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Am 30. Juni 1866 Abends traf Seine Majestät mit dem Hauptquartier in Reichenberg ein. Die Stadt von 28 000 Einwohnern beherbergte 1800 östreichische Gefangne und war nur von 500 preußischen Trainsoldaten mit alten Carabinern besetzt; nur einige Meilen davon lag die sächsische Reiterei. Diese konnte in einer Nacht Reichenberg erreichen und das ganze Hauptquartier mit Sr. Majestät ausheben. Daß wir in Reichenberg Quartier hatten, war telegraphisch publicirt geworden. Ich erlaubte mir den König hierauf aufmerksam zu machen, und infolge dieser Anregung wurde befohlen, daß die Trainsoldaten sich einzeln und unauffällig nach dem Schlosse begeben sollten, wo der König Quartier genommen hatte. Die Militärs waren über diese meine Einmischung empfindlich, und um ihnen zu beweisen, daß ich um meine Sicherheit nicht besorgt sei, verließ ich das Schloß, wohin Seine Majestät mich befohlen hatte, und behielt mein Quartier in der Stadt. Es war damit schon der Keim zu einer der Ressort-Eifersucht entspringenden Verstimmung der Militärs gegen mich wegen meiner persönlichen Stellung zu Sr. Majestät gelegt, die sich im Laufe des Feldzugs und des französischen Krieges weiter entwickelte.
Nach der Schlacht von Königgrätz war die Situation derartig, daß ein Eingehn auf die erste Annäherung Oestreichs zu Friedensunterhandlungen nicht nur möglich, sondern durch die Einmischung Frankreichs geboten erschien. Letztre datirte von dem in der Nacht vom 4. zum 5. Juli in Horricz eingetroffnen, an Seine Majestät gerichteten Telegramm, in welchem Louis Napoleon dem Könige mittheilte, daß der Kaiser Franz Joseph ihm Venetien abgetreten und seine Vermittlung angerufen habe. Der glänzende Erfolg der Waffen des Königs nöthige Napoleon aus seiner bisherigen Zurückhaltung herauszutretenS. L. Schneider, Aus dem Leben Wilhelm's I., Bd. I 253 f.. Die Einmischung war hervorgerufen durch unsern Sieg, nachdem Napoleon bis dahin auf unsre Niederlage und Hülfsbedürftigkeit gerechnet hatte. Wenn unsrerseits der Sieg von Königgrätz durch Eingreifen des Generals v. Etzel und durch energische Verfolgung des geschlagnen Feindes vermittelst unsrer intacten Cavallerie vollständig ausgenutzt worden wäre, so würde wahrscheinlich die Sendung des Generals von Gablenz in das preußische Hauptquartier schon zu dem Abschluß nicht nur eines Waffenstillstandes, sondern auch der Basen des künftigen Friedens geführt haben, bei der Mäßigung, welche unsrerseits und damals auch noch bei dem Könige in Bezug auf die Bedingungen des Friedens vorwaltete, eine Mäßigung, die damals von Oestreich doch schon mehr als nützlich beanspruchte und uns als künftige Genossen alle bisherigen Bundesglieder, aber alle verkleinert und verletzt, gelassen hätte. Auf meinen Antrag antwortete Seine Majestät dem Kaiser Napoleon dilatorisch, aber doch mit Ablehnung jedes Waffenstillstandes ohne Friedensbürgschaften.
Ich fragte später in NikolsburgDiese Frage an Moltke kann nicht erst in Nikolsburg gestellt worden sein, wohin das Hauptquartier am 18. Juli verlegt wurde. Ihre Beantwortung durch Moltke in dem im Texte angegebenen Sinne, die durch Moltke's Schreiben an Bismarck vom 8. Aug. 1866 bestätigt wird, bestimmte Bismarck dazu, dem Könige die Bildung der ungarischen Legion vorzuschlagen. Der Befehl dazu erging am 14. Juli. – Vgl. v. Lettow-Vorbeck, Geschichte des Krieges von 1866 II 597 f. den General von Moltke, was er thun würde, wenn Frankreich militärisch eingriffe. Seine Antwort war: Eine defensive Haltung gegen Oestreich, mit Beschränkung auf die Elblinie, inzwischen Führung des Kriegs gegen Frankreich.
Dieses Gutachten befestigte mich noch mehr in meinem Entschlusse, Seiner Majestät den Frieden auf der Basis der territorialen Integrität Oestreichs anzurathen. Ich war der Ansicht, daß wir im Falle der französischen Einmischung entweder sofort unter mäßigen Bedingungen mit Oestreich Frieden und wo möglich ein Bündniß schließen müßten, um Frankreich anzugreifen, oder daß wir Oestreich durch raschen Anlauf und durch Fördrung des Conflicts in Ungarn, vielleicht auch in Böhmen, schnell vollends lahm zu legen und bis dahin gegen Frankreich, nicht, wie Moltke wollte, gegen Oestreich, uns nur defensiv zu verhalten hätten. Ich war des Glaubens, daß der Krieg gegen Frankreich, den Moltke, wie er sagte, zuerst und schnell führen wollte, nicht so leicht sein, daß Frankreich zwar für die Offensive wenig Kräfte übrig haben, aber in der Defensive nach geschichtlicher Erfahrung im Lande selbst bald stark genug werden würde, um den Krieg in die Länge zu ziehn, so daß wir dann vielleicht unsre Defensive gegen Oestreich an der Elbe nicht siegreich würden halten können, wenn wir einen Invasionskrieg in Frankreich, mit Oestreich und Süddeutschland feindlich im Rücken, zu führen hätten. Ich wurde durch diese Perspective zur lebhaftern Anstrengung im Sinne des Friedens bestimmt.
