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An demselben Abend erhielt Amanda in großer Heimlichkeit einen Brief, welcher sie sehr neugierig machte. Sie zündete Licht an und las ihn. Er war von Luigi! – der erste, den er ihr je geschickt – und lautete:
»Amanda!
Ein toller Mensch verfolgt mich und will mich töten. Vor einer Stunde habe ich ihm feierlich geloben, ja, ich habe es unterschreiben müssen, daß ich für ewig auf Dich verzichte und ich darf nicht einmal mehr mit Dir sprechen! Das war feig, ich weiß es. Ich verachte mich selbst, so wie Du mich verachten wirst.
Dies kommt aber alles daher, weil ich erst jetzt, seitdem ich die Erklärung abgegeben habe, weiß, daß ich Dich liebe! Vielleicht that ich es auch vorher nicht. Aber nun liebe ich Dich so grenzenlos, und nie war jemand auf dieser Welt so unglücklich wie nun ich.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß es aus ist! Es kann nicht für immer sein!
Alles beruht übrigens nur darauf, Amanda, ob Du mich nicht allzutief verachtest. Denn wenn Du mich liebst, so erreicht der tolle Mensch ja doch nichts damit, und dann wird's noch einmal anders.
Ich bin hier wie in Gefangenschaft. Ich darf mich nicht rühren. Aber das weiß ich, wenn Du mir nicht wieder heraushilfst, so will ich sterben.
Amanda! Ein Wort, ein Zeichen! Das Schreiben scheint mir zu gefährlich. Ich weiß nicht, wie ich Dir diese Zeilen werde zukommen lassen. Versuche Du nur nicht, mir einen Brief zu schicken. Er könnte auf die Spur geraten.
Aber morgen beim Fest! Sei dort, bei der Musik! Sei dort, bis ich Dich gefunden habe. Nur mit den Blicken! Sind sie freundlich, so weiß ich alles. Ach, Amanda, der Rest ergiebt sich schon von selbst, wenn Du erst mein bist. Amanda!
Dein zum Sterben unglücklicher Vetter Luigi.«
Gleich nachdem Amanda diesen Brief gelesen, fühlte sie, daß sie Luigi liebe. Auch sie hatte sich darüber nicht vorher Rechenschaft gegeben. Aber nun liebte sie ihn grenzenlos, dessen war sie gewiß.
Was Mansana von ihm gesagt, mußte wohl ein Mißverständnis sein und das Versprechen, welches Luigi gegeben, war natürlich wertlos. Mädchen nehmen dergleichen nicht so buchstäblich, wenn es ihnen nicht passend scheint. – Außerdem war Mansana ja abgereist.
Also am nächsten Tage, dem Festtage, einem prachtvollen Herbstmorgen, war Amanda schon früh auf den Beinen; die Musik hatte um Sonnenaufgang die Straßen durchzogen und die Kanonen hatten dazu gedonnert. Die in- und auswendig geschmückten Kirchen waren ganz voll und auch die kleine Amanda befand sich in bestem Staate mit ihrem Vater daselbst. Sie betete für Luigi. Nachdem sie fertig war, übte sie sich im Lächeln. Sie sollte ja Luigi mit ihrem freundlichsten Blicke Trost bringen.
Nach der Prozession und dem Mittagessen eilte sie fort; schon spielte die Musik auf dem Markte. Sie trieb ihren alten Vater derartig zur Eile, daß sie zu den ersten Erwachsenen gehörten, welche auf den Platz kamen, allein dadurch auch, ehe eine Stunde um war, zu den meist eingeklemmten.
Amanda betrachtete das schweißtriefende Gesicht ihres Vaters und dachte an ihr eigenes und wie häßlich es nun in Luigis Augen erscheinen würde. Sie mußte heraus, es koste was es wolle, und doch sollte der Preis keine verlorene Rose, keine zerknitterte Schleife, ja, nicht einmal etwas Anstrengung sein, denn diese macht ja noch röter.
Daher ging es auch nicht rasch vorwärts; ach, heißer und heißer wurde ihr! Sie hörte die große Trommel und ein paar Trompeten aus dem Gedröhne des Redens und Lachens jener Tausende, unter welchen sie verschwand; sie sah den Turm auf dem Rathaus und den Kolben, welcher länger herabhing als die Glocke; das war das letzte, was sie über den Menschenwogen sah, in welchen sie untertauchte. Des Vaters erbarmungswürdiges Gesicht sagte ihr, wie rot und abscheulich das ihrige sein mußte, – und die Kleine begann zu weinen.
Aber auch Luigi war einer der ersten bei der Musik gewesen, und da weder die Stadt noch ihr Rathausplatz sehr groß war, so konnte es nicht anders kommen, als daß die zwei, welche einander im wogenden Menschengetümmel suchten, schließlich sich auch von Antlitz zu Antlitz gegenüber standen. Er sah sie hocherrötend durch Thränen lächeln. Er nahm die Röte für Freude, die Thränen für Mitleid und das Lächeln für das, was es sein sollte.
