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Ich mochte so ungefähr sieben Jahre alt sein, als sich eines Sonntagsnachmittags im Pfarrhofe das Gerücht verbreitete, zwei Männer hätten am selben Tage, da sie am Buggestrand in Eridfjord vorübergerudert, dicht über dem Meeresspiegel, halb liegend, halb hängend, ein Weib gefunden, das über einen steilen Fels hinabgestürzt war. Sie hatten sie nicht angerührt, bevor sie aus ihr herausgebracht, wer es gethan habe.
Fünf Meilen Seeweges zum Doktor und vorher noch herein zu meinem Vater, um von ihm den Aufnahmeschein ins Hospital zu verlangen! Sie lag länger als vierundzwanzig Stunden ohne Hilfe, und kurz nachdem sie ihr geworden, starb sie. Zuvor hatte sie gesagt, daß Per Hagbö es gethan habe; »aber«, fügte sie hinzu, »sie dürfen ihm nichts dafür zuleide thun.«
Alle wußten, daß zwischen ihr, die auf Hagbö im Dienst war, und dem Sohne ein Liebesverhältnis bestanden; und die Scharfsinnigsten begriffen sofort, weshalb er sie aus dem Wege hatte haben wollen.
Ich entsinne mich noch deutlich, wie die Nachricht kam; es war, wie gesagt, am selben Sonntag Nachmittag, als sie am Vormittag ermordet worden, mitten im schönsten Sommer, in vollem Sonnenschein und in voller Freude auf dem Hofe. Ich entsinne mich noch, daß es war, als ob die Dämmerung herabsank; die Gesichter erstarrten, der Fjord wurde matt, der Wald und die Gegend krochen wie im Schatten ineinander. Ich entsinne mich, daß wir es noch am folgenden Tage wie einen Hieb durch alle gewohnte Lebensordnung empfanden, ich fühlte mich nicht veranlaßt, in die Schule zu gehen, die Arbeiter hörten auf und setzten sich, wenn es ihnen einfiel. Besonders die Frauen waren wie gelähmt, sie selbst fühlten sich bedroht, das war deutlich zu merken, und es wurde auch gesagt. Kamen Fremde auf den Hof, so verkündeten ihr Gesicht und ihre Bewegungen, daß der Mord auf ihnen lastete, und dasselbe verkündeten die unseren. Wir gaben uns die Hände wie aus weiter Ferne; der Mord war's, der gegenwärtig war; wovon wir auch sprachen, wir hörten den Mord in der Stimme und der Wortwahl. Das letzte Gefühl am Abend, das erste am Morgen war, daß alles ohne Stütze dastehe, und daß die Lebensfreude stehen geblieben war, wie der Zeiger auf dem Zifferblatt beim bestimmten Glockenschlage.
Aber nach und nach ordnete auch der Mord sich zwischen alles andere ein; das besorgten die Neugierde und der Klatsch; diese hoben und drehten ihn, sie besichtigten ihn und rieben ihn so lange, bis er nur noch die neueste Neuigkeit war. Bald kannten wir das Verhältnis zwischen der Ermordeten und dem Mörder bis ins kleinste; wir wußten, wer die sei, die Per nach dem Willen seiner Mutter heiraten sollte; wir kannten die Leute von Hagbö aus- und inwendig und ihren Stamm sehr weit zurück.
Als damals der Richter nach dem Pfarrhofe kam, um das erste Verhör anzustellen, war der Mord allein ein unerschöpfliches Gesprächsthema; aber als am nächsten Morgen der Distriktsexekutor und noch ein paar Männer mit dem Mörder kamen, da wurde ich von einem neuen Gefühl erfaßt, das ich mir vorher nicht hätte denken können – vom allergrößten Mitleid. Ein junger, hübscher Bursche, gut gewachsen, mit feinen Gliedern und ziemlich klein, mit dunklem, nicht starkem Haar, mit ansprechenden Augen, die jetzt scheu waren; mit klarer Stimme und einer gewissen Anmut im Wesen, beinahe Bildung; im Zusammenhang mit dem Leben und nicht mit dem Tode, mit der Freude, ja, mit der Munterkeit . . . ich empfand unsagbar viel Erbarmen mit ihm. Sowohl der Distriktsexekutor wie die anderen sprachen gut zu ihm, sie mußten also dasselbe Gefühl haben. Nur der kleine, jähzornige Schreiber kam ihm mit einer Menge harter Worte, auf die er jedoch mit der Mütze in der Hand gar nicht antwortete. Er ging in Hemdsärmeln auf dem Hofe auf und nieder – der Tag war sehr warm – mit einer flachen Tuchmütze auf dem kurzgeschnittenen Haar, mit den Händen in den Hosentaschen oder unruhig mit einem Strohhalm beschäftigt. Der Hofhund hatte Gäste bekommen, und das Spiel zwischen diesen und die Hühner und uns Kinder verfolgte er mit den Augen, als sehne er sich nach Gemeinschaft mit uns. Die Worte des Mädchens: »Aber thut ihm nichts zuleide!« nahmen kein Ende, wo er ging, stand oder saß. Ich wußte, daß er geköpft werden müsse, und ich, der glaubte, daß es sehr bald geschehen würde, war von Entsetzen erfüllt, wenn ich mir vorstellte, daß er sich sagen müsse: in einem Monat werde ich sterben, und dann in einer Woche, dann wieder in einem Tage, in einer Stunde . . . das mußte doch nicht zum Aushalten sein. Ich schlich mich hinter ihn, um seinen Nacken zu sehen, er legte just die Hand darauf, eine kleine, braune Hand, und später konnte ich das Bild nicht los werden, daß vielleicht die Finger dazwischen kamen, wenn die Axt fiel.