Eine Betheiligung Frankreichs am Kriege hätte damals vielleicht nur 60 000 Mann französischer Truppen sofort nach Deutschland in das Gefecht geführt, vielleicht noch weniger; diese Zuthat zu dem Bestande der süddeutschen Bundesarmee wäre jedoch ausreichend gewesen, um für die letztre die einheitliche und energische Führung, wahrscheinlich unter französischem Obercommando, herzustellen. Allein die bairische Armee soll zur Zeit des Waffenstillstandes 100 000 Köpfe stark gewesen sein, und mit den übrigen verfügbaren deutschen Truppen, an sich guten und tapfern Soldaten, und 60 000 Franzosen wäre uns von Südwesten her eine Armee von 200 000 Mann unter einheitlicher kräftiger französischer Leitung anstatt der frühern, schüchternen und zwiespältigen entgegengetreten, der wir vorwärts (von) Berlin keine gleichwerthigen Streitkräfte gegenüberzustellen hatten, ohne Wien gegenüber zu schwach zu werden. Mainz war von Bundestruppen unter dem Befehl des bairischen Generals Grafen Rechberg besetzt; wären die Franzosen einmal darin gewesen, so würde es harte Arbeit gekostet haben, sie daraus zu entfernen.
Unter dem Druck der französischen Intervention und zu einer Zeit, als es sich noch nicht übersehn ließ, ob es gelingen werde, sie auf dem diplomatischen Gebiete festzuhalten, entschloß ich mich, dem Könige den Appell an die ungarische Nationalität anzurathen. Wenn Napoleon in der angedeuteten Weise in den Krieg eingriff, Rußlands Haltung zweifelhaft blieb, namentlich aber die Cholera in unsrer Armee weitre Fortschritte machte, so konnte unsre Lage eine so schwierige werden, daß wir zu jeder Waffe, die uns die entfesselte nationale Bewegung nicht nur in Deutschland, sondern auch in Ungarn und Böhmen darbieten konnte, greifen mußten, um nicht zu unterliegenVgl. die Aeußerung in der Rede vom 16. Januar 1874, Politische Reden VI 140.
Am 12. Juli fand in dem Marschquartier Czernahora Kriegsrath, oder, wie die Militärs die Sache genannt haben wollen, Generalsvortrag Statt – ich behalte der Kürze und des allgemeinen Verständnisses wegen den erstern auch von RoonIn dem Briefe an seine Gemalin vom 7. Februar 1871 (Denkwürdigkeiten III4 297). gebrauchten Ausdruck bei, obwohl der Feldmarschall Moltke in einem dem Professor von Treitschke am 9. Mai 1881 übergebenen Aufsatze bemerkt hat, daß in beiden Kriegen niemals Kriegsrath gehalten worden seiVgl. Moltke, Gesammelte Schriften III 415 ff.. Zu diesen unter dem Vorsitz des Königs gehaltnen Berathungen, die anfangs regelmäßig, später in größern Abständen Statt fanden, wurde ich 1866 zugezogen, wenn ich erreichbar war. An jenem Tagev. Lettow-Vorbeck, Geschichte des Krieges von 1866 III 651 bezweifelt, daß diese Erörterung schon am 12. Juli stattgefunden habe. Inhaltlich werden aber Bismarck's Angaben kaum anzufechten sein; wenn die Ausführung erst durch den Erlaß vom 19. Juli angeordnet wurde, so erklärt sich die zeitliche Differenz zwischen Vorschlag und Ausführung wohl eben aus dem Widerstreben der militärischen Berather des Königs gegen Bismarck's Heranziehung zu rein militärischen Erörterungen. handelte es sich um die Richtung des weitern Vorgehns gegen Wien; ich war verspätet zur Besprechung erschienen, und der König orientirte mich, daß es sich darum handle, die Befestigungen der Floridsdorfer Linien zu überwältigen, um nach Wien zu gelangen, daß dazu nach der Beschaffenheit der Werke schweres Geschütz aus Magdeburg herbeigeführt werden müsseIn dem Werke des Generalstabs heißt es S. 484 unter dem 14. Juli: »Nach Dresden wurde an den Obersten Mertens telegraphirt, 50 dorthin dirigirte also [wohl noch nicht eingetroffne] schwere Geschütze so bereit zu halten, daß sie, sobald es befohlen würde, ohne Zeitverlust auf der Eisenbahn abgesandt werden könnten. Die Eisenbahn jenseits Lundenburg war zerstört; der General von Hindersin wurde daher beauftragt, an dem genannten Orte einen Park von Transportmitteln zusammen zu bringen.« und daß dazu eine Transportzeit von 14 Tagen erforderlich sei. Nachdem Bresche gelegt, sollten die Werke gestürmt werden, wofür ein muthmaßlicher Verlust von 2000 Mann veranschlagt wurde. Der König verlangte meine Meinung über die Frage. Mein erster Eindruck war, daß wir 14 Tage nicht verlieren durften, ohne die Gefahr mindestens der französischen Einmischung sehr viel näher zu rücken, als sie ohnehin lagDie Situation war ähnlich wie 1870 vor Paris.. Ich machte meine Besorgniß geltend und sagte: »Vierzehn Tage abwartender Pause können wir nicht verlieren, ohne das Schwergewicht des französischen Arbitriums gefährlich zu verstärken.« Ich stellte die Frage, ob wir überhaupt die Floridsdorfer Befestigungen stürmen müßten, ob wir sie nicht umgehn könnten. Mit einer Viertelschwenkung links könnte die Richtung auf Preßburg genommen und die Donau dort mit leichtrer Mühe überschritten werden. Entweder würden die Oestreicher dann den Kampf in ungünstiger Lage mit Front nach Osten südlich (von) der Donau aufnehmen oder vorher auf Ungarn ausweichen; dann sei Wien ohne Schwertstreich zu nehmen. Der König ließ sich eine Karte reichen und sprach sich zu Gunsten dieses Vorschlags aus; die Ausführung wurde, wie mir schien widerstrebend, in Angriff genommen, aber sie geschah.
