Ihr allein, ihr schönen jungen Frauen, von mutwilligen Flammen entbrannt und gereizt, habt es ausgefunden, daß die Liebe eine Gottheit sei, da doch der Name Furie passender für sie wäre. Ihr nennt Amor den Sohn der Venus und behauptet, daß ihm seine Gewalt aus dem dritten Himmel verliehen sei, bloß in der Absicht, eure Torheit mit der Notwendigkeit zu entschuldigen.
O! ihr Betrogenen und aller Einsicht wahrhaft Beraubten, wißt ihr wohl, was ihr behauptet? Er, welcher von einer höllischen Furie gepeitscht, leichtbeschwingt über die Welt hineilt, ist keine Gottheit, sondern vielmehr eine Tollheit zu nennen. Seht ihr nicht, daß er nur die besucht, die er in weltliche Glückseligkeit versenkt findet? Bloß weil er in ihren eitlen und müßigen Gemütern leicht Eingang findet. Und sehen wir nicht dagegen die allerheiligste Venus, die Göttin der Liebe, die zu der menschlichen Fortdauer nicht allein zuträglich, sondern notwendig ist, oft in Hütten verweilen? Ohne allen Zweifel! Aber diesen, der fälschlich statt Teufel Gott genannt wird, diesen gelüstet nur nach eitlen Dingen, und er besucht stets nur die Günstlinge des Glücks. Dieser Erzschelm überredet die Prachtliebenden und Überfeinen zu köstlicher Nahrung und Kleidern, mischt sein Gift darunter und bemächtigt sich so ihrer elenden Seelen. Nur selten oder niemals sieht man ihn in den Hütten der Armut. Er ist eine Art von Seuche, die nur schwache, verzärtelte Teile angreift, weil diese für ihre verderblichen Wirkungen am zugänglichsten sind. Wie oft sehen wir unter dem einfältigen Volk tüchtige, gesunde Triebe, aber die Reichen, im Scheine ihres Goldes, streben, unersättlich wie sie in allen Dingen sind, auch hier oft nach mehrerem als sich geziemt. Und der, welcher viel besitzt, wünscht zu besitzen, was er nicht besitzt. So erkenne ich auch dich als eine sehr unglückliche Frau, die bloß aus allzugroßem Wohlbefinden sich diesen neuen schimpflichen Kummer zugezogen hat.«
Lange hatte ich sie reden lassen, aber nun sagte ich: »O! Alte, schweig und lästre meine Gottheit nicht länger! Jetzt, da deine Sinne stumpf sind, da sich wie billig alle anderen von dir wenden, jetzt eiferst du willig gegen die Liebe und lästerst, was dich einst entzückt hat. Und warum soll ich an der Liebe Göttlichkeit zweifeln, da weit berühmtere, weisere, mächtigere Frauen, als ich bin, sie als solche anerkannt haben und anerkennen?
Ja, es ist wahr, sie hat mich unterjocht: mag doch nun der Grund sein, welcher es wolle. Ich ergebe mich. Sooft ich meine Kräfte aufbot, sich ihr zu widersetzen, so oft wurden sie von ihrer Allgewalt besiegt. Und so kann nur allein der Tod oder der Besitz des Geliebten meine Qualen endigen. Und wenn du wirklich so weise bist, als ich glaube, so bitte ich dich, denke vielmehr daran, durch Rat und Tat meine Leiden zu lindern, und kannst du das nicht, so höre zum mindesten auf, sie noch schmerzvoller zu machen, und tadle das nicht länger, wozu meine Seele sich unwiderstehlich hingezogen fühlt.«
Sie aber antwortete mir nicht und ging aufgebracht – nicht ohne Ursache – aus dem Zimmer, murmelte noch, ich weiß nicht was, zwischen den Zähnen und ließ mich allein.
Schon hatte sich die gute Alte, deren Ratschläge ich zurückgewiesen, entfernt, ohne mir weiter ein Wort zu sagen, und ich, allein geblieben, überdachte nochmals in der bekümmerten Brust alle ihre Worte, und ob ich gleich kein freies Urteil mehr hatte, so fühlte ich doch, wie voll Gewicht und Sinn sie waren. Alles, was ich vor ihr verteidigt hatte, was auch immer daraus entstehen würde, schwankte jetzt nochmals an meinem Geist vorüber. Schon fing ich an zu denken, daß ich wie billig diese verderblichen Dinge lassen müßte, und schon wollte ich zu meinem Trost die Amme zurückrufen, als ein neuer, plötzlicher Zufall mich zurückhielt.
