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Hotel St. Regis. Ein Koloß, an dem der europäische Geschmacksbegriff irre wird. Überwältigend und imponierend. Eine dutzendstöckige Stadt mit Blumenladen, Barbieren, Buchgeschäften, Eisenbahnbureaux, Schuhputzern, Hallen, Sälen, Cafés, Restaurants, Bars, Schwimmbädern und sonstigen Bequemlichkeiten für 5600 Menschen. Die mächtige Halle in Lärm und Bewegung getaucht mit unmittelbarem Übergang zu diskreter Stille, lautloser Vornehmheit, lärmschluckenden Teppichen.
Jetzt ganz freudig, ganz berauscht vom Sauerstoff einer neuen, rastlosen Welt, schlenderte der junge, aus zwei Welten entsprossene, in Tropenglut gezeugte, in New York geborene, in Wien erzogene Pilger in guter Haltung durch die Halle, an alten und jungen uniformierten Negern vorbei nach dem Hotelbureau.
»Mein Name ist Carlo Zeller. Mein Gepäck dürfte vor wenigen Minuten hergebracht worden sein. Welches ist meine Zimmernummer?«
Höfliche Verbeugung des geschniegelten Direktors im Cutaway.
»Jawohl, Herr Zeller, Nummer 934 im neunten Stockwerk. Zimmer mit Badezimmer. Falls es nicht konveniert, kann sofort der Umtausch stattfinden. Hier der Schlüssel, Herr Zeller.«
Ein gelber Sonnenstrahl zittert durch das halbdunkle Bureau, der Direktor wird schon von anderen Ankommenden, fragenden, nervösen Damen belagert, Carlo wendet sich dem Aufzugrondeau zu, in dem Lift neben Lift blitzschnell auf- und niedergleiten. Er hört jedoch, wie ein hagerer Mann mit altersroten Backen im breiten schlechten Südstaatenenglisch den Direktor anfährt:
»Was ist los? Der Kerl soll hier wohnen?«
Weitere Worte verschlingt der Lärm. Und nun geschieht Unerwartetes.
Carlo, der eben den Fahrstuhl besteigen will, fühlt sich am Arm erfaßt. Verstört steht der Direktor neben ihm und glotzt ihm ins Gesicht.
Stiert ihn unentwegt an, ringt nach Worten.
»Pardon, mein Herr, ein bedauerlicher Irrtum – es ist kein Zimmer für Sie frei.«
Carlo versteht nicht.
»Wie, das Zimmer ist nicht frei? Nun, dann geben Sie mir eben ein anderes, ich kapriziere mich durchaus nicht auf Nummer 934.«
Das geschmeidige Gesicht des Direktors wird brutal, bissig.
»Nein, nicht so, es ist überhaupt kein Zimmer frei! Sie müssen anderswo wohnen. Wir werden Ihnen die Fahrt mit dem Autocab vergüten.«
Carlo stampfte mit dem Fuß auf. Ein paar Neugierige sammeln sich an.
»Was soll das. Sind Sie verrückt. Ich habe doch mein Zimmer per Kabel von Hamburg aus bestellt.«
Hilfesuchend blickt der Direktor um sich, ein paar Herren meckern vergnügt, eine Lady seufzt: »shocking!«
Da taucht ein Riesenkerl mit niedriger Stirne und Backenknochen wie ein Pavian neben ihm auf, legt ihm die Hand auf die Schulter und raunt ihm zu:
»Yes, junger Mann, kein Aufsehen! Sie bekommen Ihr Gepäck und gehen in ein anderes Hotel! Verstehen Sie denn nicht? Hier sind Farbige unerwünscht.«
Um Carlo dreht sich die Welt. Er fühlt, wie ihm der Jähzorn in den Schädel springt, weiß, daß er jetzt aschgrau im Gesicht wird, blutige Flecken tanzen vor seinen Augen. Er holt aus, schleudert den Riesen von sich, daß er gegen die Gitter des Fahrstuhls taumelt, ballt drohend die Faust und brüllt, daß es die Halle entlang klingt:
»Gesindel, blödes, das einen, der nicht aussieht, wie Ihr, für einen Farbigen hält! Gut, ich gehe, aber wer mich jetzt noch anrührt, bekommt meine Faust ins Auge!«
Der Direktor ist ins Bureau geflüchtet, die Umstehenden weichen zurück, der Riese brummt mit schiefem Blick:
»Hauptsache, daß Sie gehen!« wagt aber nicht, dem, der zum Sprung geduckt dasteht, näher zu kommen.
