Lily Braun
Madeleine Guimard
Lily Braun

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiter Akt

Im Salon der Guimard in ihrem Palais zu Paris. Rechts eine Tür und eine versteckte Tapetentür. Links zwei Fenster. Im Hintergrund eine breite Flügeltüre, die zum Speisesaal führt. Elegante Rokokomöbel; darunter ein Tisch, auf dem Blumen stehen, ein Schränkchen, ein Schreibtisch am Fenster, verschiedene Sessel. Durch die offenen Fenster dringt der wüste Lärm der Straße herein, aus dem sich schließlich der Gesang des alten Bourbonenliedes, »Vive Henri quatre« abhebt. Nachdem er eine Zeitlang die Situation allein beherrschte, klingt erst von fern, dann immer näher und brausender die Melodie der Marseillaise dazwischen. Es ist, als bekämpften sich beide Gesänge. Madeleine sitzt am Schreibtisch, ein großes Schriftstück lesend, unter das sie schließlich ihren Namen setzt.

Madeleine (seufzend)
Nach London also geht die Wanderfahrt!
    (Sie läutet. Ein Diener tritt ein.)
Das dem Kurier, sobald er wieder kommt!
Doch bald wird mein Paris in neuem Glanz erstehn.
Dann werd' ich's wiedersehn!
    (Sie beschäftigt sich, in Gedanken verloren,
    mit den Blumen auf dem Tisch,
    die Marseillaise vor sich hinsummend.)

Zum Kampfe auf! Herbei!
Die Ketten brecht entzwei!
Marsch, marsch! (Melodie der Marseillaise.)
Marsch, marsch!
Der Feinde Tod!
Er färb' die Erde rot.
    (Sie horcht hinaus, lächelt und beginnt
    das Bourbonenlied zu singen.)

Heinrich, mein König,
In Treuen grüß ich dich!
Dein Banner wehe (Melodie von »Vive Henri IV«.)
In Frankreich ewiglich!
Du bist der Einz'ge, doch dreifach ein Held:
Beim Becher, beim Weibe, beim Kampf auf freiem Feld.
Dir ist kein Mädchen
Zu spröd', kein Wein zu schwer.
Kein Wagnis zu gefährlich,
Kein Feind zu reich an Wehr.
Hat auch der Sturmwind die Bäume entlaubt.
Die Lilie hebt stolzer ihr königliches Haupt.

(Finettte stürzt aufgeregt herein)

Finette
So schweigt doch stille!
Vor unsrer Türe
Sammelt der Pöbel sich schon!

Madeleine
So laß ihm die Freude!

Finette
Freude?!
Er droht uns mit Fäusten
Und stachligen Reden!
Hätt' ich nicht Freunde
Unter den Männern,
Wer weiß, was geschähe!

Madeleine
Mach mich nicht lachen!
Du weißt, wie ich selber,
Daß die Pariser
Nichts Böses mir tun.

Finette
Gewißlich nicht, wenn noch ihr Sinn
Auf Lustbarkeiten stünde!
Doch nur an Raub und Plünderung denken sie.
Heut' morgen war das alte Lied,
Das zum Spinett die Blainvilliers gesungen,
Signal zu ihrem Einbruch in das Schloß.

Madeleine
Das Schloß der Gräfin Blainvilliers?!

Finette
Geplündert!

Madeleine
Sie selbst?!

Finette
Der Herzog von Soubise befreite sie.

Madeleine
Der Herzog von Soubise?! Ganz recht – ich weiß
Sie ist, – so sagt' er, glaub' ich, – seine Base.
Doch sein Palais ist ihrem gar nicht fern.
Sag rasch: geschah ihm nichts?

Finette
Ich lief davon –

Madeleine
Du Närrin! – Und du weißt –!
    (Sie schreibt einige Worte auf ein Blatt Papier)
Rasch – nimm den Brief,
Nutz' deine Freunde
Unter den Männern,
Suche den Herzog, –
Bringe mir Nachricht –
Kehr' mir nicht wieder
Ohne sie!
    (Finette zögert, da der Lärm von draußen wieder
    zunimmt. Madeleine zwingt sie schließlich zu gehen.)

