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Des Nachmittags rief uns die Mutter zu sich und sagte: »Für das mitgebrachte Fleißzeichen sollt Ihr eine Freude haben. Geht zur Tyrolerwalburg, grüßt sie schön von mir und erzählt ihr, daß morgen der Onkel Anton kommt. Wie sie das erheitern wird! - Dann gebt der Walburg das eingewickelte Geld, verliert es aber nicht. Ihr könnt den ganzen Nachmittag bei der Alten bleiben und ihren schönen Geschichten zuhorchen. Führt euch ordentlich auf und quält sie nicht mit zu viel Fragen.«
Wer war über diesen Auftrag vergnügter, als wir beide! Sogleich suchten wir nach der kleinen Schwester, um sie auch mitzunehmen, jedoch sie war bereits mit Nanny ausgegangen. Wir schritten also Hand in Hand die Schloßgasse hinab. Ich hielt das eingewickelte Geld in der geballten Faust. Plötzlich sagte Anton: »Laß einmal sehen! Das Papier kommt mir heute dicker vor, als sonst.«
Wir blieben stehen, entfalteten es und siehe da - es befanden sich dreißig Groschen darin. In diesem Moment blitzte ein Gedanke durch Antons Augen. Warum heute mehr Geld? Da muß sich die Mutter überzählt haben.«
Ich wollte eben die Groschen wieder einwickeln, als Anton meine Hände faßte und sagte: »Halt, da ist gleich geholfen. Ich brauche zehn - gib her!«
Sprachlos, entsetzt, starrte ich ihm in's Gesicht.
Dann sagte ich: »Was, Du willst der Tyrolerwalburg etwas von ihrem Gelde nehmen? Du willst – «
Mein Bruder fiel mir in die Rede: »Was nicht gar, nehmen! – entlehnen will ich etwas, aber heimlich. Morgen schon kommt der prächtige Onkel Anton! Der schenkt uns jedesmal beim Abschied viel mehr und nicht in die Sparkasse, sondern damit wir uns einen Spaß machen. Dann gebe ich der Walburg das Doppelte wieder. Du weißt, sie reicht mit wenigem eine Woche. Bevor sie das Geld verbraucht hat, bekommt sie von mir reichlichen Ersatz.«
Anton hatte gesprochen, daß er kaum zu Atem kam. Sein Antlitz glühte vor Freude. Mir war nicht so wohl bei der Sache, ich entgegnete: »Nein, ich geb's nicht her!«
Jetzt loderte sein Zorn auf und er rief: »So, Du gibst es nicht her? – Du willst mich vom Michel zu Tode prügeln lassen?«
Ich entgegnete mutig: »Dem Vater sollst Du es sagen. Er gibt es Dir lieber aus Deiner Sparkasse, als – «
Anton ließ mich nicht ausreden und erwiderte: »Ja, dem Vater sagen, damit er mich straft.«
Mir wurde ganz bang und willenlos übergab ich ihm das Geld. Anton nahm zehn Groschen davon, wickelte die anderen wieder ein, ergriff meine Hand und wußte mich bald so völlig zu beruhigen, daß ich großmütig versprach, der alten Walburg von meinem Geld auch noch Zucker und Kaffee zu kaufen.
Wir malten uns dies alles so schön aus, daß wir uns vergnügt und fast stolz dem Hause der Walburg näherten. Unsere Freudigkeit minderte sich jedoch. Die gute Alte saß müd und abgezehrt im Lehnstuhle und obwohl sie uns freundlich grüßte, war sie nicht, wie sonst. Das Reden kam sie schwer an, sie konnte keine einzige Geschichte erzählen. Nur bei der Nachricht von Onkel Antons Besuch leuchteten ihre Augen freudig. Wir sahen wohl, daß hier unsers bleibens nicht sei, legten das Geld in ihren Schoß und gingen bald wieder von hinnen.
Nun hatten wir am Vakanznachmittag noch viel Zeit übrig und gingen auf den Marktplatz, geraden Wegs in den Kramladen, wo wir die Groschen gegen Schusser vertauschten. – Als wir die Stufen herabstiegen, erblickten wir auch schon den Michel; die andern Kinder fanden sich gleichfalls vollzählig ein. Wir zahlten mit stolzer Miene aus und wendeten dem Marktplatz den Rücken. Ernst begleitete uns auf den Anger, wir ließen seinen Drachen steigen und trafen die Verabredung, gar nicht mehr dahin zu gehen, wo der lange Michel zu treffen sei. Dann gingen wir abends ohne jeden Gewissensskrupel nach Hause und freuten uns unbeschreiblich auf den Onkel Anton.