Tiefatmend, am ganzen Körper zitternd, steht Zeller vor dem Portal und läßt es wortlos geschehen, daß sein Koffer und die Handtasche wieder auf ein Auto verladen werden. Fragend beugt sich der Chauffeur zu ihm. Er weiß nicht, was er ihm sagen soll, bis ihm einfällt, daß Waldorf-Astoria eines Ranges mit dem St. Regis sein müsse. Wie er aber einsteigen will, steht ein blonder, behäbiger, älterer Herr neben ihm und gibt ihm einen Wink.
»Auf ein Wort, junger Mann, kommen Sie ruhig um die Ecke herum. Ich möchte Ihnen etwas zu Ihrem Nutzen sagen!«
Verwirrt, erschüttert, verstört folgt ihm Carlo.
Der behäbige Herr beginnt nun Deutsch, gutes Deutsch des Kaufmannes von der Waterkant, zu reden.
»Hören Sie, junger Mann, ich habe die Szene da mitgemacht. Bin kein Yankee und nicht mit Vorurteilen vollgeladen, sondern komme selbst aus Bremen und halte mich hier nur geschäftlich auf. Ich möchte Ihnen raten, fahren Sie nicht ins Waldorf. Sie werden auch dort kein Zimmer bekommen.«
Wieder loderte in Carlo der Zorn siedeheiß empor.
»Um Himmels willen, warum denn nicht?«
»Ja, sehen Sie, junger Mann, hierzulande merkt Ihnen jeder auf den ersten Blick an, daß Sie schwarzes Blut in den Adern haben. Stimmt doch wohl auch, nicht wahr?«
Tonlos, wie im Traum befangen, erwiderte Carlo:
»Schwarzes Blut? Das kann man nicht sagen. Meine Mutter war wohl ein Mischling, aber mein Vater ein deutscher Universitätsprofessor und ich selbst bin in Wien groß geworden und habe heute zum erstenmal Amerika betreten.«
Der Bremer Herr pfiff durch die Lippen.
»Da haben wir es also! Wenn Ihre Mutter eine Mulattin war und Ihr Vater ein Deutscher, so sind Sie eben ein Terzerone, das ist nach hiesigen Begriffen so gut und schlecht ein Farbiger, wie ein echter Vollblutnigger. Es nutzt nichts, junger Mann, ersparen Sie sich weitere Kränkungen und gehen Sie nicht ins Waldorf. Selbst wenn der Hotelier Sie aufnehmen wollte, er kann und darf nicht, weil er sonst Skandal mit seinen Gästen bekommt. Dumm genug, das gebe ich zu, aber es ist nun einmal hierzulande so!«
Carlo fiel in sich zusammen, sein Herz und sein Körper bebten, und heiser kam es aus seiner Kehle:
»Ich verstehe das nicht – warum hat man mich in Europa immer für einen Spanier oder einen Italiener oder dergleichen gehalten, und hier –«
Der Behäbige lächelte freundlich.
»Lieber Freund, hier haben die Leute eben Übung und erkennen den Mischling auch in der dritten und vierten Kreuzung auf den ersten Blick, an der Hand, an den Augen, an allem. Und werden sie es nicht am Gesicht erkennen, so ganz sicher am blauen Mal, das Sie unbedingt an Ihren Fingernägeln haben.«
Mechanisch streckte Carlo die Finger aus und sah auf allen Nägeln den bläulichen Halbmond an der Wurzel der Nägel . . .
