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Was List verborgen, wird an's Licht gebracht.
Wer Fehler schminkt, wird einst mit Spott verlacht.
Shakspeare.
Bucers Anschlag gemäß, erschien dieser würdige Reformator in Begleitung Levi's am nächsten Morgen zu Fleckenstein, um die nothwendigen Schritte zur Erlangung der geraubten Schätze zu thun. Windstein war eben mit dem schönen Burgfräulein in trautem Gespräche begriffen, zur großen Freude Gertruds, die mit wonnigem Entzücken beide betrachtete, als Herr Nikolaus mit vielem Geräusche hereintrat.
»Herr Ritter!« rief der Alte in barschem Tone in das Zimmer hinein. »Kommt, – das sind mir hübsche Händel!«
Heinrich gehorchte dem Rufe, nicht wenig erstaunt über die außerordentliche Aufregung des Freiherrn und den fast zornigen Blick, den er ihm zuwarf.
»Kömmt öfter vor, daß Jungen aus der Art schlagen, – aber das ist doch gar zu arg!« murrte der Burgherr, hastig dem Gaste voranschreitend, der kaum wagte, um Aufschluß dieses Benehmens zu bitten.
Als sie die Wendeltreppe hinaufstiegen, schallte ihnen lautes Geschrei und Getöse entgegen, wie es bei Gelagen in Herbergen am späten Abend zu hören ist. – Durch das verworrene Lärmen drang deutlich der Ruf: »Franziskus hoch! Ritterbund hoch!« Herr Nikolaus lief immer voran, blieb endlich vor einer Thüre stehen, öffnete und hieß den Junker eintreten. Bucer und Levi standen vor Windstein, der sogleich die Ursache ihres Erscheinens und des damit zusammenhängenden Benehmens des Freiherrn errieth.
Der Doktor trug heute nicht die großen rothledernen Stiefel von gestern, sondern schön gearbeitete Schuhe mit Schlitzen, zierlich ausgelegt mit farbigem Leder. Sein langes Oberkleid hatte weite Aermel, vorn mit breiten Streifen Otterfell verbrämt, und einen breiten bis über die Schultern ausgeschlagenen Kragen. Der eng anliegende Leibrock bestand aus kostbarem Stoffe und schloß mit reicher Halskrause, die vortrefflich des Predigers dunkles Gesicht umrahmte. Beim Erscheinen der Edelleute, nahm er voll Ehrfurcht das Barett ab und machte dazu eine tiefe Verbeugung. Diese Ehrenbezeigung galt übrigens nur dem Fleckensteiner; für Heinrich hatte er jene väterlich strenge Miene, womit Erzieher den Zögling strafen.
Levi trug den grauen abgeschabten Rock, wie gestern; überhaupt war sein Aeußeres sehr vernachlässigt. In seinem Gesichte lagen ängstliche Erwartung und die Spuren einer sorgenvoll durchwachten Nacht. Der Jude erschöpfte sich in Bücklingen, bald den Freiherrn, bald Windstein anschielend.
»Bringt Eure Sache vor!« befahl Herr Nikolaus dem Reformator.
Der Angeredete erwiederte vorerst die barsche Aufforderung mit einer sehr verbindlichen Rücken- und Mienenbewegung. Darauf gegen Heinrich gewendet, verzog sich das süßeste Lächeln zum strengen Ernste, indem er sagte: »Gott vermehre Euren ritterlichen Sinn und öffne Euer Auge dem Lichte evangelischer Wahrheit!« – Nach diesem feierlichen Eingang fuhr Bucer in gemessenem Tone fort: »Unter Eurem starken Schutze, Herr Ritter, gelangte die bedeutende Habe dieses schwachen Mannes nahe an den Ort ihrer Bestimmung. Da ereignete es sich, – wohl nicht mit Eurer Uebereinstimmung, was bei Eurem Rufe nicht anzunehmen ist« –
»Keine Umschweife!« rief der Freiherr. »Stellt kurz den Antrag, weiter nichts!«
Trotz dieser entschiedenen Aufforderung, eilte der vorsichtige Doktor nicht. Er wiederholte seinen Bückling gegen Herrn Nikolaus, der mit verschränkten Armen dastand und den Schnurrbart unbarmherzig unter den Zähnen verarbeitete.
»Dennoch muß das Unglaubliche angenommen werden,« fuhr der Gelehrte fort; »Ihr habt Eurem Knechte befohlen, Herr Windstein, das Geld wegzunehmen,« – und er lauschte in gespanntester Erwartung.
»Allerdings!« versetzte der Junker.
