Lily Braun
Mutter Maria
Lily Braun

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Erster Akt

Im Hause Giuseppes, des Zimmermanns, in San Domenico bei Florenz. Offene Halle mit gewölbter niedriger Decke. Drei Bogenöffnungen zwischen Säulen im Hintergrund. Die rechte ist durch einen Vorhang verhängt. Links führt eine Holztreppe zu einer Empore, die zu beiden Seiten mit kleinen Türen abschließt. Rechts unten ebenfalls eine Türe. In der Ecke rechts vor dem verhängten Bogenfenster ein Hausaltar; über ihm das Madonnenbild Botticellis »Das Magnifikat«, darunter eine ewige Lampe. Unter der Treppe links eine Sitzbank mit einem Tisch davor, ein großer Lehnstuhl daneben. Durch die zwei Bogenöffnungen Blick auf einen kleinen Garten, mit niedriger Mauer, an der die Straße vorbeiführt. Im Hintergrund die Türme von Florenz. Abenddämmerung. Maria, eine Frau von etwa sechsunddreißig Jahren mit schönen Zügen und goldblonden Haaren, die sich lockig unter dem Tuch hervorstehlen – ihre Kleidung entspricht der der Madonnen des Fra Bartolomeo – sitzt auf dem großen Stuhl zurückgelehnt, ein Gebetbuch im Schoß und blickt in Gedanken verloren hinaus. Das Geräusch näherkommender Schritte und Stimmen weckt sie aus ihrer Versunkenheit. Sie erhebt sich langsam, gießt aus einem Krug Wein in einen Becher, den sie auf den Tisch stellt. Giuseppe, ein alter aber noch rüstiger Mann, Ende der Sechzig, mit Zimmermannshandwerkzeug beladen, tritt ein. Maria, in demütiger Haltung, nimmt ihm während des folgenden Zwiegesprächs das Werkzeug ab, ebenso den Mantel und schließlich die Stiefel, wobei sie vor ihm kniet und er in durstigen Zügen den Becher leert.

Giuseppe
Ein heißer Tag war's! Meine alten Arme,
Der übergroßen Arbeit ungewohnt,
Versagen fast den Dienst. Allein die Freude
Wirkt wie ein Zaubertrunk.

Maria
So war es doch das Chorgestühl im Dom,
Das zu vollenden dich der Meister holte?
Madonna segne dir zum Werk die Hand!

Giuseppe
Das Chorgestühl, an dem der Holzwurm frißt?
Die Zeiten, da wir Ratten, Mäusen, Würmern
Noch dankbar waren, weil sie Arbeit schafften
Und uns davor bewahrten, zu verhungern,
Sind jetzt vorbei.
Du träumst, Maria! Unsre Gartenmauer
Umschließt für dich die Welt. Indes die Stürme
Des jungen Frühlings ihre Wogen peitschen,
Meinst du, die kleine alte Pforte dort
Sei wie ein Wall, an dem sie brechen müssen.
Der Herzog –
    (Maria erschrickt und hebt abwehrend beide Hände.)
Ruht auf den Medici für dich noch immer
Savonarolas Fluch? Bist du so fromm
Und fühlst es nicht, daß Gott allein es war,
Der fürchterlich des Priesters Wahnwitz strafte
Und im Triumph Lorenzos edle Söhne
Zurückgeführt?

Maria (mit leisem Vorwurf)
Warst nicht auch du Savonarolas Jünger
Und sahst in ihm den Retter von Florenz?

Giuseppe (erhebt sich)
Ich war betört wie viele! Doch genug –
Du bleibst die Heilige und ich der Sünder!
Ist Angelo zurück?

Maria                             Noch vor der Nacht
Versprach er hier zu sein.

Giuseppe                                 Schick ihn zu mir,
Sobald er kommt. Ehrwürden, dein Herr Sohn,
Hat dann vielleicht noch Zeit für seinen Vater.

Maria (sieht bittend, mit gefalteten Händen zu ihm auf)
Giuseppe, du bist hart! Hat er nicht stets
Getan, was du verlangst, ja mehr als das?
Noch gestern schnitzte er den Engelskopf,
Der dir mißlang, nur um dich froh zu machen.

