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Zunftgenossen.

Bürgermeister Hartmann von Worms hatte sein Abentheuer auf der Landstraße weislich verschwiegen. Er kannte das berechtigte Selbstgefühl der mächtigen freien Reichsstadt, deren Vertreter er war und wußte, daß Bertolfs Verwegenheit die stolzen Wormser in hohem Grade erbittern und stürmische Auftritte veranlassen würde. Deßhalb gebot er seinem Knechte strengstes Stillschweigen und hoffte, die Sache werde verborgen bleiben, da sich, Greifenstein und dessen Begleiter ausgenommen, keine Zeugen bei der Gewaltthat eingefunden. Wirklich vergingen mehrere Wochen, ehe die mindeste Kunde nach Worms gelangte. Herr Hartmann, in selbstloser Hingebung dem großen und blühenden Gemeinwesen dienend, an dessen Spitze ihn das Vertrauen seiner Mitbürger gestellt hatte, freute sich bereits der glücklich todtgeschwiegenen Geschichte. Da zog plötzlich, wie ein Sturmwetter, die verhängnißvolle Kunde heran, versetzte ganz Worms in Aufruhr und überfiel den Bürgermeister unter Umständen, die seine Lage überaus peinlich gestalteten.

Die Zunftmeister der zwanzig Gewerke hatten eben, in Verbindung mit beigeordneten Rathsmannen, die herkömmlichen Umgänge vollendet. Diese »Umgänge« bestanden in allen deutschen Städten und bedeuteten eingehende Prüfungen der Gewerbserzeugnisse in allen Werkstätten, sowie der Brod- und Fleischwaaren in sämmtlichen Verkaufsstellen. Die »Umgänge« bezweckten, daß »kein falsches oder böses Gut gemacht«, daß Niemand betrogen, die Ehre des Gewerkes nicht verletzt, der Arme und der Reiche gleichmäßig behandelt werde. Strenge verfuhren die »Umgänger«. Jedes »böswirkige, falsche, nicht aufrechte Werk« ward weggenommen oder vernichtet. Anfertiger und Verkäufer schlechter Waaren wurden aus der Zunft gestoßen, mit Geld- oder Körperstrafen belegt.

Diese heilsame Strenge war eine natürliche Folge altdeutscher Ehrenhaftigkeit, sie entsprang zugleich dem Geiste des Zunftwesens und dem frommen Glauben an die Arbeit.

Nach mittelalterlichen Begriffen war nämlich die Arbeit ein Amt, und zwar ein überaus ehrenvolles. Mit diesem Arbeitamte belehnte jede Stadtgemeinde die Zünfte; denn jegliche Stadt betrachtete sich als eine große Familie, mit der Verpflichtung, für alle geistigen und leiblichen Bedürfnisse ihrer Angehörigen zu sorgen. »Zum gemeinen Nutz und Frommen« regelte die Gemeindeobrigkeit die gesammte Erzeugung, Vertheilung und den Verbrauch der Güter, sowie Preis, Gehalt und Absatz aller Lebensbedürfnisse und Erzeugnisse der Gewerbe. Die Gemeinde kaufte im Großen die Rohstoffe und überließ dieselben an die einzelnen Zünfte um den Einkaufspreis. Gleicherweise bestimmte sie allen Gewerben und Handwerken für den Absatz einen festen Verkaufspreis, der nicht herabgesetzt und auch nicht erhöht werden durfte. Ueberhaupt regelte eine stramme Zunftordnung Alles und Jedes bis in das Kleinste, und jeder Handwerker war gehalten, der Zunftordnung zu gehorchen. Dafür waren die Gewerbtreibenden des Segens und Nutzens der Zunftordnung theilhaftig. Von der Gemeinde mit dem Arbeitamte belehnt, übertrugen die Zünfte das Recht zur Arbeit an ihre Mitglieder, und diese fanden stets einen stark besuchten Markt, mit unversiegbarer Nachfrage und sicherem Absatze. Denn alle Bewohner innerhalb der städtischen Bannmeile waren verpflichtet, bei den Handwerkern ihrer Stadt zu kaufen, Bestellungen und Einkäufe bei auswärtigen Gewerbetreibenden zu unterlassen. Die Bannmeilen freier Reichsstädte waren aber sehr groß. Beispielsweise gehörten zu Worms zweihundert Städte, Flecken und Dörfer, die alle den wormser Markt besuchten Es sind auch mehr denn 200 stett, flecken und dörffer darum gelegen, die do täglich zu markt gehn Worms mit essender speiß gond, und den Abend wieder heim kommen mögen. Seb. Münster, Worms, Ausgabe v. 1561..