Frohlocken und Triumph zogen bei dieser Entgegnung Windsteins über Bucers Angesicht; er hatte gefürchtet, der junge Edelmann möchte seine Uebereinstimmung mit dem Raube läugnen, was ihm den ganzen Plan würde verdorben haben. Jetzt aber sprach er mit bedeutungsvollem Seitenblicke auf den Burgherrn: »Schweren Kummer verursacht mir diese fluchwürdige That, da sie auf Geheiß solch' eines tapferen christlichen Ritters verübt wurde. Wie mögen wir Türken und Heiden verdammen, da selbst Christen ärger sind als Türken und Heiden? Es sei jedoch ferne von mir,« setzte er, sich gleichsam verbessernd, hinzu, »Verbrechen einer armen Christenseele vorzurücken, die noch unter des Antichrists Knechtschaft und mönchischer Finsterniß schmachtet. Möchte bald der Augenblick kommen, wo auch Ihr dem Papstthum entsagt.«
»Zum Teufel mit Eurer Predigt!« schalt der zornige Freiherr. »Zur Sache, – heraus mit Eurem Begehren!«
»Nach Eurer Gnaden Befehl!« versetzte der geschmeidige Doktor, und als er das Haupt von der tiefen Verbeugung erhoben, ruhte sein scharfes Auge so stechend auf Windstein, als wolle er in dessen innerster Seele lesen. Heinrich bemerkte einiges Bedenken im Angesichte des scharfsinnigen Mannes, als dessen Blick von der Entdeckungsreise zurückkehrend, unter den braunen Wimpern verschwand.
Dem Reformator fiel nämlich Windsteins Ruhe und Kaltblütigkeit, sowie des Freiherrn Heftigkeit auf. Als er vorhin dem Burgherrn die Angelegenheit vortrug, hörte ihn dieser ruhig an, that einige Zwischenfragen, worauf er hastig wegging und mit Heinrich selbst erschien. Das gereizte Benehmen Fleckensteins, wie des Junkers Ruhe, mußte auch Menschen von weniger Klugheit Bedenken erregen, als Bucer; denn dieser Mann war der gewandteste theologische Diplomat seiner Zeit. Dabei war er unter allen Reformatoren der allseitig gebildetste, was ihm sogar gelehrte Gegner zugestanden. Döllingers Reformationsgesch. B. II S. 21-26. Mit vielem Wissen verband er ungemeines Geschick, entgegengesetzte Religionsmeinungen zu vermitteln, weßhalb er in den heftigen Fehden, welche unter den Häuptern der Neulehre mit größter Leidenschaftlichkeit geführt wurden, stets als Vermittler auftrat. Wiederholt gelang es ihm, die uneinigen Reformatoren wenigstens dem Gespötte ihrer Feinde zu entziehen, weßhalb Luther den lobenden Ausspruch that: – »Bucer ist geschickter mit einem Finger, denn alle Grikel (Agrikola)«. Tischr. Försterm. III. 366. Wohl zu den Schattenseiten dieses gelehrten Mannes gehörte seine ungemeine Schlauheit und Verschlagenheit; jede Zweizüngigkeit kam ihm gelegen, führte sie nur zum Ziele. Die Doppelzüngigkeit des »hinkenden Straßburgers,« – er hatte nämlich ein kürzeres Bein, – wurde sogar sprüchwörtlich, und der endliche Lohn Bucers für seine mühevollen Unionsversuche war Haß und Argwohn von allen Seiten.
Gewöhnt, erst nach erlangter Kenntniß der Umstände mit großer Behutsamkeit vorzuschreiten, war Bucer entschlossen, eher den höchsten Unwillen des Alten zu erregen, als ohne vollständige Klarheit der Beziehungen seinen Zweck zu verfolgen. Die Miene des tiefsten Bedauerns annehmend, sprach er: »Ich zögere, Herr Nikolaus, die unterthänigste Bitte dieses armen Juden neuerdings vorzubringen, – möchte nicht gerne zum zweiten Male unliebe Forderungen stellen,« und sein lauschendes Auge las gierig auf Fleckensteins harten Zügen. »Wie hoch beläuft sich die Summe, Levi?« wandte er sich fragend an den Juden.
»Gnädigster Herr, zu Eurem gehorsamsten Befehl, – die Summe beträgt 20,000 rheinische Gulden,« antwortete Levi und zwar mit so tiefer morgenländischer Verbeugung, daß sein Angesicht die Kniee berührte.
»Zwanzig Tausend Gulden!« wiederholte der Prädikant in einem dermaßen langsamen gewichtigen Tone, als wolle er jedes Geldstück an den emporgerichteten Augen vorübergleiten lassen.
Damit war des Freiherrn Geduld vollständig erschöpft. Sein blaues Auge wurde fast dunkel, die Augenbrauen zogen sich zu einem Büschel zusammen, finstere Wolken jagten über die Stirne und ein dumpfes Grollen war der Vorbote eines Hagelwetters, das jetzt über den Doktor losbrach.
»Was glaubt Ihr?« donnerte er den Ränkenspinner an. »Seid Ihr gekommen, mich zu narren? Heraus mit Eurer Forderung, – augenblicklich heraus! Oder, – so wahr ich Herr zu Fleckenstein bin, mit Ruthen laß ich sie Euch herauspeitschen!«
Levi beugte sich vor dem grimmen Alten, wie der Grashalm vor dem Sturme; er zitterte am ganzen Leibe. Der Reformator erkannte dagegen seinen Irrthum, in Fleckenstein, dem Mitglieds des Ritterbundes, ein willfähriges Werkzeug seiner Absicht zu finden. Stolz sich aufrichtend, begegnete er trotzig dem blitzenden Auge des Burgherrn.
