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Der Wein ist der allerlieblichst- und annehmlichste Safft unter allen; Ein edle Gabe und Gut dem menschlichen Leben / auch dessen herrliche Unterhaltung und Hülffe / macht ein rein- und gutes Geblüt / wird auch geschwind zur Nahrung in dem Menschen verwandelt; befördert das Kochen und Dauen in allen Gliedern / machet muthig und behertzt / schärffet den Verstand / und ermuntert die Lebensgeister / vermehret die innerliche natürliche Wärme / bringet den von Krankheiten wieder Genesenden neues Fleisch und Kräffte / machet Lust zur Speise/
Dannenhero auch die Teutschen von ihren Vättern und Großvättern schon die Gewohnheit haben / ja jederzeit bey ihnen biß auf diesen Tag üblich gewesen, daß bey all ihren Verträgen / Handlungen / Verding / Vergleich / und was dergleiehen mehr ist / muß getrunken seyn / und ohne Trunk nicht leicht etwas geschiehet. Es wird zwar diese Lust und Gewohnheit zu trinken den Teutschen hin und wieder vorgerückt und vorgeworfen; aber man solte bedenken / daß solche arbeitsame und starcke Leute auch starken Durst haben /
Aus P. Fischer S. J., Fleißiges Herrenauge 1696
In einer uralten Laterne brennt ein dickes Stearinlicht. Diese Laterne hält das Radieschen in der Hand, außerdem noch einen Weinkrug und einen langen Schlauch. Wir treten 176 über abgetretene Sandsteintreppen in ein finsteres Gewölbe hinab, in einen Weinkeller.
Schon umfängt mich eine verwegene Atmosphäre, ein eigenartiges Gemisch von Wein und Gruft, von Erdfeuchte und versteckten Pilzgewächsen.
Die schwere Kellertür aus geschnitztem Eichenholz ist hinter uns ins Schloß gefallen, das erbärmlich tränende Stearinlicht frißt sich in die Finsternis, überall hagere und plumpe Schatten gebärend und im Schlingern der Laterne ein krauses Gespensterzickzack entfesselnd.
»Der Umstand, Herr Kellermeister, daß Sie mich in diesen wundersamen Bauch der Erde führen, beweist mir, daß mein Gehöröl – –«
Das Radieschen bleibt stehen und wendet sich um.
»Ich sag Ihnen bloß, ich hab' e Hallelujatrummelfell.«
Wir stolpern weiter, jetzt kommen wir in die Faßgasse. Da liegen in langen Reihen plumpe Ungeheuer von verschiedener Größe, schlafende Dickhäuter, in die Urträume der Welt zurückgesunken. Da liegen sie mit fetten Bäuchen, gemästete Unholde, darinnen die blühenden Seligkeiten des Lebens schlummern. Sie sind gefüllt mit köstlichen Weinen. Diese Weine sind versunken, kellerdunkel eingelullt, sie sind vernünftig geworden; einmal waren sie Rebellen, die tobten und schäumten und ihre Fesseln sprengten; jugendliche Stürmer, Revolutionäre und Raufbolde, giftige Gase ausstoßend, gefährlich in ihrer hefegeschwängerten Kraft. Jetzt sind sie still geworden, nachdenklich, grüblerisch versonnen, weltkluge Philosophen.
Sie liegen in Fässern mit geschnitzten Faßböden.
»Nie war ich in einem solchen Weinkellergewölbe, überall hängt Spinnweb in Ecken.«
177 »Spinnweb muß sein, es vertilgt die Gifte, das Weingesindel und Kellergelichter fängt sich im Spinnweb, losse Sie nur des Spinnweb hänge! Es hilft gege die Unsichtbare.«
»Gegen die Unsichtbaren? Sind hier Unsichtbare?«
»Unsichtbare gibt's überall. Habe Sie noch nie gehört, daß die Finger von ungetauft gestorbene Kinder unsichtbar machen?«
178 »Sie haben es nur mit den grausigen Dingen, Herr Kellermeister. Ich glaube, Sie könnten von Hexenstrümpfen erzählen.«
Er stellt die alte Funzel auf den Steinboden, geht zu einem Faß und klopft mit dem Fingerknöchel an den Faßboden. An dem Faß hängt eine kleine Tafel, darauf steht mit Kreide: Dürkheimer Museumsgarten 1934.