Diese angedeuteten Verhältnisse lassen errathen, daß wirklich »das altdeutsche Handwerk einen goldenen Boden hatte«, und daß »Recht und Ehre der Arbeit« keine leere Phrase gewesen.

Nach Vollendung des »Umganges«, der einige Tage währte, begaben sich die Zunftmeister und Abgeordneten des Rathes, zur Berichterstattung und Beschlußfassung, nach dem Rathhause. Dieses lag im Mittelpunkte der Stadt, am Marktplatze, ein dreistöckiger Prachtbau gothischen Styles, genau an der Stelle des alten, vor vierzig Jahren abgebrannten Rathhauses. Schon ein flüchtiger Anblick des großartigen Kunstbaues brachte auf den Beschauer einen fesselnden Eindruck hervor, der sich, nach eingehender Prüfung, zur staunenden Bewunderung steigerte. Zahllose Standbilder aus Stein, von meisterhafter Arbeit, belebten die äußeren Wandflächen. Jede Figur erhob sich auf einem zierlich ornirten Kragstein, und jede Bildsäule überdeckte ein Baldachin, das mit seinen feinen Säulchen emporstrebte, wie ein winziges gothisches Thürmchen. Die Figuren hielten Spruchbänder in den Händen, welche berichteten, wer die Dargestellten seien, oder was ihre Gegenwart bedeute. Da nur Heilige, oder hervorragende Männer aus der deutschen Geschichte, zur Darstellung gelangten, so bildeten die Figuren nicht allein Zierwerke, sondern auch Träger erhabener Ideen, oder ruhmwürdiger Thatsachen. Wie das Volk, sofern es des Lesens unkundig, an den gemalten Kirchenwänden die aufgeschlagene Bibel fand und sich daran erbauen mochte, so erzählten die Standbilder, Fresken und Schildereien an öffentlichen Bauten und Patrizierhäusern, Kleines, und Großes, Profanes und Heiliges. Auch der stattliche Altan über dem mittleren Thorwege des Rathhauses, die trauten Erker und Söller, die Pfortengewänder und Fenstergesimse, bis hinauf zur Dachtraufe, wo abentheuerliche Ungeheuer mit weit geöffneten Rachen das Wasser ausspieen, – Alles war durch die Kunst des Meisels reich geziert, so daß fast jeder Stein lebte und erzählte. Trotz dieser übersprudelnden Mannigfaltigkeit des Dekorativen, zeigte sich doch nirgends geschmacklose Ueberladung. Alles floß zur freien, das Ganze beherrschenden Einheit zusammen, beseelt von der zartesten Empfindung. Und dem Aeußeren des Prachtbaues glich das Innere, die Ausschmückung durch Gemälde und Figuren, die kunstvolle Bearbeitung der Möbel, die gemalten Fensterscheiben, die geschnitzten Thüren, bis herab zu dem kunstreichen Bau des Treppenhauses.

Die Zunftmeister hatten sich nach dem großen Saale begeben, dessen weit gedehnter Raum eine bedeutende Menschenmenge fassen konnte. Am oberen Ende erhob sich über einigen Stufen ein thronähnlicher Sessel, aus Eichenholz überaus kunstvoll geschnitzt. An der Rückwand über dem Sessel prangte der Reichsadler, von den buntfarbigen Wappen der freien Stadt Worms, sowie der Städte und Flecken ihrer Bannmeile, in winziger Größe und reicher Ornirung umgeben, so daß die kreisförmige Wappenreihe einer kostbaren, den Reichsadler umschließenden Kette glich. Auf diesen Thronsessel pflegten sich die Kaiser bei Reichstagen und Fürstenversammlungen niederzulassen, und auch der Oberbürgermeister von Worms hatte das Recht, bei feierlichen Gelegenheiten den hohen Sitz zu besteigen. Rings um den Saal liefen Bänke mit reicher Rückwandbekleidung. Ueber den Bänken waren die Wappenschilde aller freien Reichsstädte, in fortlaufenden Reihen und prachtvoller Ausstattung aufgehängt, und sie bildeten nicht nur eine geschmackvolle Verzierung der lange gestreckten Wände, sie erinnerten auch an die Macht und Ausdehnung des Reiches. Dem mittleren Eingange gegenüber hing ein großes Crucifix, nicht blos als Zeichen der Erlösung, sondern auch als Symbol jener Ideen, welche das Reich beherrschten.

