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V.
Verschwunden.

Kaum hatten Braun und Lotter das Zimmer verlassen und war Pedro dorthin wieder zurückgekehrt, da empfing ihn Hans mit schallendem Gelächter. Pedro dagegen begnügte sich mit einem verständnisinnigen Lächeln und sagte dann:

»Also den Braun wollen sie uns auf den Hals schicken. Ich glaube, der ist noch zu grün, um uns nahe kommen zu können.«

»Das ist doch 'mal zweifellos! Was hat denn der gute Junge alles gesagt?«

»Ach, ich habe mich nicht so sehr darum gekümmert. Auf mich hatte er Verdacht. Deshalb hatte er noch einen Figuranten, den stummen Zeugen, mitgenommen.«

»Der sah aber auch so dumm aus,« versetzte hierauf Hans, »daß sie mit ihm wahrlich nicht Staat machen können.«

»Der findet mal sicher nichts, das steht fest.«

»Dieser Braun will uns wohl über sein?«

»Na! Du hättest nur sehen sollen, wie er mich bei jedem Worte fixierte, wie er immer lauerte, ob er keine Blöße finden oder mich überraschen könne.«

»Wenn der so 'ne Ahnung hätte von dem, was wir bestimmt wissen.«

»'s ist besser, er hat die Ahnung nicht. Und so plump wollte er mich fangen. Sagte er da zu mir, daß er dem Mörder schon auf der Spur sei! Dabei hat er mich angeguckt, als wäre ich eben vom Himmel gefallen «

»Auf den Schrecken könnten wir heute abend ein paar Flaschen Champagner die Hälse brechen!«

»Einverstanden!« stimmte Pedro diesem Vorschlag bei.

Am Abend saßen auch Pedro und Hans in dem Zimmer des ersteren auf dem Divan, zu ihren Füßen stand der Eiskübel, und es folgte Flasche auf Flasche. Der Kellner rannte hin und her. Austern und andere Delikatessen wurden aufgetragen, und Burgunder und Sekt flossen in Strömen.

»Eigentlich hätten wir das Braunchen zu dieser Tafel einladen sollen!« begann Pedro, der bald etwas angetrunken war.

Hans lachte aus vollem Halse zu diesem Witz und fügte dann hinzu: »Daß er am nächsten Morgen auch kopflos gewesen wäre.«

»Ja!«

Bis nachts gegen zwölf Uhr dauerte das Zechgelage, bis dann zuerst Pedro, später Hans einschliefen. In der Trunkenheit hatten beide Wein und Speisen verschüttet und Gläser zerbrochen; in dem Chaos lag Hans auf dem Divan, Pedro dagegen war auf den Boden hingesunken und lag mit dem Kopfe in dem vergossenen Weine, der sein ganzes Gesicht rot färbte.

Als der Kellner bei seinem nächsten Eintreten dieses Bild sah, schüttelte er den Kopf, schloß die Tür ab und ließ die beiden liegen.

Der nächste Morgen ließ einen herrlichen Sommertag erwarten. Die Sonne schien durch die Fenster des Zimmers, und ihre Strahlen bildeten herrliche Farbenspiele in den feingeschliffenen Gläsern und dem funkelnden Wein. Lichter huschten über das Bild hinweg und bald flimmerte hier, bald dort ein Sonnenfunken. Die beiden Betrunkenen lagen immer noch bewußtlos auf ihrem Platze. Wiederholt schon hatte der Kellner an die Türe gepocht, aber keine Antwort erhalten.

Erst als die Sonne schon im Zenith stand, erwachte Hans zuerst. Ein lautes Gähnen wurde vernehmbar, das auch Pedro aus seinem Schlafe aufschreckte. Mit stieren, gläsernen, schlaftrunkenen Blicken sahen sich die beiden an und brachen dann in ein schallendes Gelächter aus.

»Du siehst aber 'mal nett aus!« lallte Pedro und zeigte auf die Kleidung und das Gesicht seines Genossen, die überall mit Wein und Fettflecken besudelt waren.

»Und Du!« war die Gegenantwort.

Nun besahen sich beide im Spiegel und merkten, daß einer dem andern nichts nachstand.

»Du,« begann nun Hans, »der Wein hat die Narbe ganz verwaschen. Ich muß Dir deshalb wieder eine frische anmalen. Ich lasse den Kellner kommen. Stell' Dich an das Fenster und laß Dich nicht sehen!«

Auf das Läuten trat dann auch bald der Kellner ein und beseitigte auf einen Wink von Hans sämtliche Überreste des Gelages.

