Vicente Blasco Ibañez
Die blutige Arena
Vicente Blasco Ibañez

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IV

Zu den verschiedenen Motiven, welche Gallardo veranlassten, so stolz auf sich zu sein, gesellte sich noch die Genugtuung befriedigter Eitelkeit. Wenn er mit dem Marquis de Moraima sprach, geschah es fast mit kindlicher Zuneigung. Dieser Mann, der wie ein Bauer oder Viehhüter daherkam, war eine hohe Persönlichkeit, welche mit ordensbedeckter, Goldgestickter Uniform im königlichen Palast einherstolzieren konnte. Seine Urahnen waren mit dem Fürsten, der die Mauren vertrieben hatte, nach Sevilla gekommen und als Lohn für ihre Dienste wurden ihnen unermeßliche Gebiete überlassen, deren Reste eben in jenen weiten Grassteppen bestanden, auf denen nun die Stiere des Marquis weideten. Seine nächsten Vorfahren waren Freunde und Ratgeber der Monarchen geworden und hatten bei Hofe einen großen Teil ihres Vermögens verschwendet. Und dieser große Señor, der trotz der Ungebundenheit seines Landlebens den Adel seiner Herkunft bewahrte, war für Gallardo sozusagen ein naher Verwandter.

Der Sohn des Schusters empfand bei diesem Gedanken den gleichen Stolz, als wäre er tatsächlich in die alte Adelsfamilie eingetreten. Der Marquis de Moraima war sein Onkel, und obgleich er ihn öffentlich nicht so anreden durfte und die Schwägerschaft nicht beglaubigt war, tröstete er sich bei dem Gedanken an die Herrschaft, welche er über eine Frau der Familie ausübte, und dies vermöge einer Liebelei, welche sich über Formen und Vorurteile hinwegzusetzen pflegte. Ferner gehörten alle jene Herren, welche ihn früher mit jener herablassenden Vertraulichkeit, mit der die hoch stehenden Gönner die Toreros behandelten, aufgenommen hatten, zu dieser Verwandtschaft und er gewöhnte sich daran, sie als seinesgleichen zu betrachten und ihnen mit gleicher Vertraulichkeit wie Doña Sol entgegenzukommen.

Seine Lebensart und seine Gewohnheiten hatten sich gründlich verändert. Er kam nur selten in die Kaffeehäuser der Sierpesstraße, wo sich die Freunde der Stierkämpfer vereinigten. Es waren brave, biedere Leute voll Begeisterung, jedoch von geringer Bedeutung für das große Leben: kleine Kaufleute, Handwerker, welche sich selbständig gemacht hatten, Geschäftsleute, ohne festen Verdienst und nur für die Stiergefechte Interesse zeigend. Gallardo ging an den Spiegelscheiben der Kaffeehäuser vorbei und grüßte seine Bewunderer, welche ihn mit hastigen Handbewegungen aufforderten, einzutreten. Doch er schritt weiter, um einen aristokratischen Klub in derselben Straße aufzusuchen, wo gallonierte Diener in einem goethischen Saale auf schwerem Silbergeschirr die Gäste bedienten.

Der Sohn der Frau Angustia empfand jedes Mal die Freude befriedigter Eitelkeit, wenn er die Reihen der Bedienten, die in ihrer schwarzen Livree ernst und feierlich dastanden, durchschritt. Es gefiel ihm, mit so viel vornehmen Leuten zusammenzukommen. Die jungen Klubmitglieder sprachen von Pferden oder Frauen und erstatteten sich gegenseitig Bericht über alle Ehrenhändel in Spanien. Ein Salon diente als Fechtboden, in einem anderen Saale spielte man vom frühen Morgen bis spät in die Nacht. Man duldete Gallardo als eine Besonderheit des Klubs, denn er war ein »anständiger« Torero, er kleidete sich elegant, gab Geld aus und unterhielt gute Beziehungen.

Die sympathische und wohlbekannte Persönlichkeit seines Vertreters Don José diente dem Torero in seinem neuen Leben als Bürge und Empfehlung. Von nun an wusste es Gallardo mit der Schlauheit eines ehemaligen Gassenjungen so einzurichten, dass diese jeunesse dorée, unter welcher er noch einige Dutzend »Verwandte« traf, zu ihm kam.

Er zahlte viel, denn das war das beste Mittel, mit seiner neuen Verwandtschaft in Beziehungen zu bleiben und seine Verbindungen zu erweitern. Er spielte und verlor mit dem Pech eines Mannes, der in anderen Unternehmungen Glück hat, verbrachte Nächte im »Verbrecherkeller«, wie man den Spielsaal nannte, doch gewann er nur selten. Sein andauerndes Unglück im Spiel war für den Klub ein Anlaß, sich mit seinem neuen Schüler zu brüsten.

»Heute Nacht hat man Gallardo wieder ganz gehörig gerupft«, pflegten seine Mitspieler zu sagen, »er verlor mindestens 10 000 Peseta.«

Und der Ruf, diese Summen verspielt zu haben, sowie die Leichtigkeit, mit der er das Geld ausgab, verschaffte ihm unter seinen jetzigen Freunden die gebührende Achtung, da sie in ihm einen Anhänger und Förderer des Spieles sahen.

Die neue Leidenschaft hatte den Torero in kürzester Zeit vollständig ergriffen. Die Spielwut beherrschte ihn derart, daß er zeitweise sogar die Frau vergaß, die doch für ihn das interessanteste Problem bedeutete. Mit der besten Gesellschaft Sevillas hasardieren zu können, sich als ebenbürtig und mit gleicher Vertraulichkeit, welche das Geldverleihen und die Aufregungen des Spieles schnell ermöglichen, von den vornehmsten Herren Sevillas behandelt zu sehen, das alles berauschte ihn und umgab ihn mit neuem Nimbus.

Die Freunde des Vertreters fragten diesen, ob die Spielverluste Gallardo nicht zu Grunde richteten, da doch alles, was ihm sein Beruf einbrachte, im Spiel zerrann. Doch Don Jose lächelte nur mitleidig über solche Worte und trug dadurch nicht wenig dazu bei, die Achtung vor dem Torero zu erhöhen.

Don Jose betrachtete die von aller Welt bewunderte Leichtigkeit, mit der Gallardo sein Geld verlor, als eine weitere Errungenschaft seines Schützlings. Ein Stierfechter konnte nicht so leben, wie die übrigen Leute, welche jeden Dollar umdrehen, ehe sie ihn ausgeben. Außerdem schmeichelte es ihm, als wäre es sein eigenes Verdienst, Gallardo in Kreisen verkehren zu sehen, welche für andere verschlossen blieben. »Er ist der Mann des Tages,« erwiderte er mit kampflustiger Miene den Nörglern, welche die neuen Gewohnheiten Gallardos bekrittelten, »er läuft nicht mit den Weibern herum oder sitzt, wie andere seines Berufes, in der Schenke. Er ist der Torero der Aristokratie, weil er es sein will und kann. Alles übrige ist nur neidisches Geschwätz.«

Infolge seiner neuen Verpflichtungen besuchte Gallardo nicht nur den Klub, er verbrachte auch einige Nachmittage in der Gesellschaft der »Cuarenta y cinco« (Gesellschaft der Fünfundvierzig), welche eine Art Senat der Stierfechterkünste vorstellte. Die Toreros erhielten nur selten Zutritt in die Salons dieser Vereinigung und so blieben die Herren ungestört, ihre Grundsätze und Regeln, nach denen sie die Stiergefechte beurteilten, festzusetzen.

Während des Frühlings und des Sommers trafen sich die Klubmitglieder der »Fünfundvierzig« in der Halle ihres Hauses oder erwarteten, in Stühlen sitzend, Telegramme über den Ausgang der Stierkämpfe. Sie legten wenig Wert auf die Meinung der Presse, außerdem hatten sie ja die Nachrichten früher erfahren, ehe sie in die Blätter kamen. Gegen Abend langten die Nachrichten aus allen Städten der Halbinsel, wo Stiergefechte abgehalten wurden, ein und die Klubfreunde besprachen, nachdem sie in ernster Stille den Wortlaut der Depesche vernommen haben, unter allerlei Vermutungen den kurzen Inhalt des Gehörten.

Der Vertreter Gallardos paßte mit seinem draufgängerischen und lärmendem Enthusiasmus nicht recht in den gemessenen Ton der Vereinigung hinein. Doch da er ein alter Freund war, sagten sie nichts und lächelten nur über seine Eigenheiten. Es war für diese Männer unmöglich, mit Don José über die Tüchtigkeit der einzelnen Stierkämpfer zu sprechen. Oft blickten sie, wenn sie Gallardo als tapferen, aber stillosen Draufgänger bezeichneten, furchtsam nach der Tür. »Pepe kommt«, sagten sie und die Unterhaltung brach ab. Und dann trat Pepe ein und schwenkte ein Telegramm über seinem Haupte.

»Habt Ihr Nachricht aus Santander? Hier leset: ›Gallardo, 2 Degenstöße, 2 Stiere, beim zweiten das Ohr.‹ Nun, was sagt Ihr? Ein Kerl, wie man ihn nicht mehr findet.«

Oft wies das Telegramm der »Fünfundvierzig« einen anderen Wortlaut auf als das seine, doch er ließ sich kaum herab, einen verachtungsvollen Blick hineinzuwerfen und brach sogleich in lärmende Kundgebungen aus: »Lüge, alles falsch. Nur mein Telegramm ist richtig.«

Allein die anderen lachten über Don José, wobei sie mit dem Finger auf die Stirne deuteten, um seinen Spleen anzuzeigen, während sie gleichzeitig über den Torero und seinen Vertreter Scherze austauschten.

Langsam gelang es Don José, Gallardo in die Gesellschaft der »Fünfundvierzig« einzuführen. Der Torero kam unter dem Vorwand, seinen Vertreter sprechen zu wollen und setzte sich schließlich zu jenen Herren, von denen viele nicht seine Freunde waren und deren manche einen seiner Rivalen begünstigten.

Die Ausschmückung des Hauses verriet Charakter, wie Don José zu sagen pflegte: Säulen auf hohen Sockeln, die mit arabischen Porzellanfliesen verziert waren, auf den Wänden sah man zahlreiche Plakate früherer Stierkämpfe, ferner die Schädel von Stieren, welche durch die von ihnen getöteten Pferde oder durch die Erinnerung an den Tod eines hervorragenden Toreros eine traurige Berühmtheit erlangt hatten, Mäntel und Degen von Stierfechtern, welche diese Stücke zum Andenken zurückgelassen hatten, als sie ihren Beruf aufgaben.

Die Diener waren im Frack. Wenn aber in der Karwoche oder an großen Festen von Sevilla die Freunde der Stierfechtkunst aus anderen Städten Spaniens zum Besuch der »Fünfundvierzig« eintrafen, ging die in rotgelbe Livree gekleidete Dienerschaft in Kniehosen und weißen Perrücken herum und würdevoll, wie Lakaien des königlichen Hauses, brachten sie ihren Gästen, von denen viele Kragen und Kravatte abgelegt hatten, die vollen Weinkörbe an den Tisch.

