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Deutschland ahmte mich nach, und Frankreich mochte mich lesen.
England, freundlich empfingst du den zerrütteten Gast ...
Goethe über den »Werther«
In einem Handschuhladen in London lernte Lord Sandwich die damals dreizehnjährige Verkäuferin Margaret Reay kennen. Er, der sich schon auf dem Kongreß zu Aachen im Jahre 1748 ausgezeichnet hatte, war jetzt Staatssekretär und erster Lord der Admiralität; sie entstammte den unteren Volksschichten: ihr Vater war Logenschließer in Conventgarden. Ihr hübsches Gesicht, die Anmut ihrer Bewegungen, ihr munterer Witz machten solchen Eindruck auf Lord Sandwich, daß er ihr Gönner wurde. Er ließ ihr eine vorzügliche Erziehung zuteil werden und sorgte für die Ausbildung ihrer gesellschaftlichen Talente. Vermählen konnte er sich nicht mit ihr; aber auf dem Landgut, das sie gemeinsam bewohnten, stand sie als Herrin in hohem Ansehen.
Eine lange Reihe von Jahren war so vergangen; Margaret hatte Lord Sandwich mehrere Kinder geschenkt. Während er mählich dem Alter sich näherte, war ihre Schönheit zur vollen Reife gekommen.
Es traf sich, daß ein junger Offizier durch einen dienstlichen Auftrag in die Gegend geführt und in der Folge öfters vom Gutsherrn eingeladen wurde. James Hackman war der Sohn eines Kaufmanns, sein lebhaftes Blut hatte es ihm zur Unmöglichkeit gemacht in das väterliche Geschäft einzutreten; so kauften ihm seine Eltern eine Offiziersstelle.
Wie in dem Herzen des jungen Hackman die Neigung zu der schönen Frau aufkeimte; wann er zuerst wagte, ihr von seinen Gefühlen zu sprechen; wie lange es dauerte, bis Margaret Reay ihm eingestand, daß sie seine Empfindungen erwiderte: von alledem wird uns nichts gesagt. Aber daß diese Liebe über das Schicksal der beiden entschied, das wissen wir – vor allem aus uns erhaltenen Briefen.
Von diesen folgen hier die wichtigsten; völlig die Geschichte der Liebenden zu erhellen, vermögen sie freilich nicht.
An sie.
Huntingdon, den 6. Dez. 1775.
O, geliebte Margaret, nein, ich will nicht länger im Vorteil stehen, ich will nicht mehr beschämt sein, daß du, süßestes großmütigstes Wesen, in Hangen und Bangen, wie gestern, dich mir anvertraust. Wenn mein Glück meine Margaret nicht glücklich macht, dann, Glückseligkeit, hinweg mit dir!
Und doch könnte ich Einwände machen. Angenommen, er hat dich erzogen – angenommen, du fühlst dich ihm verschuldet wegen der zahllosen Vollkommenheiten, die sein Geist in dir erweckt hätte – bist du denn darum sein Eigentum? Ist es denn wie ein Pferd, das sein Herr erzogen hat, und es darf nicht mehr gegen Sporn und Zügel sich sträuben? Angenommen endlich, du wärest sein Eigentum: hat denn die Treue so langer, langer Jahre gar keine Wucht, um von den vielen Stufen der Dankbarkeit einige wenigstens abzubrechen?
Angenommen, du hättest noch nicht tausendmal deine Schuldigkeit getan, gibt es denn keine Ablösungen, die durch die unnatürliche Ungleichheit der Jahre von selbst eingetreten sind? – Kann die Natur einem gebieten, daß er bei fünfundfünfzig immer stehen bleibe, und von einer anderen fordern, daß sie bei fünfundzwanzig schneller eilen solle? Manche Frauen stehen ja in demselben Verhältnis zu ihren Vätern. Ja, sie sind ihren Vätern mehr Dank schuldig, sie danken ja ihr alles der Existenz ihrer Eltern. Müssen sie sich aber darum allein an ihre Väter lehnen? Muß der Jasmin überall seine zarten Arme um die sterbende Ulme schlingen?
Mein geringes Vermögen kennst du ja. Willst du mit mir teilen? Und offen und ehrlich sag Sr. Gnaden, dem Lord, daß du ihm Dank schuldig warst, solange es deine Pflicht war, bis dir die Liebe sagte, daß du nun gegenüber einem anderen eine Pflicht hast, nämlich gegen H – .
Guter Himmel! und du konntest doch noch schwanken!
Ich will ja gar keinen Vorteil für mich. Gewiß nicht. Nur an deine Kinder will ich dich erinnern. O mein Gott, und zweifelst du daran, wie ich ihnen ein treuer, herzlicher Vater werden will!
Wäge die Schalen ab – Dankbarkeit oder Liebe. –
Sinkt jene, dann schwöre ich bei meiner Liebe, morgen gehe ich zu meinem Regiment.
Wenn die Liebe aber siegt, rufe den Sieg aus und fordere den Preis. Ich will ja keinen Vorteil.
Denke doch darüber nach. Ich will dich ja nicht überraschen. Überschlafe es, ehe du antwortest. Und – wolle es der gnädige Himmel! – daß du diese Nacht allein schläfst;
Warum sangest du gestern das süße Lied, obgleich ich dich doch so inständig bat? Die Worte mit deiner Stimme waren zu viel.
Wie sollen Worte sagen, was ich denke!
An ihn.
Huntingdon, den 7. Dez. 1775.
Mein teurer Hackman! – Das ist eine traurige Geschichte seit gestern. Aber fürchte dich nicht ...
Ich wäge streng und ernst, rechts und links; auf Seiner Gnaden Seite stimmt der Kopf, auf deiner das Herz. Dies letztere führt an: wenn ich den Vasalleneid der Dankbarkeit zu einer Zeit abgelegt, wo ich, der Himmel weiß es, nichts von Liebe wußte, so sei er nicht gültig, und ich sei in voller Freiheit, nun beides, Leib und Seele, zu opfern, denn – Doch still! Morgen beim Mittagessen will ich das Endurteil sprechen. Nur noch das – Liebe sendet dir die zärtlichsten Wünsche, und ich – weiß dir nicht genug zu danken für deinen schönen, lieben, edeln Brief gestern.
Nun aber, mein H– nichts mehr von so häßlichen Schrullen! Du darfst nicht zum Advokaten wider mich werden. Ich will dir ja keine Mühe machen. 's ist ja unmöglich.
Also morgen kommst du. Und gewiß wird Omiah die Liebe nicht morden. Dennoch glaube ich, daß er gestern unsere Augensprache bemerkte. Das Auge spricht eine Sprache, die jeder verstehen kann. – – –
Was würde Rousseau dazu sagen, mein Hackman? – Deine Meinung zu morgen. Ich schreibe auch kein Wort mehr, denn das Gewissen, das über meine linke Schulter lauscht, könnte mir die Feder fort- und vom Papier die Worte reißen: zu morgen!
An sie.
Huntingdon, den 7. Dez. 1775.
O du meine teuerste Seele. Vom Himmel erhoffe ich, daß Trim dich heute noch vor Abend erreicht. Nicht ich, nein mein ganzes künftiges Leben soll dir danken für das eine teure Blatt, das du mir eben geschickt hast. Segen und Segen! Aber sprechen, mich ausdrücken, geloben und bitten kann ich dann erst, wenn die glückliche Stunde kommt.
Nun höre mich, Margaret. Wenn ich deine Liebe verdient habe, dann will ich sie ganz verdienen. Ein Beweis – doch ich habe ja nichts von dir erbeten, das dein Gewissen verwirft ... Unsere Liebe, der unerbittliche Tyrann unserer Herzen, fordert dieses Opfer, aber er bittet uns, die geweihten Mauern des edlen Lord nicht zu entehren. Wie liebevoll lud er mich im Oktober nach Huntingdon ein, und ich war ihm ein ganz unbekannter Offizier! Wie höflich empfing er mich gleich in seinem Hause! Wenn ich daran denke, wie erfüllt es mich mit Scham!
An ihn.
Huntingdon, den 10. Dez. 1775.
