Alfred Edmund Brehm
Die Menschenaffen
Alfred Edmund Brehm

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Am 4. Mai lieferten einige Neger, welche in meinem Auftrage jagten, einen jungen lebenden Gorilla ein. Ich kann unmöglich die Aufregung beschreiben, welche mich erfaßte, als man das kleine Scheusal in das Dorf brachte. Alle die Beschwerden und Entbehrungen, welche ich in Afrika ausgehalten hatte, waren in einem Augenblicke vergessen. Der Affe war etwa zwei bis drei Jahre alt, 2-1/2 Fuß hoch, aber so wütend und halsstarrig, wie nur einer seiner erwachsenen Genossen hätte sein können. Meine Jäger, welche ich am liebsten an das Herz gedrückt hätte, fingen ihn in dem Lande zwischen dem Rembo und dem Vorgebirge St. Katharina. Nach ihrem Berichte gingen sie zu fünft nahe einer Ortschaft an der Küste lautlos durch den Wald, hörten ein Geknurre, welches sie sofort als den Ruf eines jungen Gorilla nach seiner Mutter erkannten, und beschlossen, ohne Zögern dem Schrei zu folgen. Mit den Gewehren in der Hand schlichen die Braven vorwärts, einem düsteren Dickicht des Waldes zu. Sie wußten, daß die Mutter in der Nähe sein würde, und erwarteten, daß auch das gefürchtete Männchen nicht weit sein möchte, beschlossen jedoch, alles aufs Spiel zu setzen, um womöglich das Junge lebend zu erhalten. Beim Näherkommen hatten sie einen selbst ihnen seltenen Anblick. Das Junge saß einige Schritte entfernt von seiner Mutter auf dem Boden und beschäftigte sich, Beeren zu pflücken. Die Alte schmauste von denselben Früchten. Meine Jäger machten sich augenblicklich zum Feuern fertig, und nicht zu spät; denn die Alte erblickte sie, als sie ihre Gewehre erhoben. Glücklicherweise töteten sie die besorgte Mutter mit dem ersten Schusse. Das Junge, erschreckt durch den Knall der Gewehre, rannte zu seiner Erzeugerin, hängte sich an sie, umarmte ihren Leib und versteckte sein Gesicht. Die Jäger eilten herbei; das hierdurch aufmerksam gewordene Junge verließ aber sofort seine Mutter, lief zu einem schmalen Baume und kletterte an ihm mit großer Behendigkeit empor, setzte sich hier nieder und brüllte wütend auf seine Verfolger herunter. Doch die Leute ließen sich nicht verblüffen. Nicht ein einziger fürchtete sich, von dem kleinen wütenden Vieh gebissen zu werden. Man hieb den Baum um, deckte, als er fiel, schnell ein Kleid über den Kopf des seltenen Wildes und konnte es nun, so geblendet, leichter fesseln. Doch der kleine Gesell, seinem Alter nach nur ein unerwachsenes Kind, war bereits erstaunenswürdig kräftig und nichts weniger als gutartig, so daß die Leute nicht imstande waren, ihn zu führen, und sich genötigt sahen, seinen Hals in eine Holzgabel zu stecken, welche vorn verschlossen wurde und als Zwangsmittel dienen mußte. So kam der Gorilla in das Dorf. Eine ungeheure Aufregung bemächtigte sich aller Gemüter. Als der Gefangene aus dem Boote gehoben wurde, in welchem er einen Teil seines Weges zurückgelegt hatte, brüllte und bellte er und schaute aus seinen bösen Augen wild um sich, gleichsam versichernd, daß er sich gewiß rächen werde, sobald er könne. Ich sah, daß die Gabel seinen Nacken verwundet hatte, und ließ deshalb möglichst rasch einen Käfig für ihn anfertigen. Nach zwei Stunden hatten wir ein festes Bambushaus für ihn gebaut, durch dessen sichere Stabe wir ihn nun beobachten konnten. Er war ein junges Männchen, erwachsen genug, um seinen Weg allein zu gehen, für sein Alter auch mit einer merkwürdigen Kraft ausgerüstet. Gesicht und Hände waren schwarz, die Augen jedoch noch nicht so tief eingesunken wie bei den alten, Brust und Bauch dünner, die Arme länger behaart. Das Haar der Brauen und des Armes, welches rötlichbraun aussah, begann sich eben zu erheben; die Oberlippe war mit kurzen Haaren bedeckt, die untere mit einem kleinen Barte, die Augenlider waren fein und dünn, die Augenbrauen etwa 2 cm lang; eisgraues Haar, welches in der Nähe der Arme dunkelte und am Steiße vollständig weiß erschien, bedeckte seinen Nacken.