Mit einem Male stand eine wunderschöne Frau vor mir, ohne daß ich wußte, wie sie in mein verschlossenes Zimmer gekommen war. Kaum vermochten meine Blicke den strahlenden Glanz zu ertragen, der sie rings umgab. Schweigend blieb sie vor mir stehen, während ich, soviel es der blendende Schimmer mir verstattete, meine Augen nach ihr hinwandte. Es gelang mir nach und nach, mich mehr daran zu gewöhnen, und ich erkannte die himmlische Form. Ein dünn gewebtes purpurnes Gewand umhüllte den schönen Leib, doch so durchsichtig und leicht war es, daß, wo es die blendend weißen Glieder bedeckte, sie wie durch ein helles Glas mir in die Augen strahlten. Ihre goldnen Locken, die an herrlichem Glanz ebensosehr das Gold übertrafen, wie dieses sonst auch das schönste blonde Haar beschämt, waren mit einem Kranz von grünen Myrten geschmückt. Und unter seinem Schatten sah ich zwei Augen von unvergleichlicher Schönheit, deren Anschauen eine unbeschreibliche Lust gewährte. Sie verbreiteten ein wunderbares Licht, und ihr ganzes Antlitz war so schön, daß auf Erden nie ein gleiches gefunden werden kann. Noch immer schwieg sie, doch – war es eigenes Wohlgefallen oder weil sie mich so entzückt über ihren Anblick sah – genug, sie ließ nach und nach ihre himmlischen Glieder mir durch das blendende Licht hindurch klarer und deutlicher erscheinen, so daß ich eine Schönheit erkannte, die keine Zunge aussprechen, ja ohne sie gesehen zu haben, kein Sterblicher sich denken kann.
Endlich, da sie sich mir nun ganz gezeigt hatte und mich über ihre Schönheit und ihre ganze Erscheinung an diesem Orte höchst erstaunt sah, wandte sie sich mit freudigem Angesicht zu mir, und mit einer Stimme unendlich süßer als die unsrigen hub sie an zu sprechen:
»O zarte Jungfrau, edler als irgend eine andere, was für Entschlüsse bringen die neuen Ratschläge der alten Amme in dir hervor! Siehst du denn nicht, daß die Befolgung derselben weit schwerer ist als die Liebe selbst, die du zu fliehen begehrst? Bedenkst du nicht, wie endlos, zahllos, unerträglich die Pein ist, die sie dir bereiten? Willst du, Törichte, die ganz kürzlich erst eine der Unsrigen geworden ist, durch die Rede einer Alten, die nicht zu uns gehört, schon abtrünnig werden, du, die noch nicht weiß, wieviel unsrer Gaben und wie entzückend sie sind?
O du Unweise, unterwirf dich auf unser Wort demjenigen, welcher alle im Himmel und auf der Erde zu befriedigen weiß. Wisse, so weit Phöbus, der mit seinem leuchtenden Wagen am Ganges aufsteht und sich mit seinen müden Rossen in Hesperiens Wellen taucht, den goldnen Tag verbreitet, daß alles, alles, was der kalte Bär und der siedend heiße Pol einschließt, die Herrschaft unseres geflügelten Sohnes ohne Widerspruch anerkennt. In dem Olymp ist er nicht nur ein Gott wie die andern Götter, sondern er ist ein Gott der Götter, weil keiner unter allen ist, der nicht einmal durch seine Waffen überwunden gewesen wäre. Mit goldnen Schwingen durchfliegt er, leichter als Luft, in einem Augenblick seine Reiche, übersieht sie alle, und leicht den gewaltigen Bogen regierend, legt er auf die gespannte Sehne die von uns verfertigten, in unsern Wellen getränkten Pfeile. Hat er nun einen Gegenstand auserwählt, der würdiger als die andern ist, ihm zu dienen, so sendet er sie auf das schnellste dahin, wo es ihm gefällt. Er ist es, der Jünglinge zur wildesten Flamme reizt und müden Greisen erloschene Gluten zurückruft, der mit unbekanntem Feuer die keusche Brust der Jungfrau entflammt und auf gleiche Weise Frauen und Witwen entzündet. Er ist es, der die Götter, als seine Fackel sie berührt hatte, zwang, die Himmel zu verlassen und unter erborgter Gestalt auf der Erde zu verweilen.
