Sophie Mereau
Amanda und Eduard
Sophie Mereau

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Zwanzigster Brief.

Amanda an Julien.

Ich bin nun in Lausanne am Ziel meiner Reise angelangt, wo ich mehrere Monate zubringen werde. Der Himmel ist mir so freundlich, daß er die schönsten Herbsttage herabsendet, die nur je die Erde mit ihren blühenden Kindern, für den nahen Abschied der geliebten Sonnenwärme, schadlos gehalten haben. – Ich fühle mich unbeschreiblich wohl, ob gleich ich es, der Behauptung meiner Begleiterin nach, nicht sein soll. – Gestern fuhr ich auf dem Spiegel des Sees, und genoß eines wunderbar schönen Abends. Das leuchtende Auge des Tages blickte, nach einem, für diese Jahrszeit ganz ungewöhnlich heißen Tage, noch einmal durch dunkle Wolken über die glühende Erde, und verbarg sich hinter die Gebirge; nur an den hohen Berghäuptern schimmerte der feurige Schein. Drohende Gewitterwolken zogen wie ein furchtbares Kriegsheer vorüber, und schauten übermüthig herab, auf die reifen, schwellenden Früchte, und die bunten, lächelnden Blumen, die sie in einem Augenblick zertrümmern konnten. Schwer athmeten die Geister der Lüfte, die Vögel waren verstummt. Da nahte der freundliche Abend, und schlang um die glühende Erde seine leichten Schattenarme. Die Natur schöpfte wieder Athem und verhüllte sich in den zarten Schleier der Dämmerung. Der See schien zu verweilen; Phöbe blickte im Glanz ihrer Gottheit in die Wellen und nur leise Schatten und ein dreimal süßeres Düften der Pflanzen und Bäume, bezeichneten den ambrosischen Hauch der Nacht. Ganz den Eindrücken der Natur hingegeben, erfüllte sich mein Herz mit heiliger Sehnsucht. Ihr goldnen Stralen, dachte ich, ihr Stimmen der Lüfte, ihr aus den Wäldern hervorquellenden Ahndungen, ihr seid Bilder einer andern Welt! ihr lockt das Gemüth von der Erde hinweg – und du, schöne Liebe! was bist du anders, als ein Wiederschein aus jener schönern Welt! – O! zu sterben im seeligen Gefühl der glücklichen Liebe, welcher Tod könnte schöner sein? – Dann schwänge sich die Seele auf feurigen Wolken gen Himmel, wie einst Auserwählte, Lieblinge der Gottheit, und empfände den Tod nicht!


Ich habe seit Kurzem mehrere Briefe von Antonio erhalten, die so schön sind, daß ich sie Dir gern mittheilen würde, wenn ich mich von ihnen trennen könnte, und zum Abschreiben jetzt nicht zu träge wäre. Alles, was er mir schreibt, athmet die innigste Liebe, hohe Geistesfreiheit, reine natürliche Ansicht unsers Verhältnisses. Ich fühle, daß ich diesen Mann anbeten und lieben muß, und warum sollte ich nicht? – Die Behauptung, daß wir nur Einmal, nur Einen einzigen Gegenstand lieben können, ist ein phantastischer, ja schädlicher Irrthum. Wir begegnen im Leben mehrern Wesen, zu denen uns die Neigung hinzieht, und die wir lieben könnten, wenn die Mächte des Schicksals die zarte Blume zur Reife brächten, denn diese Neigung allein ist nicht Liebe zu nennen. Freilich wird derjenige seltner gerührt, dessen eignes Wesen seltner ist, freilich rührt uns ein Gegenstand schneller, ein andrer langsamer, und wir werden desto stärker angezogen, je mehr wir in dem fremden Wesen, Eigenschaften finden, die uns die liebsten sind, und dann ist die Liebe am schönsten und vollkommensten, wo das Schönste, Edelste im Menschen bewegt und befriedigt wird. Aber Fehler selbst können Liebe erregen, und fester verbinden.


O Julie! wie soll ich Dir sagen, was geschehen ist! – Er ist hier, Eduard ist hier! Er athmet wieder in meiner Nähe! – Er war auf der Reise nach ***; unterweges erfährt er, daß ich hier in Lausanne bin; er eilt hierher; unvermuthet treffen wir uns – o! wie sollte ich es wagen, Dir diesen Augenblick schildern zu wollen?– Alles, Alles ist vergessen, und ich sehe ihn liebenswürdiger, liebender und geliebter als je! Wir leben wieder, und glücklicher, in jener glücklichen Zeit; die Jahre, die dazwischen liegen, sind eingesunken, über ihre Trümmer drängen sich die Blumenranken jener Zeit frisch und unversehrt hervor, und alle Knospen entfalten sich, zu den vollsten, herrlichsten Blumen. – Welch eine Gegenwart! – Laß mich schweigen; denn die Sprache kann zwar das Glück der Vergangenheit und Zukunft schildern, aber die Seeligkeit des Augenblicks entzieht sich ihrem Ausdruck, gleich einem heiligen Geheimniß, das nicht ausgesprochen werden darf.