»Sind unsere Koffer schon angekommen?« fragte hierauf Pedro, ohne dem Gefragten sein Gesicht zuzukehren.

»Jawohl!« antwortete dieser. »Zwei große und ein kleiner.«

»Lassen Sie die Koffer sofort hierherbringen.«

»Zu Befehl, Euer Gnaden!«

Bald brachten auch zwei Bedienstete die Koffer herbeigeschleppt, die sie an dem ihnen von Hans angewiesenen Platze hinstellten. Es waren zwei sehr große Koffer, welche den Anstrengungen der Träger nach sehr schwer sein mußten, sowie ein bedeutend kleinerer.

Nun reinigten die beiden vorerst ihr Gesicht und wuschen sich dann die Hände. Es zeigte sich dabei, daß die Narbe Pedros an der Stirne verschwunden war. Hans nahm deshalb aus seiner Tasche ein Etui mit Ölstiften, und nach kaum fünf Minuten war die Narbe wieder hergestellt.

»Jetzt Wäsche, Kleider! Die unsrigen können wir nicht mehr brauchen,« sagte dann Pedro.

»Allerdings nicht mehr! Hast Du gesehen, wie die armen Kerle an den Koffern zu schleppen hatten?«

»Du hast sie wahrscheinlich wieder furchtbar angefüllt. Wenn sie nur nicht 'mal platzen.«

»Die sind Prima-Qualität.«

Während dieses Gesprächs packte er aus dem kleinen Koffer zwei Anzüge, Wäsche und Socken aus, dann waren die Koffer leer.

»So! Beim nächsten Umzug wird das Gepäck etwas leichter sein.«

»Sei froh!«

»Wenn nur die Kreditwürdigkeit nie vergessen wird!«

Es machten nun beide Toilette. Etwa nach einer Stunde entfernte sich Pedro, um den Sterbeschein für Monnard herbeizuschaffen, damit von der Versicherungsgesellschaft die 50 000 Mk. ausbezahlt würden. Vorher noch ermahnte er Hans, Erkundigungen über die Familie Rosenstengel einzuziehen. Bis gegen Mittag wollte er wieder zurück sein.

Pedro begab sich in das Bureau des Detektiv Braun und erkundigte sich hier, ob man seinen Freund schon beerdigt habe. Dabei äußerte er auch Braun gegenüber sein Bedauern, der bei dem Aufsehen, das diese Mordtat erregt hatte, die ganze Verantwortung zu tragen habe.

Mit der größten Liebenswürdigkeit erzählte ihm hierauf Braun, daß man Monnard bald nicht hätte beerdigen können, da dessen Identität nicht nachgewiesen war.

»Ja, ist denn der Kopf meines armen Freundes immer noch nicht gefunden worden?« unterbrach ihn Pedro.

»Leider nicht! Erst durch die Hausfrau, die bestätigte, daß Größe und Figur, Kleidung und Gestalt ganz genau stimmten, wurde dann die Identität festgestellt und der Sterbeschein ausgefüllt. Dann konnte er natürlich auch beerdigt werden!«

»Ach Gott! Und ich konnte der Beerdigung nicht einmal beiwohnen!« jammerte Pedro.

»Die Beerdigung fand bereits gestern nachmittag drei Uhr statt!«

»Gerade um diese Zeit kam ich hier an!«

»Ich kann nur mein Bedauern aussprechen!« versetzte hierauf Braun.

»Was soll ich hier noch tun? Sterbeschein! Muß ich nicht auch einen solchen haben, um bei der Gesellschaft mein Geld zu erheben?« Diese Frage warf Pedro nur so oberflächlich hin, als lege er auf deren Beantwortung weiter kein Gewicht.

Braun erklärte ihm nun auch, wohin er sich in diesem Falle wenden müsse und was er noch alles benötige, um das Geld erheben zu können.

»Sie sind zu liebenswürdig!« sagte darauf Pedro. »Ich habe die deutschen Beamten schon so oft loben hören. Es wäre mir ein Vergnügen, wenn ich Ihnen meine Dankbarkeit in irgend einer kleinen Gefälligkeit bezeugen könnte.«

Braun lehnte dies höflich ab mit dem Bemerken, daß es ihnen strengstens verboten sei, auch nur das Allergeringste anzunehmen.

Pedro entfernte sich hierauf dankend.

