Richard A. Bermann
Das Urwaldschiff
Richard A. Bermann

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Sechstes Kapitel

Aus dem eben eroberten Peru der Inkas, sagte der Weltbummler, kommt ein spanisches Heer. Gonzalo Pizarro führt es, einer von den heroischen und verbrecherischen Brüdern, die das Reich Atahuallpas zertreten haben und den König am Pfahl erwürgt, Gonzalo Pizarro, minder roh, minder gierig als sein großer und grauenhafter Bruder Francisco. Er hat in dem Gefängnis des Inkas das Gold des Lösegeldes erst den Boden bedecken gesehen, dann den Raum füllen, hoch hinauf, bis zu der Linie, die die gefesselte Hand des Gefangenen gezogen. Von den mit Smaragden besetzten Tempelgefäßen, den goldenen Scheiben, die der Sonne nachgebildet waren, und den silbernen, die dem Monde glichen – von diesen Reichtümern hinweg zieht Gonzalo Pizarro einer schimmernden Schimäre nach. Er ist des Kaisers Statthalter zu Quito, könnte, der unehelich Geborene, hofhalten wie ein Fürst. Aber der abenteuerliche Soldat, erst fünfunddreißig, denkt nicht an Genuß und Ruhe; liegt denn nicht seine Provinz Quito an der Grenze des Unbekannten, Fernen, traumhaft Möglichen?

Kaum ist er Herr in Quito, als er ein Heer sammelt, zweihundertundzwanzig spanische Glücksritter; aus den stinkenden Kerkern der Stadt, den Ställen des braunhäutigen Menschenviehs, holt er viertausend Indianer, mögen sie Lasten schleppen, bis sie verbraucht sind und am Wege verrecken! Wertvoller wahrlich sind die Schweine, die der fürsorgliche Feldherr mit ins Gebirge treiben läßt, die Lamas, die zweitausend großen Bluthunde, die er mitnimmt, sie im Walde gegen 119 die Indios zu hetzen – »aperrear« nennt man das mit dem richtigen technischen Wort, »hunden«. Furchtbarer ist das Bellen dieser grausamen Meute den Indianern als der Knall der Arkebusen, das Zischen der Armbrustpfeile; und in dem Land ohne Eisen wären schon die Schwerter, die Kürasse des spanischen Heeres unüberwindlich. Aber nicht darum geht es, wer schert sich um die Wilden mit ihren Bogen und steinernen Lanzenspitzen? Der Eiswind der nackten Kordillere ist der wahre Feind, die entsetzliche Rauheit dieser Berge, die so kalt sind und doch innen voll geheimen Feuers, so hart und doch erschüttert von plötzlichen Stößen, in Nebel gehüllt und in Schwefeldämpfe. Furchtbar frißt der Frost sich in das innerste Gebein der südländischen Menschen; dann, am anderen, östlichen Hang der Sierra, beginnt unvermittelt die feuchte, trübe Hitze der Regenzeit, beginnen die großen Gewitter, in deren Donnersturm kein erfrischender Hauch weht für den gepeinigten Atem, die Regenstürze, die niemals nachlassen, Tage hindurch, Wochen; durch den nassen Bergwald, durch Morast und die tollen Wildbäche tappt das Heer weiter, schon in Not, schon leidend und vermindert. »Der Regen tauft uns die Seele«, sagen die Spanier, in ihren triefenden Kleidern vom Fieber geschüttelt. Die Kleider? Unter dem Küraß der Ritter lösen sich die Gewebe, die ledernen Koller verschimmeln zu weichem Gallert. So geht es weiter, trostlos, rastlos, und rechts und links an dem Wege verreckt das Vieh, Indianersklaven, Lamas und Säue. Die spanischen Caballeros beginnen die Hunde zu schlachten und zu verzehren. Längst schon haben die indianischen Träger kein Körnchen mehr von ihrem gedörrten Mais, sie suchen sich Wurzeln im Wald.

In dieser Not nun geschieht dem Pizarro ein Hohn: was er ausgezogen war zu suchen, findet er. Die Indios aus den Grenzmarken, die man ihm nach Quito gefangen brachte und die er auf der Folter 120 befragt hat, haben ihm von den köstlichen Gewürzen des Waldes im Osten erzählt: das Zimtland Canela für Kastilien zu gewinnen, war der erste Zweck des Zuges. Welch ein berauschender Gedanke, vorher, der an dieses Märchenland! Alle Würzen des Morgenlandes auch in dieser neuen westlichen Welt zu finden, welch ein Triumph, welch ein reicher Gewinn! Jetzt auf einmal haben die Spanier die Zimtbäume, Zimtwälder, voll von dem starken Duft – – Carajo! sagen die Caballeros, wäre es Mais, wäre es die Batatenknolle, die diese Indios zu fressen pflegen! In dieser Einöde, in diesem Regen, in diesem Wald, der immer dichter und furchtbarer wird, wäre alles gut und nützlich, nur das nicht: Zimt! Was hilft alles Gewürz der Molukken und Ceylons, wenn man die Nahrung nicht hat, die man würzen könnte? Ja, wenn man Korn hätte, Früchte und gutes Fleisch! Korn und Fleisch wollen sie finden – und Gold.