Ich sing' indessen uns zum Schutz
Die Marseillaise!
    (Sie stellt sich ans offene Fenster und singt.
    Das Volk fällt von außen ein.)

Ein ganzes Volk auf Tod und Leben
Zieht in den heil'gen Freiheitskrieg.
Und fällt ein Held für unsern Sieg,
Seht tausend neue sich erheben.
Zum Kampfe auf! Herbei! (Melodie der Marseillaise.)
Die Ketten brecht entzwei!
Marsch, marsch!
Marsch, marsch!
Der Feinde Tod,
Er färb' die Erde rot.

Stimmen von außen
Madeleine Guimard –
Die Tänzerin –
Eine der unsern –
Sie lebe!

(Mit dem Gesang der Marseillaise, der allmählich leise verklingt, hört man die gleichmäßigen Tritte des abziehenden Volkshaufens. Zu gleicher Zeit kommen, gleichfalls im Tempo des Liedes, die Liebhaber der Guimard leise hereingeschlichen, alle in Mäntel vermummt. Sie bemerkt sie erst, als sie eingetreten sind.)

Madeleine
Was wollt ihr hier?

Boutoulin
Du ludst uns ein –

Rochefort                     Zum Abschiedsfest,

De la Borde
Eh' du Paris

Jarente                 und uns verläßt.

Boutoulin
Und deine Kunst

Rochefort                   uns ganz entrückst.

De la Borde
Barbaren, ach,

Jarente
Mit deiner Gunst
Beglückst!

Madeleine
So seht ihr nicht
Von selber ein!
Zum Feste feiern
Scheint's kein Tag zu sein!
    (Sie sieht wieder zum Fenster hinaus.)
Wo bleibt sie nur?
Es ist nicht weit!

Boutoulin (legt den Arm um ihre Taille)
Für Liebesfeste ist immer Zeit.

(Madeleine reißt sich los. Zugleich greift Rochefort nach ihrem Arm, den er streichelt)

Rochefort
In deinen Armen such' ich Vergessen –

(Madeleine entwindet sich ihm. De la Borde nähert sich ihr, ihre Schultern umschlingend.)

De la Borde
Laß dich noch einmal ans Herz mir pressen!

(Madeleine sucht sich vergebens zu befreien. Jarente sinkt ihr zu Füßen und umfaßt ihre Knie.)

Jarente
Ein Schäferstündchen – ach – schenk' es mir!

Alle
In Sehnsucht schmachtet mein Herz nach dir.

(Madeleine befreit sich von den Zudringlichen)

Madeleine
Ein Überfall! – Vier Männer – eine Frau –
Und eure Vornehmheit?! – Und euer Anstand?!
Geht – jetzt erst kenn' ich euch!! Dort ist die Türe!

Boutoulin
Welcher Hochmut, mein Schätzchen!

Rochefort
Welche Krallen, mein Kätzchen!

De la Borde
Du warst doch sonst für jedermann
leicht zu erobern!

Jarente (klimpert mit Geld und zeigt ihr eine Hand voll Goldstücke)
Wer dich zahlen kann!

(Madeleine sieht in sprachlosem Erstaunen von einem zum andern, was sie als ein Zögern vor der Wahl zu deuten scheinen.)

Boutoulin (ein Etui aus der Tasche ziehend, das er ihr zeigt.)
Hier sind Brillanten –

Rochefort (Perlenketten Madeleine entgegenhaltend)
Hier Perlenketten –

Boutoulin
Vor den Banditen
Konnt' ich sie retten.

Jarente
In sicherm Schutze
Vor frechen Räubern
Ist mein Vermögen, –
Teil' es mit mir.

De la Borde
Mein Schloß in England
Wird niemand plündern.
Bist du die Meine,
Schenk' ich es dir.

