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Der Altvater der Tierkunde, Linné, einer der größten Naturforscher aller Zeiten und »das Haupt aller früheren, gegenwärtigen und zukünftigen Jünger der Wissenschaft«, teilte in seinem unsterblichen Werke »System naturae« die Tiere in sechs Klassen ein: in Säugetiere, Vögel, Lurche, Fische, Kerbtiere und Würmer. Er vereinigte somit in den beiden letzten Klassen so viele verschieden gebaute und gebildete Geschöpfe, daß seine ausgezeichnete Arbeit doch nur für die Zeiten der Kindheit unserer Wissenschaft gültig sein konnte. Viele Forscher versuchten es nach ihm, diese Einteilung zu berichtigen, bis endlich Cuvier im Jahre 1829 die beiden durchgreifenden Gegensätze der Ausbildung des tierischen Leibes zur Geltung brachte und die wirbellosen den Wirbeltieren gegenüber stellte. Er vereinigte die ersten vier Klassen Linnés zu einer, die beiden letzten zu einer anderen Halbscheid, trennte dagegen die bunt zusammengeworfenen »Kerbtiere« und »Würmer«, ihrer natürlichen Beschaffenheit Rücksicht tragend, in drei größere Kreise ( Weich-, Glieder- und Pflanzentiere) und bildete aus ihnen fünfzehn Klassen. Hiermit legte er den Grund der heutigen Tierkunde: und alle Naturforscher nach ihm haben nur auf dieser Grundlage fortgebaut.
Es ist unerläßlich, daß wir, wenn auch nur flüchtig, einen Blick auf die Gesamtheit der Klassen werfen, deren erste uns zunächst beschäftigen soll. Alle Wirbeltiere haben so entschieden übereinstimmende Merkmale, daß sie niemals mit den wirbellosen Tieren verwechselt werden können. Sie kennzeichnen das innere Knochen- oder Knorpelgerüst, welches Höhlen für Gehirn und Rückenmark bildet und von Muskeln bewegt wird, die Gliedmaßen, deren Anzahl niemals vier überschreitet, das rote Blut, ein vollständiges Gefäßnetz, die seitliche Gleichmäßigkeit des Leibes und die Längsgliederung der Organe. Ihre hohe Entwicklung ist deutlich genug ausgesprochen. Das große Gehirn befähigt sie zu einer geistigen Tätigkeit, die die aller übrigen Tiere weit überwiegt; ihre Sinneswerkzeuge haben mehr oder minder einhellige, gleichmäßige Ausbildung erlangt. Augen und Ohren sind fast immer vorhanden und dann stets paarig: die Nase besteht ans zwei Höhlen und dient nur ausnahmsweise als Tastwerkzeug. Leber und Nieren finden sich immer; die Milz fehlt selten. Alle sind getrennten Geschlechts. Empfindung und Lebendigkeit sind ihnen gemein.
Die Säugetiere stehen in dieser Abteilung entschieden obenan: und eine solche Stellung verlangt der Walfisch ebenso gebieterisch wie der Mensch, der die höchste denkbare Entwicklung im Tierreiche darstellt. Eine ebenmäßige Ausbildung aller Leibesteile und die überwiegende Masse des Gehirns spricht sich beim Elefanten wie bei der Maus, beim Hunde wie beim Schnabeltiere aus. Die Säugetiere haben eine sehr vollkommene Lungenatmung und deshalb rotes, warmes Blut, und sie gebären lebendige Junge, die sie mit einer eigentümlichen Drüsenabsonderung, der Milch, an ihren Brüsten oder Zitzen eine Zeitlang säugen. Sie bilden die am schärfsten und bestimmtesten nach außen hin abgegrenzte Klasse; denn so groß auch ihre äußere Verschiedenheit sein mag, so groß erscheint die Übereinstimmung ihres inneren Baues.
Der Schädel ist bei ihnen, wie bei allen übrigen Säugetieren, von der Wirbelsäule getrennt und besteht überall aus den nämlichen, im wesentlichen gleichartig verbundenen Knochenstücken: sein Oberkiefer ist stets mit ihm verwachsen, und die in ihm und dem Unterkiefer stehenden Zähne haben, so verschiedenartig sie gebaut oder gestellt sein mögen, doch das eine gemein, daß sie immer in Zahnhöhlen oder Alveolen eingekeilt sind. Sieben Wirbel bilden den Hals, mag er nun kurz oder lang sein, den Hals der Giraffe ebensowohl wie den des Maulwurfs; und wenn es auch scheinen will, daß die Faultiere mehr und einige Wale weniger Wirbel des Halses zählen, zeigt die scharfe Beobachtung doch deutlich, daß dort die überzähligen Wirbel zur Brust gerechnet werden müssen, während hier die Verminderung der Anzahl auf Verschmelzung der Wirbel untereinander beruht. Schon den Vögeln gegenüber zeigt sich der Hals der Säugetiere als durchaus einhellig gebaut: denn dort nimmt mit der Länge des Halses auch die Zahl der Wirbel zu. Der Brustteil der Wirbelsäule wird von 10 bis 23, der Lendenteil von 2 bis 9, die Kreuzbeingegend von ebenso vielen und der Schwanz von 4 bis 46 Wirbeln gebildet. Rippen oder Rippenstummel kommen zwar an allen Wirbeln vor; doch versteht man gewöhnlich unter den Rippen bloß die an den Brustwirbeln sitzenden, platten und gebogenen Knochen, welche sich mit dem Brustbeine entweder fest oder durch Knorpelmasse verbinden und die Brusthöhle einschließen. Ihre Anzahl stimmt regelmäßig mit jener der Brustwirbel überein; die Anzahl der wahren oder fest mit dem Brustbeine verwachsenen im Verhältnis zu den sogenannten falschen oder durch Knorpelmasse mittelbar an das Brustbein gehefteten ist aber großen Schwankungen unterworfen. Die Gliedmaßen sind diejenigen Teile des Säugetierleibes, die schon im Gerippe die größten Verschiedenheiten bemerklich werden lassen: – fehlt doch das hintere Paar manchen Waltieren gänzlich oder verkümmert wenigstens bis auf unbedeutende Stummel! Auch am vorderen Gliederpaare weichen namentlich der Schultergürtel und die Hand wesentlich ab; das Schlüsselbein ist sehr stark oder fehlt gänzlich, je nachdem die betreffenden Tiere Gräber oder bloß Läufer sind; die Finger sind vorhanden oder verstummelt, je nachdem die Hand zur Pfote oder Tatze, zum Hufe oder zur Flosse geworden ist: es kann die gewöhnliche Fingerzahl fünf bis auf eins herabsinken. Die Ausbildung der Knochen des Beines ist nicht minder verschiedenartig. Doch können solche Schwankungen und scheinbaren Widersprüche niemals die klare Einhelligkeit des Knochenbaues aller Säugetiere verwischen oder auch nur unklar erscheinen lassen; sie ist vielmehr so groß, daß sich der Kundige aus wenigen Knochen das ganze Gerippe eines ihm noch gänzlich unbekannten Tieres wenigstens in Gedanken zusammenzusetzen vermag.
Dieses Knochengerüst, der Stamm des Säugetierkörpers, wird durch die Muskeln bewegt, durch dieselben Gebilde, die bei vielen Tieren für uns weitaus das Wichtigste des ganzen Leibes sind, weil sie uns zur Nahrung dienen. Sie, die wir im gewöhnlichen Leben einfach »Fleisch« zu nennen pflegen, sitzen überall an den Knochen fest und bewegen diese in der allergünstigsten Weise für die Bewegung – nicht immer hinsichtlich der aufzuwendenden Kraft – nach den verschiedensten Richtungen hin. Ich würde eine genaue Kenntnis des menschlichen Leibes voraussetzen müssen, wollte ich sie beschreiben, und ich will meinen Lesern nicht gern durch nicht streng hierher gehörige Auseinandersetzungen lästig werden. So mag es genügen, wenn ich bemerke, daß alle Muskeln im genauesten Einklange mit den Eigentümlichkeiten des Gerippes und mit der Lebensweise des Tieres stehen, die ja von der Gestalt desselben bedingt und bestimmt wird. Mannigfache Veränderungen der ganzen Anlage erschweren zudem eine übersichtliche Beschreibung. Dem einen Tiere fehlt dieser Muskel ganz, bei dem andern ist er besonders entwickelt: der Wal besitzt gar keine eigentlichen Halsmuskeln, bei dem Affen sind sie fast ebenso ausgebildet wie bei dem Menschen: die Säugetiere, die klettern, graben, flattern oder greifen, haben starke Brustmuskeln zur Beugung des Armes, diejenigen, die laufen, starke Hüft- und Schenkelmuskeln; die, die den Schwanz als fünftes Bein oder überhaupt statt der Hinteren Beine benutzen, besitzen an ihm kräftige Schwanzmuskeln: die Gesichtsmuskeln sind aber bei allen Raubtieren auffallend verstärkt usw. Kurz, jedes Tier ist eben für seine Lebensweise besonders ausgerüstet worden, oder aber, die Ausrüstung hat seine Lebensweise bestimmt. Nicht minder verschiedenartig gebaut sind die Weichteile des Säugetierleibes. Die Verdauungswerkzeuge lassen, so sehr sie einander im ganzen ähneln, viele Abweichungen in ihrem Baue erkennen. Der Mund ist bezeichnend für die ganze Klasse; denn er hat fleischige und feinfühlende Lippen. Die in beiden Kiefern eingekeilten und sie bewaffnenden Zähne kommen in solcher Ausbildung nur den Säugetieren zu und sind für Lebensweise und Fähigkeiten, sowie für die wissenschaftliche Einordnung und Bestimmung entscheidend. Ihre Einteilung in Schneide-, Eck-, Lücken- und Backenzähne ist bekannt, und ebenso weiß man wohl auch, daß wiederum der Mensch in seinem Gebiß die schönste Einhelligkeit der verschiedenen Zahnarten zeigt; denn jeder meiner Leser hat gesehen, wie sehr die Eckzähne im Maule des Hundes die Schneidezähne, oder wie sehr diese im Maule des Eichhorns die Backenzähne durch ihre Ausbildung überbieten. Die Zähne stehen immer im vollsten Einklänge mit der Ernährungsweise des Tieres:
Jeglicher Mund ist geschickt, die Speise zu fassen.
Welche dem Körper gebührt, es sei nun schwächlich und zahnlos
Oder mächtig der Kiefer gezahnt! in jeglichem Falle
Fördert ein schicklich Organ den Gliedern die Nahrung.
So mag nun also der Mund gar keine Zähne mehr haben, wie bei dem Ameisenfresser, oder über zweihundert Zähne zählen, wie bei einem Delphin: immer wird er aufs genaueste der Ernährungsweise des Tieres entsprechen.
An den Mund reiht sich die Speiseröhre an, die dadurch sich auszeichnet, daß sie sich niemals wie bei den Vögeln kropfartig erweitert. Der Magen, in den der Schlund übergeht, ist ebensowenig jemals ein Vogelmagen, wie ihn selbst die naturunkundigsten Hausfrauen vom Huhne kennen, sondern immer nur ein mehr oder weniger dünnhäutiger, einfacher oder bis dreifach eingeschnürter Sack. Ganz eigentümlich gebildet ist er bei denjenigen Tieren, die ihre Speise nach dem Hinabschlingen noch einmal behaglich durchkauen und dann erst in die Abteilung für Verdauung senden, an den ersten Speichern vorüber. Über die ausscheidenden Drüsen, wie Leber, Mund- und Bauchspeicheldrüsen und Nieren, läßt sich im allgemeinen ebensowenig sagen wie über den Darm: es genügt, wenn wir festhalten, daß der Harn nur bei den Säugetieren besonders entleert wird, daß in der Umgebung des Afters oft Drüsen vorkommen, die eigentümliche, gewöhnlich sehr stark riechende oder stinkende Stoffe absondern, und daß bei den männlichen Gabeltieren Harnblase, Harn- und Samenleiter in die Kloake münden, an der sich noch ein Glied ( penis) befindet, das den Inhalt der Kloake nach außen entleert, während bei den weiblichen Gabeltieren die Kloake zur Ausscheidung der Harn- und Geschlechtserzeugnisse dient.
Die Gefäße weichen wenig von dem allgemeinen Gepräge ab; Herz und Adern und Aufsauggefäße sind bei dem einen Säugetier so ziemlich wie bei dem andern gebildet, obgleich auch hier Schwankungen in der Gestalt und Anlage bemerklich werden. Das Herz besitzt immer zwei Kammern und zwei Vorkammern; die Schlagadern sind ausdehnbar, die Blutadern innen mit Klappen versehen; die Saugadern haben viele Vereinigungspunkte und münden durch einen Hauptgang in die große Hohlader.
Die Brusthöhle ist durch das Zwerchfell vollständig geschlossen; die Lunge hängt frei in ihr und steht nicht mit besonderen Luftsäcken in Verbindung; die Luftröhre teilt sich in gewöhnlich zwei, zuweilen (bei den Wiederkäuern, einigen Dickhäutern und vielen Walen) in drei Zweige und hat immer nur einen einzigen Kehlkopf, der im Anfange der Röhre liegt und aus einer bei den verschiedenen Arten schwankenden Anzahl (in der Regel sieben) von Knorpeln gebildet wird. Mit ihm stehen bei einigen Säugetieren eigentümliche Stimmsäcke in Verbindung.
Gehirn und Nerven sind sehr verschieden ausgebildet. Ersteres füllt zwar regelmäßig die Schädelhöhle aus; allein diese ist auch oft verhältnismäßig sehr klein und die Masse des Gehirns dann äußerst gering. Bei keinem einzigen anderen Säugetier überwiegt das Rückenmark in demselben Grade wie bei dem Menschen, und bei keinem ist das große Gehirn so entwickelt wie bei ihm. Hierin gibt sich schon leiblich die geistige Überlegenheit des Menschen über alle übrigen Tiere kund. Bei den geistesarmen Säugern ähnelt das Gehirn noch dem der Vögel; doch erhebt es sich von den am wenigsten begünstigten zu den vollkommeneren rasch und zu außerordentlicher Entwicklung und zeigt bald die eigentümlichen Windungen, deren Anzahl und Ausdehnung im Verhältnis zu der geistigen Befähigung stehen. Die Sinneswerkzeuge bekunden eine große Übereinstimmung in ihrer Anordnung; nur bei den Walen finden sich Abweichungen von der allgemeinen Regel. Diese besitzen wohl noch eine Nase, im günstigsten Falle aber nur einen sehr mangelhaften Geruchssinn, übrigens sind die Nasenlöcher bei allen Säugetieren paarig und von Knochen und Knorpeln umgeben, die ihre Gestalt bedingen. Auffallend verlängerte Nasen oder Rüssel, die zuweilen sehr umfassend bewegt werden können, sind regelmäßig Tastwerkzeuge geworden. Die Riechmuscheln stehen hinsichtlich ihrer Größe und Ausdehnung mit der Ausbildung des Sinnes im Einklänge; ihr sehr entwickelter unterer Teil hat jedoch mit der Geruchsempfindung nicht in dem Grade zu tun wie ihr oberer Teil und der obere Teil der Scheidewand, auf denen der Riechnerv sich verzweigt. Die Werkzeuge des Gehörs sind weit vollkommener als die aller andern Klassen; das Ohr besitzt stets die drei Ohrknöchelchen, Hammer, Amboß und Steigbügel, und bei allen höheren Ordnungen, namentlich aber bei den Landbewohnern eine oft sehr große Muschel. Das Gesicht überwiegt die übrigen Sinne nicht in dem Grade wie bei den Vögeln; die stets paarigen Augen sind immer verhältnismäßig klein und niemals im Innern willkürlich beweglich wie die der zweiten Tierklasse; die Nickhaut ist bereits verkümmert, die Lider aber sind vollkommen und auch die Wimpern schon hier und da vorhanden; der Stern ist rund oder senkrecht und seitlich verlängert. Bei einigen Säugetieren, wie bei dem Blindmoll, werden die Augen von der äußeren Haut überdeckt. Die Muskeln, die den Augapfel bewegen, sind oft zusammengesetzter und zahlreicher als bei den Menschen; denn zu den vier geraden und zwei schiefen, die hier wirken, treten noch andere hinzu. Der Geschmack ist weit vollkommener als der der Vögel, wie schon die fleischige, nervenreiche Zunge schließen läßt. Diese zeigt sich übrigens höchst verschieden hinsichtlich ihrer Gestalt, Beschaffenheit und Bewegungsfähigkeit: sie kann breit, platt, flach und unbeweglich oder schmal, lang, ja wurmförmig und vorstreckbar sein, ist zuweilen an den Seiten gefranst, zuweilen mit Hautstacheln besetzt, wie zum Beispiel die Zunge des Löwen oder aller Katzen überhaupt, kann unter der eigentlichen Zunge noch Anhängsel, die Unterzunge, haben usw. Das Gefühl endlich zeigt sich als Tastsinn in ziemlich hoher Ausbildung und kann durch die Nase oder durch die Hand oder auch durch Schnurrhaare vermittelt werden. Das Vermögen der Empfindung macht sich stets und fast an allen Leibesteilen bemerklich.
Man hat die Säugetiere oft » Haartiere« genannt, damit aber niemals die ganze Klasse scharf bezeichnet. Die Haare, die wir als Grannen- und Wollhaare, Wolle und Borsten unterscheiden, sind allerdings vorherrschend; doch kommen auch Schuppen und Stacheln, überhärtete Knochen, hornige Schilder und hornartige Hautschwielen oder die bloße Haut als äußere Leibesbedeckungen vor, wie ja überhaupt die Gebilde der Oberhaut höchst verschieden sein können, obgleich sie allesamt nur als mannigfaltige Ausprägungen ein und desselben Stoffes betrachtet werden müssen. Eine solche Verschiedenheit zeigt sich auch in den Nägeln, die bald glatt und dünn, bald rund und dick, gerade und gebogen, stumpf und scharf oder Nägel und Krallen, Klauen und Hufe sind.