Gonzalo Pizarro schickt Späher aus, daß sie ihm im Walde Eingeborene suchen. Sie finden ein Dorf, Palmblattdächer auf ein paar Pfählen, bei Nacht umzingeln sie es, fangen die Bewohner. Das sind nicht mehr die wohlgenährten und wohlgekleideten Indios des Inkareichs, die in schönen, steinernen Städten wohnen, in reichen Dörfern, von ihren Oberen zu strenger Arbeit angehalten, dafür vor jeder Not bewahrt, aus dem gemeinsamen Ertrag der Arbeit alle gleich entlohnt, und so froh und glücklich, daß es nur als ein Blendwerk des Satans gelten konnte, ein heidnisches Zerrbild des irdischen Paradieses, blutig auszurotten, feurig auszubrennen, soll diesen armen Heiden ihr Seelenheil gewahrt werden und ärgeres Feuer erspart! Diese Waldmenschen hier gehen nackt und man kann ihre Rippen zählen; der Kazike hat ein Halsband aus den Fingerknochen kleiner Affen, aber seine Unterlippe ist durchbohrt und in ihr steckt eine dünne goldene Scheibe! Die anderen sind unnütz, zu elend, um als Träger zu dienen; man wirft sie, 121 Weiber, Kinder und Männer, in die brennenden Hütten zurück oder füttert die letzten Bluthunde mit ihnen; Gonzalo Pizarros Feldzeugmeister, Don Antonio de Ribera, er befehligt nämlich den Streifzug, spricht indessen viele Vaterunser, solange es eben dauert: – man hat versäumt, aus dem Lager einen frommen Frater mitzubringen, damit er die armen Heiden vor ihrem Tode doch hätte taufen können, wie spanische Christen es aus Barmherzigkeit sollten. Immerhin gelingt es, zur größeren Ehre Gottes, den Kaziken zu taufen, nachdem man ihn an Händen und Füßen gefesselt in das Lager eingebracht hat. Er erhält in der heiligen Taufe den Namen Luiz und stirbt eine Stunde später – mit verkohlten Füßen, denn entweder versteht er die Fragen des Dolmetschers nicht, oder es ist seine heidnische Verstockung unüberwindbar; denn, ernstlich befragt, wo das große Goldland sich befinde und die Provinz der gefüllten Kornkammern, gibt er keine Auskunft, sondern röchelt nur, und aus seiner Lippe, aus der man den goldenen Schmuck gerissen hat, sickert Blut und nicht Rede. Umsonst redet der Dolmetscher Miguelito auf ihn ein, in der Sprache der Tupi, die sonst die wilden Kopfjäger auf dieser Seite der Anden verstehen. Pedro de Solis, der Schreiber der Expedition, liest dem Kaziken die Fragen vor, während der Henker den Brand an seine Fußsohlen hält; der Dolmetscher, ein junger, brauner Mensch mit den Gesichtszügen der peruanischen Sonnensöhne, doch in der Tracht Kastiliens, übersetzt diese Fragen: wie viele Meilen entfernt die Hauptstadt des großen Herren und Oberkaziken wäre, den sie den Goldenen nennen, wegen seiner Pracht, item, ob der geneigt sein würde, die Oberhoheit des römischen Kaisers Caroli Quinti anzuerkennen. Der Kazike röchelt nur und antwortet nicht; da liest der Schreiber neue Fragen: Ob man die Pferde wohl bis in dieses Land des Dorados mitnehmen könne? Wo Mais sei? Wo die Weide der Lamas? Der Dolmetscher Miguelito, mit einem 122 unbewegten Gesicht, sagt es in der Tupisprache. Der Kazike seufzt auf, sein magerer Leib, auf dem lauter kurze schwarze Linien eintätowiert sind, zuckt auf einmal gräßlich, er stirbt. Don Pedro de Solis, der Schreiber, sagt mißbilligend, in diesem hungrigen und verfluchten Lande hielten die Indios nichts aus, der Kerl, auf dessen Rücken er sich seit dem Tode seines armen Gauls tragen lasse, werde auch bald verbraucht sein.

Nachdem der Kazike gestorben ist, findet man viele Tage lang keine Eingeborenen mehr, aber in den Nächten schallen ihre Signaltrommeln durch den Wald, in dem die Spanier sich immer tiefer verstricken: die letzten Pferde können nicht mehr vorwärts, es ist ein willkommener Vorwand, sie zu schlachten. Immer dichter wird das Baumgestrüpp, tiefer an manchen Orten der Morast, man schlägt sich seinen Weg mit der Axt, schneidet sich ihn mit dem Degen. Auch die Feldhauptleute gehen jetzt zu Fuß, Gonzalo Pizarro selbst und sein Stellvertreter, der Teniente General, den er sich ernannt hat, Francisco de Orellana. Sie beide und mit ihnen die anderen Obersten des Heeres, der Mestre de Campo Don Antonio de Ribera und der Capitàn Sancho de Carvajal tragen noch über ihren zerfetzten Kleidern den Küraß, doch seine Last ist kaum mehr zu erdulden in der Schwüle dieses dumpfen Waldes. Endlich, nach vielen Tagen, kommen sie an einen Fluß, der durch die Vorberge der großen Sierra bricht; es ist zum erstenmal nicht ein bloßer Gebirgsbach; dieser Fluß kann nicht durchwatet werden; die Spanier stehen ungeduldig am Ufer, denn auf der anderen Seite sehen sie viele große Hütten, ein Dorf, in dem es sicher Nahrungsmittel gibt, denn im Wasser sieht man Kanus und in ihnen nackte Fischer, die mit Bogen und Pfeilen Fische schießen. Lange sucht man vergeblich, die Indios herüberzulocken; sie haben durch die geheime Telegraphie des Waldes erfahren, wie diese weißen Götter zu fürchten sind. Endlich, 123 da Don Gonzalo ungeduldig wird, fällt sich der Dolmetscher Miguelito einen Baumstamm, klammert sich an ihn und schwimmt so über das reißende Wasser, mit den Indios zu verhandeln; er bringt ihnen drei eiserne Messer zum Geschenk mit und viele freundliche Versprechungen seines Generals.

Der Mann, der am anderen Ufer aus dem Wasser taucht, nackt, nur mit einem schmalen Lendenschurz, in dem die drei Messer stecken, ist ein ganz anderes Wesen als der Miguelito, den die Spanier kennen und den sie fast für einen der Ihrigen zu halten sich gewöhnt haben, weil er einer von den drei jungen Inkas ist, die Francisco Pizarro schon vor vierzehn Jahren, bei seiner zweiten Entdeckungsfahrt an die peruanische Küste, in der Stadt Tumbez an Bord seines Schiffes genommen und nach Panama gebracht hat, ja, von dort nach Spanien selbst, um sie dort die Sprache lernen zu lassen, daß sie ihm als Dolmetscher dienten. Jetzt heißt er Miguelito und trägt Hosen; doch da er nackt aus diesem Bergfluß steigt, sieht man das Sonnenzeichen, das in seine Brust eingegraben ist, und der Kazike des indianischen Dorfes fällt zitternd davor nieder, auch in diesen Wäldern weiß man von den großen Inkas.