»Peitscht Eure Knechte, Herr Fleckenstein,« sprach der unerschrockene Prädikant, – »aber nicht die Diener des lautern Evangeliums. Martin Bucer ist solche Behandlung nicht gewöhnt.«
»So, – Ihr seid also der Bucer!« rief der Alte spöttisch, das »so« dermaßen in die Länge ziehend, bis ihm der Athem ausging. »Hab' schon viel gehört von Eurem Wirken in Weißenburg, wo das Volk mit rothen Köpfen aus Eurer Predigt läuft. Ja, – ja! Ihr versteht es vortrefflich, die Leute zu begeistern.«
»Der Herr segnet meine geringe Arbeit!« versetzte voll Ernst der Reformator.
»Ganz gewiß!« sagte Herr Nikolaus. »Nur solltet Ihr mit den armen Papisten nicht gar so unbarmherzig umspringen; die guten Leute sind ihres Lebens nicht mehr sicher. Und gar die Mönche! Wer hätte vordem gedacht, daß Mönche solche Schurken sein könnten!«
»Die evangelische Wahrheit ist ein zweischneidiges Schwert, sie muß ohne alle Rücksicht verkündet werden,« erwiederte der Reformator, Fleckensteins leichtem Spotte mit Selbstgefühl begegnend.
»Ohne alle Rücksicht, – ganz recht! Ohne alle Rücksicht, – wie könntet Ihr sonst predigen: die Mönche sind Apostel des Antichrists, Teufelsprediger, Verdrucker des heiligen Evangelii, – die schändlichsten, giftigsten Gleisner, Seelenmörder und Gottesräuber? Döllingers Reformationsgesch. II. B. S. 21. – Am besten wär's, Ihr hättet gleich gesagt: die Mönche sind leibhaftige Teufel! Seht, – damit wäret Ihr schneller an's Ziel gekommen, das Volk hätte ohne viel Federlesens die Teufel todt geschlagen. Auf Mord und Todtschlag geht ja doch Euer Evangelium aus, – nicht wahr? Nur so fortgemacht, – bei Eurem Eifer und guten Willen wird's bald sauber sein im Reiche von Mönchen, Nonnen, Kappen, Kutten, Platten und dergleichen Gestank der römischen Sodoma!« – und der Freiherr brach in schallendes Gelächter aus.
»Herr von Fleckenstein!« sprach der Doktor beinahe im Tone der Drohung. »Vergeßt Euch nicht und bedenkt, daß ich nur als Zuflucht dieses hilflosen, beraubten Mannes vor Euch stehe. Verschmäht Ihr die erbetene Hilfeleistung, dann schüttle ich den Staub von meinen Fußen und eile zum Schirmherrn aller Bedrängten und Schwachen, – zu Franz von Sickingen.«
»Aha! Sehr gut, – der Franz kann Euch schon brauchen, und Ihr den Franz; – doch nichts für ungut, Herr Doktor! Allerdings, – seid Ihr dieser würdige Mann, so darf ich schon selber Euer Ansinnen diesem Raubritter mittheilen. – Herr Heinrich von Windstein, Ihr seid beschuldigt, durch Eure Knechte fremdes Gut entwendet zu haben, und merkt Euch: – demzufolge stellt dieser hier gegenwärtige Meister hoher Wissenschaft das Verlangen an mich, Euch hier festzuhalten, bis der letzte Heller des Raubes zurückerstattet ist. – Ist's nicht so, Herr Bucer?«
»Wie Eure Gnaden bemerken!« entgegnete der geschmeidige Gelehrte.
Nicht ohne Mühe hatte Heinrich den aufsteigenden Unmuth niedergedrückt. Jetzt wäre er lieber mit eingelegter Lanze in den Feind gestürmt, als mit Worten einem solchen glatten, schlüpfrigen Gegner zu Leibe gegangen.
»Habt die Gefälligkeit, mir einige Fragen zu beantworten,« bat der Junker seinen Ankläger.
Bucer nickte bejahend, indeß seine Hände in die weiten Aermel des Gewandes fuhren.
»Vor zehn Tagen ungefähr habt Ihr in der Schloßkapelle zu Heidelberg gepredigt,« fuhr Windstein fort.
»Wie Ihr sagt!« entgegnete nicht ohne Stolz der Reformator. »Heidelberg öffnete seine Thore dem Lichte des Evangeliums und schwur den Gräueln des Papstthums ab.«
»Der Zufall verschaffte mir das Glück, Euer Zuhörer zu sein,« sagte der Junker, »muß aber heute schon dieses Glück bedauern; denn ich stehe im Begriffe, wegen einer Handlung in Haft zu fallen, die auf jene Predigt hin geschah.«
»Hier könnte ein Mißverständniß unterlaufen, lieber Freund,« sprach der Doktor.
»Durchaus nicht!« versetzte Heinrich. »Eure klare Lehre schließt jedes Mißverständniß aus; denn wörtlich sagtet Ihr: ›Zerstöret die Schlupfwinkel der alten Sodoma, brennt die Klöster nieder, fordert die Schätze zurück, welche Eure verblendeten Ahnen für Messelesen und andern abgöttischen Quark den Dienern Belials schenkten!‹ Bucer an Hektor Lange in der fortges. Sammlung von alten und neuen theol. Sachen. 1725. S. 18. Döllinger II. 21-22. – Lautete nicht so Eure Predigt, Herr Doktor?«
»Wörtlich, – Ihr habt ein gutes Gedächtniß,« bestätigte dieser.