Die Zunftmeister und Rathsmannen betraten den Saal durch eine Thüre am unteren Ende, wo sich ein Tisch erhob, von etwa dreißig Stühlen umstellt und mit verschiedenen Gegenständen belegt, welche die Prüfung der Umgänger nicht bestanden hatten. In langen Tuniken, an Aermeln und Säumen mit Pelz oder Silber- und Goldstickereien verbrämt, die ehrwürdigen Häupter mit niederen Mützen bedeckt, ernsten Bedacht und reichsbürgerliches Selbstbewußtsein in Mienen und Haltung, schweigsam und voll Würde, schritten die Meister nach ihren Plätzen am Tische. Bevor sie jedoch Platz nahmen, wandten sie sich nach dem Crucifixe, nahmen die Mützen vom Haupte, verbeugten sich ehrerbietig, bekreuzten sich andächtig, setzten die Mützen wieder auf und ließen sich nieder.

In Mitte der Tafel hatte Herr Hartmann Platz genommen, ihm zur Seite vier Rathsmannen. Dem Bürgermeister gegenüber saß der Rathschreiber, Pergamentstücke vor sich und in der Hand die Feder, Beschlüsse und Anordnungen zu verbriefen. Die beginnende Verhandlung aber ist insofern von allgemeiner Bedeutung und merkwürdig, als sie in das altdeutsche Zunftwesen belehrende Einblicke gewährt.

»Wir sind beisammen, ehrsame Mitbürger, und fangen an in Gottes Namen!« begann der Bürgermeister. »Wie ich sehe, ist der letzte Umgang nicht ganz glimpflich verlaufen; denn goldenes Geschmeide, Tücher in Wolle und Seide, selbst Brodwaaren liegen da vor unseren Augen und harren der Rüge. Urtheilen und verfahren wir nach Gerechtigkeit, zum gemeinen Nutz und Frommen, damit unserer Stadt Lob durch gute Arbeit beständig gewahrt und der löbliche alte Ruf, wie er vor Jahren und bisher guter Arbeit halber bei Worms gewesen, nicht verringert werde. – Fangen wir an mit der Tuchweberei. Meister Gerhard, thuet kund, was Ihr beim Umgang in der Tucherzunft Gutes und Schlimmes wahrgenommen, und wie nach Euerem Dafürhalten das Unlöbliche möge abgethan werden.«

Der Angeredete, ein Mann in vorgerückten Jahren, mit gutmüthigem Gesichte und klugen Augen, räusperte sich und rieb die Hände, wie ein Mensch, der sich anstrengender Arbeit unterzieht, insofern ihm Worte zu geläufiger Rede nicht zu Gebote stehen. Das Reiben der Hände verrieth zugleich noch etwas Anderes, nämlich rauhe Handflächen, die Folgen steter und harter Arbeit. Genau betrachtet, waren alle Zunftmeister, wie sie um den Tisch saßen, Inhaber dieser lederartig gegerbten Hände; denn nach der Zunftordnung war es keinem Gewerbtreibenden und Meister gestattet, nur Gesellen zu halten, selber aber müßig zu gehen, er mußte vielmehr durch eigene Thätigkeit und fleißige Handarbeit Gesellen und Lehrlingen ein Muster und Vorbild sein.