Wenn dann am Nachmittag der Vorsitzende der Gesellschaft, der edle Marquis de Moraima, kam, da saßen die Mitglieder im Halbkreis in bequemen Lehnstühlen um den berühmten Viehzüchter, dessen Fauteuil auf einer kleinen Erhöhung stand, von der er die Konversation leitete.

Diese begann immer mit dem Wetter. Der Marquis teilte seine Erfahrungen mit, die er auf seinen endlosen Ritten über die unübersehbare andalusische Tiefebene gesammelt hatte.

Doch wenn die Sorge um die Witterung nicht ihr Gespräch beherrschte, so plauderten sie über das Vieh und natürlich über die Stiere, von denen sie mit solcher Wärme sprachen, als wenn sie mit ihnen durch Bande der Verwandtschaft verbunden wären. Die anderen hörten achtungsvoll auf die Bemerkungen des Marquis und jene Klubmitglieder, welche die Stadt bewohnten, bewunderten ihn, da er es verstand, so tüchtige Bullen heranzuziehen. Und was wußte er nicht alles. Er zeigte sich durchdrungen von der Größe seiner Aufgabe, wenn er über die Sorgfalt sprach, welche die Stiere erforderten. Von 10 Tieren war eines für den Kampf geeignet. Wenn es sich unter dem Eisen der Wurflanze mutig und angriffslustig zeigte, konnte es für die Arena in Betracht kommen und mit aller Sorgfalt aufgezogen werden. Und was das für eine zeitraubende Pflege erforderte! Man mußte sich jeden Augenblick bereit halten, auf Futter und Wasser achten und bei jedem Temperaturwechsel einen anderen Platz aufsuchen. Diese Wartung kostete mehr, als der Unterhalt einer Familie und bis zum letzten Augenblicke hieß es, auf dem Posten zu sein, dem Tiere die Form zu bewahren, daß es der Zucht Ehre mache.

Der Marquis hatte sich in mehreren Städten mit den Unternehmern und Behörden zerstritten, da er sich weigerte, ihnen seine Stiere abzulassen, wenn die Musik während der Veranstaltung spielte. Der Lärm der Instrumente erschreckte die edlen Tiere und brachte sie um ihre Ruhe und ihren Mut, sobald sie in das Rondell sprangen.

»Sie sind gerade so wie wir,« sagte er ernst, »es fehlt ihnen nur die Sprache und manche sind mehr wert als ein Mensch.«

Und dann erzählte er von einem alten Stier, Lobito genannt, und erklärte, daß er ihn nicht für ganz Sevilla verkaufe. Wenn er während seiner Ritte über die weiten Grasheiden in seine Nähe kam, genügte der Ruf »Lobito«, um die Aufmerksamkeit des Tieres zu erregen. Der Stier verließ sofort seine Gefährten, lief dem Marquis entgegen und rieb sein Maul an den Stiefeln des Reiters. Dabei war er ein Riese an Gestalt und Kraft, so daß sich alle anderen Tiere respektvoll von ihm fernhielten.

Der Marquis stieg vom Pferde, zog aus seiner Tasche ein Stück Schokolade und gab es dem Stier, der voll Behagen den mit zwei gewaltigen Hörnern bewehrten Kopf vorstreckte. Der Marquis ging, einen Arm um den Hals des Tieres geschlungen, langsam weiter und mischte sich in die Schar der Stiere, welche infolge der Gegenwart des Menschen unruhig hin- und hertrotteten. Doch der Alte hatte keine Angst. Lobito, der wie ein Hund neben ihm daher Schritt, schützte ihn mit seinem Körper und blickte nach allen Seiten herum, als wollte er den Gefährten mit seinen flammenden Augen Furcht einjagen. Wenn einer, der kühner war, als die anderen, den Marquis angehen wollte, da streckten sich ihm die gewaltigen Hörner drohend entgegen. Wenn sich mehrere zusammenschlössen und den Weg versperrten, senkte Lobito sein bewehrtes Haupt und bahnte sich so seinen Weg.

Eine Bewegung der Begeisterung und der Rührung huschte über das Gesicht des Marquis, wenn er die Taten seiner Stiere, die er aufgezogen hatte, erzählte.

Dann zeigte er eine große Photographie, die ihn, noch bedeutend jünger, inmitten einer Schar von kleinen, weißgekleideten Mädchen darstellte. Alle saßen auf einem schwarzen Ungetüm, das zwei lange Hörner erkennen ließ. Diese gewaltige Bank war ein Stier seiner Zucht, namens »Coronel«. Wild und störrisch gegen seine Gefährten, zeigte er eine zärtliche Unterwürfigkeit für den Marquis und seine Familie. Er zeigte die Abneigung der Hofhunde gegen Fremde, während die Hauskinder sie an dem Schwanz und an den Ohren ziehen und ungestraft alle Tollheiten mit ihnen ausführen können. Der Marquis führte seine Töchter, die sich furchtsam an ihren Vater anhielten, zu dem Tier und dieses beschnüffelte die weißen Kleidchen der Kleinen, die plötzlich mit dem Wagemut der Jugend seine Schnauze streichelten und ihm zuriefen: »Leg dich, Coronel!« Das Tier ließ sich sofort auf seine Vorderfüße nieder und die Familie setzte sich auf seine Flanke, welche unter dem »Ru-Ru« seiner tiefen Atmung wie ein Blasebalg auf- und niederging. Nach langem Schwanken verkaufte ihn der Marquis eines Tages an den Zirkus in Pampelona und schaute dem Kampfe zu. Sein ganzes Leben hatte er keinen solchen Stier gesehen. Er sprang munter in die Arena und blieb in deren Mitte, geblendet nach dem langen Aufenthalte in dem finsteren Stalle und verdutzt über das Gesumme der vielen tausend Zuschauer, wie erstarrt stehen. Doch als ihm ein Picador die Lanze in den Rücken geschleudert hatte, schien er den ganzen Platz mit seiner Wildheit zu beherrschen.

Für ihn gab es weder Menschen noch Tiere oder sonst ein Hindernis. In einem Augenblick warf er alle Pferde nieder und schleuderte die Picadores in die Luft. Die Stallknechte liefen davon, das Publikum verlangte nach neuen Pferden und Coronel, inmitten seiner Opfer stehend, wartete, daß sich jemand nähere, um ihn in die Luft zu werfen. »So etwas an Stolz und Kraft wird man niemals mehr sehen. Man brauchte ihm nur zuzurufen und er eilte mit solch edler Haltung und Bereitwilligkeit herzu, dass das Publikum ganz außer Rand und Band geriet. Als er endlich den Todesstoß erhalten sollte, war er trotz der Lanzenstiche noch so frisch und so stark, als wäre er gerade von der Weide gekommen. Damals ...«

Wenn der alte Herr zu diesem Punkte gelangte, hielt er immer inne, um seine Stimme, die zitterte, zu kräftigen. . Damals sah sich der Marquis de Moraima, ohne zu wissen wie, plötzlich hinter der Barriere, zwischen den Stallburschen, welche in den Wechselfällen des aufregenden Kampfes ganz kopflos hin- und herliefen. Vor sich erblickte er den Torero, der langsam und ruhig seine Muleta vorbereitete, als wollte er den Augenblick hinausschieben, wo er sich mit einem so gewaltigen Gegner messen mußte.

»Coronel!« rief der Marquis und lehnte sich mit dem Oberkörper über die Barriere.

Das Tier regte sich nicht, hob aber den Kopf, als ob es sich bei diesem Ruf an ein fernes Land erinnerte, das er nicht mehr sehen sollte. »Coronel!« Da wandte er den Kopf und sah einen Mann, der ihm von der Barriere aus zurief, und nun lief er gerade auf ihn zu. Doch mitten im Laufen wurde sein Schritt langsamer und er näherte sich behutsam den Sitzen, bis seine Hörner die ihm entgegengestreckte Hand berührten. Er kam mit einer blutüberströmten Brust und seinen Wunden, welche die Muskeln bloßgelegt hatten. »Coronel, mein braver Kerl.« Und der Stier hob, als ob er diese liebkosenden Worte verstanden hätte, sein Maul und benetzte mit seinem Speichel die Hand des Marquis. »Warum hast du mich hieher gebracht?« schienen seine blutunterlaufenen Augen zu fragen. Und ohne zu wissen, was er tat, küßte der Alte die feuchten Nüstern des Tieres.

»Laßt ihn leben!« rief irgendeine mitleidige Seele von den Tribünen herab, und als ob diese Worte die Gefühle aller Zuschauer wiedergaben, fielen tausende von Stimmen in diesen Ruf ein, während sich gleichzeitig unzählige Taschentücher wie weiße Tauben in der Luft bewegten. »Laßt ihn leben!« In diesem Augenblicke verzichtete die Menge auf ihr Vergnügen, ja sie verabscheute sogar den wertlosen Wagemut des Torero und dessen prahlerische Geberden. Alle bewunderten die Kraft des Tieres und fühlten sich ihm unterlegen, da sie erkannten, daß unter so viel tausend denkenden Wesen gerade von diesem armen Tiere das Gefühl edlerer Regung und Empfindsamkeit betätigt worden war.

»Er kam zu mir,« sagte der Marquis, »ich gab dem Impresario seine 2000 Pesetas zurück. Ich hätte ihm mein ganzes Gut gegeben. Coronel sollte ein friedliches Alter haben. Doch was tüchtig ist, hält sich nicht lange in dieser Welt. Ein Stier tötete ihn heimtückischerweise mit einem Hornstoß.«

Der Marquis und seine Gefährten wandten nach dieser rührenden Episode ihr Gespräch wieder anderen Fragen zu. Man mußte sie hören, mit welcher Verachtung sie über die Feinde der Stierkämpfe sprachen ... Sie ereiferten sich über die dummen Ansichten der Fremden und Ignoranten, welche die Tiere nur nach den Hörnern unterschieden und einen schlechten Ochsen genau so hoch einschätzten wie ein Tier, das für die Arena bestimmt war. Der spanische Stier ist der stärkste in der Welt. Und sie erzählten sich zahlreiche Kämpfe zwischen Stieren und Jaguaren, welche bei diesen Anlässen immer der Kraft ihres Gegners unterliegen mußten.

Der Marquis lächelte, wenn er sich an andere Stücke seiner Tiere erinnerte. Man veranstaltete in einer Stadt den Kampf eines Stieres gegen einen Löwen und einen Tiger. Er entsandte zu diesem Schauspiel einen tückischen Stier namens Barrabas, den er abgesondert hielt, da er alle seine Gefährten mit Hornstößen verwundet und viele Rinder getötet hatte.