»Nun seht, meine Ahnen beschenkten die Abtei Stürzelbronn reichlich mit Wald und Weide, wofür die Priester Seelenmessen für deren Seelenruhe lesen mußten. Eurer dringenden Aufforderung gemäß, nahm ich Güter der Abtei weg, – wozu also Eure Anklage?«
»In diesem Falle seid Ihr vollständig im Rechte, Herr Ritter! Allein,« setzte er mit feinem Lächeln hiezu, »hiebei dürfen die Rechte eines Dritten nicht verletzt werden; dieser Dritte ist hier der Jude Levi. Deßhalb hättet Ihr wenigstens so lange warten sollen, bis Stürzelbronn in den vollständigen Besitz jenes Geldes gelangte.«
»Vortrefflich! Da hat sich Gottlob der Fuchs in eigner Schlinge gefangen!« rief der Junker, und sein jugendlich schönes Angesicht flammte, wie die Morgenröthe. »Sagt an, Herr Doktor, weßhalb gabt Ihr gestern dem Mönche Albert den Rath, das Geld für sich wegzufangen und es auf den Arnsberg in Sicherheit zu bringen? Wäre hier der Jude Levi nicht bestohlen worden?«
Der Reformator war über diese Worte nicht wenig betroffen. Anfänglich verstummte er und sagte dann in einem Tone, der auf besondere Geheimnisse konnte schließen lassen: »Das hat seinen ganz besondern Grund, mein gestrenger Herr!«
»Gleichviel!« sprach Windstein. »Mein ganz besonderer Grund, das Geld wegnehmen zu lassen, war nicht, um es in meinen Besitz zu bringen, sondern es dem schlauen Dieb zu entreißen. Bin auch nicht gesonnen, von den Freiheiten Eures lautern Evangeliums Gebrauch zu machen, sondern bei alten Satzungen zu bleiben, wonach Diebstahl schändet und entehrt. – Ihr guter Mann,« wandte sich Windstein an den Juden, »mögt sogleich meinem Gesinde berichten, sowohl Euch, wie das Geld wohl zu beherbergen; nach meiner Rückkunft sollen die Säckel sicher nach Stürzelbronn geleitet werden. Nehmt hier den Dolch zur Beglaubigung Eurer Kunde.«
Levi küßte die Hand, welche ihm den Stahl reichte, wurde aber in seinen Lobpreisungen durch den Freiherrn unterbrochen. Mit gespannter Aufmerksamkeit war er dem Zwiegespräche gefolgt; nun brach er, bei Windsteins letzten Worten, in laute Freude aus
»O ich blöder Mann!« rief er. »Wie konnte ich solchen Argwohn gegen Eure Ehre fassen? Verzeiht mir; – es wollte mir fast das Herz abdrücken, den Sohn meines mannhaften Freundes als Wegelagerer angeklagt zu sehen. Nein, nein, eher tragen Weinreben Schlehen und Kastanienholz Stechäpfel! Recht hast Du, Heinrich, – bleib' bei Deinen alten Satzungen, und der Teufel soll alle Schelme holen, die Unrecht zu Recht verkehren.«
Der Reformator bemühte sich, die gewöhnliche fromme, ruhige Miene anzunehmen; denn Zurückhaltung und Ruhe that ihm Noth, da Fleckenstein in einer mit Unwillen und Spott gemischten Laune ihn anfiel.
»Aber Herr Doktor, oder vielmehr Herr Prediger des lautern Evangeliums, oder besser Herr Reformator von Weißenburg, – oder, was eigentlich der Haupttitel ist, – ehrwürdiger Verfechter unterdrückter Juden, gewissenhafter Anwalt geraubter Güter,« fluthete es ohne Unterbrechung über die Lippen des lebhaft Erregten, – »Ihr müßt meiner Schwachheit verzeihen, die nicht im Stande ist, Eure lieben, schönen Eigenschaften alle unter einen Titel zu bringen. Nur hütet Euch, mit solchen Eigenschaften mir wieder unter die Augen zu kommen! – Doch sollt Ihr nicht sagen, ohne Imbiß vom Fleckenstein gegangen zu sein; – oder verschmäht Ihr, mit Eurem Freunde Levi aus einer Schüssel zu essen?« und er blickte schelmisch dem Gelehrten in's Gesicht.
»Das lautere Evangelium hebt alle engherzigen Schranken des Papstthums auf, – alle Menschen sind Kinder Gottes,« sprach der Reformator.
»Ganz recht, nur die Mönche sind Teufelsdiener und der Papst ist gar der Teufel selber,« lachte Fleckenstein. »Schon gut, – kommt nur,« – und seine Mienen verriethen deutlich, er habe dem Doktor als Strafe auferlegt, mit dem Juden aus einer Schüssel zu essen.
Er führte die neuen Gäste durch das feste Gewölbe, in welchem eine Anzahl Reisiger um den massiven Eichentisch saßen, in ein freundliches Nebengemach.