Deine Briefe von vorgestern und das, was du mir gestern in meiner Wohnstube sagtest, haben mich wie wahnsinnig gemacht. Du willst etwas verkaufen, was du hast, und dann einen andern Schritt tun, um Geld zu verschaffen für uns beide! Das ist nicht hübsch. Mich heiraten zu wollen, daran mußt du nie denken. Wie, ein Mann, den ich so hoch ehre, der will einem Lord für eine Anstellung oder so etwas sich verkaufen! Was soll die Welt denken! O es empört mich. Meine ganze Seele sträubt sich dagegen. Überdies, Master Hackman, ich fühle mich nur so weit schuldig oder entschuldbar, weil ich einer jugendlichen Leidenschaft mich hingab. An anderes denke ich nicht. Wenn du mich näher, inniger kennen gelernt hast, etwa in einer Woche, oder in zehn Tagen, dann wird auch deine Meinung sich sehr geändert haben. Und dennoch wirst du mich ebenso aufrichtig lieben, wie ich – – o still davon!
Ich will das aber lieber in einem Liede sagen, welches ich dir noch nicht vorgesungen, und es ist doch mein Liebling. Es sind Verse aus einer alten schottischen Ballade. Seit wir beide uns gegenseitig vollständig kennen gelernt haben, mochte ich sie dir nicht wieder vorsingen, weil es auf unsere Lage zu passend ist – Ich weinte wie ein Kind, als ich es heut morgen summte:
Ich geh wie ein Geist um; meine Spindel schwirrt um.
Ich denk nur an Jamie, – und Sünde wär's drum!
Ich wünscht' ihm die beste Frau, die es nur tut,
Denn alt Robin Grey, er verdient es so gut!
Meine Augen tun mir zu weh, als daß ich es weiter schreiben könnte. Laß mich morgen wieder meinen Jamie sehn. Dein Name ist ja auch Jamie.
An sie.
Huntingdon, den 28. Dez. 1775.
Wie du zu großmütig gestern wegen meiner grundlosen Eifersucht mich beschwichtigt hast. Ich hatte es nicht verdient. Aber ich sage es dir ja, meine Leidenschaften sind alle Schießpulver. Doch, Gott sei Dank, ich bin doch noch kein Othello.
Nicht Leid zu Eifersucht; doch trifft sie mich,
Dann schmettert sie zum Boden – –
Und Gott weiß, wie ich dich liebe, verehre, vergöttere!
Und wie konnte ich neben dir noch an ein Geschöpf, wie – denken! Du sagtest gestern, du wolltest es mir vergeben, und ich hoffe, du hast vergeben. Aber ich möchte es gern morgen noch einmal von deinen Lippen hören. Alles soll bereit stehn, – auch die Gitarre, nach der ich schrieb, ist gekommen, und ich bringe das Lied mit, und du sollst es singen und spielen dabei, und ich will dich bitten, mir zu verzeihen, und du sollst mir verzeihen und – noch viele fünfhundertmal außerdem.
Eifersüchtig ich! – Ja, ich bin's, ich wäre eifersüchtig auf dieses Blatt Papier, wenn du es mit zu großer Inbrunst küssen solltest.
Welch ein Narr ich bin? – Nein, Margaret, sage lieber – welch ein Liebhaber!
Tausend Dank für dein Bild. Es ist ähnlich.
An sie.
Huntingdon, den 1. Jan. 1776.
Dies ist ein neues Jahr. Möge jeder Tag für meine Margaret ein glückseliger werden! Aber gibt es noch einen Wunsch oder etwas, was Segen ist, was ich dir nicht schon gewünscht habe?
Ein neues Jahr – ich liebe dies Wort nicht. Man könnt' auch denken an neue Liebe, – ich kann das nicht leiden. M. kann niemals ihren H. vertauschen. Ich will's beschwören, sie kann ihn nie mit einem neuen, wahrhaftigeren Geliebten vertauschen.
Ein neues Jahr – 76. Wo werden wir 77 sein? Wo 78? Wo 1779? Wo denn 1780? –
In Jammer oder in Glückseligkeit, im Leben oder im Tode, im Himmel oder in der Hölle – wo du bist, da muß ich sein!
Der Soldat, für den du ein Wort eingelegt hast, stattet seiner unbekannten Wohltäterin seinen Dank ab. Disziplin ist bei uns unerläßlich, aber ich bin überzeugt, du glaubst mir auch, daß ich kein allzu großer Freund davon bin.
An ihn.
Huntingdon, den 23. Febr. 1776.
Wo warst du diesen Morgen, mein Leben? Ich zitterte und bebte vor Kälte und wäre beinahe erfroren, wenn ich nicht auf dich gewartet hätte. Ich bin unwohl, recht unwohl. Was konnte dich abhalten?
Warum nicht schreiben, wenn du nicht kommen konntest? – Und dann hatte ich einen Traum in letzter Nacht, einen traurigen Traum, mein H.:
»Befürchtung ist's um dich, Geliebte,
Denn Geisterträume schreckten mich heut nacht.«
Ich kann mir nicht helfen. Ich bin ein schwaches Weib, und nicht Soldat. Ich sah, du hattest ein Duell mit einer Person, von der, nach unserer Verabredung, nicht gesprochen werden darf. Ihr ermordetet einer den andern. Ich sah nicht nur seinen Degen, sondern ich hörte auch den scharfen Stahl, wie er durch meines H – s Brust sauste. Ich sah euch beide sterben, und mit euch starb beider Liebe und Dankbarkeit.
Nenne mich albern; aber ich bin unwohl, bin in kläglichem Zustand! Wahrhaftig, so ist es. Um Gottes willen, laß mich von dir hören!
An sie.
Kanonen-Wirtshaus, den 17. März 1776.
Kaum daß du mein letztes Geschmiere wohl verarbeitet hast, erhältst du wieder ein neues. Habe mein Mittagessen eben bestellt, aber ich kann weder schreiben noch sonst was tun. »Toll!« Ich weiß es nicht, vielleicht. Gewiß weiß ich, ich bin unglücklich.
Um Gottes willen, um meines Lebens und meiner Seele wegen, wenn du mich liebst, schreibe mir hierher, oder wenigstens heut nacht in meine Wohnung, und sage mir, was das für ein unüberwindlicher Grund ist, mit dem du dich jetzt quälst. »Auch die Folter soll mich nicht zwingen, dich zu heiraten.« – Hast du das gesagt? Dann hassest du mich.
Angenommen, du hättest nicht mehr den »süßen Trieb« mich zu lieben, ( wenn du mich liebst! O! blase das wenn fort), drängt dich nicht wenigstens ein Bedürfnis, dich und mich loszumachen aus den Banden, in die wir uns verstrickt? Meine Seele kann sich in diese Gemeinheit nicht mehr denken. Zur Hintertür eindringen, stehlen, betrügen, immer lügen: Verdammnis! Der Gedanke macht mich vor mir selbst verächtlich.
Deine Kinder! – Lord S – (wären wir nicht selbst über unsere Aufführung beschämt, wenn wir nicht unser Gewissen immerfort getäuscht, unsere Stimmen überlullt hätten: »er« und »sie« und »der alte Robin Gray.« O, Margaret, wie sind wir herabgesunken!) Lord Sandwich – ich nenne ihn dreist – kann deine vier lieben Knaben pflegen und erziehen. Was das süße kleine Mädchen betrifft, der will ich so gut ein Vater sein, als ich für dich ein Gatte werde. Jeden Heller, den ich habe, verwende ich für euch beide. Guter Gott, was wollte ich nicht tun!
Schreibe, schreibe, ich sage, schreibe! Beim lebendigen Gott, ich muß den unüberwindlichen Grund von dir wissen, oder ich glaube nicht mehr an deine Liebe.
An ihn.
A., den 17. März 1776.
Und dachte, mein Hackman, daß es noch eines solchen Briefes bedürfte, um meine Betrübnis voll zu machen? O, geliebter Jamie, du weißt nicht, wie du mich betrübt hast!
Und denkst du, ich hätte mich freiwillig zu den Schlichen entschlossen, zu denen ich doch nur, um dir zu helfen, griff? ...
Aber das Schicksal steht vor uns beiden. Wir sind verdammt, unglücklich zu werden. Und, so oder so, ich denke immer, es wird eine schreckliche Katastrophe über uns hereinbrechen.
»Ein schreckenvoll Geschick hängt an den Wolken« wie es im »Jephta« heißt.
