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Die Erscheinung des Meteors hatte über die ganze Versammlung eine tiefe Feierlichkeit gebracht, alle sanken ohne Aufforderung auf die Knie nieder und sangen mit einer heiligen Rührung: »Herr Gott, dich loben wir!« und umarmten sich nachher unter Freudengejauchze und Tränen. – Wie muß die Erscheinung dieses Meteors die trefflichen Männer gerührt haben, welche aus eigner frommer Gesinnung diese Feste durch unser befreites Vaterland in Ausführung gebracht. In der wahren Begeisterung hört aller Zufall auf, sie ist unendliche Harmonie.
Dem Geiste aber war nun genug getan, und der Leib, der bei dem Kampfe für unsre Freiheit sich so tapfer auf das Spiel gesetzt, schien seine Freude auch zu fodern, daher ließ der Baron ein Faß treffliches Bier, welches er für diesen Festtag hatte brauen lassen, herbeischaffen, und auch die Küche lieferte ihre Kuchen in Überfluß. Der Herr und die Frau tranken zuerst das Wohl des Vaterlandes und aller deutschen Könige, und aller deutsch- und königlichgesinnten Kämpfer. Das Volk erwiderte das Lebehoch, der Schulmeister und der Schulze tranken das Wohl ihrer Herrschaft, Frenel aber das Wohl seines Königs und der teuren Streiter, die ihn wieder auf seinen Thron gesetzt. Nun ward die Freude allgemein, Raketen und Freudenrufe durchschnitten die Nacht, die Musikanten spielten Kriegsmärsche, und wer ein Feuerrohr hatte, schoß es in die Luft. Die Mädchen aber wollten tanzen, und die jungen Bursche nicht minder; die Musikanten griffen sich recht an, und als alles recht im Zuge war, begab sich der Baron mit den Seinigen nach Hause. Sie saßen um den schön geschmückten Tisch, Madame Frenel aber war nicht fröhlich, und als ihr Mann sie dazu aufforderte, erklärte sie, daß sie der Gedanke an ihren unglücklichen Pflegevater betrübe, der von aller dieser Freude ausgeschlossen sei. »Wollen Sie mir wohl erlauben, daß ich ihm ein Glas Wein bringen darf und ein Stück Kuchen?« sprach sie freundlich zu dem Baron. Dieser sah den Gerichtshalter an, welcher mit dem Jäger, als sie ins Haus gegangen, den Gefangenen besucht hatte und soeben zu der Gesellschaft eingetreten war. »Madame«, sagte der Gerichtshalter, »wir alle würden mit Freuden Ihrem gefühlvollen, menschlichen Herzen diese Genugtuung erlauben, aber der unglückliche Dumoulin ist bereits entschlafen; er hat mit großem Schmerz an unserm Feste teilgenommen, das er aus seinem Fenster übersehen konnte, und unter den vielen Freudenschüssen, die rings gefallen sind, war auch der, der seinem Leben ein Ende machte. Der Jäger, welcher ihn verlassen hatte, mir sein Bekenntnis zu überreichen, hatte seine Büchse bei ihm zurückgelassen, und durch diese starb er, wie ein Feind der Freiheit und des Friedens, während unsers Festes. Möchten alle Feinde des Guten, alle Diener des Eigennutzes, alle Sünder, die den Mut nicht haben, Buße zu tun, heute mit ihm gestorben sein!« –
Die Leser mögen sich denken, welcher Ernst durch diese Nachricht über die Gesellschaft kam. Madame Frenel lag in den Armen ihres Mannes, er schaute ernsthaft auf sie hin, aber plötzlich riß er sie empor, und rief aus. »Nein, nein, meine liebe gute Marie, du sollst nicht so vernichtet sein durch den Tod eines Elenden. Schlage deine Augen auf; was ist er in der Waagschale mit soviel herrlichen Seelen, die heute vor einem Jahre im scharfen Kampfe den Himmel erstürmten!« – »Ich will ruhig sein, lieber Frenel«, sagte Marie, »aber laß mich auf meine Stube gehen, daß ich für ihn bete. Ich habe alle Abende für ihn gebetet, als ich glaubte, daß er mein Vater sei; jetzt, jetzt muß ich auch für ihn beten.« – Frenel umarmte sie herzlich, und die Baronin führte sie nach ihrem Zimmer.