Ist nicht selbst Phöbus, der Überwinder der großen Schlange, der den Parnaß mit Harmonien erfüllt, mehr als einmal von ihm bezwungen worden, hat er nicht erst für Daphne, dann für Clymene, dann für Leucothea und für andere mehr voll Liebe geglüht? Und endlich hat er sein allmächtiges Licht in die Gestalt eines armen, zärtlichen Hirten eingeschlossen und die Herden des Admet geweidet. Der Himmel beherrschende Jupiter selbst, von seiner Gewalt bezwungen, hat sich in noch weit geringere Gestalten verkleidet, und einmal hauchte er in der Form eines weißen Vogels, sanft die Schwingen bewegend, süßere Töne als die Lieder des sterbenden Schwans. Ein andermal hat er als Stier, die Stirn mit Hörnern bewaffnet, die Felder mit seinem Gebrüll erfüllt und demütig kniend seinen Rücken der Jungfrau Europa gebeugt; er durchstrich das feuchte Reich seines Bruders Neptun, ruderte mit dem gespaltenen Huf und hielt mit starker Brust die Tiefe zurück, um seines Raubes zu genießen. Was er einst in seiner eigentümlichen Gestalt für Semele getan; was, in Amphitryon verwandelt, für Alkmene; in Diana verstellt für Calliste; oder wie er aus Liebe für Danae zum goldnen Regen geworden: von dem allen schweigen wir, weil es uns zu weit führen würde. Auch der stolze Gott des Krieges, dessen zornige Röte die Riesen erzittern läßt, mildert seine wilde Natur, beugt sich vor Amors Macht und liebt.
Und Vulcan, der für Jupiter arbeitet und die Donner schmiedet, er, der Flammen gewohnt, erliegt dennoch den Flammen der mächtigern Liebe. Uns selbst, obgleich Amors Mutter, ist es nicht gelungen, uns vor seinen Pfeilen zu retten, und unsere bei Adonis' Tode geweinten Tränen sind sprechende Beweise seiner Macht. Doch warum so viele Worte? genug, von allen Gottheiten des Himmels erhielt sich keine unverletzt von ihm, außer Diana allein. Diese allein, die Freundin der Wälder, hat die Liebe geflohen oder vielmehr, wie manche glauben, nicht geflohen, sondern verhehlt.
Doch wenn du vielleicht gegen die Beispiele der Himmlischen ungläubig bist, so forsche unter den Sterblichen nach denen, welche die Macht der Liebe erfuhren, aber ihre Zahl ist so groß, daß ich nicht weiß, wo ich anfangen soll; nur das sage ich dir fürwahr, daß alle zu den vortrefflichsten und würdigsten gehörten. Betrachte vor allem Hercules, den starken Sohn Alkmenens. Er, welcher sich mit der furchtbaren Haut des ungeheuern, von ihm überwundenen Löwen bedeckte, drehte mit ebender Hand, die kurz zuvor die gewaltige Keule geführt, den großen Antäus getötet und den Höllenhund gebändigt hatte, den Faden aus der Wolle der schönen Jole und saß geduldig hinter ihrem Spinnrocken. Und die nämlichen Schultern, die den hohen Himmel getragen hatten, waren erst von Jolens Armen umschlungen und darauf, um ihr zu gefallen, mit einem zierlichen purpurnen Gewand bedeckt.
Wer weiß nicht, was Paris und Helena, was Clytämnestra und Ägisth, von Amor bezwungen, getan? Auch von Achilles, von Silla, Ariadnen, Leander und Dido und von vielen andern schweige ich. Wer ist, der diese Heroen der Liebe nicht kennt? Glaube mir, dies Feuer ist heilig und allgewaltig. Daß im Himmel und auf Erden die Götter und Menschen von meinem Sohn bezwungen sind, weißt du nun, aber wie allumfassend muß seine Kraft sein, da auch die vernunftlosen Tiere ihren Einfluß fühlen! Von ihm bezwungen folgt die Turteltaube in den Wäldern ihrem Geliebten, und die Tauben, die meinen Wagen ziehen, fühlen sich mit zärtlichster Neigung zu ihrem Tauber gezogen. Von allem, von allem ist keines, das seinen Händen entgeht. Von seinem Pfeil getroffen, kämpft in den Gehölzen der sonst so furchtsame Hirsch, auf einmal kühn und wild geworden, für die erwählte Hirschin und zeugt von der allmächtigen Glut der Liebe. Von ihr ergriffen, wetzt der grimmige Eber schäumend seine weißen Zähne, und der Bewohner der afrikanischen Küste schüttelt seine Mähne. Wende deinen Blick von den Wäldern und sieh, wie die Pfeile meines Kindes auch in den kühlen Fluten die Götter des Meeres und die Nymphen der Flüsse zu verwunden wissen. Denn es ist dir hoffentlich nicht unbekannt, welche sprechenden Zeugnisse Neptun, Glaucus, Alphäus und andere mehr abgelegt haben, daß sie die Fackel der Liebe in ihren feuchten Wellen nicht auslöschen, ja nicht einmal mildern konnten. Und sie, die auf Erden herrscht und in den Fluten anerkannt wird, sie hat auch die Tiefe durchdrungen und selbst den König der Schatten besiegt.