Giuseppe
Du zitterst wieder um dein Küchlein, nicht?
Und möchtest's mit den beiden Flügeln decken,
Als wär' der Habicht nahe! Wirst du nie
Die Furcht verlieren, wenn der Zimmermann,
Gewohnt, nur mit dem Hammer dreinzuhaun,
In seiner rauhen Weise mit dir spricht?
Der Knabe ist ein guter Sohn, – ich weiß!
Ich liebe ihn, doch grade darum wurmt mich's
Noch mehr als sonst, daß wir ihn Gott versprachen.
Ein Größter unter Großen,
So stünd' er heute vor dem Medici,
Wenn er ein Künstler wäre! Schau hierher:
    (Er entfaltet eine Rolle, die er beim Kommen auf den
    Tisch gelegt hatte.)

Dies Schild, auf goldnem Grund die roten Äpfel, –
Fortuna selbst gab es Florenz zurück! –
Soll überall in Kirchen und Palästen,
Wo es der Aufruhr frevelnd niederriß,
Aufs neue prangen!
Wer immer aus dem Holz und aus dem Stein
Das Schild der Medici zu meißeln weiß,
Ist aller Sorgen ledig; und wer gar
Mars und Merkur als dieses Wappens Träger
Recht künstlich und lebendig schaffen könnte –

Maria (ihn hastig unterbrechend)
Und Angelo, mein Sohn, so meinst du, soll –
Das Schild der Medici – –!

(Sie sinkt in die Knie und verbirgt das Gesicht in den Händen. Giuseppe sieht sie staunend an, zuckt ärgerlich die Achseln, nimmt sein Handwerkszeug und steigt die Treppe hinauf, wo er in der Türe links verschwindet. Inzwischen hört man von fern das Gebetmurmeln der Mönche, die paarweise in langem Zuge an der Gartenmauer vorbeikommen. Maria erhebt sich, geht hinaus und öffnet die Gartenpforte in dem Augenblick, wo der letzte Mönch, der von den andern abgesondert allein geht, vorüber kommt. Er bleibt stehen, sie küßt ihm die Hand, er macht das Zeichen des Kreuzes über sie und tritt mit ihr ein.)

Fra Sebastiano
Wir haben ihn den ganzen Tag vermißt,
Er fehlte bei der Messe, bei der Hora.
Ich bin sehr traurig über Euren Sohn,
Denn auch den Beichtstuhl meidet er, seitdem
Ihn jener böse Geist der Unruh packte
Und täglich länger unserm Schutz entreißt.

Maria
Und heute kam er gar nicht in das Kloster?
Noch nie geschah's! Ihm kann doch auf dem Wege
Nichts Böses zugestoßen sein?

Fra Sebastiano                                 Wer weiß!
Der Teufel geht umher seit gestern morgen
Und sucht die Seelen, daß er sie verschlinge.
Ich ging hinunter, böser Ahnung voll,
Als ich die Glocken läuten hörte. Ganz
Florenz war auf dem Platz; der Mediceer
Gefolgschaft, die seit Jahren schweigen lernte,
Erschien erhobnen Hauptes, führte keck
Das große Wort, und unser armes Volk,
Von jedem Lüftchen hin und her getrieben,
Wie ein papierner Drache, den die Kinder
Dem Zufall frischer Winde anvertraun,
Stand stumm dabei, im Innern längst bereit,
Sich einem neuen Herrn zu unterwerfen.
Alsdann Giuliano kam, Lorenzos Sohn,
Des Prächtigen, des Reichen, Vielgeliebten,
Auf weißem Zelter, in dem goldnen Panzer,
Dem wohlbekannten, drauf die Sonne lüstern
Die Bilder schamlos nackter Heidengötter
Zu küssen schien, begrüßte ihn die Menge
Wie einen Triumphator. Daß sein Antlitz
Bewegungslos und eisern blieb, sein Auge
Mit keinem Blick bemerkte, wie das Volk
Sein ganzes Herz ihm vor die Füße warf,
Erhöhte nur den Eindruck, den er machte;
Noch nahm niemand die Acht von seinem Haupte,
Und dennoch war, als er zur Erde sprang,
Der Schritt, mit dem er aufwärts zum Palast
Der Signorie die breiten Stufen trat,
Der des Erobrers.
Die Fahne in der Faust, darauf die Kugeln
Wie blut'ge Tränen glänzten, blieb er stehn
Und maß mit jenem Blick der Medici,
Dem kühlen, überlegenen, das Volk,
Das ohne Schwertstreich sich ihm unterwarf.
    (Mit gesteigerter Leidenschaft.)
Und niemand griff nach einem Stein, und keiner
Besaß den Mut, auch nur die Faust zu ballen,
Den Mund zu einem Fluch zu öffnen! Schon
Sah ich die Krämer mit dem Vorteil rechnen,
Leichtsinn'ge Jugend mit der Lustbarkeit –

