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Satiren, Polemiken, Glossen

Nichts gegen die »Illustrierte«

Friedrich Burschell widmet in No 7 der »Literarischen Welt« Jean Paul zum 100. Todestage ein ehrendes Gedenken. Und im Vorübergehen denunziert er, was ihm als Schändung des Mannes und seines Andenkens erscheint. Er hat im Auge die »Berliner Illustrierte Zeitung«; in der fraglichen Nummer kommt »die Großaufnahme der Titelseite der Jugend zugut, drei Dichterkindern«, unter denen der Sohn Thomas Manns allerdings selber schon »als Dichter vorgeführt wird, vor dem in beträchtlich weitem Abstand und in entsprechend verkleinerter Wiedergabe Jean Paul in den hintersten Winkel kroch, nicht ohne auch hier, auf der letzten Seite, mit dem kleinbürgerlichen Helden eines obskuren Prozesses, mit zwei groß aufgemachten, in Federn und Pelzwerk prangenden Nutten und zwei Katzen und einem Affen konfrontiert zu werden und nur beileibe nicht, wiewohl es sich ebensogut hätte machen lassen, mit den Kreaturen, die der Dichter mit rührendster Zärtlichkeit liebte, mit Eichhörnchen, Hunden, Singvögeln oder Schmetterlingen«. Was wohl keinem aufgestoßen wäre, der Frage zu geschweigen, ob nicht Nutten, Katzen und Affen seelenvoller als gerade Schmetterlinge und Singvögel in der Kamera obscura erscheinen. – Jedoch, was soll das alles. Und wem steht nicht fest, daß unter den gegebnen Bedingungen demokratischer Publizistik etwas besseres als die »Berliner Illustrierte« auf dem westeuropäischen Kontinent nicht existiert. Daß sie so unübertrefflich »interessant« gerade nur wegen der Exaktheit ist, mit der sie die lasterhaft zerstreute Aufmerksamkeit des Bankbeamten, der Sekretäre, des Konfektionärs allwöchentlich in einem Hohlspiegel zusammenzieht. Dieser dokumentarische Charakter ist ihre Macht und zugleich ihre Legitimation. Ein großer Jean Paul-Kopf auf der Titelseite der Illustrierten, was wäre langweiliger? »Interessant« aber ist er gerade nur, solange sein Kopf klein bleibt. Die Dinge in der Aura ihrer Aktualität zu zeigen, ist mehr wert, ist weit, wenn auch indirekt, fruchtbarer, als mit den letzten Endes sehr kleinbürgerlichen Ideen der Volksbildung aufzutrumpfen. Wenn gar die kühle, schattenspendende Aktualität dieser Bildseiten nicht wie die übliche und wohlfeilere zu 100% der Spekulation auf die niedrigsten Instinkte, sondern zu 50% ihrer technischen Gewissenhaftigkeit zu danken ist, so sollte sie sich das Recht erworben haben, vom Literaten dem die Mitarbeit an ihr – weiß Gott! – nicht zukommt, mit wohlwollendster Neutralität beobachtet zu werden.

Baedeker bedankt sich –

und kann sich den Sylvesterulk gefallen lassen, mit dem Herr Cohen-Portheim in der »Literarischen Welt« vom i. Januar 1926 ihn ins neue Jahr hinüber komplimentiert. Nun ist er also »der größte Dichter«. Im übrigen hat er Zeit gehabt, an das Ressentiment seiner Landsleute sich zu akklimatisieren. Die werden es ihm nämlich nicht vergessen, sie um die »Originalität« ihrer Reisen gebracht zu haben und daß man schwarz auf weiß die Punkte verzeichnet findet, die, wenn es nach Herrn Meyer und Frau Schulze ginge, als Stätten ihres eigenen innersten Erlebens durch sie erst wären geweiht worden. Die Sternchen des verhaßten Baedeker möchte eben jeder Deutsche für sein Leben gern selber anbringen, muß sich faute de mieux nun aber begnügen, an Ort und Stelle eigenhändig jeden Aussichtsort zu unterzeichnen. Und nun wird Baedeker, dies durch und durch positive Buch, ihm zugemutet! Ein Buch von peinlicher Solidität, das die Reiseabenteuer außer Kurs bringt und die Erzählung einer Irrfahrt an der Frage: Und warum kaufen Sie sich keinen Baedeker? verpuffen läßt. All das wird man in Deutschland nicht verwinden und daher Engländern es überlassen, die Organisation, Exaktheit und Bescheidenheit diesen Werken zuzuerkennen und abzulernen, während der deutsche Schmock der dankbaren Mühe sich unterzieht, zu betonen, was Baedeker klein druckt, zu belächeln, was groß gedruckt steht und derart hinreichend zur Abfassung expressionistischer Reiseberichte sich vorgebildet zeigt.