Er und die Wache wurden zum Essen hereingerufen. Ich mußte sehen, ob er es wirklich fertig brächte. Ja, er aß und plauderte so gut wie die anderen, und so lange verlor ich auch die Angst. Aber kaum war ich wieder draußen und allein, so setzte ich meine Gedankenkraft daran und meinte, es sei hart, daß ihre Worte: »Aber Ihr dürft ihm deshalb nichts zuleide thun!« so vollständig überhört wurden. Ich mußte hinein und Vater das sagen; aber er, langsam und ernst, und der Schreiber, klein und beweglich, gingen im Zimmer auf und nieder und sprachen – laut, laut über meine Herzensangst fort. Ich schlüpfte wieder hinaus und näherte mich seiner Jacke, und die streichelte ich.
Das Verhör wurde oben in unserm Schulzimmer abgehalten, mein Lehrer war Sekretär, und ich durfte dabeisitzen und zuhören. Der Schreiber gebrauchte seine Stimme übrigens dermaßen, daß der ganze Hof ihn durch das geöffnete Zimmer hören konnte; der Ärmste mußte Rechenschaft für den ganzen Sonntag ablegen, an dem der Mord begangen war, für jede Stunde des Tages; er leugnete, sie getötet zu haben, leugnete es mit größter Bestimmtheit: »Nicht er habe es gethan.« In den Bemühungen des Richters lag übrigens sowohl Scharfblick wie gute Gesinnung, er rührte Per bis zu Thränen, aber ein Geständnis erlangte er nicht.
»Wir werden lange hier bleiben,« sagte der Richter zu meiner Mutter, als das Verhör des ersten Tages vorüber war. Aber gegen Abend kam Pers Schwester auf den Hof, und sie war die ganze Nacht bei ihm; wir hörten sie flüstern und weinen und nimmer aufhören. Am Morgen war Per bleich und schweigsam; vor dem Gericht nahm er alles auf sich.
Es sei so zugegangen, erklärte er, daß er in Beziehungen zu ihr gestanden, und dagegen habe die Mutter viel einzuwenden gehabt; da trafen sie sich eines Sonntags im Walde, als sie mit dem Psalmbuch in der Hand zur Erbauung ging; sie setzten sich, und er fragte, ob es auch ihre Absicht sei, ihn als Vater des Kindes anzugeben, mit dem sie schwanger war; nämlich in dieser ihrer großen Not suchte sie ihre Zuflucht in der Erbauungsstunde. Sie erwiderte, daß sie keinen anderen anzugeben habe. Er sprach davon, welche Schande es sein würde, und wie wütend seine Mutter schon jetzt sei. Ja, das wüßte sie nur allzuwohl; seine Mutter sei ja böse gegen sie, und von Per sei es sonderbar, daß er sie nicht in Schutz nehme; er wisse doch am besten, wessen Schuld das sei, was geschehen war. Aber Per behauptete, daß sie noch anderen als ihm zu Willen gewesen sei; darum würde er sich auch nicht drein finden, daß sie ihn als Vater des Kindes angebe. Er legte es darauf an, sie böse zu machen; aber es gelang ihm nicht, sie war so gutmütig. Aber er mußte trotzdem dran gehen. Im Heidekraut, wo sie saß, hatte er eine Axt versteckt, und nun holte er diese vor und versetzte ihr von rückwärts einen Schlag gegen den Kopf. Sie war nicht sofort bewußtlos, sondern wehrte sich, während sie um ihr Leben bat. Er wußte nicht weiter, was nachher geschehen sei; er selbst sei wie besinnungslos geworden. Für alles übrige ließ er die Erklärung gelten, die für ihn zurecht gelegt wurde.