Maria
Doch hört' ich heut, die fremden Söldnerscharen
Verließen unsre Stadt; die Nachbarin
Erzählte mir, das sei des Herzogs Werk.

Fra Sebastiano
Ein gutes Werk und eines Christen würdig!
Wie Wölfe, die der Hunger aus der Berge
Versteckten Schluchten in die Ebne treibt,
So spien unsre Tore diese Bestien
Ins Land hinaus; ein weites Trümmerfeld,
Ein gräßlicher Altar, auf dem die Gier
Entmenschter Horden unsre Jungfraun opfert,
Ist ganz Toskana. Doch die Florentiner
Sind trunken vor Entzücken, denn der Herzog
Versprach dem treuen Volk den Karneval!
Sie reißen schon die roten Kreuze ab,
Die sie als Zeichen ihres Christenglaubens
Und ihrer Freiheit mit denselben Händen
An allen Straßenecken aufgerichtet! –
Vereinige, du frömmste aller Frauen,
Mit uns dein Bitten, daß der heil'ge Christ
Nicht allzu lang die Greuel dulden möge.
Und hüte deines Sohns! In seidnen Kleidern,
Auf seinen Lippen süßen Honigseim,
Das Haupt bekränzt wie Bacchus und Apoll,
So naht sich der Verführer! – Sei gesegnet,
Mutter Maria, für dein schweres Werk.

(Er macht das Zeichen des Kreuzes über die tief sich Neigende. Maria geleitet ihn hinaus, küßt an der Pforte seine Hand, schaut, während er weiter geht, noch einmal die Straße hinauf und hinab und kehrt dann langsam, in Nachdenken Versunken, zurück. Sie steigt die Treppe empor und verschwindet in der Türe links. Kurze Zeit bleibt die Bühne leer. Dann tritt Meister Sandro herein, ein alter Mann in schwarzem, mönchischem Gewande, mit schwarzer Kappe, und Lucrezia, eine schöne, üppige reife Frau in prachtvoller Tracht. Sie bleibt einen Augenblick zögernd an der Schwelle stehen und sieht sich verwundert um.)

Lucrezia.
In dieser Hütte, sagt Ihr?!
    (Meister Sandro neigt zustimmend den Kopf.)
                                          Welch ein Rahmen
Für eine königliche Schönheit! Sprecht!
Wie kam es, Meister Sandro? Sprecht geschwind,
Damit ich's weiß, eh' ich ihr selbst begegne.

Sandro (abweisend, kühl)
Gott selber rief sie.

Lucrezia (mit leichtem Spott)
                              Durch den Mund des Mönchs?!

Sandro
Durch jenen Mund, der viele tausend Seelen
Vor ewigem Verderben rettete!
Der jene unglücksel'ge Stadt, den Schauplatz
Der Orgien aller Diener Beelzebubs,
Durch seiner Worte reinigendes Feuer
Befreite und entsühnte.

Lucrezia                               Meister Sandro,
Ihr geht sehr weit! Der Herzog rief Euch nicht
An seinen Hof um Eurer Predigt willen.

