Otto Julius Bierbaum
Eine kleine Herbstreise im Automobil (1)
Otto Julius Bierbaum

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III.

Schloß Englar in Eppan, 13. Nov. 1902.

Im Sommer mag man sich manchmal von hier wegwünschen; ich weiß es aus Erfahrung. Die Sonne, die es mit den Weinstöcken so gut meint, hat dann den Menschen gegenüber etwas Unbarmherziges; man wird schier geröstet, wagt man sich aus den kühlen Sälen der sehr hitzedicht gebauten alten Ansitze hinaus. Aber im Herbst ist es köstlich hier. Die hohe Schönheit dieser Landschaft, die zu den allerschönsten gehört, die man nur sehen kann, kommt um diese Jahreszeit erst zur vollen Geltung, denn nun erhält sie zur edlen Größe ihrer Linie den Reichtum und die Pracht der Farbe. Wie das Fell eines märchenhaft schön gefleckten Panthers hängt es die stolzen Flanken der Mendel herab; rotbraun und goldgelb und schwärzlich grün. Das rote Braun kommt von den schönen Buchen; das goldig leuchtende Gelb ist das der Lärchen; die Tannen und Fichten geben das dunkle Grün. Diese Farben, mit denen sich die mittleren Berge schmücken, sind satt und voll, aber das flachere Gelände, dieser schier endlose Weingarten des alten Appianum, den schon die Römer angelegt haben, ist von einem zarten, blassen, ins Gelbliche gehenden Grün überzogen, und von den hohen Dolomiten herunter, dem breiten Schlern und dem zackigen Lattemar, grüßt es grau und weiß: Stein und Schnee. Wessen Augen des Glückes der Farbe fähig sind, der darf hier schwelgen. Allein das Blau des Himmels ist eine Lust und Gnade. Aber die eigentlichen Wunder schenkt der Abend. Der Herrlichkeiten des eigentlichen Sonnenunterganges wird man nicht so teilhaftig, wie in der Ebene. Ihren Anblick verwehrt die Mendel, die es auch verschuldet, daß die Schatten früher kommen. Während wir hier schon längst ohne Sonne sind, ist es drüben über der Etsch, in Girlan, noch hell; aber die blauen Schatten rücken vor, das Mittelgebirge hinauf, und nun liegen nur noch die nackten Seiten der Dolomiten in leuchtender Sonne: orangen glühend. So stark glühend, daß ein Reflex davon bis hieher, auf meinen Schreibtisch, fällt, einen ganz, ganz zarten Hauch dieser Farbe auf mein Schreibpapier werfend. Jetzt: wie weggewischt – was eben noch Glut war, ist wie Asche geworden: grau. Tiefschwarz steht das Mittelgebirge davor. Aber siehe: nun rückt der volle Mond empor, gerade über dem Schlerner Horn – die Glatze des Todes. Nun wird alles silbern weiß werden . . . Aber nein, etwas Wunderbares begibt sich: die eben noch grauen Steinwände der Dolomiten erröten sanft, wie aus sich selbst, ganz zart fleischfarben. Alles um sie hat die Farbe des Todes; schwarz oder kalt weiß; nur sie leuchten in der Farbe des Lebens. Sind sie es wirklich? Ist es vielleicht nur ein Phantom von ihnen? Es ist wie eine Fata Morgana, wie eine Luftspiegelung. Diese gewaltigen Steine sind wie ein leuchtender Hauch, ein gelblich rosafarbener Schemen. Lebt König Laurin wirklich? Blühen seine Rosen noch? Ein Zucken – vorbei. Entzaubert stehen die Felsen in Grau, und »der Mond wirft seinen Silberspeer«


Den 16. November 1902.

Hier müßte ein Mathematikprofessor zum Romantiker werden. Alles verführt hier zum Fabulieren. Was ist der Rhein mit seinen paar Burgen gegen die Etsch mit ihren Schlössern und Ruinen! Die Berge selber stehen wie riesige Kastelle da, mit Mauern und Scharten und Zinnen und Türmen. Es sind nicht die spitzgipfeligen Berge der nördlichen Alpen, sondern die zügigen Berge des Südens, die mehr wie riesig breite, erstarrte Wellen sind. Und bis hoch an die Grenze der Vegetation hinan Heimstätten der Menschen und ihres Gottes. Fünfzehnhundert Meter überm Meer liegt der Wallfahrtsort Weißenstein, zu dem noch heute die frommen Tiroler pilgern, die sich ihren Glauben auch ein paar Tropfen Schweiß kosten lassen. Prachtmenschen, diese Bergbauern, die sich auch die alte Tracht und die alte treue Einfalt bewahrt haben, ehrlich und fest, tüchtig und derb. Die Einsamkeit, in der sie auf freier Höhe leben, immer die herrliche Weite um sich, in nichts beengt, weder von Menschen noch von Sachen, hat alles Gute und Starke in ihnen gut und stark erhalten, während ihre Brüder unten im Tale leider vielfach allerlei fatale Züge angenommen haben.