»Unser Prozeß ist sehr einfach geworden«, sagte der Gerichtshalter: »Er hat sich selbst gerichtet!« – Nun las er den Anwesenden das Geständnis Dumoulins vor, welches wir hier im Auszuge mitteilen. Dumoulin war ein Jude gewesen, der aus Gewinnsucht schon in seinem vierzehnten Jahre die Rolle eines Christen zu spielen angefangen; er war eigentlich nie getauft, und hatte eine Menge Stände durchlaufen, bis er endlich die Tochter eines Totengräbers heiratete und mit ihr den Dienst erhielt. Er hatte lange Zeit die Gräber geplündert, und war dadurch zu einem ansehnlichen Vermögen gekommen, das meistens in Ringen und Kleinodien bestand, die er aber nicht zu veräußern wagte. Einst erschien Sanseau, den er nicht kannte, bei ihm, und foderte ihn auf, ihm die Leiche eines neugebornen Kindes zu anatomischen Untersuchungen zu verschaffen. Der Käufer war so dringend und so ängstlich, daß Dumoulin seinen Vorteil verstand, und mit ihm um 15 000 Livres einig wurde, denn die schwere Bedingung war dabei, daß Dumoulin die Leiche selbst nach einem gewissen Hause schaffen mußte. Madame de Renaut gebar ein totes Kind und starb selbst hernach; dieses wurde ausgeliefert, und da die kleine Marie Geneviève, welche während der Krankheit ihrer Mutter bei einer Freundin derselben war, sich auf dem Kirchhofe bei ihrem Brüderchen einfand, mißbrauchte Dumoulins Weib die Kleine, wie wir bereits gehört haben, um die Leiche des Kindes statt ihrer zur Stelle zu bringen. Da dieses am Abend gelungen war, floh Dumoulin mit seinem Weibe und der kleinen Renaut in derselben Nacht, setzte seinen Weg fort bis Moskau, kaufte sich dort an, und ward Pelzhändler. Das übrige ist uns bereits bekannt. In seinem Testamente erklärte er, daß 15 000 Livres, die er von Sanseau empfangen, natürlich dessen Erben Frenel gehörten, sein übriges Vermögen gehöre den Toten in Paris oder ihren Erben. Hernach folgte eine Spezifikation seines sämtlichen Vermögens und eine Klage, daß das schöne Geld wieder auseinanderkommen sollte, das er mit so mancher Gefahr und Arbeit zusammengebracht. Der Schluß war: »Das Gewehr des Jägers steht vor mir, ich habe noch niemals eine Flinte losgedrückt, ich will es probieren; erschrick nicht, Antoinette, ich brauche keine Gnade, was soll mir die Gnade? Mein Geld werden Sie mir doch nehmen!«
Die Kälte und Niederträchtigkeit dieser letzten Erklärung milderte sehr das Mitleid der Anwesenden, und Frenel sagte: »Der Mensch ist recht ekelhaft; meine Marie soll nicht mehr lang um ihn trauten.« So trennte man sich diesen Abend, der Baron aber ging noch hinaus zu seinem Lustfeuer und nahm teil an der Freude seiner Angehörigen und Deutschlands, bis der junge Tag den Himmel rötete. Als er auf den Hof zurückkehrte, fand er Frenel an seinem Reisewagen beschäftigt, und auf die Frage, was ihn so früh herausgetrieben, erklärte ihm dieser, seine Frau sei durch den Selbstmord und die letzte Erklärung Dumoulins so unangenehm ergriffen worden, daß er sich entschlossen habe, sobald die Sonne in der Höhe sei, abzureisen, und deswegen alles in Ordnung bringe. Der Baron erwiderte, daß er ihm dies nicht verdenken könne, so angenehm es ihm auch sein würde, noch einige Tage mit ihm zu leben; doch wolle er nebst der Baronin ihn bis zur nächsten Station begleiten, wo er ihm rate, seine Kalesche und seine Pferde zu verkaufen, einen bequemen Reisewagen zu erhandeln, seine überflüssige Bagage einem Kaufmann zur Spedition zu übergeben, und mit Extrapost nach Paris zu reisen, um seine Frau so schnell als möglich allen unangenehmen Eindrücken zu entziehen. Frenel dankte ihm für seinen Rat, und der Baron traf die Anstalten zur Abfahrt, Als sie nachher mit dem Gerichtshalter zusammenkamen, bevollmächtigte Frenel diesen, die Beerdigung der beiden Verstorbenen zu besorgen; er bat den Baron um die Erlaubnis, seinen Schwager Sanseau unter dem Steine, durch dessen Aufrichten sie sich kennengelernt hatten, begraben lassen zu dürfen, er wolle ihm dann, da er doch bald wieder aus Frankreich nach Moskau, um den Nachlaß zu ordnen, zurück müsse, hier ein Denkmal setzen lassen. Der Baron war dies wohl zufrieden. Für das Grab Dumoulins begehrte er jene Kartoffelgrube bei dem Walde, in welche dieser den Sanseau hatte wollen begraben haben, für einstweilen, denn man könne der nächsten israelitischen Gemeinde erlauben, ihn sich abzuholen, wofür er derselben den Pelzrock und die Zobelmütze des Verstorbenen zum Preise aussetzte. Hierauf beschenkte er den Gerichtshalter, den Chirurg und alle Dienerschaft des Barons reichlich, erklärte dem Amtsdiener, er werde ihn bei seiner Rückkehr wegen dem schiefen Munde, den ihm Sanseau einst verursacht, noch reichlich bedenken, und schloß den Baron mit den Worten in seine Arme: »Und Sie, edler Mann, wie auch Ihre Gattin, werden mir dann ebenfalls erlauben, meinen Dank abzustatten; aber die Schachtel mit der Friedenspuppe müssen Sie mir nach Paris mitgeben, daß ich sie dort meinen Freunden vorzeige.« Der Baron war es gern zufrieden, sein Wagen fuhr vor, sie saßen alle miteinander ein, und rollten mit stillem Nachdenken an den schicksalsvollen Stellen vorüber.