»Ja aber, wo soll ich denn absteigen, wenn man mich nirgends aufnimmt?«
»Nirgends wäre zu viel gesagt! Versuchen Sie es in einem der kleineren deutschen Hotels, im ›Belvedere‹ vielleicht, dort ist man nicht so heikel. Am besten wäre es freilich, Sie würden in ein« – der alte Herr wurde verlegen und nervös! »Na, eben in ein spezielles Hotel für Farbige gehen, wie es deren sicher ein Dutzend in New York gibt!«
»Niemals!« schrie Carlo empört auf. »Ich habe mit Negern nichts zu tun, ich bin ein akademisch gebildeter Deutscher und mindestens so gut wie irgendein Amerikaner.«
Aber er sprach ins Leere, denn der freundliche Herr war verschwunden. Und Carlo ging zum Auto zurück und gab als Ziel das Hotel »Belvedere« an. Dort, in diesem zweitklassigen, aber sauberen Hotel, das sehr an europäische erinnerte, wurde Zeller freundlich empfangen und – bekam kein Zimmer. Der Besitzer musterte den Ankömmling, zuckte die Achseln und sagte mit besonders betonter Liebenswürdigkeit:
»Mein Herr, es tut mir aufrichtig leid! Zu jeder anderen Zeit wäre es mir ein Vergnügen gewesen, Sie als Gast bei mir zu sehen. Aber gerade jetzt geht es nicht, denn ich habe vier Zimmer mit einer Familie aus New Orleans besetzt, die jedes Jahr im September hier wohnt. Und Sie wissen ja, – diese Leute aus dem Süden sind eigentümliche Menschen – wirklich, es geht nicht, in meinem Interesse ebenso wie in Ihrem geht es nicht!«
Nicht mehr Zorn, nicht mehr blinde Wut stieg in Carlo auf, sondern dumpfe Verzweiflung. Er kam sich wie besudelt, wie mit Kübeln Kot beworfen vor und sah an sich herunter, um die Schwären und Krätze zu finden, die ihn zum Ekel der Menschen machten. Seine Lippen zitterten, während er vor sich hinmurmelte:
»Mein Gott, was soll ich nur tun, ich kann doch nicht in ein Negerhotel gehen!«
Mit herzlichem Mitleid strich ihm der Hotelier über den Arm.
»Das würde auch ich Ihnen nicht zumuten, mein Herr, wirklich nicht, denn ich sehe, daß Sie ein Gentleman sind. Aber es gibt einen Ausweg. Fahren Sie stadtabwärts in die zweite Straße, Ecke Canalstreet. Dort befindet sich das Hotel St. Helena, dessen Besitzer ein Franzose ist. In diesem halbwegs sauberen Haus wohnen fast ausschließlich Südfranzosen, Spanier, bessere Italiener, und dort wird Sie kein Mensch mit scheelen Augen ansehen.«
Und schon entfernte sich eilig und scheu der Besitzer des Hotels Belvedere, denn eben kam die Familie aus New Orleans, an der Spitze ein weißhaariger Herr mit Whiskynase und buschigem Schnurrbart, die Treppe herab. Carlo Zeller aber fuhr ins Hotel St. Helena.
Im Hotel St. Helena, das in seiner häßlichen Fassade an ein Stundenhotel letzten Ranges erinnerte, empfing ihn ein zerlumpter Nigger mit einem freundschaftlichen Grinsen, für das ihm Carlo am liebsten einen Faustschlag gegeben hätte, und geleitete ihn in die Office, wo ihm ein schwammiger, fetter Herr mit olivfarbenem Gesicht und Pockennarben ohne weitere Umstände den Zimmerschlüssel gab und drei Dollars im vorhinein für den Tag verlangte.
Das Zimmer lag im dritten Stock und war erfüllt von peinlichen Gerüchen, Hitze und dem Gestank nach kalt gewordenem Tabakrauch. Carlo riß das Fenster auf und beugte sich auf die lärmende Straße hinaus. Wohin er blickte, sah er nichts als verwahrloste, schmutzige Häuser, verstaubte Fenster, Feuerleitern, auf denen Kübel mit Unrat, zerbrochenem Geschirr, leere Konservenbüchsen lagen. Unten aber drängten sich die Menschen, kreischten die Straßenbahnen, heulten die Hupen der Automobile.
Tief aufatmend zog sich Carlo ins Zimmer zurück. Aus dem Nebenraum erscholl das leise Weinen eines Weibes, unterbrochen von brutalen französischen Schimpfworten aus männlicher Kehle. Im Korridor sang irgendein Bediensteter einen amerikanischen Gassenhauer mit stumpfsinnigem Text und süßlicher Melodie. Carlo schüttelte sich und setzte sich verstört auf die mit einem roten, unsagbar schmutzigen Überwurf bedeckte Chaiselongue, schlug die Hände vors Gesicht und grub die Nägel in die Stirne, um nicht laut aufzuheulen.
Das also war der Empfang in der Neuen Welt, so begrüßte ihn seine eigentliche »Heimat«! Wie ein wüster Traum kam ihm all das vor, was er seit zwei Stunden erlebt. Wohl hatte ihm sein Vater von dem Haß der Amerikaner gegen die Neger erzählt, wohl hatte er hie und da in den Wiener Zeitungen von den Greueltaten des Richters Lynch gelesen, aber nie war ihm das sonderlich nahe gegangen, weil ihm bei dem Worte Neger immer ein kohlschwarzer Hoteldiener, ein Liftboy oder allenfalls ein Minstrelsänger im Varieté erschienen war. Nie hatte er sich als Neger oder als Negerstämmling empfunden, nie geahnt, daß das Wort »Coloured people« – farbiges Volk – auf ihn Anwendung hätte.