Alle
Mein Vermögen ist nicht konfisziert
Wie das des Herzogs –

Madeleine (auffahrend)           Der Herzog?!

Alle
Mein Name ist nicht proskribiert
Wie der des Herzogs –

Madeleine                           Der Herzog?!

Alle
Ist ruiniert!

(Madeleine schreit auf und verbirgt das Gesicht in den Händen.)

Alle
Das hat sie gründlich
Von ihm kuriert.

Madeleine (leidenschaftlich)
Das hat auf immer
Mich ihm vereint.

Ich liebte die Liebe. – Ein Schmetterling,
Der jede Blume küßt,
Weil in jedem Kelch, ob weiß, ob rot,
Ein Tröpflein Honig ist;
Bis die Sonne schwand und der Herbststurm kam
Und die Rose ihn ganz gefangen nahm.
Ob ihr Duft verging und ihr Kelch auch leer,
Er hängt an ihr, und er tanzt nicht mehr. – –
Nun lieb' ich in Ängsten und Weinen
      Den Einen, den Einen!

Boutoulin (leise und lachend)
Sie liebt?!

Rochefort       In Ängsten?!

De la Borde                         Und Weinen?!

Jarente                                                         Nur Einen?!

(Sie lachen. Madeleine sieht wie aus einem Traum erwachend von einem zum andern.)

Alle
Die Tänzerin – die sich der Menge preisgibt, –
Die Dirne, – die ein jeder von uns hatte –
Und Liebe?

(Sie lachen noch lauter. Der Lärm vor den Fenstern nimmt wieder zu. Die Töne der Marseillaise klingen dazwischen.)

Madeleine (außer sich, zur Türe zeigend)
Hinaus! –
    (Sie stürzt zum Fenster und reißt es auf.)
Hört ihr – sie kommen.
Die uns befreien.
Von euch – Gesindel –
Zur Hilfe ruf' ich sie.
Wenn ihr noch zögert!
    (Die Marseillaise klingt lauter. Die vier Liebhaber
    schleichen zur Tür hinaus. Madeleine sieht zum
    Fenster hinaus und läuft dann zur anderen Türe.)

Finette!
    (Finette tritt ein, vor ihr die Gräfin Blainvilliers
    als Mann verkleidet.)

Wo ist der Herzog?

Finette
Er folgt uns bald, – hier dieser Brief –

Madeleine (lesend)
»Versteck' meinen Bruder,
Wenn Du mich lieb hast.
Teure Madeleine.«
    (Träumerisch wiederholend.)
Teure Madeleine!
    (weiterlesend)
»So rasch als möglich
Wird meine Liebe
Zu Dir mich leiten.«
    (Wiederholend)       Seine Liebe!
    (Sie wendet sich an die Verkleidete)
Fürchtet Euch nicht, junger Herr,
Enthüllt Euer Antlitz!
Ach Gott, wie zart – und sowas wird ein Mann!
    (Sie öffnet eine versteckte schmale Tapetentür)
Hier – mein Boudoir, das nur die Nächsten kennen –
Ein Ruhebett – ein Schreibtisch – dort ein Schrank
Mit Wein und Kuchen. Niemand sucht Euch hier.

Gräfin Blainvilliers
Ich dank' Euch – gnäd'ge Frau –

Madeleine
Was für ein Stimmchen, welch ein hold Erröten!
    (Sie streichelt ihr die Wangen.)
Gehabt Euch wohl für jetzt!
    (Gräfin Blainvilliers zieht sich hastig in das Boudoir
    zurück. Madeleine wendet sich an Finette.)

Ruf mir die Diener – rasch den Tisch gedeckt!
Und einen Rosenkranz mir noch ins Haar gesteckt.

(Madeleine geht von Finette gefolgt durch die Türe rechts. Die Diener treten ein, öffnen die Flügeltüren zum Speisesaal und decken den Tisch.)

Der erste Diener (bekümmert)
Es wird ein Abschiedsfest!