»Ehrsame Meister und Rathsmannen!« hob Gerhard nach wiederholtem Räuspern an. »Beim Umzug haben wir in der Tucherzunft ziemlich Alles beim Rechten gefunden, wie es die Ordnung vorschreibt. Sämmtliche Tuchscheerer, Wollkämmer, Walker, Weber, Tuchhafter, Tuchspanner, zusammen siebenzehn hundert Männer, von denen vierhundert Meister, die übrigen Gesellen sind, betragen sich löblich nach der Zunftordnung. Auch die Tuchhäuser und Werkstätten und Geräthe sind säuberlich und nach der Regel gehalten, wie auch das Zunfthaus. Zudem nirgends Unfriede, Streit und Zank. Muß sagen, alle Zunftgenossen erweisen sich brüderliche Liebe und Treue, halten sich ehrlich, einmüthlich untereinander, wie es guten Christen ziemt. Gleicherweise wird das Handwerk nach der Regel betrieben, – alles Tuch ist ächt und recht, sonder Fehl und Falschheit. – – Nur Meister Fröschlin macht von allen Tuchmeistern eine gar unlöbliche Ausnahme; denn er hat nicht in der Wolle gefärbt, sondern am Stück, was der Zunft zur Unehre und der Stadt zum Schaden mag gereichen. Lüderliches Tuch soll nicht vorkommen allhie in Worms. Dreißig Stücke haben wir Meister Fröschlin weggenommen, wovon zwei hier vor Augen liegen, damit männiglich von dem bösen Gut sich mag überzeugen. – Demnach ist mein Dafürhalten, den Fröschlin nach dem Zunftgesetz zu pönen, ihm nämlich alle dreißig Stücke zu verbrennen, und ihm obendrein zu drohen, mit Ausschluß aus der Zunft, so er zum zweiten Male böses Gut macht.«

»Gefällt den Ehrsamen Meister Gerhards Antrag?« frug Herr Hartmann.

Einige Köpfe nickten beistimmend, andere Zunfthäupter schienen den Strafantrag nicht ganz beifällig zu betrachten; denn sie rückten unentschlossen auf den Sitzen. Da ergriff Paul Schick, Zunftmeister der Waffenschmiede, ein redegewandter Mann, das Wort.

»Unseres Genossen Gerhard Antrag ist ganz lobesam und recht; denn so hat er beantragt, wie es Zunftordnung und Gewerbegesetze vorschreiben. Da wir noch fahrende Gesellen waren, haben wir auf unseren Wanderungen gesehen, wie alle Städte im ganzen Reiche, von Wälschland bis hinauf zum Nordmeere, gar sehr bedacht sind auf des Handwerks Ehre und guten Ruf. Arbeitet ein Meister unredlich, so wird er scharf gepönt und beim zweiten Male ausgestoßen, damit nicht arger Leumund falle auf das Gewerbe. Daran halten auch wir fest allhie in Worms. Nur bedünkt mich, es sei schade, die dreißig Stücke zu verbrennen, da man hieraus für arme Leute manches Gewand könnte fertigen. Geben wir also die dreißig Stücke Tuch dem Elendhause, damit armen Christenmenschen davon mögen Kleider gemacht werden. Außerdem möge Zunftmeister Gerhard, wie es Brauch ist, auf der Zunftstube, in Gegenwart aller Tuchmeister, dem Fröschlin mit scharfen Worten seine Unredlichkeit vorhalten und männiglich zur gewissenhaften Arbeit vermahnen.«

Beifällig nickten sämmtliche Köpfe. Der Bürgermeister sprach einige Worte mit den Rathsmannen.

»Die Vertreter des Rathes und der Obrigkeit,« erklärte er, »sind mit dem Beschlusse einverstanden.«

Der Schreiber beeilte sich, den Spruch wider Fröschlin zu verbriefen.

»Meister Hennel!« wandte sich der Vorsitzende an einen wohlbeleibten Mann, dessen müllergraues Tuch den Bäckermeister verrieth.

»Bei dem Umgange fanden wir alle Brodwaaren sonder Falsch und recht, auch sämmtliche Brodarten vorhanden,« begann Meister Hennel. »Nirgends waren die Fruchtsorten vermischt, vielmehr Waizen, Spelz, Roggen, Gerste und Hafer rein gehalten, besonders gebacken in Laiben und Brödchen, Alles nach Gewicht und Güte tadellos, wie es die Ordnung heischt. Einzig Meister Cunrad hielt sich lüderlich, wie es hier der Augenschein beweist. Das ist kein Brod für Menschen, sondern für Schweine. Er hat zu leicht gewogen und darum nicht ausgebacken, damit er durch wasserige, klotzige und schlechte Waare zum Gewichte komme. Solchen Unfug pönt die Zunftordnung mit sechs Pfund wormser Heller, – Cunrad zahle sie.«

Der Antrag begegnete allgemeinem Mißfallen.

»Allzu glimpflich, – sechs Pfund langen nicht, – er muß schärfer gepönt werden, – er ist ein Rückfälliger!« unterbrachen von allen Seiten die Zunftgenossen den Bäckermeister.