So haben denn Himmel, Erde, Meer und Tiefe ihre Allgewalt erfahren und anerkannt. Und damit ich dir in wenig Worten die Macht der Liebe aussprechen möge, so wisse, daß alle Wesen der Natur unterworfen sind, daß keine Macht von ihrer Herrschaft frei ist und daß die Natur selbst in Amor ihren Herrn erkennt. Wenn er gebeut, so geht der alte Haß zugrunde, alle verjährten feindlich gesinnten Mächte schwinden, und die neue Welt gibt seinen Gluten Raum.
Warum also zagen? was zweifelst du? wovor fliehst du törichterweise? warum den fliehen, welchem Götter, Menschen und Tiere unterworfen sind! Schämst du dich, von ihm besiegt zu sein, so weißt du nicht, was du tust. Fürchtest du aber vielleicht den Tadel, der dich treffen möchte, wenn du dich ihm unterwirfst, so darf dich dies nicht kümmern. Tausend größere Fehltritte und das Beispiel weit vortrefflicherer Menschen als du werden das leichte Vergehen, das, minder stark als jene, du dir vorzuwerfen hast, sehr verzeihlich machen. Können dich aber meine Worte nicht bewegen und willst du bei deinem Widerstand beharren, so bedenke, daß es nicht möglich ist, Jupiter an Größe, Phöbus an Genie, Juno an Reichtum und mir selbst an Schönheit gleich zu sein. Und wenn wir alle überwunden sind, hoffst du allein zu überwinden? Du bist betrogen und wirst doch am Ende verlieren. Begnüge dich mit dem, womit die ganze Welt sich vor dir zufriedengegeben hat. Suche dich nicht abzukühlen, indem du dir vorsagst, ich habe meinen Gatten, und die heiligen Gesetze und die versprochene Treue verbieten mir alle andern Wünsche. Dergleichen nichtige, eitle Gründe sind gegen die Tugend der Liebe. Amor, als der Stärkere, kümmert sich um keine anderen Gesetze, er vernichtet sie und gibt seine eigenen. Hatte nicht Pasiphae einen Gemahl, als sie liebte, nicht Phädra und wir selbst? Auch die Männer werden sehr oft für andre Weiber als die ihrigen mit Liebe entflammt. Was tat Jason, Theseus, der gewaltige Hercules und der erfindungsreiche Odysseus? – Es ist also kein Unrecht, wenn Männer nach denselben Gesetzen behandelt werden, nach denen sie selbst handeln. Kein Vorrecht ist in diesem Fall den Männern vor den Frauen zugestanden. Deshalb laß die törichten Grillen und liebe unbekümmert fort, wie du begonnen hast. Du siehst es selbst, wenn du dem mächtigen Liebesgott dich nicht unterwerfen willst, so mußt du fliehen. Und wohin kannst du fliehen, wohin er dir nicht folge, dich nicht erreiche? Er hat an allen Orten gleiche Gewalt. Wohin du gehst, du bleibst in seinen Reichen; kein Wesen kann sich vor ihm verbergen, wenn er es verletzen will. Wie zufrieden kannst du sein, daß er dich mit keinem verderblichen Feuer entzündet hat, gleich der Myrrha, Semiramis, Byblis, Canace und Cleopatra! Glaube nicht, daß unser Kind gegen dich etwas Neues unternehmen wird. Auch er hat Gesetze, gleich allen andern Göttern. Und wähne nicht, die erste zu sein, welche sie befolgt, so wie du hoffentlich nicht die letzte sein wirst. Auch irrst du, wenn du vielleicht jetzt die einzige zu sein meinst. Laß die übrige Welt, die von Liebenden wimmelt, und blicke nur unter deinen Mitbürgerinnen umher; die zahllose Menge von Gesellinnen, die du finden wirst, kann dir zeigen und dich belehren: was von so vielen mit vollem Recht ausgeübt wird, kann nie schimpflich sein. So werde denn eine von den Unsern und preise unsre lang betrachtete Schönheit und unsere Gottheit von ganzem Herzen.
Denn diese haben dich aus der Zahl der Einfältigen erwählt, das Entzücken unserer Gaben kennenzulernen.«
Sagt, o ihr Gefühlvollen meines Geschlechts! wenn Liebe jemals eure Sehnsucht glücklicherweise stillen wollte, was könntet oder was wolltet ihr auf solche Worte und einer solchen Göttin wohl erwidern, wenn es nicht dies wäre: ›Es sei, wie es dir gefällt!‹
Schon schwieg die Göttin, indes ich in meiner Seele ihren Worten nachsann, und da ich in ihnen unendliche Entschuldigungen für mich fand, mit denen ich schon im geheimen bekannt war, so war mein Entschluß gefaßt.