»Sogleich sollt Ihr ein schmackhaftes Morgenbrod haben,« sprach Herr Nikolaus. »Sonst pflege ich meinen Gästen Gesellschaft zu leisten, – was mir jetzt unmöglich ist.«
Bucer nahm die Entschuldigung des sich verabschiedenden Alten mit gleichgiltiger Miene hin und wählte den Platz am Tische so, daß er die Reisigen im anstoßenden Gewölbe überblicken konnte. Levi saß dem Prädikanten gegenüber.
Während der Anwesenheit des Burgherrn verhielten sich die Kriegsknechte ziemlich ruhig, begannen aber nach dessen Entfernung ihre Schwänke von Neuem. Einige aus ihnen trugen rothe Mützen mit dem Wappen von Sickingen-Hohenburg. Im Uebrigen kleidete sie die malerische Tracht der Landsknechte, an Luxus, Farbe und Schnitt alle Gränzen überschreitend. Sie trugen buntfarbige Jacken, auf Brust, Rücken und an den Armen aufgeschlitzt. Während bei Allen die Unterlage der Schlitzen weiß war, zeigten die Jacken fünf- bis sechsfache Farben, hie und da mit schmaler Garnirung aus Gold und Silber. Von den enganliegenden, bis unter die Kniee reichenden Beinkleidern zeigte jedes Bein eine andere Farbe, gewöhnlich das linke blau, das rechte gelb. Die aufgepufften Kniebänder waren bei den Sickingischen alle roth und weiß, bei jenen des Fleckensteiners blau. Manche hatten das weite Unterkleid aus den Schlitzen an Armen, Brust und Rücken herausgezogen, was das bärbeißige Aussehen der Gesellen noch erhöhte. Außer dem Dolche trugen sie keine Waffen; den Humpen, die vor ihnen auf dem Tische standen, sprachen sie wacker zu.
»Jetzt weiter, Christoph!« sprach Caspar nach Fleckensteins Entfernung. »Ich hatte an jenem Tage eine verteufelt schlechte Constellation, wie unser Herr sagt, sonst hätte ich bei dem lustigen Schwank vor Worms sein müssen!«
»Umgekehrt!« rief Kunz. »Du hattest an jenem Tag verfluchtes Glück; indeß wir die großmäuligen Krämer ausbläuten, durftest Du mit Hutten das fette Kloster Münster heimsuchen.«
»Kaum der Rede werth, – die Mönche waren arm wie Kirchenmäuse,« versetzte Caspar mit geringschätzender Miene. »Gäb's keine fettern Klöster, könnte meinethalben das freie Evangelium zum Teufel fahren.«
»Seht den Schelm!« neckte Kunz. »Er schilt die armen Pfaffen von Münster, und doch trägt er seit dem Münsterer Span güldne Streifen am Wamms, steckt rothblaue Federn auf den Hut und dreht den Schnurrbart gleich Fuggerer und Geldherren,« – die Krieger lachten laut auf und Caspar verließ das Gemach, um weiteren Neckereien zu entgehen.
»Still Gesellen!« rief Christoph. »Jetzt hört, wie's vor Worms weiter ging. Sechs Wochen also lagen wir vor der Stadt und wußten nicht hineinzukommen. Darob gerieth mein Herr, der Franz, in argen Zorn und schwur, den ganzen Magistrat mit sammt dem Bürgermeister lebendig zu fangen. Keine leichte Sache war das; die Herren saßen hinter Mauern und pfiffen uns aus. Der Franz aber wußte Rath. »Stoffel,« sprach er zu mir, »Du mußt hinein nach Worms und was stehlen, sei's was es wolle, wenn sie Dich nur zum Galgen verdammen.« – Könnt Euch denken, Gesellen, wie ich meinen Ritter anschaute. Er machte mir aber die Sache klar und schwur, eher sollten alle Patrizier zu Worms an den Galgen als ich. Das Lager vor der Stadt wurde abgebrochen, unsere Lanzen zogen davon, und der Christoph machte sich auf den Weg nach Worms. Kaum war ich, als Bauer verkleidet, durch die Thore, da kam ein Jude mit zwei herrlichen Rappen daher. Flugs fiel ich über die Pferde her, wobei mein Jude solch' jämmerliches Geschrei anhob, daß mich die Stadtknechte gleich beim Schopf hatten. Heute noch liegt mir das Geheul des verfluchten Juden in den Ohren.«
Levi schrack zusammen; denn er selbst war jener Jude. Auf der Reise begriffen, flüchtete er vor Sickingens Lanzen nach Worms und mußte die Belagerung aushalten.