Miguelito spricht mit dem Wilden in der Tupisprache, und so groß ist die Ehrfurcht des Kaziken Delikola vor dem Zeichen der Sonne, daß er, zögernd genug, die Kanus seines Stammes mit Lebensmitteln beladen läßt, mit Maniokwurzeln, getrocknetem Affenfleisch, mit den Papageien, die die Jäger des Stammes gestern geschossen haben, und mit großen Schildkröten. Das und die Früchte des Waldes, blauviolette Beeren der Assaipalme und fette Andirobanüsse und zwei mannsgroße Pirarucufische häufen sie in die Einbäume und fahren hinüber.

An diesem Abend gibt es im spanischen Lager ein Festmahl; scheu 124 lauschen die indianischen Bootsleute vom Fluß aus den gebrüllten Liedern, dem ausgelassenen Rhythmus der Seguidillas. Diese Leute sind untersetzt, schmutzig, lange Haare hängen ihnen über das Gesicht und den Rücken, die Spanier nennen sie deswegen die Haarmenschen, Encabellados. Gern würden Pizarros Abenteurer nachsehen, ob auch ihre Weiber lange Haare haben oder kurze, aber der General hat streng verboten, die Leute zu belästigen oder ihr Dorf über dem Fluß zu betreten, er hat jetzt eingesehen, daß das Heer verhungern muß, wenn die Indios vor ihm davonlaufen.

Er sitzt jetzt eben vor der Hütte, die man für ihn nach Landesart gebaut hat: große, gegabelte Äste, in den Boden gerammt, oben eine Stange daraufgelegt und dann das Gerüst mit großen Palmblättern bekleidet. Des Gouverneurs Excelencia sitzt auf einem Lehnsessel, den seine indianischen Sklaven von Quito bis hierhergeschleppt haben, damit er desto würdiger thronen könne; zu seinen Füßen hockt Miguelito, jetzt ganz christlich spanisch, in Hose und Hemd, und hinter ihm sitzen auf den Kisten und Ballen der Träger die drei Feldhauptleute; auch ist der Escribano wieder da, der öffentliche Schreiber Pedro de Solis, und hat aus seinem Gürtel die Rolle mit den Fragen genommen. Zwei Sklaven Pizarros halten große rauchende Fackeln, und der Kazike Delikola schielt angstvoll zu diesem Feuer hin. Aber es kommt nicht zum Foltern; Delikolas kaum hörbare Antworten, von Miguelito in des Königs gutes Kastilianisch übertragen, klingen befriedigend und mehr.

Dieser gute Indio sagt alles aus, was die Spanier hören möchten. Ja, irgendein gutes Land ist nahe. Lebensmittel gibt es, viele. Nicht weit, wenige Märsche nur. Im Land der Omaguas, die flache Köpfe haben. Auch grenzt an dieses Land das andere, in dem gelbes Gold ist, viel. Sehr viel.

125 »Frage ihn, ob auch Smaragde in jenem Land sind!« befiehlt der Pizarro.

Ja, auch Smaragde, sagt rasch der Kazike der Encabellados, oder wenigstens sagt es auf spanisch Miguelito, sehr große Smaragde, in Haufen.

Der Schreiber liest seine Fragen langsam und gründlich herunter, erspart dem Inquirenten kein Item: er muß auch noch aussagen, daß alle Häuptlinge und Prinzipalpersonen dieser Provinz bereit, willens und von Herzen geneigt sind, die Oberherrlichkeit des Kaisers Caroli Quinti anzuerkennen; ferner sei er selbst, Delikola, begierig, sich von dem guten Vater Gaspar de Carvajal, Generalvikar der Provinz Lima und Almosenier dieser katholischen Armada, in den Wahrheiten des christlichen Glaubens unterweisen zu lassen und alsbald die Taufe zu empfangen.

Auf diese Frage, die Miguelito mit unbewegtem Gesicht übersetzt, antwortet der Kazike Delikola irgend etwas, und der Dolmetscher sagt, es bedeute: ja – worauf der Gouverneur befiehlt, den Kaziken, aber gelinde, mit Handschellen zu versehen und beim Troß zu bewachen; er soll dem Heere auf dem weiteren Weg als Führer dienen, da er offenbar vortrefflich Bescheid weiß um das herrliche Land des Dorados. Unterwegs mag Fray Gaspar de Carvajal ihn in der Christenlehre unterweisen.

So gnädig ist Gonzalo Pizarro diesem klugen und fügsamen Kaziken gesinnt, daß er sogar befiehlt, ihm von den Lebensmitteln, die er selbst mitgebracht hat, etwas zwischen die gefesselten Hände zu schieben; aber der Wilde will nicht und sitzt nur stumpf da, bis er am Morgen von den Soldaten an einen Strick gelegt wird und fortgeführt, aber nicht über Gebühr geschlagen, der Feldherr hat es verboten.

126 So marschieren sie alle weiter, den Fluß entlang, bis er in wilde Schluchten stürzt und man sich den Weg wieder durch die struppige Wildnis bahnen muß; da fehlt, nachdem die Vorräte aus dem Dorf der Haarmenschen verzehrt sind, bald wieder die Nahrung, und die indianischen Träger bleiben röchelnd unter ihren Lasten liegen; die aus Quito Mitgenommenen sind schon zum größten Teil erledigt, »gastados« nennen es die spanischen Konquistadoren mit dem Fachwort, es heißt: aufgebraucht. Schon sieht man spanische Hidalgos selbst Lasten tragen.