»Des is noch e Konfirmand, der hat jetzt ausgschlafe, den wolle wir mol uff Herz und Niere prüfe.«
Auf einer kleinen Treppenleiter klettert er hoch, öffnet oben den Spund und senkt den Schlauch in das Faß.
Er füllt den Krug, er zieht den Rüssel aus dem Faß.
Hat es nicht gerumpelt in einem furchtbaren Bauch, ich wette, es hat gepoltert, am Ende ist eine Darmverschlingung im Anzug.
»Herr Kellermeister, es hat gerumpelt, ich habe meine guten Ohren, ist irgendwo ein ungetauftes Kind gestorben?«
Er steht vor mir im Spiel des gelben Lichtes, er hält den Krug in der Hand, gewaltig ist sein Bauch vorgeschoben, kleine Augen funkeln aus dem kolossalen Kopf. Sein Mund bewegt sich, die Lippen kommen in flatternde Bewegungen, faltig zieht sich die Stirnhaut nach oben; das Radieschen schmunzelt.
Ein Weinschmunzeln, ein Kellerschmunzeln, ein Gewölbeschmunzeln. Noch trinkt das Radieschen nicht. Er hält den Krug und senkt die Nase hinein.
»Schschscht! Riechen Sie was? Steigt Ihnen was in de Buchhändlerzinke? Sehen Sie Schmetterlinge fliegen?«
»Schmetterlinge?«
179 Weinschmunzeln, Gewölbeschmunzeln. Urtiefes Fässerschmunzeln. Er trinkt. Lange trinkt er, furchtbar lange, eine Ewigkeit währt dieser Zug, eine Kehle ist fanatisch geworden, ein Schlund wird zum Nimmersatt.
Er setzt ab. Faltenstirn, weite Äuglein tränenfeucht, er kaut und schmatzt und schluckt, ein wehender Strom, weinduftgeschwängert, kommt aus seinem Mund.
»Da!« Mehr sagt er nicht. Da, zwei Buchstaben.
Ich schaue in den Krug hinein, das flüssige Gold glänzt mir entgegen, es schimmert verführerisch auf dem Grunde dieses duftenden Tümpels.
»Sie müssen an was denken, wenn Sie trinken. Den Troppe, Herr Buchhändler, den hot kei Esel aus der Wand gschlage.«
An wen sollte ich denken, wenn nicht an Ursula, wem sollten alles Sinnen und Handeln, alles Fühlen und Wünschen angehören, wenn nicht Ursula!
Du Dunkle mit dem gescheitelten Haar, du Antlitz mit den schwermütigen Augen, du Gesegnete, du Engel, du Kind mit der Lüge, du Lichtgestalt aus Rheingold und Wagenschmiere, du geliebte Komödiantin – sei hier in meiner Nähe, wenn ich jetzt den Krug leere auf dich, die du dein erbärmliches Spiel mit mir triebst.
Ich trinke, es ist kein Wein, es ist Ursulas Blut, das in mich hineinströmt, geöffnete Schlagader ihres ungestümen Herzens überschwemmt die Kanäle meiner Brust.
Kein Tropfen bleibt im Krug, Herr Kellermeister, das nenne ich einen Zug.
Das Radieschen staunt, vorgestreckten Bauches starrt er in den leeren Krug.
180 Er sagt nichts, die Leistung einer Buchhändlerkehle hat ihn stumm gemacht, er bückt sich nach der alten Lichtfunzel und schlurft die Faßgasse entlang.
Was für herrliche Namen, mit Kreide auf Tafeln geschrieben, flüssige Juwelen der Erde, Smaragde und Diamanten und das Geschmeide der Sonne.
Fuchsmantel, Gewürztraminer. Forster Ungeheuer, Wachenheimer Goldbächel. Kirchenstück und Himmelreich. Linsenbusch, Goldschmied und Gutgeistel. Kränzler und Langenmorgen und Wachenheimer Luginsland.
Wieder senkt das Radieschen den Schlauch ins Faß, er zapft dem Himmel alle Seligkeit ab.
Wachenheimer Luginsland.
Ich nehme den Krug und schaue hinein; ein golden bewegter See, ein verträumtes Auge im Dämmerschein der Kerze. Ein Antlitz formt sich mild auf gleißender Fläche, zwei Lippen zittern im bewegten Trank.