»Ich sehe alles noch deutlich vor mir,« sagte der Marquis, »in der Mitte des Zirkus stand ein großer, eiserner Käfig, in welchem Barrabas gefangen gehalten wurde. Man ließ zunächst den Löwen los und das verdammte Tier springt, die Unerfahrenheit des Stieres benützend, auf seinen Rücken und bearbeitet ihn mit den Zähnen und Krallen. Barrabas tollte wie wütend herum, um ihn abzuschütteln und ihn vor die Hörner zu bekommen. Endlich gelang es ihm, den Löwen von vorne zu erwischen und, guter Gott, ein Wollknäuel war nichts dagegen. Er schleuderte ihn wie eine Strohpuppe von einem Horn aufs andere, bis er ihn endlich verächtlich in eine Ecke warf, wo der »sogenannte« König der Tiere wie eine geprügelte Katze liegen blieb. Und dann kam der Tiger und nun war die Sache noch kürzer. Kaum war er in der Arena, ging ihn Barrabas auch schon an und nahm ihn auf die Hörner. Und gleich darauf lag er in der Ecke, wo er sich wie der andere zusammenkrümmte und sich ganz klein machte.«

Unter den Mitgliedern der »Fünfundvierzig« fanden diese Erzählungen vielen Beifall. Ja, der spanische Stier, man konnte stolz sein auf ihn. In diesen freudigen Beifall mischte sich auch ein Ausdruck nationalen Stolzes, als ob die Kraft der heimischen Stiere zugleich auch die Überlegenheit der Erde und des Volkes über die andere Welt bedeutete.

Als Gallardo begann, den Klub zu besuchen, da verdrängte bald ein neues Thema die endlosen Diskussionen über Stiere und Feldarbeiten.

Im Klub der »Fünfundvierzig« sprach man, so wie in ganz Sevilla, von einem wegen seiner Grausamkeit berüchtigten Banditen, Plumitas genannt, dessen Ruhm in demselben Verhältnis wuchs, je nutzloser alle Anstrengungen waren, ihn zu fangen. Die Zeitungen erzählten seine Streiche, als wäre er ein Nationalheld. Die Regierung wurde mit Anfragen bestürmt und versprach, ihn unschädlich zu machen, ohne aber ihr Versprechen einlösen zu können. Man veranstaltete Streifungen und machte die Polizei mobil, während Plumitas, nur auf sein Gewehr und sein Pferd angewiesen, wie ein Phantom allen Nachstellungen entkam, seinen Verfolgern, wenn sie nicht zu zahlreich waren, kühn entgegentrat und von den Landleuten, welche in dem Banditen den Rächer ihrer Entbehrungen und dazu einen schnellen, ja grausamen Richter sahen, bereitwilligst unterstützt wurde. Er verlangte von den Reichen Geld und half mit der Gebärde eines Königs, der sich von einer zahllosen Zuschauermenge beobachtet sieht, hier einer armen Frau, dort einem Arbeiter, der für seine zahlreiche Familie kaum das Auskommen finden konnte. Diese edlen Handlungen wurden durch die Kommentare der Landbevölkerung, welche den Namen Plumitas jederzeit im Munde führte, vergrößert, doch wurden alle stumm, wenn die Soldaten nach ihm fragten.

Mit der Schnelligkeit eines Mannes, der das Land genau kennt, eilte er von einer Provinz in die andere und die Reichen von Sevilla mußten ebenso wie die von Cordoba ihren Tribut entrichten. Wochen vergingen, ohne daß man von dem Räuber sprach, und plötzlich zeigte er sich in einem Hofe oder kam unter völliger Verachtung jeder Gefahr in ein Dorf.

Die »Fünfundvierzig« führten genaue Berichte über ihn, als wäre er ein Torero, sie entrichteten ihm gerne ihren Beitrag und teilten ihre Nachrichten nur Freunden mit. Eine Anzeige zog alle Arten von Unannehmlichkeiten nach sich. Und warum denn? ... Die Behörden verfolgten den Banditen ohne jeden Erfolg und die Denunzianten waren seiner Rache ausgeliefert.

Der Marquis sprach von Plumitas, ohne gegen ihn Stellung zu nehmen und lächelte dazu, als ob es sich um ein natürliches und unvermeidliches Übel handelte. Er hatte auf seinen Höfen und Wirtschaften überall den Befehl erteilt, dem Räuber alles, was er forderte, zu geben. Und nach den Äußerungen seiner Pächter und Hirten sprach Plumitas mit dem alten Respekt des Landarbeiters vor seinem Brotherrn in Ausdrücken des größten Lobes über ihn, ja, er drohte sogar, jeden zu töten, der seinem alten Marquis nur das Geringste zu Leide täte. Armer Teufel! Für diese Kleinigkeit, ihm den Hunger zu stillen oder ihm ein Obdach zu gewähren, stand es wirklich nicht dafür, ihn zu reizen und seine Rache auf sich zu laden.

Der Marquis, der allein über die weiten Steppen ritt, auf denen seine Tiere weideten, glaubte dem Plumitas öfters begegnet zu sein, ohne ihn zu kennen. Er mußte einer jener armen Reiter sein, die er zuweilen allein traf und welche die Hand zum abgegriffenen Hute führten, während sie ihm ihr »Gott zum Gruße, Señor Marqué« zuriefen. Manchmal geriet der Marquis, wenn er so von dem Banditen sprach, mit Gallardo in Gegensatz, da sich der Torero voll Entrüstung gegen die Behörden wandte, welche das Eigentum nicht schützen konnten.

»Eines schönen Tages wird er sich in La Rinconada einfinden«, sagte der Marquis mit ernster Stimme.

»Zum Teufel, das fehlte mir noch, Herr Marquis. Und dafür zahlt man so viel Steuern?«

Nein, es war ihm gar nicht darum zu tun, bei seinen Ausflügen nach La Rinconada mit dem Banditen zusammenzutreffen. Er war ein tapferer Torero und setzte sein Leben aufs Spiel, um sein Brot zu verdienen. Doch jene Leute, welche sozusagen berufsmäßig ihre Mitmenschen töteten, flößten ihm jenes Gefühl ein, das er vor allem empfand, was ihm unbekannt und unverständlich war.

Gallardo hatte seine Familie auf den Hof gebracht und versprach nachzukommen, doch schob er diesen Zeitpunkt durch alle möglichen Ausflüchte immer wieder hinaus. Er blieb mit Garabato allein in der Stadt und hatte so volle Freiheit, seine Beziehungen zu Doña Sol fortzusetzen. Diese Zeit war für ihn die schönste seines Lebens, manchmal vergaß er sogar auf La Rinconada und seine Bewohner.

Doña Sol liebte es, über die weiten Steppen zu jagen und der Torero ritt in seinem pittoresken Kostüm an ihrer Seite, manchmal begleitete sie Don José, der durch seine Gegenwart das Gerede, das durch diese Offensichtlichkeit ihrer Beziehungen entstand, zu beschwichtigen suchte. Sie ritten auf die bei Sevilla liegenden Viehhöfe, um das gefährliche Spiel mit den jungen Stieren zu versuchen und Doña Sol, welche sich für jede Gefahr entflammte, geriet immer mehr in Feuer, wenn ein junger Stier, statt zu fliehen, sich gegen sie wandte, nachdem er den Stich der Lanze gespürt hatte. Und nicht selten geschah es, daß Gallardo ihr zu Hilfe kommen mußte. Dann begaben sie sich wieder zur Station Empalme, wenn sie erfahren hatten, daß man Stiere für irgend eine Veranstaltung in Spanien verschicken wollte.

Doña Sol betrachtete diesen Ort, welcher der wichtigste Mittelpunkt der für diese Zwecke in Betracht kommenden Frachten war, mit begreiflicher Neugier. Unmittelbar neben der Bahn lagen ausgedehnte Fenzen, gewaltige, graue, mit Türen versehene Holzkäfige auf Rädern standen in langen Reihen und warteten auf die Zeit, ihre lebendige Fracht fortzuführen. Diese Käfige waren schon durch ganz Spanien gefahren und hatten in ihrem Innern so manchen Stier in die fernsten Plätze gebracht. Menschliche Klugheit und Geschicklichkeit hatten es schnell ermöglicht, diese an die Freiheit gewöhnten Tiere wie eine Ware zu verschicken. Die Stiere, welche befördert werden sollten, wurden auf einer engen und staubigen Straße zwischen zwei mit Stacheln versehenen Drahtgeflechten durchgetrieben. Wenn sie zur Station kamen, hetzte man sie zur schärfsten Gangart an, um sie so leichter täuschen zu können.

Vorne gallopierten die Treiber und Hirten mit der Lanze und hinterher liefen die Leitstiere, welche die Reiter mit ihren gewaltigen Hörnern vor der nachfolgenden Herde schützten. Nach ihnen kamen die zum Verladen bestimmten Tiere, rechts und links von zahmen Kameraden eskortiert, um einen Ausbruch nach der Seite hin zu verhindern, was die Hirten mit ihren Schleudern, aus denen sie jedes Tier, welches ausbrechen wollte, sicher und schnell trafen, ebenfalls unmöglich machten.

Vor dem Gehege schwenkten die vorderen Reiter ab und die ganze Herde stürzte sich als eine Lawine von Staub mit Getöse und Gebrüll, unter dem Getöne der Viehschellen, in das Gehege, dessen Türe sich sogleich hinter dem letzten Tiere schloß. Von den Mauern herunter schrien die Leute auf die Herde ein oder schwenkten die Hüte, sodaß die Schar der erregten Stiere nur noch wilder wurde. Sie durchliefen den ersten Hof, ohne sich ihrer Gefangenschaft bewußt zu werden. Die Leitstiere, welche durch Erfahrung und Dressur abgerichtet waren, hielten sich, nachdem sie die Türe passiert hatten, zur Seite und ließen den ganzen Wirbelsturm vorüberlaufen. Im zweiten Hof kam die Herde vor der starken Mauer und der geschlossenen Türe zum Stillstand.

Dann begann das Verladen. Die Stiere wurden, einer nach dem anderen, durch Schwenken mit Tüchern, durch Geschrei und Schläge bis zu einem Gang getrieben, in dessen Mitte der Wagen mit seinen beiden offenen Türen stand. Es war sozusagen ein kleiner Tunnel, durch den hindurch man die anderen Höfe mit ihrem grünen Rasen und den ruhig weidenden Leitstieren sah. All das war ein Bild einer Weide, welche das furchtsame Wild anlocken sollte. Dieses bewegte sich langsam in der Enge weiter, als witterte es die Gefahr, und setzte nur zögernd den Fuß auf die Rampe, welche den Höhenunterschied zwischen dem Wagen und dem Hof überbrückte. Der Stier ahnte irgend eine Gefahr in diesem engen Tunnel, der sich ihm als aufsteigende Straße zeigte. Auf seinem Rücken spürte er die Stiche, welche ihn vorwärts trieben, ober sich sah er die Leute, welche ihn mit Händeklatschen und Pfeifen anfeuerten. Vom Wagendach, wo sich die Zimmerleute versteckt hielten, um die Tür herabfallen zu lassen, hing ein rotes Tuch herunter und flatterte im Sonnenlicht, das der Türausschnitt des Wagens hereinfallen ließ. Die Stiche, welche ihn vorwärts trieben, das Geschrei, die unförmige Masse des Wagens, welche sich vor seinen Augen erhob und der Anblick seiner ruhig weidenden Gefährten jenseits der Tür ließen den Stier endlich zu einer Entscheidung kommen. Er wagte einen Anlauf, um den kleinen Tunnel zu durchqueren, doch kaum betrat er die Rampe, fiel die vordere Tür herab, und ehe er sich wenden konnte, hatte sich auch die rückwärtige geschlossen.