Die Schwester wartete auf dem Hofe, bis er verweint und schwach aus dem Verhör kam; sie gingen wieder beiseite und flüsterten. Ich kann mich ihrer nicht anders entsinnen, als daß sie gebeugt ging, und daß sie viel weinte.
* * *
Es war Winterszeit, als er hingerichtet werden sollte. Es wurde ihm mit besonders kurzer Frist verkündigt; alle im Hause bekamen die Hände voll zu thun; Vater sollte auf der Richtstätte reden, und der Probst, als Seelsorger des zum Tode Verurteilten, sowie der Distriktsexekutor sollten tags vorher zu uns kommen.
Per und die Wache und ein Freund, sein Lehrer aus der Gefangenzeit, Schullehrer Jakobsen, sollten unten im Schulhause schlafen; das Essen sollten wir ihm und Jakobsen schicken.
Ich erinnere mich, wie sie eines Vormittags in zwei Bootsladungen von Moide her kamen, der Probst, der Distriktsexekutor und der zum Tode Verurteilte. Aber ich mußte in der Schule sitzen und durfte auch später am Tage nicht dort hinuntergehen.
Dieses Verbot machte das Ganze noch mystischer. Zeitig dunkel wurde es mit schwarzer See gegen den halbweißen, stellenweise bloßgefegten Strand, die Wolken waren zerrissen und jagten; wir fürchteten Unwetter. Da schlug ein Schornsteinbrand aus dem Pfarrhofe auf, die Mehrzahl der Soldaten kam herausgestürzt, um zu helfen; die große Brandleiter wurde aus dem Raum unter der Vorratskammer hervorgeholt; sie war außerordentlich schwer und klotzig, so daß sie Mühe hatten, sie aufzurichten, bis mein Vater sich Bahn brach, alle fortzugehen bat und sie allein ausstellte. Daran erinnert man sich noch heute im Kirchspiel, ebenso daran, daß der Distriktsexekutor, ein kleiner, gewandter Zigeuner, einen Waschbottich in jede Hand nahm und die Leiter hinaufstieg, bis er auf dem Rasendache stand. Der schwarze Fjord, das unruhige Treiben der Wolken, das, was für den morgenden Tag drohte, die Flammen und der Lärm . . . und dann hinterher die Stille, o, das Flüstern in den Stuben und draußen auf dem Hofe, wo mehrere umhergingen und auf das ruhige Licht im Schulhause hinabsahen!
Dort saß nun Schullehrer Jakobsen mit seinem Freunde; sie sangen und beteten zusammen, hörte ich von denen, die dorthin kamen. Pers Familie kam am Abend in einem Boote, ging zu ihm hinauf und nahm Abschied; er soll so mutig in seiner Sicherheit gewesen sein, am nächsten Tage schon bei Gott zu weilen, und soll sie so schön ermahnt und namentlich so herzlich gebeten haben, die Mutter zu grüßen und bis ans Ende gut gegen sie zu sein. Einige sagten, sie sei mit im Boote gewesen, habe aber nicht hinaufgehen wollen. Dem war nicht so; ebensowenig wie, daß einige von ihnen am nächsten Tage bei der Hinrichtung gewesen, was ebenfalls gesagt wurde.
Ich erwachte am Morgen mit solcher Beklemmung und Angst. Das Wetter war umgeschlagen und gut geworden; aber trotzdem war es so drückend; niemand sprach laut, und alle sagten so wenig wie möglich.
Ich sollte mit dabei sein und zusehen dürfen, und beeilte mich daher, meinen Lehrer aufzusuchen, den ich, wie mir befohlen, nicht verlassen durfte. Die beiden Geistlichen kamen im Talar, wir gingen hinunter nach dem Anlegplatz und ruderten den ersten Teil des Weges. Der Verurteilte und seine Begleitung waren bereits fort und warteten dort, wo wir anlegten, um den letzten Teil des Weges zur Richtstätte, ungefähr einen Kilometer, zu gehen. Die Hinrichtung sollte an einem Kreuzwege vorgenommen werden, und es gab nur einen solchen, nämlich in Ejdsvaag, beinahe eine Meile von der Stelle, wo der Mord begangen war. Der Distriktsexekutor eröffnete den Zug, dann kamen Soldaten, dann der Verurteilte mit dem Probst an der einen und meinem Vater an der anderen Seite, dann Jakobsen und mein Lehrer, und ich zwischen beiden, dann eine Menge anderer Leute und wiederum Soldaten. Wir gingen vorsichtig auf dem glatten Boden; die Geistlichen sprachen fortwährend mit dem außerordentlich bleichen Menschen; seine Augen waren so milde und müde geworden, und er sprach nicht viel. Meine Mutter, die so gütig gegen ihn gewesen war, und der er dafür gedankt, hatte eine Flasche Wein mitgegeben, damit er sich stärken solle; als mein Lehrer ihm das erste Mal davon reichte, sah er die Geistlichen an; er wollte wissen, ob es nicht Sünde sei. Mein Vater erwähnte Paulus' Rat an Thimotheus, und sofort nahm er einen guten Schluck.