Nachdem ich den kleinen Burschen glücklich in seinen Käfig gelockt hatte, nahete ich mich, um ihm einige ermunternde Worte zu sagen. Er stand in der fernsten Ecke; sowie ich mich aber näherte, bellte er und sprang wütend nach mir. Obgleich ich mich so schnell wie ich konnte zurückzog, erreichte er doch meine Beinkleider, zerriß sie und kehrte augenblicklich wieder nach seinem Winkel zurück. Dies lehrte mich Vorsicht, doch gab ich die Hoffnung, ihn zu zähmen, nicht auf. Meine erste Sorge war natürlich, Futter für ihn zu schaffen. Ich ließ Waldbeeren holen und reichte ihm diese nebst Wasser; doch wollte er weder essen noch trinken, bevor ich mich ziemlich weit entfernt hatte. Am zweiten Tage war Joe, wie ich ihn genannt hatte, wilder als am ersten, fuhr auf jedermann zu, welcher nur einen Augenblick vor seinem Käfige stand, und schien bereit, uns alle in Stücke zu zerreißen. Ich brachte ihm einige Pisangblätter und bemerkte, daß er davon nur die weichen Teile fraß. Er schien nicht eben wählerisch zu sein, obschon er jetzt und während seines kurzen Lebens mit Ausnahme der wilden Blätter und Früchte seiner heimischen Wälder alles Futter verschmähte. Am dritten Tage war er noch mürrischer und wütender, bellte jeden an und zog sich entweder nach seinem fernen Winkel zurück oder schoß angreifend vor. Am vierten Tage glückte es ihm, zwei Bambusstäbe auseinander zu schieben und zu entfliehen. Beim Eintreten in mein Haus wurde ich von ärgerlichem Brüllen begrüßt, welches unter meiner Bettstelle hervorkam. Augenblicklich schloß ich die Fenster und rief meine Leute herbei, das Tor zu beaufsichtigen. Als Freund Joe dies sah, bekundete er grenzenlose Wut. Seine Augen glänzten, der ganze Leib bebte vor Zorn, und rasend kam er unter dem Bette hervor. Wir schlossen das Tor und ließen ihm das Feld, indem wir vorzogen, lieber einen Plan zu seiner sicheren Gefangennahme zu entwerfen, als uns seinen Zähnen auszusetzen. Es war kein Vergnügen, ihn wieder zu fangen; er war schon so stark und wütend, daß ich selbst einen Faustkampf mit ihm scheute, aus Furcht, von ihm gebissen zu werden. Mitten im Raume stand der biedere Gesell und schaute grimmig auf seinen Feind, prüfte dabei aber mit einiger Überraschung die Einrichtungsgegenstände. Ich besorgte, daß das Ticken meiner Uhr sein Ohr erreichen würde und ihn zu einem Angriffe auf diesen unschätzbaren Gegenstand begeistern oder daß er vieles von dem, was ich gesammelt hatte, zerstören möchte. Endlich, als er sich etwas beruhigt hatte, schleuderten wir ihm glücklich ein Netz über den Kopf. Der junge Unhold brüllte fürchterlich und wütete und tobte unter seinen Fesseln. Ich warf mich schließlich auf seinen Nacken, zwei Mann faßten seine Arme, zwei andere die Beine, und dennoch machte er uns viel zu schaffen. So schnell wie möglich trugen wir ihn nach seinem inzwischen ausgebesserten Käfige zurück und bewachten ihn dort sorgfältiger.

Niemals sah ich ein so wütendes Vieh wie diesen Affen. Er fuhr auf jeden los, welcher ihm nahte, biß in die Bambusstäbe, schaute mit bösen Augen um sich und zeigte bei jeder Gelegenheit, daß er ein durch und durch bösartiges und boshaftes Gemüt hatte.«

Im Verlaufe seiner Erzählung teilt Du-Chaillu mit, daß Joe weder durch Hunger noch durch »gesittete Nahrung« zu bändigen war, nach einiger Zeit, als er zum zweitenmal durchbrach, mit vieler Mühe wieder gefangen, trotz alles Widersträubens in Ketten gelegt wurde und zehn Tage darauf plötzlich starb, seinen Herrn zuletzt aber wohl kennengelernt hatte. Später will Du-Chaillu ein junges Gorillaweibchen erhalten haben, welches mit außerordentlicher Zärtlichkeit an der Leiche seiner Mutter hing und das ganze Dorf durch seine Betrübnis in Aufregung versetzte. Das Tierchen war noch ein kleiner Säugling und starb, weil Milch nicht zu bekommen war, schon am dritten Tage nach seinem Fange.