In einer engen Schlucht sind auf einmal indianische Feinde da, schießen Pfeile mit Knochenspitzen gegen den herannahenden Zug; doch das ist nichts, man braucht nur die Zeit, die Gabel einer einzigen Arkebuse in den Boden zu rammen und Feuer zu geben; dann ist der Weg frei, einige Heiden jagt man zuletzt mit der Armbrust. Das ist nichts, wäre in den kleinen Weilern dieser Wilden nur mehr zu essen! Sie liegen in einer Waldlichtung auf einer Savanne, durch die der Bergfluß geht, bevor er sich am jenseitigen Rande wieder in dichte, schwarzgrüne Wälder verliert.

Hier bezieht der Pizarro ein Lager, schickt eine Vorhut von fünfzig Mann voraus, unter seinem Freund und Teniente, Francisco de Orellana. Den Dolmetscher Miguelito gibt er ihm mit und den gefangenen Kaziken Delikola, den Führer. Sie sollen einige Tagereisen weit in die Wildnis eindringen und, wenn sie etwas gefunden haben, Nahrungsmittel oder einen Weg, zum Haufen zurückkehren. Der Kazike Delikola, befragt, was vor ihnen liege, sagt: »Omagna«. Es scheint, daß es der Name einer indianischen Nation ist, vielleicht ist sie reich an Gold oder edlen Steinen. Francisco de Orellana und seine Begleiter tauchen in den großen Wald.

127 Diesen Francisco de Orellana, sagte der Weltbummler, bezeichnen mir die zeitgenössischen Quellen als einen Mann von dreißig Jahren, er stammt, wie die Pizarros, aus der Stadt Trujillo in Estremadura und ist, scheint es, mit ihnen verwandt gewesen, aber von der guten Seite, der adeligen; vielleicht hat er sich als Knabe den Bastarden des Feldobristen Pizarro überlegen gefühlt. Jetzt, da er schon ein Jahrzehnt in den neuen indischen Reichen herumzieht, ein vertrauter Offizier Francisco Pizarros und seines Bruders Gonzalo, mag ihm der Edelmannsdünkel der Knabenjahre geschwunden sein oder hat sich in andere Gefühle verkleidet.

Den Pizarros schuldet er sicherlich Dank, er hat von ihnen für seine Dienste bei der Eroberung von Peru den reichlichsten Lohn bekommen, Gold, Landbesitz und Ehren. Die Provinz Culata nördlich von Lima hat er als Unterstatthalterei zugewiesen bekommen, mit dem Titel eines Generalkapitäns und Vizegouverneurs; viele tausend Indianer bilden sein »Repartimiento«, seinen Anteil an der ungeheuren Land- und Sklavenbeute. Mit ihnen hat er eine neugegründete Stadt bevölkert, Santiago de Guayaquil; es läge an ihm, hier in Würden alt zu werden, Neues zu schaffen oder seine Schätze ruhig zu genießen. Aber die noch vorhandenen Dokumente zeigen den jungen Hidalgo als einen Ehrgeizigen, voll von Unruhe. Regt sich in seiner Seele die Sucht, es diesen niedrig geborenen Pizarros gleichzutun? Man weiß von einem Brief, den er an den Hof von Madrid gesandt hat: er will den Titel eines wirklichen Gouverneurs und läßt die Notabeln von Guayaquil deswegen in Madrid vorstellig werden; dieses geschieht, kurze Zeit nachdem sein Freund Gonzalo Pizarro zu seinem Vorgesetzten gemacht worden ist, zum Gouverneur der Provinzen um Quito. Sei dem wie immer: Gonzalo bereitet seine Expedition ins Zimtland vor, und gleich schließt sich Francisco de Orellana ihm an, er ist voll von sehnsüchtigen 128 Träumen – was schert ihn, was er schon hat? Er stößt zu der Mannschaft des Gouverneurs als sein Generalleutnant und erster Offizier. Immer haben die Pizarros Leute aus Trujillo in ihrer nächsten Nähe, sie lieben es, sich mit Zeugen ihrer elenden Jugend zu umgeben. Auch der oberste geistliche Berater des christlichen Heeres, der Generalvikar Gaspar de Carvajal, ist aus Trujillo.

Francisco de Orellana, an der Spitze der Vorhut in die unbekannte Weite vordringend, mag aufatmen; zwischen ihm und allen Möglichkeiten steht kein fremder Wille mehr. Dieses neue Waldland, das er da betreten hat, kann es nicht alle Wunder umschließen, alle Schätze? Während dieser Tage und an den Abenden, wenn man irgendwo im Dickicht lagert, sucht der Hauptmann die Gesellschaft des Dolmetschers Miguelito. Der ist erst schweigsam; wenn er redet, zeigen seine kalt gesetzten Worte eine Demut, die seiner Miene und Haltung fremd ist; er drückt sich aus wie ein spanischer Christenmensch, weiß, daß er einem Hidalgo von altem Blut zu dienen hat, und daß ihn seine braune Hautfarbe minderwertig macht; er müßte jeden Schlag ins Gesicht mit gekreuzten Armen hinnehmen. Aber wenn Orellana, wie er es liebt, seinen Soldaten vorauseilt, nur von Miguelito begleitet, ändert sich im einsamen Wald oft das Benehmen des Peruaners. In der schwülen Urwaldstille beginnt er plötzlich zu flüstern; er sagt seltsame und verlockende Dinge, die er dem Pizarro nie gesagt hat. Er weiß mehr, scheint es, von diesem unbekannten und geheimnisvollen Land, als er erst sagen wollte. Einmal verrät er, daß er als Jüngling, vor der Ankunft der Spanier in Peru, schon über die Anden gekommen ist, wieso spräche er sonst die Sprachen der Waldnationen? Dann wieder redet er von einem großen Fluß, an den sie bald kommen werden, viel größer als der Tajo oder Guadalquivir; aber dieser Fluß ist doch nur ein kleiner Zufluß eines ungeheuren, eines fast grenzenlosen Stromes, an dem 129 alle Geheimnisse liegen, Länder von einem unvergleichlichen Reichtum. Man könnte, hätte man ein Fahrzeug, Brigantine oder Caravelle, diesen Strom hinabfahren bis ins Meer des Nordens und nach Spanien heimkehren, mit einem Schiff voll Gold und Smaragden; oder man bliebe im Lande, eroberte der Krone Kastiliens ein neues westliches Reich, größer als das Neukastilien des Hernando Cortez, reicher als das Peru Francisco Pizarros. Einmal, da die beiden ganz allein auf einer kleinen Waldlichtung rasten, mit guten Früchten beschäftigt, die Miguelito überall zu finden weiß, wagt er sich plötzlich vor: soll alle Glorie dem Gonzalo Pizarro gehören? Ihm, Miguelito, ist sein gnädiger Herr näher, Don Francisco de Orellana; er könnte viel für ihn tun! – Orellana hört das, fährt rauh auf, mahnt diesen unverschämten Indio an seine Pflicht; er hat der Excelencia des Herrn Gobernadors treu zu dienen, oder es ergeht ihm schlecht unter der Peitsche des Profossen! Gleich erniedrigt sich Miguelito in sklavischen Worten; er ist ja mißverstanden worden, er schwört es bei unserer Señora von Guadelupe, fromm bekreuzigt er sich bei dem Namen.