Ich beuge mich über diese Lippen, ich trinke und finde kein Ende, wer könnte sich lösen von diesen Lippen.
Noch nicht lange her, da schaute ich in ein schlafendes Wasser, über dem der Glanz einer seltenen Stille lag. Zwei Augen starrten mich an aus dem verschwiegenen Grunde und jemand sprach zu mir: Unser Spiegelbild ist ein zweites Wesen, im Wasser hier ist eine andere Ursula.
»Herr Kellermeister, haben Sie ein Spiegelbild?«
Er lacht, daß der gewaltige Bauch wackelt, sein Lachen purzelt in die Gewölbe, überschlägt sich an Mauern und hinter Fässern, wie Affengetier springt es umher.
»Sie haben Einfälle wie e alter Backofen.«
181 Er schluckt, er grunzt, er strahlt, er fährt mit dem Handrücken über den Mund.
»Kennen Sie den alten Bibelspruch; wenn's Wasser gut is, loßt man's Bier stehe und trinkt Wein. Hot des nit der Absalom gesagt?«
Er legt die fette Hand auf meine Schulter, die andere hält den Krug.
»Der is elegant.«
»Wer ist elegant?«
»Der Luginsland.«
»Ich merke eine kleine Tollheit – – eine Verwirrung könnte man erklären – im Kopf, hier – – habe ich übrigens, bitte sehr, geschwollene Augen?«
»Nix, aber Sie rede geschwolle daher. Sie mache e Visage wie e Pfann voll Gequellte. Komme Sie, dort is e Tisch, wir wolle uns setze!«
Richtig, jawohl ein Tisch. Ein komischer Tisch, nie habe ich einen solchen Tisch gesehen.
»Was für ein Tisch, Herr Kellermeister? In einem Museum – –«
»Eine umgestülpte Treberbütte und zwei kleine Fässer. Ich hol uns jetzt was Stahliges.«
Mit der Funzel müht er sich die Faßgasse entlang, er schlingert wie ein Kutter bei Rollsee, in weiten Kurven geistert das Licht, der Keller ist ein Hexenschattenspiel.
Er verschwindet hinter Dickhäutern, ich bin allein im unterirdischen Reich des Weines.
Es nebelt durch meinen Kopf. Dunkel und Dämmerung, irgendwo ein gelb zuckender Lichtschimmer, um mich Elefanten, dumpfes Getümmel. Es rumort aus Ecken und Winkeln, 182 Unsichtbares wird sichtbar und schleicht sich heran; hat jemand den Finger eines ungetauften Kindes – – – ich fürchte mich nicht, ich habe Schweres getragen, kein Dunst aus Weinfässern, kein scheues Gelichter aus Spundlöchern kann mich aus der Ruhe bringen.
Teufel, wenn du in der Nähe bist, ich lade dich zu Gast, herauf aus dem Gerümpel, ich will den Schwanz dir zwischen Fässer klemmen, hehe. Herauf, sage ich, herauf mit Federkiel und Blutstropfen, ich will dich durch ein Rattenloch jagen, verfluchter Gernegroß.
Ein eitler Tropf, wer mich nicht kennt,
Der Teufel ist mein Bruder,
Ich trink' mit ihm, potz Element,
Am Boden liegt das Luder.
»Du weckst die Toten auf mit deinem Grölen.«
Er kommt daher, der Kutter, der Heringsfänger bei Nordwest, er kreuzt im Winde auf mit vollen Lappen, das gelbe Positionslicht flackert. Ein Krug, ein Weinkrug. Eleganter Wein, elegant.
»Zwei Strich Steuerbord, Käpten, Backbord quer ab ein Riff. Ho ho ho, Heringsfänger. Weinbergschnecken mit Kräuterbutter.«
»Läuft dir die Gosche über?«
Wir sitzen auf den Fässern, auf der gestülpten Bütte steht der Krug.
Schatzgräber in Kellern, Goldgräber.
Das Radieschen sitzt unbeweglich, die Beine weit gespreizt, sein Bauch ein Faß mit Lendenschurz, sein Antlitz eine Sonne.