Längs des Weges standen Leute, die ihn sehen wollten und sich darauf dem Zuge anschlossen; darunter waren Kameraden von ihm, denen er traurig zunickte; ein paarmal lüftete er auch die Mütze, dieselbe flache, in der ich ihn daß erste Mal gesehen. Es war offenbar, die Kameraden hegten Güte für ihn; ich sah auch junge Frauenzimmer, die weinten und es gar nicht zu verbergen suchten. Er ging mit über der Brust gekreuzten Händen, wahrscheinlich betete er.
Als wir zur Stelle kamen, wurden wir alle durch das weltlich dröhnende: »Achtung!« des Kapitäns aufgeschreckt. Das Militär war in einem offenen Viereck aufgestellt, das sich schloß, nachdem es den Distriktsexekutor, die Geistlichen, den Verurteilten und einige andere eingelassen hatte; zu letzteren gehörte ich. Hier stand eine große, schweigende Menschenmenge versammelt, und über alle fort ragte der Vogt in dreieckigem Hut und zu Pferde. Als die Soldaten, die mit uns gekommen waren, nach verschiedenen donnernden Kommandos in das Viereck aufgenommen waren, begann die Handlung damit, daß der Vogt das Todesurteil und den königlichen Befehl verlas, der die Hinrichtung anordnete.
Der Vogt hielt gerade vor der Stelle, wo über das Grab gehobelte Bretter gelegt waren, und am einen Ende der letzteren stand der Block. Auf der anderen Seite des Grabes war eine Erhöhung angebracht; von dieser herab sollte der Probst jetzt sprechen. Per Hagbö kniete auf der Stufe, das Antlitz abwärts gekehrt und in den Händen vergraben, dicht vor den Füßen seines Seelsorgers. Der Probst war ein dänischer Mann, einer von den gar nicht wenigen, die bei der Trennung Norwegen wählten. Seine Reden waren auf dem Papier sehr tüchtig; aber sie waren nicht immer vernehmbar und am allerwenigsten, wenn er bewegt wurde; das wurde er sehr leicht. Dann schrie er die ersten Worte sehr laut hinaus, darauf aber zog er den Kopf zwischen die Schultern, schüttelte ihn unaufhörlich, während er die Augen schloß und einige erstickte Laute mit kurzem Schlucken dazwischen von sich gab. Ein Paar Vatermörder, die ihm bis an die Mitte der Ohren reichten – ich habe nie etwas Ähnliches gesehen – schlugen um den kahlgeschorenen Kopf mit zwiefachem Doppelkinn zusammen, und die Schultern schlugen wieder um jene zusammen; durch lange Übung brachte er sie höher hinauf als andere. Wer ihn nicht kannte – denn ihn kennen, hieß ihn lieb haben! – konnte sich schwer des Lachens enthalten. Seine Rede hörte man nicht und verstand sie nicht, aber sie war kurz, er mußte vor Bewegung abbrechen. Nur eins begriffen alle, er liebte diesen jungen, bleichen Mann, den er für den Tod vorbereitet hatte, und er wünschte, daß alle so ruhig und freudig zu ihrem Gott gehen möchten, wie heute er. Als er herabstieg, umarmten sie sich zum Abschied. Per bot nun meinem Vater und nach ihm noch mehreren die Hand, und stellte sich dann neben seinen Freund Jakobsen. Dieser wußte, was es bedeutete: er band sich ein Tuch ab und legte es um Pers Augen, während wir ihn flüstern und flüsternde Antworten erhalten sahen. Einer kam, um Per die Hände auf dem Rücken zu binden, aber er bat, frei gehen zu dürfen; das wurde gestattet. Dann nahm Jakobsen ihn bei der Hand und führte ihn vor; wo Per knieen sollte, blieb Jakobsen stehen, und Per beugte langsam die Knie; Jakobsen hielt die Hand noch und beugte sich nieder; bis das Haupt auf dem Block lag. Dann zog er sich zurück und faltete die Hände. Dies sah ich, und daß ein hoher Mann vortrat und Per um die Nackenmuskeln faßte, während ein kleinerer eine blanke, außerordentlich scharfgeschliffene Axt aus zwei zusammengelegten Handtüchern nahm. Da wandte ich mich ab. Ich hörte das fürchterliche: »Präsentiert das Gewehr!« des Kapitäns, ich hörte ein »Vaterunser« beten, vielleicht war es Per selbst, dann einen Hieb, genau wie in einen großen Kohlrabi. Sofort blickte ich auf, im selben Augenblick schlug ein Bein auf, und wenige Ellen vom Körper lag der Kopf und schnappte und schnappte wie nach Luft. Der Scharfrichtergehilfe sprang vor und faßte die Enden des Tuches, dann warf er ihn klatschend zu dem Körper in den Sarg. Die Bretter waren über den Sarg gelegt gewesen und schnell abgenommen, der Körper lag nun darin, dann wurde der Sarg ins Grab gesenkt.