Der zweite Diener (seufzend)
Daß sie uns jetzt verläßt!

Der dritte Diener
Sie ist solch gute Herrin uns gewesen!

Der erste Diener
Gab meiner Mutter Brot!

Der zweite Diener
Half mir aus bitt'rer Not!

Der dritte Diener
Hat mich einst auf der Straße aufgelesen!

(Sie ziehen die Flügeltüren hinter sich zu. Die drei Tänzerinnen treten auf.)

Clotilde Duthé
Ich tat ihr viel zu Leid –

Rose Allard
Oft war ich grün vor Neid –

Claire Dervieur
Ich intrigierte hinter ihrem Rücken.

Clotilde Duthé
Nun, da sie uns verläßt,
Wie gern hielt ich sie fest!
Es wird uns ohne sie kein Tanz mehr glücken.

(Madeleine erscheint in der Türe rechts, hinter ihr Finette, zu der sie sich zurückwendet.)

Madeleine
Du gehst noch einmal zum Palais des Herzogs
Und bringst mir Nachricht.
    (Finette verschwindet.)
Kunst der Verstellung, hilf mir nun!
    (Sie tritt vor, ausgelassen heiter.)
Was seid ihr so verstimmt?
Wenn ein Freund Abschied nimmt.
Muß man mit Blumen ihm die Wege schmücken!

(Die drei Tänzer treten auf. Nivelon, ein Papier in der Hand schwingend voran.)

Nivelon
Ich habe den Kontrakt. Ich fahre mit.
Und tanz' im gleichen Takte mit dir weiter.

Dauberval
Ach, meine Beine sind nicht schlank genug;
    (Mit einem Blick auf Madeleine.)
Man mag mich nicht!
    (Zu den Tänzerinnen.)
                                  Wir sind einander treu,
Wie zwischen Gitterstäben und Eunuchen
Die Türkin treu ist.

Madeleine (gezwungen ausgelassen)
                              Recht so, alter Freund,
Die Tugend der Gefangnen ist die Treue.
Die Liebe liebt und weiß von Treue nichts.

Rose Allard (zu Despreaux gewendet)
Und Freund Despreaux?

Dauberval                               Er wurde Jakobiner!
Statt daß er tanzt, läßt er nach seiner Pfeife
Die andern tanzen.

Despreaux (zu Madeleine leise)
Ich bin ein Ungelad'ner, Unwillkomm'ner,
Und dennoch wirst du mich ertragen müssen;
Zu deinem Schutze nur bin ich hier.

(Madeleine zuckt verächtlich die Achseln. Die Lakaien öffnen die Flügeltüren, man sieht eine festlich gedeckte Tafel.)

Madeleine
Doch nun zu Tisch! Macht meinem Gastmahl Ehre!
Seid lustig, Freunde!
Tänzer tanzen nur!

(Alle gehen zu Tisch und setzen sich)

Clotilde Duthé
Der sechste Platz!

Madeleine
Der Herzog von Soubise!
Wo die Sterne des Balletts beisammen sind.
Darf der Pascha der Oper uns fehlen?
Weiß nicht jeder von uns von des Herzogs Gunst
Ein gar wundersam Stück zu erzählen?

Rose Allard
Aus der Hütte des Meisters entführte er mich.
Wo am Webstuhl ich armselig hockte.

Claire Dervieur
Im Zigeunerkarren versteckt war ich.
Bis sein Wort an die Sonne mich lockte.

Clotilde Duthé
Daß das Leben uns lacht, uns die Lieb' beglückt,
Wir die Jugend genießen, der Not entrückt, –
Die Philister sie werden's ihm nie verzeih'n, –
Doch wir danken's dem Pascha der Oper allein.

(Die Türe wird aufgerissen, der Herzog von Soubise tritt ein, sehr blaß und erregt. Die Tänzerinnen springen auf und umringen ihn, indem sie ausgelassen lachend die letzten Strophen wiederholen.)