Es ist ein hohes Vergnügen, hier herumzusteigen. Das geht noch übers Automobilfahren. Da gibt es einen wunderbaren Saumpfad oberhalb Eppan, immer durch den Wald, manchmal ein bißchen unbequem, zuweilen wohl auch etwas halsbrecherisch, aber vom ersten bis zum letzten Schritt so voller Reize, daß man nur immer die Arme ausbreiten und rufen möchte: O du wunderschöne Welt! Denn man hat angesichts des vollkommen Schönen in der Natur durchaus kein Begehren, sich originell auszudrücken und Trivialitäten zu vermeiden. Auf diesem Wege kommt man, aber immer hoch darüber, an ein paar schönen alten Schlössern vorbei. Da ist zuerst Freudenstein, wo, als ich noch hier hauste, vor etwa fünf Jahren, ein paar alte Fresken entdeckt worden sind, die ich Kunstgelehrten, wenn sie nebstbei auch Kunstgenießer sind, wohl empfehlen möchte. Es ist da ein Urteil des Paris zu sehen. Der galante Trojanerprinz ist als junger deutscher Ritter dargestellt, fest und schön geschient, ein hübscher Bursche. Die göttlichen Damen haben nichts an als ein paar goldene Spangen und Ketten um die Arme und an den Füßen zierliche rote Pantöffelchen – eine recht raffinierte Kostümierung, ganz à la Felicien Rops. Und was für zierliche Figürchen sie sind! Die Grazie ist deutschen Künstlern nicht immer fremd gewesen. – Dann kommt, ziemlich hoch, dicht am Walde, das alte Sanct Valentin, von allen Eppaner Schlössern, so schön sie alle liegen, das am schönsten gelegene. Es gehört den Abkömmlingen jener Tiroler Postmeisterstochter, die in der Tracht eines Postillons einen österreichischen Erzherzog in sich verliebt machte und nachher Gräfin zu Meran wurde. In der kleinen Kapelle sind ein paar schöne alte Tafelbilder. – Nun bei Perdonig vorbei, wo Kirche und Pfarrwiddum ein Dach über sich haben, der Pfarrer mit dem lieben Gott also in einem Hause wohnt, was wohl in katholischen Landen und auch sonst eine Seltenheit ist. Uebrigens ein seltsam abgelegener, wie in einem Winkel versteckter Ort von einem in dieser Gegend ganz fremd anmutenden nördlichen Gepräge. Hier zieht der Winter einen Monat früher ein als in dem Gelände ringsum, und er hält sich auch einen Monat länger auf.

Nicht weit von hier liegt die schöne Ruine des alten Prachtschlosses Boimont, wo es auch eine »weiße Dame« gibt, die der Thurmbach-Louis, wenn ich ihm glauben darf, mehr als einmal gesehen hat, und von der eine seltsam verworrene Geschichte handelt, die man, wenn man sie nicht in den Versen des alten Geistersehers wiedergeben kann, am füglichsten wohl im alten romantischen Tone der Rittergeschichten erzählen mag. Etwa so: Zwei Grafen wohnten und herrschten auf Hoch-Eppan, der Zwingburg des Landes, die aus dem Felsen emporwächst, nicht wie ein Bau von Menschenhand, sondern wie ein Gebilde der Natur. Sie waren Brüder, voneinander verschieden wie Tag und Nacht. Eckhardt hieß der eine. Das war ein rascher und frischer Jüngling, blond von Haar, von Augen blau, rotwangig und heiter, und allen Jungfrauen und wohl auch manchen Ehefrauen ein Wohlgefallen, dazu von seinen Sitten und in allen ritterlichen Künsten Meister. Jagd und Tanz war seine Lust. Ganz anders Zeno, sein Bruder. Der war schwarz von Haar, Bart und Auge, im Antlitz aber blaß, und seine Augen lagen tief. Tagsüber, wenn Eckhardt hinausritt, sich auf der Jagd zu tummeln, saß er düster im Gestühl, verdrossen in sich hineinbrütend, als täte ihm die Sonne weh. Erst wenn die Aveglocke Feierabend kündete, wachte er auf, schwang sich auf seinen Rappen und brauste in die Nacht hinaus, in der es ihm sehr wohl sein mußte, denn nie kehrte er vor Hahnenruf heim. Wo er gewesen und was er getrieben, erfuhr niemand. Auf dem benachbarten Schlosse Boimont, das von Hoch-Eppan aus durch eine tiefe geröllige Schlucht getrennt ist, wohnte ein alter Ritter mit seiner Tochter Johanna. Die war so schön und hold, daß alle Menschen sie lieben mußten – also auch Eckhardt und Zeno. Aber des Fräuleins Herz gehörte nur dem Einen, der die hellen Augen und die roten Wangen hatte und die frischen Lippen, die so lustig zu lachen, so warm zu küssen verstanden. Er beugte vor dem alten Ritter Knie und Haupt und erhielt den Segen der Verlobung. Das war am Tage. In der Nacht aber kam ein Ritter ans Tor von Boimont, hob den Torhammer und schlug an. Seine Augen glühten, seine weiße Hand bebte, die blassen Lippen lagen aufeinander wie die Blätter einer welken, vom Froste versengten Rose. Eine Weile war es still. Dann kam ein Rauschen heran, und das Tor tat sich auf, ohne daß ein Riegel klirrte. Heraus trat eine hohe Frau in weißem Gewande. Der Schleier wehte von ihr. Sie wandte das Haupt zur Seite, aber ihre Arme streckten sich zu dem Blassen. Der nahm sie an sich und küßte sie mit wilder Gier und stöhnte tief auf: Ich liebe dich, du Weiße! Ich liebe dich, du Bleiche! Ich weiß, dein Blut ist weit von hier. Ich weiß, dein Blick ist weit von hier. Ich weiß, dein Leben ist nicht bei mir. Aber ich liebe dich, du Hauch der Nacht.