O, daß wir uns wenigstens in einer anderen Welt wiederfänden, einer Welt, in der Gold und Silber unbekannt sind! – Von deiner Hand könnte ich mit Vergnügen sterben. Gewiß, ich weiß es.
» Unüberwindlicher Grund.« Ja, mein H– der ist da, und du zwingst mich, ihn auszusprechen. Indessen, besser es dir zu sagen, als dich an meiner Liebe zweifeln zu lassen. Denn Liebe ist mir jetzt Religion. Habe ich doch kaum einen andern Gott als dich. Ich möchte immer beten eben so zu dir, als für dich.
Wisse denn: wenn du mich heiraten würdest, so heiratetest du mit mir einige hundert Pfund Sterling Schulden. Und das sollst du niemals.
Und erinnerst du dich eines feierlichen Eides, den du in einem deiner Briefe, als ich in H. war, niederlegtest? Und späterhin wiederholtest du noch: du müßtest gehorchen, weil du den Eid so feierlich geschworen?
Mit denselben feierlichen und furchtbaren Worten schwöre ich, daß ich dich niemals heiraten will. Da haben wir wieder Jephtas Gebot.
Was du über meine armen Kinder sprichst, macht mich weinen; aber es ändert meinen Entschluß nicht.
Es ist noch ein anderer Grund. »Wenn du mich nicht heiratest, glaube ich nicht mehr an deine Liebe.« – O, Macht der Liebe! Hat mein H. das wirklich gesagt? Nein: dich nicht heiraten, ist der stärkste Beweis, den ich von meiner Liebe gegeben. Und der Himmel hat, glaube es mir, mein Gelübde gehört.
Während du dann in Irland bist –
Ja, mein Liebster, in Irland. Ich werde alles dafür tun. Du sollst augenblicklich dein Regiment dort aufsuchen. Es ist ja deine Schuldigkeit. Inzwischen kann ja manches sich zutragen. Der Himmel wird zwei Herzen, die so treu sich lieben, wie du und ich, nicht ohne Hilfe lassen. Es werden noch frohe Tage für uns kommen. Und liegt nicht ein Stück von Glückseligkeit in uns? Darauf bau ich. Und während du in Irland bist, will ich dir an jedem Posttage schreiben, ja zweimal an jedem Posttage, und ich will an dich denken, und will von dir träumen, und will dein Medaillon küssen, und will meine Augen wischen, und will es wieder küssen, und will dann wieder weinen. Und –
Kann ich dir einen besseren Beweis meiner Rücksicht für dich geben, als indem ich dich bitte, meine einzige Freude mir fortzunehmen? Ich will nicht schwören, daß ich es nicht einmal anders bedenke. Aber ich bitte dich: geh!
Törin, die ich bin – ich lass' entschlüpfen, was ich selbst gefangen hatte! Ach Gott, da ist jedes Wort auf dem Papier von meinen Tränen feucht geworden. Haben meine Vorstellungen dann eine Wirkung auf dich! Und doch hoffe ich.
Sei ein Mann, sage ich – du bist ja ein Engel. Gehe zum Regiment; und so wahr ich dich liebe, werde ich dich von der Verbannung (für dich und für mich!) im ersten Augenblick zurückrufen, in dem ich mit Ehren – dich heiraten kann.
Doch jetzt muß ich aufhören. Adieu.
»Es ruft der Ruhm dich und der Liebe Macht,
Um deshalb ruft dich Jephta in die Schlacht.«
An sie.
Kanonen-Wirtshaus, den 17. März 1776.
Und ich will Jephtas Rufe gehorchen, und will in die Schlacht ziehen. Wenigstens will ich alle Nächte daran denken, denn ich bin gewiß, ich werde nicht schlafen können. Ich will dich an der bekannten Stelle im Park erwarten, wo ich dich an der angelehnten Tür sah. Sollte es regnen, werde ich schreiben. – Meine Absicht war's, eben auf gut Glück dich zu suchen; nachher änderte ich meinen Willen und schreibe drum. Und ich bin herzlich zufrieden. Wir sind nicht in der Lage, uns beide ins Auge zu sehen. – Grausame Schulden! höchst grausames Gelübde! – Hättest du mir nur ein bißchen Zeit gelassen, es wäre mir doch ein Plan gekommen, wie wir mit deinen Schulden fertig würden.
Du runzelst die Stirn, und ich muß stillhalten. Warum sollte das Schicksal gerade nicht auf meine beiden Lotterielose gnädig lächeln? Auf die Rückseite des einen schrieb ich für den Fall meines plötzlichen Todes: »Dies gehört als Eigentum Miß – – .« Auf das andere – das gehört deiner Tochter.
Ich bin jetzt ruhig.
An ihn.
Am 19. März 1776.
Warum, warum schreibst du mir so oft? Warum suchst du mich öfter?
Du sagtest mir, wenn ich dich bäte, dann wolltest du gehen. Ich bat dich ja, ich habe dich gebeten, zu gehen. Ich bitte dich noch jetzt – zu gehen. – Ja, ich beschwöre dich jetzt – geh! Nur keinen Abschied mehr. Das letzte war zu viel – zu, zu viel. Ich konnte mich den ganzen Tag nicht erholen. – Und deine Herzlichkeit mit meinem kleinen lieben Flachskopf. – Er machte mich heut morgen heftig weinen, als er von »dem guten Herrn« zu reden anfing und die Geschenke mir vorhielt.
Auf meinen Knien – fußfällig auf meinen Knien flehe ich dich an, mein Hackman, mein teuerster Hackman – geh!
An sie.
Irland, den 26. März 1776.
Irland – England – guter Himmel, wie ist es möglich, daß Margaret in einem Teil der Welt lebt, und ihr Hackman in einem anderen! ...
Ja, ich will dir ferner gehorchen. Ich will auch meine Feder zügeln, so weit ich kann. Ich will das Wort »Liebe« aus meinem Wörterbuch auskratzen. Ich will vergessen – Pfui Lüge! – ich kann nie, ich will dich nie vergessen, noch irgendwas, was dir gehört. Aber du rätst mir gut, ja sehr gütig und weise, du verlangst nur, ich soll womöglich über andere Gegenstände sprechen. Was dich nur interessieren könnte, will ich aufzugreifen suchen. Nur Verzeihung, heut morgen bin ich unfähig, Lumpereien zu denken; ich bitte Miß Margaret um Verzeihung, ich muß noch über Liebe sprechen.
Und wenn ich dazu fähig bin, so erlaube mir ein oder zwei Worte über mich selbst zu sagen. Heut indes will ich dich nicht unglücklich machen, wenn ich dir erzähle, wie ich wirklich bin.
Die Wirklichkeit oder Wahrheit ist – mein Herz ist voll. Und doch, wenn ich beim Ergreifen der Feder meine, ich könnte einen Bogen Papier damit füllen, dann habe ich kaum ein Wort! Ja, wenn ich an deiner Seite säße (o Seligkeit, das zu denken!) dann könnte ich meine Wangen auf deine Schulter legen und dein Taschentuch mit meinen Tränen feuchten!
Um mein Leben (versteht sich: meines, nicht deines) kümmere ich mich wenig mehr. Die Überfahrt war stürmisch genug, aber nicht gefährlich. Mistreß F... (von der ich neulich schrieb) gab uns einen so lustigen Bericht über ihre unlustige Situation bei der Fahrt, daß ich in deiner Seele für dich lachte.
Warum schiltst du mich wegen der Schachtel? Hätte ich sie vorher geöffnet und gewußt, daß alle die Dinge für mich waren, so hätte ich sie nicht mitgenommen. War das freundlich von meiner Margaret, daß sie mir für jeden Tag ein Andenken mitgab, während ich doch so entfernt von ihr war? Ach ja, es war doch und sehr freundlich von dir! Und auch das, und dich, und alle die tausend und zehntausend Freundlichkeiten, will ich niemals vergessen. Die Börse soll in jeder Stunde mein Begleiter sein, die Hemden will ich des Nachts tragen; eines der Taschentücher will ich mir aufheben, um immer die Augen zu trocknen, wenn ich die Schachtel anfasse.
Gott – Gott segne dich in dieser Welt – das heißt, er gebe dich deinem Hackman – und gönne dir eine leichte Überfahrt zu den ewigen Segnungen einer besseren Welt.