Weit bezeichnender als alle diese betrachteten Eigentümlichkeiten des Säugetierleibes sind die Geschlechtsteile für unsere Klasse. Die äußere Gestalt derselben darf als bekannt vorausgesetzt werden; den inneren Bau derselben müssen wir jedoch etwas ausführlicher betrachten. Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, daß die Geschlechtswerkzeuge die allervollkommensten in der ganzen Tierreihe darstellen. Was in den unteren Klassen nur angedeutet oder wenigstens nicht ausgeführt ist, erscheint hier vollendet. Schon die äußeren Reiz- und Begattungswerkzeuge sind weit vollkommener als bei den Vögeln, die inneren erzeugenden und ernährenden Drüsen bei diesen ebensowenig vorhanden als die Milchdrüsen, die dem neugeborenen Jungen seine Nahrung liefern. Alle weiblichen Säugetiere besitzen einen paarigen (nur bei dem Schnabeltier und Ameisenigel verkümmerten) Eierstock und Eileiter sowie einen Fruchthälter, in dem das befruchtete Ei zur Reife gelangt. Der Eierstock ist rundlich, eiförmig oder traubig und enthält viele, aber sehr kleine Eierchen, so daß erst die Neuzeit Genaueres über sie berichten konnte. Von hier aus führen die Eileiter zum Fruchthälter hinab, der bei den obengenannten Tieren bloß eine Erweiterung des hier sehr einfachen Organs ist, bei den Beuteltieren und vielen Nagern als eine doppelte Ausweitung beider Eileiter angesehen werden kann, bei den höher stehenden Ordnungen aber zu einem einzigen Sacke zusammenschmilzt. Er mündet bei den Schnabeltieren in den unteren Mastdarm, bei allen übrigen mit dem Harnleiter in die Scheide. – Die äußeren Ernährungsdrüsen für das neugeborene Junge, die Brüste oder Zitzen, fehlen bei keinem Säugetier, sind aber bald an die Brust allein, bald zwischen die Leisten, bald endlich auf Brust, Bauch und Leistengegend zugleich gestellt und schwanken auch in ihrer Anzahl zwischen zwei und zwölf. Sie bestehen aus kauligen, mit Ausführungsgängen versehenen Gebilden, deren Absonderung, die Milch, durch eine mehrfach durchbohrte Warze ausfließen kann. Kurz vor und nach der Zeugung treten sie in Wirksamkeit; in der Kindheit sind sie nur angedeutet.
Diese allgemeinen Bemerkungen mögen für unsere oberflächliche Betrachtung des Säugetierleibes genügen. Unser Zweck ist, das Leben des Leibes und der Seele, das Leben des ganzen Tieres kennenzulernen, und diesen Zweck fassen wir daher vor allem ins Auge.
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Das Leben aller Angehörigen der ersten Klasse bietet uns reichen Stoff zur Belehrung und Unterhaltung. Die Säugetiere leben nicht so viel wie die Vögel; denn ihr Leben ist bedächtiger und schwerfälliger als das jenes leichtsinnigen Volkes der Höhe. Ihnen mangelt die heitere Lebendigkeit und unerschöpfliche Lebensfröhlichkeit der Lieblinge des Lichtes; sie zeigen dafür eine gewisse Behäbigkeit und Lebensgenußsucht, die vielen sehr gut und vielen sehr schlecht ansteht. Hinsichtlich ihrer Beweglichkeit und ihrer Bewegungsfähigkeit kommen sie den Vögeln nicht im entferntesten gleich. Nur wenige kennen die unbeschreibliche Lust einer ungebundenen Bewegung, nur wenige jagen jauchzend zwecklos umher, wie die mit ihren herrlichen Gaben scherzenden und spielenden Kinder der Luft. Sie haben ein ernsthafteres Wesen als diese und verschmähen ein unnützes Anstrengen ihrer leiblichen Kräfte. Bloß in der Kindheit, und wenn die allmächtige Liebe sie kindisch oder kindlich macht, sind sie zu fröhlichem Spiele geneigt und geben sich ganz der Lust der Bewegung hin. Bei den Vögeln ist es anders. Hier heißt sich bewegen, leben, und leben, sich bewegen. Der Vogel ist in steter Unruhe und möchte am liebsten die ganze Nacht zum Tage machen, um seiner ewigen Regsamkeit volles Genüge zu leisten. Sein kleines Herz schlägt schneller, sein Blut jagt stürmischer durch seine Adern, seine Glieder scheinen gelenker, gestählter zu sein, als es bei den Säugetieren der Fall ist. Bewegung ist dem Vogel Bedürfnis, unbedingte Notwendigkeit, dem Säugetiere meist nur ein Mittel zum Zweck. Es scheint die wahre Lebensbehaglichkeit erst zu empfinden, wenn es sich möglichst bequem hingelagert hat und sich, wenn nicht dem Schlafe so doch wenigstens einem Halbschlummer hingeben kann. Ein in solchem Zustande verharrender, fauler Mensch, ein auf dem Rücken liegender Hund, eine auf weichem Polster ruhende Katze und vor allem der wiederkäuende Ochse mögen meine Behauptung bildlich erläutern: ersterer hat mit letzterem noch das gemein, daß er sich nach Kräften bemüht, während der Ruhe des Leibes auch dem Geiste die ausgiebigste Erholung zu gönnen. Ein solches »süßes Nichtstun« mit offenen Augen kommt unter den Vögeln höchstens bei einem toll- und vollgefressenen Geier vor. Sie sind eben Bewegungs-, jene Empfindungstiere.
Man kann allerdings nicht sagen, daß die Bewegungsfreiheit der ersten Klasse gering sei; denn die Säugetiere gehen, laufen, springen, klettern, »fliegen«, schwimmen und tauchen wie die Vögel. Aber die Masse beherrscht, die Scholle fesselt sie, und so wird ihre größte Schnelligkeit von den Seglern der Lüfte, von den erdfrei gewordenen, luftigen Vögeln durchschnittlich überboten. Ja selbst die Erdvögel, wie der Strauß oder der Kasuar, wetteifern im Laufen mit dem schnellfüßigen Roß oder der behenden Antilope. Und wenn die armen Säugetiere nun gar versuchen wollen, den gefiederten Scharen es gleichzutun, zeigen sie erst recht, wie weit sie hinter diesen zurückstehen: – die Fledermaus ist nur ein Zerrbild des Vogels!
Die Säugetiere gehen auf zwei oder auf vier Beinen. Einen aufrechten Gang hat bloß der Mensch, kein zweites Tier außer ihm. Kein Affe geht aufrecht; die Känguruhs oder Springbeuteltiere, die sich ausschließlich auf den Hinterbeinen fortbewegen, gehen nicht, sondern springen, d. h. fördern sich durch Aufschnellen ihrer Beine satzweise, und die Springmäuse, die eines ihrer Hinterbeine um das andere bewegen, gehen nicht aufrecht. Alle übrigen Landtiere laufen auf ihren vier Füßen, und zwar indem sie ein Vorderbein und das gegenseitige Hinterbein zugleich oder fast zugleich aufheben, vorstrecken und wieder niedersetzen. Eine Ausnahme hiervon machen Elefant, Nilpferd, Kamel, Giraffe und mehrere Antilopen: sie bewegen die beiden Beine einer Seite fast genau zu gleicher Zeit. Diese Gangart, der Paß, kann unsern gezähmten Einhufern ebenso gut anerzogen werden wie der natürliche Trab. Jede Beschleunigung des Gehens hebt beide Gangarten, den Paß oder den Wechselschritt, wenigstens scheinbar auf. Man glaubt nämlich, daß ein im schnellsten Laufe dahinjagendes Tier zuerst beide Vorderfüße und dann beide Hinterfüße auf den Boden setze und wieder erhöbe, obgleich es in Wirklichkeit seinen ursprünglichen Gang behält. Die Schnelligkeit dieser Bewegung ist so verschieden, daß eine allgemeine Schätzung derselben hier unausführbar erscheint; zudem hat man sie auch nur beim Pferde genau gemessen. Das Ergebnis dieser Messungen ist übrigens in hohem Grade überraschend. Einige englische Reitpferde haben sich durch ihre Leistungen einen geschichtlichen Namen erworben und mögen deshalb auch hier als Belege aufgeführt werden. Flying Childers durchlief die 20884 Fuß lange Bahn von Neumarket in sechs Minuten und 40 Sekunden; Eclipse legte in jeder Sekunde 58 Fuß zurück; Firetail durchmaß eine englische Meile in 64 Sekunden. Derartige Anstrengungen dieser herrlichen Tiere können natürlich nur kurze Zeit währen; gleichwohl ist auch die Ausdauer der englischen Vollblutpferde bewunderungswürdig. So machte sich ein Herr Wilde verbindlich, eine Strecke von 127 englischen Meilen mit untergelegten Pferden in neun Stunden zu durchreiten, und löste sein Wort durch einen Ritt von nur sechs Stunden und 24 Minuten. Er hatte dabei zehn Pferde benutzt, von denen einige in einer Stunde Zeit 20 englische Meilen oder 102 580 rheinländische Fuß durchliefen. Eine ähnliche Schnelligkeit dürfte im Freileben der Säugetiere übrigens selten vorkommen. Und was ist sie gegen die Schnelligkeit des Vogelflugs?! Schon die langsame Krähe würde mit dem Rennpferd wetteifern können; die Brieftaube überholt es bald: denn sie durchfliegt mehr als den doppelten Raum, nämlich 280 000 Fuß in derselben Zeit. Und wenn nun erst ein Edelfalke zu ernster Jagd oder ein Segler zum Liebesreigen seine kraftgestählten, unermüdlichen Schwingen in Bewegung setzt und, wie die geringste Schätzung ergibt, gegen 800 000 Fuß in einer Stunde durchmißt: wo bleibt da die Schnelle des edlen Rosses? Auch dieses klebt an der Scholle: – darum gewährt die Zeit und Raum überfliegende Dichtung ihrem Rosse die den Leib vergeistigende Schwinge!
Das Springen geschieht sehr verschiedenartig. Alle Säugetiere, die springend laufen, wie die vorhin genannten, schnellen sich durch plötzliches Ausstrecken ihrer zusammengebogenen Hinterbeine vorwärts und machen Sätze anstatt der Schritte. Diejenigen, die nur dann springen, wenn sie angreifen oder ein Hindernis übersetzen wollen, schnellen sich immer durch die Kraftanstrengung aller vier Beine empor, wenn auch die Hinterbeine das Hauptsächlichste dabei leisten müssen. Der Schwanz bestimmt oder regelt die Richtung des Sprunges: und deshalb ist auch bei fast allen Springern dieses notwendige Steuer besonders entwickelt, bei dem Affen ebensowohl wie bei der Springmaus, bei der Katze wie bei dem Känguruh. Ausnahmsweise, z. B. bei den Langarmaffen, verrichten die Hinterbeine anstatt des Schwanzes den Dienst des Steuerns, wie ja auch alle sehr kurzschwänzigen Vögel (Alken, Steißfüße, Seetaucher u. a.) bloß mit den Füßen steuern. Die Kraft des Sprunges ist sehr bedeutend. Ein Affe kann einen in wagrechter Richtung acht bis zehn Meter von ihm entfernten Zweig springend erreichen; ein Eichhorn springt ungefährdet aus einer Höhe von 20 und mehr Meter zur Tiefe nieder; ein Hirsch setzt über eine Wand von drei, ein Löwe über eine solche von vier Meter Höhe, eine Gemse über eine Kluft von gleicher Weite; ein Steinbock schnellt sich bis drei Meter senkrecht empor usw. Der hüpfende Gang der Springbeuteltiere fördert fast ebenso schnell wie der Lauf des Hundes; eine Springmaus wird niemals von einem laufenden Menschen eingeholt. Im Springen sind die Säugetiere Meister; selbst der behende, starke Lachs, der doch oft unter den scheinbar ungünstigsten Umständen bedeutende hohe Sprünge macht, kann mit ihnen nicht wetteifern.
Sehr merkwürdig und verschieden ist die Kletterbewegung der Säugetiere. Wir finden unter denjenigen, deren ganzes Leben auf dem Baume verfließt, ausgezeichnete Kletterer, Seil- oder Zweigkünstler und Gaukler. Nicht nur alle vier Beine, Hände und Pfoten, sondern auch der Schwanz werden in Tätigkeit gesetzt; der letztere übernimmt sogar eine eigentümliche Rolle, deren Wiederholung wir nur bei einigen Lurchen bemerken: er dient als Werkzeug zum Anheften, zum Festbinden des Leibes. Alle altweltlichen Affen klettern, indem sie das Gestein oder die Äste und Zweige mit ihren vier Händen packen und sich durch Anziehen der Vorderarme und Strecken der hinteren Glieder fortschieben. Daß bei solchen Künstlern auch das Umgekehrte stattfinden kann, versteht sich von selbst. Ganz anders klettern viele Affen Amerikas. Sie sind geistig wie leiblich träger, also vorsichtiger und langsamer als ihre übermütigen Verwandten in der alten Welt, auch ihre Bewegungen müssen daher andere sein. Allerdings werden die Hände noch benutzt; der Schwanz aber ist es, der zum Festhalten dient. Seine starken Muskeln rollen dessen Ende so fest um einen Ast oder Zweig, daß der ganze Leib hierdurch allein schon eine Stütze oder einen Henkel erhält, mit dem er sich so sicher befestigen kann, daß die Benutzung aller vier Beine möglich wird. Dieser Schwanz nun ist es, der vorausgeschickt wird, um Anhalt zu suchen; an ihm klettert unter Umständen der Affe wie an einem festgebundenen Seile empor. Von beiden Familien unterscheiden sich die Krallenkletterer, zu denen schon eine Familie der wirklichen Affen gehört. Sie häkeln sich mit ihren gebogenen, scharfen Krallen in die Baumrinde ein und gebrauchen den Schwanz höchstens noch zum Anstemmen gegen die Fläche, an der sie hinaufklettern, oder gar nicht mehr. Unser Eichhorn und die Katze, der Marder und der Bär, der Beutelbilch und das Löwenäffchen sind solche Krallenkletterer. Sie können sich mit großer Klettergeschwindigkeit auf wagrechten, schiefen und senkrechten Flächen bewegen, ja auf ihnen förmlich umherlaufen, und einzelne von ihnen, wie die Kusus und Beutelratten, besitzen dazu auch noch einen Wickelschwanz und geben dann kaum den Affen im Klettern etwas nach. Weit schwerfälliger ist das Klettern der Faultiere. Ihre Füße sind zwar mit starken Krallen versehen, sie benutzen diese aber weniger zum Einhäkeln in die Rinde als vielmehr zum Umklammern der Äste und Zweige der Bäume. An den Stämmen sollen sie wie ein Mensch emporklimmen. Noch einfacher, keineswegs aber ungefährlicher, ist das Ersteigen von Felswänden oder starken Steilungen der Gebirge. Die Paviane, auf den Bäumen tölpisch, müssen als die Meister in dieser Fertigkeit angesehen werden: gleich hinter ihnen aber kommen – die Wiederkäuer, die auf Gebirgen leben. Sie steigen zwar bloß, allein dieses Steigen ist ein Klettern in halsbrechender Weise und erfordert entschieden eine weit größere Sicherheit und eine kaum minder große Gewandtheit als das Klettern aller vorher genannten Tiere, übrigens habe ich in den Urwäldern Afrikas die Ziegen mit großer Geschicklichkeit an schiefen Stämmen hinauf- und in dem Gezweige der Bäume umherklettern sehen.
Man sollte nicht meinen, daß die Vögel auch in dieser Bewegung die Säugetiere wenigstens in einer Hinsicht überträfen. Ein Eichhörnchen »reitet« allerdings schneller an einem Stamme hinan als ein Specht, keineswegs aber auch so behend und zierlich kopfunterst an dem Stamme hinab wie die Spechtmeise (Sitta), mit der hierin nur die Eidechsen, namentlich die Geckos, wetteifern können. Die Affen, Katzen und Eichhörnchen und einige marderartige Tiere gehen zwar auch in der genannten Richtung nach unten: sie klettern aber nicht, sondern rutschen und können sich, wenn sie einmal in Bewegung gekommen sind, keineswegs so ohne alle Umstände auf derselben Stelle halten wie der erwähnte Vogel. Dagegen steht die Wiedergabe derselben Grundform in einer andern Klasse, ich meine den Vogelaffen Papagei, weit hinter seinem Vorbilde zurück. Er stümpert nur, wo jener vollkommen Künstler ist.