Francisco de Orellana bleibt tagelang finster und nachdenklich. Miguelito, von dem Hidalgo rauh zurückgestoßen, hält sich mehr an die Soldaten. Sie sind gut auf ihn zu sprechen; seitdem er und der langhaarige Kazike Delikola ihre Führer sind, fehlt es selten an genügender Nahrung. Für die kleinere Schar von fünfzig gibt der Wald genug her, das heißt, wenn man ihn kennt: der große, unbeholfene Haufen von Hunderten, läßt sich Miguelito vernehmen, kann freilich nur schwer verpflegt werden; wozu braucht man denn auch so viele, da die wilden Indios doch nichts sind als scheue Tiere, unfähig, dem braven Stahl guter kastilischer Christen standzuhalten? Ihre Angriffe haben auch wenige nicht zu fürchten, die große Menge dient zu nichts anderem, als die Rationen des Soldaten zu verkleinern und seinen 130 Anteil an der Beute, wenn man eine macht. Ob man etwas erbeuten wird in diesem verzweifelten Land? Ja, wenn man rasch vordringen könnte, eine handlich kleine Schar, so wie jetzt unsere Vortruppe, der es soviel besser geht, seitdem sie dieser tapfere und leutselige Caballero führt, Francisco de Orellana! Mit ihm weiter vordringen, rasch, am liebsten, wenn man an den erwarteten großen Fluß kommt, auf irgendeinem Floß, einer Barke – – Man würde sicherlich irgendein neues Peru entdecken, irgendein neues Mexiko, Gold und Smaragde nach Belieben, und es selbst gewinnen, diesen hochmütigen Pizarros muß nicht alles gehören!

Solche Dinge bespricht der braune Miguelito mit den fünfzig Glücksrittern der Vorhut, wenn er sie einzeln oder in kleinen Gruppen bei sich hat, am Abend bei den Feuern, die er recht rauchig zu machen versteht, wegen der verfluchten Moskitos, und bei Tag, wenn er den oder jenen zu einem Jagdausflug in den Wald mitnimmt, seitwärts von der geschlossen marschierenden Kolonne, die dem Flußlauf folgt. Die beiden Indios, Miguelito und der langhaarige Kazike, sind die beiden großen Jäger der Truppe; wo die spanischen Soldaten schwer, mit komplizierten Waffen und mit ledernen Stiefeln an ihren Füßen trampelnd und keuchend das Wild verscheuchen oder es überhaupt nicht sehen oder es sehen und nicht zu töten wissen, vollbringen die beiden braunen Männer Wunder mit einem ganz einfachen Bogen und Pfeilen, die kaum eine Spitze haben oder irgendeinen Knochensplitter als Spitze; aber Delikola weiß diese Pfeile mit dem Saft gewisser Lianen zu vergiften, so daß die nur leicht gestreiften Vögel, Affen, Agutihasen gleich tot liegenbleiben. Es ist wunderbar, daß man das Fleisch dieser Tiere dennoch essen kann. Von den beiden ist Miguelito bei weitem ungeschickter und weniger erfahren, aber der andere behandelt ihn mit einer scheuen Ehrfurcht, die die Spanier freilich kaum 131 bemerken; Miguelito ist ihnen eine Art niederes Wesen, kein alter Christ, so etwas wie ein getaufter Moriske oder verdächtiger halbjüdischer Maranne; ein schlauer Bursche aber und guter Kamerad, man nimmt es im dicksten Wald mit der Gesellschaft nicht gar so genau – der andere ist noch ein Heide und ein schmutziges Tier, verwendbar wie ein Jagdhund mit einer guten Spürnase, man dankt ihm mit Tritten.

Nachdem die Vorhut unter Francisco de Orellana eine Woche lang marschiert ist, kommt der Trupp an den Ort, wo der Bergstrom sich mit einem großen, reißenden Fluß vereinigt. Francisco de Orellana ist der erste, der dieses dunkle Wasser von einer kleinen Anhöhe sieht; ein feiner besonnter Dunst liegt darüber, eine kurze Strecke kann der Blick dem rollenden Wasser folgen, dann verliert es sich in einer nebligen Ferne, aber in der großen Einheit der Baumkronen ist weithin ein heller Streifen, man sieht den Fluß mehr am Himmel fließen als auf der Erde. Als der Ritter dasteht, mit weit aufgerissenen Augen, eine Hand am Degengriff, ist auf einmal Miguelito bei ihm und sagt, mit einer Verheißung in der Stimme: »Das ist der Napofluß der Omaguas. Er mündet in den großen Strom, der durch die halbe Welt fließt, in das Meer, an dem Spanien liegt.« Der Ritter Francisco de Orellana antwortet nicht, er hebt langsam seine beiden Arme, streckt sie aus, dieser großen Verheißung entgegen. Endlich fragt er, mit einer gepreßten Stimme: »Wie heißt der große Strom, in den dieser Fluß mündet?«

»Wenn du willst, heißt er Rio Orellana«, sagt der Versucher.