Erst als es im Tale grau wurde, ließ er sie aus seinen Armen und ritt davon.

König Laurins Rosen wachten auf und warfen ihren Schein in die Fenster Hoch-Eppans, aber nicht einmal unter ihrem Leuchten wurden die Wangen Zenos rot, der dort mit offenen Augen schlafend lag und im Schlafe keuchte.

Aber rot und leuchtend wie die Rosen des Märchenberges trat Eckhardt in die Kammer und rief: »Nachtvogel, wach' auf! Schüttle die Mohnkörner aus deinem schwarzen Bart! Heut' sollst du zum erstenmal in deinem Leben lachen, denn die süße Johanna ist meine Braut!«

Zeno verzog seinen Mund – aber ein Lächeln war es nicht. Und er sprach, sehr leise und langsam, dies: Du träumst töricht, Knabe. Laß dein Träumen! Oder du wirst trüb aufwachen – Johanna ist mein.«

Eckhardt griff nach seinem Schwerte. Zeno aber sprach: Es ist noch nicht die Zeit. Heute nacht vielleicht – wenn du Mut hast. Heute nacht, wenn ich sie dir zeigen werde: deine – meine Johanna, vorm Boimonter Tor.

Eckhardt fühlte einen Schauer den Rücken hinab und ließ die Hand vom Schwertgriff. Zeno sprach: Nicht vor Schlag zwölf! Eckhardt taumelte hinaus. Wie er aber den jungen Morgen sah und das Glühen der Berge, wurde sein Herz wieder froh, und er schwang sich auf die Mauer und sah hinüber nach Boimont, wo ihm aus dem Fräuleinturm ein weißer Schleier entgegenwehte. »Der arme, nächtige Narr!« dachte er bei sich und rief über die Schlucht hinüber: Heut' nacht um zwölf! – Der Schleier winkte: Ja!

Schlag zwölf war Eckhardt am Tor. Er brauchte nicht zu warten. Die Riegel klirrten, die Flügel taten sich auf und die Liebste hing an seinem Halse, warm wie das Leben. Herz pochte an Herz, Mund lag auf Mund – da vergaßen die beiden die Welt. – Da kam ein Rauschen von hinten her, aus dem Burghofe, und es war, als ob ein schneidender Wind in ihre heiße Glückseligkeit führe, und sie mußten die Lippen voneinander lassen und sich umwenden. Grausen – was sahen sie da. Zeno schritt über den Burghof, und an seiner Seite eine hohe Frau in Weiß, von der der Schleier wehte: Johanna. – Eckhardts Braut fuhr sich über Stirn und Auge, schrie gell auf, griff sich nach dem Herzen und machte wankend einen Schritt nach vorn. Eckhardt aber stürzte, das Schwert gezogen, vorwärts, auf Zeno los. Der kreuzte die Arme und – lächelte. Vor diesem Lächeln fiel das Schwert aus Eckhardts Hand. Johanna! rief er laut und starrte ins Angesicht der Weißen. Die kam mit schwebenden Schritten auf ihn zu. Eiskalt griff es ihn ans Herz. Er wollte sich umwenden, zu seiner Braut, und er rief: Nicht du. Nicht du. – Aber sein Genick war starr und die Weiße kam ihm nahe: zwei große Tränen rannen ihr die Wangen herab und sie sprach mit Johannas Stimme: Ich bin's ja, mein Eckhardt, ich bin's. Und neigte sich tot über den Toten.

Zeno schritt an den Leichen vorüber. Am nächsten Morgen fanden die Knechte auch ihn tot im Bette.

Johanna aber läßt sich noch heute im weißen Gewande mit wehendem Schleier am zerfallenen Tore von Boimont sehen – wenigstens dem alten Thurmbach-Louis, der die Gabe hat, Gespenster zu schauen und in Versen von ihnen und ihren Schicksalen im Leben zu erzählent–, wie ich es hier in Prosa versucht habe, da ich leider kein Geisterseher bin.

Augenblicklich baut er der Mutter Gottes aus Tuffsteinen eine Kapelle über einer Quelle, von der er sagt, daß Maria ihm verkündet habe, sie heile alles Wehtum, das Menschen heimsucht.

Aber die Eppaner glauben ihm nicht, wenn er auch die Gabe hat, in Versen zu reden. Auch sie wissen es wohl, daß Dichter gern lügen. – Er sollte wenigstens in Prosa schwärmen, der alte Thurmbach-Louis.


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