183 »Des is ein stahliger Wein, Erdgeschmäckel, ich sag bloß Erdgeschmäckel; e Altenbamberger vun 1934. Er is noch e bissel wild.«
Schon hat er den Krug angesetzt, ich sehe den Adamsapfel hüpfen, der Kopf ist ins Genick geschoben.
Plötzlich sitzen zwei Kellermeister da, er hat sich verdoppelt, ein Radieschenduett, ein Zwillingsbauch.
Nein, nur ein Kellermeister.
»Kellermeister, in diesem Augenblick warst du Zwillinge!«
»Zwillinge, ho hoo, des wäre fünf Zentner.«
»Wenn man ordentlich mit der Hebamme schnupft, dann sind Zwillinge – – –«
»Trink, daß du nüchtern wirst. Ho hoo, mir habe drei Bube, Buchhändler, bei uns gibt's kei Katzenbacher Kunst, wir steige mit dem rechte Fuß aus'm Bett. Mei Alte, die Babett, kennt sich aus, die weiß hinte und vorne was Gescheites. Do hat doch unser Nachbarskind die Brust nit wolle nehme, do sagt mei Babett, man müßt dem Kind mit'm Kirchenschlüssel den Mund aufschließe. Jetzt hol ich einen Traminer.«
»Käpten, haltet ein, ihr stecht schon wieder in See. Habt ihr gebunkert, ein unruhiges Meer, Käpten, Sturm um Klippen, es scheiterte schon manches Schiff – – ich habe manchmal Pech, mir hat von Eiern geträumt.«
»Sprüchklopper, du machst noch en Kalender. Ho ho ho, große Stange und keine Würscht dran, ho hoo, kein Ohreweh mehr, kein Ohreweh, do muß ein Traminer her!«
»Käpten, gehet vor Treibanker. Wenn ihr zerschellt – – gehet vor Treibanker!«
Hilft nichts, er hat die Anker gelichtet, er verläßt den Hafen, schon ist er im freien Fahrwasser.
184 »Käpten, meine – hick! meine Füße stecken in – – Pelzschuhen.«
Ich muß einmal versuchen, ob ich mit diesen dicken, plumpen Füßen gehen kann.
Was ist mit dem Kellerboden los, er bewegt sich, ein Meer ist er. Nein, ein Schaubudenscherz, ein Hexenkabinett, zehn Pfennige Eintritt, und die Welt ist aus den Fugen. Bald hängt man oben, bald hängt man unten, man stolpert über Wolfsgruben, Steine liegen heimtückisch im Weg, Fratzen grinsen aus Ecken, ich werde mich hüten, über diese Brücke zu gehen, weil ich vermute, daß – – sie einstürzt.
»Hick.«
Schaubudenscherz, Hexenkabinett, bitte zum Ausgang, genug des Allotrias, ich möchte zum Ausgang, gar zu viel Spiegelfechtereien für zehn Pfennige.
»Hick!«
Ich will mich unter euch begeben, ihr Weine des Paradieses, ihr Phantasiebeflügelten. Euer Freund will ich sein und Duzbruder, ich will mit euch durch das Weltall schaukeln, einen Zweizeiler auf euren uralten Adel, einen Alex-Vers auf eure Zauberkraft.
Ursula aus rotem Flammenschein; Ursula im Kreislauf unterirdischen Geschehens, Ursula mitten unter dem Gebräu des Himmels.
»Wein her, ich will auf Ursulas Unsterblichkeit trinken.«
»Husarenaffe, bist du toll geworden?«
Das Radieschen spricht hochdeutsch, welch eine Wandlung in dieser freundlichen Weintonne!
»Es gibt Menschen, Radieschen, die, wenn sie, was 185 bewiesen ist, plötzlich hochdeutsch reden, be – – betrunken sind. Haltet mich, ein Hexenkabinett.«
»Setz dich aufs Faß! Wie kannst du nach Fräulein Ursula rufen!«
Der Name trifft mich wie ein Schlag, ich schrumpfe zusammen unter der Wucht dieses Namens. Ein Funkenregen rast an mir vorüber.
»Habe – – ich – – Ursula – – gerufen?!«
»Natürlich hast du Ursula gerufen. Sie wird kommen und dich verhexen mit ihrem Schildkrötenring.«
»Schild – – kröten – – ring!?«
Ich erhebe mich vom Faß, ich starre den Kellermeister an, sein Radieschenkopf wächst mir entgegen, unter meinen Pelzstiefeln ist kein Boden mehr.