Am Ufer ist ein indianisches Dorf, und andere Dörfer liegen weiter stromabwärts, große, unregelmäßige Klumpen geräumiger Hütten in grünen Pflanzungen. Die Bewohner fliehen in ihre Kanus, da sie die weißen Menschen herankommen sehen, mit Mühe gelingt es Miguelito, 132 einige zur Rückkehr zu bewegen. Das sind nicht mehr die nackten Halbtiere des Bergwaldes, sie tragen gewebte Kleider aus Baumwolle und haben sorgsam gearbeitete Geräte; aber sie sehen seltsam und gespenstisch aus, weil sie flachgepreßte Köpfe haben, nicht mehr menschenähnlich. In einer Hütte finden die Soldaten ein neugeborenes Kind, dessen weicher kleiner Schädel zwischen zwei Bretter gebunden ist; das obere drückt die kleine Stirn flach, das andere ist größer, und das Kind liegt darauf wie auf einer Wiege. Im Boden einer anderen Hütte vergraben finden sie einen großen Topf, mit krausen Linien verziert. Sie zerschlagen ihn, weil sie einen Schatz darin glauben, und finden im Innern des Topfes einen hockenden Toten, ganz ausgetrocknet und völlig gut erhalten; auf dem Kopf, der flach ist wie eine Hand, an den Seiten vorgequollen und von der Form einer Bischofsmütze, trägt die Mumie eine hohe Krone aus grellbunten Tukanfedern.

Der Teniente General trägt seiner Mannschaft mit Strenge auf, die Eingeborenen gut zu behandeln, und schickt durch Miguelito ihrem Kaziken kleine Geschenke, der mit den großen Kriegskanus auf eine Insel in der Mitte des Flusses geflüchtet ist. Francisco de Orellana hat beschlossen, hier, wo es Lebensmittel gibt, auf Gonzalo Pizarro zu warten. Er sendet einige Leute zu ihm zurück mit der Botschaft und trachtet unterdessen, die Omaguas zutraulich zu machen.

Während der Tage, an denen sie auf die Gefährten untätig warten, ist Orellana verschlossen und unfreundlich, nur einmal am Abend spricht er lange mit Miguelito.

 

Die Mannschaft des Gouverneurs Gonzalo Pizarro kommt ihrer Vorhut nach, müde, halbverhungert, ihnen ist es im Wald nicht so 133 gut ergangen wie der kleinen Truppe, für die Miguelito jagte. Verdrossen stolpern diese Soldaten einher, unter der Last ihrer Waffen, Munition und Geräte. Die peruanischen Indios, die sie als Träger mithatten, sind fast alle verbraucht, unterwegs; es waren Leute von den kalten Hochebenen, die in dieser feuchten Hitze nicht leben können, verflucht, diese empfindlichen Tiere! Jetzt haben alte Christen, ja, Hidalgos von blauem Blut, gemeine Last zu schleppen, mit hungerndem Magen; und wären es Barren puren Goldes, man könnte sie nicht mehr lange weitertragen. Dieses Gold, um dessentwillen man alle diese Not und Mühe duldet, wo ist es? Ein paar leichte Flitter, aus der blutenden Nase irgendeines nackten Häuptlings gerissen, das ist alles. Aber hätte man alle Schätze gefunden, die die Inkapriester aus dem großen Orakeltempel des Pachacamac geborgen haben, rechtzeitig noch irgendwo versteckt vor Hernando Pizarros Ankunft – was nützte selbst dieser ungeheuerste Goldschatz Perus, jetzt, hier, wo man ihn nicht befördern könnte und nichts zu essen hat als Nüsse und Schlangen?

Dieses große Heer, vom Feldherrn angefangen bis zum Koch, ist dieser entsetzlichen Märsche müde, der Hitze wie der Regengüsse, und der ineinander verwachsenen Bäume, durch die man sich seinen Weg schneiden muß, und der dicken Lianen, die man zerhacken muß, und der großen Wespen, deren Nester man dabei ins Gesicht bekommt, und der Ameisen, auf die sich der Erschöpfte setzt, der kleinen Schlangen, auf die man im Dickicht tritt, und der großen, mit denen viele Männer zugleich kämpfen müssen, und der irisierenden Sümpfe, in denen Baumstämme faulen, plötzlich bewegen sie sich und klappen einen stinkenden Rachen auf, und der tiefen, schwarzen Bäche, in denen kleine Fische harmlos spielen, aber wagst du dich mit dem Fuß hinein oder gleitest du von dem schlüpfrigen Baumstamm, der das Wasser überbrückt, so reißt 134 der kleine Hering Fetzen aus deinem Fleisch wie ein wütender Hai. Der raschelnden Blätter sind sie müde und der tausend geheimen Geräusche im Dickicht, und des tiefen Heulens in diesen Nächten ohne Schlaf, wenn man sich hin und her wälzt, von grausamen Mücken gepeinigt, von den kleinen Fliegen, die die runden, blutigen Male zurücklassen, von allem Geziefer der Hölle; und dieser roten, schwer duftenden Erde, die sie treten, und des zähen, schwarzen Schlamms, dieser ganzen ungebändigten und unbesiegten Natur, in der der stolze Herr der Welt, der Soldat des fünften Karl, nicht stärker und mächtiger ist als irgendein im Gestrüpp verfangenes Tier, das auch nur seine Glieder bewegen kann, das mühsam durch die Büsche bricht, das frißt, was es kann, und dann selbst gefressen wird.