Das Geklirr der Schlösser ertönte und das Tier fand sich plötzlich in Finsternis und Schweigen gefangen, eingesperrt in einem engen Raum, der ihm nur die Bewegung nach oben auf seine Füße erlaubte. Durch eine Falltüre im Dach fiel ihm sein Futter herab, man setzte den Käfig auf seinen kleinen Rädern in Bewegung und schob ihn an das Geleise, und nun wiederholte sich das Spiel, bis alle Stiere bereit waren, die Reise zu ihren Kampfplätzen anzutreten.

Bei ihrem Bestreben, überall das Lokalkolorit aufzusuchen, betrachtete Doña Sol diese Vorgänge mit regstem Interesse und versuchte, es den Treibern und Hirten gleichzutun. Dieses Herumjagen im Freien gefiel ihr, wenn sie so über die weiten Flächen gallopierte und hinter sich die spitzigen Hörner der Stiere wußte, welche ihr mit einer kleinen Bewegung ihres Hauptes den Tod geben konnten. In ihrer Seele glühte die Leidenschaft für das freie, ungebundene Leben, eine Sehnsucht, welche wir alle als Erbteil aus der Zeit unserer Ahnen herübernahmen, als die Menschen noch nicht die Bodenschätze heben konnten und von dem Ertrag ihrer Viehherden leben mußten. Hirte zu sein, jedoch ein Hirt freier und wilder Tiere, galt in den Augen der Dona Sol für eine der interessantesten und heldenhaftesten Betätigungen menschlicher Kraft. Gallardo, der aus seinem Glücksrausch erwacht war, betrachtete seine Geliebte in den Stunden der größten Vertraulichkeit oft voll Staunen und fragte sich, ob die Frauen der großen Welt wohl alle ihr glichen.

Ihre Launen, ihre Charakterzüge setzten ihn in Verwirrung. Er traute sich nicht, sie zu duzen. Sie hatte ihn niemals zu solcher Vertraulichkeit ermutigt, und als er es einmal versuchen wollte, wurde ihm die Zunge schwer und seine Stimme begann zu zittern, da er in ihren Augen einen so fremden, abweisenden Ausdruck bemerkt hatte, daß er voll Scheu innehielt und die früheren Schranken respektierte. Sie dagegen duzte ihn, so wie es die adeligen Gönner und Bekannten des Torero taten. Doch das geschah nur in vertrauten Stunden, wenn sie ihm eine Karte schreiben mußte, um ihm mitzuteilen, nicht zu ihr zu kommen, da sie mit Verwandten ausfahren müsse, sprach sie ihn mit »Sie« an und gebrauchte nur Wendungen, wie sie bei aller Freundlichkeit immerhin im Verkehre von höherstehenden Personen zu solchen niedrigeren Standes gebräuchlich sind.

Auch andere Eigenheiten der großen Dame trugen dazu bei, den Torero über seine Liebe nicht froh werden zu lassen. Nicht zumindest die Tatsache, daß ihm manchmal bei seinen Besuchen einer der Diener mit seinem mokantesten Lächeln die Tür verstellte und ihm sagte, Doña Sol sei ausgegangen. Und er wußte, daß der Bursche log, er fühlte sie in der nächsten Nähe an der anderen Seite der Tür oder des Vorhanges. Sie war ohne Zweifel müde oder fühlte plötzlich eine Abneigung gegen ihn, sodaß sie ihrem Diener befohlen hatte, ihn nicht vorzulassen.

Doch wenn er wieder kam, empfand er Gewissensbisse, an diese Möglichkeit gedacht zu haben. Denn sie empfing ihn mit ausgestreckten Armen und preßte ihn an ihren weißen, festen Busen, ihr Mund verriet durch das Zucken der Lippen die stummen Wünsche ihres Begehrens und ihre großen Augen schienen durch ihren seltsamen Schimmer ihre zügellosen Gedanken zu verraten.

»Warum parfümierst du dich?«, schalt sie ihn, als ob sie die widerlichsten Gerüche verspürte, »das ist deiner nicht würdig. Ich will den Geruch der Stiere und Pferde an dir spüren. Das ist doch ganz etwas anderes. Behagt er dir nicht? Sag doch ja, mein lieber Wolf!«

Eine Nacht empfand Gallardo im süßen Halbschatten von Doña Sols Schlafzimmer eine gewisse Furcht, als er sie so sprechen hörte und ihre Augen sah.

»Ich möchte ein Stier sein und du müßtest dich mit dem Degen vor mich stellen. Ich würde dich mit den Hörnern stoßen, hierher, dorthin.«

Und mit geballten Fäusten, denen ihre Nervenspannung neue Kraft verlieh, schlug sie mit wütenden Stößen auf den Torero los. Gallardo warf sich auf die Seite, da er nicht eingestehen wollte, daß ihm eine Frau Schmerzen bereiten konnte.

»Nein, ich möchte kein Stier sein. Vielmehr ein Hund. Ein Wolfshund mit solchen Fangzähnen ... Ich würde dich anfallen und zerreißen ... Seht doch jenen Prahler, der Stiere tötet und so stark sein soll ... Und ich zerreiße ihn, ha, ha ...«

Und mit hysterischer Lust grub sie ihre Zähne in den Arm des Torero, der seine Muskeln voll Schmerz aufschwellen fühlte. Er stieß einen Fluch aus und machte sich aus der Umarmung der schönen, halbnackten Frau los, die in ihrem Goldgelock einer trunkenen Bacchantin glich.

Doña Sol schien ihre Aufwallung zu bereuen.

»Du Armer, habe ich dir Schmerzen verursacht? Ich bin manchmal verrückt. Laß mich deine Wunde küssen, um sie zu heilen. Laß mich diese süßen Narben liebkosen. Wie böse bin ich doch, dir wehe getan zu haben.«

Und die schöne Wildkatze wurde sanft und zart und umschmeichelte den Torero mit weichen Gebärden.

Gallardo, welcher unter der Liebe die Gunstbezeugung ehelicher Rechte verstand, verbrachte niemals eine ganze Nacht im Hause der Doña Sol. Wenn er sie durch seine Liebkosungen unterworfen glaubte, richtete sie plötzlich wieder die alten Schranken zwischen ihnen auf.

»Geh, ich will allein bleiben. Du weißt, daß ich dich nicht festhalten kann. Weder dich, noch sonst jemanden. Pfui, diese Männer!«

Und Gallardo zog sich, gedemütigt und traurig über die Launen dieser Frau, fluchtartig zurück.

Als sie der Torero eines Abends zugänglicher fand, wagte er die neugierige Frage, sie über ihre Vergangenheit auszufragen. Er wollte die Könige und andere Persönlichkeiten, die, wie man sagte, in das Leben der Doña Sol getreten waren, kennen lernen.

Sie antwortete seiner Neugier mit einem kalten Blick ihrer hellen Augen.

»Was schert dich das? Bist du etwa eifersüchtig? Und wenn es wahr wäre, was kümmert es dich?«

Sie blieb längere Zeit stumm und schaute leeren Blickes vor sich hin, mit jenem starren Ausdruck, der bei ihr immer von seltsamen Einfällen begleitet war.

»Du mußt doch die Weiber oft geprügelt haben,« sagte sie, ihn mit Neugierde anblickend, »leugne es nicht, das interessiert mich sehr ... Deine Frau, nein, ach nein, ich weiß, daß sie gut ist. Ich spreche von den anderen Frauen, die ihr so, wie es Stierkämpfern zukommt behandelt, Frauen, welche euch um so mehr lieben, je mehr ihr sie prügelt. Nicht? Hast du noch niemals geprügelt?«

Gallardo protestierte mit der Würde des Mannes, der unfähig ist, anderen, die nicht so stark sind wie er, etwas anzutun. Doña Sol zeigte sich über seine Erklärung ein wenig enttäuscht.

»Eines Tages wirst du mich schlagen, ich will das kennen lernen«, sagte sie entschlossen. Ihr Gesicht verfinsterte sich, ihre Augenbrauen berührten sich und ein bläulicher Blitz belebte den Goldglanz ihrer Pupillen. »Doch nein, mein Freund, tue es lieber nicht, du würdest unterliegen.«

Der Rat war gut und Gallardo hatte Gelegenheit, sich daran zu erinnern. Eines Tages entfesselte im Augenblicke ihres intimen Zusammenseins eine etwas rauhe Liebkosung seiner kampfgewohnten Hände den Zorn dieser seltsamen Frau, welche die Männer anzog und sie gleichzeitig haßte. Und ihre geballte Rechte, hart wie eine Keule, traf ihn von unten her mit solcher Sicherheit auf die Kinnbacken, daß diese Geschicklichkeit eine genaue Kenntnis des Boxkampfes verriet.

Gallardo blieb, von dem Schmerz des Schlages und seiner Beschämung übermannt, wie betäubt liegen, während Doña Sol, als würde sie das Ungewöhnliche des Geschehenen begreifen, sich mit kalter Feindseligkeit zu rechtfertigen suchte.

»Das soll dir eine Lehre für die Zukunft sein. Ich weiß, was ihr Toreros für ein Gesindel seid. Ließe ich dir freie Hand, so würdest du mich schließlich wie eine Straßendirne verprügeln ... So habe ich dich gewarnt und du kannst dich von nun an danach richten.«

Eines Abends kehrten sie, es war im Frühling, von dem Besuche einer Zucht des Marquis zurück. Dieser schlug mit den Reitern die Straße ein, während Doña Sol mit Gallardo über die Wiesen ritt und sich an dem weichen Schritt der Pferde auf dem Graskissen der unübersehbaren Steppe erfreute.

Die untergehende Sonne tauchte das Grün der Ebene in ein zartes Rot, in welchem alle Farben der fernen Baumgruppen und Gräser aufleuchteten, als wären sie von einem plötzlichen Feuer ergriffen. Die Schatten der Reiter wuchsen immer größer über den Boden hin und die Lanze, welche Gallardo trug, warf ihren Schatten bis an den Horizont. Auf der einen Seite glänzte der Fluß wie eine im Grase verborgene Stahlklinge.