Sandro
Mein Pinsel steht allein im Dienst des Herrn.
An jenem großen Tag, da sich Florenz
Dem Heil'gen unterwarf, da zarte Kinder
In ihrer Unschuld weißen Rosenkränzen
Die Zeichen unsrer niedrigen Begierden
Zum Scheiterhaufen schichteten, – da rief
Auch mich der Herr und rief so laut, so drohend,
Daß ich mit eignen Armen meine Werke
Hosianna singend in die Gluten warf.

Lucrezia (Zwischen Erschütterung und Neugierde kämpfend.)
Dann maltet Ihr? –

Sandro                           Die Mutter Gottes malt ich,
Mutter Maria –

(Maria kommt indessen die Treppe herab und geht mit beiden Händen auf Sandro zu.)

Maria                       Meister Sandro – Ihr?
Ein seltner Gast!
    (Sie bemerkt Lucrezia, richtet sich hoheitsvoll auf,
    mit kühler Würde.)

                            Wen habt Ihr hergeleitet?

Lucrezia
Lucrezia bin ich. Kennst du mich nicht mehr?

Maria
Ich kenne dich und kenn' dich nicht. Einst warst du
Gespielin mir; doch dann entführte dich
Ein bunter Nachen an ein fremd' Gestade,
Wo rings die Luft von Lachen widerhallt.
Ich aber landete in stiller Bucht.
Geleitet sie nach Hause, Meister Sandro,
Wir haben miteinander nichts zu schaffen.

(Maria wendet sich zum Gehen, Sandro folgt ihr.)

Sandro
Seid nicht so stolz, Maria! Kann's nicht sein,
Daß Euch der Herr erwählt, auf daß auch sie
Den Weg zum stillen Port des Friedens fände?

(Maria tritt zu Lucrezia)

Maria
Verzeih mir, bitte! Sieh, ich schäme mich,
Daß ich, die Sünderin, dich richten wollte.
    (Sie umarmen sich. Sandro geht zur Tür rechts.)
Ihr geht schon fort?

Sandro                           Ist Angelo zu Haus?
Den Kopf der heil'gen Jungfrau, den er schnitzt,
Versprach er mir zu zeigen.

Maria (traurig, ganz zu Sandro gewendet)
                                              Er ist fort.
Er flieht das Haus bei Tagesanbruch schon,
Er flieht selbst seine Mutter, und die Angst
Schlägt ihre Raubtierkrallen um mein Herz.
Zu Anfang, wenn er wiederkam, ließ sie
Die Beute los, – nur daß er da war, schien mir
Beweis genug, daß er auch heimgekehrt!
Ich frug ihn einmal, sanft und ohne Vorwurf,
Wie er den Tag verbracht – vor wenig Monden
Bedurft es keiner Fragen zwischen uns –,
Er wich mir aus, ein seltsam Flackerfeuer
In seinem Blick. Des Abends in der Kammer
Schließt er sich ein; ich stehe an der Türe
Scheu – eine Horcherin –! Ich hör' sein Messer,
Wie es im Holze knirscht – dann wirft er's weg
Und schreitet auf und nieder, stöhnt und seufzt –

Sandro
Das ist der Kampf des Künstlers um sein Werk
Und die Geburt des Mannes aus dem Jüngling!
Laß mich in seine Kammer; seinem Lehrer
Wird er verzeih'n, wenn er den Schleier lüftet,
Der uns vielleicht ein Meisterstück verbirgt.

Maria
Ihr meint es gut und tröstet dennoch schlecht,
Wie könnte je sein Werk ihn mir entfremden,
Wenn nicht sein Geist schon fremde Wege ging.
    (Sie öffnet rechts die Tür, zu der Sandro sich wendet.)
Ich frug die heil'gen Väter heut nach ihm,
Auch Bruder Sebastiano sah ihn nicht.

(Sandro drückt ihr die Hand und geht.)

Lucrezia (triumphierend)
Ich aber sah ihn!

Maria (mit ahnungsvollem Entsetzen)
                            Du?!