So, voll von dem dumpfen Zorn der Wegmüden, kommen Pizarros Leute ans Ufer des großen Flusses, wo sie ihre Gefährten von der Vorhut erwarten, die Begleiter Orellanas. Erst da sie die Dörfer der Omaguas sehen, gerodete Felder, auf denen der Mais steht, Fruchtbäume, Kanus voller Fische, lassen die Soldaten sich nicht halten, hungrige Heuschrecken hielte man leichter von diesen Feldern fort. Dann, da die Hauptleute mühsam Disziplin erlangen, ist schon viel vergeudet und zerstört, die Omaguas sind, mit gutem Grunde, scheu geworden, wo nicht feindselig, nur ihre Weiber träumen von diesen schönen, weißen Fremden. Ungern hat General Pizarro die Ausschweifung der Seinen geduldet, obgleich diese Indios arge Heiden sind, der Hexerei verdächtig mit ihren flachgepreßten Köpfen, und obgleich der spanische Soldat seine Rechte hat nach soviel Entbehrung. Aber im Geist des Feldherrn ist ein großer Plan entstanden, in dem Augenblick, da er das Wasser dieses breiten und tiefen Flusses aufblitzen sah, ein Plan, der ihn zwingen könnte, hier viele Wochen zu bleiben, mit dem Vorhandenen hauszuhalten, womöglich mit diesen Indios in Güte zu 135 verkehren. Das stört ihm die Übereilung der Gefährten, ihre plumpe, hungrige Hast.

Am dritten Tage nach seiner Ankunft beruft der Gouverneur einen Kriegsrat in die große Häuptlingshütte, die er bewohnt, Francisco de Orellana hat sie ihm bei seiner Ankunft in diesem Dorfe geräumt. Ein Haus auf Bambuspfählen, über dem Flußufer, erstaunlich gut gebaut und geräumig, diese Omaguas sind kunstfertiger, fleißiger als die schweifenden Stämme, die man unterwegs getroffen hat. In einer der großen, bunten Hängematten, die sie aus Baumwollfäden nicht kunstlos zu knüpfen wissen, liegt der Gobernador, er fiebert ein wenig, denn er hat von den Beschwerden des Marsches soviel auf sich genommen wie der letzte Soldat, hager und krank ist er angelangt. Für die anderen Feldhauptleute hat man in der Hütte niedere Sitze bereitet, mit Matten bedeckt, und es ist eine Art Tisch für den Escribano da, der das Protocollum des Kriegsrates führen wird: daß man hier im finstersten Urwald steckt, in der äußersten Not, ist noch lange nicht Grund genug, die gravitätischen Formen eines pedantischen Zeitalters und einer zeremoniell gesinnten Nation aufzugeben. Krank wie er ist, hat Gonzalo Pizarro ein schwarzes Seidenwams aus der letzten geretteten Kiste sich anlegen lassen, und er trägt die goldene Kette mit dem großen, runden Wappenzeichen Kastiliens um seinen Hals; der waffenklirrende Posten draußen vor der Hütte meldet ihm die herannahenden Offiziere, als empfinge er sie in einem Palast.

Sie kommen, treten nach ihrem Rang ein, um keinen Preis ließe einer den ihm gebührenden Vortritt dem Kameraden.

Francisco de Orellana ist da, stattlich in seinen zerrissenen und wieder geflickten Kleidern; der graue Filzhut, den er an Stelle des unerträglich schweren Helms benützt und den er jetzt lässig in der Hand hat, ist mit herrlichen weißen Federn des königlichen Reihers 136 geschmückt, den ihm Miguelito schoß; doch am Hosenknie hat der Ritter noch die bunten Seidenbänder.

Er tritt ein, an den Gefährten vorbei, die dem Teniente General zeremoniös Platz machen, verbeugt sich tief vor dem Señor Gobernador, sein schönes, ovales Gesicht unter den vollen, braunen Haaren ist bleich und lächelt nicht. Hinter ihm treten die anderen Feldhauptleute ein, der Alferez, der Mestre de Campo, der Escribano, das ist: Bannerfähnrich, Lagermeister und Stabsschreiber, dann Capitàn Sancho de Carvajal, zwei oder drei andere.

Nachdem die Soldaten eingetreten sind, hebt sich das Stück Matte, das als Türvorhang dient, noch einmal vor einem Mann in Schwarz, Fray Gaspar de Carvajal, vom Orden des heiligen Dominik, bischöflichem Generalvikar zu Lima; er ist von den geistlichen Vätern, die diesen Zug mitmachen, an Rang der höchste, zugleich der gescheiteste. Der tritt jetzt vor, die Hand an dem goldenen Kruzifix, das er an seiner Halskette trägt, und spricht langsam und feierlich ein lautes Gebet.

Dann beginnt in gehörigen Formen der Kriegsrat. Es ist heiß in der Hütte, obwohl draußen eben ein wilder Regen zu Boden geht. Hinter der Hängematte des Gouverneurs steht ein mageres indianisches Weib in einem bunten Kattunmantel, mit tätowierten Linien am Kinn, und fächelt die Mücken weg. Die anderen Caballeros helfen sich mit Schlagen und Kratzen. Der alte Antonio de Ribera hat die tönerne Röhre aus der Tasche gezogen, aus der die Indios dieser Neuen Welt den Rauch ihres heilkräftigen Krauts zu trinken lieben; er zündet sich, ganz einfach, mit Hilfe eines Feuersteins und einer Lunte langsam und bedächtig eine Pfeife an; längst lieben die Spanier dieses kleine Laster; auch hilft es gegen die Mücken.

Mit einer Stimme, die das wallende Fieber bald schwach und heiser 137 macht, bald färbt und belebt, beginnt Gonzalo Pizarro in seiner Hängematte zu reden. Die Lage des Heeres ist nicht günstig, sagt er, in der bisherigen Weise kann man den Zug nicht fortsetzen; die Leiden und Entbehrungen, die wir gelitten haben, sind größer als die Balboas auf seinem Marsch zum Stillen Ozean und die des Rebellen Almagro in Chili. Wir haben es ertragen im Dienste Gottes und Königlich Kaiserlicher Majestät, und nichts ist gewisser, als daß wir nun dem Ende solcher Leiden nahe sein müssen; – kündigen nicht die indianischen Führer, ja, alle Indios, die wir durch den Dolmetsch Miguelito verhören ließen, die greifbare Nähe eines reichen und bevölkerten Landes an, wohlbebaut mit Mais, Yuca, Bataten und indischer Hirse, item mit Maniokwurzeln und Früchten jeglicher Art, und großen, freien Savannen, auf denen die Herden von Peruschafen weiden und die kostbaren Vicuñas? Die Indios sind einig in diesen Angaben, sie sagen freiwillig so aus und auf der Folterbank. Es ist, wenn Gott und Unsere Liebe Frau von Guadelupe uns helfen, gewiß, daß wir, diesem Napofluß durch das Land der flachköpfigen Omaguas folgend, in das Königreich des Großkaziken Aparia gelangen werden, in dem schon sehr viel Gold ist; von dort ist der äußerste Rand dieses beschwerlichen Waldes nur wenige Tagereisen weit, und es beginnt die fruchtbare Ebene an dem großen Strom, von dem die Indios berichten und an dem auch das Goldland Paytiti liegt, das reicher ist, als Peru war, bevor wir Spanier es betraten. Beschlugen wir in Peru unsere Pferde mit Silber, so wollen wir im goldenen Paytiti – –

