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Achtundzwanzigstes Kapitel.
Des Vaters Blut

In der Nacht, in der Kate besiegt aus Dans Höhle zurückgekommen war, war sie ohne ein Wort zu Buck oder Lee Haines in ihr Zimmer hinaufgegangen. Die beiden, die schweigend am Feuer saßen und nur hier und da sich leise ein Wort zuraunten, hörten noch lange, wie sie über ihnen hin und her wanderte. Beide konnten in dieser Nacht nicht schlafen vor Besorgnis, denn sie wußten, daß irgend etwas in der Luft lag. Am nächsten Morgen nach dem Frühstück erfuhren sie, was es war. Kate machte kein Hehl aus ihren Plänen. Sie wollte wieder nach der Höhle hinauf und, wenn Dan weggegangen war, Joan mit Gewalt nach Hause holen. Sie brauchte Hilfe. Waren Buck und Lee Haines bereit, ihr beizustehen? Die beiden saßen und wagten nicht den Mund zu öffnen. Sie starrten sich gegenseitig hilflos ins Gesicht. Ihr Blick wich Kates Augen aus. Sie fürchteten nicht die Gefahr für Leib und Leben, aber wo Dan Barry im Spiele war, schien noch mehr zu fürchten, als der Tod. Erst als Kate ihren leichten Patronengürtel von der Wand riß und umschnallte, erhoben sie sich zögernd von ihren Stühlen, um ihr zu folgen. Noch ehe die erste Kühle des Morgens verflogen war, waren sie schon unterwegs. Kate war immer ein kleines Stück voraus. Sie war die einzige, die den Weg kannte.

Als sie um den letzten Bergvorsprung bogen, hielten die Männer ihre Pferde an und tauschten einen bedeutungsschweren Blick.

»Kann sein, wir beide werden nie wieder Gelegenheit haben, ein Wort unter vier Augen miteinander zu reden«, sagte Lee Haines. »Dies ist der letzte Tag entweder für Barry oder für uns. Und ich glaube nicht, daß Barry seinem Ende schon so nah ist. Buck, reich' mir die Hand und sag' Lebewohl. Soviel ein gewöhnlicher Mensch gegen den Pfeifenden Dan ausrichten kann, will ich tun. Es ist nicht viel. Und wenn du auch mit dabei bist, wird unsere Partie nicht stärker.«

»Vielen Dank«, knurrte Buck Daniels. »Du könntest dir dein liebenswürdiges Lebewohl aufsparen, bis ich das Hasenpanier ergreife. Mach' 'n bißchen fix, Kate ist schon viel zu weit voraus.«

Als sie am Fuß des letzten steilen Abhangs aus den Sätteln stiegen, schien Kate zum erstenmal Bedenken zu haben.

»Ihr wißt beide, was unser Vorhaben bedeutet?« fragte sie.

»Und ob! Und ob!« antwortete Buck.

»Dan wird herausfinden, daß ihr mir geholfen habt, und er wird es euch niemals vergeben. Wollt ihr das für mich riskieren?«

»Kate«, unterbrach sie Lee Haines. »Haltet Euch nicht mit Fragen auf. Geht voran, und wir werden folgen. Ich hab' nicht die geringste Lust erst nachzudenken, was geschehen könnte.«

Sie machte wortlos kehrt und kletterte den steilen Hang empor.

»Nun, was denkst du jetzt? Sanftes Frauenwesen? Schmachtende Blume?« flüsterte Buck während des Steigens seinem Freunde schnaufend ins Ohr. Haines antwortete mit einem kurzen, vielsagenden Blick, aber er öffnete nicht den Mund. Sie erreichten den oberen Rand der Schlucht und gingen zwischen den vielen herumliegenden Felsbrocken weiter.

Kate war ein wenig zurückgeblieben, bis die beiden anderen sie einholten. Alle drei schlichen mit einer Vorsicht, als ob der Boden mit raschelnden welken Blättern bedeckt wäre. Kate hatte kein Wort gesagt. Sie hatte nur den Finger warnend gehoben, da wußten sie, daß der entscheidende Moment herannahte. Vor ihnen lag der Felsen, hinter dem Kate am Tag zuvor plötzlich den Höhleneingang erblickt hatte. Zoll um Zoll, von Buck und Lee getreulich gefolgt, arbeitete sie sich bis zu der Felskante hin und spähte behutsam um die Ecke.