»Jetzt ging's vor den hohen Rath,« fuhr Christoph fort, »und da ich ohne Umschweife den Handel eingestand, sagte Einer der hochweisen Herren: ›Dein offenes Geständniß zeigt zwar von Reue; doch Niemand kann Dir helfen, armer Schelm, – mußt an den Strang.‹ Fast hätte mir der Alte leid gethan, da er durch mich an den Speck kommen sollte. Tags darauf ging's hinaus zum Hochgericht, das gar finster eine Strecke vor der Stadt aus den Bäumen herausschaute. Jetzt wurde mir's doch anders, Gesellen, als der Henker mit seinem Strick daher kam und der Pfaffe vom Glauben und Vertrauen auf das Blut unsers Herrn schwätzte. Vergebens schweifte mein Auge nach dem Ritter umher, – keine Lanzenspitze war zu sehen. Da bat ich den Pfaffen, er solle mich Beicht hören. Darauf fing der Schalk zu schmähen an, schalt mich 'nen groben Papstesel und sagte: ›Schon deshalb verdienst Du aufgehängt zu werden, weil Du beichten willst und ein vermaledeiter Götzendiener bist!‹ – Der Henker legte mir den Strick um den Hals, und Thränen schlichen mir aus den Augen, daß ich als ehrlicher Lanzenknecht wie ein Jude am Galgen sterben sollte. Aber Gesellen, jetzt ging's lustig her! Kaum war der Henker auf der Leiter oben, da fiel er von einem wohlgezielten Bolzen durchbohrt nieder, und wie Wetter und Hagel stürmten unsere Lanzen aus dem nahen Walde heraus. Der hochlöbliche Magistrat mußte nach Ebernburg wandern, wo er in Haft lag, bis die fette Auslösung kam. Die Bürger ließ der Ritter frei und dem Pfaffen hielt ich mit dem Stricke solche Predigt, daß er schwur, die Beicht wäre ein heiliges Sakrament.« S. E. Münch. B. II.
Die Kriegsknechte schlugen ein helles Gelächter auf und tranken Christoph den vollen Humpen vor. Bucers Miene gestaltete sich zu jenem bedauernden Ausdruck, wie der Gebildete sie der Rohheit und Unwissenheit gegenüber zeigt. Dazu ärgerten den Reformator mancherlei Gegenstände im Gemache, wozu das große Crucifix und die vielen Heiligenbilder gehörten.
»Da hängt noch papistischer Gräuel genug!« sprach er eben vor sich hin, als eine schmucke Dirne den fetten Rehziemer und zwei Krüge Wein auf den Tisch stellte, die Bucers Aufmerksamkeit dergestalt beanspruchten, daß er für nichts Anderes mehr Auge und Ohr zu haben schien. Auch Levi bewies große Eßlust und setzte dem Braten wacker zu, seinem Mitesser wiederholt Blicke voll Haß und Schadenfreude zuwerfend.
Der Jude legte endlich das Messer bei Seite, that einen tiefen Zug aus dem Kruge und begann mit verschmitztem Lächeln: »Dem Gott meiner Väter sei's gedankt, daß er durch die Hand dieses tapfern Machabäers von Windstein einen armen Mann aus der List der Gottlosen befreite.«
Bucer antwortete mit einem kalten, verächtlichen Blicke und aß weiter. Levi aber, obwohl kriechend in Gefahr und voll sklavischer Gesinnung der Gewaltthat gegenüber, folgte eben so gern dem süßen Rachegefühl, sobald er ohne eigenen Nachtheil den Feind quälen konnte. Die Verachtung des Doktors hätte ihm unter Umständen tausend Bücklinge abgezwungen, jetzt aber sah er Bucer hämisch in's Gesicht, und sagte: »Verschmäht den Dank eines armen Mannes nicht, gelehrter Herr des lautern Evangeliums! Ihr verdient ja meinen Dank, – habt Alles gethan, mir von den Säckels zu helfen.«
»Behalte Deinen Dank, Jude!« antwortete der Prädikant mit erzwungener Gleichgültigkeit.
»Ihr geht nach Hohenburg, – ein sauerer Gang!« fuhr Levi fort, den spöttischen Ton beibehaltend. »Doppelt sauer für Euch den hohen Berg hinauf; schade, daß mein Braun Euch nicht kann hinauftragen, mein stattliches Pferd geht mit mir.«
»Dein Pferd? wessen Pferd?«
»Wessen Pferd? nun, – mein Pferd, Herr, – Levi's Pferd, – des Juden Pferd, – Levi's schöner Braun, auf dem Ihr so stolz nach Fleckenstein geritten seid, weil Euer Klepper seines lahmen Fußes halber zu Arnsberg mußte stehen bleiben. Oder wollt Ihr am Braunen Euch erholen, da die Säckels durch die Finger fielen? Thut das nicht, erbarmt Euch des armen, geschlagenen Juden! Ja, ja, – Levi ließ Euch vom schlanken Rücken seines Thieres tragen, indeß er über Dorn und Stein nebenher lief; und jetzt läßt Euch Levi über Dorn und Stein laufen, indeß er auf seinem Eigenthum sich gütlich thut.«
»Das wird sich zeigen, Jude!« entgegnete voll Aerger der Reformator.
»Was wird sich zeigen, – Herr?«
»Wer von uns Beiden laufen muß, ich oder Du. Hat mich das Pferd erst nach Hohenburg getragen, magst Du darüber verfügen, keinen Augenblick eher; denn so lange hast Du's mir abgetreten.«
»Ich hab's abgetreten, – ja! an einen ehrlichen Mann, der sich um mein gestohlen Gut bemüht, aber an keinen gelehrten Mann, der mit großer Gelahrtheit nachweist, daß Levi's Gut nicht Levi's Gut ist, und daß im siebenten Gebot das Stehlen nicht verboten ist.«
Bucer schwieg. Sein stechender Blick glich dem einer Viper, die bei günstiger Gelegenheit auf ihre Beute losstürzt und vernichtet. Der Jude verstummte ebenfalls und schien dem bisherigen Reisegefährten selbst den Bissen zu vergönnen.