Wenn du von mir gehst, so möge der Schlag so plötzlich dich treffen, daß du nicht mehr Zeit hast, nur noch einen zaudernden Blick zu werfen auf
Hackman.
An sie.
Irland, den 8. Mai 1776.
Wie hätte mich dein Brief vom 1. April ergötzt, wenn ich dir einige Meilen näher gewohnt hätte! Wieviel Witz und Humor! Ich sage dir herzlich dafür Dank, doppelt herzlich, da ich weiß, wie dir in der gegenwärtigen Zeit Witz und Humor haben schwerfallen müssen. Du zwingst dich, um mich zu erheitern. Aber mit welchem melancholischen Zartgefühl du schließest! Da sprach dein Herz.
Als du schriebst, war wohl deine Lage etwas verwandt der einer Schauspielerin, welche am Abende eine Rolle im Lustspiel geben muß, während am Tage ihr etwas so Schreckliches oder Erschütterndes begegnet ist, daß sie besser in einer Tragödie agieren würde.
Ich bitte dich, siegle deine Briefe sehr vorsichtig. Der Siegellack raubt mir oft fünf bis sechs Worte. Laß immer ein Plätzchen für das Petschaft. Bei der abgerissenen Stelle nehme ich immer an, du hättest von deiner dauernden Liebe gesprochen. Wenn der Siegellack drüber hängt, seh ich es nicht ...
Die berühmte Gastfreundlichkeit des Hauses hier hat mich nicht enttäuscht. In ihrer Sprache haben sie einen recht bezeichnenden Ausdruck: »Möge das Gras vor deiner Tür wachsen.« Die Frauen sind anmutig und hübsch. Aber ich bin taub, dumpf und blind; sie sind alle nichts, du bist allein. Wenn ich heute nicht mehr schreibe, so ist es nur, weil du es so willst.
Warum sagst du nichts von den lieben Kindern! Ich bleibe dabei, du mußt meinem kleinen Freund einen Brummkreisel und zwei Dutzend Murmel kaufen, die schreibe aufs Konto
deines ergebensten Dieners.
An sie.
Irland, den 20. April 1776.
Dank für die zwei Briefe in der einen Woche. Sie preßten mir Tränen aus dem Auge.
Du urteilst zu parteiisch über meine Poesie. O, um Gottes willen denke nicht ans Druckenlassen! Ich will das nicht. Wenige können wie du über Poesie urteilen, und die wenigen sind selten gerecht ...
An sie.
Irland, den 3. Mai 1776.
Mein letzter Brief wird dich doch nicht beleidigt haben? Die Banknote mußte ich zurückschicken, obgleich ich dir dafür danke, mehr als Worte dir sagen können.
Soll ich, den du nicht heiraten willst, weil du deine Schulden mir nicht aufladen magst, soll ich noch deine Schulden vermehren! Nähme ich's, so wäre ich deiner Liebe nicht würdig. Aber nochmals, nimm mir nicht übel, daß ich's zurückgebe.
Mach' dir keine Sorgen. Und sprich kein Wort über das Postgeld, das ich für deine lieben Briefe zu zahlen habe. Soll dein Hackman nicht glücklich werden! Und kann ich eine Seligkeit zu teuer bezahlen?
Aber ich! – Ich bin ja reich – reich wie ein Jude, und ohne daß ich im Fazit meiner Schätze deine Liebe mit berechnet habe. Du erinnerst dich, was ich meinem Verwandten, dem armen Menschen, zuwende. Das verzehrt noch nicht meine Erbschaft und was meine Äcker in Gosport tragen. Dann ist meine Gage, und vieles andere. Ruhig, Seele – ich sage dir, ich bin reich. Behalte daher ruhig den Mammon.
Reich! – Bin ich's nicht! Könnte ich nicht zum Theater gehn? Ich sah vorigen Abend die Catley, es war in deiner Hauptrolle. Da fällt mir eine Geschichte von ihr ein, damals als sie in England war.
Miß Catley und ihre Direktoren waren uneinig geworden, es galt das Engagement für die nächste Saison. Einer von ihnen besuchte sie in ihrer kleinen Wohnung in Drurylane, um die Sache abzumachen. Das Mädchen ging die Treppe hinauf, um dem Herrn die Tür zu öffnen und ihn ihrer Dame zu melden. »Nein, nein«, rief die Schauspielerin, die gerade in der Küche war und die Stimme des Direktors gehört hatte. »In der Stube kann ich den Herrn nicht sehen! Ich bin hier beschäftigt,« rief sie ihm durch die offene Tür zu, »Apfelklöße für meine Bälger einzurühren. Sie wissen ja selbst, ob Sie mir das Geld geben wollen, das ich fordere, oder nicht. Ich bin nicht eine Ihrer feinen Damen, die bald einen Schnupfen haben, bald Zahnschmerzen, und nicht singen können. Ist Ihre Absicht, mir mein Geld zu zahlen, gut; wenn nicht, so soll mein Mund auch um keinen Pfennig weniger noch einen Ton geben. So, guten Morgen, Herr – und halten Sie mir mein Mädchen nicht auf, denn sie muß jetzt die Klöße in den Topf tun, und ich mein Kind nähren.« – Fabricius' Rüben verdienen wohl mit Nanny Catleys Apfelklößen auf einem Tisch zu stehen!
Siehst du, von anderen zu sprechen und Schnurren zu erzählen, macht mich nicht unglücklich. Es macht mich wirklich nichts unglücklich; nur wenn ich eine Änderung in deinen Gesinnungen bemerkte. – Beim allmächtigen Gott im Himmel, ich glaube, ich könnte es nicht überleben.
Wenn du mich lieb hast, so verschmähe nicht das Stück irisches Seidenzeug, das ich dir nächste Woche schicke. Es kostet mich nichts. Was mir gegeben ist, kann ich dir wieder geben.
An ihn.
Am 25. Juni 1776.
Daß du so liebe und angenehme Freunde in fremden Landen gefunden hast, erfreut mich ebenfalls. Was du mir über den Herrn und die Dame gesagt hast, entzückt mich sogar, besonders das über die letztere. Ich bin übrigens auch nicht ohne Freunde. Eine Dame war gegen mich besonders freundlich. Sie ist Irländerin. Ihr angenehmer Ehemann macht durch seine Schönheit und Bildung deinem Lande Ehre. Er ist auch bemerkenswert wegen seiner zarten Gefühle.
Adieu! Das wird dich aufwecken, nicht wahr? ebenso wie, was du mir vertraut hast, mich aufgeweckt hat.
An sie.
Irland, den 1. Juli 1776.
Dein kleines Billett vom 25. vorigen Monats war die gerechte Strafe für das, was mein Brief versündigt. Bis ich den Spaß merkte, war ich wirklich unglücklich. Wäre nicht tags darauf der lange und freundliche Brief mit demselben Paketboot gekommen, so wäre ich überaus traurig gewesen. Indessen wünsche ich dich glücklich, sehr glücklich; aber ich allein will dich glücklich gemacht haben, ich dulde es nicht, daß das Glück von anderen kommt, gleichviel von Männern, Frauen oder Kindern!
Ein Freund von mir geht nach England. (O der Glückselige, der im selben Lande mit dir sein kann!) Im Kanonen-Wirtshaus wird er sich bei dir melden. Schicke mir doch das französische Buch, von dem du neulich sprachst, Werther. Wenn du auch, ich werde es nicht vergessen. Unsinn! zu sagen, es würde mich unglücklich machen, oder ich sei nicht in der Verfassung, es zu lesen! Muß ich denn die Pistole laden, weil ein Deutscher mit seinem dicken Blute solch ein Narr gewesen ist, das Beispiel zu geben, oder weil ein deutscher Novellist solch ein Histörchen erfunden hat? Wenn du mir das Buch nicht leihst, so verschaffe ich es mir bald, von einem oder dem anderen. So erbarme dich nur, es mir selbst zu geben.
An ihn.
England, den 20. Aug. 1776.