»Der allgemeine Unmuth wider Cunrad ist ganz natürlich und löblich; denn vor zwölf Jahren schon wurde er wegen gleicher Unredlichkeit gepönt,« nahm Paul Schick das Wort. »Brod und Fleisch gehören zu des Leibes Nahrung und Nothdurft, für Arm und Reich, darum wäre Milde gegen Fälscher hier gar nicht am Platze. Die Gewerbeordnung sagt aber, so ein Meister durch Unredlichkeit und böswirkige Waare wiederholt fälscht, soll ihm das Handwerk auf Zeit oder für immer gelegt werden. Cunrad ist zwar ein reicher Mann, könnte ohne Geschäft leben, hat aber zehn Kinder und hält sonst am Rechten. Aus dieser Ursache möge es den Ehrsamen gefallen, nicht auf das Härteste ihn zu verpönen, sondern nur auf zwei Jahre ihm das Handwerk zu legen.«

»Solchen Antrag hatte auch ich im Sinne,« sagte Hennel, »brachte ihn aber nicht vor, weil nur einhundert fünf und dreißig Meister backen, was kaum ausreicht für Worms und das ein- und ausfahrende Volk. Blasen wir Cunrads Ofen aus, so wird Mangel an Brod.«

»Dem ist leicht abzuhelfen,« bemerkte Jeckel Knoltz, Zunftmeister der Handschuher. »Man gestatte jenen Bäckermeistern, die nur mit drei Gesellen arbeiten dürfen, auf zwei Jahre mit vier Gesellen zu arbeiten.«

»Ganz gut, – einverstanden!« klang es um den Tisch.

»Mithin sechs Pfund wormser Heller Pön und Verschluß des Gewerbes auf zwei Jahre,« diktirte Hartmann dem Schreiber.

»Ich bin noch nicht fertig,« hob Hennel wieder an. »Hätte Cunrad allwege ein gutes, christliches Gewissen, so wäre ihm die Schande, nebst Pön, der Zunft aber die Unehre erspart geblieben. Nicht umsonst dringen die Regeln aller Zünfte auf Frommheit und Ehrbarkeit. Was aber Frommheit und Redlichkeit gedeihen und wachsen läßt, und was Unfrommheit und Bosheit abhält, das ist ein rechter und regelmäßiger Gottesdienst, dazu fleißige Anhörung des Wortes Gottes. Daran mangelt es in der Bäckerzunft, weil unsere Capelle bei St. Martin viel zu klein ist, so daß Mancher an Sonntagen, beim Zunftgottesdienst, keinen Platz findet und bei der christlichen Vermahnung draußen stehen muß. Haben doch alle Zünfte ihre Capellen, darin sie hinlänglich Raum finden, die Tucher gar die ganze Kirche bei St. Lamprecht. Demnach möge uns die ganze Marthacapelle bei St. Mang überlassen werden, damit wir dort einziehen mit unserem heiligen Patron. Was ich da sage, ist nicht blos mein Dafürhalten, sondern aller Bäckermeister Wunsch und Wille, wie es dieselben bei der letzten Versammlung auf der Zunftstube ausgesprochen haben.«

»Wunsch und Wille der ehrsamen Bäckerzunft soll erwogen und auch in's Werk gerichtet werden, wenn der Rath und der Bischof einstimmen,« erklärte Oppenheim.

»Was alle Zünfte für recht und billig halten, mag wohl der Rath nicht abweisen, und was hervorgeht aus christlichem Gemüth, wird der Bischof nicht schelten können,« sagte Paul Schick, unter dem Beifallnicken sämmtlicher Köpfe.

»Meister Edelin mag jetzt melden über den Umgang bei seinen Zunftgenossen,« ersuchte Hartmann.