Die Kriegsknechte lärmten und zechten indessen fort. Christoph hatte seine rothe Mütze Veit, dem neuen Spießgesellen, aufgesetzt, mit dem er Bruderschaft getrunken.
»Allen Respekt vor Deinem Herrn, Veit!« rief er. »Bei unserm Franz geht's aber doch lustiger her. Jeden Monat fünf Gulden Löhnung, – versteht sich, wenn wir daheim liegen und keinen Span haben. Geht aber der Tanz los, haben wir des Monats unsere elf Gulden. Fängst Du Einen weg, so gehört der Fang Dir mit sammt dem Eigenthum und Lösegeld. Nur die hohen Herren und Prälaten hat sich unser Ritter vorbehalten. Dazu ›Fraßraub und Plünderung,‹ als da sind: reiche Klöster, arme Juden, schöne Jungfern, hübsche Nonnen, – he! ist's nicht so, Gesellen? Es lebe der Franz! Evangelische Freiheit hoch!« und der ganze Haufen griff zu den Krügen und stimmte jubelnd ein. E. Münch a. a. O.
»Habt ihr's schon gehört, Kameraden?« sagte Christoph mit gewichtiger Miene: »Es geht ein Gemunkel, – weiß nicht ob man's laut sagen darf; denn Ritter und Herren flüstern sich's nur so in die Ohren. Aber gleichviel! Unter Spießgesellen gibt's kein Geheimniß, – hört Brüder! Der Franz soll Kaiser werden.«
»Was? Ist Kaiser Carl gestorben?« fragte Veit erstaunt.
»Pah – gestorben!« meinte Christoph, den Schnurrbart streichend. »Unser Ritter wartet nicht auf's Sterben, der greift wacker zu und fragt den Teufel darnach.«
»Hast falsch gehört, Christoph!« meinte Veit, dem die Neuigkeit vom neuen Kaiser nicht gefiel. »Was man deinem Herrn nachsagt, ist ein Schimpf auf seine Ehre; denn auch er schwur dem Kaiser Eid und Treue.«
»Was Veit, bist noch so dumm und hältst auf Eid und Pflicht?« rief Christoph mit gelehrter Miene. »Oder steckst Du noch bis über die Ohren in den Gräueln des Papstthums, – wie unser Prediger Aquila sagt? Eid, Gelübde, Treu' und Glauben, – Alles ist abgethan durch das freie Evangelium! Mönche springen aus Kutten und Kappen, hängen Gelübde und Eid an den Nagel, – weßhalb soll unser Ritter durch's Evangelium nicht frei werden?«
»Christoph hat Recht!« riefen die Rothmützen.
»Carl mag in Gottes Namen wieder nach Spanien wandern,« fuhr Christoph fort, »woher er kam, bevor ihn Franz zum Kaiser machte. Es dünkt mir noch wie gestern, als wir mit 15,000 Lanzen vor Frankfurt standen. Die Herren d'rinnen wollten mit aller Gewalt den Brandenburger küren, der Franz aber sagte: nein! Carl muß Kaiser werden. Und wenn Franz heute sagt« –
Der Reisige wurde hier durch Windsteins Eintritt unterbrochen.
»Sattle, Veit!« rief er diesem zu. »Nimm auch den Juden Levi mit und laß ihn gut bewirthen. Längstens übermorgen treff' ich selber auf der Burg ein.«
Nach diesen Worten verließ er die Stube und sogleich in Begleitung des Burgherrn das Schloß. Bei Heinrichs Erscheinen waren alle Reisige mit Veit unwillkührlich aufgestanden, mit Staunen und Bewunderung den stattlichen Junker betrachtend. Kaum verschwand nun Windstein unter dem Eingange, als die Kriegsknechte durch ein immer lauter werdendes Gemurmel ihre Befriedigung ausdrückten. Christoph war stehen geblieben, mit Augen umherschauend, als hätte er eben eine außerordentliche Erscheinung gehabt.
»Alle Blitz- und Donnerwetter! Das ist einmal ein Degen!« rief er aus, mit der Faust auf den Tisch schlagend. »Wär' ich nicht des Sickingers Reitknecht, zur Stelle ging' ich in des Windsteiners Sold. Steht der Euch nicht da, Gesellen! wie ein junger Eichbaum? Alle Wetter, – den möcht' ich einhauen sehen.«
Nach dieser Lobrede, durch die Veit sich sehr geschmeichelt fühlte, stießen Christoph und seine Kameraden begeistert an auf des Ritters Wohlergehen.