Nach dem Generalstabswerke, S. 522, erging erst unter dem 19. Juli folgender Erlaß des Großen Hauptquartiers:
»Es ist die Absicht Sr. Majestät des Königs, die Armee in einer Stellung hinter dem Rußbach zu concentriren . . . In dieser Stellung soll die Armee zunächst in der Lage sein, einem Angriff entgegen zu treten, welchen der Feind mit etwa 150 000 Mann von Floridsdorf aus zu unternehmen vermag; demnächst soll sie aus derselben entweder die Floridsdorfer Verschanzungen recognosciren und angreifen, oder aber, unter Zurücklassung eines Observationscorps gegen Wien, möglichst schnell nach Preßburg abmarschiren können. . . . Beide Armeen schieben ihre Vortruppen und Recognoscirungen an den Rußbach in der Richtung Wolkersdorf und Deutsch-Wagram vor. Gleichzeitig mit diesem Vorrücken soll der Versuch gemacht werden, Preßburg durch überraschenden Angriff in Besitz zu nehmen und den eventuellen Donauübergang daselbst zu sichern.«
Mir kam es für unsre spätern Beziehungen zu Oestreich darauf an, kränkende Erinnrungen nach Möglichkeit zu verhüten, wenn es sich ohne Beeinträchtigung unsrer deutschen Politik thun ließLenz, Zur Kritik der Gedanken und Erinnerungen S. 62 sieht in diesem Satze ein Argument, dessen sich Bismarck bei der damaligen Kriegslage im Kriegsrathe nicht bedient haben könne. Die Beziehung des Satzes auf den Kriegsrath aber ist von Lenz künstlich hergestellt. Der Satz enthält eine rückschauende Betrachtung, Daß ihm die darin niedergelegte Auffassung auch im Juli 1866 nicht fremd war, er im Gegentheil bemüht war, Oesterreich soviel als möglich zu schonen, geht aus dem Ausspruche hervor, den er am Abend der Schlacht bei Königgrätz that: »Die Streitfrage . . . ist entschieden; jetzt gilt es, die alte Freundschaft mit Oestreich wiederzugewinnen« (Sybel V 203).. Der siegreiche Einzug des preußischen Heers in die feindliche Hauptstadt wäre für unsre Militärs natürlich eine befriedigende Erinnrung gewesen, für unsre Politik war er kein Bedürfniß; in dem östreichischen Selbstgefühl hätte er gleich jeder Abtretung alten Besitzes an uns eine Verletzung hinterlassen, die, ohne für uns ein zwingendes Bedürfniß zu sein, die Schwierigkeit unsrer künftigen gegenseitigen Beziehungen unnöthig gesteigert haben würde. Es war mir schon damals nicht zweifelhaft, daß wir die Errungenschaften des Feldzugs in fernern Kriegen zu vertheidigen haben würden, wie Friedrich der Große die Ergebnisse seiner beiden ersten schlesischen Kriege in dem schärfern Feuer des siebenjährigen. Daß ein französischer Krieg auf den östreichischen folgen werde, lag in der historischen Konsequenz, selbst dann, wenn wir dem Kaiser Napoleon die kleinen Spesen, die er für seine Neutralität von uns erwartete, hätten bewilligen können. Auch nach russischer Seite hin konnte man zweifeln, welche Wirkung eintreten werde, wenn man sich dort klar machte, welche Erstarkung für uns in der nationalen Entwicklung Deutschlands lag. Wie sich die spätern Kriege um die Behauptung des Gewonnenen gestalten würden, war nicht vorauszusehn; in allen Fällen aber war es von hoher Wichtigkeit, ob die Stimmung, die wir bei unsern Gegnern hinterließen, unversöhnlich, die Wunden, die wir ihnen und ihrem Selbstgefühl geschlagen, unheilbar sein würden. In dieser Erwägung lag für mich ein politischer Grund, einen triumphirenden Einzug in Wien, nach Napoleonischer Art, eher zu verhüten als herbeizuführen. In Lagen, wie die unsrige damals war, ist es politisch geboten, sich nach einem Siege nicht zu fragen, wie viel man dem Gegner abdrücken kann, sondern nur zu erstreben, was politisches Bedürfniß ist. Die Verstimmung, die mein Verhalten mir in militärischen Kreisen eintrug, habe ich als die Wirkung einer militärischen Ressortpolitik betrachtet, der ich den entscheidenden Einfluß auf die Staatspolitik und deren Zukunft nicht einräumen konnte.
Als es darauf ankam, zu dem Telegramm Napoleon's vom 4. Juli Stellung zu nehmen, hatte der König die Friedensbedingungen so skizzirt: Bundesreform unter preußischer Leitung, Erwerb Schleswig-Holsteins, Oestreichisch-Schlesiens, eines böhmischen Grenzstrichs, Ostfrieslands, Ersetzung der feindlichen Souveräne von Hanover, Kurhessen, Meiningen, Nassau durch ihre Thronfolger. Später traten andre Wünsche hervor, die theils in dem Könige selbst entstanden, theils durch äußre Einflüsse erzeugt waren. Der König wollte Theile von Sachsen, Hanover, Hessen annectiren, besonders aber Ansbach und Bayreuth wieder an sein Haus bringen. Seinem starken und berechtigten Familiengefühl lag der Rückerwerb der fränkischen Fürstenthümer nahe.