Das Flattern der Säugetiere, das oft schon mit Unrecht » Fliegen« genannt ward, lehrt uns eine andere Bewegungsart unserer Klasse kennen. Es läßt sich in ihr allerdings eine Steigerung wahrnehmen; doch bleibt diese Bewegung immer nur bei dem Anfange, bei dem Versuche stehen und gelangt nie zur Vollendung. An den Flugeichhörnchen und Flugbeutlern sehen wir die Anfänger in dieser Fertigkeit. Sie benutzen die zwischen ihren Beinen ausgespannte Haut eben nur als Fallschirm, wenn sie aus der Höhe in die Tiefe hinabspringen wollen, und sind nicht imstande, sich durch Bewegen dieser Haut in freier Luft zu erheben. Auch die Flattermakis, Übergangsglieder von den Äffern zu den Spitzmäusen, vermögen nicht, etwas anderes zu leisten. Einzig und allein die wahren Fledermäuse sind befähigt, mit Hilfe der Flughaut, die zwischen ihren Gliedmaßen und zumal zwischen ihren unmäßig verlängerten Fingern sich ausspannt, in der Luft sich zu bewegen. Das geschieht, indem sie mit der ausgespannten Flughaut schief auf die Luft schlagen und sich dadurch heben und zugleich fördern. Es scheint, als ob ihr sogenanntes Fliegen sehr leicht vonstatten ginge. Sie machen so schnelle und jähe Wendungen, daß sie bloß von einem recht tüchtigen Schützen im Fluge erlegt werden können, streichen flatternd rasch eine Strecke weit fort und heben und senken sich gewandt und schnell. Und dennoch ist diese Bewegung kein Flug, sondern nur ein schwerfälliges Sich-Dahin-Wälzen, ein Kriechen durch die Luft. Jeder Windhauch stört das Flattern der Fledermaus, ein Sturm macht es unmöglich! Der Grund hiervon ist leicht zu erkennen. Die Flughaut ist nicht eine Fläche wie der Vogelflügel, die bald den Durchzug der Luft verwehrt, bald aber erlaubt, sondern bei jeder Bewegung Widerstand verursacht. Wenn nun auch das Flugwerkzeug des Säugetieres beim Heben etwas verkleinert wird, bleibt der größere Widerstand doch fühlbar und drückt das Tier wieder etwas nach unten: der Niederschlag hebt es, der Aufzug senkt es: es muß flattern! Wie ganz anders erscheint der Flug des Vogels! »Er ist«, so habe ich mich früher ausgedrückt, »die köstlichste, erhabenste aller Bewegungen: bald ein geruhiges Schweben, bald ein pfeilschnelles Stürmen, bald ein Wiegen, Schaukeln, Spielen, bald ein Gleiten, Dahinschießen, ernstes Eilen, bald ein Reisen mit Gedankenschnelle, bald ein Lustwandeln, langsam, gemächlich; bald rauschen die Wellen des Äthermeeres unter ihm, bald hört man keinen Laut, auch nicht den geringsten, leisesten; bald erfordert er schwere Flügelschläge, bald keine einzige Flügelbewegung; bald erhebt er den Vogel zu Höhen, von denen uns Menschen nur träumt, bald nähert er ihn der Tiefe, dem Meere, daß dessen Wogen die Fittiche netzen mit ihrem Schaume.« Er kann so mannigfaltig, so verschieden sein, als er nur will: immer bleibt und immer heißt er Flug. Bloß das Flugwerkzeug des Vogels nennen wir Flügel; nur mit ihm begabt der Künstlergedanke die entfesselte Seele: – mit der Flughaut der Fledermaus verhäßlicht er den Teufel, die tollste Mißgeburt kindischen und krankhaften Wahns. Mag auch die nächtliche Lebensweise der Fledermäuse den ersten Gedanken zu solchen Einbildungen gegeben haben: die Form, die Gestalt der Flughaut ist maßgebend gewesen. Und weil solche Flatterhaut nun gerade »dem aus der Höhe zur Tiefe gestürzten Engel verliehen wurde«, während der »nach oben schwebende Bote des Himmels« die Schwinge erhielt, deutet dies sinnbildlich darauf hin, daß die unbewußte Dichterseele des Künstlers wenigstens die eine Wahrheit ahnte: Nur der Vogel ist erdfrei geworden, – das Säugetier hängt auch mit Flügelgedanken noch an der Scholle!
Hierbei ist aber noch eins zu bedenken. Der allervollendetste Flieger, der Segler, nur er, der so recht eigentlich der Höhe angehört, ist mit der erlangten Erdfreiheit auch fremd auf der Erde geworden: der Flatterer ist es stets. Jedes Flattersäugetier erscheint als ein trauriges Mittelding zwischen den Geschöpfen der Tiefe und denen der Höhe. Auf der Erde läuft selbst das überaus behende Flattereichhorn verhältnismäßig schwerfällig dahin: die Fledermaus aber humpelt eben bloß noch. An den Hinterbeinen hängt sie sich auf zum Schlafen, das Haupt immer erdwärts gekehrt; auf ihren Flugwerkzeugen kriecht sie weiter! Nur halb vertraut mit dem Äther, fremd auf der Erde: – welch trauriges Los ist ihr geworden mit ihrem »Flügel!« –
Freundlicher, beglückender für das Tier ist die vielen Säugern verliehene Gabe, das Wasser bewohnen, in ihm schwimmen, in seine Tiefen hinabtauchen zu können. Nur sehr wenige Säugetiere sind gänzlich unfähig, schwimmend auf der Oberfläche des Wassers sich zu erhalten: ich glaube bloß der ungelernte oder ungeübte Mensch und einige Affen, zum Beispiel die Menschenaffen und die Paviane; daß letztere ertrinken, wenn sie in das Wasser fallen, weiß ich aus Erfahrung. Alle übrigen versinken wenigstens nicht alsbald in die Tiefe. Die Meerkatzen schwimmen und tauchen vortrefflich: die Fledermäuse erhalten sich lange Zeit auf den Wellen: die Raubtiere, Nager, Ein- und Vielhufer schwimmen wohl fast sämtlich: unter den Beuteltieren und Zahnlosen gibt es wenigstens einige, die nur im Wasser leben, und die übrigen kommen wahrscheinlich auch nicht in ihm um. Eigentliche Wassersäugetiere aber sind, mit Ausnahme der den höheren Ordnungen angehörigen Wasserbewohner, doch bloß die wahren Meeressäuger: die Robben und Fischsäugetiere. Sie sind eben zu säugenden oder kiemenlosen Fischen geworden und brauchen ihr Wohngebiet allein der Atmung wegen noch auf wenige Augenblicke (wenigstens mit einem Teile ihres Leibes) zu verlassen; sie werden im Wasser geboren, leben, lieben und sterben in ihm. Kein Schwimm- oder Tauchvogel dürfte sie in der Schnelligkeit, kaum einer in der Gewandtheit ihrer Bewegungen übertreffen: Wassersäugetiere und Wasservögel stehen sich durchschnittlich gleich.
Es ist anziehend und belehrend zugleich, die Steigerung der Schwimmtätigkeit zu verfolgen und die den Schwimmern gegebenen Bewegungswerkzeuge vergleichend zu betrachten. Wir können dabei zuerst auch auf die unfreiwilligen Schwimmer blicken. Hier ist das behufte Bein als das unvollkommenste Werkzeug anzusehen; allein dieses vervollkommnet sich rasch in demselben Grade, in dem der Huf sich teilt: und so treffen wir unter den Vielhufern bereits ausgezeichnete Schwimmer, ja, im Nilpferd schon ein echtes Wassertier. Die Hand steht höher als der Huf, erfordert aber wie immer so auch zum Schwimmen größere Geschicklichkeit. Viel leichter wird dies den Pfotentieren. Die weit vorreichende Fingerverbindung durch die Spannhaut läßt aus der Pfote ein breiteres Ruder bilden, und dieses muß um so vollkommener sein, je mehr die Spannhaut sich ausdehnt und zur Schwimmhaut wird. Übrigens ist letztere keineswegs unbedingtes Erfordernis zu geschicktem Schwimmen: denn die Wasserspitzmaus schwimmt unzweifelhaft ebensogut wie das Schnabeltier, obgleich bei ihr nur straffe Haare zwischen den Zehen den breiten Entenfuß des letzteren ersetzen. Die Robben bilden Übergangsglieder von den Pfotentieren zu den eigentlichen Fischsäugern. Ihre Füße sind nur noch dem Namen nach Füße, in Wahrheit aber bereits Flossen; denn die Zehen sind schon gänzlich in die Bindehaut eingewickelt, und nur die Nägel lassen sie äußerlich noch sichtbar erscheinen. Bei den Walen fehlt auch dieses Merkmal; die Zehen werden durch Knorpelgewebe dicht und unbeweglich mit einander verbunden, und bloß die gesamte Flosse ist noch beweglich: die Hinteren Gliedmaßen verschwinden, aber der Schwanz breitet sich wagerecht zur echten Flosse aus: das Mittelding zwischen Säuger und Fisch ist fertig geworden. Eine solche Verschiedenheit der Werkzeuge ändert auch die Bewegung. Die Huf- und Pfotentiere gehen oder strampeln im Wasser und stoßen sich dadurch weiter; die Flossen- und Fischsäuger fördern sich, indem sie ihre Ruder auch rudermäßig benutzen, d. h. mit der schmalen Kante durch die Wellen vorschieben und dann mit der Breitseite gegen sie drücken, oder aber den Flossenschwanz kräftig seitlich oder auf und nieder bewegen, wie der Bootsmann sein Fahrzeug mit einem Ruder durch die Fluten treibt, wenn er dieses im Stern einlegt und bald nach rechts und bald nach links hin drückt, immer aber mit der Breitseite wirken läßt. Die Pfotentiere mit Schwimmhäuten legen ihre Ruder zusammen, wenn sie die Beine vorwärts bewegen, und breiten sie aus, wenn sie gegen das Wasser arbeiten: sie rudern wie die Vögel.
Wenn die Beobachtungen des berühmtesten aller Walfischjäger, Scoresby, wirklich richtig sind, kann die Schnelligkeit der Schwimmbewegung beinahe mit der des Laufes wetteifern; denn ein angeworfener Walfisch versinkt so pfeilgeschwind, daß, wenn er so forttauchen könnte, er in einer Stunde Zeit eine Strecke von zwölf englischen Meilen oder beinahe 80 000 Fuß zurücklegen würde. Die Hälfte dieser Strecke durcheilt er in derselben Zeit ohne Anstrengung.
Die unwillkürlichen Bewegungen des inneren Leibes sind bei den Säugetieren durchschnittlich langsamer als bei den Vögeln. Das Herz schlägt seltener, und der Luftwechsel ist weniger häufig in der Brust des Säugetieres als in der eines gleich großen Vogels. Hiermit steht die etwa um zwei Grad geringere Blutwärme der ersteren im Einklang. Den Wassersäugetieren gewährt diese verhältnismäßige Trägheit der Atmungs- und Blutumlaufswerkzeuge große Vorteile; sie erlaubt ihnen, länger unter dem Wasser auszuharren, als es die Vögel vermögen. Ein Wal kommt nach meinen eigenen, mit der Uhr in der Hand angestellten Beobachtungen durchschnittlich alle Minuten an die Oberfläche, um Luft zu schöpfen, soll aber, nach Scoresby, wenn er angeworfen wurde, auch bis vierzig Minuten unter Wasser verweilen können, ehe ihn das Bedürfnis des Atemschöpfens emportreibt: so lange vermag es kein Vogel unter den Wellen auszuhalten! Wenigstens habe ich immer bemerkt, daß die Alken, selbst wenn ich sie angeschossen hatte und heftig verfolgte, bereits drei Minuten nach ihrem Untertauchen wieder an der Oberfläche erschienen und nach Luft schnappten. Die Eidergans soll zwar bis sieben Minuten unter Wasser bleiben können: ich habe dies aber nie beobachtet. So viel dürfte feststehen, daß alle Vögel, die länger als vier Minuten unter Wasser waren, beim Aufsteigen sehr erschöpft sind und fast augenblicklich ersticken, wenn man sie unter Wasser faßt und noch einige Zeit dort festhält. Zur Vergleichung und vielleicht auch zur Berichtigung möge die Bemerkung dienen, daß der Mensch höchstens siebzig Sekunden lang unter Wasser verweilen kann. Diese Angabe gründet sich auf die Beobachtungen, die von wissenschaftlichen Männern auf besondere Anfrage englischer Gelehrten bei Gelegenheit der Perlenfischerei auf Ceylon angestellt wurden.
Am eigentümlichsten und zugleich auffallendsten zeigt sich die Trägheit der Atmung bei denjenigen Säugetieren, die Winterschlaf halten, so lange dieser Totenschlummer anhält. Ein Murmeltier zum Beispiel, das nach Mangilis Beobachtungen im wachen Zustande während eines Zeitraumes von zwei Tagen 72 000mal atmet, tut dies während des Winterschlafes in Zeit von sechs Monaten nur 71 000 mal, verbraucht also während dieser Zeit höchstens den neunzigsten Teil der Luft, bezüglich Sauerstoffmenge, die während des Wachseins zu seinem Leben erforderlich ist.
Mit den Atmungswerkzeugen steht die Stimme in so enger Beziehung, daß wir sie schon jetzt berücksichtigen können. Wenn wir die Säugetiere auch hierin wieder mit den Vögeln vergleichen, muß uns sogleich die geringe Biegsamkeit der Stimme fast aller Glieder unserer Klasse auffallen. Der Mensch ist das einzige Säugetier, das eine vollkommenere Stimme besitzt, als die Vögel sie haben; ja seine Stimme steht so hoch über der aller Vögel und andern Tiere, daß man sie mit als einen Hauptgrund der Erhebung des Menschengeschlechts zu einer eigenen Klasse angesehen hat. Gegliederte Sprache erscheint allerdings als ein so außerordentlich großer Vorzug der Menschen, daß solche einseitige Gedanken wohl kommen können. Er allein ist es, der die stimmbegabten, sangfertigen Vögel übertrifft, der durch seine Stimme dem Ohre nicht lästig wird wie die übrigen Säugetiere. Schwatzhafte oder zornig kreischende Menschen, zumal Menschenweiber, müssen wir freilich ausnehmen, weil sie sich eben ihrer hohen Stellung entheben und uns das Säugetier im allgemeinen vor die Seele führen. Dieses muß als ein klang- und sangloses Geschöpf bezeichnet werden, als ein Wesen, das im Reiche der Töne fremd ist und jedes Ohr durch die Verunstaltung des Tones beleidigt. Schleiden behauptet zwar irgendwo, daß der Esel ein tonverständiges Säugetier sei, weil sein bekanntes I – A in einer Oktave sich bewege: ich möchte diesen Ausspruch aber doch nur als einen Scherz betrachten und den Esel vielmehr für meine Behauptung beanspruchen, d. h. ihn zu den verabscheuungswürdigsten Tonverderbern zählen. Kaum ein einziges Säugetier besitzt eine Stimme, die unser Ohr befriedigen oder gar entzücken könnte. Die Stimme der meisten erscheint uns in hohem Grade widerwärtig und wird dies um so mehr, je größer die Aufregung und Begeisterung ihres Erzeugers ist. Ich will nur einen einzigen Vergleich zwischen Vögeln und Säugetieren anstellen. Die allmächtige Liebe begabt den Mund des Vogels mit Klängen und Tönen, die unser Herz gewaltsam an sich reißen: aus dem Maule des Säugetieres aber spricht dieselbe allgewaltige Macht in ohrenzerreißender Weise. Welch ein Unterschied ist zwischen dem Liebesgesange einer Nachtigall und dem einer Katze! Hier wird jeder Ton zerquetscht, verunstaltet und gemißhandelt, jeder Naturlaut zum quälenden, ohrenzerreißenden Mißklange umgewandelt: dort wird der Hauch zur Musik, die Musik zu dem herrlichsten und reichsten Liedesgedichte in Klängen und Tönen. Das Liebesflehen der Katze ist ein Lied,
Das Stein erweichen.
Menschen rasend machen kann!
das Lied der Nachtigall ist
Nichts als ein Ach,
Das Ach ist nichts als Liebe!
Und nicht bloß zur Zeit der Liebe ist die Stimme des Säugetieres unserm Ohre unwillkommen, sondern stets, sobald sie irgendeine Ausregung bekundet, ja auch, wenn dies nicht der Fall, fast immer. Wir alle freuen uns der Worte unseres Lieblingsdichters:
Blökend ziehen heim die Schafe,
sicherlich aber weniger des Blökens, als vielmehr des Bildes der Heimkehr wegen. Das Blöken selbst ist ebenso großer Tonunfug wie das Meckern der Ziege oder das Grunzen des Schweines, das Quieken der Ferkel, das Pfeifen der Mäuse, das Knurren des Eichhorns usw. Es fällt niemanden ein, von singenden Säugetieren zu reden, In der Neuzeit hat man allerdings mehrfach von »singenden« Mäusegesprochen; es bedarf aber unzweifelhaft noch anderweitiger Beobachtung, um jenen Ausdruck zu rechtfertigen. Durch neuere Untersuchungen hat sich das »Singen« der Mäuse als eine pathologische Erscheinung erwiesen. weil man den Menschen gewöhnlich ausnimmt, wenn man von den Säugern spricht, und dann nur von Schreien, Bellen, Brummen, Brüllen, Heulen, Wiehern, Blöken, Meckern, Grunzen, Knurren, Quieken, Pfeifen, Fauchen usw. reden kann – wahrhaftig nicht von angenehmen Tönen. Wir sind zwar an die Stimmen vieler unserer treuen Hausgefährten so gewöhnt, daß wir sie zuletzt ebenso gern vernehmen wie den rauhen Brummbaß eines uns lieb gewordenen Freundes oder mancher Hausfrau »teure Stimme« trotz des frevelhaften Gebrauches der Töne, der sich in ihr kund gibt; fragen wir aber einen Tondichter nach dem Tonwert des Hundegebells, Katzenmiauens, Rossewieherns oder Eselgeschreies: so lautet die Antwort sicherlich nicht anerkennend; und selbst das tonkünstlerisch verbesserte Hunde-Wau-Wau in Preciosa dürfte schwerlich vor dem Ohre eines strengen Beurteilers Gnade finden. Kurz, die Stimme aller Säugetiere, mit Ausnahme des Menschen, ist rauh, mißtönig, unbiegsam und unbildsam, und sogar die, die uns zuweilen gemütlich, ansprechend dünkt, hört auf, beides zu sein, sobald irgendeine Erregung die Seele des Tieres bewegt, während bei dem Vogel oft gerade das Gegenteil von all dem stattfindet. Auch hinsichtlich der Stimme ist der Vogel Bewegungstier.