 

Skandal im Théatre Français

Ein seltener Fall: zwei junge Autoren, Denys Amiel und André Obey erringen mit der fünften Aufführung einen Erfolg, wie ihn die Uraufführung ihnen nicht beschieden hatte. Sie haben ihren Theaterskandal im größten Format. Ihre Tragikomödie »La carcasse«, die von der Comédie Française herausgebracht wurde, hat das bescheidene aber unbestreitbare Interesse, die verzerrte Fratze des Mittelstandes nach jener Kette fürchterlicher Schlaganfälle von 1914 bis 1918 zu zeichnen. Die Generation, der an die Stelle Wilhelminischer Ideale (denn Wilhelms Stern stand über ganz Europa) der nackte Wille zum Weiter-Leben getreten war, der Trieb, dem eigenen Kadaver (der »carcasse«) in der Familie den Raum zurückzugewinnen, den er im Staate verloren hatte, ist längst ein fälliges Sujet des Dramas gewesen (und bleibt es noch weit mehr für den Roman). Der Held des Stückes ist ein pensionierter General, der freilich nur zum Dramahelden Zeug hat. Er fristet seine Tage durch die Kompläsancen, die ihm die Freunde seiner Frau erweisen und teilt sie zwischen der Beschäftigung mit seinem Pferd und seiner alten Uniform. Im übrigen läßt er die Dinge gehen, wie sie wollen, und gibt den Sohn der Schande und dem Elend preis. Diesen Charakter entwickeln drei Akte in einer kräftigen Studie, deren Octave Mirbeau sich nicht hätte zu schämen brauchen. Mit der Nachricht vom Selbstmord des Sohnes endet der erste Aufzug. Wenn der Vorhang über dem zweiten sich hebt, steht der General – höchst meisterhaft gespielt von Herrn von Férandy – allein auf der Bühne, dem Publikum abgewandt. In diesem Augenblick, der für den Coup der zweckmäßigste schien, erhebt ein Herr sich aus dem mittleren Parkett: »Veuillez, M. de Férandy, me permettre de vous poser une question. Je ne conçois guère ...« Mehr ist nicht verständlich. Alle Kronleuchter flammen auf. Parkett und Ränge tosen. Und während der Sprecher verschiedentlich nur ansetzt, hat schon das Publikum die Auseinandersetzung übernommen. Mit einem Schlage sind ein paar hundert politische Diskutierklubs entstanden. Meine Loge hat drei Parteien. Mein Nachbar billigt dieses Drama nicht, mißbilligt aber andererseits den Vorgang. Wie dem auch sei – die Ehre der französischen Familie müsse gewahrt werden. Aus solchen Stücken sauge sich der Fremde, der sie ansieht, Gift. Hinter mir stellt sich jemand als Conseiller municipal de Paris uns vor. Er ist mit seinen Damen erschienen. So sei das Leben. Und hohe Zeit, daß man es laut herausschreie. Von vier Beamten im Hôtel de ville seien immer drei korrupt bis auf die Knochen ... Ich persönlich versichere, der Fremde informiere über die französische Familie sich für gewöhnlich weniger hier als in den Folies Bergères. Indessen fällt von Zeit zu Zeit der Vorhang, dann geht er wieder hoch: man spielt ein Stückchen weiter. Es wird abwechselnd dunkel und hell. »Voilà où en est arrivé la première scène du monde!« ruft jemand aus den Rängen herunter. Endlich tritt der Hauptdarsteller selbst an die Rampe. Schweigen. Er ist, versichert er, aus alter Soldatenfamilie und hätte nie die Rolle übernommen, wenn hier im mindesten die Ehre der Armee geschmälert würde. Man applaudiert ihm aus Respekt vor seiner souveränen Leistung. Von nun an aber spielt er kaum noch, sondern sagt die Rolle her wie auf der Leseprobe. Man überstürzt den Schluß, um bei dem Nachspiel, einem Schmarren von Flers und Caillavet zu landen. Es hat der Comédie Française nichts genützt, daß man aus dem glorreichen Kriegshelden des ursprünglichen Textes einen General der Intendantur gemacht hat, der 1914 verabschiedet wurde. Der Skandal war nicht zu vermeiden. Denn, wenn man sich bisweilen für sein Geld gern unterrichten läßt, so zahlt doch keiner gern um sich erziehen zu lassen. Die Abonnenten der Maison de Molière so wenig wie andere Leute.