Ich erinnre mich, auf einem der ersten Hoffeste, denen ich in den 30er Jahren beiwohnte, einem Costümballe bei dem damaligen Prinzen Wilhelm, diesen in der Tracht des Kurfürsten Friedrich I. gesehn zu haben. Die Wahl des Costüms außerhalb der Richtung der übrigen war der Ausdruck des Familiengefühls, der Abstammung, und selten wird dieses Costüm natürlicher und kleidsamer getragen worden sein, als von dem damals etwa 37 Jahre alten Prinzen Wilhelm, dessen Bild darin mir stets gegenwärtig geblieben ist. Der starke dynastische Familiensinn war vielleicht in Kaiser Friedrich III. noch schärfer ausgeprägt, aber gewiß ist, daß 1866 der König auf Ansbach und Bayreuth noch schwerer verzichtete als auf Oestreichisch-Schlesien, Deutsch-Böhmen und Theile von Sachsen. Ich legte an Erwerbungen von Oestreich und Baiern den Maßstab der Frage, ob die Einwohner in etwaigen Kriegen bei einem Rückzuge der preußischen Behörden und Truppen dem Könige von Preußen noch treu bleiben, Befehle von ihm annehmen würden, und ich hatte nicht den Eindruck, daß die Bevölkerung dieser Gebiete, die in die bairischen und östreichischen Verhältnisse eingelebt ist, in ihrer Gesinnung den Hohenzollern'schen Neigungen entgegenkommen würde.
Das alte Stammland der Brandenburger Markgrafen im Süden und Osten von Nürnberg etwa zu einer preußischen Provinz mit Nürnberg als Hauptstadt gemacht, wäre kaum ein Landestheil gewesen, den Preußen in Kriegsfällen von Streitkräften entblößen und unter den Schutz seiner dynastischen Anhänglichkeit hätte stellen können. Die letztre hat während der kurzen Zeit des preußischen Besitzes keine tiefen Wurzeln geschlagen, trotz der geschickten Verwaltung durch Hardenberg, und war seither in der bairischen Zeit vergessen, so weit sie nicht durch confessionelle Vorgänge in Erinnrung gebracht wurde, was selten und vorübergehend der Fall war. Wenn auch gelegentlich das Gefühl der bairischen Protestanten verletzt wurde, so hat sich die Empfindlichkeit darüber niemals in Gestalt einer Erinnrung an Preußen geäußert. Uebrigens wäre auch nach einer solchen Beschneidung der bairische Stamm von den Alpen bis zur Oberpfalz in der Verbittrung, in welche die Verstümmlung des Königreichs ihn versetzt haben würde, immer als ein schwer zu versöhnendes und nach der ihm innewohnenden Stärke gefährliches Element für die zukünftige Einigkeit zu betrachten gewesen. Es gelang mir jedoch in Nikolsburg nicht, dem Könige meine Ansichten über den zu schließenden Frieden annehmbar zu machen. Ich mußte daher Herrn von der Pfordten, der am 24. Juli dorthin gekommen war, unverrichteter Sache abreisen lassen und mich mit einer Kritik seines Verhaltens vor dem Kriege begnügen. Er war ängstlich, die östreichische Anlehnung vollständig aufzugeben, obgleich er sich auch dem Wiener Einfluß gern entzogen hätte, wenn es ohne Gefahr möglich war; aber Rheinbunds-Velleitäten, Reminiscenzen an die Stellung, die die deutschen Kleinstaaten unter französischem Schutze von 1806 bis 1814 gehabt hatten, waren bei ihm nicht vorhanden – ein ehrlicher und gelehrter, aber politisch nicht geschickter deutscher Professor.
Dieselbe Erwägung, wie in Betreff der fränkischen Fürstenthümer, machte ich Sr. Majestät gegenüber geltend in Betreff Oestreichisch-Schlesiens, das eine der kaisertreuesten Provinzen, überdies vorwiegend slavisch bevölkert ist, und in Betreff der böhmischen Gebiete, die der König auf Andringen des Prinzen Friedrich Karl als Glacis vor den sächsischen Bergen behalten wollte, Reichenberg, das Egerthal, Karlsbad. Es kam später hinzu, daß Karolyi jede Landabtretung kategorisch ablehnte, selbst die von mir ihm gegenüber berührte des kleinen Gebiets von Braunau, dessen Besitz für uns ein Eisenbahninteresse hatte. Ich zog vor, auch darauf zu verzichten, sobald das Festhalten den Abschluß zu verschleppen und die Gefahr französischer Einmischung zu verschärfen drohte.
Der Wunsch des Königs, Westsachsen, Leipzig, Zwickau und Chemnitz zur Herstellung der Verbindung mit Bayreuth zu behalten, stieß auf die Erklärung Karolyi's, daß er die Integrität Sachsens als conditio sine qua non der Friedensbedingungen festhalten müsse. Dieser Unterschied in der Behandlung der Bundesgenossen beruhte auf den persönlichen Beziehungen zum Könige von Sachsen und auf dem Verhalten der sächsischen Truppen nach der Schlacht bei Königgrätz, die bei dem Rückzuge den festesten und intactesten militärischen Körper gebildet hatten. Die andern deutschen Truppen hatten sich tapfer geschlagen, wo sie in's Gefecht kamen, aber spät und ohne praktische Erfolge, und es waltete in Wien der den Umständen nach unberechtigte Eindruck vor, von den Bundesgenossen, namentlich von Baiern und Würtemberg, unzulänglich unterstützt zu sein. Das Generalstabswerk sagt unter dem 21. Juli: »In Nikolsburg hatten seit mehreren Tagen Verhandlungen Statt gefunden, deren nächstes Ziel eine fünftägige Waffenruhe war. Vor Allem galt es, für die Diplomatie Zeit zu gewinnenDie Diplomatie hatte aber Angesichts der französischen Einmischung weniger Zeit zu verlieren als die Heeresleitung.. Jetzt, wo das preußische Heer das Marchfeld betrat, stand eine neue Katastrophe unmittelbar bevor.«
Ich fragte Moltke, ob er unser Unternehmen bei Preßburg für gefährlich oder für unbedenklich halte. Bis jetzt hatten wir keinen Flecken auf der weißen Weste. Sei mit Sicherheit auf einen guten Ausgang zu rechnen, so müßten wir die Schlacht sich vollziehn, die Waffenruhe einen halben Tag später beginnen lassen; der Sieg würde unsre Stellung in der Verhandlung natürlich stärken. Im andern Fall wäre besser auf das Unternehmen zu verzichten. Er gab mir die Antwort, daß er den Ausgang für zweifelhaft und die Operation für eine gewagte halte, aber im Kriege sei alles gefährlich. Dies bestimmte mich, die Verabredung über die Waffenruhe Sr. Majestät in der Art zu empfehlen, daß Sonntag den 22. Mittags die Feindseligkeiten eingestellt und nicht vor Mittag des 27. wieder aufgenommen werden sollten. Der General von Franseckn erhielt am 22. Morgens 7½ Uhr die Nachricht von der an demselben Tage eintretenden Waffenruhe und die Weisung, damit sein Verhalten in Einklang zu bringen. Der Kampf, in welchem er bei Blumenau stand, mußte daher um 12 Uhr abgebrochen werden.