Lucrezia                             In Poggio war es,
Wohin der Herzog heut am frühen Morgen
Mit mir gefahren ist, – mit mir allein!
    (Mit Betonung.)
Ich steh' ihm nah – sehr nah; fast so wie du
Vor zwei Jahrzehnten –

Maria (gequält)
Du wolltest mir von Angelo erzählen.

Lucrezia
Den Herzog trieb die Ungeduld hinaus,
Denn als er gestern abend in Florenz,
Berauscht vom Glück der Heimkehr, den Palast
Der Mediceer stolzen Schritts betrat,
Der Wunder seiner Kindheit gläubig wartend,
Und aus dem Säulenhof die Marmortreppe
Zum Saal emporschritt, stand er an der Türe,
Der weitgeöffneten, entgeistert still:
Wo einst der Teppiche gewirkte Pracht
In bunten Farben strahlte, starrten ihm
Die nackten Wände kalt und roh entgegen,
Und statt der Götter des Olymps, die lächelnd
Den Knaben grüßten von gewölbter Decke,
Sah jetzt der Mann ein nüchtern leeres Nichts
Grauweißen Kalks; die Lippen zuckten ihm,
Und in die Stirne
Grub drohend sich die Falte wilden Zorns.
Nur zögernd schritt er weiter; Saal um Saal
Dasselbe Bild: geraubt, verbrannt, zerstört,
Was unzerstörbar schien, – unsterblich war! –
Savonarolas Knechte hausten hier!

Maria (unterbrechend)
Die Söldner Frankreichs, Spaniens wilde Reiter,
Vor denen Piero Medici entwich.

Lucrezia
Zuletzt stand er vor einer Pforte still,
Die mit vier schweren breiten Eisenbändern
Tief in der Mauer hing. »Hier fehlt der Schlüssel« –
Hört' ich den Diener sagen. »Diesen Schlüssel«,
Rief drauf der Herzog, »trag' ich stets bei mir,
Denn meine Kammer ist es, und sie birgt
Den größten Schatz, den ich besessen habe.«
    (Maria hört in steigender Erregung zu.)
Und rasselnd schob er ihn ins rost'ge Schloß.
Ein Tritt – und krachend flog die Pforte auf,
Ein Sprung – und mitten in dem runden Raum
Den grünes Dämmerlicht gespenstisch füllte,
Stand schon Giuliano; alle Farbe wich
Aus seinen Wangen; mit der blassen Hand
Winkt er uns allen, ihn allein zu lassen.
Nur eins hatt' ich mit raschem Blick erspäht:
Ein breites Bett und einen leeren Sockel.

Maria
So ist sie fort, die weiße Zauberin,
Die, von der Erde ausgespien, der Hölle
Die Herzen zuwarf, die sie brechen half?

Lucrezia
Ein gütiges Geschick hat sie erhalten.
Bei Nacht, so heißt's, auf unbekannten Wegen
Gelang es einer Schar getreuer Diener
Des Hauses Medici, die Marmorstatue
Und mit ihr Bücher, Bilder, Prunkgeräte
Aus dem gefährdeten Palast nach Poggio,
Der abgelegnen Villa, zu entführen.
Ein alter Gärtner, den Lorenzo noch
Zum Hüter seines Hauses eingesetzt,
Bedeckte sie mit Rosen und mit Lorbeer.
So schlummerte die Liebesgöttin sanft
Dem Tag entgegen, der sie wecken sollte.

Maria
Du wolltest mir von Angelo erzählen!