Vor ihnen öffnete sich der Schlund der Höhle. Vor dem Eingang spielte Joan mit einem Ding, das aussah wie ein Ball aus grauem Fell. Ihr Haar war offen und fiel in glänzenden Locken über ihre Schultern. Sie war wieder in die braune Tierhaut gewickelt. An den Füßen trug sie zierlich gearbeitete Mokassins; anscheinend waren auf dem felsigen Boden ihre Schuhe längst zerrissen. Ihre nackten Knie waren mit unzähligen Schrammen und Rissen bedeckt, ihre Ärmchen von der Sonne bereits tief braun gebrannt. Sie unterschieden sich in der Farbe kaum noch von dem braunen Tierfell. Haines und Buck rieben sich die Augen und sahen zweimal hin, ehe sie das Kind wiedererkannten.

Sie mußten irgendein Geräusch verursacht haben. Vielleicht waren es nur ihre Atemzüge, die sie selbst nicht hörten, die aber Joans scharfen Ohren vernehmlich waren. Im Nu stand sie auf den Füßen, und ihre blanken, wilden Augen spähten nach allen Seiten. Es war nichts Kindliches an ihr. Sie schien auf dem Sprung, die Flucht zu ergreifen, wenn die Gefahr zu groß war, aber auch, falls sich ein schwächerer Gegner zeigen sollte, ihn anzugreifen. Ihre Haltung verriet keine Furcht, nur Wachsamkeit. Ihr Kopf war in den Nacken geworfen, und ihre Nasenflügel blähten sich, als suche sie zu wittern, was im Anzug war. Der graue Pelzball entrollte sich. Die scharfen Ohren und blitzenden Zähne eines jungen Koyoten kamen zum Vorschein. Buck Daniels Fuß glitt auf einem Kiesel aus. Bei dem Geräusch schoß der Koyote wie ein Pfeil davon und verkroch sich im Gestrüpp, von dessen Schatten er sich kaum abhob. Und auch das Kind rannte davon und suchte sich mit der untrüglichen Sicherheit wilden Instinkts ein Versteck zwischen dunklem Felsen und gelbem Sand.

So viel war jetzt gewiß: der Pfeifende Dan war nicht in der Höhle, sonst hätte das Kind bei ihm Schutz gesucht oder ihn durch einen Schrei herbeigerufen. Haines wies flüsternd Kate darauf hin. Sie drehte ihm ihr totenbleiches Gesicht zu und nickte wortlos. Dann trat sie aus dem Schutz des Felsens und schritt geradeswegs auf Joans Versteck zu.

Joan rührte sich nicht. Sogar der Wind schien ihr Geheimnis nicht verraten zu wollen. Er bewegte keine Locke ihres goldenen Haares. Ihre Augen glitzerten ein wenig, als sie zu ihrer Mutter aufsah, sonst aber machte sie nicht die geringste Bewegung; wie ein Kaninchen, das sich totstellt, bis der Schatten der haschenden Hand darauf fällt. Genau so benahm sich Joan. Als ihre Mutter sich schweigend über sie beugte, schnellte sie in die Höhe, entwischte den ausgestreckten Händen und schoß davon, zwischen die Felsen hinein. Lee Haines griff nach ihr, aber sie wich ihm blitzschnell aus. Freilich nur, um dafür blindlings in Buck Daniels Arme zu rennen, der sie mit fester Hand packte. Bis zu diesem Augenblick hatte sie keinen Laut von sich gegeben. Jetzt zappelte sie, laut schreiend, in seinen Armen und schlug ihm mit aller Macht ins Gesicht.

»Joan!« rief Kate. »Joan!«

Sie sprang zu Buck und befreite das wild zappelnde Kind aus seinen Armen.

»Liebling, warum hast du solche Angst? Oh, mein Liebling!«

Joan blieb stehen, sie schien unschlüssig, was sie mit ihrer neugewonnenen Freiheit anfangen sollte. Ihr Blick war stetig auf ihre Mutter gerichtet, aber nur Furcht und völlige Fremdheit glänzten darin. Dann schmolz etwas in ihrem kleinen, runden Kindergesicht, und sie stieß einen tiefen Seufzer aus.

»Mutter!« Und sie stahl sich einen Schritt näher an Kate heran. Gleich darauf saß Kate auf einem Felsen, wiegte Joan auf ihrem Schoß und vergoß heiße Tränen.