Inzwischen hatte ich in den Conferenzen mit Karolyi und mit Benedetti, dem es, Dank dem Ungeschick unsrer militärischen Polizei im Rücken des Heeres, gelungen war, in der Nacht vom 11. zum 12. Juli nach Zwittau zu gelangen und dort plötzlich vor meinem Bette zu erscheinenVgl. das Dictat Bismarck's vom 13. Juli 1866 bei v. Lettow-Vorbeck, Geschichte des Krieges von 1866 II 594 f., die Bedingungen ermittelt, unter denen der Friede erreichbar war. Benedetti erklärte für die Grundlinie der Napoleonischen Politik, daß eine Vergrößrung Preußens um höchstens 4 Millionen Seelen in Norddeutschland, unter Festhaltung der Mainlinie als Südgrenze, keine französische Einmischung nach sich ziehn werdeDiese Angabe findet v. Lettow-Vorbeck, Geschichte des Krieges von 1866 II 636 unvereinbar mit Benedetti's Bericht vom 15. Juli, Ma mission en Prusse 186 ff.; er übersieht, daß Bismarck hier nur von der letzten Phase der Unterhandlungen spricht, in der Benedetti Frankreichs Zustimmung zu Annexionen Preußens in Deutschland in sichere Aussicht stellte. – Den Länderzuwachs von über 4 Millionen und die Bundesführung in Norddeutschland nennt auch Blumenthal im Briefe vom 24. Juli (Tagebücher des Generalfeldmarschalls Graf von Blumenthal aus den Jahren 1866 und 1870/71. Stuttgart und Berlin, J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger 1902. S. 47) als gesicherten Siegespreis.. Er hoffte wohl, einen süddeutschen Bund als französische Filiale auszubilden. Oestreich trat aus dem Deutschen Bunde aus und war bereit, alle Einrichtungen, die der König in Norddeutschland treffen werde, vorbehaltlich der Integrität Sachsens, anzuerkennen. Diese Bedingungen enthielten Alles, dessen wir bedurften: freie Bewegung in Deutschland.
Ich war nach allen vorstehenden Erwägungen fest entschlossen, die Annahme des von Oestreich gebotnen Friedens zur Cabinetsfrage zu machen. Die Lage war eine schwierige; allen Generalen war die Abneigung gemeinsam, den bisherigen Siegeslauf abzubrechen, und der König war militärischen Einflüssen im Laufe jener Tage öfter und bereitwilliger zugänglich als den meinigen; ich war der Einzige im Hauptquartier, dem eine politische Verantwortlichkeit als Minister oblag und der sich nothwendig der Situation gegenüber eine Meinung bilden und einen Entschluß fassen mußte, ohne sich für den Ausfall auf irgend eine andre Autorität in Gestalt collegialischen Beschlusses oder höherer Befehle berufen zu können. Ich konnte die Gestaltung der Zukunft und das von ihr abhängige Urtheil der Welt ebenso wenig voraussehn wie irgend ein Andrer, aber ich war der einzige Anwesende, der gesetzlich verpflichtet war, eine Meinung zu haben, zu äußern und zu vertreten. Ich hatte sie mir in sorgsamer Ueberlegung der Zukunft unsrer Stellung in Deutschland und unsrer Beziehungen zu Oestreich gebildet, war bereit, sie zu verantworten und bei dem Könige zu vertreten. Es war mir bekannt, daß man mich im Generalstabe den »Questenberg im Lager« nannte, und die Identificirung mit dem Wallenstein'schen Hofkriegsrath war mir nicht schmeichelhaft.