»Dieser Boden hier ist nicht hasenrein, man kann plötzlich versinken, es herrscht ein unterirdischer Aufruhr, hast du nicht Schildkrötenring gesagt?«
Er sitzt da, breit und gewaltig, der Weinkrug steht auf dem Treberbottich, aber das Radieschen hat die Hand am Henkel, er läßt nicht los; seine Augen tränen. Er ist der dicke Bruder aller Weine.
»Mit deinem Schildkrötenring. Hier ist Wachenheimer Fuchsmantel, ein Gewürztraminer. Aber du bist ihm nicht mehr gewachsen, du kapitulierst vor seiner Kraft; die Festung fällt.«
»Ihr – redet – hochdeutsch. Was ist – mit dem Schildkrötenring?«
»Gewürztraminer, du Bürschlein, er wird dich aufs Ohr legen. Du stehst auf Porzellanfüßen. Vor dem Letzten wirst du in die Knie sinken.«
186 »Der Schildkrötenring ist schuld.«
»Du hast die Prüfung nicht bestanden, man muß dich aufrecht in den Boden graben und dir den Kopf abstolpern. Vor dem Letzten sinkst du in die Knie. Ho hoo! Schande über dich!«
»Vor welchem Letzten?«
»Vor der Spitze, vor der Auslese, vor dem Gekrönten.«
»Vor welchem Letzten, frage ich?«
»Vor dem Wein der Sieben Glückseligkeiten!«
»Sieben Glück–seligkeiten?!«
»Aufs Faß mit dir, du fällst wie eine morsche Föhre.«
Er steht schon wieder auf, die riesigen Flossen drückt er auf meine Schultern, er quetscht mich auf das Faß nieder. Er greift zum Krug, hoch aufgerichtet steht er da, gewachsen scheint er und bis zur Gewölbedecke ragend, sein Mund ist feucht geworden, die dünnen blonden Haare hängen wirr auf dem Kopf, die Augen glänzen.
»Deine Haare, Radieschen, sind Grasbüschel, eine Kuh könnte sie abweiden. Was meinst du mit den Sieben – –?«
»Nichts für dich, Bürschlein. Die Kinderschule für dich. Ich stehe hier in meinem Reich, ich bin ein Allmächtiger unter den Fässern, niemand bringt mich zu Boden. Alles Land ringsum gehört dem Wein, überall, aus allen Poren quillt der Saft. Ein verwegenes Land, mein Herr. Wir haben eine Vergangenheit, da bin ich gut im Bilde. Die alten Römer haben hier schon aus Humpen getrunken, die Völkerwanderung ging über unsere Weinberge, die Hunnen zechten Deidesheimer Weine, nicht weit von hier liegt Attila begraben, in einem See. General Mélac, kennst du den Namen, brülez le Palatinat! Unsere Hunde in der Pfalz heißen heute noch Mélan. Ein verwegenes 187 Land. Trümmerhaufen, Schutt und Asche, Mord und Brand, und Verrat und Schufterei, ans Kreuz geschlagen jahrhundertelang: und immer wieder Wein, immer wieder Wein, immer – – wieder – – Wein!«
Tränen kollern über seine dicken Backen, tiefe Rührung hat ihn übermannt, sein Gesicht wirft Falten, er setzt zum Trunk an, übermächtig wächst er mit dem Krug ins Gewölbe hinein.
»Halt!« rufe ich, »ich stehe fest, nichts soll mich in die Knie zwingen. Her den Krug!«
Langsam setzt er ab, ein tiefer, brummender Ton kommt aus der Höhle des Mundes.
»Immer – wieder – – Wein! Ein Ausgleich unseres Herrgotts droben, eine Gegenrechnung, ein wundertätiges Pflaster auf alle Wunden: der Wein!«
Mir wachsen Kräfte in diesem Augenblick, Wurzeln schlage ich in den harten Boden, ich stehe aufrecht und packe den Krug. Kein Tropfen läuft über, kein schäbiges Rinnsal bildet sich, ich trinke wie ein Mann, kein Lebendiger im Umkreis wird mich schelten.