Doña Sol blickte ihren Begleiter mit herrischem Ausdrucke an.

»Nimm mich um die Hüfte.«

Er gehorchte und sie ritten so, Hüfte an Hüfte und eng umschlungen, weiter. Doña Sol betrachtete ihr gemeinsames, in eine einzige Form zusammengeflossenes Schattenbild, das im langsamen Rythmus des Rittes hin- und herschwankte.

»Es scheint, wir leben in einer anderen Welt, in einer Welt der Legende,« murmelte sie, »wie man sie auf den alten Bildern oder Gobelins sieht und von der die Heldenbücher erzählen. Der Ritter und seine Dame reiten zusammen auf Abenteuer aus. Doch du verstehst nichts davon, nicht wahr?«

Der Torero lächelte, wobei er seine schönen, weißen Zähne zeigte. Und wie von neuem durch dieses offene Geständnis seiner Unwissenheit angezogen, schmiegte sie sich noch inniger an ihn und ließ das Haupt auf eine seiner Schultern fallen, während sie gleichzeitig unter dem Kitzel von Gallardos Atem, der ihren Hals voll Wärme traf, erschauerte.

So ritten sie schweigend weiter. Doña Sol schien auf den Schultern des Toreros eingeschlafen zu sein. Doch plötzlich öffneten sich ihre Augen mit jenem ungewöhnlichen Glanz, der immer der Vorläufer ihrer seltsamen Einfälle war.

»Sag, hast du noch niemanden getötet?«

Gallardo machte eine Gebärde der Überraschung und lockerte dadurch die Umarmung mit Doña Sol. Er sollte jemand getötet haben? Niemals. Er war ein guter Bursche, der es in seiner Laufbahn zu Ehren und Ansehen gebracht hatte, ohne jemandem geschadet zu haben. Manchmal war er mit einem Kameraden zusammengeraten, wenn sie unter ihresgleichen den Stärksten herausforderten. Ja, Ohrfeigen mit manchem seiner Nebenbuhler, ein Faustschlag in einem Kaffeehaus, darin bestanden seine ganzen Heldentaten. Doch das Leben seiner Mitmenschen flößte ihm eine unbesiegbare Scheu ein. Stiere, ja, das war was anderes.

»Derart hast du also niemals das Verlangen gehabt, einen Menschen zu töten? Und ich glaubte, daß die Toreros ...«

Der Schein der Sonne wurde schwächer, das Gelände verlor seine phantastische Beleuchtung, der Glanz des Flusses verlosch und die Amazone sah den Grasteppich, den sie kurz vorher so bewundert hatte, dunkel vor sich liegen. Die anderen Reiter waren weit entfernt und sie spornte ihr Roß, um sie einzuholen, ohne dem Torero ein Wort zu sagen, als würde es ihr gleichgültig sein, ob er ihr folge oder nicht.

In der Karwoche kam Gallardos Familie in die Stadt zurück. Der Torero trat in der Veranstaltung der Feiertage auf. Es war das erstemal seit ihrer Bekanntschaft, daß er sich vor Doña Sol zeigte, und dieser Gedanke beschäftigte ihn derart, daß er sogar an seinem Können zu zweifeln begann. Er machte sich nichts aus einem Unfall in einer anderen Stadt, da er ja so schnell nicht auf den gleichen Platz zurückkehren würde. Aber in seiner Heimat, wo seine größten Feinde waren! ...

»Wir werden sehen, was du kannst,« sagte der Vertreter, »denke an diejenigen, die deinetwegen kommen. Ich will, daß du als Erster deiner Zunft angesehen wirst.«

Am Karsamstag wurden spät abends die für den Kampf bestimmten Tiere verladen und Doña Sol wollte in der Schar der Treiber daran teilnehmen, da sie sich von dieser nächtlichen Jagd viel Spannendes versprach. Die Stiere sollten von Tablada in die Ställe des Zirkus gebracht werden.

Trotz seines Verlangens, Doña Sol zu begleiten, hielt sich Gallardo fern. Sein Vertreter verbot es ihm mit dem Hinweis, daß er am nächsten Tage ausgeruht und im Vollbesitze seiner Kräfte sein müßte.

Um Mitternacht war der sonst einsame Weg, der von Tablada nach dem Zirkus führte, wie eine Hauptstraße belebt. Die Fenster der Häuser erhellten sich, Schatten huschten an ihnen vorüber und bewegten sich nach dem Takte des Klavierspieles. Die offene Tür warf einen viereckigen Lichtschein auf den finsteren Boden, aus dem Innern ertönten Rufe, Lachen, Gitarrenspiel, Becherklang, woraus man ersehen konnte, daß dem Wein fleißig zugesprochen wurde.

Ungefähr um ein Uhr nachts kam ein Reiter auf der Straße dahergetrabt. Es war der Bote, welcher anzeigte, daß der Zug der Stiere in einer Viertelstunde vorbeikomme. Der Mann befahl den Leuten, die Lichter auszulöschen und sich ruhig zu verhalten.

Dieser Auftrag wurde mit größerer Achtsamkeit als irgend eine Verordnung der Behörde befolgt. Alle Häuser versanken in Finsternis, die Leute wurden stille und verteilten sich in Gruppen hinter Hecken und Bäumen. Alles war ruhig, als ob ein außergewöhnliches Ereignis eintreten sollte. In den Straßen verloschen nacheinander die Gaslaternen, in dem Maße, wie der Bote, der das Kommen des Zuges ankündete, tiefer in die Stadt eindrang.

Alles blieb in tiefster Stille. Die Sterne leuchteten in der Ruhe des Weltenraumes über den Wipfeln der Bäume. Drunten an der Erde vernahm man eine leichte Bewegung, ein andauerndes Summen, als würden die Schritte der Insekten im Schatten hörbar werden. Die Erwartung stieg immer mehr und mehr, bis endlich aus der Ferne durch das kühle Schweigen der Nacht tiefes Schellengeläute das Nahen einer Staffel anzeigte. Sie kamen, nun dauerte es nicht mehr lange.

Das Schellengeläute wurde immer lauter und war von einem Getrappel begleitet, welches den Boden erzittern ließ. Vorne kamen, so schnell als ihre Pferde laufen konnten, einige Reiter, welche in der Dunkelheit zu Riesen emporwuchsen. Es waren die Hirten. Hinter ihnen folgten, die spitzen Lanzen in der Hand, die Treiber, in ihrer Mitte Doña Sol, zitternd vor Nervenspannung über diesen wahnsinnigen Galopp in der Finsternis, in welcher ein falscher Tritt des Pferdes den Sturz und einen furchtbaren Tod unter den Hufen der nachstürmenden Stiere bedeutete.

Die Schellen läuteten immer wilder, der offene Mund der Zuschauer, welche die Finsternis verbarg, füllte sich mit Staub und wie ein Wirbelwind brauste die Herde vorüber. Die Dunkelheit verlieh den Tieren die Größe von Ungeheuern, welche wuchtig und leicht zugleich vorüberflogen und ihre Massen hin und herbewegten, ein gewaltiges Schnauben vernehmen ließen und mit den Hörnern nach ihren Schatten stießen, während sie durch die Rufe der hinter ihnen reitenden Hirten, durch das Getrappel der Pferde und die Picken der Reiter, welche sie am Ausbrechen hinderten, verwirrt und gereizt wurden.

In einem Augenblicke war dieser lärmende Zug vorübergestürmt, die Leute kamen aus ihren Verstecken hervor, zufrieden, nach so langem Warten dieses kurze Schauspiel erhascht zu haben und einige Enthusiasten liefen in der Hoffnung hinter den Reitern her, den Einzug in den Zirkus sehen zu können. Dort angelangt, wichen die Reiter nach einer Seite aus und ließen den Stieren freie Bahn. Gewohnt, den Leittieren zu folgen, stürzte sich die Masse im Schwünge ihres rasenden Laufes in den engen Gang, der zu den Gehegen führte.

Die Treiber beglückwünschten sich zu dem glücklichen Ausgang dieser Jagd. Nicht ein einziger Stier war ausgebrochen oder hatte ihnen Arbeit verursacht. Es waren Tiere bester Rasse und am nächsten Tage konnte man sich auf große Dinge gefaßt machen. Mit der Gewißheit, einem fesselnden Schauspiel entgegenzugehen, legten sich alle zur Ruhe. Eine Stunde später war die Umgebung des Zirkus ganz verlassen und verschwand in der Dunkelheit, während in den Ställen die Stiere sich zu ihrem letzten Schlafe anschickten.

Am folgenden Morgen stand Gallardo zeitlich auf. Er hatte, von Alpdrücken gequält, schlecht geschlafen. Er schwor es sich, in Sevilla nicht mehr aufzutreten. In anderen Städten lebte er, ohne an seine Familie zu denken, wie ein Junggeselle in einem Hotelzimmer, wo ihm seine Umgebung nichts sagte, da sie ihm fremd war. Doch die Selbstüberwindung, sich in seinem eigenen Schlafzimmer das Galakleid anzulegen, auf Stühlen und Tischen Gegenstände zu sehen, welche ihn an Carmen erinnerten, sein Haus, das er sich selbst erbaut hatte und welches seine ganze Existenz einschloß, verlassen zu müssen, all das drückte ihn nieder und verursachte in ihm eine solche Unruhe, als würde er das erste Male die Arena betreten. Er empfand Furcht vor seinen Mitbürgern, mit welchen er immer leben mußte und deren Meinung für ihn mehr bedeutete, als der Beifall des übrigen Spaniens. Welch furchtbarer Augenblick war es doch, als er im Torerokleide in den stillen Hof hinab stiegen. Seine kleinen Verwandten kamen, durch den Glanz seiner Kleidung etwas verschüchtert, zögernd zu ihm und berührten schweigend, ohne ein Wort zu sagen, die reiche Stickerei. Seine Schwester küßte ihn mit dem Ausdruck des Entsetzens, als ginge er dem Tode entgegen und seine Mutter versteckte sich in dem finstersten Winkel. Sie wollte ihn nicht sehen, sie fühlte sich zu schwach dazu. Carmen zeigte sich mutig, doch war sie ganz bleich und preßte die vor Aufregung bläulichen Lippen aufeinander, während sie nervös die Augen bewegte, um gefaßt zu bleiben. Sobald sie ihn aber im Vorzimmer erblickte, führte sie sofort ein Tuch an die Lider, während ihr Körper unter Seufzern und Schluchzen erbebte und sie von den Frauen gehalten werden mußte, um nicht umzusinken.