Hier droht das Fieber den Pizarro in wilde Träume zu locken, aber er beherrscht sich wunderbar, reißt sich mit harter Willenskraft in die praktische Betrachtung der Gegenwart und der militärischen Notwendigkeit zurück. So nah das erhoffte Land sein mag, fährt er mit 138 schwächerer Stimme fort, so schwer, ja unmöglich ist es, dahin vorzudringen, wenn wir nicht ein Mittel finden, unsere Traglasten durch den Wald zu befördern, die schweren eisernen Geräte, die Munition unserer Arkebusen, dann aber auch die Kranken, deren es im Lager so viele gibt, von den gelben Dünsten aus dem Morast.

Was liegt näher, sagt der General, als all dies auf diesem schiffbaren Fluß zu befördern, zu dem wir hier gelangt sind? Wir haben in den Dörfern einige Kanus gefunden, es wäre aber nicht weise, uns in ihnen zu zerstreuen, wir brauchen ein wirkliches Schiff – –

Dieses zu bauen, fährt er fort, sei er willens, und deswegen habe er diesen Kriegsrat einberufen. Ob sie an diesem Platz genug Nahrung finden würden, um während der Wochen des Schiffsbaus aushalten zu können, sei freilich nicht gewiß; warteten sie aber länger, dann würden die entkräfteten Soldaten die Äxte, das Eisenwerk und alles nötige Gerät nicht länger schleppen können, ohne das man niemals ein Fahrzeug bauen würde – –

Gonzalo Pizarro schweigt, erschöpft; die Indianerin gibt ihm einen Schluck Wasser. Während er gierig trinkt, erhebt sich Francisco de Orellana von seinem Sitz, erregt und heftig. Mit Leidenschaft kämpft er gegen den Plan dieses Schiffsbaus. Es ist gar nicht möglich, in dieser wilden Einöde – – Wo sind die erfahrenen Zimmerleute, wer versteht etwas von Werg, woher nimmt man den Teer? Mit Verwunderung sehen die anderen Offiziere ihn an; er ist doch sonst nicht der Mann so kleiner Bedenken? Der Plan des Gouverneurs erscheint allen als richtig, ja, als der einzig mögliche; jeder hat im stillen schon selbst daran gedacht oder sagt es wenigstens. Aber Orellana bleibt seltsam störrisch, der Widerspruch der Kameraden beleidigt ihn, er stammelt erregt kurze Sätze, immer dieselben: Unmöglich, genug Nägel zu schmieden! Woher nimmt man den Teer zum Kalfatern? Ein großes 139 Schiff, das alle befördert, kann man hier niemals bauen. Wir verhungern alle, ehe nur ein kleines fertig ist!

Unterdessen liegt der Gouverneur in seiner Hängematte, die Lider seiner geschlossenen Augen sind gerötet, man kann nicht wissen, ob er bei klarer Besinnung ist und zuhört. Auf einmal beginnt er mit einer ganz reinen und frischen Stimme zu reden, höflich gegen die untergebenen Waffengefährten, aber im Ton des Befehlshabers, der eher eine Order erörtert als einen Ratschlag einholt. – Ein kleineres Schiff kann leicht gebaut werden, sagt er, wir haben noch Eisen genug, können eine Feldschmiede einrichten. Daß diese Bark oder Brigantine, was immer es wird, nicht das ganze Heer befördern kann, ist gewiß; aber genügt es nicht völlig, wenn etwa die Vorhut, die unter unserem tapferen Freund Orellana jetzt eben so Treffliches geleistet hat, uns auf diesem Schiffe langsam vorausfährt, mit unseren Kranken an Bord und allem Gepäck außer den nötigsten Waffen, während das übrige Heer am Ufer entlang marschiert, ohne Lasten, bis zum Abend, wenn das Schiff nahe am gemeinsamen Lagerplatz ankert? Und da das bebaute Land so nahe ist, könnte man ein solches Schiff, sobald es fertig geworden, auch vorausschicken und Vorräte holen lassen, statt mit der erschöpften Armada weiter durch diesen Wald zu marschieren – –

Unter den Offizieren des Kriegsrats wird Zustimmung laut. Noch einmal widersetzt sich Orellana, mit schwachen Gründen, aber fast in flehendem Ton. Kein Schiff bauen! Man möge nur das nicht tun! Der Ritter Sanchez de Vargas, das rangjüngste Mitglied des Rats, redet halblaut auf Orellana ein, den er für krank, seiner Gedanken nicht mächtig hält. Auf einmal richtet sich Gonzalo Pizarro in seiner Hängematte halb auf, daß die goldene Halskette klirrt, und alle bemerken, wie sehr er in diesem Augenblick des Entschlusses dem Bruder gleicht, dem großen Marquès Francisco.

140 »Registrieret die Meinung des Kriegsrats und meinen Befehl«, sagt er zu dem Escribano. »Zum besseren Dienste Gottes und Seiner Majestät wird hier an dieser Stelle eine Bark gebaut. Die Arbeiten leitet unser Generalleutnant, Francisco de Orellana. Dieses Dorf heißt zum ewigen Andenken: Barco. Der Kriegsrat ist beendet.« 141


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