Am 23. Juli fand unter dem Vorsitze des Königs ein Kriegsrath Statt, in dem beschlossen werden sollte, ob unter den gebotnen Bedingungen Friede zu machen oder der Krieg fortzusetzen sei. Eine schmerzhafte Krankheit, an der ich litt, machte es nothwendig, die Berathung in meinem Zimmer zu halten. Ich war dabei der einzige Civilist in Uniform. Ich trug meine Ueberzeugung dahin vor, daß auf die östreichischen Bedingungen der Friede geschlossen werden müsse, blieb aber damit allein; der König trat der militärischen Mehrheit bei. Meine Nerven widerstanden den mich Tag und Nacht ergreifenden Eindrücken nicht, ich stand schweigend auf, ging in mein anstoßendes Schlafzimmer und wurde dort von einem heftigen Weinkrampf befallen. Während desselben hörte ich, wie im Nebenzimmer der Kriegsrath aufbrach. Ich machte mich nun an die Arbeit, die Gründe zu Papier zu bringen, die m. E. für den Friedensschluß sprachen, und bat den König, wenn er diesen meinen verantwortlichen Rath nicht annehmen wolle, mich meiner Aemter als Minister bei Weiterführung des Kriegs zu entheben. Mit diesem SchriftstückeZum Theil abgedruckt in Sybel V 294 ff., v. Lettow-Vorbeck II 679 ff. – Die Darstellung bei Sybel ist wesentlich aus den Acten geschöpft und darf darum nicht gegen die obenstehende Schilderung der persönlichen Begegnungen zwischen dem König und Bismarck benutzt werden. Vielmehr müssen sich beide Darstellungen ergänzen. Der Sachverhalt war der folgende: Am 23. Juli nach der ersten Friedensverhandlung fand der von Bismarck erwähnte Kriegsrath statt, zu dem sicher auch der Kronprinz zugezogen wurde, der am 23. Juli auf Bismarck's Ersuchen (Blumenthal's Tagebücher S. 47) nach Nikolsburg zu Seiner Majestät von Eisgrub herüberkam (Kaiser Friedrich's Tagebücher, herausg. von M. v. Poschinger S. 42). Darauf schrieb Bismarck den bei Sybel und v. Lettow-Vorbeck theilweis abgedruckten Bericht über die Lage. Am 24. Juli fand die heftige Auseinandersetzung zwischen König und Minister statt. An demselben Tage (vgl. Herzog Ernst, Aus meinem Leben III 612 f.) übernahm der Kronprinz die Vermittlung und überbrachte den auf S. 67 mitgetheilten ungnädigen Bescheid des Königs auf eine der letzten Eingaben des Ministers (also nicht den Bericht vom 24.). Wenn Lenz die ganze Marginalnotiz in der im Texte gegebenen Fassung anzweifelt, ja für möglich hält, daß sie von Bismarck in einer Art Selbsttäuschung aus dem Schlußsatz der von Sybel mitgetheilten Randbemerkungen zum Bericht vom 24. Juli erst nachträglich gebildet worden sei, so muß ich darauf hinweisen, daß Fürst Herbert Bismarck mir ausdrücklich erklärt hat, daß er dieses Marginal in einem der Actenstücke des Auswärtigen Amtes selbst gelesen habe. Er hat sogar den Wortlaut der im Entwurf enthaltenen Fassung aus dem Gedächtniß noch durch die Einfügung der Worte: »in diesen sauren Apfel beißen und« ergänzt. Die Abweichungen hinsichtlich des Wortlauts des Marginals, die Lenz feststellt, können nichts gegen die letzte Fassung beweisen, da sie eben auf nachträglich gemachten Aufzeichnungen von Dinergästen beruhen. – Daß Bismarck übrigens die Cabinetsfrage damals wirklich gestellt hat, läßt sich unschwer aus dem Schluß des von Sybel mitgetheilten Actenstückes erkennen. In der mündlichen Erörterung hat er das im amtlichen Bericht schonend Angedeutete sicher mit voller Deutlichkeit zu verstehen gegeben. Die Marginalnotizen zu dem Bericht vom 24. Juli, die der König am 25. Bismarck zugehen ließ, zeigen das Einlenken des Königs und mildern in ihrem Schlusse die Schroffheit der am Tage zuvor gegebenen Antwort. begab ich mich am folgenden Tage zum mündlichen Vortrag. Im Vorzimmer fand ich zwei Obersten mit Berichten über das Umsichgreifen der Cholera unter ihren Leuten, von denen kaum die Hälfte dienstfähig war.Während des Feldzugs sind 6427 Mann der Seuche erlegen. (Die Zahl findet erst ihre volle Würdigung, wenn man die Verluste auf den Schlachtfeldern ihr gegenüberstellt: sie beliefen sich auf nur 4450 Mann. H. K.) Die erschreckenden Zahlen befestigten meinen Entschluß, aus dem Eingehn auf die östreichischen Bedingungen die Cabinetsfrage zu machen. Ich befürchtete neben politischen Sorgen, daß bei Verlegung der Operationen nach Ungarn die mir bekannte Beschaffenheit dieses Landes die Krankheit schnell übermächtig machen würde. Das Klima, besonders im August, ist gefährlich, der Wassermangel groß, die ländlichen Ortschaften mit Feldmarken von mehren Quadratmeilen weit verstreut, dazu Reichthum an Pflaumen und Melonen. Mir schwebte als warnendes Beispiel unser Feldzug von 1792 in der Champagne vor, wo wir nicht durch die Franzosen, sondern durch die Ruhr zum Rückzug gezwungen wurden.
Ich entwickelte dem Könige an der Hand meines Schriftstücks die politischen und militärischen Gründe, die gegen die Fortsetzung des Krieges sprachen.
Oestreich schwer zu verwunden, dauernde Bitterkeit und Revanchebedürfniß mehr als nöthig zu hinterlassen, müßten wir vermeiden, vielmehr uns die Möglichkeit, uns mit dem heutigen Gegner wieder zu befreunden, wahren und jedenfalls den östreichischen Staat als einen Stein im europäischen Schachbrett und die Erneurung guter Beziehungen mit demselben als einen für uns offen zu haltenden Schachzug ansehn. Wenn Oestreich schwer geschädigt wäre, so würde es der Bundesgenosse Frankreichs und jedes Gegners werden; es würde selbst seine antirussischen Interessen der Revanche gegen Preußen opfern.
Auf der andern Seite könnte ich mir keine für uns annehmbare Zukunft der Länder, welche die östreichische Monarchie bildeten, denken, falls letztre durch ungarische und slavische Aufstände zerstört oder in dauernde Abhängigkeit versetzt werden sollte. Was sollte an die Stelle Europas gesetzt werden, welche der östreichische Staat von Tyrol bis zur Bukowina bisher ausfüllt? Neue Bildungen aus dieser Fläche könnten nur dauernd revolutionärer Natur sein. Deutsch-Oestreich könnten wir weder ganz, noch theilweise brauchen, eine Stärkung des preußischen Staates durch Erwerbung von Provinzen wie Oestreichisch-Schlesien und Stücken von Böhmen nicht gewinnen, eine Verschmelzung des deutschen Oestreichs mit Preußen würde nicht erfolgen, Wien als ein Zubehör von Berlin aus nicht zu regiren sein.