Lucrezia
Gedulde dich, nun bin ich schon bei ihm!
Der Herzog war wie toll. »Für einer Dirne
Blutheißen Busen«, rief er jüngst in Rom,
»Schenk' ich euch alle Götter Griechenlands!«
Und jetzt ließ er die Pferde blutig peitschen,
Vor Sehnsucht nach der Göttin Marmorbild.
Wir kamen unerwartet für den Wächter
Nach Poggio heut. Verlegen, ängstlich fast
Empfing er uns. »Was gibt's? Verschweige nichts!«
Schrie ihn der Herzog zornig an. »Sind hier
Wie in Florenz die Götter mir entflohn?
Beim Zeus! Ich schick' dich bis zur Unterwelt,
Um sie zurückzuholen!« »Gnädiger Herr,«
Sagt' drauf der Alte, »fürchtet nichts; kein Fädchen
Der Teppiche verlor ich, keine Seite
Der Bücher werdet Ihr verknittert finden,
Kein Fingernagel fehlt der weißen Frau.
Und keines Unberufnen frecher Blick
Erspähte Eure Schätze – bis zuletzt –«
Und zitternd warf er sich auf beide Knie –
»Verzeiht dem alten Mann! – Zu nächt'ger Stunde,
Hoch stand der Mond am Himmel, er erschien,
Lorenzos Bruder, dem die kalte Gruft,
In die ihn Meuchelmörder früh gestoßen,
Zu enge ward: Giuliano, Euer Oheim –«
»Wahnsinniger –« und mit der harten Faust
Stieß ihn der Herzog, daß er stöhnend umfiel,
Und ging ins Haus. Doch in der Säulenhalle
Stockt schon sein Fuß: Dort lächelt zwischen Rosen
Tief eingebettet Venus selbst, und vor ihr
Steht er, Giuliano Medici, der Tote,
Der Auferstandene, so jung, so schön,
Wie jener war, dabei so rein, so keusch,
So andachtsvoll, wie jener nie gewesen.

Maria
Mein Angelo –!

Lucrezia                   Ja – Angelo, dein Sohn,
Den die Natur so wunderbar gezeichnet,
Daß er den höchsten Adel des Geschlechts,
Dem er entstammt, mit seiner höchsten Schönheit
In reiner Harmonie vereint. Noch nie
Erblickten diese Augen solchen Jüngling.

Maria
Und vor der Venus stand der Unglücksel'ge?

Lucrezia
Er lächelte sie an, die schöne Frau,
Als wär' sie ihm vertraut, wie eine Freundin.
Mit zarter Hand schob er den Dornenzweig
Ihr aus der glatten Stirn und legte sanft
Die erste Purpurrose, die er fand,
An ihre wundervollen nackten Brüste.
Dann ließ er sich gemächlich in dem Schatten
Der nächsten Säulen nieder und begann
Mit lauter Stimme, deren Orgelton
Das junge Grün der Büsche zittern machte,
Aus einem Buch zu lesen, das in Seide,
Goldstrahlender, gebunden war. Kein Psalter!
Auch kein Gebetbuch! – Was ihn ganz entrückte,
Des Plato Gastmahl war's.

Maria (wild ausbrechend)             Und ich, die Mutter,
Die ihn genährt hat mit dem eignen Herzblut,
Die jede Regung seiner Kinderseele
Zu kennen meinte, besser als sich selbst,
Die in dem Spiegel seiner klaren Augen
Zu lesen glaubte wie im offnen Buch
Der Heil'gen Schrift, – ich wußte nichts davon!

(Sie bricht vor dem Altar zusammen. Nach kurzem Ringen, wobei sie betend die Hände erhebt, bemächtigt sich ihrer eine gefaßte Ruhe. Sie steht auf und wendet sich wieder zu Lucrezia.)

Kamst du aus keinem andern Grunde her,
Als um dies Schwert in meine Brust zu stoßen,
So sei bedankt. Die Wunde tut mir wohl,
    (etwas ekstatischer)
Denn für mein Mutterherz ist all ihr Blut
Ein roter Quell der Freude! Fließt es doch
Für des verirrten Sohnes Seelenheil.

Lucrezia
Wie du mich stets verkennst, – seit damals schon,
Als ich den Kranz von Lilien dir ins Haar flocht
Und mir den Rosenkranz! Du meintest zornig,
Die Schönste wollt' ich sein! Sah dich Giuliano
In jenem Kranze nicht zum erstenmal?
Und wählte dich?!
Ich bin auch heut ein Werkzeug seines Glücks
Und komme zu dir als von ihm gesendet.