»Bravo, mein Bürschlein, komm, laß uns Brüderschaft trinken.«
Wir umarmen uns, es ist ein feierlicher Augenblick, ein Raunen geht durch die unterirdischen Räume, dem Wein wachsen Stimmen und Gesang, er hebt zu klingen an, verborgene Zungen werden laut. Der Himmel gibt mir einen guten Gedanken, etwas Beglückendes fällt mir ein, Tat meiner Dankbarkeit soll sichtbar werden, schon durchsuche ich meine Taschen, etwas Besonderes habe ich vor.
188 »Ein glücklicher Durst hat uns zusammengeführt, dich und mich, wir sind ein liebliches Gespann. Dir aber verdanke ich diese Kellerstunde hier, diese Wein- und Weihestunde, diese Faß- und Trinkgemeinschaft. Nimm als Zeichen meiner Dankbarkeit dieses Fläschlein, nimm es hin das wunderwirkende Gehöröl, es sei dein eigen, ich schenke es dir!«
Und ich halte ihm das Fläschlein hin, das mir David Häutle verkauft hat.
Er greift zu und ist sichtbar gerührt, er findet keine Worte des Dankes, das Übermaß unserer Gewölbefreundschaft hat ihn stumm gemacht.
Zärtlich umarmt er mich, sein Bauch stößt wuchtig weich nach mir, er schluckt erschüttert.
»Buchhändler!«
Sein Atem haucht Traminer aus.
»O mein Radieschen«, sage ich.
»Und jetzt den Wein der Sieben Glückseligkeiten.«
Schon dröhnen seine Schritte durch den hohlen Raum. Wie Sensen mähen die Schatten der elenden Stallfunzel über Decken und Wände.
Die Fässer sind lebendig, sie hängen an Seilen und schwanken, es ist wie auf einer Schiffschaukel, Hölle und Spinnendreck, ich fliege bis zur Decke.
Mit Mühe sammle ich das Gerümpel meiner Gedanken. Wo bin ich, etwas ist durcheinandergeraten.
Fräulein Ursula wird dich verhexen mit ihrem Schildkrötenring.
Ursula hat keinen Schildkrötenring, Herr Kellermeister. Ursula ist mir nicht unbekannt, verhext hat sie mich schon lange. Ursula über mir!
189 Ursula in Räumen, die über diesem alkoholischen Gewölbe, über diesem monströsen Weinbehältnis liegen. Wenn ich hier an die feuchte Decke klopfe, möglich, daß Ursula es hört, vielleicht weilt sie in einem Biedermeiergemach, in einem Sessel sitzt sie und liest Shakespeares Othello.
Ich bin ein Fremdling in diesen Räumen, in fremdes Eigentum bin ich hinterhältig geschlichen, um mich in eines Gutsbesitzers Weinkeller zu berauschen, um den Wein der Sieben Glückseligkeiten zu stehlen. Lump und Saufaus, wohin steht dein Sinn? Denke an die Schnecken, an die Maden, an die Raupen.
Schiffschaukel, ein Matrose soll die Orgel drehen.
»Didelum, dittel dittel dong
Dulli dill dolla dolla dong
Zocke zurre zicke dittel – –«
Keine Angst, ich kann schaukeln, ich war ein Meister früher auf der Schiffschaukel. Ich konnte den Lukas hauen, daß das Männlein zur Glocke sprang. Klingeling, ein rotes Röschen ins Knopfloch, ein Lukasröschen.
»Dulli dill dilla dilla dong
Zacke zorre zuckel diddel – –«
Was ist denn los, was für ein Kumpan taucht auf, ich bedanke mich für diese Gesellschaft.
»Kraaa – – raaa – – –«
Ein Rabe auf dem Faß! Lebendiger Rabe, schwarzer Geselle, flügelschlagend, schnabelhackend.
Ein Rabe. Vorgestreckten Kopfes schaut er mich an wie ein Staatsanwalt.
190 »Max!« kreischt der Rabe. »Max – – rrauss!«
Jetzt weiß ich es genau: ich bin verhext.
Die Knodener Kunst ist über mir. Ein Mann aus Knoden mit Namen Rettig hat mich festgebannt. Wir leben im Dreißigjährigen Krieg. Die Zeit hat einen Purzelbaum geschlagen. 191