Soubise
Springt nur und singt und küßt und lacht,
Über Nacht
Bricht auch das sicherste Glück entzwei!
Und rasch vorbei
Ist's mit der ganzen Herrlichkeit.
Nur noch bereit
Heißt's dann zu sein für den letzten Effekt,
Der in den Sand den Helden streckt.

(Er zieht eine Pistole und hebt sie lachend hoch. Die Tänzerinnen fliehen schreiend in den Eßsaal. Madeleine fällt ihm in die Arme. Durch einen Spalt der Tapetentür blickt die Gräfin Blainvilliers hinein.)

Madeleine (entwindet ihm die Waffe)
Ein böser Scherz!

Soubise
Hast recht, mein holdes Kind,
Geschmacklos ist's, im Freudentempel weinen.
So lachen wir, bis uns das Fallbeil stumm macht.

(Er wendet sich dem Eßsaal zu.)

Madeleine (ihn zurückhaltend)
Nicht lachen – nein! Denn Euer Lachen schneidet
Mir tiefer noch ins Herz als Euer Leid.

Soubise
Du weißt nicht, was geschah?

Gräfin Blainvilliers (leise)               Er ängstigt mich!

Madeleine
Ich weiß:
Du bist ruiniert
Und proskribiert,
Hast Geld und Gut verloren.

Gräfin Blainvilliers (leise)
Er ist ruiniert –
Und proskribiert –
Und ich hab' ihm Treue geschworen!

Soubise
Und weißt du es,
Was willst du noch von mir?
Was du mir warst,
In Fülle lohnt ich's dir.
Ein Bettler bin ich, du süßes Kind.
Dorthin, wo jetzt das Leben neu beginnt!
Denn ob sie auch zerstören und verbrennen,
Sie werden euch ja nicht entbehren können.

Madeleine
Du irrst, mein Freund, nicht ganz so klein bin ich.
Wie du mich glaubst, denn sieh, ich liebe dich,
Und Liebe bricht den alten leichten Sinn
Und macht ein Weib aus einer Tänzerin.
Wend' dich nicht ab, schau nicht so fremd mich an.
Gönn' mir das Glück, daß ich dir helfen kann!

Soubise
Madeleine Guimard – bist du's, die zu mir spricht?!
Und dieses Herz, dies treue, kannt' ich nicht!

Gräfin Blainvilliers (leise)
Sie fängt ihn ein – er ist ein dummer Tor –
Sie weiß gewiß, daß er noch nichts verlor.

(Die Flügeltüren zu dem Eßsaal öffnen sich, die Tänzer und Tänzerinnen stecken neugierig die Köpfe heraus. Madeleine öffnet einen Schrank, aus dem sie nach und nach während des Folgenden ihren Schmuck, ihr Silber herausnimmt.)

Madeleine
Nimm meinen Schmuck, was soll mir noch sein Glanz,
Schmückt mich für dich doch auch ein Rosenkranz.

Die Tänzerinnen (leise und durcheinander)
Sie gibt ihm ihren Schmuck, was heißt das bloß?

Die Tänzer (leise und durcheinander)
Wie liebt sie ihn! Ihr Herz – wie ist es groß!

Madeleine
Kennst du es noch, dies blaue Saphirband?
Zum erstenmal gab ich dir da die Hand.
Hast dieses Steins du einmal noch gedacht?
Es war ein Pfand der ersten Liebesnacht.
Und diese lange blasse Perlenschnur
Gabst du mir einst mit deinem Treueschwur!
Wend' dich nicht ab, schau nicht so fremd mich an.
Gönn' mir das Glück, daß ich dir helfen kann!

Soubise (sinkt ihr erschüttert zu Füßen)
Madeleine, du Engel, – ach, die Sprache ist
Zu arm, um dich zu schildern, wie du bist.
Nimm deinen Schmuck – gedenke mein dabei –
Und such ein Glück, das deiner würdig sei.