Maria
So kehre um; dein Lohn ist schon verspielt,
Eh' ich die Botschaft hörte, die du bringst.

Lucrezia
Du hast zu diesem stolzen Ton kein Recht,
Denn meine Sendung gilt auch einem andern!
Jedweden Wunsch erfüllte das Geschick
Dem edlen Sproß des Hauses Medici:
Bis gestern von der Vaterstadt verbannt,
Der sein Geschlecht mit nimmermüden Händen
Den Kranz des Ruhmes um die Stirne flocht,
Begrüßt ihn heut Florenz als den Gebieter
Und ehrt den großen Vater in dem Sohn.
Nur eins blieb ihm versagt, und dieses Eine
Schmerzt ihn, da er am höchsten stieg, am tiefsten:
Ihm fehlt der Erbe, – kinderlos
Blieb seine Gattin, kinderlos bin ich –
Er sah Angelo. Wie von Gott gesandt
Erschien er ihm, noch ehe er erfuhr,
Daß du die Mutter –

Maria (sehr stolz)               Und was will der Herzog?

Lucrezia
Er fordert seinen Sohn von dir! – Du schweigst?
Er, den du einst in tiefster Not geboren,
Er steigt empor, so hoch, daß seine Hand
Nach Kronen greifen darf!

Maria
Von allem, was du sagst, drang nur ein Wort
Mir tiefer als ins Ohr: Nach seinem Sohn
Verlangt der Herzog?

Lucrezia                             Ist es nicht der seine?

Maria
Nur darum, meinst du, weil er ihn gezeugt,
Ist er sein Eigentum? Fast zwanzig Jahre
Vergaß er ihn und pocht auf Vaterrecht?
Als auf den Straßen das empörte Volk
Den Namen Medici schon laut verfluchte,
Fühlt' ich mich Mutter. Doch was galt es ihm,
Daß ich ins Elend kam, als sein Geschlecht
Die Stadt verließ, verfolgt vom Hohn der Menge?
Entehrt und arm, das Kind der Medici,
Der Vaterlandsverräter, unterm Herzen,
Verkroch ich angstvoll mich; ein jeder Blick
Schien mir ein Dolchstoß für das Ungeborne,
Und jedes Wort ein Fluch! Im Dunkel nur
Der Gotteshäuser glaubte ich mein Kind
Gesichert vor dem Haß, der es bedrohte,
Hier in der Werkstatt, in dem Winkel dort,
Den mir Giuseppe freundlich überließ,
Weil ihn die frommen Brüder darum baten,
Kam es zur Welt. – Und als ich, kaum genesen,
Das Kind im Arm, schon auf der Straße stand,
Nicht wissend, welchen neuen Weg ins Leben,
Ins gräßlich drohende, ich wählen sollte,
Da packte ihn das Mitleid, und ich blieb.
Ich blieb auch dann, als er die arme Magd
Zum Weib begehrte! Meinem Sohn ein Obdach, –
Was wollt' ich mehr? – Ich lebte nur für ihn.
Mein Denken, Hoffen, Fürchten, mein Gebet
Und alle Liebeskräfte meines Herzens
Gehören ihm – – Giuliano Medici,
Wagst du es noch, ihn deinen Sohn zu nennen?!

Lucrezia
Entschied nicht Angelo selbst wider dich,
Da er die Venus wählte, statt der Jungfrau,
Der du den Knaben allzu rasch geweiht?
    (Maria bedeckt das Gesicht mit den Händen.)
Wozu der Streit? Dein Sohn ist jetzt ein Mann,
Ich werde ihm die Antwort überlassen.

Maria (aufs tiefste erschrocken)
Das wirst du nicht!

Lucrezia                       Wer hindert mich daran?

Maria
Ich, deine Jugendfreundin, seine Mutter!
Du bist ein Weib wie ich – so grausam kannst du
Zu mir nicht sein! – Er ist mein einzig Glück,
Der Inhalt meines Lebens – ach, was sag' ich! –
Mein Leben selbst! Was bin ich ohne ihn!
Erbarme dich, Lucrezia! Du hast alles,
Was du begehrst: Ruhm, Reichtum, Schönheit, Liebe!
Laß mir mein Kind!