Um Gottes willen, wo bist du? – Was ist das? – Warum schreibst du nicht? – Bist du krank? – Verhüte das Gott. Wenn du es nicht konntest, wenn du verhindert warst, warum schrieb denn nicht sonst jemand statt deiner? Besser, daß alles verraten wird, als daß ich leide, wie ich leide. – Nun schon ein Monat, daß ich nichts von dir gehört! Sonst bekam ich in einem Monat acht bis zehn Briefe. – Was ward denn aus meinen Briefen – einen ganzen Monat durch? – Erhieltest du denn, was ich an deinen Freund schickte? – Gefällt dir die Börse? – Das Buch, von dem du schriebst, ist das einzige Buch, das du niemals lesen dürftest. Auf meinen Knien bitte ich dich nochmals, nochmals, das nicht! – Vielleicht hast du's gelesen – Vielleicht doch! – Ach Gott, ich bin so verwirrt. – – Der Himmel nur weiß am Ende, an wen ich diesen Brief richte – – –
Madame oder Herr! – Sind Sie ein Weib, ich hoffe, Sie sind's – Sind Sie aber ein Mann und wissen Sie, was Liebe heißt, dann haben Sie doch die Barmherzigkeit, um Gottes willen, schreiben Sie nur eine Zeile, wie es steht mit Master Hackman vom -schen Regiment. Adressieren Sie an Mistreß – D. Street, London. Und wenn Sie mir gute Nachricht schicken – der Himmel weiß, ob Sie eine Frau sind, die liebt – Dank Ihnen!
An sie.
Irland, den 26. Sept. 1776.
Nun, meine ich, bist du beruhigt. Meine Gesundheit – bei meiner Ehre und meiner Liebe – ist beinahe wieder hergestellt. Wäre ich nicht entschlossen, mich aufs genaueste an die Wahrheit zu halten, so sagte ich: gänzlich. Die vier Briefe, die ich an dich schrieb, nachdem ich deine fliegenden Zettel mit den flatternden Gedanken erhalten, haben alles ausgeglichen und mir gut getan. Wie kann ich dir genug für alle deine Briefe danken; namentlich für den dieser Woche ...
An sie.
Irland, den 6. Febr. 1777.
Mein letzter Brief war lustig. Von deinem kann ich's nicht sagen. Verzeihe mir, daß mein Sinn mich im Augenblick gerade lebhaft an anderes denken läßt. Eine Mistreß Dixon hat sich hier bei Inniskillen vor kurzem vergiftet. Von einem Herrn aus Inniskillen hörte ich's eben am Mittagstisch.
Die junge Frau war etwa neunzehn Jahre alt. Zwei Jahre war sie mit ihrem Manne verheiratet gewesen, dem Anschein nach recht glücklich.
An dem verhängnisvollen Tage hatte sie besonders heiter geschienen. Zum Mittagessen war Gesellschaft da, sie hatte die Gäste noch zum Tee gebeten, den sie selbst serviert, am Abend Karten gespielt und sich dann in ihr Schlafzimmer zurückgezogen. Bald darauf hatte sie ihren Arsenikbecher geschlürft!
Auf dem Tische fand man einen Zettel, auf welchem sie mit fester Hand die Gründe angegeben, welche sie zu dem verzweiflungsvollen Schritt genötigt.
So lautet er, buchstäblich:
»Das soll jedermann wissen, der das von mir hört, daß es kein Verbrechen ist, was ich begangen, indem ich mein unzeitig Ende herbeigeführt habe. Sondern Verzweiflung war's, weil ich ganz unglücklich in dieser Welt. Ich weiß wohl, daß es ein sündliches Mittel, und es sehr ungewiß ist, ob man dann noch zur Seligkeit kommt, aber ich hoffe, daß Gott meiner armen Seele verzeihen wird. Der Herr sei mir gnädig. Aber vor allem bitte ich, daß ihr meinen Freunden nicht Vorwürfe macht, und ihr meiner Ehre oder meiner Tugend nicht das geringste nachsagt, obgleich ich dann nicht mehr bin.
Tröstet meine arme Mutter, und meine Brüder und meine Schwestern, und mögen sich alle Mütter vornehmen, daß sie kein Kind zwingen, wie ich gezwungen worden. Aber ich vergebe ihr und hoffe, daß Gott mir vergeben wird, wie ich gewiß glaube, daß sie nur mein Gutes mit meiner Heirat wollte.
O, der unglückliche Tag, wo ich meine Hand hingab, während mein Herz einem anderen gehörte! Aber ich meinte immer, daß die Vernunft endlich den Frieden und die Ruhe des Gemütes wieder zurückbringen würde, und darum wartete ich so lange Zeit. Ach, es schauert mich zu denken, wie lang die Ewigkeit ist; und der Herr bewahre mich vor ewiger Verdammung. Niemand soll meinen Mann verurteilen, denn er hat keine Schuld.
Ich habe ein paar Kleinigkeiten, die ich mehr achte als manches andere, darum, weil ich sie geschenkt bekam (aber der sie geschenkt hat, den nenne ich nicht) – – und ich wünsche recht sehr, daß ich sie einigen hinterlassen darf, die mir lieb sind:
Betty Balfour meine Silberschnallen; Polly Deeryn meinen Diamantring; Betty Mulligan Spitzenkleid, Kappe und Manschetten; Peppy Delap ein neues Handtuch, das noch nicht gesäumt ist, es liegt in meiner Schublade. Ich hoffe, daß alle diese die Kleinigkeit annehmen werden.
Und nun gehe ich in Gottes Namen – obgleich gegen seine Befehle – ohne allen Haß gegen irgendjemand auf unserer Erde. Der Mann, um den ich sterbe, den liebe ich noch jetzt mehr als je und vergebe ihm. Ich flehe zu Gott, daß er zu größerer Zufriedenheit komme, und hoffe, daß er mir den Kummer verzeiht, daß ich so um seinetwillen gestorben bin.
Vor längerer Zeit haben einige Leute schlecht von meinem Ruf gesprochen, sie dachten an einen Herrn in dieser Stadt, aber jetzt wird man mir wohl glauben: wenn ich diesen Herrn jemals oder sonst jemand außer meinem Ehemann näher gekannt habe, so will ich vor Gottes Herrlichkeit vergehen. Ich will auch denen verzeihen, die so gesprochen haben.
Mit Liebe für Einen, Freundschaft für mehrere und meinem herzlichen Wunsch für alle in der Welt sterbe ich, mit den Worten: der Herr sei gnädig meiner Seele. Und ich warne alle Leute: sie sollen ihrer Leidenschaft nicht nachfolgen, sondern ihr widerstehen; sonst geht es ihnen übel, wie mir. Ich bitte Gott, alle meine Freunde und Bekannte zu segnen, und bitte sie, daß sie meiner armen Mutter beistehen sollen, die sehr unglücklich ist, daß sie solches Kind hat, wie mich, das voll Scham und Schande sich unterzeichnen muß als ein unwürdiges und verstoßenes Mitglied der Kirche von Schottland.
Jane Watson, sonst Dixon.«
Was soll ich darüber noch schreiben; ein langer Gedankenstrich ist genug. Wir beide, gewiß, wir haben viel darüber nachzudenken. Auch sie hatte ihren Robin Gray.
An sie.
Irland, den 20. April 1777.
... Und du hast oft mit Phantasien zu tun. Krank warst du, wahrhaft krank, und warum in deinem Briefe kein eingehendes Wort? Pflegen sie dich zärtlicher auf deinem Lager, wie ich es täte? – Wie halten sich deine Ärzte?
Du mein Herzenswesen, warum hast du deine Krankheit mir so lange verborgen gehalten? Und nun teilst du es mir zu spät mit. Verhüte es Gott – wenn ich mehr so schreibe, werde ich verrückt. Wenn, wie ich vermute, Lord S seinen Einfluß geltend machte, damit ich den erbetenen Urlaub nicht erhielte, so will ich schon anderweitig selbst für meine Freiheit sorgen. Auf jeden Fall bin ich in ein paar Tagen bei dir. Wenn ich mein Offizierspatent verkauft habe, sei nicht zu bös darüber. Dich bös zu finden und krank auch, das wäre für den armen Hackman zu viel! – Wie kann ich nur wissen, daß du wirklich krank bist und sollte nicht hinstürzen, nicht dich sehen! Aber denken, schreiben, kann ich nicht mehr.
An sie.
Kanonen-Wirtshaus. Charing Croß, den 4. Mai 1777.