Wenn der Krieg fortgesetzt würde, so wäre der wahrscheinliche Kampfplatz Ungarn. Die östreichische Armee, die, wenn wir bei Preßburg über die Donau gegangen, Wien nicht würde halten können, würde schwerlich nach Süden ausweichen, wo sie zwischen die preußische und die italienische Armee geriethe und durch ihre Annäherung an Italien die gesunkne und durch Louis Napoleon eingeschränkte Kampflust der Italiener neu beleben würde; sondern sie würde nach Osten ausweichen und die Vertheidigung in Ungarn fortsetzen, wenn auch nur in der Hoffnung auf die in Aussicht stehende Einmischung Frankreichs und die durch Frankreich vorbereitete Desinteressirung Italiens. Uebrigens hielte ich auch unter dem rein militärischen Gesichtspunkte nach meiner Kenntniß des ungarischen Landes die Fortsetzung des Krieges dort für undankbar, die dort zu erreichenden Erfolge für nicht im Verhältniß stehend zu den bisher gewonnenen Siegen, also unser Prestige vermindernd – ganz abgesehn davon, daß die Verlängrung des Krieges der französischen Einmischung die Wege ebnen würde. Wir müßten rasch abschließen, ehe Frankreich Zeit zur Entwicklung weitrer diplomatischer Action auf Oestreich gewönne.
Gegen alles dies erhob der König keine Einwendung; aber die vorliegenden Bedingungen erklärte er für ungenügend, ohne jedoch seine Fordrungen bestimmt zu formuliren. Nur so viel war klar, daß seine Ansprüche seit dem 4. Juli gewachsen waren. Der Hauptschuldige könne doch nicht ungestraft ausgehn, die Verführten könnten wir dann leichter davonkommen lassen, sagte er, und bestand auf den schon erwähnten Gebietsabtretungen von Oestreich. Ich erwiderte: Wir hätten nicht eines Richteramts zu walten, sondern deutsche Politik zu treiben; Oestreichs Rivalitätskampf gegen uns sei nicht strafbarer als der unsrige gegen Oestreich; unsre Aufgabe sei Herstellung oder Anbahnung deutsch-nationaler Einheit unter Leitung des Königs von Preußen.
Auf die deutschen Staaten übergehend, sprach er von verschiednen Erwerbungen durch Beschneidung der Länder aller Gegner. Ich wiederholte, daß wir nicht vergeltende Gerechtigkeit zu üben, sondern Politik zu treiben hätten, daß ich vermeiden wolle, in dem künftigen deutschen Bundesverhältniß verstümmelte Besitze zu sehn, in denen bei Dynastie und Bevölkerung der Wunsch nach Wiedererlangung des frühern Besitzes mit fremder Hülfe nach menschlicher Schwäche leicht lebendig werden könnte; es würden das unzuverlässige Bundesgenossen werden. Dasselbe würde der Fall sein, wenn man zur Entschädigung Sachsens etwa Würzburg oder Nürnberg von Baiern verlangen wollte, ein Plan, der außerdem mit der dynastischen Vorliebe Sr. Majestät für Ansbach in Concurrenz treten würde. Ebenso hatte ich Pläne zu bekämpfen, die auf eine Vergrößrung des Großherzogthums Baden hinausliefen, Annexion der bairischen Pfalz, und eine Ausdehnung in der untern Maingegend. Das Aschaffenburger Gebiet Baierns wurde dabei als geeignet angesehn, um Hessen-Darmstadt für den durch die Maingrenze gebotnen Verlust von Oberhessen zu entschädigen. Später in Berlin stand von diesen Plänen nur noch zur Verhandlung die Abtretung des auf dem rechten Mainufer gelegnen bairischen Gebiets einschließlich der Stadt Bayreuth an Preußen, wobei die Frage zur Erörtrung kam, ob die Grenze auf dem nördlichen rothen oder südlichen weißen Main gehn sollte. Vorwiegend schien mir bei Sr. Majestät die von militärischer Seite gepflegte Abneigung gegen die Unterbrechung des Siegeslaufs der Armee. Der Widerstand, den ich den Absichten Sr. Majestät in Betreff der Ausnutzung der militärischen Erfolge und seiner Neigung, den Siegeslauf fortzusetzen, meiner Ueberzeugung gemäß leisten mußte, führte eine so lebhafte Erregung des Königs herbei, daß eine Verlängrung der Erörtrung unmöglich war und ich mit dem Eindruck, meine Auffassung sei abgelehnt, das Zimmer verließ mit dem Gedanken, den König zu bitten, daß er mir erlauben möge, in meiner Eigenschaft als Offizier in mein Regiment einzutreten. In mein Zimmer zurückgekehrt, war ich in der Stimmung, daß mir der Gedanke nahe trat, ob es nicht besser sei, aus dem offenstehenden, vier Stock hohen Fenster zu fallen; und ich sah mich nicht um, als ich die Thür öffnen hörte, obwohl ich vermuthete, daß der Eintretende der Kronprinz sei, an dessen Zimmer ich auf dem Corridor vorübergegangen war. Ich fühlte seine Hand auf meiner Schulter, während er sagte: »Sie wissen, daß ich gegen den Krieg gewesen bin, Sie haben ihn für nothwendig gehalten und tragen die Verantwortlichkeit dafür. Wenn Sie nun überzeugt sind, daß der Zweck erreicht ist und jetzt Friede geschlossen werden muß, so bin ich bereit, Ihnen beizustehn und Ihre Meinung bei meinem Vater zu vertreten.« Er begab sich dann zum Könige, kam nach einer kleinen halben Stunde zurück in derselben ruhigen und freundlichen Stimmung, aber mit den Worten: »Es hat sehr schwer gehalten, aber mein Vater hat zugestimmt.« Diese Zustimmung hatte ihren Ausdruck gefunden in einem mit Bleistift an den Rand einer meiner letzten Eingaben geschriebenen Marginale ungefähr des Inhalts: »Nachdem mein Ministerpräsident mich vor dem Feinde im Stiche läßt und ich hier außer Stande bin, ihn zu ersetzen, habe ich die Frage mit meinem Sohne erörtert, und da sich derselbe der Auffassung des Ministerpräsidenten angeschlossen hat, sehe ich mich zu meinem Schmerze gezwungen, nach so glänzenden Siegen der Armee in diesen sauren Apfel zu beißen und einen so schmachvollen Frieden anzunehmen.« – Ich glaube mich nicht im Wortlaut zu irren, obschon mir das Aktenstück gegenwärtig nicht zugänglich ist; der Sinn war jedenfalls der angegebene und mir damals trotz der Schärfe der Ausdrücke eine erfreuliche Lösung der für mich unerträglichen Spannung. Ich nahm die Königliche Zustimmung zu dem von mir als politisch nothwendig Erkannten gern entgegen, ohne mich an ihrer unverbindlichen Form zu stoßen. Im Geiste des Königs waren eben die militärischen Eindrücke damals die vorherrschenden, und das Bedürfniß, die bis dahin so glänzende Siegeslaufbahn fortzusetzen, war vielleicht stärker als die politischen und diplomatischen Erwägungen.