Über die Verdauung, die Bewegung des Ernährungsschlauches, wollen wir wenig Worte verlieren. Sie ist eine ganz vortreffliche, wenn sie auch nicht so rasch vor sich geht als die des Vogels und zuweilen, wie bei den Winterschläfern, monatelang unterbrochen sein kann. Wer sich hierüber gründlicher belehren will, mag irgendein Lehrbuch über die Lebenstätigkeit oder, falls dieses Wort unverständlich sein sollte, über die »Physiologie« des Menschen zur Hand nehmen: dort findet er diesen Abschnitt ausführlicher behandelt, als ich dies tun kann. Eine Art der Verdauung darf ich hier aber doch nicht übergehen, weil sie bloß bei wenigen Säugern vorkommt: ich meine das Wiederkäuen. Die nutzanwendenden Weisheitsbewunderer der Schöpfung belehren uns, daß viele pflanzenfressende Säugetiere notwendigerweise Wiederkäuer sein müssen, »weil sie sich zum Fressen nicht so viel Zeit nehmen könnten« als die gelehrten Herren selber zu ihren Gastereien und deshalb die ihnen nötige Nahrungsmenge auf einmal einzunehmen gezwungen wären; ich, der ich die hohe Zweckmäßigkeit der Schöpfung mit vollster Bewunderung anerkenne, muß gestehen, daß ich den Grund, warum es Wiederkäuer gibt, nicht kenne; ich darf dafür aber glauben, daß sie dazu da sind, um vielen Menschen durch ihre gerade beim Wiederkäuen ersichtlich werdende Faulheit zum abschreckenden Beispiele zu dienen.
Es scheint, als ob das Geschäft des Wiederkäuens zu jeder Zeit stattfinden könne, sobald nur das Tier nicht mit Abbeißen und Verschlingen der ersten Nahrung tätig ist. Eine behagliche Lage und eine gewisse Ruhe ist unbedingtes Erfordernis zum Wiederkäuen; ich wenigstens habe bisher bloß Kamele während des Laufens wiederkäuen sehen. Sowie aber die gewünschte Ruhe des Leibes eingetreten ist, beginnt der Magen augenblicklich sein Geschäft, und das Tier betreibt die wichtige Sache mit solcher Hingebung, daß es aussieht, als sei es in den tiefsinnigsten Gedanken versunken. In Wahrheit aber denkt es an gar nichts oder höchstens daran, daß die faule Ruhe des Leibes in keiner Weise unterbrochen werde. Deshalb käut das Leittier eines Wildrudels nur dann wieder, wenn es nicht mehr für das Wohl der Gesamtheit zu sorgen hat, sondern durch einen andern Wächter abgelöst worden ist. Das alte, noch immer beliebte Sprichwort:
»Nach dem Essen sollst du stehen
Oder tausend Schritte gehen«
wird von den eß- und verdauungsverständigen Wiederkäuern am schlagendsten widerlegt.
So lange wir uns mit der rein leiblichen Tätigkeit der Säugetiere beschäftigen, mußten wir die großen Vorzüge anerkennen, die die Bewegungstiere oder Vögel, wenigstens in vielen Stücken, den Mitgliedern unserer Klasse, den Empfindungstieren, gegenüber besitzen. Anders ist es aber, wenn wir die geistigen Fähigkeiten der Säuger betrachten. Die Sinnestätigkeit, die bei den unteren Klassen als die einzig geistige Regung angesehen werden muß, ist auch bei den Fischen und Lurchen noch eine verhältnismäßig sehr geringe und bei den Vögeln eine vielfach beschränkte; bei unserer Klasse aber treten alle Sinne gleichsam erst in volle Wirksamkeit. Ihre einhellige und gleichmäßige Entwicklung erhebt die Säugetiere hoch über die Vögel. Sie, die letzteren, sind vorzugsweise Augen-, jene »Allsinnstiere«. Die Vögel sehen besser als die Säuger, weil ihr großes Auge vermöge seiner inneren Beweglichkeit für verschiedene Entfernungen eingestellt und sehfähig gemacht werden kann: sie stehen dagegen in allen übrigen Sinnestätigkeiten weit hinter den letzteren zurück. Bei den Säugetieren zeigt sich schon überall mehr oder weniger jene Allseitigkeit, die im Menschen zur vollen Geltung gelangt: und deshalb eben stehen sie an der Spitze des Tierreiches.
Das Gefühl dürfte unter allen Sinnen derjenige sein, der am wenigsten hervortritt: und wie ausgebildet ist gerade dieser Sinn bei den Säugetieren! Der gewaltige Walfisch soll durch die geringste Berührung seiner Haut zum sofortigen Tieftauchen bewogen werden; der Elefant spürt augenblicklich die Fliege, die sich auf seinem dicken Felle festsetzt; dem Ochsen verursacht leises Krabbeln zwischen seinen Hörnern angenehmen Kitzel; den schlafenden Hund erweckt das sanfteste Streicheln. Und alle diese Tiere sind gefühllos zu nennen, im Vergleiche zum Menschen. Bei ihm ist die äußere Haut ja so zartfühlend, daß auch der leiseste Lufthauch, der sie trifft, empfunden wird. Der Tastsinn zeigt sich zwar schwächer als die Empfindung, aber doch überall mindestens in demselben Grade wie bei den Vögeln. Selbst die Einhufer besitzen ein gewisses Tastgefühl in ihren Füßen, trotz des Hornschuhes, der vom Hufbeschläger wie ein dürres Stück Holz behandelt werden kann; man muß nur ein Pferd beobachten, wenn es nachts das Gebirge hinauf- oder hinabsteigt: mit seinem Hufe prüft es den Weg, mit ihm betastet es den Boden. Die Tastfähigkeit der Schnurrhaare ist schon viel größer; die mit ihnen versehenen Tiere tasten wohl fast ebensogut wie viele Kerbtiere, die ihren ersten Sinn in den Fühlhörnern tragen. Unsere Hauskatze, die Ratte oder die Maus zeigen in sehr ersichtlicher Weise, wie nützlich ihnen die Schnurrhaare sind: sie beschnuppern oft nur scheinbar einen Gegenstand oder wenigstens erst, nachdem sie ihn betastet haben. Allen Nachtsäugetieren dienen die Schnurrhaare als unentbehrliche Wegweiser bei ihren nächtlichen Wanderungen: sie schützen vielfach die edleren Sinneswerkzeuge des Gesichts und Geruchs. Zu welcher bewunderungswürdigen Vollkommenheit aber der Tastsinn in unserer Klasse gelangen kann, hat jeder meiner Leser an seiner eigenen Hand erfahren, wenn diese auch noch weit hinter der eines Künstlers oder eines Blinden zurückstehen dürfte. Die Hand ist das vollkommenste aller Tastwerkzeuge: sie kann das Gesicht, wenn auch nicht ersetzen, so doch oft und wirksam vertreten.
Der Geschmackssinn oder das Gefühl der Zunge kommt, streng genommen, erst in unserer Klasse zu allgemeiner Geltung. Ein gewisser Grad von Geschmack darf den Vögeln und auch den Lurchen und Fischen nicht abgesprochen werden; denn man kann beobachten, daß sie manche Speisen lieber fressen als andere: allein der Sinn erhält doch nur bei wenigen Vögeln, z. B. bei den Papageien und Zahnschnäblern, ein Werkzeug, das vermöge seiner Weichheit und der hierdurch wirksam werdenden Nerventätigkeit das Schmecken möglich macht, während dieses Werkzeug, die Zunge, bei der großen Mehrzahl so verhärtet und verkümmert ist, daß es den chemischen Hergang des Schmeckens, die Auflösung der Speiseteile und die dann zur Sinneswahrnehmung gelangende Verschiedenheit derselben, unmöglich einleiten und befördern kann. Anders ist es bei den Säugern. Hier ist die Zunge regelmäßig schmeckfähig, mag sie auch noch so hart und rauh erscheinen. Salz und Zucker äußern, wie jedermann weiß, fast immer ihre Wirkung auf die Geschmackswerkzeuge der Säugetiere; sogar die Katzen verschmähen diese beiden Stoffe nicht, sobald sie gelöst ihnen geboten werden. Die harte Zunge des stumpfsinnigen Kamels, die durch nadelscharfe Mimosendornen nicht verletzt werden kann, widersteht dem chemischen Einflusse des Salzes nicht, sondern fühlt sich höchst angenehm geschmeichelt, wenn dieser Zauberstoff durch sie gelöst und seine Annehmlichkeit fühlbar gemacht wird; der Elefant, dessen Zunge als ein ungefüges Stück Fleisch erscheint, beweist durch große Zufriedenheit, daß dieses klotzige Fleischstück mit Süßigkeiten oder geistigen Getränken äußerst angenehm gekitzelt wird; und alle, selbst die wildesten Katzen, finden in der Milch eine Leckerei. Aber auch hinsichtlich des Geschmacks ist es wieder der Mensch, der die hohe Ausbildung dieses Sinnes am deutlichsten kundgibt: lernen wir doch in ihm oft genug ein Wesen kennen, das in dem Reize dieser Empfindung einen Genuß findet, der nicht nur die Wonnen der übrigen Sinnestätigkeiten, sondern auch alle geistigen Freuden überhaupt vergessen läßt: bei einem echten Fresser heißt schmecken leben, und leben schmecken! Hierin stehen die Vögel wieder unendlich weit zurück hinter den Säugern.
Der Geruchssinn erreicht bei den letzteren ebenfalls die höchstdenkbare Entwicklung. Ein vergleichender Überblick der verschiedenen Tierklassen belehrt uns, daß gerade der Geruch schon bei niederen Tieren einer der ausgeprägtesten Sinne ist: ich will bloß an die Kerbtiere erinnern, die dem Blumenduft nachschwärmen oder zu Aas- und Kothaufen von fern herangezogen, ja schon durch den eigentümlichen Geruch ihrer Weibchen herbeigelockt werden. Die Fische erscheinen in der Nähe eines Aases, das ihnen vorgeworfen wird, in Flüssen sogar von oben her, aus derjenigen Richtung, nach der hin das Wasser doch unmöglich Vermittler des Riechstoffes sein kann; bei den Lurchen aber ist der Geruch so schlecht, daß die wenigsten nichts mit ihm auffinden können; mag man auch behaupten, daß einige Schlangen ihre Weibchen mit Hilfe dieses Sinnes aufsuchen und finden. Unter den Vögeln haben wir bereits viele, die tüchtige Spürnasen besitzen, wenn auch die Erzählungen, die Geier und Raben Aas und andere stinkende Stoffe auf Meilen hin wahrnehmen lassen, auf irrigen und mangelhaften Beobachtungen beruhen. Anders verhält es sich bei den Säugern. Hier finden wir viele Tiere, deren Geruchssinn eine wahrhaft überraschende Ausbildung erlangt hat. Der Geruch ist selbstverständlich nur befähigt, gasförmige Stoffe zur Sinneswahrnehmung zu bringen; wie es aber möglich, bloß noch Andeutungen solcher Gase aufzuspüren und zum Bewußtsein gelangen zu lassen, wird ein ewiges Rätsel bleiben. Ein Hund spürt die bereits vor Stunden getretene Fährte seines Herrn unter tausend anderen Menschenfährten unfehlbar aus oder folgt dem Wilde, das gestern einen gewissen Weg ging auf diesem Wege durch das zu vollem Bewußtsein kommende Riechen, d. h. Ausscheiden des einen eigentümlichen Geruchs aus hundert andern Gerüchen, und hat dazu nicht mehr Anhalt als die Gase, die von einer augenblicklichen Berührung des Stiefels oder Hufes und des Bodens herstammen. Dies uns zu denken oder klar vorzustellen, halte ich für unmöglich. Ebenso undenkbar für uns Stumpfsinnige ist diejenige Ausbildung des Geruchs, die wir »Wittern« nennen. Daß ein Hase den verborgenen Jäger, der im Winde steht, auf dreißig Schritte Entfernung hin riechen kann, erscheint uns nicht gar so merkwürdig, weil selbst unsere Nase, die doch durch Stubenluft und alle möglichen andern edeln oder unedeln, unserm geselligen Leben notwendig anhängenden Düfte hinlänglich entnervt ist, die eigentümlichen Gerüche unserer Haustiere auf zehn bis zwanzig Schritte Entfernung noch wahrzunehmen vermag: daß aber ein Renntier den Menschen noch auf fünfhundert Schritte hin wittert, ist unbegreiflich, und ich würde es, offen gestanden, gewiß nicht geglaubt haben, hätte ich es nicht durch eigene Beobachtung erfahren müssen. Spüren und Wittern sind gleich wunderbar für uns, weil wir weder die eine noch die andere Höhe des Geruchs auch nur annähernd erreichen können.
Es verdient hervorgehoben zu werden, daß alle Tiere, die gute Spürer oder Witterer sind, feuchte Nasen besitzen. Man kann also, so sonderbar dies auch klingen mag, von der mehr oder weniger feuchten Nase aus regelmäßig auf die Höhe des Geruchs schließen. Die Nase der Katze ist schon viel trockener als die des Hundes, die des Affen noch trockener als die der Katze, die des Menschen wieder trockener als die des Affen, und die gradweise abnehmende Fähigkeit des Geruchssinnes der betreffenden Säuger steht hiermit im vollen Einklange. Es würde uns hier zu weit führen, wollten wir alle Abstufungen der Ausbildung des Geruchssinnes von den riechunfähigen Walen an bis zu den spürenden und witternden Säugetieren verfolgen, und es mag deshalb genügen, wenn ich noch angebe, daß unter den Feuchtnasen wiederum diejenigen am ausgezeichnetsten wirken, deren Geruchswerkzeuge noch besonders beweglich oder zu echten Schnüffelnasen umgewandelt sind. In den Nasenbären oder Koatis und in den Schweinen lernen wir solche Schnüffler kennen, dürfen dabei aber nicht vergessen, daß auch die Nasen der Hunde, Schleich- und Ginsterkatzen, Marder und anderer höchst beweglich sind. Daß die Fledermäuse, die noch besondere Nasenanhänge besitzen, den Feuchtnasen nicht nachstehen, ist leicht erklärlich: eine derartige Ausbildung des Sinneswerkzeugs, wie sie sich bei ihnen kundgibt, kann nur zur Schärfung des Sinnes dienen. Endlich glaube ich noch anführen zu müssen, daß diejenigen Wohlgerüche, die stumpfsinnige Nasen angenehm kitzeln, für alle feinriechenden Tiere abscheuliche Dinge sind: jeder Hund wendet sich mit demselben Ekel von dem kölnischen Wasser ab wie vom Schwefelwasserstoffgas. Nur stumpfsinnige Tiere berauschen sich in Düften, wie die Katze in denen des Baldrian; die wahren Geruchstiere meiden alle nervenerregenden Gase mit Sorgfalt, ja mit Angst, weil starke Gerüche für sie wahrscheinlich geradezu schmerzlich sind.
Fraglich erscheint, ob bei den Säugern der Sinn des Geruchs von dem des Gehörs überboten wird oder nicht. So viel steht fest, daß der letztere in unserer Klasse eine Entwicklung erreicht wie in keiner andern. Der Gehörssinn ist zwar schon bei den tieferstehenden Klassen des Tierreiches ziemlich ausgebildet, jedoch nirgends in einem Grade, daß er zum Leben, beispielsweise zum Aussuchen der Beute oder Nahrung unumgänglich nötig wäre. Dies ist erst bei den zwei oberen Klassen der Fall; allein das vollkommenste Ohr der Vögel erscheint immer nur als eine Nachbildung des Säugetierohres. Daß die Vögel ganz vortrefflich hören, geht schon aus ihren tonkünstlerischen Begabungen hervor; sie erfreuen und beleben sich gegenseitig durch ihren liederreichen Mund und durch ihr Gehör, das ihnen eben das Reich der Töne erschließt. Es ist aber bemerkenswert, daß auch unter ihnen nur diejenigen liederbegabt sind oder nur diejenigen sich in Klängen und Tönen berauschen, die das am wenigsten entwickelte Gehör besitzen, während den Feinhörigen, allen Eulen zum Beispiel, dieselben Töne, die andere Vögel entzücken, ein Greuel sind. Geradeso ist es bei den Säugern. Hier zeigt schon der äußere und noch mehr der innere Bau des Ohres die höhere Begabung des entsprechenden Sinnes an; die Begabung aber kann sich so steigern, oder der Sinn kann sich so verfeinern, daß ihm Klänge, die stumpferen Ohren wohllautend erscheinen, gellend oder unangenehm werden. Ein musikalisches Gehör ist deshalb keineswegs ein gutes oder feines zu nennen; es steht vielmehr auf einer tieferen Stufe der Entwicklung als das eines wirklich feinhörenden Tieres, und wenn man von seiner Ausbildung spricht, kann man immer nur eine bezügliche meinen. Hieraus geht hervor, daß beim Menschen der Sinn des Gehörs wie der des Geruchs auf einer tieferen Stufe steht als bei andern Säugern: dies tut aber seiner Stellung unter den Tieren durchaus keinen Abbruch: denn eben die gleichmäßige Ausbildung aller Sinne ist es, die ihn über alle Tiere erhebt.