Schnell erhob ich mich jetzt vom Lager, und indem ich mit demutsvollem Herzen die Knie zur Erde beugte, hob ich schüchtern an: »O wunderbare, ewige Schönheit! O himmlische Gottheit! o einzige Herrin meiner Seele! Nur stärker zeigt und verherrlicht sich deine Macht, je mehr wir widerstehen! Vergib meiner einfältigen Widersetzlichkeit gegen die Waffen deines Kindes, das ich nicht kannte, und herrsche über mich, wie es dir gefällt; belohne, deiner Verheißung gemäß, meine Treue, damit ich deine Gaben bei andern preise und dadurch die Zahl deiner Untertanen bis ins Unendliche wachse.«
Kaum hatte ich diese Rede vollendet, als die Göttin die Stelle, wo sie bis dahin gestanden hatte, verließ und auf mich zukam. Ein brünstiges Verlangen erschien in ihrem Antlitz, während sie mich umarmte. Sie küßte mich zuerst auf die Stirn und dann auf den Mund, und so wie einst der falsche Ascanius verborgene Flammen in Didos Brust entzündete, so fühlte auch ich, sobald ich den Atem ihres Mundes eingesogen hatte, alle meine ersten Wünsche weit brennender als zuvor. Hierauf schlug sie ihr purpurnes Gewand ein wenig auseinander; auf ihrer Brust erblickte ich das Bild des geliebten Jünglings, halb in ihrem leichten Purpurmantel verhüllt, und sie sagte: »Betrachte diese Gestalt, zarte Frau! sieh, wir haben keinen Unwürdigen zu deinem Liebling erwählt. Dieser Jüngling, der unbegrenzten Liebe einer Göttin würdig, liebt und wird dich – so haben wir es gewollt – mehr als sich selbst lieben. Und so verlasse ich dich, leicht, freudig und seiner Liebe gewiß. Deine Gebete sind würdig und haben unser Ohr gerührt. Hoffe, daß dem Verdienst gemäß unfehlbar auch der Lohn erfolgen wird.« Hierauf entzog sie sich, ohne etwas weiter zu sagen, schnell meinen Blicken.
Weh mir Unglückseligen! Denke ich jetzt an alles, was hernach erfolgt ist, so zweifle ich keinen Augenblick, daß es nicht Venus, sondern Tisiphone war, die mir damals erschien. Und wie einst Juno den Glanz ihrer Gottheit verhüllte und die Gestalt einer alten Frau annahm, so hatte diese hingegen ihr furchtbares Schlangenhaar abgelegt und sich mir in so herrlicher Gestalt gezeigt, und gleichwie jene der Semele erschien, um ihr verderblichen Rat zu geben, so verführte mich auch diese mit ihren Reden, denen ich, Arme! nur zu leicht Gehör gab und mich verleiten ließ, euch alle, dich, fromme Treue, ehrwürdige Zucht, heilige Keuschheit, einziger und höchster Schatz züchtiger Frauen, aus meinem Herzen zu verjagen. Aber verzeiht mir, wenn anders die harte Buße des Schuldigen ihm Anspruch auf Vergebung erwerben kann!
So hatte mich die Göttin verlassen, und seit ihrer Erscheinung fühlte sich mein ganzes Herz sehnsüchtig zu ihren Freuden hingezogen. Und obgleich die herrschende wilde Leidenschaft mich alles Sinns und Urteils beraubt hatte, so weiß ich nicht, wodurch ich es verdiente, daß von so viel verlornen Gütern mir eines noch geblieben war. Die Erkenntnis nämlich, daß eine laute, kundgewordene Liebe ihr Ziel selten oder niemals glücklich erreicht. Und deshalb beschloß ich – so äußerst schwer es mir auch immer ward –, meine Wünsche der Vernunft zu unterwerfen, damit ich das ersehnte Ziel erreichen möchte. Und gewiß, wie sehr mich auch oft mehrere Umstände und Begebenheiten drängten, so ward mir doch die Gunst vom Schicksal, daß ich meinen Vorsatz nie überschritt und standhaft schweigend meine Leiden und Freuden ertrug.