»Zunächst möchte ich anknüpfen an das, was Meister Hennel angebracht, nämlich an die hohe Wichtigkeit frommer Gesinnung für alle Gewerbe,« begann Edelin, Zunftmeister der Goldschmiede. »Warum thun sich die Gewerke in Bünde zusammen? Auf daß ihr Trachten geordnet sei, nach christlicher Zucht, und so die Arbeit selber geweiht und gesegnet werde. Arbeiten wir Alle nach Gottes Gebot, so arbeiten wir nicht allein um des Gewinnes willen, – denn im eiteln Durst nach Geld liegt kein Segen und bringt der Seele Schaden, – wir arbeiten vielmehr um der rechten Ehre Gottes willen, der allen Menschen das Arbeiten geboten, sowie um den Frieden des Fleißes zu haben, der in rechter Arbeit liegt. Nebenbei arbeiten wir auch, um zu haben, was uns und den Unserigen zum Leben noth thut, und auch wohl, was zum christlichen Ergötzen gereichen mag. Nicht minder arbeiten wir, um den Armen und Kranken mittheilen zu können von den Früchten unserer Arbeit. Darum sind Bünde und Einigungen der Handwerksgenossen gut, und darnach sollen sie trachten. Wer aber nicht darnach trachtet, wer nur suchet, Geld und Reichthum zu scharren mit seiner Arbeit, der handelt schlecht und sein Arbeiten ist Wucher. Wäre solcher Geist deutscher Zunftgenossen in Meister Ezzelino, wir hätten da nicht falsches und recht böses Geschmeide,« fuhr er fort, auf goldene Ketten, Armspangen, Becher und Kannen von überaus kunstvoller Arbeit deutend. »Ausdrücklich heißt es in unseren Satzungen, wer einer Zunft angehören will, muß von frommen Aeltern ehelich geboren und selber fromm sein, er muß unbesprochen und ein Biedermann sein. – Als vor sieben Jahren Meister Ezzelino, der aus Wälschland kam, in unsere Zunft aufgenommen ward, haben wir des Wälschen Frommheit, Unbescholtenheit und biederen Wandel nicht aufs Haar genau geprüft, – und jetzt haben wir davon die Unehre; denn Ezzelino hat Geschmeide ohne vollwähriges Gold gemacht. Solches hätte er sich nicht unterfangen können, so er ein guter Christ und rechter Genosse wäre. Zudem muß ich Ezzelino deßhalb schelten, weil er Gesellen und Lehrlingen Müßiggang gestattet und nächtliches Fernbleiben aus dem Hause, sogar Spiel und Trunkenheit, – was Alles den Zunftsatzungen zuwider lauft und nicht zur Ehre des Handwerkes gereicht. Es geht also mein Dafürhalten dahin, alles nicht vollwährige Geschmeide Ezzelinos zu zerbrechen und ihm anzusagen, er werde aus der Zunft gestoßen, so er noch einmal böse Arbeit macht, oder nicht einen christlichen Haushalt führt und mit rechtem Beispiel Gesellen und Lehrlingen vorangeht.«

Der Antrag wurde beifällig aufgenommen und außerdem Edelin verpflichtet, in Gegenwart aller Meister auf der Zunftstube dem bösen Ezzelino eine »gute und salzige Predigt« zu halten.

»Der Umgang ist im Allgemeinen günstig verlaufen,« nahm Bürgermeister Oppenheim das Wort. »Alle Zünfte, drei ausgenommen, stehen da in Ehren, mit guter und rechter Arbeit. Doch selbst die drei Fälle sind noch zu viele und sollen ganz verschwinden, was erreicht wird durch strenge und gerechte Handhabung der Zunftordnung, namentlich aber durch Heranbildung und Zucht frommer Gesellen und Lehrlinge. Ueber den letzten Punkt, gar wichtig und folgenschwer für jegliches Gewerbe, möchte ich die ehrsamen Zunftmeister kürzlich erinnern, was die Satzungen besagen, und sie vermahnen, allen Meistern in den Zunftstuben diese Satzungen kräftig vor Augen zu halten.«

Herr Hartmann ergriff ein vor ihm liegendes Büchlein und las mit lauter, eindringlicher Stimme:

»Welcher Meister einen Lehrling nimmt, der soll ihn Tag und Nacht in seinem Hause, in seinem Brode und in seiner Versorgung halten und mit Thür und Angel verschließen. Er muß ihn anhalten zum Kirchenbesuche, zur Gottesfurcht und Ehrbarkeit mit eifrigem Ernst und ihn ziehen, als ob er sein Sohn wäre.«

»Alle Hantirung und jegliches Gewerbe können nur, wie sie sollen, in Ehren bestehen, wenn der Lehrjunge frühe anfängt, Gottesfurcht zu üben und seinem Meister gehorsam zu sein, als wäre selbiger sein Vater. Er soll des Morgens und Abends und nicht minder bei der Arbeit Gott bitten um Hilfe und Schutz; denn ohne Gott kann er nichts, und ist aller Menschen Schutz ohne Gottes Schutz unwesenhaft, und oftmals schädlich der Seele, weil man sich auf Menschen verläßt, die armselig sind und hinsterben.«