»Zum Teufel, gehen wir« sagte Gallardo, »hätte man mir nicht nachgesagt, daß ich mich vor dem hiesigen Publikum fürchte, so wäre ich in Sevilla nie aufgetreten.«

Als er aufstand, ging er mit einer Zigarette durch das Haus und reckte sich, um zu erproben, ob seine starken Arme ihre Gelenkigkeit bewahrt hatten. In der Küche nahm er ein Glas Wein und sah nach seiner Mutter, die trotz ihres Alters und ihrer Behäbigkeit unermüdlich am Herde tätig war, den Mägden mit mütterlicher Wachsamkeit alles zuwies und den klaglosen Fortgang des Haushaltes überwachte.

Gallardo ging frisch und voll guter Laune in den Hof. Die Vögel zwitscherten in der Stille des Morgens und sprangen in ihren goldenen Käfigen herum. Ein Meer von Licht ergoß sich über die Marmorplatten, auf denen der Torero eine schwarzgekleidete Frau neben einem Eimer knien sah. Sie scheuerte mit einem nassen Tuch die Fliesen ab, deren Farben sich unter der feuchten Liebkosung zu vertiefen schienen. Diese Frau hob den Kopf: »Guten Morgen, Herr Juan«, sagte sie mit der einschmeichelnden Vertraulichkeit, welche jeder volkstümliche Liebling zu erwecken pflegt. Und voll Bewunderung heftete sie den Blick ihres einzigen Auges auf ihn. Das andere wurde durch ein Gewirr von Narben und Falten, welche alle in die tiefliegende Augenhöhle zu laufen schienen, überdeckt.

Juan gab keine Antwort, sondern lief hastigen Schrittes in die Küche, wo er Frau Angustias zurief:

»Wer ist diese Einäugige, welche draußen den Hof scheuert?«

»Wer soll sie sein, mein Sohn? Ein armer Teufel, sie hat einen Haufen Kinder zu Hause und ich habe sie genommen, weil mir die Aufwärterin krank geworden ist.«

Der Torero fühlte sich beunruhigt und ein Ausdruck der Furcht trat in seine Augen. Er sollte hier in Sevilla vor die Stiere treten und die erste Person, die er traf, war eine Einäugige. So etwas konnte nur ihm passieren, das mußte ihm ja Unglück bringen. Oder wollte sie etwa seinen Tod?

Eingeschüchtert durch die trübseligen Gedanken und den Zorn ihres Sohnes, suchte sich die arme Alte zu rechtfertigen. Wie konnte er nur auf solche Ideen kommen? Es war eine arme Frau, welche für ihre Kinder einen Peseta verdienen wollte. Man müsse doch ein gutes Herz haben und Gott dafür danken, daß er sie nicht vergessen und im gleichen Elend zurückgelassen habe.

Gallardo beruhigte sich auf diese Worte. Der Hinweis auf seine früheren Entbehrungen ließ ihn gnädig mit der armen Frau sein. Sie konnte dableiben und Gottes Wille sollte geschehen. Und nach rückwärts schreitend, um ja nicht den unglücklichen Blick der Alten zu begegnen, flüchtete sich der Torero in sein Zimmer.

Die weißen Wände, welche bis zur halben Höhe mit Porzellanfliesen getäfelt waren, trugen buntfarbige Plakate von allen möglichen Stierkämpfen in den verschiedensten Städten Spaniens. Dankschreiben erinnerten an die Veranstaltungen, bei welchen der Torero ohne Honorar zu Gunsten der Armen mitgewirkt hatte. Zahllose Bilder, die den Meister stehend und sitzend mit dem Mantel oder dem Degen zeigten, verrieten das Interesse, mit welchem die verschiedenen Zeitungen die Gebärden und die Haltung des großen Mannes vor die Öffentlichkeit brachten. Oberhalb der Tür sah man ein Bild Carmens in blauer Mantilla und Nelken im Haar. Gegenüber schien jedoch ein gewaltiger schwarzer Stierkopf mit gläsernen Augen, roten Nüstern und gewaltigen Hörnern, welche von der weißgefleckten Stirne in der hellen Farbe des Elfenbeines hervorsprangen und bis in das tiefste Schwarz übergingen, die Ordnung im Zimmer zu überwachen. Der Picador Potaje brach jedesmal in poetische Vergleiche und Bilder aus, wenn er diesen gewaltigen Schädel betrachtete: So groß und breit ausholend waren seine Hörner, daß eine Amsel auf der Spitze des einen singen konnte, ohne daß man sie auf der anderen hörte.

Gallardo setzte sich an den eleganten, mit Bronzen bedeckten Schreibtisch, dessen Staubschichte keine häufige Inanspruchnahme dieses Möbels verriet. Das große Schreibzeug, von zwei Bronzepferden flankiert, trug ein fleckenloses Tintenfaß. Die Federhalter waren leer, denn der große Mann brauchte sich mit dem Schreiben nicht zu plagen. Don José besorgte die Kontrakte und die übrigen notwendigen Papiere, er selbst unterschrieb mit schwerer und langsamer Hand auf einem Tisch des Klubs in der Sierpesstraße.

An einer Wand stand der Bücherkasten, durch dieses Glasfenster man imponierende Reihen von Büchern sah, die durch ihre reichen Einbände auffielen.

Als Don José seinen Schützling mit dem Namen: »Torero der Aristokratie« zu titulieren begann, fühlte Gallardo die Notwendigkeit, dieser Auszeichnung würdig zu sein und die Lücken seiner Bildung auszufüllen, um seinen einflußreichen Gönnern keinen Anlaß zu geben, über seine Unwissenheit zu lachen, wie sie es über die anderen Gefährten seines Berufes taten. Eines Tages trat er mit entschlossener Miene in eine Buchhandlung ein.

»Senden Sie mir für dreitausend Peseta Bücher.«

Und als der Buchhändler unschlüssig dastand, als hätte er diesen Wunsch nicht recht begriffen, sagte der Torero energisch:

»Bücher, verstehen Sie mich wohl, die größten Bücher! Und wenn sie es für gut halten, können sie auch vergoldet sein.«

Gallardo war mit seiner Bibliothek sehr zufrieden. Wenn sie im Klub über etwas sprachen, was er nicht verstand, lächelte er mit dem Ausdruck des Verständnisses und sagte:

»Das muß in den Büchern stehen, welche ich zu Hause habe.«

An einem Regentage, welchen er wegen Unpäßlichkeit in seinem Heim verbrachte, öffnete er endlich mit einem fast ehrfurchtsvollen Gefühl seinen Bücherschrank und zog den größten Band, den er fand, heraus, als wäre es ein Gott, den er aus seinem Heiligtum ans Licht brachte. Er durchblätterte das Buch, ohne den Anfang zu lesen, und freute sich wie ein Kind über die Bilder. Er bewunderte Löwen, Elefanten, Pferde mit wilden Mähnen und feurigen Augen, Esel mit farbigen Streifen, als hätte man sie mit dem Lineal gezogen. Lustig und guten Mutes wollte sich der Torero weiter in die Gelehrsamkeit vertiefen, als er plötzlich das Bild einer Schlange vor sich sah. Eine Otter, die Unglücksotter! Hastig schloß er die Mittelfinger seiner Hand und streckte den Daumen und den kleinen Finger wie Hörner aus, um dem Unglück zu steuern. Er wollte weiter blättern, aber alle Zeichnungen zeigten abscheuliche Reptilien, sodaß er schließlich das Buch wieder mit zitternder Hand zurückstellte. Seit diesem Tage blieb der Schlüssel des Bücherkastens in der Schreibtischlade unter Zeitungen und Karten vergraben, ohne daß sich jemand seiner erinnerte. Der Torero fühlte kein Bedürfnis zu lesen. Wenn seine Freunde mit irgend einer Zeitung kamen, die Angriffe gegen seine Rivalen enthielt, so gab Gallardo das Blatt seinem Schwager oder seiner Frau zu lesen und hörte, seine Zigarre rauchend, zu, was sie ihm berichteten: »Gut gesagt. Der Bursche schreibt ausgezeichnet.« Enthielt aber die Zeitung Angriffe gegen Gallardo, dann las sie niemand und der Torero sprach mit Verachtung von den Leuten, welche über Stiere schreiben und dabei unfähig seien, auch nur den geringsten Stoß gegen den Stier zu führen.

Die Einsamkeit seines Zimmers vermehrte die Unruhe dieses Morgens. Ohne zu wissen warum, betrachtete er den Schädel des Stieres und die Erinnerung an die bittersten Stunden seiner Laufbahn wurde in ihm lebendig. Es war die Befriedigung des Siegers, diesen Kopf sichtbar zu allen Stunden des Tages vor seinen Augen zu haben. Was hatte ihm diese Bestie in der Arena von Saragossa zu schaffen gegeben! Gallardo war auch heute noch fest überzeugt, daß dieser Stier Menschenverstand hatte. Unbeweglich und mit tückisch blitzenden Augen wartete er, daß sich der Spada näherte, ohne sich von dem roten Tuche täuschen zu lassen. Die Degenstöße glitten alle unschädlich an ihm ab, da er sie mit den Hörnern auffing. Die Zuschauer wurden bereits ungeduldig und begannen den Torero auszupfeifen oder zu beschimpfen. Gallardo umkreiste das Tier und folgte seinen Bewegungen von einem Ende des Zirkus bis zum anderen, da er wohl wußte, daß jeder Angriff von vorne seinen sicheren Tod bedeuten würde. Schweißbedeckt und müde, erfaßte er endlich eine Gelegenheit, ihn durch einen Degenstich in den Hals zu Boden zu strecken, während das Publikum in seiner Entrüstung Flaschen und Orangen nach ihm schleuderte. Für Gallardo bedeutete diese Erinnerung eine Schande, ja er glaubte, daß ihm sein längeres Verweilen in diesem Zimmer, wo er den tückischen Blick des einstigen Gegners zu fühlen glaubte, ebenso wie das Zusammentreffen mit der Einäugigen Unglück bringen würde.

Garabato trat ein und meldete einige Freunde an. Es waren Bewunderer, welche ihn vor seinem Auftreten noch sprechen wollten. Der Torero vergaß in einem Augenblick alle seine trüben Gedanken und ging mit lächelnder Miene erhobenen Hauptes und stolzer Gebärde hinaus, als wären alle Stiere, die seiner im Zirkus harrten, persönliche Feinde, auf die er schon mit Ungeduld wartete, um sie mit dem Degen vor sich herzutreiben.

Er aß, wie er es vor einem Stierkampfe immer tat, allein und sehr mäßig. Als er sich anzog, entfernten sich die Frauen. Oh, wie haßten sie diese gleißenden Gewänder und den glänzenden Degen, der den Wohlstand der Familie begründet hatte.

Auch diesmal bedeutete der Aufbruch für Gallardo Augenblicke voll Qual und Selbstbeherrschung. Die Flucht der Frauen, die sein Fortgehen nicht sehen konnten, die schmerzvolle Energie Carmens, welche sich mit aller Kraft zu einem Lächeln zwang und ihn bis zur Türe begleitete, die schüchterne Neugier der Kleinen, all das bedrückte den sonst so selbstbewußten und tapferen Torero, als er die Stunde der Gefahr kommen sah. »Ich gehe doch nicht auf das Schaffot. Ich komme ja wieder. Nur Ruhe, es geschieht mir nichts.«

Dann bestieg er den Wagen, zu welchem er sich durch die Menge der Neugierigen und Nachbarn, die ihm alle Glück wünschten, durchdrängen mußte.