Dem Befehle seines Herrn zufolge erhob sich Veit zur Abreise. Die Zechbrüder gaben ihm das Geleite bis in den Burghof, wo sie mit vollen Humpen um ihn her standen, da er sich bereits in den Sattel geschwungen. – Bucer war mit Levi in Wortwechsel gerathen; denn der Jude machte in heftigen Ausdrücken den weitern Gebrauch des Pferdes streitig. Der stolze Doktor verwünschte die peinliche Lage, mit einem Menschen disputiren zu müssen, dessen Widerspruch unter andern Verhältnissen höchstens seine stillschweigende Verachtung verdiente. Er gab dem Trierer Kaufherrn sanfte Worte und suchte sogar scharfsinnig zu beweisen, wie Levi so lange kein Recht auf den Braunen habe, bis dieser die zugestandene Miethe ausgehalten. Alles half nichts. Je klarer Bucer bewies, desto hartnäckiger läugnete der Jude. Endlich machte der Doktor dem Streite ein Ende: er setzte den Fuß in den Steigbügel und nahm Besitz vom bestrittenen Rücken des Pferdes.
»Mit Recht sagt die Schrift von Euch halsstarrigen, unbeugsamen Juden: ›Unbeschnitten sind sie an Herz und Ohren!‹ predigte der Reformator von seinem erhöhten Sitzpunkte. Glaubst Du Ungläubiger, mit mir loses Spiel treiben zu können? Weißt Du nicht, daß Kaiser und Papst vor den Trägern des neuen Evangeliums zittern, – und Du elender Jude willst mir trotzen? Siehe zu, daß mein Zorn Dich nicht zermalmt!«
Levi kehrte sich an diese Drohungen nichts, sondern fiel dem Pferde in die Zügel. Kaum bemerkten die Kriegsknechte den entstandenen Streit, so umstellten sie lachend den schreienden Juden und den knirschenden Reformator. Dazu erhöhte Bucers ärgerliche Verlegenheit noch der Umstand, daß durch Levi gereizt, das Pferd gewaltig zu schnauben anfing und mehrmals ausschlug, wobei der Reiter fußhoch über dem Sattel schwebte. Die Lanzenknechte erhoben über dieses ihnen höchst interessante Schauspiel großes Lärmen und Gelächter. Christoph rückte seine rothe Mütze auf das rechte Ohr und versicherte, der Spaß sei ihm lieber als ein ganzer Monatssold.
Bucer verlor endlich alle Lust, den rohen Kriegsleuten länger Gegenstand des Gelächters zu sein. Er beschloß, am Juden Rache zu nehmen und zugleich zum Ziele zu gelangen. Bei Christophs Erzählung war ihm Levi's Schrecken nicht entgangen, und der scharfsichtige Reformator erkannte in dem Bebenden sogleich jenen Juden von Worms. Diesen Umstand wollte er nun zum eigenen Vortheile benützen. Er winkte Christoph herbei und sagte, auf Levi hinzeigend: »Seht Euch den Juden einmal an! Ist er nicht derselbe, welcher zu Worms Euch fast an den Galgen brachte?«
Levi wäre fast umgesunken vor Schrecken, da ihm der Reisige die breite Hand auf die zitternde Schulter legte, ihm steif in's Gesicht sah und ausrief: »Bei St. Jörgen! Da schaut her, Brüder, – das ist der Jude, dem ich zu Worms die Pferde wegstibitzte.«
Voll Angst ließ Levi die Zügel fahren, nicht zweifelnd an der blutigen Rache des gewaltthätigen Kriegers. Bucer benützte diese Gelegenheit und ritt vorwärts. Da senkte Veit die Hellebarde.
»Halt!« rief er. »Nicht von der Stelle, Aftermönch! Das heißt nicht ehrlich gestritten, wenn man hinter'm Rücken des Gegners sich davonschrauben will!«
Zum weitern Verdrusse des Doktors behandelte Christoph den Juden durchaus nicht nach seiner Berechnung. Die ganze Rache des Kriegers bestand darin, daß er den Juden zwang, zur Erinnerung an alte Bekanntschaft einen vollen Humpen zu leeren, – allerdings für Levi keine leichte Aufgabe.
»Ich hab' Dir damals arge Angst eingejagt, armer Teufel!« lachte der gutmüthige Lanzenknecht. »Sollst aber auch jetzt an mir 'nen ehrlichen Spießgesellen finden, welcher Deinen Handel mit dem Pelzmantel da ausfechten hilft.«
Kaum bemerkte Bucer diesen unerwarteten Patron Levi's, so schickte er sich an abzusteigen. Der Jude enthob ihn dieser Mühe. Durch leises Kitzeln ließ er nämlich das Pferd einen solchen Sprung machen, daß Wohl ein geübterer Reiter, als der Doktor, im Sande gesessen wäre. Levi warf dem gedemüthigten Gegner noch einen triumphirenden Blick zu, schwang sich unter anhaltendem Gelächter in den Sattel und folgte Veit durch das Burgthor.
Der Prädikant zerbrach zum Glück keine Glieder und eilte, das unheilvolle Schloß zu verlassen. Bereits hatte er die Hälfte des Berges erstiegen, auf welchem Hohenburg liegt, da blieb er stehen und betrachtete in finsterem Schweigen den Fleckenstein.
»In der Hofburg Babylons Unter »Babylon« verstanden die Reformatoren »Rom«. hätte man Bucer nicht schimpflicher behandeln können, als auf jenem Felsennest. Hab' Acht, stolzer Freiherr! Ich könnte einmal versucht werden, solche Schmach zu rächen.« – Nach dieser Drohung setzte er seinen Weg langsam fort.