Ja, die Kraft dieses Rates ist noch immer wirksam, denn ob ich gleich dies mit der größten Aufrichtigkeit schreibe, so ist es mir doch gelungen, die Sache so darzustellen, daß kein Mensch, auch nicht der scharfsinnigste, erraten kann, wer ich sei; den einzigen ausgenommen, dem alles ebenso bekannt ist wie mir selbst, da er der Inhalt von allem ist. Und ihn bitte ich – wenn vielleicht irgendein Zufall diese Blätter in seine Hände spielen sollte – um der Liebe willen, die er einst für mich empfand, daß er verschweige, was, wenn er es bekanntmachen wollte, ihm weder Nutzen noch Ehre bringen könnte. Ich bitte ihn, der sich selbst, ohne mein Verschulden, von mir gewendet, meine Ehre zu schonen, denn diese ist ein Gut, das ich zwar mit Unrecht besitze, das er mir aber, wie er selbst wohl weiß, nicht wiederzuerstatten vermöchte, wenn er es auch gern wollte.
Diesem Entschluß gemäß und mit höchster Anstrengung, meine leidenschaftlichen Wünsche in ängstlicher Verborgenheit zu erhalten, bemühte ich mich durch die geheimsten Zeichen, sooft ich nur Gelegenheit hatte, dem Jüngling ebendie Glut einzuhauchen, die mich selbst belebte, und ihn zugleich ebenso besonnen und vorsichtig zu machen, wie ich selbst es war. Und ich hatte gewiß nichts Schweres unternommen, denn wenn anders der äußere Schein die Eigenschaften des Gemüts erkennen läßt, so sah ich in kurzer Zeit den vollkommensten Erfolg meiner Bemühungen. Und was ganz nach meinem Sinn war, ich sah ihn ebenso glühend von Liebe wie kühl von der vollkommensten Klugheit.
Von kluger Überlegung geleitet, beflissen, meinen Ruf zu bewahren und, wenn Zeit und Ort es vergönnten, seiner Liebe zu leben, bewarb er sich, nicht ohne die größte Mühe, wie ich glaube, und mit vieler Kunst um den vertrauten Umgang eines meiner Verwandten und zuletzt um die Freundschaft meines Gemahls. Und es gelang ihm nicht nur, diese zu erwerben, sondern er gewann sie auch in so hohem Grad, daß keinem mehr etwas begegnete, was er dem andern nicht mitteilte. Wie sehr mir dies gefiel, das werdet ihr, denke ich, ohne meine Versicherung glauben; wer möchte wohl töricht genug sein, den geringsten Zweifel daran zu hegen. Jene Vertraulichkeit bewirkte, daß er und ich uns bisweilen öffentlich unterhalten durften.
Ihm aber dünkte es Zeit, einen bedeutenden Schritt zu tun; wenn er jetzt wahrnahm, daß ich ihn hören und verstehen konnte, so wußte er auch mit andern auf eine Art zu sprechen, die mich, die hierin nur allzu lernbegierig und gelehrig war, bald erkennen ließ, daß nicht das Wort allein unsere Zuneigung kundzutun und die Zusage des andern zu erhalten vermag, sondern daß auch Blick und Hand, Ton und Gebärde einer vielsagenden, deutlichen Sprache mächtig sind.
Dies war mir so lieblich, und ich erlernte es mit solcher Einsicht, daß wir, er und ich, uns, was wir nur wollten, durch Zeichen mitteilen konnten und immer gewiß waren, daß der andere vollkommen den Sinn verstand.
Doch auch dies befriedigte ihn bald nicht mehr, und er bestrebte sich, unter fremden Bildern mir seine Wünsche lebendiger zu schildern und auch mich eine gleiche Sprache zu lehren. Er nannte mich Fiammetta, sich selbst Panfilo. Und ach! wie oft erzählte er in meiner Gegenwart, im Kreis meiner liebsten Freunde, durchglüht von Glut und Liebe, wie Amor uns beide zuerst besiegt hatte; und dann schilderte er immer unter den Namen Fiammetta und Panfilo, die er als Griechen darstellte, alle Begebenheiten, die darauf folgten, während er auf das sinnreichste den Orten und Personen Namen beilegte, die die ganze Erfindung am wahrscheinlichsten machen konnten. Ja, oft belächelte ich seinen Scharfsinn und seine Feinheit und nicht minder die Einfalt der Zuhörer, oft aber fürchtete ich auch, er möchte im Feuer seiner Darstellung zu weit gehen und unwillkürlich die Zunge Worte sagen lassen, die er nicht wollte. Er aber, klüger als ich dachte, wußte sich mit höchster Vorsicht vor jeder Verirrung zu bewahren.
O! ihr liebenden Frauen, welch ein geschickter Lehrmeister ist doch die Liebe! Gibt es einen unter allen, die ihr huldigen, den sie nicht sogleich geschickt macht, die feinsten Sitten und schlaue Gewandtheit zu erlernen?