Ich muß Dir schreiben, Julie, – die Tage entfliehen – aber erwarte nur Fragmente von mir. Ich bin verwirrt, seelig berauscht! – Oft fühl' ich mich den Himmlischen nahe, und vernehme die Sprache freundlicher, unsichtbarer Mächte, leise, aber zuversichtlich in meiner Seele! Ganz in Liebe und Harmonie aufgelöst, tönet die erhabene Musik der Sterne und Welten, in mein Gemüth, die leichte Scheidewand verweht, und entkörpert tauche ich mich in das unendliche Meer der Liebe, worinnen die Wesen unsterblich sind! –

Gestern – Dir das zu erzählen ist heute der Zweck meines Schreibens – gestern fuhren wir nach Hindelbank, um das berühmte Grabmal von Nahl zu sehen. – Auf der Reise machte Eduard unsre Verbindung zum Gegenstand aller unsrer Gespräche. Stolz, feurig und leidenschaftlich, wie er ist, war ich schon die ganze vorhergehende Zeit mit Bitten, bald, ohne Verzug darein zu willigen, von ihm bestürmt worden; aber, immer stellte sich Antonios Bild, seinen Wünschen entgegen; ich mußte diesem schreiben; wollte einen Brief von ihm erwarten, und so hatte ich muthig widerstanden. – Wir kamen an das Grabmal, und da man die Vorsicht gebraucht hatte, schon vorher die nöthigen Läden zu öffnen – was sonst oft den vollen Eindruck stöhrt – so sahen wir es gleich bei'm Eintritt gehörig beleuchtet, und empfanden den ganzen Eindruck dieses Kunstwerks. – Ich hatte es vorher noch nie gesehen, und würde Dir es zu schildern versuchen, wenn es nicht schon so oft beschrieben worden wäre. Wehmüthig gerührt stand ich vor dieser himmlischen Gestalt, die im Leben für eine der schönsten ihres Landes galt. Die Nähe des geliebten Mannes, der im blühenden Leben vor mir stand, erfüllte mich in diesen Augenblicken, mit schmerzlicher Freude; ich fühlte mich glühender, als je zu ihm hingezogen, und wunderbare Bilder und Ahndungen von Leben, Tod und Unsterblichkeit, zogen mich in eine tiefe, namenlose Betäubung hin, in der ich lange schweigend dastand. Die geliebte Stimme weckte mich endlich wie der Ruf der Engel die Todten. »Theure Amanda,« sagte diese Stimme, die mir in's Herz drang, sieh' das Leben ist flüchtig, und das Schönste vergänglich, kannst du noch zögern wollen? – Ich konnte nichts antworten, die Welt verschwand mir, und ich sank an seine Brust.


Wir sind verbunden. Hier, ganz so wie es Eduard wünschte, war unsre Trauung; hier ward auch für Andre der Bund bestätigt, den Neigung, Vertrauen, Phantasie und Wahrheit, nur selten so schön schlingen, der Bund, der – ich glaube es fest – nur selten in seiner wahren Bedeutung und Reinheit, zwei so glückliche Seelen verband. – O! Julie, so war es keine Täuschung? kein vergänglicher Wahn der Jugend? – Nein! es giebt Ahndungen, die durch das Leben gehen! – Sie sind die Stimmen eines höhern Geistes, der in uns wohnt, und das ergebne Gemüth vernimmt sie, und folgt ihnen! – Ich muß weinen, Julie, denn ich bin zu glücklich.


Welche Tage hab' ich verlebt, welche erschütternde Scenen! – Ich will Dir es schildern, so lange es mir die heftige Bewegung, in der ich noch bin, verstattet.

Ich halte mich für krank, so lang ich allein bin, aber kaum seh ich Eduard, so fühl' ich keine Schmerzen mehr.