Als er das Bureau verlassen hatte, murmelte Braun vor sich hin: »Da sieht man wieder, wie leicht man einem Menschen unrecht tun kann.«

Pedro fuhr jetzt sofort zum Standesamt und ließ sich einen Sterbeschein ausstellen, besorgte noch die verschiedenen Papiere, die nötig waren, um das Geld zu erheben, und begab sich dann persönlich in das Bureau der Versicherungsgesellschaft, die in München ihren Sitz hatte, legte dort alle Papiere, sowie die Police vor und fragte dann, bis wann das Geld wohl ausbezahlt werde.

»In drei bis fünf Tagen,« war die Antwort darauf.

Erst nach dieser Zusicherung begab sich Pedro zurück in das Hotel, woselbst ihn Hans bereits erwartete.

»Nun?« fragte dieser sofort.

»Famos!«

Es gingen hierauf beide in das im Erdgeschoß gelegene Restaurationslokal und ließen sich Bier bringen, sowie ein Diner servieren, da es bereits ein Uhr war.

»Was hat denn der Braun gesprochen?«

»O! Der war sehr liebenswürdig! Trinken wir auf sein Wohl! Prosit!«

Sie stießen heimlich mit den Gläsern an und tranken von dem schäumenden, erfrischenden Naß. Dann fuhr Pedro in seiner Erzählung fort: »Er war sogar so freundlich und instruierte mich in ausführlicher Weise, wie ich das Geld erheben könne.«

»Der Kerl ist zum Küssen!«

»Das ist er auch!«

»Du!« sagte nun in ernsthaftem Tone Hans, »Du, ich glaube, Monnard ist nicht der einzige, der keinen Kopf hat.«

»Monnard?« sagte lächelnd Pedro.

»Nun ja, Monnard, den sie gestern begraben haben!«

»Ah so! Aber was hast Du erfahren können?«

»Der Rosenstengel mit seiner Frau und seiner Tochter ist gestern abgereist!«

»Hm! Hätte Geld für uns da lassen können!«

»Das hätte er allerdings sollen. Aber er hat es nicht getan.«

Die nächsten Tage verbrachten die beiden auf gemeinsamen Spaziergängen in der Stadt und machten Ausflüge in die nächste Umgebung. Das Diner und Abendessen, sowie Frühstück ließen sie sich meistens in ihren Zimmern servieren, sodaß zunächst alles auf die Rechnung geschrieben wurde. Auf diese Weise hatte sich der Barbestand der beiden nur um ganz geringe Summen vermindert.

Als sie nun wieder einmal durch die Straßen der Stadt schlenderten, bemerkten sie an den Plakatsäulen grelle, rote Zettel, die jedem Passanten sofort auffallen mußten. Es wurde hier für die Auffindung des Kopfes des ermordeten Monnard eine Belohnung von 100 Mk. ausgesetzt, für die Entdeckung des Mörders waren 1000 Mk. versprochen. Auf der Ausschreibung stand auch das genaue Signalement des Mörders nach Angabe des Zeugen Lotter.

Auch Pedro und Hans lasen den Inhalt durch. Als sie sich von der Plakatsäule entfernt hatten, sagte Hans zu Pedro:

»Willst Du Dir nicht die 100 oder die 1000 Mark verdienen?«

»Wozu?« war die Antwort. »Wir bekommen doch auch ohne diese Gefälligkeit 50 000 Mk.«

Nach zwei Tagen erhielt Pedro eine Zustellung von der Lebensversicherungsgesellschaft. Als er sich darauf in dem Bureau einfand, wurden ihm die 50 000 Mk. in barem Gelde ausgehändigt. Als er dann das Geld in Händen hatte, besuchte er nochmals das Bureau Brauns und erkundigte sich, ob man denn immer noch keine Spur entdeckt habe.

»Leider nicht!« war die Antwort darauf.

»Aber als Sie mich besuchten, sagten Sie doch, so viel ich mich wenigstens erinnern kann, Sie wären den Tätern bereits auf der Spur.«

»Hm! Das mag ich wohl gesagt haben!« erwiderte Braun darauf etwas verlegen, »wir hatten falsch vermutet.«

»O! Das ist allerdings schlimm!«

»Nun, das kann dem scharfsinnigsten Detektiv passieren!« fügte dieser entschuldigend hinzu.

»Natürlich!« stimmte jetzt Pedro bei. »Ich hatte gewissermaßen eine Befriedigung in der Hoffnung, es würde den Täter bald die wohlverdiente Strafe treffen.«

»Auch dieser Mord wird gerächt. ›Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch endlich an die Sonnen‹, sagt ein Sprichwort.«

»Das ist auch mein Trost,« setzte Pedro leicht hinzu und fragte dann: »Wer war der andere Herr, der Sie damals begleitete? Sie hatten wohl vergessen, mir ihn vorzustellen.«

»Ach ja! Das kann möglich sein. Es gibt ja so schrecklich viel Arbeit!«

»Ich begreife! Ich will Sie auch nicht mehr länger stören.«

Hierauf entfernte sich Pedro, nachdem sie noch eine Anzahl Höflichkeitsphrasen ausgetauscht hatten. Pedro nahm nun seinen Weg in das Hotel zurück, Braun fertigte Steckbriefe nach dem unbekannten Mörder mit dem bekannten Signalement aus.