Erhieltest du meine gekritzelten Zeilen von gestern und vorgestern? Deine habe ich eben mit Tränen eröffnet. Deine schwachen Worte zeigen dich viel mehr krank, als du einräumen willst. Gott im Himmel, bin ich darum hergekommen, nur um dich nicht sehen zu dürfen! Besser doch, ich wäre in Irland geblieben! Ja, Liebste, dein letztes Billet allein hat dich davor geschützt, sonst hätte ich, auf alle Gefahr hin, mich eingeschlichen und wäre an deinem Bette erschienen. Umsonst spähe ich von außen forschend nach deinen Fenstern, um aus der Richtung der Laden, Gardinen, aus der Helle oder Dunkelheit zu schließen, wie es mit deiner Krankheit steht. Um Gott und Himmels willen schicke mir eine Antwort noch heute.
An ihn.
Am 4. Mai 1777, um 3 Uhr.
Meine teure Seele! Ich schreibe dies, um dir zu sagen, daß der Himmel mein Leben auf deine Gebete hin gespart hat. Das unvollendete Billett, welches rasch mein Mädchen – Ich kann nicht mehr –
(Margarets Mädchen setzt den Brief fort:)
Sir – meine teure Herrin bittet mich, Ihnen zu sagen, daß in dieser Stunde nach einer Krisis ihre Ärzte sie außer aller Gefahr erklärt haben. Ich bitte Sie gar sehr um Verzeihung, gnädigster Herr, daß ich Ihnen wohl noch Schrecken geben kann. Aber in Wirklichkeit, mein hochgeehrtester Herr, fürchtete ich einmal, es wäre mit meiner armen guten Herrin ganz vorüber. Und damals, kann ich sagen, hätt' es mir mein Herz gebrochen. Denn wahrhaftig, kein Dienstmädchen hat eine bessere oder gütigere Herrin. Gnädiger Herr, ich denke Euer Gnaden morgen früh zu empfangen. Meine Dame ward beinahe ohnmächtig, als sie dies anfing, aber jetzt ist sie besser.
Um 6 Uhr.
An sie.
Kanonen-Wirtshaus, den 27. Juni 1777, 5 Uhr.
... Fragst du mich, was mir heut alle Heiterkeit, alle Frische des Geistes geraubt hat? – Ich will's dir sagen. – Zürne mir nicht, aber ich war auch zugegen, ich sah die letzten Augenblicke des wegen Unterschlagung und ähnlicher Dinge verurteilten armen Dodd. Ja, armen Dodd, obwohl sein Leben nach den Gesetzen dieses Landes verwirkt war. Es war ein erschütternder Auftritt – das erstemal, daß ich so etwas als Augenzeuge gesehen habe; und gewiß, es soll auch das letzte sein. Wäre ich in England gewesen, als Peter Toloso wohlverdienterweise im Februar hingerichtet ward, – weil er die junge Französin Duarzey ermordete, – da, glaube ich, hätte ich die letzten Augenblicke eines Mannes mit Ruhe und Festigkeit verfolgt, eines Mannes, der seine Geliebte töten konnte. Zur Ehre meines Vaterlandes war dieser Mann (wenn er den Namen Mann verdient) ein Spanier.
Ein paar kleine Umstände will ich dir mitteilen.
Während der traurigen Prozession zur Richtstätte hatte sich zufällig eine Sau gerade in die Nähe des unglücklichen Opfers verirrt. Es war nicht mehr möglich, sie wieder hervorzuziehen, und nicht mehr möglich, den feierlichen Ernst des Volks in feierliche Stille zu wandeln. Da schrie man, schnalzte, juchheite, hurrate, und wie alle ihr Auge auf das geängstete Tier warfen, schien es bald, als sei der Zweck der traurigen Zeremonie kein anderer, als eine Sauhatz in Tyburn.
Als der Zug endlich angekommen war, mußte wieder ein höchst komischer Zufall die traurigen Vorbereitungen unterbrechen. Die Feinstempfindenden mußten, wie feierlich und traurig ihnen auch zumute war, dennoch unwiderstehlich etwas anderes fühlen. Als man dem armen Mann die Perücke abgezogen und die Nachtmütze aufsetzen wollte, war die einzige mitgebrachte Nachtmütze zu klein. Wie man auch drängte und preßte, sie wollte nicht ausreichen. Du weißt es ja: Kammerdiener sind die größten Feinde der großen Männer. Wie hätte ich in dem Augenblicke jede Guinee aus meiner Börse geopfert, um die Nachtmütze ein bißchen weiter zu machen!
Endlich kam der Augenblick des Todes. Als der Karren unter dem Verurteilten fortrasselte, entstand ein allgemeines Geschrei, das Ohr und Sinne verwundete; ein deutlicher Beweis, wie sehr die Zuschauer mit dem Dulder fühlten. Es war etwas Herzzerreißendes, als wenn jedem die Zähne klapperten. Soweit ich mir Rechenschaft geben kann, so verfolgte und begleitete ich unwillkürlich mit meinem Körper alle Bewegungen, Dehnungen, Renkungen des Leidenden.
Alle Versuche des guten Master Hawes, den vom Galgen abgenommenen Körper wieder ins Leben zu bringen, waren umsonst. Es dauerte aber lange, bis der Pöbel zuließ, daß man den Leichenwagen fortführte.
So endete Doktor Dodds Leben. – Es ist ein schauerlich Gefühl, daß ein Mann, mit dem wir gegessen und getrunken haben, aus der Welt in solcher Art und Weise scheiden soll! Einer Art und Weise, sage ich, die fast alltäglich geworden, die kaum mehr jemand sehr verletzt. Wie viele Männer, wie viele Frauen, wie viele junge Frauen, die sich sogar einbilden, von feiner, zarter Empfindung zu sein, hören die Töne, die mich diesen Augenblick auf der Gasse stören, mit solcher Gleichgültigkeit, als wenn alte Weiber ihr: »Feuer, Schwamm und Schwefelhölzer!« schreien. Diese gräßlichen Pasquille, die ausgerufen werden: »Letzte Todesrede und Bekenntnis, Geburt und Erziehung des –«, – fast sind sie uns schon ein tägliches Ereignis, wir sind geneigt, es humoristisch aufzunehmen. Wir haben vergessen, daß es den Tod (und welchen Tod!) eines Mitgeschöpfes ankündigt.
Aus den folgenden anderthalb Jahren ist uns kein Brief überliefert. Wir erfahren nur, daß Hackman wirklich sein Offizierspatent verkauft hat; um die Geliebte heiraten zu können, ist er zum geistlichen Stand übergetreten und hat sich um eine Pfarrei beworben.
An sie.
Den 1. März 1779.
Obgleich wir uns morgen sehen, muß ich dir doch noch an diesem Abend zwei Worte schicken, um dir zu sagen, daß ich alle Hoffnungen in der Welt habe, in zehn Tagen der äußersten Anstrengung das Geschäft zu Ende zu bringen. Wenn das geschehen ist, ist dein einziger Widerstand, nämlich der wegen der Schulden, beseitigt; und wir können mit Wahrheit sagen, wir sind glücklich, wir können es bald sein. In einem Monat, oder höchstens in sechs Wochen von heute ab, kann ich dich mit Sicherheit die meine nennen. Bedenke nur, daß mein Stand, da ich jetzt einmal ordiniert bin, eine schnelle Verbindung zwischen uns nötig macht ...
Das ist der letzte Brief an Margaret. Wie das Folgende nun kam – ob Margaret wirklich schuldig war, wie nach dem folgenden Brief Hackmans Freundin G. behauptet – das ist mit Gewißheit nie festgestellt worden.
Hackman an Charles –
Den 20. März 1779.
Dein Herkommen in die Stadt, teurer Freund, wird mir nichts helfen. G – hat sich mir als eine solche Freundin erwiesen, daß es unmöglich ist, an ihrer Kunde zu zweifeln. – Welches Interesse hätte sie denn, mir das anzutun? – Gar keines. – Fürchte nichts. Dein Freund wird nichts tun, was ihn entehrt. – Was ich tun werde, weiß ich noch nicht. – Ohne sie kann ich aber nicht existieren. Aber ich will – dessen sei gewiß – ein Mann sein. – Sollte wohl ein Rivale da sein, und sollte er Züchtigung verdienen, dann weiß ich, du bist mein Freund. Aber ich muß alles mit meinen Augen sehen, ehe ich glaube.
Auf immer dein H.
An Charles –
Den 6. April 1779.