Die folgenden Monate gingen hin, den Bau des Barons zu vollenden, und als er gegen die Mitte des Dezembers seine Anstalten bereits traf, mit seiner Familie nach der Stadt zu ziehen, fuhr eines Abends ein eleganter Reisewagen auf den Hof, aus dem der nunmehr in alle seine Rechte eingesetzte Chevalier de Montpreville heraussprang, und ihn umarmte. Er reiste mit Empfehlungen seines Hofes nach Moskau, dort die Verlassenschaft Dumoulins in Anspruch zu nehmen, und wollte den Baron besuchen, um ihm sowohl seinen Dank abzustatten, als ihm auch den Ausgang seiner Angelegenheiten zu eröffnen. Da er seine Frau bei ihren Verwandten und namentlich bei ihrer Firmungspate Madame de la Bigautière, die mit andern Ausgewanderten zurückgekehrt war, in Paris gelassen hatte, wo sie im Begriff war, ein ansehnliches Erbe in Besitz zu nehmen, wollte er seine Geschäftsreise so sehr beschleunigen als möglich, und eröffnete dem Baron, daß er schon am nächsten Morgen weiterreisen würde. Es wurde daher sogleich alles erzählt, was den Baron interessieren konnte, nämlich daß Sanseaus Frau, seine Stiefschwester, sobald er ihr seine Eröffnungen durch einen Sachwalter mitgeteilt, dem letzten Willen ihres Mannes beigetreten sei, ihm die ganze Erbschaft übergeben habe, und sich in das Kloster der Barmherzigen Schwestern habe aufnehmen lassen. Er erklärte dem Baron, daß er nun ein Mann von wenigstens 12 000 Livres jährlicher Einkünfte sei, und bat ihn, da er, nebst dem Zufall, seiner Güte sein Glück zu verdanken zu haben glaube, einige kleine Andenken von ihm anzunehmen. Das eine war eine schöne Hautelisse-Tapete, das Urteil Salomons vorstellend, die er im Nachlaß Sanseaus gefunden hatte. »Es ist billig«, sprach er, »daß ich Ihre Gerichtsstube neu tapezieren lasse, welche mein Schwager Ihnen einst verletzte; die Tapete schien mir für eine Gerichtsstube recht schicklich, um so mehr, da hier auch ein Prozeß über ein totes und lebendes Kind sich wunderbar entwickelte.« Der Baronin hatte er zur Entschädigung für die Schachtel mit der Friedenspuppe, die er ihr entführt, einige sehr schöne moderne Anzüge und den Kindern sehr artige Puppen mitgebracht. Sodann übergab er dem Baron die Zeichnung eines Denkmals, welches er mit seiner Erlaubnis über dem Grabe seines Schwagers aufgerichtet wünschte; es bestand in einer kleinen gothischen Kapelle. Jener Stein sollte roh drin liegen bleiben, und auf demselben das Bild der Jungfrau Maria, welche die Schlange zertritt, aufgerichtet werden; sie sollte eine Lilie und das Jesuskind eine Palme in der Hand tragen, auf ihr Haupt aber die Taube sich mit dem Ölzweig niederlassen, die Aufschrift des Tempels aber: Paci et Providentiae sein. Er wies dem Baron, um diese Arbeiten den Winter über in der Residenz ausführen zu lassen, die gehörigen Summen an, und sie trennten sich am folgenden Morgen mit dem Versprechen, den nächsten Frühling hier wieder zusammenzutreffen, und den kleinen Tempel des Friedens und der Vorsehung einzuweihen.
Da sich auf dem Dache desselben ein zierlicher Turm und auf diesem ein kupferner Knopf erheben wird, so soll diese Geschichte, zur Freude einer forschenden Nachwelt, in diesem Knopfe niedergelegt werden.