Für die Familie war der Nachmittag, an dem Gallardo in Sevilla die Arena betrat, eine Zeit der furchtbarsten Nervenspannung. Es fehlte ihnen die Resignation, in der sie sonst geduldig die Ankunft des Telegrammes erwarteten. Hier war die Gefahr in der Nähe und das weckte das Verlangen nach Mitteilungen über den Verlauf des Stierkampfes.

Der Riemer, welcher wie ein großer Herr gekleidet war, bot sich den Frauen an, Nachrichten zu bringen, obwohl er über das grobe Verhalten seines berühmten Verwandten wütend war. Gallardo hatte ihm nicht einmal einen Platz in seinem Wagen angeboten. Den Frauen zuliebe wollte er alle Viertelstunden, wenn der Torero an die Reihe kam, durch einen der Straßenjungen, welche zu Hunderten um den Zirkus herumlungerten, Nachricht senden.

Die Veranstaltung wurde ein glänzender Erfolg. Als Gallardo die Arena betrat und den Beifall der Menge hörte, glaubte er, im Bewußtsein seiner Kraft gewachsen zu sein.

Er kannte den Boden, den er betrat, er war ihm vertraut und wirkte wie ein starkes Stimulans auf ihn. Die Rondeaus der verschiedenen Etablissements übten einen gewissen Einfluß auf sein abergläubisches Gemüt aus. Er erinnerte sich an die großen Plätze von Valencia und Barcelona mit ihrem weißen Boden, an die schwarzen Arenen der nördlichen Städte und an die rote Erde des Zirkus in Madrid. Die Arena in Sevilla unterschied sich von den anderen: Der Sand des Guadalquivir leuchtete in einem hellen Gelb, und wenn das Blut der Pferde auf ihn herabfloß, dachte Gallardo immer an die nationale Flagge, welche über dem Dache des Zirkus im Winde flatterte.

Auch der Stil der einzelnen Gebäude beeinflußte seine Vorstellungen. Die Häuser stammten aus verschiedenen Jahren, gewöhnlich waren sie in dem romanischen oder arabischen Stil neuer Kirchen gehalten, in denen alles nüchtern und farblos erscheint. An den Platz von Sevilla knüpfte sich die Erinnerung an längst vergangene Generationen und an eine Zeit, in der die Männer noch weiße Perücken trugen. Hier hatten sich die ruhmbedeckten Erfinder schwieriger Regeln, Männer, welche ihr Leben für die Vervollkommnung ihrer Kunst wagten, die starken Meister der Schule von Ronda mit ihrer ruhigen Überlegenheit, die flinken und lustigen Vertreter der sevillanischen Methode mit ihrer spielenden Beweglichkeit, welche das Publikum in Spannung hielt, bewundern lassen, und dort fühlte er sich an jenem Nachmittage, berauscht von dem Beifall der Menge, dem Glanz der Sonne, dem Stimmgewirr und dem Anblick einer weißen Mantilla über einer tiefatmenden Frauenbrust, der tollsten Kühnheit fähig.

Gallardo schien mit seinen Bravourstücken und seiner Unerschrockenheit das ganze Rondell für sich in Anspruch zu nehmen und darauf bedacht zu sein, alle Gefährten zu übertreffen, um den Beifall der Menge auf sich zu ziehen. Niemals hatten ihn seine Anhänger so groß gesehen und Don José rief bei jeder dieser Tollheiten laut, als würde er gegen unsichtbare, in der Menge verborgene Feinde losfahren: »Da leugne einer, daß er nicht alle weit übertrifft!«

Den zweiten Stier, den Gallardo zu erlegen hatte, brachte der Nacional auf seinen Befehl mit einer geschickten Wendung bis an den Fuß des Balkons, auf dem Doña Sol und der Marquis mit seinen beiden Töchtern saß.

Gallardo ging mit dem Degen und der Muleta unter den Blicken der Menge bis zur Barriere, wo er stehen blieb und die Mütze zum Gruß erhob. Dies war das Zeichen, daß er diesen Stier der Nichte des Marquis zu Ehren zu Boden bringen wollte.

Dann drehte er sich um, warf die Mütze weg und erwartete den Stier, den die Treiber mit dem Spiel des Mantels in seine Nähe lockten. In dem Bestreben, sich nicht von dem Platze unter dem Balkone entfernen zu müssen, hielt der Torero sein Versprechen, den Stier vor den Augen der Doña Sol zu erlegen, um ihr zu zeigen, wie er die Gefahr verachtete. Jede Bewegung der Muleta wurde von Ausrufen der Begeisterung und Unruhe begleitet. Die Spitzen der Hörner berührten seine Brust, man hielt es für unmöglich, daß er sich unverletzt den Angriffen des Stieres entziehe. Doch plötzlich richtete er sich, den Degen vorstreckend auf, und bevor noch die Zuschauer Zeit fanden, ein Bravo zu rufen, stürzte er sich auf das wildgewordene Tier, mit dessen Körper er während einiger Augenblicke ein Ganzes zu bilden schien.

Als sich der Torero losmachte und dann unbeweglich auf seinem Platze stehen blieb, lief der Stier schwankenden Schrittes mit dampfenden Nüstern und heraushängender Zunge weiter. Der rote Griff des Degens hob sich kaum von dem blutigen Hals ab. Nach wenigen Sprüngen fiel das Tier zu Boden und das ganze Publikum sprang auf die Füße, als wäre es ein einziger, von einem Willen bereiter Körper, während donnernder Applaus und begeisterte Zurufe über den Platz flogen.

Der Torero grüßte vor dem Balkon, indem er Degen und Muleta senkte, während Doña Sol ihm applaudierend dankte. Und gleich darauf flog, von Zuschauer zu Zuschauer weitergegeben, das Batisttaschentuch der Dame in die Arena. Es war durch einen funkelnden Brillantring gesteckt, welcher den Dank für die Ehrung des Toreros bedeutete.

Von neuem ertönte der Beifall, diesmal über die Freigebigkeit der Spenderin, und die Aufmerksamkeit des Publikums, welche bisher dem Torero gegolten hatte, teilte sich, da viele von der Arena wegblickten und Dona Sol betrachteten, deren Schönheit sie mit der Vertraulichkeit andalusischer Galanterie laut rühmten.

Ein kleines haariges Dreieck ging von Hand zu Hand bis auf den Balkon. Es war ein Ohr des Stieres, welches der Torero als Zeichen, sein Versprechen erfüllt zu haben, überreichen ließ.

Noch vor dem Ende der Stierkämpfe hatte sich die Nachricht von dem kühnen Verhalten Gallardos durch die Stadt verbreitet. Als der Torero nach Haus kam, erwarteten ihn seine Freunde an der Türe und jubelten ihm zu, als wären sie selbst bei der Veranstaltung dabeigewesen.

Der Riemer vergaß seinen Groll gegen den Schwager und gab seiner Bewunderung geziemenden Ausdruck. Er verfolgte schon seit längerer Zeit ein bestimmtes Ziel und zweifelte nicht, es zu erreichen, da ja Gallardo mit den vornehmen Kreisen Sevillas so freundschaftlich verkehrte. »Zeig den Ring. Sieh doch Encarnacion, welch prachtvolles Geschenk.« Und der Ring ging von Hand zu Hand, während die Frauen ihn mit Ausrufen der Überraschung bewunderten. Nur Carmen verzog den Mund, als sie ihn sah, und gab ihn ihrer Schwägerin, als ob er ihr die Hand verbrannte.

Nach diesem Stierkampf begann für Gallardo die Zeit der Reisen. Er hatte mehr zu tun, als in den vergangenen Jahren. Sein Vertreter studierte die Pläne und unterzog sich endlosen Berechnungen, welche seinem Torero als Anhaltspunkte dienen sollten.

Gallardo eilte von Erfolg zu Erfolg. Niemals hatte er sich so voll Mut gefühlt. Er schien von neuer Kraft beseelt. Vor dem Auftreten befielen ihn quälende Zweifel, eine Unentschlossenheit, welche fast an Furcht grenzte und welche er in seinen früheren Jahren, als er sich noch seinen Namen erwerben mußte, nicht gekannt hatte. Doch kaum stand er in der Arena, da verschwand dieser Druck und er zeigte eine fast wilde Kühnheit, die immer von Erfolg begleitet war.

Auf diesen Reisen in die verschiedenen Städte Spaniens eilte er von Hotel zu Hotel und die Toreros seiner Cuadrilla begleiteten ihn auch hieher, da er sich von ihnen nicht trennte. Er war in Schweiß gebadet und fühlte die wohlige Ermüdung des Triumphators, wenn er im Galakleide die Glückwünsche der Sachverständigen entgegennahm.

Und unter den steten Anregungen, die jedes Gespräch über Stiere und Stiergefechte bot, verging die Zeit, ohne daß der Torero oder seine Bewunderer müde wurden, von den vergangenen Veranstaltungen oder von weiter zurückliegenden zu sprechen. Die Nacht kam, Lichter wurden angezündet und man blieb noch beisammen. Die Cuadrilla erwartete in einem Winkel schweigend das Ende dieser Plauderei. Solange der Meister nicht die Erlaubnis gab, durften die »Burschen« nicht zum Essen gehen. Die Picadores, die durch das Gewicht der Eisenschienen an ihren Füßen und infolge der Stürze der Pferde totmüde und erschöpft waren, drehten voll Ungeduld den steifen Biberhut auf ihren Knien. Die Banderillos, welche noch ihr durchschwitztes Seidenkostüm trugen, fühlten quälenden Hunger nach den vielstündigen, ermüdenden Anforderungen des Nachmittags. Sie hatten nur einen Wunsch und warfen den Besuchern wütende Blicke zu. »Zum Teufel mit diesen zudringlichen Kerlen, machen sie denn noch immer nicht Schluß?«

Endlich wandte sich der Torero zu ihnen. »Ihr könnt gehen!« und die Cuadrilla eilte wie eine losgelassene Schülerschar hinaus, während der Meister noch weiter die Elogen der Sachverständigen entgegennahm, ohne sich an Garabato zu erinnern, der schweigend auf den Augenblick des Auskleidens wartete.