Der Vater in seiner Angst und Not begrüßte Luigi als seinen Rettungsengel und bat: »Hilf uns heraus, Luigi!«
Und Luigi begann augenblicklich zu helfen. Leicht war die Arbeit nicht, ja, der Vater und Amanda gerieten ein paarmal in wirkliche Gefahr, sodaß Luigi die Empfindung hatte, als sei er ein Held. Mit Rücken und Ellbogen schirmte er sie und mit unablässig auf Amanda gerichteten Augen schwelgte er in ihrem Anblick.
Er sprach nicht; er brach nicht seinen Eid! Dies verlieh ihm ein stolzes Bewußtsein; er mußte edel aussehen und er fühlte es am Reflex von Amandas Augen, daß er in der That edel aussah.
Doch kein irdisches Glück währet ewig.
Vor einer Viertelstunde hatte Giuseppe Mansana ihn in der Volksmenge entdeckt und war ihm mit jenem Instinkte, welcher der Eifersucht eigen ist, ganz von ferne gefolgt, was ihm, der so groß war, gar nicht schwer fiel. Der andere hatte in seinem rastlosen Suchen nur nach vorwärts gearbeitet und daher gar keine Ahnung von der Gefahr hinter seinem Nacken, und nun fesselte ihn so sehr seine Ritterpflicht, nämlich sein edles Bild von Amandas Augen zurückgestrahlt zu sehen, daß er nichts merkte, ehe nicht Mansanas Hyänengesicht vor ihm auftauchte und sein brennender Atem ihm über die Wangen strich.
Amanda stieß ihren bekannten Schrei aus; der Vater schaute fürchterlich dumm drein und Luigi war verschwunden.
In demselben Nu hatte Amanda ihren Arm in den Mansanas und dazu noch die warme behandschuhte Hand auf die seinige gelegt; zwei allerschönste, halbgeschlossene Augen blickten voll Schelmerei, Furcht und Bitte in die seinigen auf.
Nun war man aus dem Gedränge; man vermochte endlich wieder ein Wort zu verstehen und Mansana hörte von einer Stimme, welche die Engel in den Himmel hineinläuten konnte: »Papa und ich waren in großer Gefahr. Wie prächtig, daß wir Hilfe fanden!« – und er fühlte den Druck ihrer Hand.
Mansana hatte doch dieselben Augen sich in jene Luigis versenken gesehen, und durch seinen Kopf flog ein Gedanke, den er später im Leben sich wohl tausendmal wiederholte, den er nun aber im nächsten Momente vergaß, und dieser Gedanke lautete:
»Ich bin da in eine dumme, lächerliche Geschichte geraten!«
Die kleine Plaudertasche ihm zur Seite fuhr fort:
»Der arme Luigi traf uns mitten im Gedränge; Papa bat ihn uns beizustehen und er that es, ohne ein Wort zu sagen.«
Und gleich darauf: »Es ist doch hübsch, daß Sie nicht fort sind. Nun müssen Sie mit uns nachhause, sodaß wir recht ordentlich sprechen können. Es war neulich so unterhaltend!«
Und ihr junger Busen hob sich und senkte sich hastig unter der Seide; ihr rundes Handgelenk über dem Handschuh, ihre kleine Fußspitze unter dem Kleid, ihr roter Mund voll von Geplauder und Gelächter und die zwei Augen in halbverschleierter Vertraulichkeit – – –
Mansana ging mit.
Er erwähnte Luigis Namen nicht; derselbe saß wie eine scharfe Spitze in seinem Herzen; er drückte sich um so tiefer ins Fleisch, je schöner das Mädchen war.
Dieser Kampf zwischen Liebe und Schmerz machte Mansana ganz stumm. Doch desto hurtiger ging ihr süßer Mund, während sie ihn zum Setzen bewog und Früchte herbeiholte, welche sie ihm selber schälte und vorlegte. Es freute sie so sehr, daß ihre Begegnungen auf der Anhöhe noch fortdauern sollten, ja, sie brachte eine Verabredung wegen eines kleinen Ausflugs zustande, den sie schon am nächsten Morgen vornehmen sollten; das Frühstück wollte sie selbst mitbringen.
Noch hatte er nur in einzelnen Silben geantwortet. Er konnte in diese harmlose Idylle nicht mit seiner Leidenschaft hineinbrechen, und doch war der Kampf in ihm so heftig, daß er es nicht aushielt, sondern von dannen ging.
Erst als er über die Treppe hinab war und die unermüdlich einschmeichelnde Verführerin ihren letzten Gruß vom Balkone hinabgeschickt hatte, schloß sie die Altanthür zu und warf sich schluchzend vor dem Vater auf die Kniee.
Er fühlte sich nicht im mindesten überrascht.
Er empfand das gleiche Entsetzen wie sie. – Mansanas Abschiedsblick hatte im Verein mit seinem ganzen Wesen die Stube mit einer so beängstigenden Atmosphäre erfüllt, daß es den Vater ebensowenig gewundert hätte, wenn sie im nächsten Momente wären in die Luft gesprengt worden. Und als Amanda durch Thränen flüsterte:
»Vater, wir müssen fort!« – antwortete er nun:
»Ja, mein Kind; wir müssen natürlich fort!«
Es mußte dies heimlich geschehen und daher am liebsten gleich diese Nacht.