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Abermals waren vierzehn Tage vergangen.
Den Fall »Mord an einem Unbekannten in der Villa Sontheimer« hatte zwar Kommissar Fraundorfer übernommen, dieser aber war ebensowenig weitergekommen wie der ehemalige Kommissar Steinherz.
Steinherz war nach jener für ihn so verhängnisvoll gewordenen Unterredung mit dem Staatsanwalt Wadricza bei Michael Gebhart erschienen und hatte diesem gegenüber sein Leid geklagt.
Gebhardt hatte bisher mit größter Aufmerksamkeit den Fall verfolgt, zu dem er das erste Material geschaffen hatte. Er machte daher dem ehemaligen Kommissar sofort den Vorschlag, auf seine Verantwortung den Fall weiterzuführen.
Um das möglich zu machen, begründeten die beiden ein Privatdetektivinstitut, wofür Gebhart das Geld und Steinherz sein Können einsetzte.
Der Name des ehemaligen Kommissars hatte sofort die entsprechende Wirkung. In der ganzen Stadt war er als einer der tüchtigsten Kriminalisten bekannt gewesen, sodaß das neu begründete Institut bald mit Aufträgen überhäuft war. Es mußten nicht nur tüchtige Hilfskräfte geworben werden, sondern Michael Gebhart selbst mußte mit tätig sein. Obgleich er eine Arbeit nicht nötig hatte, so fand er an dieser Beschäftigung, die so verschiedenerlei Abenteuer mit sich brachte, sehr bald Gefallen und war bald ebenso eifrig tätig wie Steinherz selbst.
In der nur spärlich bemessenen freien Zeit, die ihnen blieb, beschäftigte beide nur das gleiche noch immer ungelöste Problem: Der Mord in der einsamen Villa.
Über die eigentlichen Vorkommnisse war nichts in die Öffentlichkeit gelangt.
Die Zeitungen hatten nie etwas darüber berichtet.
Wieder einmal saßen Gebhart und Steinherz in ihrem neu eingerichteten Bureau, als einer der im Vorzimmer beschäftigten Schreiber eine Karte hereinbrachte.
»Diese Dame wünscht in diskreter Angelegenheit vorgelassen zu werden.«
Der Schreiber war schon wieder hinausgegangen, da las Steinherz erst den Namen auf der Visitenkarte.
»Erna Sontheimer.«
Und beide blickten auf und sahen sich an; beide hatten sich gleichzeitig verstanden.
Sollte ihnen der Zufall den weiteren Faden des geheimnisvollen Falles spinnen? Sollte diese Dame das Rätsel entwirren?
Erna Sontheimer war im Bureau erschienen.
Als Steinherz sie nach ihren Wünschen fragte, da gab sie ihm zur Antwort:
»Darf ich auch sicher sein, daß die Angelegenheit als eine sehr diskrete behandelt wird?«
»Aus diesen vier Wänden wird nichts hinausgetragen. Diskretion ist unser Beruf. Womit können wir Ihnen dienen?«
»Ich weiß nicht, wie ich beginnen soll.«
Erna Sontheimer schien sichtlich verlegen.
Steinherz war Menschenkenner genug, um dies deuten zu können.
»Es handelt sich also um einen Herrn.«
»Allerdings.«
»Wie ist sein Name?«
»Robert Willig.«
»So! Was ist mit diesem?«
»Er war etwa vor Jahresfrist zu uns gekommen, von seinem Vater in Hamburg geschickt. Er verkehrte fast täglich bei uns – und –«
Wiederum stockte der Redefluß von Erna Sontheimer; aber auch hier fand Steinherz die Fortsetzung:
»Er hat sich mit Ihnen verlobt.«
Sie nickte, während sie mit jäher Röte übergossen dastand.
Da hatte Michael Gebhart Mitleid mit dem hübschen Ding, von dem er die Augen nicht abwandte.
»Sie sollten die Dame etwas liebenswürdiger behandeln, Steinherz. Sie haben eine so grausame Art, jemanden seelisch zu verwunden.«
Während Steinherz nur spöttisch lächelte, wurde Gebhart mit einem warmen Blick aus den Augen des schönen Mädchens belohnt.