An Ruhetagen, die ihn die Aufregungen der Gefahren und des Ruhmes vergessen ließen, erinnerte sich der vielgefeierte Held auch an das ferne Sevilla. Von Zeit zu Zeit erhielt er kurze, parfümierte Briefe, die ihm zu seinen Erfolgen Glück wünschten. Ah, wenn er Doña Sol mitgenommen hätte. Auf dieser fortwährenden Hast von einer Stadt in die andere, wo ihn seine Bewunderer bejubelten und sich bemühten, ihm den Aufenthalt so angenehm als möglich zu gestalten, lernte er Frauen kennen und nahm an Festen teil, die man ihm zu Ehren veranstaltete. Von diesen Abenden ging er immer mit weinbeschwertem Kopfe und einer unbestimmten Traurigkeit, welche ihn unglücklich machte, weg. Er fühlte den wilden Wunsch, die Frauen zu mißhandeln. Es war ein unwiderstehlicher Impuls, sich für die Grausamkeit und Launen der einen an anderen ihres Geschlechtes zu rächen.

Es gab Augenblicke, in denen er seine Gefühle dem Nacional mit jenem impulsiven Trieb der Mitteilsamkeit verriet, welche alle jene befällt, denen das Nachgrübeln über psychische Probleme eine ungewohnte, schwere Last bedeutet.

Außerdem flößte ihm der Banderillo das Gefühl fürsorgender Ergebenheit ein. Sebastian kannte seine Liebschaft mit Doña Sol. Er war ihr manchmal begegnet und sie hatte oft über ihn gelächelt, wenn sie von seinen Eigenheiten erzählen hörte.

Er lauschte mit ernster Bedachtsamkeit den Eröffnungen seines Herrn. »Du sollst diese Frau vergessen. Ich glaube, daß der häusliche Friede für uns, die wir allen Gefahren ausgesetzt sind, wohl das erste sein soll, worauf wir denken müssen. Mir kommt vor, daß Carmen mehr weiß, als du glaubst, vielleicht alles. Mir selbst hat sie Andeutungen über die Nichte des Marquis gemacht ... Die Arme. Es ist wirklich eine Sünde, daß du sie so kränkst.«

Doch Gallardo, der, von seiner Familie getrennt, nur mit den Gedanken an Doña Sol lebte, schien die Gefahren, von denen der Nacional sprach, nicht zu begreifen und ging achselzuckend über diese Warnungen hinweg. Er mußte seine Erinnerungen mitteilen, dem Freunde von seiner glücklichen Vergangenheit mit der Skrupellosigkeit eines Liebhabers, der sich bewundert sehen will, Mitteilung machen.

»Du weißt ja nicht, was diese Frau ist. Du bist ja einer jener Kurzsichtigen, die das Glück nicht kennen. Kannst du dir alle Frauen von Sevilla und der Städte, in welchen wir gewesen sind, vorstellen? Nein. Alle zusammen ergeben noch nicht Doña Sol. Wenn man eine Frau wie sie, gefunden hat, verzichtet man auf alles andere ... Wenn du sie so kennen würdest, wie ich! ... Die Frauen unseres Standes riechen nach Fleisch und Wäsche. Aber diese, Sebastian, diese ... Denke an alle Rosen in den Gärten Sevillas ... Nein, nicht nur an Rosen, auch an Jasmin, Veilchen ... kurz, es ist ein Duft wie im Paradies. Und dieser Duft kommt aus ihrem Körper, als würde er ihm angeboren sein. Dann ist sie nicht eine derjenigen, welche du schon kennst, wenn du sie einmal gesehen hast. Bei ihr kommen dir immer neue Wünsche, man hofft immer auf etwas Neues, was aber niemals Erfüllung findet. Ich kann mich nicht besser ausdrücken, Sebastian ... doch du weißt nicht, was eine Dame ist, deshalb predige mir nicht und halte den Schnabel.«

Gallardo empfing jetzt keine Briefe mehr aus Sevilla. Doña Sol weilte im Ausland, er sah sie einmal, als er in San Sebastian auftrat. Die schöne Spanierin weilte gerade in Biarritz und kam mit einigen Französinnen, welche den Torero kennen lernen wollten, in die Arena. Er begrüßte sie, mußte dann aber weiter und erhielt während des Frühlings nur kurze Nachrichten von ihr oder seinem Vertreter, der ihm mitteilte, was er vom Marquis hörte.

Sie hielt sich in vornehmen Seebädern auf, deren Namen der Torero zum ersten Mal hörte und überhaupt nicht aussprechen konnte. Dann vernahm er, daß sie nach England ging. Später wollte sie nach Deutschland, um Opern in einem herrlichen Theater zu hören, das seine Tore nur für wenige Wochen im Jahre öffnete. Gallardo glaubte schon nicht mehr, sie noch einmal wiederzusehen. Sie war ein Zugvogel, der rastlos und voll Abenteuerlust hier und dorthin eilte, und er durfte nicht hoffen, daß sie den Winter noch einmal in Sevilla verbringen würde.

Diese Unmöglichkeit, seine Geliebte jemals wieder zu treffen, bedrückte den Torero und zeigte ihm die Herrschaft, welche jenes Weib über sein Fleisch und seinen Willen erlangt hatte. Wenn sie ihm unerreichbar blieb, warum setzte er dann noch sein Leben aufs Spiel? Was half ihm sein Ruhm oder der Beifall der Menge? Don José beruhigte ihn. Sie würde zurückkehren, das war sicher. Denn Doña Sol sei trotz ihrer unberechenbaren Launen eine praktische Frau, welche ihren Vorteil nicht vergesse: Sie brauchte die Hilfe des Marquis zur Verwaltung ihres eigenen Vermögens, das, gerade so wie das Erbe ihres Mannes, durch den langen und kostspieligen Aufenthalt in der Fremde stark zusammengeschmolzen war.

Der Torero kehrte gegen Ende September nach Sevilla zurück. Er hatte im Herbste noch eine Reihe von Verpflichtungen zu erfüllen, doch wollte er einen Monat Ruhe haben. Seine Familie weilte im Bade Sanlucar, da die schwächliche Gesundheit der beiden Kleinen den Aufenthalt am Meere erforderte.

Gallardo zitterte vor Aufregung, als ihm sein Vertreter eines Tages die Ankunft der Doña Sol meldete. Der Torero suchte sie sofort auf und bei den wenigen Worten, die sie wechselten, fühlte er sich durch ihre kalte Liebenswürdigkeit und den Ausdruck ihrer Augen eingeschüchtert. Sie betrachtete ihn, als wäre er ein anderer geworden. Ihr Blick verriet infolge des rohen Äußeren Gallardos und wegen des Unterschiedes zwischen ihr und dem ungeschlachten Stierkämpfer eine gewisse Abweisung. Der Torero schien diese Kluft, die sich zwischen ihnen auftat, zu fühlen. Er sah sie an, als wäre sie eine vornehme Dame eines anderen Landes und Volkes. Sie sprachen ruhig miteinander. Doña Sol schien die Vergangenheit vergessen zu haben und Gallardo wagte es nicht, sie daran zu erinnern oder den geringsten diesbezüglichen Versuch zu machen, da er ihren Zorn fürchtete.

»Sevilla«, sagte sie »ist ja recht hübsch und angenehm. Doch in der Welt gibt es mehr, was schön und interessant ist. Ich sage Ihnen, Gallardo, daß ich eines Tages für immer wegziehen werde. Ich ahne schon, daß ich mich bald sehr langweilen werde. Sevilla kommt mir ganz verändert vor.«

Sie duzte ihn nicht mehr. Es vergingen einige Tage, ohne daß es der Torero bei seinen Besuchen wagte, sie an die Vergangenheit zu erinnern. Er begnügte sich, sie mit seinen glühenden und bewundernden Augen still anzuschauen.

»Ich langweile mich, ich werde eines schönen Tages wieder verschwinden«, erklärte sie bei jedem Besuche.

Ein andermal sagte ihm der Diener, daß seine Gnädige ausgegangen sei, während der Torero bestimmt das Gegenteil wußte.

Gallardo sprach eines Tages von einem Ausflug, den er nach La Rinconada machen mußte, um einige Olivenwälder, die sein Vertreter während seiner Abwesenheit gekauft hatte, zu besichtigen. Der Gedanke, an diesem Ritte mitzuhalten, verursachte Doña Sol, gerade wegen seiner Ungewöhnlichkeit ein Lächeln. Sollte sie etwa dorthin gehen, wo die Familie des Stierkämpfers einen Teil des Jahres verbrachte, um mit dem Brandmale des Skandals und des Fehltrittes in jenen ruhigen Kreis einzudringen, in dem der arme Bursche mit den Seinen lebte?

Das Ungewöhnliche dieses Wunsches bestimmte ihren Entschluß. Sie würde dennoch gehen, La Rinconada interessierte sie.

Gallardo empfand Furcht, als er ihren Entschluß hörte. Er dachte an die Leute des Hofes, an die Schwätzer, welche seiner Familie alles mitteilen würden. Doch der Blick der Doña Sol brachte alle seine Skrupeln zum Schweigen. Wer weiß, vielleicht gab ihm dieser Ausflug seine alten Rechte über dieses stolze Weib wieder zurück.

Er versuchte vergeblich noch einen letzten Einwand.

»Und Plumitas? Wie ich weiß, sucht der Bandit auch La Rinconada auf.«

»Ah, Plumitas.« Das Gesicht der Doña Sol schien sich unter einem innerlichen Feuer zu beleben. »Das wäre ganz vortrefflich. Ich würde mich freuen, ihn kennen zu lernen.«

Gallardo traf seine Anordnungen. Er hatte allein reiten wollen, aber die Gesellschaft der Doña Sol veranlaßte ihn, Hilfe zu suchen, da er unterwegs mit der Möglichkeit unangenehmer Begegnungen rechnen mußte. Er suchte den Picador Potaje auf. Das war ein ungeschlachter Geselle, der sich nur vor seiner Frau fürchtete, welche ihn, wenn er sie schlagen wollte, zu beißen drohte. Ihm brauchte er keine Erklärung, sondern nur Wein zu geben. Der Alkohol und die schweren Stürze in der Arena hatten ihn in einen andauernden Dämmerzustand versetzt, so daß er sich nur zu langsamen Worten und einer unklaren Erkenntnis der Dinge aufraffen konnte. Außerdem befahl er noch dem Nacional mitzugehen. Mit ihm war ein Vertrauter mehr um ihn und auf Sebastian konnte er sich verlassen. Der Banderillo gehorchte, brummte aber vor sich hin, als er hörte, daß Dona Sol mitgehe. Doch als er unterwegs im Auto neben Potaje saß und die schöne Frau betrachten konnte, da legte sich langsam sein Groll.

Er konnte ihre Züge nicht deutlich unterscheiden, da sie einen großen Autoschleier trug. Gleichwohl war sie wunderschön, wie fesselnd konnte sie plaudern und was wußte sie alles! Noch vor der Hälfte des Weges entschuldigte der Nacional, trotz seiner fünfundzwanzig Jahre ehelicher Treue, die Schwäche seines Herrn. Er würde im gleichen Falle ebenso gehandelt haben. Ja, ja, die Bildung. Sie ist ein großes Etwas und kann sogar Fehltritte entschuldigen und erklären.


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