Die Eingeborenen des Inneren essen das Fleisch des Gorilla und anderer Affen sehr gern, obgleich es schwarz und hart ist; die Stämme nahe der See dagegen verschmähen es und fühlen sich beleidigt, wenn man es ihnen anbietet, weil sie sich einer gewissen Ähnlichkeit zwischen ihnen und den Affen bewußt sind. Auch im Inneren weisen Negerfamilien Gorillafleisch zurück, weil sie wähnen, daß vorzeiten eine ihrer weiblichen Ahnen einen Gorilla geboren habe.

Unter allen Berichterstattern macht Winwood Reade den Eindruck der größten Verläßlichkeit. »Als ich im Inneren der Gorillagegenden reiste,« sagt er, »pflegte ich in jedem Dorfe, welches mir zur Nachtherberge wurde, nachzufragen, ob sich hier ein Neger befinde, welcher einen Gorilla getötet habe. Wollte das Glück, daß dies der Fall war, so ließ ich ihn zu mir bringen und befragte ihn mit Hilfe eines Dolmetschers über die Sitten und Gewohnheiten der Affen. Diesen Plan verfolgte ich unter den Belingi am Muni, unter den Schikeni am Gabun und unter den Kommi am Fernandovaz. Ebenso befragte ich auch die aus dem Inneren stammenden Sklaven, welche von ihren Herren als Jäger verwendet wurden. Alle Nachrichten, welche ich empfing, habe ich verglichen und nur das behalten, welches durch das gleichlautende Zeugnis aller Jäger dieser drei verschiedenen Gegenden Innerafrikas bestätigt wurde.

In Bapuku ist der Gorilla unter den Küstenstämmen nicht bekannt. Der nördlichste Punkt, wo ich von seinem Vorhandensein Kunde erhielt, war das Ufer eines kleinen Flusses bei St. Jones. Am Muni findet er sich weniger häufig als um den Gabun, und in den Waldungen am Fernandovaz wiederum häufiger als dort. Glaubwürdige Berichte bestätigen, daß er in Majumba, von welchem Battell spricht, und nach Süden hin bis nach Loango vorkommt; ich bin jedoch geneigt zu glauben, daß er sich über ein weit größeres Gebiet verbreitet, als wir gegenwärtig annehmen. Der Schimpanse lebt nach Norden hin bis zur Sierra Leone, und ich nehme an, daß der Gorilla sich in demselben Gebiete wie jener findet. Der Schimpanse hält sich mehr an der Seeküste und in offneren Gegenden auf als der Gorilla, und darin liegt die Erklärung, daß man jenen besser kennt als diesen. Die Fens erzählten mir, der ›Nji‹ sei sehr häufig in dem weiten Lande gegen Nordosten, von welchem sie ausgewandert waren, und man höre dort seinen Schrei in unmittelbarer Nähe der Stadt; und ebenso wurde mir in Ngumbi gesagt, daß der Gorillatanz – ein Tanz der Neger, welcher die bezeichnendsten Bewegungen des Gorilla nachzuahmen versucht – in einem neunzig Tagereisen nach Osten hin gelegenen Lande seinen Ursprung habe.

Während der Schimpanse in der Nachbarschaft kleiner Steppen haust, scheint der Gorilla das düstere Zwielicht der dichtesten Wälder zu lieben. Er läuft auf allen vieren, und man sieht ihn zuweilen allein, zuweilen in Begleitung eines Weibchens und Jungen. Von den Bäumen bricht er sich Zweige und Blätter, welche sich in einer ihm erreichbaren Höhe über dem Boden befinden. Zuweilen erklettert er auch einen Baum, um dessen Früchte zu genießen. Eine Grasart, welche in kleinen Büschen wächst, liebt er so, daß man sein Vorkommen da, wo dieses Gras vorhanden, fast mit Sicherheit annehmen kann. Morgens und abends besucht er die Pflanzungen der Dörfer, frißt Pisang und Zuckerrohr und läßt seinen kläglichen Schrei vernehmen. Nachts erwählt er sich einen hohlen Baum, um auf ihm zu schlafen. Wenn das Weibchen trächtig ist, baut das Männchen, meist in einer Höhe von fünf bis acht Metern über dem Boden, ein Nest, d. h. ein bloßes Lager aus trockenen Stecken und Zweigen, welche es mit den Händen zusammenschleppt. Hier bringt das Weibchen sein Junges zur Welt und verläßt dann das Nest. Während der Brunftzeit (?) kämpfen die Männchen um ihre Weibchen. Ein glaubwürdiger Zeuge sah zwei von ihnen im Kampfe; einer war viel größer als der andere, und der kleinere wurde getötet. Aus dieser Tatsache scheint mir hervorzugehen, daß die Gorillas in Vielehigkeit leben wie andere Tiere, welche um die Weibchen kämpfen. Das gewöhnliche Geschrei des Gorilla ist kläglich, das Wutgeschrei dagegen ein scharfes, rauhes Bellen, ähnlich dem Gebrülle eines Tigers.