»Mein liebes Fräulein!« erklärte dann der ehemalige Kommissar, »wir wollen Ihnen helfen. Wie der Arzt, wenn er retten soll, die ganze Krankheitsgeschichte wissen muß, so müssen auch wir in alle Einzelheiten eingeweiht sein. Erzählen Sie also weiter!«
Mit einem nochmaligen Blick auf Michael Gebhart, der nun diesen rosiger färbte, als er für gewöhnlich war, fuhr Erna Sontheimer in ihrem Berichte fort:
»Ja! Ich war mit ihm verlobt. Aber heimlich nur! Der Vater hatte zunächst nichts davon gewußt. Als ich dessen Einverständnis erbat, da hat er es verweigert.«
»Was für Gründe hatte er dafür angegeben?«
»Keine. Er dürfe diese nicht angeben.«
»Weshalb nicht?«
»Er hatte gesagt, um meiner Mutter willen nicht. Ich konnte das nicht begreifen.«
»Was war dann?«
»Robert Willig ist seitdem verschwunden.«
»Dann wird ihn Ihr Vater von seinem Entschluß verständigt haben und Robert Willig wird abgereist sein!«
»Aber er hat kein Lebenszeichen mehr gegeben. Der Vater sagte, er habe mit ihm nicht mehr darüber gesprochen. Die Hauswirtin von Robert Willig hatte auf mein Befragen erklärt, er habe am Morgen des 22. Juni seine Wohnung verlassen, kein Gepäck mit sich genommen und sei nicht mehr zurückgekehrt.«
»Wann war das?«
»Am 22. Juni.«
»So! Und wann hatten Sie diese Unterredung mit Ihrem Vater?«
»Am Abend des 22. Juni und am Morgen des nächsten Tages.«
»Wußte Ihr Verlobter davon, daß die Villa an der Glonn bei Auhof Besitz Ihres Vaters ist?«
»Ja! Er war mit uns dort im Frühjahr.«
»Wird die Villa nicht mehr bewohnt?«
»Seit Ende April nicht mehr.«
»Was sollen wir tun?«
»Nur ihn suchen.«
»Und dann?«
»Nichts weiter! Ich möchte nur wissen, ob er noch lebt, denn mich quält um ihn eine Todesangst.«
»Weshalb? Haben Sie dafür irgend welchen Anlaß?« fragte Steinherz weiter.
»Nein,« kam es zögernd über die Lippen Erna Sontheimers. »Mir träumte nur so schrecklich davon.«
»Was?«
»Ich sah ihn mit blutigem Kopfe am Boden liegen. Das war so gräßlich.«
»Sie haben aber keinerlei Vermutung, wohin sich dieser Robert Willig am Morgen des 22. Juni gewendet haben mochte?«
»Nein.«
Mehr war nicht zu erfahren; mit einer kurzen Verbeugung gegen Steinherz, mit einer tieferen aber, wobei ihre Augen ganz bedenklich leuchteten, sodaß daran ein Herz sehr leicht Feuer fangen konnte, gegen Michael Gebhart, hatte sich Erna Sontheimer wieder entfernt. Während nun Steinherz über diese neuerliche Wendung nachdachte, folgten die Gedanken von Michael Gebhart nur dem hübschen, schlanken Mädchen mit ihren verführerischen, gefährlichen Augen.
»Am 22. Juni morgens hatte jener Robert Willig seine Wohnung verlassen und war seitdem nicht mehr zurückgekommen. Am 22. Juni gegen zehn Uhr war der Mord verübt worden.«
»Ein herrliches Kind! Wie konnten Sie mit diesem nicht schonender vorgehen?«
»Sie sah ihn in ihren Träumen mit blutigem Kopfe.«
»Ihre Augen verrieten soviel Zärtlichkeit. Und ihre Hände waren so fein und schlank.«
»Das ist der Faden, den ich weiterziehen muß. Den muß ich spinnen, bis ich das Ziel vor mir habe.«
»Ihre Schritte waren so leicht, als schwebte sie auf Flügeln dahin.«
So sprach jeder von den zweien seine eigenen Gedanken aus; dabei schien keiner die Worte des anderen zu hören.
Erst als der Schreiber einen Eilbrief überbrachte, da kam über beide die Ernüchterung; während aber Michael Gebhart eine peinliche Verlegenheit zeigte, wies das Gesicht Steinherz' die unerschütterliche Ruhe wie immer, wenn er sich vor einer gewichtigen Entscheidung wußte.
Hastig brach er den Brief auf.
Und ohne ein Wort der Einleitung, ohne jede weitere Bemerkung las er den Brief mit lauter Stimme vor, wobei er Punkte, die für ihn von Wichtigkeit schienen, mit gehobener Stimme betonte.
Mein Sohn weilt seit einem Jahre bei meinem dortigen Geschäftsfreunde Hans Sontheimer, in Firma Sontheimer-Esdeale. Er pflegte regelmäßig wöchentlich einen Brief zu senden, worin er über alles genau Bericht erstattete. Der letzte ist vom 17. Juni. Seitdem bin ich ohne jede Nachricht. Alle meine Anfragen blieben unbeantwortet. In seinem letzten Brief hatte er berichtet: »Ich stehe vor einer sehr wichtigen Entscheidung. Für Dich wird es teils von erschütternder, teils von erfreulicher Wirkung sein, für mich bedeutet es einen Kampf, den ich aber gerne auf mich nehme. Soviel für heute. Nächstens, wenn alles vorüber ist, genaue Details.« Aus keinem seiner Briefe geht hervor, was er damit meinen könnte. Die Worte sind mir rätselhaft und machen mich begreiflicherweise sehr ängstlich. Forschen Sie danach, da ich schon seit fünf Wochen ohne Mitteilung von ihm bin und depeschieren Sie mir den Erfolg. Kosten Nebensache.
Emil Willig.
»Ein seltsames Zusammentreffen!« waren die ersten Worte Gebharts. »Dieser Robert Willig ist spurlos verschollen.«
»Und wissen Sie wo?«
»In dem einsamen Landhause an der Glonn! Dort wurde er ermordet; aber jetzt werde ich die Leiche finden, da ich weiß, wo ich zu suchen beginnen muß. Und müßte ich wie ein Maulwurf die ganze Welt unterwühlen, ich werde seine Leiche zu finden wissen.«