Despreaux (leise)
Und ich Verworfner schmiedete das Schwert,
Um den zu treffen, dem ihr Herz gehört!
Ich morde sie, wenn er zu Grunde geht –

Die Tänzerinnen (leise)
Wie bleich sie wird – helft ihr – sie schwankt – o seht!

(Die Tänzerinnen eilen herzu, Rose Allard umfaßt die mit einer Ohnmacht kämpfende Madeleine.)

Madeleine (rafft sich auf. Zu den Tänzerinnen)
Helft mir erweichen diesen harten Mann!

Die Tänzerinnen
Was Liebe gibt, auch Liebe nehmen kann!

Madeleine
Denk deines Bruders, wenn du dein nicht denkst,
Dem du das Leben mit der Freiheit schenkst.
Mit diesen Schätzen baust du auch für ihn
Die Brücke, um dem Abgrund zu entfliehn.

(Sie öffnet die Tapetentür und führt an der Hand die Gräfin Blainvilliers heraus. Soubise ist aufgesprungen. Despreaux tritt vor, die beiden anderen Tänzer hinter ihm.)

Soubise (verwirrt)
Mein – Bruder!

Despreaux
Sein – Bruder?!

Die anderen
Sein Bruder?

(Von draußen klingt wieder mit den Tritten nahender Menschen die Marseillaise herein. Despreaux stürzt zum Fenster, blickt hinaus und kehrt, rasch entschlossen zurück.)

Despreaux
Hier hilft dein Gold nicht mehr!
In wenigen Minuten
Stürmen sie dir das Haus
Und fangen ihn.

Madeleine
Das ist dein Werk, Despreaux!

Gräfin Blainvilliers
Rettet – ach – rettet mich!

Soubise (die Pistole aus der Tasche ziehend, den Degen in der anderen Hand)
Nur über meinen Leib
Geht es zu dir!

Die Tänzer und Tänzerinnen
Wehe, schon dröhnt's am Tor,
Mit harten Sohlen
Stapft es zu uns empor –

Gräfin Blainvilliers (schreiend)
Sie kommen – sie kommen – mich holen!

(Despreaux ist inzwischen in den Speisesaal, wo die Lakaien sich zusammendrängen, zurückgeeilt. Man sieht, wie er hastig mit ihnen spricht. Zwei eilen davon und kehren mit Lakaienlivreen über dem Arm zurück. Er nimmt sie ihnen ab und stürmt damit in den Vordergrund.)

Despreaux (Soubise und der Gräfin Blainvilliers die Anzüge hinhaltend)
Ein Mittel noch:
Rasch in die Kleider,
Spielt die Lakaien –
Als Bediente Madeleines
Kommt ihr heute abend
über die Grenze.

(Soubise macht eine hochmütig abwehrende Bewegung. Di« Gräfin nimmt den Anzug und will durch die Tapetentür entfliehen, als zu gleichen Zeit alle Türen des Salons aufspringen und Soldaten der Bürgergarde sie besetzen. Regnard tritt ein. Der Herzog schießt. Im gleichen Augenblick springen zwei Soldaten von hinten auf ihn und fesseln seine Arme. Regnard, der an der Hand verwundet ist, bindet sich ruhig ein Taschentuch um die Wunde.)

Regnard
Mit solchen Scherzen, Bürger Soubise,
Schüchtert Ihr uns nicht mehr ein.
Ihr seid mein Gefangener.

Madeleine (mit flehender Gebärde)     Regnard!

Regnard
Sagt' ich es nicht:
Ihr werdet tanzen,
So wie ich pfeife –

Madeleine (bittend)
Ich werde tanzen,
So wie Ihr pfeift –

Despreaux
Bürger Regnard,
Laßt diesen frei!
Was ich Euch sagte,
War nur ein Irrtum.
Mit meinem Kopfe
Steh ich für ihn.

Regnard
Köpfe sind billig!
    (Er sieht die ausgebreiteten Schmuckstücke und
    weist darauf hin)

Doch billiger noch
War dir die Ehre!