Carlo streckte die feinen, schlanken Finger aus und besah seine Nägel. Die Erbschaft der Mutter, das blaue Mal, leuchtete ihm gespenstisch zehnfach entgegen. Es war in Wien oft aufgefallen, aber nie als Schandmal. Mehr als ein liebes Mädel hatte das blaue Mal geküßt, und als seine Braut, die blonde Lisl, zum erstenmal zärtlich seine Hand gestreichelt, hatte sie verwundert ausgerufen:
»Wie interessant! Das kommt sicher vom südlichen Blut!«
Lisl! Carlo sprang auf und weichere Gedanken kamen über ihn. Nur nicht verzagen, morgen würde er Lisl aufsuchen, sich ihrem Onkel und den übrigen Familienmitgliedern vorstellen, und sie würden alle zusammen lachen über die grotesken Erlebnisse von heute. Denn Lisls Onkel, Herr Ortner, war ja selbst von Geburt Österreicher, und wenn seine Frau auch Amerikanerin war, so würden sie sicher vorurteilslose, moderne Menschen sein, nicht viehisch ungebildete Hotelkommis, die sich an veraltete, überwundene Regeln hielten.
Er öffnete die Koffer, machte sorgfältig Toilette, kühlte den heißen Kopf, indem er in das Waschbecken ein Stück Eis aus dem Krug tat, tränkte sein Taschentuch mit Kölnischwasser und verließ, fast wieder gut aufgelegt, das Hotel. Auf der Straße aber erinnerte er sich, daß er seit mittags nichts genossen, Hunger und Durst kamen ihm zum Bewußtsein, und rasch suchte er im Notizbuch die Adressen erstklassiger Restaurants, die ihm ein Wiener Freund, der sich vor kurzem in New York aufgehalten, gegeben. Delmonico, Martin, Sherrie. Rasch orientierte sich Carlo, dann bestieg er eine Straßenbahn, die stadtaufwärts fuhr, ließ sich wieder von dem Treiben am Broadway erschüttern und stieg mitten im Lebemannsviertel von New York, das man nach dem zartesten, schmackhaftesten Ochsenstück Tenderloin nennt, aus, um im Restaurant Sherrie zu speisen.
Vollendete Lebenskultur, wie man sie kaum irgendwo in Mitteleuropa findet. Weiche Perserteppiche, die jeden Laut verschlucken, Kellner, die wie Aristokraten auf einem Ball aussehen, köstliches Porzellan, schweres Silber, Kristallgläser, üppige, blutrote Rosen auf jedem Tisch, gedämpfte, diskrete Musik eines kleinen, unsichtbaren Streichquartetts. Die Speisekarte, die ihm der Kellner des Tisches reichte, den Carlo aussuchte, auf Büttenpapier gedruckt, die Speisenfolge fast unübersehbar.
Ungeachtet aller Vorsätze, mit seinen paar tausend mitgebrachten Dollars zu sparen, bestellte Carlo ein üppiges Souper und dehnte sich dann behaglich in seinem Fauteuil. In einem Lande, das solche Restaurants hatte, mußte man wohl leben können! In einem Land, das solchen Reichtum mit so natürlicher Anmut entfaltete, mußte es möglich sein, Reichtum leicht zu erwerben!
Plötzlich fühlte sich Carlo vom Nebentisch her beobachtet und fixiert. Eine ältere Dame saß dort mit einer jungen schönen Person und einem Herrn im Smoking. Die Junge sah abweisend und kalt vor sich hin, der Herr schien erregt, die alte Dame beschwichtigte. Sicher hielt man sich über ihn auf, sicher hatten auch diese da das schwarze Blut gewittert, vielleicht gar das blaue Mal gesehen. Und Carlo, der seines tollkühnen Mutes wegen immer bewundert und verehrt worden war, duckte sich feige zusammen, versteckte die Hände unter der Serviette.