Ich, das einfachste, schüchternste Weib, bis dahin kaum fähig, bei den Gespielinnen über die einfachsten Dinge zu sprechen, erlernte mit so großem Eifer seine Weise, daß ich an Erfindung und Sprache in kurzer Zeit alle Dichter übertreffen konnte. Fast immer wußte ich, sobald ich seine Erzählung gehört und den geheimen Sinn derselben begriffen hatte, durch eine schnell erfundene Novelle ihm die erwünschte Antwort zu geben, gewiß ein Unterfangen, das für eine junge Frau sehr kühn und noch weit schwerer in der Ausführung ist.
Doch diese Erfindungen alle müssen kleinlich und unbedeutend erscheinen gegen die List, die wir mit großer Erfahrung gebrauchten, um die Zuverlässigkeit und Treue einer meiner Dienerinnen zu erproben; der Zweck meiner Aufzeichnungen aber ist nicht, dies zu erzählen. Nach solcher Probe beschlossen wir, sie zur Mitwisserin des Geheimnisses, um das bis dahin noch kein Dritter wußte, zu erwählen, denn wir fühlten, daß irgendein Mittel gefunden werden mußte, uns näher zu sein, wenn wir nicht unerträglichen Qualen erliegen wollten.
Genug damit! es würde zu weitläufig sein, alle unsere Kunstgriffe und Erfindungen zu erzählen. Sie waren nicht allein von keinem vor uns je ausgeübt, sondern, wie ich glaube, nicht einmal ausgedacht worden. Und obgleich ich jetzt weiß, daß sie alle zu meinem Verderben ersonnen waren, schmerzt es mich doch nicht, sie gewußt zu haben.
Sollte ich wohl irren, ihr Lieben, wenn ich den festen Willen und die Stetigkeit unserer Herzen für nichts Geringes achte? Es ist gewiß sehr schwer, daß ein junges, liebendes Paar, gegenseitig von den heftigsten Begierden entflammt, sich so lange im Zügel halten und keinen Fuß breit aus den Schranken der Vernunft weichen kann; ja diese Selbstbeherrschung war so groß, daß die erhabensten Männer sich hohes und würdiges Lob damit hätten erwerben können. Aber meine Feder, minder züchtig als zärtlich, bereitet sich zu der Schilderung kühnerer Szenen. Erst aber laßt mich, ihr Freundinnen, dringend euer Mitleid anrufen: jene Gewalt der Liebe, die in der zarten Brust des Weibes wohnt, diese verborgene Macht rufe ich an, mich bei euch zu entschuldigen, wenn meine Worte euch strafwürdig scheinen sollten; wenn ihr liebt, so werdet ihr verzeihen. Und du, keusche Zucht, die ich zu spät ehren gelernt habe, verzeihe mir und laß mir jetzt Raum in der schüchternen weiblichen Brust, damit die Frauen frei von deinen Drohungen das lesen, was sie der Liebe verzeihen.
Ein Tag nach dem andern verstrich, und immer blieb es nur Hoffnung, was wir beide so sehnend verlangten. Gleichen Schmerz fühlten beide, doch beklagte sich der eine gegen den andern in verstohlenen Reden, dieser aber eiferte übermäßig dagegen, so wie geliebte Frauen wohl gegen den Geliebten zu tun pflegen. Er aber glaubte in diesem Fall meinen Versicherungen nicht, und durch den Erfolg glücklicher als weise und mit mehr Kühnheit als Verstand wußte er Ort und Zeit geschickt zu wählen, und in meinen Armen ward ihm das Glück, das ich, ob ich es gleich nicht bekannte, ebenso heiß wie er begehrt hatte.
Wollte ich sagen, daß diese Stunde der Grund meiner Liebe zu ihm sei, so müßte ich bekennen, daß mit dieser Erinnerung jedesmal ein Schmerz ohnegleichen in meine Seele kommen würde. Aber Gott ist hierin mein Zeuge: dies war und ist der geringste Grund meiner ewigen Liebe zu ihm. Gleichwohl will ich nicht leugnen, daß jene Stunde mir jetzt wie damals unendlich teuer ist. Und wer könnte wohl so unerfahren sein, daß er nicht wüßte, wie wir das, was wir lieben, nicht entfernt, sondern uns ganz nahe wünschen und um so eifriger, je stärker unsere Liebe ist? Dieser Stunde, deren Möglichkeit ich zuvor nicht geglaubt, ja nicht geahnt hatte, folgten noch mehrere. Das Glück und unser Erfindungsgeist begünstigten lange mit glücklichem Erfolg unsre gefährliche Wahl, da doch jetzt alles Glück, leichter als Wind, weit, weit von mir geflohen ist. Aber während die Zeiten so freudenreich verflossen, wie nur die Liebe weiß, die allein davon Zeugnis geben kann, war es mir doch oft nicht vergönnt, ihn ohne die Furcht bei mir zu sehen, daß unsre Zusammenkünfte kein Geheimnis wären.