Es bedeutet nichts. Deine Gründe lass' ich nicht gelten. Verzweiflung nagt an mir. Nur der Tod kann mich erlösen. Nach dem, was ich gestern schrieb, muß mein Entschluß gefaßt sein.
Mein teurer Charles, hältst du es denn für möglich, noch an G – s Nachricht zu zweifeln? Du selbst kamst ja in Harnisch, als ich dir den Vorfall im Park mitteilte. Was habe ich denn anderes zu tun – ich, der ich nur lebte, wenn sie mich liebte – als mit dem Leben aufzuhören, da sie aufhört zu lieben? Selbstmord ist Feigheit, ein Verbrechen –
Seit dem Moment, wo G– mir die gräßliche Nachricht brachte, denke ich an Selbstmord, meinst du. Ich habe an nichts gedacht, als daran, diese Welt zu verlassen. Wenn das ein Verbrechen ist – und ich fürchte es nur zu sehr, und daß wir Rechenschaft geben müssen für unsere Leidenschaften – so muß ich dem Gerichte stehen. Aber ich kann mir keine Strafe denken, die furchtbarer wäre, als was ich jetzt leide.
Wenn du mich aus meinem Elende nicht erlösen kannst, kannst du mich erlösen von den Qualen meiner Leidenschaft? Sie sind eine Koppel Bluthunde, die mich augenblicklich in Stücke reißen möchten. Sie haben mich überwältigt, jetzt sind sie von einer Macht, daß ich ihnen nicht mehr entrinnen kann. Zuerst hatte ich gehofft, ich könnte ihrer Herr werden, sie erdrücken, – jetzt lodert die Wut zu fürchterlich. Glaube mir, sie könnte plötzlich losbrechen, um – eine andere Person als mich selbst zu vernichten. – Im Augenblick bin ich noch unschuldig.
Hackman an seinen Schwager.
Mein teurer Friedrich, – wenn dieses dich erreicht, bin ich nicht mehr. Ich habe gekämpft, solange es ging, aber es überwältigt mich jetzt. Du weißt, wer das Ziel meiner Leidenschaft war. Weil ich durch eine oder die andere Schuld ihre Liebe verlor, was ich nicht ertragen konnte, trieb's mich zum Wahnsinn. Die Welt wird mich verdammen, aber dein gutes Herz mich bemitleiden. Möge der allmächtige Gott dich und die Deinen erhalten und segnen, und dich zu aller Zeit frei erhalten von den Qualen, unter denen ich verkomme. Möge der Himmel das von mir geliebte Weib beschützen, und diese Tat verzeihen, welche mich allein aus einer Welt zu lange ertragenen Elends erlösen konnte. O, wenn es in deiner Macht ist, ihr Freundschaft zu beweisen, dann denke an deinen treuen Freund
J. Hackman.
Hackman sah am Abend des 7. April vor dem Hause der Admiralität Miß Reay, die in die Kutsche stieg. Der Wagen fuhr nach dem Coventgarden-Theater, wo das Stück: »Liebe im Dorfe« gegeben wurde.
Hackman folgte ihr ins Theater. Aber bald darauf ging er wieder nach Hause, steckte zwei geladene Pistolen zu sich und kehrte damit ins Schauspielhaus zurück, wo er ruhig bis zum Ende der Vorstellung blieb.
Im Moment, da Miß Reay den Fuß auf den Kutschenstieg setzen wollte, stand Hackman neben ihr und erschoß sie. Im Augenblick darauf drückte der Mörder die andere Pistole auf sich selbst ab, der Schuß ging aber nicht los. Rasch wandte er die Pistole um, faßte das Rohr am Ende und schlug sich mit dem Kolben heftig gegen die Schläfe. Er verwundete sich aber nur, und Umstehende entrissen ihm die Waffe. Er schrie auf: es möge ihn doch einer umbringen! Ein Master Mac Mahon verband seine Wunde und führte ihn in die Shakespearetaverne, in der Miß Reay, gleich nachdem sie dorthin getragen worden, gestorben war.
Man brachte dann Hackman ins Gefängnis. Von dort aus schrieb er
An Charles –
Tothilfields, den 8. April 1779.
Ich lebe – und sie ist tot. Ich erschoß sie, und mich nicht. Von ihrem Blut und Hirn klebt noch an meinen Kleidern. Mich verlangt nicht mit dir zu sprechen – ich wünsche auch nicht, daß du mich besuchst, oder komme nur und bringe mir etwas starkes Gift. So stark, daß es genug ist. Auf meinen Knien bitte ich dich, wenn deine Freundschaft ernsthaft war, komm, komm, bringe mir Gift.
An denselben.
Tothilfields, den 9. April 1779.
Das kurze Billet von gestern und der zugleich angekommene lange Brief von vorgestern haben meinen Entschluß verändert. Ich erteile dir feierlich das Versprechen, das du wünschest. Ich will keinen Angriff auf mein Leben tun. Hätte ich deinen freundlichen Brief zur rechten Zeit erhalten, dann glaube ich, wäre das nicht vorgekommen.
Verzeihung für das, was ich dir vom Gifte schrieb. Ich bin jetzt nicht recht zurechnungsfähig. Nichts soll mich mehr versuchen. Mein Tod ist alles, was ich als Sühne den Gesetzen meines Vaterlandes darbieten kann. Doktor V – hat mir einen trefflichen Rat gesandt, und Master H– meine falschen Argumente erschüttert und vernichtet. Auch ein Wesen wie ich hat Freunde! –
O, daß mein Gefühl und ihr Gefühl sich wieder verständigt hätten!
An denselben.
Newgate, den 14. April 1779.
Meinen besten Dank für alle deine Güte seit einer Woche. O Charles, was ist dies für eine Zeit! Ich kann nicht mehr schreiben.
Der Angeklagte stand vor den Geschworenen von Old Bailey. Der Richter Blackstone hatte die Untersuchung geführt.
Hackman, der vor ihm seine Schuld geleugnet, erklärte das nun: Es sei Herkommen, daß, wer von Anfang an sein Verbrechen eingestehe, dadurch zugleich die Gnade des Monarchen anrufe; er aber wolle keine Begnadigung.
Eines aber beteuerte er. »Während ich, mit Scham und Reue, bekenne, daß ich mein Leben selbst zerstören wollte, muß ich doch feierlich erklären, daß mein Wille, die zu töten, welche meinem Leben die allerteuerste war, nur aus einer wahnsinnigen Aufwallung hervorging, die ich jetzt auf das allertiefste bedaure. Der Brief an meinen Schwager wird alle guten Menschen, hoffe ich, davon überzeugen!«
Die Geschworenen sprachen ihr »Schuldig!« aus.
Der Gefangene hörte den Spruch mit völliger Ruhe und Fassung an.
Am 17. April erhielt der Verurteilte folgenden Brief:
An Mr. Hackman in Newgate.
Den 17. April 1779.
Wenn der Mörder von Miß Reay zu leben wünscht, will der Mann, den er am tiefsten gekränkt hat, seinen Einfluß verwenden, ihm das Leben zu retten.
Der Brief kam von Lord Sandwich, dem es bei seiner Stellung nicht schwer gewesen wäre, ihm Begnadigung zu verschaffen.
Hackman antwortete:
Zelle der Verurteilten in Newgate. 17. April 1779.
Der Mörder derjenigen, welche er verehrt, mehr als sein Leben verehrt, mutmaßt die Hand, von welcher ein Geschenk ihm geboten wird, welches er weder wünscht, noch verdient. Seine Wünsche gehen nach dem Tode, nicht nach dem Leben. Er hat einen Wunsch. Könnte ihm in dieser Welt von dem Mann Verzeihung gegönnt werden, welchen er am tiefsten gekränkt hat, – o Mylord, wenn ich ihr in einer andern Welt begegnete, wenn es mir möglich wäre, mit ihr zu sprechen (insofern selige Geister irdische Dinge noch wissen und fühlen können), o, daß Sie uns beiden verzeihen könnten, und daß Sie der Vater werden ihrer teuren Kinder!
In den folgenden Tagen schrieb er noch mehrmals
An Charles –
Newgate, Samstag Nacht, den 17. April 1779.
Mein teurer Charles – die Glocke hat eben elf geschlagen. Alles ringsum in diesem traurigen Gebäude ist auf einige Zeit ruhig geworden. Ach, möchte es so in meiner Brust sein.