(Die Gräfin Blainvilliers, die an der Türe von einem der Soldaten festgehalten wurde, sucht sich vergebens aus seiner Faust zu befreien.)

Soubise (wütend, stampft mit dem Fuße auf)
Ihr Schurken – gebt ihn frei!

Regnard
Schurken – wir?
Haltet den Knaben!

Gräfin Blainvilliers (reißt sich mit der freien Hand die Perücke vom Kopf, so daß ihre langen Haare hervorquellen)
                                Ich bin kein Knabe!

Alle                                                               Ein Weib!

(Madeleine tritt vor und sieht mit allmählich dämmerndem entsetzten Verständnis von der Gräfin zu Soubise.)

Gräfin Blainvilliers (zuerst sehr ängstlich sich überstürzend, dann immer zuversichtlicher)
Die Gräfin Blainvilliers bin ich!
Und mag von dem Gefangnen nichts mehr wissen.
Mit süßen Worten, ach, betört' er mich,
Hat mir mein Jawort heuchlerisch entrissen.
Ich habe keinen Teil an seinem Tun
Und werf ihm seinen Brautring vor die Füße.
Im Schutze braver Männer bin ich nun;
Als Bürgerin ich euch, Befreier, grüße!

Alle
Die Gräfin Blainvilliers ist sie –
Madeleine Guimard hat er mit ihr betrogen –

Madeleine
Die Gräfin Blainvilliers ist sie –
Sein Wort, sein Blick, sein Kuß hat mich belogen!

(Despreaux nähert sich ihr, umfaßt sie, und sie sinkt mit dem Kopf an seine Schulter.)

Regnard (spöttisch)
Als galante Pariser,
Ihr schönen Damen,
Laßt euch versichern:
Für seinen Treubruch
Soll er euch büßen!

(Er gibt die Weisung, den Gefangenen abzuführen. Die Soldaten nehmen ihn in die Mitte. Dicht vor der Türe wendet er sich um und stürzt Madeleine, die sich im gleichen Augenblick aus den Armen Despreaux losreißt, zu Füßen.)

Soubise
Madeleine – verzeih' mir!

Madeleine (neigt sich zu ihm)
Was hätt' ich zu verzeih'n? Du siehst mich an!
Gönn' mir das Glück, daß ich dir helfen kann!

Regnard
Vorwärts – ergreift ihn –
Was soll die Posse?

(Die Soldaten reißen ihn in die Höhe und gehen der Türe zu. Madeleine wirft sich mit einer raschen Bewegung dazwischen, und bleibt mit ausgebreiteten Armen vor der Türe stehen.)

Madeleine
Ich bin seine Geliebte –
Seine Vertraute,
Schuldig wie er.
Nehmt mich gefangen!

Die Tänzer und Tänzerinnen
Sie rast, die Arme –,
Sie ist nicht schuldig –
Reißt sie von hinnen –
Gebt sie uns frei –

Die Lakaien (im Hintergrund)
Sie rast, die Arme,
Sie ist nicht schuldig –

Die Soldaten
Reißt sie von hinnen,
Rasch gebt sie frei!

(Von draußen klingt die Marseillaise herein. Madeleine horcht auf, lächelt und beginnt mit heller, lauter Stimme das Bourbonenlied.)

Madeleine
Heinrich, mein König,
In Treuen grüß' ich dich,
Dein Banner wehe
In Frankreich ewiglich –

Regnard (dazwischen schreiend)
Stopft ihr den Mund!

(Das Volk stürmt die Treppe hinauf)

Das Volk
Hier sind Verräter –
Reißt sie in Stücke –

Madeleine (weitersingend)
Hat auch der Sturmwind die Bäume entlaubt.
Die Lilie hebt stolzer ihr königliches Haupt –

Regnard (durch die drohende Haltung der draußen Stehenden bezwungen)
Nehmt sie gefangen.

Der Vorhang fällt.

Ende des zweiten Aktes.


 << zurück weiter >>