O! wie ihm mein stilles Gemach so teuer war, und wie gern, wie willig es ihn aufnahm! Ja, oft sah ich ihn es heiliger und höher achten als irgendeinen Tempel in der ganzen Welt. O! ihr süßen Küsse, ihr liebetrunknen Umarmungen, ihr Nächte voll süßen Geschwätzes, lieblicher als der helle Tag und ohne Schlummer hingebracht, und all ihr andern entzückenden Freuden der Liebenden, wie waret ihr in jenen glücklichen Zeiten so reichlich über mich ausgegossen! O heiligste Scham! du allzustrenge Richterin sehnsuchtsvoller Seelen, warum willst du jetzt meinen dringenden Bitten nicht weichen? warum hältst du meine Feder zurück, daß sie die einst besessene Seligkeit nicht schildern darf? Denn nur dann, wenn ich sie in ihrem ganzen Umfang darstellen dürfte, würde die Größe meines jetzigen Elends begreiflich sein und die zärtlichen Seelen vielleicht zum Mitleid bringen. Ach! du tust mir weh, während du vielleicht mir zu helfen glaubst! Ich hätte so gern noch mehr gesagt, aber ich darf nicht vor dir.
So mögen denn diejenigen, welchen die Natur das köstliche Vorrecht verlieh, aus dem Gesagten das zu erkennen, was verschwiegen wird, mögen sie es den andern, minder dazu Begabten, kundtun! Auch weiß ich wohl, daß es schicklicher gewesen wäre, selbst das soeben Geschriebene in Schweigen einzuhüllen, als es auszusprechen. Aber wer vermag der Liebe zu widerstehen, wenn sie mit voller Kraft auf uns eindringt?
Mehr als einmal habe ich an dieser Stelle die Feder niedergelegt, und immer nahm ich sie auf das Geheiß der Liebe wieder auf, bis ich zuletzt ihr, der ich als eine freie Frau nicht hatte widerstehen können, als ihre Sklavin unbedingten Gehorsam leisten mußte. Sie zeigte mir, daß verstohlene Freuden ebenso köstlich sind wie die in der Erde verborgenen Schätze. Aber was frommt es mir, noch länger bei solchen Reden zu verweilen?
Damals, so fahre ich nun fort, weihte ich der heiligen Göttin, welche die Verheißerin und Geberin meiner Freuden war, oft meinen feurigsten Dank. O wie oft, das Haupt bekränzt mit zarter Myrte, dem ihr geweihten Baum, kam ich zu ihren Altären, ihr Weihrauch zu streuen! Wie oft schmähte ich den Rat der alten Amme! Wie oft auch, freudetrunken wie ich war, verhöhnte ich die Liebe meiner Gespielinnen und tadelte laut an andern, was ich so deutlich in meiner Seele fühlte; dann sagte ich oft frohlockend zu mir selbst: ›Nicht eine ist geliebt, wie ich es bin! nicht eine liebt so würdige Liebe wie ich! nicht eine bricht der Liebe Früchte so festlich und so schön wie ich!‹
Genug, ich achtete in meinem Sinn die ganze Welt für nichts und wähnte mit dem Haupt den Himmel zu berühren. Fern war alle Sorge, und der höchste Gipfel der Glückseligkeit war erreicht. Das einzige, was ich noch begehrte, war, den Grund meines Glücks laut zu verkündigen, denn es schien mir unmöglich, daß das, was mich so entzückte, nicht auch alle anderen mit gleichem Entzücken erfüllen sollte. Aber von der einen Seite hast du, o Schamhaftigkeit, von der andern du, Furcht, mich zurückgehalten! Die erste bedrohte mich mit ewiger Schande, die andere mit dem Verlust dessen, was das feindliche Schicksal mir dennoch geraubt hat. So vergönnte mir die Liebe, lange Zeit, in süßer Freude geliebt und befriedigt fortzuleben. Ich beneidete kein anderes Weib um ihr Glück. Ach! und wie wenig dachte ich, daß jenes Glück, das ich damals mit vollem, freiem Herzen genoß, Keim und Pflanze künftigen Elends sein könnte, wie ich es jetzt, ohne irgendeine Frucht geerntet zu haben, innig betrübt erkenne.