Nach dem Fortgange Pedros machte Braun sich Vorwürfe darüber, ob er diesem nicht den ersten Verdacht hätte mitteilen sollen, um sich dabei zu entschuldigen; denn dieser Pedro war entschieden der liebenswürdigste Mensch, der ihm jemals begegnet war.

Als Pedro im Hotel eintraf, fand er Hans auf dem Divan liegen, der einen großen, langen schmalen Zettel in Händen hatte und laut vor sich hinsprach: »Sechs Flaschen Pommery macht 90 Mk., vier zerbrochene Gläser 8 Mk., vier Kaviarbrötchen 4 Mk., 2 Dutzend Austern 7 Mk. –«

Er hatte das Eintreten Pedros gar nicht bemerkt und schaute erst auf dessen Frage, was er denn hier treibe, verwundert auf und meinte wegwerfend:

»So so, Du bist es!«

»Ich komme eben vom kleinen Braun!«

»Du hast ihn doch in meinem Namen gegrüßt?«

»Das habe ich wohl bleiben lassen!«

»Nun?« Hans sah Pedro erwartungsvoll an und machte mit Daumen und Zeigefinger die Bewegung des Zahlens.

»Bar 50 000 Mk. Hier!« Pedro klopfte dabei mit der Land an die Stelle seiner rechten Brusttasche.

»Gut! Dann kannst Du ja die Rechnung bezahlen, wenn Du willst.«

»Wie hoch ist sie?«

»Die taxieren den Brasilianer schwer ein. 420 Mk. und 20 Pf.«

»Das ist ja jetzt eine Kleinigkeit. Gib her!«

»Du Schaf!« schrie ihn jetzt Hans an und sprang aus seiner liegenden Stellung auf. »Ich glaube wirklich, Du wärst so dumm und würdest bezahlen, weil Du nun ein paar Brotpfennige hast!«

»Gib die Rechnung her!«

»Na, da stürz' Dich in Dein Elend. Ich wollte mir bis zu Deiner Ankunft die Zeit vertreiben und las die einzelnen Posten durch. Es ist dies ein so wonniges Gefühl, die Summen zu lesen in dem Bewußtsein: du zahlst ja doch nichts.«

Pedro nahm ihm die Rechnung ab und zündete sie mit einem Streichholz an.

»So bezahle ich!« sagte er dabei.

»Na, hast den Verstand also noch nicht verloren!«

»Jetzt hätten wir hier eigentlich nichts mehr zu suchen.«

»Als zu verduften!«

»Besorge alles! Ich gehe einstweilen in die Restauration!«

»Wird gemacht! Die alte Wäsche und die beschmutzten Anzüge ...«

»Läßt Du zurück!«

»Sehr schön.«

Pedro schritt nun in das Restaurationslokal hinunter und ließ sich ein Glas Bier bringen. Dann vertiefte er sich in die Lektüre einer Zeitung.

Nach etwa einer halben Stunde erschien Hans. Er trug ein kleines zusammengeschnürtes Päckchen unter dem Arm. Er nahm neben Pedro Platz und sagte lediglich: »Fertig!« worauf ihm dieser zunickte.

»Was hat denn der Braun eigentlich gesprochen?« begann Hans darauf.

»Den brachte ich in große Verlegenheit.«

»In Verlegenheit? Wieso?«

»Ich erinnerte ihn daran, daß er mir gegenüber behauptet habe, er hätte bereits einen bestimmten Verdacht. Da wand er sich in allen möglichen Ausflüchten, wie Irrtum, Versehen und so weiter. Wenn ich noch mehr in ihn gedrungen wäre, dann hätte er mich vielleicht noch um Entschuldigung gebeten.«

»Herrgott! Das wäre der Gipfelpunkt einer fabelhaften Frechheit gewesen!«

»Wenn er es getan hätte, ich würde ihn daran nicht gehindert haben!«

»Glaub' es!«

Pedro zahlte nun sein Glas Bier und die beiden entfernten sich sodann durch die Tür der Restauration. Auf der Straße bestiegen sie eine Droschke und fuhren davon.


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