Die Hörfähigkeit der Säuger ist sehr verschieden. Taub ist kein einziger von ihnen: wirklich feinhörig aber sind nur wenige. Das äußere Ohr gibt einen so ziemlich richtigen Maßstab zur Beurteilung der geringeren oder größeren Entwicklung des Sinnes; d. h. alle Tiere, die große, stehende und bewegliche Ohrmuscheln besitzen, hören besser als diejenigen, deren Ohrmuscheln hängend, klein oder gar verkümmert sind. Mit dem äußerst verbesserten Sinneswerkzeuge vermehrt sich die Empfänglichkeit für die Töne; um es mit wenig Worten zu sagen: großöhrige Säuger hassen, kleinöhrige lieben Töne und Klänge. Der Delfin folgt entzückt dem Schiffe, von dessen Bord Musik zu ihm herabklingt; der Seehund erscheint an der Oberfläche des Wassers, wenn der Fischer leise und klangvoll pfeift; das Roß wiehert vor Lust beim Schmettern der Trompeten; das Kamel stelzt frischer dahin, wenn die Zugglocke läutet; der Bär erhebt sich beim Ton der Flöte; der Elefant, der wohl einen großen Ohrlappen, aber keine große Ohrmuschel besitzt, bewegt seine Beine tanzartig bei der Musik, unterscheidet sogar schmelzende Arien von kräftigen Märschen oder Kriegsgesängen. Aber keines dieser Tiere gibt einen für uns angenehmen, wohltönenden Laut von sich wie die tonbegabten Vögel, die die Musik lieben und durch sie zum Singen und Jubeln aufgemuntert werden, sie ähneln vielmehr noch den Lurchen, der Schlange zum Beispiel, die von der Pfeife ihres Beschwörers herbeigelockt, ja gebändigt wird. Anders benehmen sich die feinhörigen Säuger beim Empfinden der Töne und Klänge, die ihren Ohren zu stark sind. Der Hund erträgt den Baß des Mannes, nicht aber den Sopran der Frau; er heult beim Gesange des Weibes wie bei Tönen aus Blaswerkzeugen, während er die milderen Saitentöne schon viel besser leiden mag. Noch auffallender geberdet sich eine großöhrige Fledermaus, wenn sie Musik hört: sie gerät in peinliche Unruhe, zuckt mit den Vordergliedern und begleitet die äußeren Bewegungen mit zitternden Lauten ihrer Stimme; ihr sind die starken Töne geradezu entsetzlich. Wie sich das Wild beim Hören greller Töne benimmt, weiß ich nicht: ich glaube aber, daß es ebenso empfindlich gegen sie ist wie die andern großöhrigen Tiere.
Übrigens läßt sich über die wirkliche Schärfe des Gehörsinns nichts Bestimmtes sagen. Wir sind nur imstande, bei den einzelnen Tieren von bezüglicher Schärfe zu reden; die Höhe der Entwicklung des Sinnes läßt sich nicht messen. Daß sehr viele Säuger hören, die durchaus nichts wahrnehmen können, ist sicher: wie weit dies aber geht, wissen wir nicht. Es steht wohl fest, daß eine Katze wie die Eule das Geräusch, das eine Maus beim Laufen verursacht, vernimmt; allein wir vermögen nicht zu bestimmen, auf welche Entfernung hin sie die leisen Fußtritte noch vom Rascheln des Windes unterscheiden können. Die großöhrige Fledermaus hört wahrscheinlich das Fluggeräusch kleiner Schmetterlinge, von deren Bewegung wir entschieden nichts mehr durch den Gehörsinn wahrnehmen können, der Wüstenfuchs vielleicht das Krabbeln eines Käfers im Sande noch auf ein gutes Stück; das Wild vernimmt den Schall der Fußtritte des Jägers auf hundert, vielleicht auf zweihundert Schritte: alle diese Angaben aber beweisen gar nichts und gewähren uns keinen Anhalt zu genauer Bestimmung.
Der Gesichtssinn der Säugetiere erreicht wahrscheinlich nie dieselbe Schärfe wie der Geruch und das Gehör. Daß alle Säuger hinsichtlich des Sehens von den Vögeln übertroffen werden, habe ich bereits erwähnt, bis zu welchem Grade aber, dürfte schwer zu sagen sein, da wir auch hierin wirkliche Beobachtungen nur an uns selbst machen können. Es ist wohl anzunehmen, daß von den Tagsäugern kaum einer den Menschen in der Entwicklung seines Auges und der damit verbundenen Sehschärfe überbietet; wenigstens kenne ich keine Beobachtungen, die dem widersprächen. Anders verhält es sich bei den Nachttieren, also fast allen Räubern, einigen Affen, allen Äffern, den Flattertieren, mehreren Nagern und andern. Sie besitzen entweder sehr entwickelte oder aber auch sehr verkümmerte Augen. Die wahren Raubtiere haben unstreitig das schärfste Gesicht unter allen Säugern; ihre Augen sind auch so empfänglich für die Einwirkung des Lichtes, daß schon gewöhnliches Tageslicht wenigstens vielen äußerst unangenehm wird. Das Raubtierauge besitzt daher viel innere Beweglichkeit; diese ist aber keine willkürliche wie bei den Vögeln, sondern eine unwillkürliche, die mit der größeren oder geringeren Helle genau im Einklänge steht. Unsere Hauskatze zeigt uns deutlich, wie das Licht auf ihr Auge wirkt: dieses schließt sich bei Tage dergestalt, daß der Stern nur wie ein schmaler Strich erscheint, während es mit der Dunkelheit verhältnismäßig sich ausdehnt. Sie bestätigt also auch hinsichtlich des Gesichts die Wahrheit, daß nur ein mittelmäßig entwickelter Sinn stärkere Reize vertragen kann. Als Regel darf gelten, daß alle Säuger, die runde Augensterne besitzen, Tagtiere sind oder bei Tage und bei Nacht verhältnismäßig gleich scharf sehen, während diejenigen, deren Stern spaltartig erscheint, erst mit der Dämmerung die volle Schärfe ihres Sinnes benutzen können.
Merkwürdig erscheint die in der höchsten Klasse einige Male vorkommende Verkümmerung der Augen, die vollkommene Blindheit bedingen kann, wie beim Blindmoll. Das Auge fehlt, so viel bis jetzt bekannt, keinem Säugetiere: unser Maulwurf, der oft genug mit seinem »blinden« Bruder verwechselt worden ist, besitzt schon ein ziemlich sehfähiges Auge, und deshalb enthalten die schönen Worte unseres Rückert die volle Wahrheit:
»Der Maulwurf ist nicht blind, gegeben hat ihm nur
Ein kleines Auge, wie er's brauchet, die Natur;
Mit welchem er wird sehn, so weit er es bedarf
Im unterirdischen Palast, den er entwarf;
Und Staub ins Auge wird ihm desto minder fallen,
Wenn wühlend er emporwirft die gewölbten Hallen.
Den Regenwurm, den er mit andern Sinnen sucht,
Braucht er nicht zu erspähn, nicht schnell ist dessen Flucht.
Und wird in warmer Nacht er aus dem Boden steigen,
Auch seinem Augenstern wird sich der Himmel zeigen.
Und ohne daß er's weiß, nimmt er mit sich hernieder
Auch einen Strahl und wühlt im Dunkeln wieder«.
Das Auge der Säugetiere müssen wir übrigens auch noch von einem andern Standpunkte betrachten: als äußeres, sichtliches Bild des Geistes. Bei den unteren Klassen hat es noch nicht die Beredsamkeit erlangt, daß es als Spiegel der Seele erscheinen könnte. Wir finden es zwar bei der Schlange tückisch, beim Krokodil hämisch und bei einigen Vögeln mild, bei andern aber streng oder ernst, mutig usw.: allein mit wenigen Ausnahmen legen wir selbst das hinein, was wir zu sehen glauben. Erst aus dem lebendigen Falken- oder Adlerauge spricht uns das Innere an; bei dem Auge der Säugetiere ist dies aber fast immer der Fall. Hier können wir wirklich von einem Gesichtsausdrucke reden: und an einem solchen nimmt ja eben das Auge den größten Anteil. Deshalb hat sich das Volk mit richtiger Erkenntnis längst seine Bilder gewählt und spricht mit Recht von dem blöden Auge des Rindes, dem schönen Auge der Giraffe, dem milden der Gazelle, dem treuherzigen des Hundes, dem frommen oder dummen des Schafes, dem falschen des Wolfes, dem glühenden des Luchses, dem tückischen des Affen, dem stolzen des Löwen usw.; denn bei allen diesen Tieren ist das Auge wirklich der truglose Spiegel des Geistes. Die Bewegung der Tierseele spricht aus dem Auge, dieses ersetzt die fehlende Sprache. Schmerz und Freude, Betrübnis und Heiterkeit, Angst und Leichtsinn, Kummer und Fröhlichkeit, Haß und Liebe, Abscheu und Wohlwollen finden in dem Auge ihren stummberedten Verkündiger: der Geist offenbart sich hier äußerlich.
Noch sind wir weit entfernt, das tierische Leben erkannt zu haben, und noch studieren wir am Tiere, in der Absicht, uns selbst kennenzulernen. Aber wir schreiten in unserer Erkenntnis vor von Jahr zu Jahr, von Tag zu Tag. Das Tier handelt genau so verständig, als sein Gehirn es ermöglicht. Dieses Gehirn kann mehr oder weniger entwickelt, mehr oder weniger geschult, das Handeln dementsprechend sehr verschieden sein: eine Hirntätigkeit aber regelt und leitet die Handlung. Das geschieht beim Tiere wenigstens in annähernd derselben Weise wie beim Menschen. Was schadet es dem Menschen, wenn man dem Tiere zuerkennt, was ihm gebührt, also Verstand? Überbrückt sich dadurch die Kluft, die ihn, das an der Spitze des gesamten Reiches stehende Säugetier, von den übrigen trennt? Verliert er seine Stellung, seinen Halt, das Bewußtsein seines Wertes, seine Würde, wenn er sich fühlt als der erste unter unzähligen, von ihm ab stetig an Begabung verlierenden Wesen? Wird sein Denken, Fühlen, Glauben durch solche Annahme irgendwie beeinträchtigt oder geschädigt? Lebt und verkehrt es sich besser mit Maschinen, oder aber mit auch geistig tätigen Wesen, von denen ein jedes wirkt und handelt in der seinen Fähigkeiten entsprechenden Weise?
Möge man diese Fragen beantworten wie man wolle, »tiefernstes Denken« wird immer nur die eine Wahrheit erkennen lassen: » Alles Tier ist im Menschen, aber nicht aller Mensch ist im Tier!«
Das Säugetier besitzt Gedächtnis, Verstand und Gemüt und hat daher oft einen sehr entschiedenen, bestimmten Charakter. Es zeigt Unterscheidungsvermögen, Zeit-, Ort-, Farben- und Tonsinn, Erkenntnis, Wahrnehmungsgabe, Urteil, Schlußfähigkeit; es bewahrt sich gemachte Erfahrungen auf und benutzt sie; es erkennt Gefahren und denkt über die Mittel nach, um sie zu vermeiden; es beweist Neigung und Abneigung, Liebe gegen Gatten und Kind, Freunde und Wohltäter, Haß gegen Feinde und Widersacher, Dankbarkeit, Treue, Achtung und Mißachtung, Freude und Schmerz, Zorn und Sanftmut, List und Klugheit, Ehrlichkeit und Verschlagenheit. Das kluge Tier rechnet, bedenkt, erwägt, ehe es handelt, das gefühlvolle setzt mit Bewußtsein Freiheit und Leben ein, um seinem inneren Drange zu genügen. Das Tier hat von Geselligkeit sehr hohe Begriffe und opfert sich zum Wohle der Gesamtheit; es pflegt Kranke, unterstützt Schwächere und teilt mit Hungrigen seine Nahrung. Es überwindet Begierden und Leidenschaften und lernt sich beherrschen, zeigt also auch selbständigen Willen und Willenskraft. Es erinnert sich der Vergangenheit jahrelang und gedenkt sogar der Zukunft, sammelt und spart für sie.
Die verschiedenen Geistesgaben bestimmen den Charakter.
Das Tier ist mutig oder furchtsam, tapfer oder feig, kühn oder ängstlich, ehrlich oder diebisch, offen oder verschmitzt, gerade oder hämisch, stolz oder bescheiden, zutraulich oder mißtrauisch, folgsam oder störrisch, dienstsam oder herrschsüchtig, friedfertig oder streitlustig, heiter oder traurig, lustig oder grämlich, gesellig oder ungesellig, freundschaftlich gegen andere oder feindselig gegen die ganze Welt – und wer könnte sagen, was sonst noch alles!
Eines dürfen wir hier nicht vergessen: ich meine die Steigerung, der alle Geisteskräfte des Tieres fähig sind, wenn ihm Erziehung zuteil wird. Es gibt ebenso wohlgesittete, wohlerzogene oder ungesittete, flegelhafte, ungezogene Tiere als Menschen. Der Erzieher übt einen unendlichen Einfluß auf das Tier aus. Schon eine wohlerzogene Tiermutter vererbt einen guten Teil ihrer Tugenden auf ihre Kinder; der hauptsächlichste und vorzüglichste Erzieher aber ist der Mensch. Ein einziges Beispiel mag genügen: unser am besten erzogenes Tier, der Hund soll es sein. Dieser wird mit der Zeit ein wahres Spiegelbild seines Herrn; er eignet sich sozusagen dessen Charakter an: Der Jagdhund den des Jägers, der Fleischerhund den des Fleischers, der Schifferhund den des Schiffers, der Lappen-, Eskimo-, Indianerhund den seiner bezüglichen Gebieter. Nur Männer können Tiere erziehen; dies beweisen oder bewiesen alle Möpse, dies zeigen die Hunde und Katzen einsamstehender Frauen oder Jungfrauen: sie sind regelmäßig verzogen, nicht erzogen. Das Tier verlangt Ernst und Festigkeit von dem, der es lehrt, nicht aber zu große Milde und Wankelmut.
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Der Heimatkreis des Säugetieres ist beschränkter als der eines Vogels oder Fisches, ja selbst eines Lurches. Nur das Meer gestattet den Bewohnern aus unserer Klasse große Willkürlichkeit der Bewegung und Ortsveränderung, allein immer nicht in demselben Grade wie dem Vogel; in den zusammenhängenden Meeren aller Erdteile finden sich bloß folgende Säugetiere: der Seehund, die Ohrenrobbe, mehrere Delphine und zwei Wale. Auch die Meersäuger beweisen, daß ihre Klasse dem Lande und nicht dem Wasser angehört; denn selbst sie ziehen die Küste dem offenen Meere vor.
Auf dem Festlande nimmt der Verbreitungskreis der Säugetiere viel engere Grenzen an als in dem Meere. Viele Arten haben ein sehr kleines Vaterland. Man hat die Erde mit Rücksicht auf ihre Bewohner in gewisse Reiche geteilt, und diese tierkundliche genannt. Ein solches Reich hat immer seine ihm eigentümlichen tierischen Einwohner; zwei sich entsprechende Reiche weisen auch ähnliche Tiere auf, selbst wenn das eine Reich von der Tiefe zur Höhe, und das andere von niederer Breite zur höheren aufsteigt.
Das erste Reich faßt in sich den ganzen Norden, der innerhalb des Polarkreises liegt. Die Trennung zwischen beiden Erdhälften ist noch nicht ausgesprochen, aber doch schon angedeutet. Der Eisbär, zwei Vielfraße, der Eisfuchs, mehrere Lemminge, zwei Schneehasen, die Pfeifhasen, das Ren, mehrere Seehunde, das Walroß, der Pott-, Nar-, Finn- und der gemeine Wal kennzeichnen diesen ärmsten Kreis der Erde. Ihm entspricht einigermaßen der Höhenkreis unseres gewaltigen Alpengebirges, von etwa 2000 Meter über dem Meere an aufwärts: er enthält die Gemse, den Steinbock, eine Schneewühlmaus, das Murmeltier und den Alpenhasen.
Ungleich reicher an Formen und Arten zeigt sich der gemäßigte Gürtel unserer Nordhälfte. Seine Pflanzen- und Tierwelt scheidet ihn in zwei Hälften: in die des Ostens und Westens. Wagner trennt den ersteren in fünf Gebiete, nämlich in Mittel- und Südeuropa, in Nordafrika, Südsibirien und die Steppe von Turan. Diesen Gebieten sind gemeinsam: vier Fledermäuse, zwei Spitzmäuse, der Fischotter, der Fuchs, die weltverbreitete Wanderratte und die Wasserratte. Nächst ihnen verbreiten sich über die meisten Gebiete: die Fledermäuse und Spitzmäuse, der Maulwurf, Bär und Dachs, fast sämtliche Marder, der Wolf und Luchs, das Eichhorn und die Mäuse. Mitteleuropa für sich allein besitzt nur wenige Fledermäuse und Spitzmäuse, eine Schlafmaus, einen Blindmoll, vier Wühlmäuse und den Wisent, Südeuropa einige Fledermäuse, eine Rüsselspitzmaus, den Blindmaulwurf, die Boccamele (ein Wiesel), eine Manguste, einen Luchs, eine Wühlmaus, einen Hasen und den Mufflon; Nordafrika den türkischen Affen, einen Igel, eine Rohrrüsselmaus, den Ichneumon, den Fenek, den Wüstenluchs, ein Eichhorn, eine Springmaus und andere; Sibirien und Turan zeigen: den Ohrenigel, den Korsak, den Manul, den Zobel, die Steppenantilope. Dachs, Luchs, Wildkatze, Igel, Maulwurf, Blindmoll, die Wühlmäuse, Edelhirsch, Reh, Mufflon und Wisent dürfen als Charaktertiere der ganzen Osthälfte des Reiches betrachtet werden.
Die zweite Hälfte des nördlichen gemäßigten Gürtels kennzeichnet sich durch sehr viele eigentümliche Fledermäuse und Spitzmäuse, die amerikanischen Bären und Waschbären, einen Dachs, die Stinktiere, mehrere Marder, einen Vielfraß, einen Fisch- und einen Seeotter, mehrere Hunde, die einfarbige Katze, einige Beutelratten, sehr viele Baum-, Flug- und Erdeichhörnchen, Ziesel, Murmeltiere, kleinere Nager, viele Hasen, mehrere Hirsche, zwei Antilopen, das Bergschaf und den Bison. Die Ähnlichkeit der Tierformen der West- und Osthälfte des gemäßigten Gürtels ist unverkennbar.