Nun stieg mein Vater auf die Erhöhung; ihn verstanden alle, und seine gewaltige Stimme hörte man in Entfernungen, deren man sich noch heute im Kirchspiel erinnert. Gestützt durch die Donnersprache jener Strafe warnte er die Jugend vor den Lastern, die in der Gegend im Schwange waren, vor Trunksucht, Händelsucht, Hurerei und anderen Roheiten; die Predigt muß ihnen gut gefallen haben, denn auf dem Heimwege wurde sie ihm aus der Tasche seines Talars gestohlen.
Selbst ging ich so krank am Herzen von dort, ja, so erstarrt vor Angst, als sollte ich der nächste sein, der hingerichtet würde. Und später sprach ich mit vielen, die genau dieselbe Empfindung gehabt hatten. Mein Vater und der Probst speisten oben auf der Anhöhe beim Kapitän mit den anderen Beamten zu Mittag; aber vom Mittagessen kamen sie direkt nach Hause.
Kann nun nicht jeder sich meinen Schreck vorstellen, als ich in einem Winkel saß – niemand achtete meiner – und hörte, wie der Probst meinen Eltern erzählte, daß Per ihm vor dem heiligen Sakrament im Gefängnis gesagt, er habe das Mädchen nicht an den steilen Felsen geschleppt und habe es nicht hinabgestoßen; wenn der Probst es verlange, wolle er ihm sagen, wer es gewesen.
Der Probst sagte indessen nein, »er habe nur mit ihm zu thun!«
Später hörte ich, im Kirchspiel würde überall erzählt, Pers Mutter sei diejenige gewesen, die ihn dazu gebracht hatte, das Mädchen aus dem Wege zu schaffen, wenn es sich nicht dazu verstand, einen anderen als Vater des Kindes anzugeben; weiter, daß Per ihr allerdings einen Axthieb versetzt und mit ihr gekämpft, es dann aber aufgegeben habe, und davongelaufen sei; darauf sei die Mutter hingegangen und habe die That vollbracht.
Für seine Mutter ging er also in den Tod, und das war es, wozu die Schwester ihn gebracht hatte. Dieses Geheimnis war es wohl, das ihn und Jakobsen in seliger Schwärmerei verband und ihn dem Probst so teuer machte – so habe ich mir später gedacht.
Jene, die an diesem Tage die Wiedervergeltung, die Rache des Staats im Namen des Königs repräsentierten, muß ich hier nennen – nicht ihren Namen, sondern ihren Charakter. Der Kapitän war ein kraftvoller, lebhafter Mann, er hatte an unseren beiden letzten Kriegen teilgenommen, aber so gleichgültig war er gegen alles, was Moral hieß, daß er schließlich eines Verbrechens angeklagt wurde, so empörend, daß ich es nicht nennen kann; er wurde zwar freigesprochen, aber niemand zweifelte an seiner Schuld. Der Vogt kam auf zehn Jahre ins Zuchthaus wegen Betrugs im Amte; er war bereits schuldig, als er damals mit an der Mittagstafel saß; das wußte mein Vater. Der Distriktsexekutor »blieb« auf der See, und als man seine Rechnungen und Papiere durchging, zeigte es sich, daß er ungefähr das halbe Kirchspiel betrogen hatte; keinem Manne ist in jener Gegend des Landes so furchtbar ins Grab nachgeflucht worden, wie ihm.
Das ist über fünfzig Jahre her. Seitdem ist Norwegen in jeder Beziehung ein anderes Land geworden.