Lucrezia                       Ich bin des Herzogs Botin.
Ich handle nach Befehl. Und ich verstehe,
Giulianos Wunsch wie deinen: Angelo
Ist wahrlich eines Kampfes wert –

(Maria sieht Lucrezia im plötzlichen Verstehen mit weitgeöffneten entsetzten Augen an. Angelo kommt durch die Tür und tritt lebhaft, ein wenig verlegen, ohne Lucrezia zunächst zu bemerken, auf die Mutter zu.)

Angelo
Du zürnst mir, Mutter? Ach, es war so schön,
So wunderschön da draußen.

Lucrezia (rasch vortretend)               War es das?

Angelo (verwirrt)
Mona Lucrezia – Ihr – bei meiner Mutter?

Lucrezia
Sagt ich's Euch nicht, daß wir uns wiedersehn?
Ich und Maria waren Spielgefährten.

Angelo (zerstreut, immer wieder gequält zur Mutter hinübersehend)
Ihr und die Mutter? Ach – Ihr seid so jung –
    (Er bemerkt Meister Sandro, der aus der Türe rechts
    eintritt, einen verhüllten Gegenstand in der Hand
    haltend.)

Nicht, Meister Sandro, nicht!

Maria                                             Ich schau's nicht an,
Wenn du, mein Sohn, dich scheust, es mir zu zeigen.

Sandro
Er brach sein Wort. Es ist die Jungfrau nicht.
Und doch: Was ich als Christ verwerfen muß,
Gebietet mir der Künstler, zu bewundern.

Angelo
Ich bin kein Künstler, will kein Künstler sein!

Sandro (hebt die enthüllte Figur, eine Holzkopie des Kopfes der Venus, empor)
Du, und kein Künstler? Urteilt selbst!

Maria                                                         Weh mir!
Die weiße Zauberin der Mediceer!

Lucrezia
Ein Meisterstück! Gebt her! Mit Ruhm und Ehren
Wird Euch der Herzog lohnen, was Ihr schuft.

Angelo (dicht bei der Mutter)
Es war ein Spiel – ein flücht'ger Knabentraum
Der müß'gen Stunde – Mutter, schau mich an –
Ich trag' es nicht, wenn du dich von mir wendest!

Maria (legt ihm die Hände auf die Schultern)
Und wandtest du dich nicht zuerst von mir?

Angelo (zu Sandro)
Gebt ihr das Bildwerk, weil es ihr gefällt.
    (zu Lucrezia)
Ich schenk' es Euch, Madonna, denn mein Herz
Hängt nicht daran.
    (Er umschlingt seine Mutter, die, an seine Brust gelehnt, leise weint.)

Sandro (leise zu Lucrezia)
Wir wollen gehn –

Lucrezia                       Ich dank' Euch, Angelo;
Mir ist die Gabe wert wie keine andere.

(Angelo sieht sie mit einem fremden Ausdruck an und neigt grüßend den Kopf, um ihn dann gleich wieder seiner Mutter zuzuwenden. Sandro und Lucrezia gehen ab. Oben an der Estrade öffnet sich die Türe, Giuseppe erscheint und beugt sich über das Geländer.)

Giuseppe (sehr ärgerlich)
Ihr hattet hohe Gäste, wie ich sah?
Natürlich muß der Vater da zurückstehn!
Er schindet sich, indes ihr schwatzt –

Angelo                                                       Ich komme!

(Maria küßt ihn lächelnd auf die Stirn, als wäre sie nun völlig beruhigt; während er die Treppe hinaufgeht, sinkt sie wieder in sich zusammen. Angelo springt zuerst scheinbar fröhlich die Treppe empor. Allmählich geht er langsam, als wäre er sehr müde. Oben tritt der Vater ihm entgegen und zeigt ihm das in Holz geschnitzte Schild der Medici mit den roten Kugeln.)

Der Vorhang fällt langsam.

Ende des ersten Aktes.

 


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