»Der Lehrjunge soll jeden Sonn- und Feiertag Messe und Predigt hören und gute Bücher lesen lernen. Bei der Arbeit soll er fleißig sein, und seine Ehre nicht anders dann durch Gottes Ehre suchen. Dem Meister soll er in Allem folgen, was nicht wider Christi und der Kirche Gebot ist und wider sein Gewissen. Er soll auch die Ehre des Meisters suchen und die Ehre des Handwerks; denn das ist ein heiliges Amt, dem er selber einstens vorstehen will als Meister, so Gott will und er erlangen kann, es zu werden.«

»O der Engherzigen und Geizigen, die nur lernen und arbeiten wollen, um Geld, Gewinn und Ansehen zu haben vor den Menschen! Das ist übel gethan.«

»Wenn der Lehrjunge es fehlen läßt an Gottesfurcht und Gehorsam, soll er hart gezüchtigt werden, das thut der Seele gut, und muß der Körper Pein leiden, damit es wohl gehe der Seele.«

»Der Meister soll nicht weichherzig sein gegen den Lehrjungen, ebenso wenig aber auch tyrannisch und nicht zu viel von ihm fordern, was öfter geschieht. Er soll nicht lange nachtragen, wenn der Lehrjunge gefehlt hat und gestraft ist; denn er selber ist ein armer Sünder und Gott muß ihm viel vergeben, wenn er soll selig werden.«

»Der Meister soll schützen den Lehrjungen gegen Schimpfworte, Ohrlappenzupfen und Püffe der Gesellen. Der Lehrjunge ist ihm übergeben vom Handwerk zur Sorge über Seele und Leib, wie es die Satzungen vorschreiben und Gottes Ordnung verlangt; er muß Rechenschaft geben über seinen Lehrjungen und soll ihn darum halten, wie sein eigen Kind. Er ist nicht Meister allein, um zu regieren und Meisterarbeiten zu thun, sondern auch, um sich selber zu bemeistern, wie dem Christenmenschen obliegt und die Ehre seines Handwerks verlangt. Er wisse, daß er Meister sein soll in jedem Beispiel für Frau und Kinder, für Lehrjungen und Gesellen und sein sonstiges Gesinde Bei Janssen, Geschichte des deutschen Volkes, I. B. S. 332-333.

Während noch der Bürgermeister las, entstand vor dem Rathhause ein Gesumme und Lärmen, das eine Ansammlung großer Massen verrieth. Selbst im Gange vor dem Saale wurden verhaltene Stimmen und störendes Geräusch vernommen. Die Zunftmeister und Rathsmannen lauschten erstaunt nach außen und befürchteten Ungewöhnliches. Auch Herr Hartmann vernahm den Lärm, wechselte die Farbe, brach plötzlich ab und schloß die Sitzung. An ein Fenster getreten, sah er Tausende auf dem Marktplatze versammelt, die alle voll Unruhe und mit leidenschaftlichen Bewegungen nach den Fenstern des Saales emporschauten. Zu gleicher Zeit öffnete sich die mittlere Thüre und der Amtsgenosse Oppenheims, Bürgermeister Heinz Sterren, mit sämmtlichen Rathsmannen, von denen die eine Hälfte aus Patriziern, die andere aus Zunftgenossen bestand, erschienen mit den Merkmalen großer Aufregung im Saale. Ihnen nach drängte eine bunte Menge, alle Thüren thaten sich auf, und nach einigen Minuten war der weitgedehnte Raum dicht mit Bürgern besetzt.

Die überraschten Zunftmeister sahen das Einströmen der Menge, die Tausende vor dem Rathhause, und blickten sich verwundert und betroffen an.

»Was soll dies bedeuten? Was ist vorgefallen? Ein leibhaftiger Auflauf!« riefen die Bestürzten.

Auch die vereinzelten Rufe aus der Masse vor dem Rathhause: »Es ist nicht wahr, – falsche Mär, – dort steht ja Herr Hartmann!« machte die Erscheinung nicht klar.

Und er, welcher den Schlüssel für das Räthsel dieses plötzlichen Zusammenlaufes besaß, Herr Hartmann, stand ängstlich bewegt in einer Fensternische, betroffen der weiteren Entwickelung harrend.


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