Die dumpfe Feierlichkeit meiner so geliebten Youngschen Nachtgedanken, die harmonisch jeder Zeit zu meiner Seele stimmen, würde mich diesmal noch weit mehr gehoben haben, wenn ich die Donnerglocke von St. Paul in den Mauern der Verurteilten in dieser stillen Nacht hören könnte. Der Ton ist wahrhaft feierlich – er scheint wie der Ton des Todes.
O, daß es die Glocke des Todes wäre! Wie lechzt mein Ohr ungeduldig auf das Dröhnen der Glocke!
Und doch – noch einen Tag nur. Ruhe, Ruhe, unruhiger Geist, bis dahin.
Und dann – –
Mein Gott, mein Schöpfer, mein erster Vater! Du, der du mich geschaffen hast mit diesen Gefühlen, diesen Leidenschaften, diesem Herzen! Du, der du alle Macht bist und alle Barmherzigkeit! Wohl weißt du, daß ich nicht, wie so viele andere deiner Kreaturen, dem Irrtum lebte, es gebe keinen Gott. O mein Vater, verwirf mich nicht auf immer! Nicht Strafen, nicht Qualen – ich fürchte keine Hölle: was ein Mann ertragen kann, das kann ich. Meine Furcht ist, unwürdig deiner Gegenwart zu sein und verstoßen zu werden aus deinem Licht ...
Und könnte – könnte ich entsagen den Freuden der andern Welt, denen, welche kein Auge sehen, keine Zunge sprechen, kein Traum widerspiegeln kann – könnte ich dafür wohl erlangen ein ewiges Dasein der Liebe und Seligkeit mit ihr, welche –
Wahnwitziger Mörder! Dir die Seligkeit des Paradieses! –
Mein Vater, der du bist im Himmel, ich knie im Staube vor deiner Barmherzigkeit; ich halte den Atem zurück und erwarte den Ort, wo dein Urteil ertönen wird.
Ach, wie sah ich die arme Seele ergriffen bei den Worten der Iphis in ihrem beliebten »Jephta«:
»Ihr heil'gen Priester, deren Hand noch nie
Mit Menschenblut befleckt ward –«
Wenn ich nun ihr Priester geworden wäre, ich ihr Mörder! In einem ihrer Briefe schrieb sie mir einmal: sie würde mit Vergnügen von meiner Hand sterben. O, es war Wahrheit. – Arme Seele! Wenig dachte sie –
Es ist dummer Schnack, an das zu denken, aber es ist so – ich weiß bestimmt: dies und die folgende Arie: »Leb' wohl ...« waren die letzten Worte, welche sie je gesungen hat. Da preßt es mich, sie zu ergänzen:
»Leb' wohl du müde Welt, in der allein
Mit Stunden Freude wechseln Jahre Pein.
Und dazu möchte ich noch setzen:
Die Wolken schwinden, oben strahlt der Himmel
Im ew'gen Reich des Friedens und der Liebe.
Liebe! gnädiger Gott, ein solches Wort an solchem Orte, und heute!
O!
Newgate, Sonntag, den 18. April 1779, 4 Uhr morgens.
O Charles, Charles! Folter und Qualen! – Hölle und schlimmer als Hölle!
Ich warf meinen übermüdeten Körper auf die Diele meines Kerkers. Der Schlaf kam ungerufen.
Die Welt war versunken, die nächste stand vor mir; aber nach der kam keine andere Welt. Alles war offenbart. Mein ewiger Urteilsspruch, die Verdammung meiner Erbärmlichkeit, meine Verweisung aus der Gegenwart des Vaters – alles schreckenvoller, als die Poesie es zu schildern vermag – alles das war hinter mir, ich unrettbar verloren.
Auch ihr Spruch ward verkündet. – Charles! sie – ja, auch sie wurde verurteilt.
Auch auf ihrem Kleide waren Flecken. Wer konnte sie sehen, da die Allwissenheit selbst Mühe hatte, sie zu erkennen? O Charles, diese Schwächen, im Traum habe ich sie erkannt, und sie mußten gebüßt werden. – Meine Hand sandte sie vor der Zeit in den Himmel – mit allen ihren Schwächen.
Charles, ich sah die Buße. Meine Augen sahen, wie sie die Strafe des Himmels aushielt.
Das verschwand wieder. Sie ward vorgerufen, um die Belohnung für ihre zehntausend Tugenden zu erhalten.
Dann, dann, ja meine Hölle fing an – eine entsetzlichere, als je die Phantasie eines Weibes sie erdenken kann. Charles, ich sah sie – die Eisengitter, die grauen Mauern meines Kerkers sanken, das helle Licht strahlte um mich, klar wie je. Da erschien sie vor mir, selbsteigen – aber himmlischer, heiliger wie je auf Erden – sie war verklärt, ein Engel. Durchsichtig ihr Gesicht, ihre Gestalt, daß ich Geist und Seele zu sehen glaubte. – So war sie vollkommen, sie konnte nicht noch besser werden.
Aber was sah ich sonst? Zwischen uns war ein Abgrund von sausenden Wirbeln und Strudeln, eine Tiefe, die nicht zu ergründen war: ich konnte nicht mehr zu ihr, sie nie mehr zu mir.
Nein! – und sie wünschte es auch nicht. Das war der Fluch.
Charles, sie sah mich, wo ich war, versunken in tiefste Erbärmlichkeit. Sie sah mich, aber ohne eine Träne, ohne einen Seufzer.
Einen Seufzer mir, dachte ich, und darüber hätte ich alle meine Leiden ertragen.
Ein Seufzer, eine Träne! – Sie lächelte über alle meine Leiden. Ja, sie, sie freute sich über die Folter meiner Seele. Sie forderte die anderen Engel auf, sich mit ihr zu freuen.
Flamme und Schwefel – körperliches Leiden – das wäre Paradieseslust im Vergleich zu solcher ewigen seelischen Hölle!
Ach! wie ich jauchzte, schluchzte vor Freude und weinte vor Seligkeit, als ich erwachte und erkannte, daß es nur ein Traum, und ich so glücklich war – ich war ja nur in der Zelle der Verdammten in Newgate.
Noch immer Sonntag, 7 Uhr nachmittags.
Wenn diese losen, unzusammenhängenden Papiere nach meinem Tode in deine Hand gekommen sind, wird es dir einigen Trost gewähren, die letzten Zustände meines Gemüts kennen zu lernen.
Charles! Je näher der furchtbare Augenblick kommt, je gefaßter, ruhiger finde ich mich.
Du weißt, es war immer meine Meinung, daß ein Mann eine schwere Last von Kümmernissen leichter ertragen könne, als eine leichte. So dachte ich sonst, jetzt weiß ich es. Vor acht Tagen war ich toll, vollkommen toll. Heute nachmittag bin ich die Sanftmut selbst.
Dieser Tag vor acht Tagen! – Dahin blicken ist Tod – ist Hölle! – Rückwärts blicken ist wahrhaft schrecklicher als – vorwärts schauen.
Aber nun kann ich nicht mehr vor mir selber fliehen. In wenigen kurzen Stunden wird die Hand, welche noch jetzt an dich schreibt, die Hand, welche –
Ich will nicht mehr betrüben, weder dich noch mich. Mein Leben gehört den Gesetzen meines Landes, und ich will die Schuld bezahlen. Wie ich für den armen Dodd fühlte! – Wohl – ihr sollt hören, daß ich wie ein Mann und Christ starb.
Dann noch einige mit Bleistift gekritzelte, nicht völlig leserliche Zeilen:
Tyburn.
Mein teurer Charles – Lebewohl auf immer für diese Welt! Ich sterbe als ein aufrichtiger Christ und sündiger Büßer. Könnte doch mein Beispiel – – – die böse Wirkung – – – die Welt sollte wissen, wie ich meine früheren Gedanken über den Selbstmord, mein Verbrechen verabscheue – – – – – er ist der beste Richter. Unter ihrem Ruf – – – sorge mit voller Liebe – – – – – Dein sterbender H.
Am 19. April 1779 ward James Hackman hingerichtet. Während des ganzen Zugs nach Tyburn schien er sehr erschüttert, sprach aber wenig. Von störenden Unfällen, wie bei Dodds Exekution, erfährt man nichts. Er schied rasch von der Welt.