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Ein Schießeisen und kein Schuß

Der Morgen kommt mit Regen und heftigen Windstößen. Von den Dächern trieft das Wasser.

Paul hat gut geschlafen und, beim Waschen erinnert er sich dessen und lacht, sehr schön von Beate geträumt.

»Du, Emil«, sagt er am Kaffeetisch zu dem Genossen, »kennst du Bruno Salzmann?«

»Was? Hast du den Lumpen etwa auch schon kennengelernt?«

»Ja.«

Der andere sieht ihn mit offenem Munde an.

»Das ist in der ganzen Redaktion der größte Leuteschinder, ein Schuft und ein Schleicher.«

»'n bißchen viel auf einmal.«

Der Werkmeister schlägt auf den Tisch. »Du, wenn wir mit dem mal abrechnen können!«

»Das dauert vielleicht nicht mehr lange. Aber kannst du mir sagen, wann er morgens in die Redaktion kommt?«

»Nee, genau nicht, er kommt sehr zeitig. Aber Punkt zehn Uhr geht er in das Café gegenüber und frühstückt.«

Paul sieht nach der Uhr.

»Ah, da muß ich schnell machen.«

»Hast du etwa eine Verabredung mit dem Burschen?«

»Ja, eine Verabredung!«

Er geht in seine Stube, nimmt einen Bogen Papier, überlegt. Aber es scheint ihm nichts einzufallen, er wirft das Papier wieder weg. Der Regen pocht weiter auf die Fliesen, eintönig.

Karl muß in die Schule, er verabschiedet sich von seinem neuen Freund. Der Kleine stapft, in einen langen Wettermantel gehüllt, über den Hof. Eine Etage höher schnurrt ein Grammophon los. Paul ist unmusikalisch, sonst hätte er gelacht. Da oben rotiert nämlich eine passende Platte: der Einzugsmarsch aus »Tannhäuser«.

Er nimmt seinen Revolver aus der Tasche, zieht die Sicherung zurück, läßt die Trommel schnurren: alles tadellos.

Er verabschiedet sich von dem Arbeiter und seiner Frau.

»Ich fahre höchstwahrscheinlich schon heute Mittag nach Essen zurück.«

Das Zeitungsgebäude liegt an einer stillen Straße, erst die nächste Querstraße, durchfurcht von Schienen, lebt und hastet. Hier an der Ecke brüllen die Zeitungsverkäufer eben die neueste Mittagsausgabe jenes Blattes aus, auf dessen Inseratenchef Paul Moll wartet.

Er läuft auf und ab, wenige Minuten noch, dann schlagen die Uhren der Stadt die zehnte Stunde. Das Geschrei der Zeitungsverkäufer stört ihn, sie melden monoton immer wieder dasselbe; er versucht, nicht darauf zu hören und nicht die Übersicht über die drei Türen zu verlieren, aus denen Bruno Salzmann kommen kann. Er hat beide Hände in den Taschen stecken, die Rechte klammert sich an das kleine, wichtige Ding, das ihm Ruhe gibt, Ruhe und Sicherheit. Verdammt, wird er nervös? Die Rufe der Zeitungsverkäufer setzen ihm wie Mückenstiche zu. Was schreien sie denn? Und mit dem ersten Schlag der Uhr, dem pünktlich die Gestalt Salzmanns folgt, versteht der junge Bergarbeiter den Sinn jener Zeitungsmeldung. Er steht vor der mittelsten Tür, der Redakteur hat ihn sofort gesehen und stutzt. Verfärbt sich nicht dessen Gesicht? Salzmann bleibt stehen, mißtrauisch den jungen Burschen betrachtend, den er genau kennt und der ihn ebensogut zu kennen scheint.

So verharrt einen Moment alles in der gleichen starren Lage, dann springt Paul zum nächsten Zeitungsverkäufer. Den Groschen für den Wisch kriegt dieser erst, als Paul die telegraphische Meldung schon überflogen hat:

»Heute Morgen wurden auf der Zeche Prinz Heinrich, die zum Landkreis Essen gehört, durch nachstürzendes Gestein vierzig Bergleute verschüttet. Die Belegschaft streikt seit einigen Tagen: Neues, unerfahrenes Personal, das erst am Sonntag eingestellt wurde, scheint nicht die notwendige Vorsicht beachtet zu haben. Die Schuldfrage ist noch nicht geklärt. Es besteht kaum noch Hoffnung, die Eingeschlossenen zu retten, da das ausgebrochene Feuer weiteres Vordringen unmöglich macht. Die Zechenverwaltung hat sofort eine Untersuchungskommission ...«

Als Paul aufsieht, ist Salzmann verschwunden.

Der Vater ist natürlich dabei, er liegt unten, über ihm die Trümmer der morschen Verschalungen, gegen die alle Kumpels der Zeche gestreikt haben, auch du, Vater, bis jene hinterwäldlerische Organisationstreue dich in die Front der Verräter einreihte.

Paul wundert sich kaum, daß er ohne Schmerz, ohne Verzweiflung die Bedeutung dieser Nachricht überdenkt. Er muß zurück. Das ist das wichtigste. Von Berlin sieht er nichts mehr, die Straßen gleiten vorbei, die Häuser, die Menschen. Acht Stunden noch, dann wird er seinen Posten wieder einnehmen.

Und auf dem Bahnhof, als er schon das Billett in der Hand hat und durch die Sperre geht, strömt fast ein freudiges Gefühl zum Herzen, daß er so knapp und auf so merkwürdige Art an jener Dummheit vorbeigekommen ist, die er geplant hatte.


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