Von dem erwähnten Marginale des Königs, das mir der Kronprinz überbrachte, blieb mir als einziges Residuum die Erinnrung an die heftige Gemüthsbewegung, in die ich meinen alten Herrn hatte versetzen müssen, um zu erlangen, was ich im Interesse des Vaterlands für geboten hielt, wenn ich verantwortlich bleiben sollte. Noch heut haben diese und analoge Vorgänge bei mir keinen andern Eindruck hinterlassen, als die schmerzliche Erinnrung, daß ich einen Herrn, den ich persönlich liebte wie diesen, so habe verstimmen müssen.
Nachdem die Präliminarien mit Oestreich unterzeichnet waren, fanden sich Bevollmächtigte von Würtemberg, Baden und Darmstadt ein. Den würtembergischen Minister von Barnbüler zu empfangen, lehnte ich zunächst ab, weil die Verstimmung gegen ihn bei uns stärker war als gegen Pfordten. Er war politisch gewandter als der Letztre, aber auch weniger durch deutsch-nationale Skrupel behindert. Seine Stimmung beim Ausbruch des Kriegs hatte sich in dem Vae victis! ausgedrückt und war zu erklären aus den Stuttgarter Beziehungen zu Frankreich, die insbesondre durch die Vorliebe der Königin von Holland, einer würtembergischen Prinzessin, getragen waren.
Dieselbe hatte, so lange ich in Frankfurt war, viel für mich übrig, ermuthigte mich in meinem Widerstande gegen Oestreichs Politik und gab ihre antiöstreichische Gesinnung dadurch zu erkennen, daß sie im Hause ihres Gesandten Herrn von Scherff mich, nicht ohne Unhöflichkeit gegen den östreichischen Präsidial-Gesandten Baron Prokesch, tendenziös auszeichnete, zu einer Zeit, wo Louis Napoleon noch Hoffnung auf ein preußisches Bündniß gegen Oestreich hegte und den italienischen Krieg bereits im Sinne hatte. Ich lasse unentschieden, ob schon damals die Vorliebe für das Napoleonische Frankreich allein die Politik der Königin von Holland bestimmte, oder ob nur das unruhige Bedürfniß, überhaupt Politik zu treiben, sie zu einer Parteinahme in dem preußisch-östreichischen Streit und zu einer auffällig schlechten Behandlung meines östreichischen Collegen und Bevorzugung meiner bewog. Jedenfalls habe ich nach 1866 die mir früher so gnädige Fürstin unter den schärfsten Gegnern meiner in Voraussicht des Bruchs von 1870 befolgten Politik gefunden. Im Jahre 1867 wurden wir zuerst durch amtliche französische Kundgebungen verdächtigt, Absichten auf Holland zu haben, namentlich in der Aeußrung des Ministers Rouher in einer Rede gegen Thiers, 16. März 1867, daß Frankreich unser Vordringen an die »Zuider-See« nicht dulden könne. Es ist nicht wahrscheinlich, daß die Zuider-See von dem Franzosen selbständig entdeckt worden und sogar die Orthographie des Namens in der französischen Presse ohne fremde Hülfe richtig gegeben worden ist: man darf vermuthen, daß der Gedanke an dieses Gewässer von Holland aus dem französischen Mißtraun suppeditirt worden war. Auch die niederländische Abstammung des Herrn Drouyn de Lhuys berechtigt mich nicht, eine so genaue Localkenntniß in der Geographie außerhalb der französischen Grenzen bei seinem Collegen vorauszusetzen.
Die Einschätzung der würtembergischen Politik in die Rheinbundkategorie bestimmte mich, den Empfang des Herrn von Varnbüler in Nikolsburg zunächst abzulehnen. Auch eine Unterredung zwischen uns, die der Prinz Friedrich von Würtemberg, der Bruder des Commandirenden unsers Gardecorps, und die uns sehr wohlwollende Großfürstin Helene vermittelt hatte, verlief politisch fruchtlos. Erst später in Berlin habe ich mit Herrn von Varnbüler verhandelt; und seine bewegliche Empfänglichkeit für die politischen Eindrücke jeder Situation bethätigte sich dort darin, daß er der erste unter den süddeutschen Ministern war, mit dem ich einen Bündniß-Vertrag der bekannten Art abschließen konnteAm 13. August 1866.