Anders finden wir es, wenn wir die verschiedenen Gebiete der Wendekreisländer miteinander vergleichen. Hier spricht sich jedes scharf und bestimmt für sich selbst aus, und nur wenige Formen sind allen Reichen gemeinsam. Der Reichtum der Tropenwelt ist zu groß, und die Eigentümlichkeiten der verschiedenen Gebiete sind zu bedeutend, als daß nicht auch die Tierwelt in demselben Verhältnisse Reichtum und Eigentümlichkeit der Gestalten zeigen sollte. Hochasien bildet gleichsam ein Bindeglied zwischen dem Nord- und Gleichergürtel der Erde; es hat vieles mit beiden gemein: und deshalb müssen wir es wenigstens flüchtig betrachten. Wir verstehen darunter Turkestan, die Mongolei, Japan, Nepal und die Euphratländer. Diese Gebiete zeichnen aus: der japanesische Makak, zwei fruchtfressende und einige echte Fledermäuse, Spitzmäuse, ein Maulwurf, der Kragenbär, der japanesische Dachs, der Bandiltis, einige Mangusten und Ginsterkatzen, Baum- und Flughörnchen, kleine Nager, eigentümliche Hasen und Murmeltiere, der Dschiggetai oder Halbesel, das japanesische Schwein, das Trampeltier, ein Moschustier, einige Hirsche und Antilopen, der kaukasische Steinbock, die Bezoarziege und die Ziege des Himalaja, der Argali, der Burhal, Nahur und andere Schafe und der Yak oder Grunzochse. Viele andere Tiere gehören Hochasien und dem Nordgürtel oder Hochasien und den Wendekreisländern Asiens zugleich an.
Südasien ist reicher als alle bisher genannten Gebiete, zeigt uns aber zugleich auch große Beschränkung in der Verbreitung mancher Tiere. Wir verstehen unter Südasien Vorder- und Hinterindien, Java, Sumatra und Borneo sowie die Molukken. Hier leben der Orang-Utan, die Langarm- und Schlankaffen, die meisten Makaken oder Hundsaffen, die Loris oder Faulaffen und das Koboldäffchen, die Flughunde, große Fledermäuse, der Halsband- und Lippenbär, der Ratel, viele Zibet- und Schleichkatzen oder Mangusten, viele Hunde, der asiatische Löwe, der Tiger, Panther, langschwänzige Pardel, Jagdpanther und noch mehrere andere Katzen, die meisten und größten Flughörnchen, mehrere Schuppentiere, der wilde Esel, der asiatische Elefant, das indische Nashorn und der indische Tapir, mehrere Schweine, darunter der Hirscheber, die echten Moschustiere, der Nilgau, die vierhörnige und die Hirschantilope und mehrere Rinder.
Afrika zeigt ein nicht minder selbständiges Gepräge und eine große Verbreitung der ihm eigentümlichen Tiere. Ihm gehören zu: der Gorilla und Schimpanse, sämtliche Meerkatzen, die Stummelaffen, Paviane und viele Äffer, die namentlich auf Madagaskar zu Hause sind, eigentümliche Fledermäuse, Igel, Spitzmäuse, das Scharrtier, viele Ginster-, Zibet- und Schleichkatzen, der Löffelhund und der Fenek nebst vielen anderen Hunden, die Hyänen und der Hyänenhund, der Löwe, Pardel, Gepard, Serwal und Karakal sowie die Falbkatze, die meisten Erdeichhörnchen, eigentümliche Siebenschläfer, die Spring-, Steppen- und Wüstenmäuse, das Erdferkel und zwei Schuppentiere, das Zebra, Quagga und Tigerpferd, der afrikanische Elefant, drei Nashörner, das Flußpferd, die Larvenschweine, die Klippschliefer, die Giraffe, fünf Sechsteile aller Antilopen, einige Steinböcke, das Mähnenschaf, zwei Büffel und eine Ohrenrobbe.
Bei aller Eigentümlichkeit dieser Tierwelt zeigt sich gleichwohl noch immer große Übereinstimmung mit jener Asiens und selbst der Europas. Namentlich die Wüsten- und Steppentiere erinnern auffallend an die, die in der Tiefebene Turans leben. Die Waldarmut Afrikas ist sehr deutlich ausgesprochen: die Hirsche zum Beispiel fehlen im Süden und in der Mitte ganz, und die Eichhörnchen sind auf den Boden herabgekommen. In seinen Dickhäutern und der Giraffe zeigt sich Afrika gleichsam noch als Urland, als von gewissen neueren Schöpfungsabschnitten unberührt.
Ganz das Gegenteil von Afrika macht sich in Amerika bemerklich. Das ungeheure Gebirge und die unermessenen Wälder sprechen sich deutlich in seiner Tierwelt aus. Alles in diesem Erdteile ist neu, alles eigentümlich; an die alte Welt erinnern manche Tierformen bloß noch entfernt. Ich will kurz sein und nur die bemerkenswertesten Tiere Mittel- und Südamerikas hier nennen. Amerika beherbergt ausschließlich: die Brüll-, Klammer-, Rollschwanz-, Woll-, Schweif-, Nacht- und Krallenaffen, – zwei Familien! – die blutsaugenden Fledermäuse oder Vampire, einige ihm eigene Bärtiere, Stänker und Fischottern, einige Hunde, den Puma, Kuguar und Jaguar, die Pardel- und Tigerkatzen, viele Beutler in zwei Amerika eigentümlichen Sippen, sehr viele Nager, darunter die Hasenmäuse und Hufpfötler, die ebenfalls nur hier vertreten sind, die Faultiere und Gürteltiere nebst den Ameisenbären, drei Tapire, die Bisamschweine, einige Hirsche, drei, oder richtiger zwei Lamas usw. Im Vergleich zu der Zahl der Ordnungen, Familien und Arten aus der Klasse der Vögel scheint es freilich, als ob Südamerika arm an Säugetieren wäre; wenn man aber die Eigentümlichkeit der Sippen und die Menge der Arten bedenkt, wird man bald eines Besseren belehrt.
Einige Forscher, unter ihnen Wagner, trennen den höheren Süden Amerikas oder Chile, die Pampas der Platastaaten, Patagonien und das Feuerland von dem übrigen Südamerika und bilden aus diesen Ländern einen eigenen tierkundlichen Kreis, obgleich er nur sehr wenige ihm ganz eigentümliche Tiere besitzt. Es sind dies etwa folgende: eine Fledermaus, ein Stinktier, der magellanische und der südamerikanische Hund, die Pampaskatze, mehrere Nager, darunter die Wollmäuse und ein Biber, sowie einige Meersäuger.
Australien zeigt uns ein sehr selbständiges Gepräge, bei all seiner Armut an Säugern. Es ist das eigentliche Vaterland der Beuteltiere. Man kennt im ganzen etwa 140 Arten von Säugern, die in Australien leben: davon gehören 110 Arten den Beuteltieren zu. Das allbekannte Känguruh, die Raubbeutler und Beutelbilche mögen sie kennzeichnen. Außerdem wohnen in Australien noch der Dingo, das Schnabeltier und der Ameisenigel, sämtlich echte Charaktertiere des merkwürdigen Erdteils.
Fassen wir das nunmehr Gewonnene hinsichtlich der Ordnungen und Familien zusammen, so ergibt sich folgendes: Die Affen sind auf den warmen Gürtel der Erde beschränkt; der Osten und Westen unterscheiden sich aber scharf durch eigene Familien, Sippen und Arten; die Halbaffen oder Äffer bewohnen bloß die heißen Länder der alten Welt; die Beuteltiere finden sich ausschließlich in Neuholland, Amerika und Asien; die Wenigzähner fehlen in Europa, die Wiederkäuer und Vielhufer in Australien; die Einhufer waren ursprünglich nur in Asien und Afrika heimisch; die Fledermäuse, Raubtiere, Nager, Flossenfüßer und Wale sind Weltbürger.
Bezüglich der engeren Verbreitung kann man sagen, daß sich der Verbreitungskreis einer Art in östlich-westlicher Richtung regelmäßig weiter erstreckt als vom Norden nach Süden hin. Der Osten und Westen weisen auch viel häufiger ähnliche, sich gleichsam entsprechende Gestalten auf als der Norden und Süden; jedoch spricht sich zwischen dem nördlichen und südlichen kalten Gürtel, ja selbst zwischen dem Norden und Süden eines Erdteils, zumal Afrikas, immerhin eine große Übereinstimmung aus. Man darf deshalb sagen, daß ähnliche Länder auch stets ähnliche Tiere beherbergen, so große Strecken auch trennend zwischen sie treten mögen.
Die Verbreitung der vorweltlichen Säuger war eine ganz andere, als die der jetzigen es ist; doch besaßen auch schon in der Urzeit gewisse Gegenden der Erde ihre eigentümlichen Säugetiere. Die meisten versteinerten Knochen finden sich im Schuttlande oder » Diluvium«; jedoch hat uns auch das Eis Sibiriens vorweltliche Tiere aufbewahrt, und zwar in einer erstaunenswerten Frische, so daß sich nicht nur Haut und Haar erhalten hatte, sondern selbst das Fleisch sich noch in einem Zustande befand, daß Eisbären und Eisfüchse sowie die Hunde der Jakuten davon wacker schmausten. Alle Vorwelttiere und somit auch die vorweltlichen Säuger bestätigen die mosaische Schöpfungssage hinsichtlich der Zeitfolge, in der die verschiedenen Klassen der Tiere entstanden, so weit eine Sage eben bestätigt werden kann: die Säugetiere gehören wirklich nur den neueren Schöpfungsabschnitten an.
Leibliche und geistige Begabungen eines Säugetieres bestimmen seine Lebensweise in der ihm gegebenen Heimat, deren Erzeugnis, deren Geschöpf es ist. Jedes richtet sich nach seinen Gaben ein und benutzt die ihm gewordene Ausrüstung in der ergiebigsten Weise. Eine gewisse, verständige Willkür in der Lebensart kann keinem Tiere abgesprochen werden. Die Säugetiere sind natürlich mehr an eine gewisse Örtlichkeit gebunden als das leichte, bewegungslustige Volk der Vögel; allein sie wissen dafür eine solche Örtlichkeit vielleicht besser oder vielseitiger zu benutzen als diese.
Die Säugetiere sind wesentlich Landbewohner, und je vollendeter eine Art unserer Klasse ist, um so mehr wird sie Landtier sein. Im Wasser finden wir daher bloß die plumpsten oder massigsten, auf dem Lande dagegen die entwickeltsten, edelsten Gestalten. Die größten Landsäuger sind im Vergleiche zu den Walen Zwerge. Das Wasser erleichtert jede Bewegung einer großen, ungeschlachten Masse, und je leichter ein Tier sich zu bewegen vermag, um so größer kann es sein. Daß auch das Umgekehrte stattfindet, beweisen alle Tiere, die zu ihrer Fortbewegung große Kraftanstrengung nötig haben, wie z.B. die Gräber und Flatterer, die Maulwürfe oder Fledermäuse. Bei ihnen ist die Körpermasse in demselben Verhältnis verkümmert, in dem sie bei den Wassersäugern sich vergrößert hat.
So zeigt sich also schon in der Leibesgröße eine Bestimmung für die Lebensweise des Tieres. Noch mehr aber wird diese Bestimmung durch die Ausrüstung ausgesprochen. Daß ein Fisch- oder Flossensäuger schwimmt oder ein Flattertier fliegt, versteht sich eigentlich von selbst, ebenso gut aber auch, daß der Affe oder das Eichhorn oder die Katze klettern, der Maulwurf gräbt und die Viel- und Einhufer oder Wiederkäuer auf dem Boden laufen: ihre Gliederung weist sie dazu an. Hierzu kommt nun noch die Willkürlichkeit in der Wahl des Ortes, um den Aufenthalt eines Tieres zu bestimmen.
Hinsichtlich der Ordnungen läßt sich folgendes sagen: Die Altweltsaffen sind Baum- oder Felsen-, die Neuweltsaffen und die Äffer aber ausschließlich Baumtiere; die Fledermäuse treiben sich in der Luft umher, schlafen aber auf oder in Bäumen und in Felsen; die Kerbtierräuber leben größtenteils auf dem Boden, einige aber auch unter der Erde und andere sogar auf Bäumen; die fleischfressenden Raubtiere bewohnen Bäume und Felsen, den Boden und das Wasser: doch gehört die größere Anzahl den Erdtieren an, und nur sehr wenige führen ein teilweise unterirdisches Leben; die Beuteltiere hausen auf der Erde, in Höhlen, im Wasser und auf Bäumen, die Nagetiere überall, nur nicht im Meere, größtenteils aber in Höhlen; die Zahnlosen sind Erd-, Höhlen- und Baumtiere; die Dickhäuter leben wieder größtenteils auf dem Boden, einige aber auch im Sumpfe oder im Wasser selbst: die Einhufer und Wiederkäuer sind ausschließlich Erd- oder Felsentiere, die Flossenfüßler und Wale endlich Meerbewohner.
Es muß jedem, der beobachtet, auffallen, daß nicht allein die Heimat im weiteren Sinne, sondern auch der Wohnkreis, ja, der eng begrenzte Aufenthaltsort des Tieres in dem Geschöpfe selbst sich kundgibt. Die Zusammengehörigkeit von Land und Tier offenbart sich nicht allein in der jedem Tiere eigentümlichen Gliederung, sondern auch, und zwar sehr scharf und bezeichnend, in der Färbung. Als allgemeine Regel kann gelten, daß das Tier eine Färbung besitzt, die der vorherrschenden Färbung seines Wohnortes genau entspricht. Der außerordentliche Vorteil, den das Tier von einer solchen Gleichfarbigkeit mit seiner Heimat ziehen kann, wird klar, wenn wir bedenken, daß das Raubtier an seine Beute möglichst unmerkbar sich anschleichen, das schwache Tier aber sich vor dem Räuber möglichst gut verstecken muß. Es liegt mir fern, in der Gleichfarbigkeit des Tieres und seiner Heimat ein Schöpfungswunder zu erblicken, weil ich das Tier einfach als Erzeugnis seiner Heimat betrachte und über das Wie dieser Zusammengehörigkeit nicht früher grübeln mag, als mir die Wissenschaft haltbare, auf natürlichem Grunde fußende Vorlagen zur Erklärung gewähren kann; ich will hier auch keine Erklärungen, sondern einfache Tatsachen geben.
Schon die Affen sind durchgehends ihren Wohnorten gleich gefärbt und Braun, Grasgrün und Grau die hauptsächlichsten Färbungen ihres Haarkleides; sie entsprechen eben der Baumrinde oder dem Gelaube und Grase sowie den Felsen, auf denen sie wohnen. Alle Flattertiere, die auf Bäumen leben, zeigen ebenfalls eine braune oder grünliche Färbung, diejenigen, die in Felsenritzen schlafen, das ungewisse Grau der Felsen oder der Dämmerung. Unter den Raubtieren finden sich viele, die als wahre Spiegelbilder ihrer Heimat zu betrachten sind. Der Wolf trägt ein echtes Erdkleid: das Fahlbraun und Grau seines Pelzes schmiegt sich allen Färbungen seines Wohnkreises an; Reineke, der Schleicher, zeigt uns, daß er bei uns zu Lande ebensowohl zum Nadel- wie zum Laubwalde paßt; sein Vetter im Norden, der Polarfuchs, legt im Winter ein Schneekleid, im Sommer ein Felsenkleid an; ein anderes Glied seiner Sippschaft, der Fenek, trägt das isabellfarbene Gewand der Wüste. Die Hyänen, als Nachttiere, sind in Grau gekleidet, in diejenige Farbe, die am ehesten dem Auge verschwindet. Löwe und Pardel, Gepard und Serwal geben sich als echte Steppentiere zu erkennen; Braungelb ist Grundfarbe, aber allerlei anders gefärbte Flecken zeigen sich auf ihr: die Steppe ist bunter und darf daher auch das Tier schon malen. Unsere nordischen Katzen entsprechen ihrer farbloseren Heimat und unserer trüberen Nacht: Grau ist ihre Hauptfärbung; der Karakal dagegen bekundet sich als echtes Wüstentier; der Tiger zeigt sogar die Rohrstengel seiner Bambuswälder in den schwarzen Streifen, der Leopard die buntlaubigen Gebüsche Mittelafrikas auf seinem Felle; die amerikanischen Katzen spiegeln ihre bunten Wälder wider. In den Ginster- und Schleichkatzen sehen wir echte Erdtiere: Grau mit oder ohne Flecken und Streifen und ein überall hinpassendes, sehr schwer zu beschreibendes Graugrün sind die hauptsächlichsten Färbungen ihres Pelzes. Die Marder bekunden ihre Allseitigkeit auch im Felle. Beim Baummarder ist es braun, beim Steinmarder graulicher, beim Iltis fahler; das Wiesel endlich wechselt seine Sommertracht mit dem Winter- oder Schneekleide. Unser Bär ist erdbraun, der Eisbär weiß, der Waschbär rindenfarbig. Die Beuteltiere zeigen ebenfalls Erd-, Gras- oder Baumfärbung. Sehr deutlich tritt die Gleichfarbigkeit bei den Nagern hervor. Ich erinnere an die Hasen. Jeder Jäger weiß, was es sagen will, einen Hasen im Lager zu sehen: die Ähnlichkeit seines Pelzes und des Bodens ist so groß, daß man auf zehn Schritte Entfernung an ihm vorübergehen kann, ohne ihn zu bemerken. Der Wüstenhase ist natürlich isabellgelb, der nordische oder Hochgebirgshase aber wechselt ein Sommer- und ein Winterkleid. Das Kaninchen, ein Höhlentier, hat graue Färbung. Unser Eichhörnchen ist fichtenrindenbraun, das nordische und das fliegende dagegen sind birkenrindenfarbig. Feldmäuse haben ein graubraunes, Wüstenmäuse ein fahlgelbes, Steppenmäuse ein gelblichbraunes, oft gestreiftes Haarkleid. Unter den Wiederkäuern tragen die Hirsche ein Waldkleid, die Gemsen, Renntiere und Steinböcke ein Felsenkleid, die Antilopen ein Steppen- oder Wüstenkleid. Die Einhufer geben sich wenigstens im Quagga, Zebra und wilden Esel als Steppentiere, die Vielhufer in ihrem unbestimmbaren Grau als Sumpfbewohner zu erkennen. Kurz, die angegebene Regel ist eine allgemeine, und Ausnahmen sind nicht häufig. Man wird selten irren, wenn man in einem braun, graugrün oder silbergrau gefärbten Säuger einen Baumbewohner, in einem dunkelgrau, fahlgelb, rötlichgrau, erdbraun und schneeweiß gefärbten einen Erdbewohner vermutet. Isabellgelb ist Wüstenfarbe, Dunkelgelb Steppenfarbe, Aschgrau Felsenfarbe; bei Nachttieren ist Grau vorherrschend, Tagtiere zeigen es mehr mit andern Farben gemischt. Große Unsicherheit, Unbestimmbarkeit der Färbung läßt auf Vielseitigkeit in der Lebensweise schließen; bestimmte Färbung deutet auf einen abgeschlossenen bestimmten Wohnort des Tieres; einfach gelbe Tiere sind immer Wüstenbewohner, einfach weiße fast ausnahmslos Schneetiere.