Wir hatten beschlossen, in Gesellschaft einiger Freunde, eines der merkwürdigsten Gebürge dieser Gegend zu besteigen. Zwar fühlte ich vorher, einige Anwandlung von Krankheit, doch verbarg ich sie vor den andern und vergaß sie über den Freuden und der wohlthätigen Anspannung der Reise bald selbst. Wir hatten uns mit allem versehen, was uns die Beschwerlichkeiten des Wegs versüßen konnte; unsre Begleitung war munter und jovialisch und die mannichfaltigen Genüsse und Freuden unsrer Unternehmung ließen uns die Mühseligkeiten derselben, gänzlich vergessen, obgleich diese, ich gestehe Dir's gern, nicht unbedeutend waren. Oft mußte ich mich sorgfältig hüten, irgend einen neugierigen oder ängstlichen Blick in die schaudervolle Tiefe an meiner Seite hinunter zu thun, weil ich dann schwindelnd, leicht dem Blick selbst, hätte folgen können, und beinah schien es mir unmöglich, die letzten steilen Pfade, die zum Gipfel führten, hinauf zu klimmen. Doch that ich es mit Anstrengung aller Kräfte. Und als ich nun oben stand, und alle Berge entschleiert, alle Thäler entnebelt, und die zahllos um mich verbreiteten Wunder sah, da fand ich mehr, als die reichste Entschädigung. Keine Sprache vermag die Empfindungen des Erstaunens, des Entzückens und des Entsetzens auszusprechen, die durch diese Aussicht erregt wurden, und keine Kunst das unermeßliche Naturgemälde zu fassen, das hier nach allen Seiten hin, sich ausbreitet. – Eduard und ich erinnerten uns jetzt lebhafter als je, aller Scenen unsers ehemaligen Umgangs, jedes gemeinschaftlichen Genusses der Natur, jeder einsamen und geselligen Freude, und sahen nun mit inniger Begeisterung, wie das Schicksal uns jede vormalige Freude, nun freier, romantischer, feuriger und begeisternder wiedergab.

Als wir zurückgiengen – o Julie! wie werde ich Dir das schildern können, da ich schon bei der Erinnerung, mein Blut in den Adern erstarren fühle? – Wir hatten einen andern Weg zurück genommen, der aber bald zu unserm Entsetzen, grausenvolle Abgründe zur Seite hatte, und bei jedem Schritt uns mit Lebensgefahr drohte. Auf einmal sah' ich Eduard, der vor mir hergieng, ausgleiten, und in die fürchterliche Tiefe verschwinden. – Besinnung und Leben entwich mir in diesem gräßlichen Augenblick, und ich kam nicht eher wieder zu mir selbst, als am Fuß des Berges, wo ich mich auf dem Rasen sitzend, und den Geliebten lebend an meiner Seite wieder fand. Er hatte im Fallen, noch glücklicher Weise ein Felsstück ergriffen, das fest genug lag, um nicht mit ihm hinabzustürzen, und war so mit einigen, nicht gefährlichen Verletzungen, der schrecklichen Lebensgefahr entkommen. Mich hatte mein Führer bei'm Hinsinken noch schnell genug ergriffen, und mich so bewußtlos, mit vieler Mühe den Berg hinunter getragen. – Doch ich fühle, wie ich bei dieser Erinnerung von neuem, in eine kranke, heftige Erschütterung gerathen bin, und ich muß eilen durch die Gegenwart des Freundes wieder zu genesen.


Dies waren die letzten Briefe, welche Amanda an ihre Freundin schrieb. Das heftige Schrecken bei der Gefahr ihres Freundes, zog ihr ein Fieber zu, das bei ihrer schon vorher wankenden Gesundheit, gefährlich, und in wenig Tagen tödtlich ward. Sie starb in den Armen ihres Geliebten, in dem seeligen Gefühl des höchsten Glücks, der vollsten Blüthe ihres Lebens, und fühlte den Tod nicht. Wenige Stunden vorher schrieb sie an Eduard noch diese Strophen nieder:

Ich lasse Dich – doch bald siehst Du mich wieder,
Die trennt kein Tod, die wahres Leben band,
im Irisbogen, steig ich zu Dir nieder
in Frühlingssprossen biet' ich Dir die Hand,
und rühren Dich der Saiten goldne Lieder,
es ist mein Geist, der Dir dies Spiel erfand.
So wird Dein Schutzgeist nie von Dir sich trennen,
und wenn Du stirbst, wirst Du mich froh erkennen.

Diese Briefe kamen in meine Hände, und ich hielt sie für interessant genug, sie, nach einigen vorhergegangenen, nöthigen Abänderungen, der lesenden Welt mitzutheilen; sie mag verzeihen, wenn ich in meinem Urtheile zu voreilig gewesen bin. Eduards Gemüth, war tief zerrüttet; denn er hatte, mit der ganzen Innigkeit seines Wesens geliebt; doch vom Untergang rettete ihn die Gesundheit seiner Seele. Allgemeine, große Ansichten des Lebens breiteten um ihn die mächtigen Schwingen, und linderten seinen brennenden Schmerz; aber das Glück war für ihn verlohren; er begehrte es auch nicht mehr, und eine tiefe Sehnsucht, eine schöne Trauer, wohnte von dieser Zeit an, in seiner sonst so heitern Seele.

Von Antonios Leben, ist mir nichts weiter bekannt geworden; aber Wilhelm ist zu einem sehr vorzüglichen Menschen herangewachsen. Der Tod seiner von ihm angebeteten Mutter, brachte ihn am Rand des Wahnsinns; aber ihr Andenken, ist der Genius seines Lebens geblieben.


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