»Was ist los?« erkundigte sich Lee Haines atemlos bei Daniels. »Was ist mit der Kleinen geschehen?«

»Halt den Mund!« antwortete Buck. Sein Gesicht war aschgrau wie das Kates. »Das ist Dans Blut!«

Er schöpfte tief Atem.

»Hast du gesehen, wie sie versucht hat, mich zu – mich zu beißen, als ich sie festhielt?«

Kate stand wieder aufrecht, einen Arm um Joan geschlungen, während sie mit der anderen Hand die Tränen aus ihren Wimpern wischte. Alle Schwäche hatte sie verlassen.

»Schnell!« befahl sie. »Wir haben keine Zeit zu verlieren. Buck, kommt her! Nein, Ihr, Lee, Ihr seid stärker. Liebling, das ist Onkel Lee. Er wird dich in seine Obhut nehmen. Er tut dir nichts. Willst du mit ihm gehen?«

Joan zog sich ängstlich ein wenig zurück und warf einen prüfenden Blick auf Lee, aber der Instinkt eines Kindes arbeitet dreimal so geschwind wie das Urteil eines Erwachsenen. Joan erkannte rasch die Treuherzigkeit und Güte, die sich auf Lee Haines' Gesicht in jeder Linie malte, und streckte die Ärmchen nach ihm aus.

Dann stürmten sie über den Abhang zu den Pferden hinab. Sie liefen wie die Wilden. Alle drei jagte derselbe Gedanke, sie fürchteten den Augenblick, wo ein dünnes, scharfes Pfeifen hinter ihnen verriet, wer sie verfolgte. Halb laufend, halb rutschend, erreichten sie den Talboden. Kiesel und Geröll prasselten in ganzen Lawinen mit ihnen zugleich hinab, und mehr als einmal mußten sie sich mit einem raschen Sprung zur Seite vor einem Felsblock retten, der ihnen in gewaltigen Sätzen nachgedonnert kam. Joan, die auf Lee Haines' Schulter saß, genoß das Abenteuer in heller Freude. Ihr Haar flog und funkelte in der Sonne, sie streckte die Ärmchen aus, um sich im Gleichgewicht zu halten. So kamen sie zu den Pferden und kletterten in die Sättel. Kein Wort wurde gewechselt, aber mancher Blick flog über die Schulter zurück, als nun die Flucht begann.

Kaum waren die Pferde in vollem Galopp, als Joan zum erstenmal zu begreifen schien, was mit ihr geschah. Sie war noch immer in Lee Haines' Obhut, der sie sicher in seinem gewaltigen linken Arm gebettet hatte. Aber jetzt begann sie sich zur Wehr zu setzen. Mit einemmal streckte sie sich steif und starr aus und schrie gellend: »Daddy Dan! Daddy Dan!«

»Um Gottes willen, stopft ihr den Mund, oder er hört's noch«, ächzte Buck Daniels.

»Er kann's nicht hören,« sagte Haines, »selbst wenn er jetzt bei der Höhle wäre, wir sind schon zu weit weg.«

»Und ich sag' dir, er wird's hören! Red' du nicht! Weit oder nah, das ist bei Dan gleichgültig.«

Kate drängte ihr Pferd neben Lee.

»Joan!« rief sie befehlend.

Sie fegten gerade in leichtem Galopp über ebenen Wiesengrund. Wieder stieß Joan einen schrillen Hilferuf aus.

»Joan!« wiederholte Kate, und ihre Stimme war scharf und drohend. Sie hob die Reitpeitsche und schüttelte sie. »Sei still! Mutter haut – fest!«

Ein neuer Hilferuf erstarb auf Joans Lippen. Sie betrachtete ihre Mutter erst voller Verblüffung und dann mit ungewohntem Respekt.

»Wenn du noch einmal schreist, haut Mutter!«

Und Joan schwieg und starrte sie trotzig an.

Als sie die Hütte erreicht hatten, zügelte Lee Haines sein Pferd, aber Kate machte eine Handbewegung, die »weiter!« hieß.

»Wo geht die Reise hin?« rief er.

»Heim, nach der alten Ranch hinunter«, antwortete sie. »Wir müssen Hilfe haben.«

Er nickte grimmig und verständnisvoll. Und die Pferde brausten weiter den Talweg hinunter.


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