Da stand schon der Kellner mit höflicher Verbeugung neben ihm und überreichte ihm auf einem Teller aus köstlichem Sevresporzellan ein offenes Couvert. Und in dem Couvert steckte eine Karte und auf ihr stand in feinster Lithographie:
»Verehrter Herr! Zu unserem Bedauern sind wir gemäß den Vorschriften unseres Etablissements nicht in der Lage, Ihnen zu servieren!«
Carlo schlug keinen Lärm, tobte und schrie nicht, sondern hatte nur einen Gedanken: Fort von hier aus dem Bereich der Blicke, denn wenn er ein höhnisches Lächeln auffangen würde, dann wäre es um seine Selbstbeherrschung geschehen, dann würde er sich in ein wildes Tier verwandeln und dem Erstbesten an die weiße Kehle springen!
Wohin nun? In ein anderes Restaurant zu gehen, wagte er nicht. Denn vielleicht, wahrscheinlich sogar würde man ihn auch aus zweit- und drittklassigen Lokalen weisen und ihm raten, sich in ein Niggerlokal zu begeben.
Planlos, mit pochenden und hämmernden Pulsen raste er stadtabwärts, mitten im langsam sterbenden Gewühl des Broadway entlang. Nach einer Stunde des Hin- und Herrennens fühlte er sich grenzenlos müde, erschöpft, verstaubt und verschwitzt. Und unwillkürlich zog er den Atem ein, drückte die feuchte Hand an die Nase.
»So, jetzt werden es mir die Hunde nicht nur ansehen, sondern auch anriechen, daß ich ein Farbiger bin.« Und er sah Hella Bühler vor sich, die schöne Hella, die mit sinnlichem Behagen flüsterte: »Sie riechen ganz anders als unsere Herren – nach Zimt, Muskatnuß und Essig –« Carlo war jetzt in einer von seltsamem Trubel erfüllten Gegend. In jedem Haus Biersalons und Schnapsschenken, Varietés niedrigster Art. Grelle Musik aus den Lokalen, Trunkene auf der Straße, unter ihnen mindestens ebensoviele Neger wie Weiße. Und hier und da ein gräßlich geschminktes Weib. Er las beim Licht einer Laterne die Straßentafel Bowery. Und aus den Reisebüchern wußte er, daß er sich im Quartier des New Yorker Lasters schäbigster Art befand. Da tauchte vor ihm ein in schreiendes, blauweißes Licht gehülltes Restaurant auf. Riesige Reklametafeln: Ein Souper mit der besten New Yorker Musik nur 50 Cents! Komm herein, komm herein, komm herein! Fünf Gänge für 50 Cents und dazu die neuesten Operettenschlager! Vor dem offenen Portal aber stand ein Kerl mit einem Megaphon, der die Vorübergehenden brüllend aufforderte, dieses feinste und unübertrefflichste aller New Yorker Restaurants zu besuchen. Carlo stand eben im grellen Licht der Türe, und der Rufende lud ihn mit einer Handbewegung ein.
»Come in coloured Gentleman (farbiger Herr), und genießen Sie unsere köstlichen Speisen und Getränke.«
Wie von einem Peitschenhieb getroffen, zuckte Carlo zusammen. Also auch für diesen Auswurf war er auf den ersten Blick nichts als ein Farbiger, ein Negerstämmling, gleichgültig welcher Erziehung und Bildung! Und es dämmerte ihm, daß er vor Unabänderlichem stand, vor einem Schicksal, gegen das sich nicht ankämpfen ließ. – –
Und doch wollte er essen, die müden Glieder ausruhen. Langsam, zögernd betrat er das riesige Lokal mit seinen mehr als hundert gedeckten Tischen, den surrenden Windfächern, der abscheulichen Blechmusik, den schmatzenden und schlürfenden Gästen, meistens Männer, die den Hut aufbehalten hatten.
Alle Tische waren besetzt, an einem saß ein Herr allein, und dorthin richtete er seine Schritte. Aber schon hatte ihn ein Herr in fettglänzendem Smoking beim Arm gefaßt, und der Manager oder gar Besitzer des Lokales wies nach einem anderen Tisch, an dem schon zwei Neger saßen.
»Hier ist noch ein schöner Platz für Sie frei, mein Herr!«
Carlo stieß den verdutzten Mann heftig von sich, machte kehrt und raste aus dem Saal wieder auf die Straße hinaus.
Wütender Ekel und Haß gegen diese Menschen, zu denen er gestoßen werden sollte, ließ ihn die Fäuste ballen. Und als eben ein dickes Negerweib mit einem unerhört komischen grünen Federhut sich dicht an ihn drängte und ihn mit einem »Komm mit mir, Kleiner« angirrte, da spuckte er aus, schleuderte ihr ein Schimpfwort ins Gesicht und lief weiter.
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