Entsprechend der Neigung der Neger, alles zu übertreiben, hörte ich anfänglich die verschiedensten Geschichten bezüglich der Wildheit des Gorilla. Als ich aber die wirklichen Jäger befragte, fand ich sie, soweit ich zu urteilen vermochte, wie alle mutigen Leute bescheiden und eher schweigsam als geschwätzig. Ihre Mitteilungen über die Wildheit der Affen reichen kaum bis an die Erzählungen von Savage und Ford heran. Sie leugnen, daß der Gorilla, ohne gereizt zu sein, den Menschen stets angreife. Laßt ihn allein, sagen sie, und er läßt euch allein. Wenn er aber beim Fressen oder im Schlafe plötzlich überrascht wird, dreht er sich in einem Halbkreise herum, heftet seine Augen fest auf den Mann und stößt einen unwillig klagenden Schrei aus. Versagt das Gewehr des Jägers oder wird der Affe nur verwundet, so läuft er zuweilen davon; manchmal aber stürzt er sich mit wütendem Blicke, herunterhängender Lippe und nach vorn überfallendem Haarschopfe auf den Gegner. Es scheint nicht, daß er sehr behend sei; denn die Jäger entkommen ihm häufig. Er greift stets auf allen vieren an, packt den betreffenden Gegenstand, reißt ihn in seinen Mund und beißt ihn. Die Geschichte vom Zusammenbeißen des Gewehrlaufes wird allgemein erzählt, ist aber durchaus nicht wunderbar, weil die billigen Gewehre aus Birmigham von jedem starkkieferigen Tiere zusammengequetscht werden dürften. Von den verschiedensten Seiten her hörte ich erzählen, daß Leute durch den Gorilla getötet worden seien; immer aber fand ich, daß sich solche Erzählungen auf Überlieferungen gründeten. Daß ein Mann von einem Gorilla umgebracht werden kann, möchte ich keinen Augenblick bezweifeln, daß aber kein Mann seit Menschengedenken umgebracht worden ist, kann ich mit Bestimmtheit versichern. Der Jäger, welcher mich in den Waldungen von Ngumbi führte, wurde einst von einem Gorilla verwundet. Seine Hand war vollständig verkrüppelt und die Narben der Zahnwunden am Gelenke noch sichtbar. Ihn forderte ich auf, mir genau die Art und Weise des Angriffes eines Gorilla zu zeigen. Ich stellte den Jäger vor, er den Gorilla. Er nahm eine gebückte Stellung an, und ich tat, als ob ich ihn schießen wollte. Nun kam er auf allen vieren auf mich zu, ergriff meine Hand am Gelenke, zog sie zu seinem Munde, biß hinein und lief davon. So, sagte er, hat der Gorilla mit mir getan. Durch solche einfache Zeugen gelangt man unter den Negern am ersten zur Wahrheit. Der Leopard gilt allgemein für ein wilderes und gefährlicheres Tier als der Gorilla. Auch der Schimpanse greift, wenn er angefallen wird, einen Menschen an; dasselbe tut der Orang-Utan, dasselbe tun in der Tat alle Tiere vom Elefanten bis zu den Kerbtieren herunter. Ich kann also keinen Grund zu der Annahme finden, daß der Gorilla wilder und mehr geneigt zum Angriffe auf einen Menschen sei als andere Tiere, welche, wie unser Affe, bedächtig und furchtsam sind, und welche ihre ausgezeichnete Befähigung im Riechen und Hören sich zunutze machen, um vor dem Menschen zu entfliehen.


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