Nicht alle, aber doch viele Säugetiere wechseln alljährlich ihr Kleid; es läßt sich dieser Vorgang jedoch kaum mit der Mauser der Vögel vergleichen. Bei den beschuppten Mitgliedern der Klasse, namentlich bei Schuppen- und Gürteltieren, ersetzen sich wahrscheinlich nur die gewaltsam ausgerissenen Panzerteile, bei denen, die ein Stachelkleid tragen, wie Igel und Stachelschweine, fallen unzweifelhaft viele von den umgewandelten Haaren aus: es fragt sich nur, ob dies ebenso regelmäßig geschieht, wie bei behaarten Säugern die Härung erfolgt. Bei den Waltieren findet der Ersatz ihrer schleimigen Haut Wohl in derselben Weise statt wie bei uns die Neubildung der Oberhaut; Beobachtungen hierüber fehlen aber noch gänzlich. Auch bei den Affen, insbesondere bei den Menschenaffen, habe ich keine innerhalb einer bestimmten, regelmäßig wiederkehrenden Frist vor sich gehende Härung, vielmehr nur ein allmähliches Nachwachsen der Haare bemerkt, und möglicherweise gibt es noch viele in den Wendekreisländern lebende Säugetiere, bei denen es sich ebenso verhält. Unsere nordischen Säugetiere aber hären sich samt und sonders, und zwar in einer wesentlich sich gleichbleibenden Weise. Nachdem die kalte Jahreszeit vorüber und der Frühling wirklich eingetreten ist, lockern sich die Wurzeln der Haare des bisher getragenen Kleides, und es fallen Grannen- und Wollhaare aus. Gleichzeitig sprossen neue Grannenhaare hervor, wachsen ziemlich rasch und durchdringen das filzige Gewebe des alten abgestoßenen Pelzes, der, wenn er reich war, noch geraume Zeit in flockigen Fetzen am Leibe hängen bleibt und erst nach und nach abgekratzt, abgescheuert und abgeweht wird; bald darauf beginnt auch das Nachwachsen der Wollhaare, deren raschere Entwicklung jedoch erst später im Jahre erfolgt. Es besteht daher das Sommerkleid der Säugetiere höherer Breitengrade und Gebirgsgürtel überwiegend aus Grannenhaaren, während im Winterkleide die Wollhaare vorherrschen, erstere mit Beginn der kalten Jahreszeit wohl auch gänzlich wieder ausfallen können. So geschieht es beispielsweise bei unsern Hochwildarten, deren Decke im Sommer aus Grannen- und wenigen, hier eigentümlich veränderten, Wollhaaren, im Winter dagegen fast ausschließlich aus letzteren besteht. Eine doppelte Härung, d. h. ein vollständiges Wechseln des Kleides im Frühling und im Herbst, findet meines Wissens bei keinem Säugetiere statt; wohl aber kann ein Ausbleichen und Umfärben der Haare erfolgen. Die Härung beginnt plötzlich, das Nachwachsen der neuen Haare geschieht allmählich und wird höchstens bei jählings eintretendem rauhen Wetter beschleunigt. Selbst sehr tüchtige Beobachter haben angenommen, daß das Fell solcher Tiere, die ein dunkles Sommer- und ein weißes Winterkleid tragen, einer zweimaligen Härung unterworfen sei, sich jedoch, wie meine an gefangenen Eisfüchsen und Schneehasen angestellten, später mitzuteilenden Beobachtungen unwiderleglich dartun, vollständig geirrt. Auch in diesem Falle löst sich das Wunderbare, schwer Begreifliche in einen einfachen, stetig vor- und fortschreitenden Hergang auf.
Bei weitem die meisten Säugetiere sind gesellig und scharen sich deshalb mit andern ihrer Art oder auch mit Gleichlebenden fremder Arten in kleine oder große Trupps zusammen. Niemals erlangen solche Verbindungen die Ausdehnung oder die Anzahl der Vereine, die die Vögel bilden; denn bei diesen tun sich, wie bekannt, oft sogar Millionen zu einem Ganzen zusammen. Bei den Säugern kommen nur unter gewissen Umständen Gesellschaften von Tausenden vor. Mehr noch als die gleiche Lebensweise vereinigt die Not: vor der Feuerlinie einer brennenden Steppe jagen selbst erklärte Feinde in dichtem Gedränge dahin.
In jedem größeren Vereine erwirbt sich das befähigtste Mitglied die Oberherrschaft und erlangt schließlich unbedingten Gehorsam. Unter den Wiederkäuern kommen regelmäßig die alten Weibchen zu solcher Ehre, namentlich diejenigen, die kinderlos sind; bei andern geselligen Tieren, z. B. bei den Affen, werden nur Männchen Zugführer, und zwar erst nach sehr hartnäckigem, nebenbuhlerischem Kampfe, aus dem sie endlich als allgemein gefürchtete Sieger hervorgehen: hier ist die rohe Stärke maßgebend, bei jenen die Erfahrung oder der gute Wille. Das erwählte oder wenigstens anerkannte Leittier übernimmt die Sorge für den Schutz und die Sicherheit der ganzen Herde und verteidigt die schwachen Glieder derselben zuweilen mit Aufopferung. Minder Verständige und Schwächere schließen sich Klügeren an und leisten allen ihren Anordnungen zur Sicherung Folge.
Gewisse Säugetiere leben einsiedlerisch. Alte griesgrämige und bösartige Männchen werden gewöhnlich von dem Rudel oder der Herde verbannt und hierdurch nur noch mürrischer und wütender gemacht. Allein es gibt auch andere Säuger, die überhaupt ein Einsiedlerleben führen und mit jedem Eindringlinge sofort in heftigster Weise den Kampf beginnen. Dabei kommt es nicht selten vor, daß der Sieger den Besiegten geradezu auffrißt, und zwar läßt sich, wie bekannt, schon der Mensch eine solche Abscheulichkeit zuschulden kommen.
Die Mehrzahl unserer Klasse wacht bei Tage und schläft bei Nacht; jedoch gibt es fast unter allen Ordnungen Tag- und Nachttiere. Einzelne haben keine bestimmte Zeit zum Schlafen, sondern ruhen oder wachen, wie es ihnen gerade beliebt: so die Meertiere oder in den höheren Breiten auch die Landtiere während der Sommerzeit. Es mag im ganzen genommen vielleicht mehr eigentliche Tag- als Nachttiere geben, jedoch ist die Zahl derjenigen, die bei Nacht lebendig und tätig sind, nicht viel geringer als die Menge derer, die bei Tage ihrem Erwerbe nachgehen. Unter den Affen gibt es bloß einige nächtlich lebende Arten; die Fledermäuse dagegen schlafen fast den ganzen Tag, und nur wenige kommen aus ihren Schlupfwinkeln zum Vorscheine, so lange die Sonne noch am Himmel steht; unter den Kerbtier- und Fleischfressern, den Nagern, Vielhufern und Wiederkäuern gibt es wenigstens sehr viele Nachttiere, wenn auch mehrere Arten der Wehrloseren solche erst aus Furcht vor Verfolgung geworden sein mögen. Die starken und die sehr flüchtigen oder auf Bäumen lebenden sind größtenteils Tagtiere, einer Verfolgung aber auch weniger ausgesetzt; es würde jedoch voreilig sein, wenn man behaupten wollte, daß alle Nachttiere feigere, schwächere, dümmere und plumpere Tiere seien als die, die bei Tage tätig sind; denn wir brauchen eben bloß an die Katzen, Marder, Hirsche und andere, die fast ohne Ausnahme bei Tage und bei Nacht wach sind, zu denken, um des Gegenteils uns bewußt zu werden. Als allgemeine Regel kann gelten, daß die wehrloseren Tiere, die durch ihren Aufenthalt nicht vor Gefahren geschützt sind, die Nacht zu ihrer Tätigkeit benutzen.
Während ihres Wachens beschäftigen sich die meisten Säuger ausschließlich mit Aussuchen ihrer Nahrung. Dieselbe kann höchst verschieden sein. Alle Mitglieder unserer Klasse sind selbstverständlich Pflanzenfresser oder aber Räuber, die andere Tiere verzehren. Fast alle Erzeugnisse der beiden Reiche finden ihre Liebhaber. Die Pflanzenfresser verzehren ganze Pflanzen, z. B. Gräser, Disteln, Mose, Flechten, oder einzelne Teile von Pflanzen, als Blüten, Blätter, Früchte, Körner, Sämereien, Nüsse, Zweige, Äste, Dornen, Rinde usw. Die Raubtiere nähren sich von andern Säugern oder von Vögeln, Lurchen, Fischen, Würmern und Weichtieren; einige fressen bloß ihre selbst erlegte Beute, andere lieben Aas; manche verschonen sogar ihr eigenes Fleisch und Blut nicht.
Diese Mannigfaltigkeit der Nahrung bedingt auch die Verschiedenheit des Erwerbes derselben, d. h. die Verschiedenheit in der Erbeutung und Aufnahme. Einige nehmen ihre Nahrung mit den Händen zu sich; der Elefant steckt sie mit dem Rüssel in das Maul; die größte Mehrzahl aber nimmt sie unmittelbar mit dem Maule auf, oft, nachdem sie dieselbe vorher mit den Tatzen erfaßt und festgehalten hat. Pflanzennahrung wird mit den Händen oder dem Rüssel abgebrochen, mit den Zähnen abgebissen, mit Zunge und Lippen abgerupft, mit dem Rüssel aus der Erde gewühlt, tierische Nahrung dagegen bei wenigen, z. B. bei den Fledermäusen, Hunden, Fischottern, Robben und Walen, gleich mit dem Maule aufgenommen, bei andern aber mit den Händen oder Tatzen erfaßt und dem Maule zugeführt und bei einigen auch mit dem Rüssel ausgegraben, so von den Maulwürfen, Spitzmäusen, Igeln und Schweinen.
Die Säugetiere fressen viel, verhältnismäßig jedoch weniger als die Vögel. Dies steht auch mit ihrer geringeren Regsamkeit vollkommen im Einklange. Nach der Mahlzeit suchen sie die Ruhe und verfallen hierbei entweder bloß in einen Halbschlummer, wie die Wiederkäuer, oder in wirklichen Schlaf. Zum Spielen oder unnützen Bewegen zeigen sich, wie gesagt, nur wenige aufgelegt; es sind fast nur die Jungen, die hierzu Lust haben und durch ihr tolles Treiben auch die gefälligen Alten aufzurütteln wissen. Bei guter und reichlicher Nahrung bekommen alle Säugetiere ein glattes, glänzendes Haarkleid und lagern im Zellgewebe und in den Leibeshöhlen viel Fett ab, das bei einigen zur Erhaltung des Lebens während der Hungerzeit dienen muß. Einigen Pflanzen- und Kerbtierfressern nämlich geht während des Winters die Nahrung vollkommen aus, und sie sind zu klein und zu schwach, als daß sie sich dagegen lange halten könnten. Zum Wandern in wärmere oder nahrungsreichere Gegenden unfähig, würden sie unbedingt zugrunde gehen, wenn die Natur nicht in sehr merkwürdiger Weise für sie gesorgt hätte. Es scheint zwar, daß sie sich selbst schützen könnten, indem sie sich tief gelegene, dick und weich ausgepolsterte und deshalb warme Wohnungen unter der Erde bauen und in ihnen Vorratskammern anlegen, die auch reichlich mit Nahrung versehen werden; allein die Natur übernimmt doch die Hauptsorge für ihre Erhaltung, und die eingetragene Nahrung dient bloß dazu, sie während der Zeit, in der sie wirklich noch Nahrung bedürfen, gegen das Verhungern zu schützen. Diese Säuger, die so recht eigentlich als Schutzkinder der Natur erscheinen, bedürfen lange Zeit gar keine Nahrung von außen her, sondern zehren, während sie in einen todesähnlichen Schlaf versinken, langsam von ihrem Fette: sie halten Winterschlaf.
Wenn der Herbst fast zu Ende geht und der Winter hereinbricht, ziehen die Schläfer in ihre künstlichen, sehr warmen Schlupfwinkel sich zurück, rollen sich zusammen und fallen nun bald in eine schlafähnliche Erstarrung. Ihr Herzschlag wird langsamer und ihre Atmungstätigkeit dementsprechend in auffallender Weise gemildert oder unterbrochen; die Körperwärme nimmt ab; die Glieder werden steif und kalt; der Magen und Darmschlauch entleeren sich vollständig und schrumpfen zusammen. Der Leib erhält hierdurch eine Fühllosigkeit, die ohne gleichen ist. Um hierzu einen Beleg zu geben, will ich erwähnen, daß das Herz eines im Winterschlafe enthaupteten Murmeltieres noch drei Stunden nach seiner Tötung fortschlug, anfangs sechzehn- bis siebzehnmal in der Minute, dann immer seltener, und daß der abgeschnittene Kopf nach einer halben Stunde noch Spuren der Reizbarkeit zeigte. Der Winterschlaf ist ein wirklicher Scheintod; das Leben des Schläfers gibt sich bloß noch in Andeutungen kund. Allein auch nur aus diesem Grunde ist es möglich, daß ihn das Tier überdauert. Wenn Herz und Lungen wie bei dem lebenden Tiere arbeiteten, würde das im Sommer gesammelte Fett, das für mehrere Monate ausreichen muß, bald aufgezehrt sein; die geringe Atmungstätigkeit aber verlangsamt den Verbrennungshergang im Innern des Körpers in günstigster Weise für die Erhaltung des Lebens. Ich habe oben mitgeteilt, daß der Winterschläfer während seines Scheintodes etwa neunzigmal weniger atmet als im wachen Zustande, und füge hinzu, daß im entsprechenden Verhältnis auch die Körperwärme herabgestimmt wird. Ein Wärmemesser, den man in den Leib eines während des Winterschlafes getöteten Murmeltieres senkte, wies bloß noch etwas über 8 Grad Reaumur Wärme nach, während die Blutwärme der Säugetiere sonst durchschnittlich zwischen 28 und 37,5 Grad beträgt. Setzt man das schlafende Tier der Kälte aus, so erfriert es, wenn ich nicht irre, schon bei einer Wärme unter der seines Blutes während der Schlafzeit, und ebenso hat eine plötzliche Erwärmung des Scheintoten den Tod zur Folge; bringt man ihn aber allmählich in höhere und höhere Wärme, so erwacht er nach und nach, und seine Blutwärme steigt allgemach bis auf die gewöhnliche Höhe, übrigens erträgt kein Winterschläfer auch solches gemachsame Erwecken mehrere Male nacheinander: jeder Wechsel während seines Halblebens ist ihm schädlich. Hieraus erklärt sich wohl auch, daß er sein Winterlager immer nur in Höhlen nimmt und diese durch sorgfältiges Verstopfen noch besonders gegen die äußere Luft und deren Wärmewechsel abzuschließen sucht. Es ist höchst merkwürdig, daß Siebenschläfer aus fremden Ländern, wenn sie zu uns gebracht werden, im Winter ebenfalls ihren Totenschlaf halten, während sie dies in ihrer Heimat gerade in der Zeit der größten Hitze tun. Allein wir sehen auch hieraus wieder, daß die Zeit der Dürre heißer Erdstriche eben nur mit unserm Winter verglichen werden kann, niemals mit unserm Sommer, wie so oft selbst von gediegenen Leuten fälschlich geschieht.
Mit dem Herannahen des Frühlings erwacht der Winterschläfer und fristet sich nun sein Leben zuerst mit den Schätzen, die er im vorigen Sommer eintrug. Anfangs schläft er auch nach dem Erwachtsein aus dem Totenschlafe noch oft und lange, doch mehr in gewöhnlicher Weise; sobald er aber sein Schutzlager verlassen kann, überkommt ihn große Aufregung; denn nunmehr geht er seinem Geschlechtsleben nach. Nur die kleineren Säugetiere verfallen in einen wirklichen Winterschlaf, die größeren, wie z. B. der Bär, schlafen zeitweilig, obschon tage-, ja vielleicht wochenlang, nehmen aber während dieser Zeit ebenfalls fast gar keine Nahrung zu sich.
Einige Säugetiere unternehmen zuweilen Reisen, um ihre Lage zu verbessern; doch kann man bei unserer Klasse nicht wie bei den Vögeln von einer wirklichen Wanderung sprechen. Es kommt allerdings vor, daß sie eine Gegend verlassen und in eine andere ziehen; der Weg aber, den sie zurücklegen, ist nie so lang, daß er mit dem Zuge der Vögel verglichen werden könnte. Von Nahrungsmangel gepeinigt, rotten sich die Lemminge, jene munteren und anziehenden Bewohner der nordischen Gebirge und Ebenen, in großer Masse zusammen und wandern nun gemeinschaftlich in die Tiefe hinab, setzen sogar über Meeresarme, gehen aber dabei fast regelmäßig zugrunde; südafrikanische Antilopen, das Renntier und der Bison, die wilden Esel, die Seehunde und Wale treten aus demselben Grunde noch weitere Wanderungen an; einige Fledermäuse haben sogar einen beschränkten Zug: allein alle diese Reisen stehen unendlich weit hinter denen der Vögel zurück.
Das Leben der Säugetiere ist viel einförmiger als das der beweglichen Luftbewohner. Bloß die gescheiteren Arten suchen in dieses Einerlei einige Abwechslungen zu bringen, indem sie sich auf irgendwelche Weise miteinander unterhalten. Bei dem großen Haufen teilt sich der Tag in Fressen und Schlafen, Schlafen und Fressen. Die Brunstzeit verändert dieses Betragen immer. Sie ist bei den meisten Säugetieren an einen bestimmten Jahresabschnitt gebunden und fällt entweder in das Frühjahr oder in den Herbst oder auch selbst in den Winter, je nachdem das Tier längere oder kürzere Zeit trächtig geht. Die Satz- oder Wurfzeit der Säugetiere nämlich ist regelmäßig der Frühling, der für das Junge oder für die säugende Alte reichliche Nahrung bietet; und der Satzzeit entspricht nun die Brunstzeit. Während derselben zeigt sich das Säugetier oft in ganz anderer Weise als außerdem: die männlichen Tiere, die sich sonst nicht um die weiblichen bekümmern, finden sich bei diesen ein und bekunden eine große Erregung ihres Geistes und Leibes. Mit den zunehmenden Gefühlen der Liebe wächst die Eifersucht und der Haß gegen etwaige Nebenbuhler; heftige Kämpfe werden zwischen diesen ausgefochten und Kampflustige zu denselben durch lautes Schreien eingeladen; selbst in der Seele des furchtsamsten Säugetieres regt sich der Mut und die Kampfeslust. Der als Sinnbild der Feigheit dastehende Hase kämpft mit seinem Nebenbuhler verhältnismäßig ebenso wacker wie der Löwe, wenn er auch seinen Liebesgegner nur tüchtig mit den Vorderpfoten ohrfeigt; der furchtsame Hirsch wird kühn und selbst dem Menschen gefährlich; die Stiere zeigen eine namenlose Wut; die Raubtiere aber scheinen gegen alle fremden Geschöpfe milder gesinnt zu werden, als sie es früher waren: die Liebe nimmt sie vorherrschend in Anspruch. In der verschiedenartigsten Weise machen die Männchen ihren Weibchen den Hof. Die Affen werden äußerst zudringlich und erlauben kein Sprödetun; die Hunde dagegen bleiben liebenswürdig, selbst wenn die Hündin noch so ärgerlich über die Liebeserklärungen sich stellt; die Löwen brüllen, daß die Erde zu erzittern scheint, und die verliebten Löwinnen gebärden sich, als ob sie ihre Liebhaber verschlingen wollten; die Katzen rufen mit unglaublicher Sanftheit sehnsuchtsvoll nach dem Gegenstand ihrer Schwärmerei, sind aber so reizbar gegen die Nebenbuhler, daß die zarten Töne bei deren Anblick sofort in ein höchst wütendes Fauchen übergehen; die männlichen Maulwürfe sperren ihr Weibchen augenblicklich in einen ihrer unterirdischen Gänge ein, sobald es sich zu spröde zeigt, und lassen ihm hier Zeit, sich zu besinnen; die Wiederkäuer führen gleichsam zur Ehre des weiblichen Teiles große Kämpfe auf, müssen aber sehen, wie ihnen der Siegespreis oft von Feiglingen, die den Zweikampf klug benutzen, entrissen wird usw. Auch die Weibchen sind sehr aufgeregt, behalten jedoch die ihnen eigene Sprödigkeit trotzdem bei und beißen, schlagen, stoßen oder wehren sich sonstwie gegen die sich nähernden Männchen, deren Zärtlichkeit sie sich später doch gefallen lassen. Die Paarung erfolgt bei vielen in der häßlichsten und uns widerstrebendsten Weise; sobald sie vorüber ist, tritt große Gleichgültigkeit zwischen beiden Geschlechtern ein, und die meisten Männchen bekümmern sich nun gar nicht mehr um die Weibchen, denen sie kurz vorher so glühende Liebeserklärungen machten. In geschlossener, länger als ein Jahr währender Ehe leben wahrscheinlich nur einige Wiederkäuer, namentlich mehrere kleine Antilopenarten, und vielleicht auch noch einzelne Wale: alle übrigen sind der Vielehigkeit zugetan.
In der Regel genügt eine einmalige Begattung der brünstigen Säugetiere zur Befruchtung aller Keimbläschen oder Eier, die für ein und dieselbe Geburt zur Entwicklung gelangen, obgleich deren Zahl in sehr erheblichen Grenzen schwanken kann. Mehr als 24 Junge wirft kein Säugetier auf einmal; schon ihrer 14 oder 16 werden selten zugleich geboren. Alle großen Säuger gebären weniger und seltener Junge als kleinere, bei denen die Frucht schon innerhalb drei Wochen nach der Begattung ausgetragen und das geborene Junge in derselben Frist auch erzogen werden kann. Bei denen, die länger als sechs Monate trächtig gehen, kommt regelmäßig nur ein Junges zur Welt.
Die Geburt selbst geht immer rasch und leicht vorüber, ohne daß irgendein mitleidiges anderes Tier dabei behilflich wäre. Ein glaubwürdiger Mann hat mir allerdings erzählt, daß er eine solche Hilfe bei den Hauskatzen beobachtet und gesehen habe, wie eine ältere Katze die Nabelschnur der Kinder einer jüngeren Mutter abbiß; doch steht dieser Fall bis jetzt noch zu vereinzelt da, als daß wir von ihm folgernd etwas allgemein Gültiges sagen könnten. Sogleich nach der Geburt leckt die Mutter ihre Kleinen sorgfältig rein und wärmt sie mit ihrem eignen Leibe. Einige Nager bauen vorher ein Nest und füttern dieses mit ihren abgerupften Haaren aus, um eine sanfte Wiege für ihre Jungen zu haben; die große Mehrzahl aber wirft dieselben auf die bloße Erde oder doch nur in eine nicht mit Nest versehene Höhle. Die Nachgeburt wird von vielen Tieren, die sonst nie Fleisch anrühren, gierig aufgefressen, so z. B. von den Ziegen, Antilopen und Stachelschweinen.
Die neugeborenen Jungen zeigen einen sehr verschiedenen Grad der Entwicklung. Bei den Beuteltieren ähneln sie einem rohen Stück Fleisch; sie werden aber in die diesen Tieren eigentümliche Hautfalte am Bauche, die sogenannte Tasche, gesteckt und in ihr gleichsam ausgetragen; die meisten Raubtiere sind blind, wenn sie geboren werden, und öffnen erst nach einer oder zwei Wochen ihre Augen; diejenigen Säugetiere dagegen, die später ein bewegtes und ruheloses Leben führen sollen, kommen sehr ausgebildet zur Welt und sind imstande, ihrer Mutter schon wenige Stunden nach der Geburt zu folgen, bedürfen aber auch am längsten der Milch. Alle höheren Tiere gebären sehende Junge, die jedoch so hilflos sind, daß die Mutter sie wochenlang mit sich herumtragen muß; deshalb sehen wir die Kinder der Affen und Fledermäuse lange Zeit mit allen vier Gliedern fest angeklammert an ihrer Mutter hängen.
Jede Säugetiermutter liebt ihre Kinder ungemein und verteidigt sie mit Aussetzung ihres eigenen Lebens gegen jeden Feind, selbst gegen den Vater. Dieser bekümmert sich, streng genommen, gar nicht um sie, ja, wird ihnen im Gegenteil oft geradezu gefährlich, indem er sie auffrißt, wenn er ihrer habhaft werden kann. Selten nimmt er mittelbar teil an der Pflege und Erziehung seiner Sprößlinge: er verteidigt sie nämlich zuweilen, wenn der Gesamtheit eine Gefahr droht, bei der er überhaupt eintritt. Um so mehr tut die Mutter. Sie allein ernährt, reinigt, leitet, straft und schützt, kurz erzieht ihre Kinder. Sie bietet ihnen ihre Zitzen oder jagt später für sie, leckt und putzt sie, führt sie aus dem Schlupfwinkel oder wieder in denselben zurück, spielt mit ihnen und lehrt sie ihre Nahrung erbeuten, gibt ihnen Unterricht im Laufen, Klettern, Schwimmen usw., hält sie wohl auch durch Strafen zum Gehorsam an und kämpft für sie mit jedem Feinde, der es wagen sollte, sie anzugreifen. Die Liebe macht sie erfinderisch, friedliebend, mild, heiter gegen ihre Nachkommenschaft, oder auch heftig und wütend, bösartig und zornig nach außen hin. Sie lebt und sorgt bloß für ihre Kinder und scheint, so lange sie diese vollständig in Anspruch nehmen, für nichts anderes Sinn zu haben. Selbst das ernsthafteste Tier wird als Mutter kindlich und spiellustig, wenn sein Kind dies wünscht. Ohne Übertreibung kann man behaupten, daß ihr die Liebe und Zärtlichkeit, der Stolz und die Freude der Mutter an den Augen abzulesen sind: man muß nur einen Hund, eine Katze, ein Pferd, eine Ziege in Gesellschaft ihrer Sprößlinge beobachten – keine Menschenmutter kann stolzer als sie auf ihr Kind sein. Und sie haben auch das vollste Recht dazu, denn alle jungen Säugetiere sind, wenn sie nur erst einigermaßen Herr ihrer Kräfte geworden, allerliebste Geschöpfe, die ja selbst uns große Freude bereiten.
Man kann bei jeder Säugetiermutter wahrnehmen, daß sie ihr Betragen gegen ihre Jungen mit der Zeit wesentlich verändert. Je mehr das junge Volk heranwächst, um so kälter wird das Verhältnis zwischen Mutter und Kind: die Alte kennt den Grad der Bedürftigkeit des letzteren genau und bestrebt sich, wie jedes Tier überhaupt, seine Nachkommenschaft so rasch als möglich selbständig zu machen. Deshalb entzieht sie derselben nach einer gewissen Säugezeit zunächst die Milch und gewöhnt sie nach und nach, ihre Nahrung sich selbst zu suchen. Sobald dieser Zweck erreicht und das junge Tier selbständig geworden ist, endigt die Zärtlichkeit zwischen ihm und der Mutter, und jeder Teil geht nunmehr seinen eigenen Weg, ohne sich um den andern zu kümmern. Die geistig begabtesten Tiere, wie die Pferde und Hunde, beweisen uns, daß sich Mutter und Kind sehr bald nach ihrer Trennung so voneinander entfremden, daß sie sich, wenn sie wieder zusammenkommen, gar nicht mehr kennen, während wir dagegen Beispiele haben, daß das geschwisterliche Verhältnis zweier Jungen lange Zeit sich erhalten kann.
Die zur Erlangung der Selbständigkeit eines Säugetieres notwendige Zeit ist fast ebenso verschieden wie seine Größe. Unter den Landsäugetieren bedarf der Mensch entschieden die meiste Zeit zu seiner Ausbildung, selbst der Elefant wird eher groß als er.
Wahrscheinlich erreichen nur die großen Vielhufer und die größten Meersäuger ein höheres Alter als der Mensch. In demselben Grade, in dem die Entwicklung verlangsamt ist, nimmt das Alter zu oder umgekehrt ab. Schon mittelgroße Säugetiere können, wenn sie zehn Jahre alt geworden sind, als greise Tiere betrachtet werden; bei andern tritt das Greisentum vielleicht erst nach zwanzig Jahren ein: allein ein Alter von dreißig Jahren, in dem der Mensch doch bekanntlich erst zur vollen Blüte gelangt, ist schon sehr selten. Jedoch verhalten sich folgende Tiere abweichend von dieser Angabe: Pferd, Esel, Dromedar, Bären können 40-50, Orang-Utan und Gorilla 50-60 und mehr und der Elefant endlich kann 150-200 Jahre alt werden. (Nach Korschelt.) Das Greisentum zeigt sich sowohl in der Abnahme der Kräfte wie auch im Ergrauen des Haares und in der Verkleinerung gewisser Schmuckzeichen: so setzen alte Hirsche geringere Geweihe auf vollkräftige. Der Tod erfolgt gewöhnlich nicht durch Krankheiten, denn diese sind unter den freilebenden Säugetieren selten. Seuchen, die in entsetzlicher Weise unter Tieren unserer Klasse wüten, kommen zwar auch vor; die Mäuse z. B., die sich zuweilen ins Unglaubliche vermehren, sterben in Zeit von wenig Wochen in solcher Masse dahin, daß ihre kleinen Leichname verwesend die Luft verpesten. Allein solche Fälle sind doch nur selten, und die größeren freilebenden Säugetiere scheinen von Krankheiten wenig zu wissen. Bei ihnen erfolgt der Tod gewöhnlich aus Altersschwäche.
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» Das Tier hat auch ein Schicksal«, sagt Scheitlin. »Es hängt von seinen Verhältnissen zur Natur und den natürlichen Umgebungen zu dem Menschen, wenn es mit ihm in Verkehr kommt, zum Teil auch von sich selbst ab. Oft muß es des Menschen Schicksal und der Mensch das des Tieres teilen; es geht mit ihm zugrunde im Feuer und Wasser, in der Schlacht und im Kampfe. Manche Pferde sind Helden, für die keine Kugel gegossen zu sein scheint, andere streckt die erste feindliche Kugel nieder. Das junge, schöne Füllen wird fast mit Gold aufgewogen, dann zugeritten, zu freien, frohen Wettrennen benutzt, bald darauf mit Stricken an eine Kutsche gespannt, doch immer noch mit Hafer gefüttert: es ist noch der Ruhm seines Kutschers, der Stolz seines Reiters. Dann geht es an einen Lohnkutscher über; rohe Menschen quälen es beinahe zu Tode. Es muß dennoch alltäglich wie ein Sklave ziehen; es hinkt, dennoch muß es laufen. Ist es ein Postpferd geworden, so geht es ihm nicht besser. Es wird halb oder ganz blind, seine Weichen und seine Vorderrücken bluten vom Riemenwerke, sein Bauch von Bremsenstichen. Ein armer, roher Bauer hat es für wenig Taler auf Leben und Tod gekauft; es wird noch einige Jahre lang mit Stroh gefüttert, angeflucht, mit den groben Schuhen in die Rippen geschlagen und zuletzt, wenn es zehnmal auf der Straße erlegen, totgestochen, oder es krepiert endlich. Das ist der Fluch mancher Pferde, und diesen Fluch trägt mancher edle Hund, mancher Bär, mancher Büffel, manches andere Tier. Tagelöhner sind auch sie, und ihr Leben ist ein immerwährender Streit auf Erden. Von den höchsten Stufen der Ehre steigen sie zur tiefsten Schande herab; ihr Dasein geht vom üppigsten Überflusse bis zum nagendsten Hunger, von rascher Jugendfülle und Blüte zur elendesten Krankheit und Altersschwäche herab. Glücklich, daß wenigstens das tiefstehende Tier seinen Lebensfluch nicht erkennt, traurig, daß der Mensch vergessen kann, daß die höheren Tiere sehr Wohl zwischen guter und schlechter Behandlung unterscheiden lernen!
Andere Tiere aber leben in Glück und Freude vom Anfang an bis zu Ende. Manches Hündchen wird wie ein Kind geliebt, gekost, geküßt, zu Tische geladen, kostbar gespeist, Ärzten übergeben, beweint, begraben; mancher gelehrige und gutmütige Hund hat ein Schicksal, dessen Glück dasjenige der meisten Menschen übertrifft, so daß er sagen müßte: das Los ist mir gefallen auf das lieblichste, mir ist ein schönes Erdenteil geworden. Er darf mit tanzen, mit denken, mit reisen, mit genießen, kurz, so weit er kann, gerade wie ein Mensch tun; es wird an seinem Grabe noch geschluchzt. Mancher völlig untaugliche, bissige Hund, manches blindgewordene Pferd bekommt bis zu seinem Sterben ein schönes Gnadenbrot, wie es tausende von Menschen, die es besser verdienten und eher bedürften, nicht bekommen. Auch das Tier hat sein Schicksal.«
Aber nicht bloß die wenigen Haustiere, die hier aufgeführt wurden, müssen dem Menschen zollen mit Leib und Leben, mit ihren Kräften, Fleisch, Haut, Haar, Horn und Dünger: er hat noch weit mehr sich unterjocht und nutzbar gemacht, selbst solche, die nicht mit ihm seine Wohnung teilen; zum Lasttragen, Ziehen und Reiten, zum Kriege wie zur Jagd, zum Post- und Hirtendienst, zu Gauklerkünsten und Kurzweil müssen sie ihm ihre Kräfte leihen. Zur Nahrung dienen ihm ihr Fleisch, ihre Milch, ihr Schmeer und Fett, und selbst ihre eigenen gesammelten Vorräte. Andere liefern Wohlgerüche, Spezerei und Arzneimittel, sehr viele müssen ihr Pelz- und Rauchwerk zu seiner Kleidung, ihre Haut zu Leder, ihre Wolle zu Gespinsten und Geweben hergeben, noch andere liefern Horn, Elfenbein, Zähne, Fischbein für seine Industrie, Düngstoffe für seinen Acker. Einen solchen Nutzen kann keine andere Klasse des Tierreichs für uns aufweisen, und deshalb eben sind die Säuger bei weitem die wichtigsten aller Tiere für den menschlichen Haushalt; deshalb eben kann man sagen, daß das bequeme Leben der Menschen, wie wir es gewohnt sind, ohne die Säugetiere geradezu unmöglich sein würde. Aber wir sehen auch wiederum aus dem Nutzen, den die Säugetiere uns gewähren, aus der treuen Hilfe, die sie uns leisten, aus der Verbrüderung, die sie mit uns eingehen, – wie nahe, wie innig verbunden wir, als die höchststehenden Säuger, mit den übrigen sind, denen wir unser Joch auferlegt haben.