 

Pariser Theaterskandale II

Surrealisten untereinander – sie fühlen sich erst wohl, wenn sie in einer Menge von ein paar hundert friedlichen Pariser Bürgern sich befinden. So dieser Tage im Théatre Sarah Bernhardt bei der Premiere des (gewiß nicht mehr neuen) russischen Diaghilew-Balletts, die Stimulantien sehr wohl brauchen konnte. Die Herren Surrealisten haben sie geliefert und noch dazu bewiesen, wie schlecht sie sich aufs Geschäft verstehen. Denn sie haben mit einem wohltemperierten Theaterskandal gewiß ihr eigenes weniger besorgt als das der Russen – ohne von ihnen bezahlt zu werden. Daß sie es sind, verübeln sie gerade ihren beiden Genossen, den Malern Jean Miró und Max Ernst, die haben nämlich den Dekor zu dem Ballett von »Romeo and Juliet« gestellt. Das gab den Anlaß zu einer vor Beginn der Vorstellung einsetzenden Huldigung an die Prinzipien unentwegter Bohemerie. Das surrealistische Supplement des Programmzettels, das fünf Sekunden nach Einsetzen des Orchesters von den Rängen herab mit Flugpost verteilt wurde, erklärt: »Wir dulden nicht, daß die Idee dem Kapital sich zur Verfügung stellt.« Im stillen aber dürfte ganz dasselbe der Standpunkt von Miró und Ernst gewesen sein. Denn ihre Szenerie stellt keinerlei »Idee«, sondern nichts weiter als Routine in den Dienst des Kapitals. – In den Mittagsblättern versprechen am nächsten Tag die Häuptlinge für die folgenden Abende Ruhe. Haben sie unterdes von der Wertlosigkeit der Dekoration oder von der ihrer Prinzipien sich überzeugt? In jedem Fall unsern Glückwunsch.

 

Rainer Maria Rilke und Franz Blei

Geistreich wie ein Abbé und salbungsvoll wie ein Prêtre hat an dieser Stelle Franz Blei zum Tode Rilkes das Wort ergriffen. Mancher bleibt da vielleicht überwältigt. Nicht vom Verlust vor heiligem Respekt für diesen Redner, der es im Grunde also längst schon wußte, ein Dichter Rilke habe nie gezählt und werde auch dereinst, wenn Rudolf Borchardt auf dem Parnaß dreimal in die Posaune stößt, zur Ewigkeit nicht einberufen werden. Sic transit gloria mundi – nämlich am offenen Grabe.

Es ist eine gute Sache um Stellungnahme. Und eine harte Totenrede ehrt, wenn schon nicht einen Toten, so die Hörer. Dann aber tritt in ihr dem nackten Tod die nackte Wahrheit entgegen. Dann faltet nicht im letzten Satz der Pamphletist die Tintenfinger, zwischen denen der Rosenkranz ihm hervorsieht. Nein hätte dieser neunmal weise Nekrolog auch recht, Anrecht auf unser Ohr besitzt er nicht.

Die Dichtung Rilkes ist mit allen Schwächen, mit allen Lastern seiner Generation so verbunden, daß etwas beinah wie Erleichterung beim Tode dieses Zeugen, dieses Genossen ihrer süßen Schmach sie überkommen darf. Aus diesem Grunde hätte sie zu schweigen. Denn all die Sittsamen, Verschüchterten, die es der großen Buhlerin nicht nachtun konnten, als welcher wir der Phantasie des Dichters Rilke eingedenk sein werden, besaßen keinen Funken der Askese, die seiner Preisgegebenheit zum Grunde lag. Was sie an dem Histörchen der Régence mit archivalischem Ergötzen schmeckten, das hat an seinem Leibe dieser Dichter lebenslang durchlitten.

Längst geht es in Europa mit der reinen Lyrik zu Ende. Die kommen könnte, ist politisch und didaktisch, wie sie zuerst George, in den letzten Büchern prägte. Rilke hat in der tiefen Stille seines Daseins der anderen das abgeschiedene Asyl gegeben, in welchem sie zur Ruhe gehen durfte. Menschenstimmen drangen da nicht mehr hin. So hat er denn mit Dingen, die er liebte, sie umstellt, aus Resonanzen, Obertönen dieser Dinge den Laut seiner besten Gedichte gebaut. Ganz wurde er dennoch nie Herr der verwesenden Innerlichkeit, die da im »Stundenbuch« mit den Emblemen des Jugendstils gräßlichen Einzug hielt. Wahr ist auch, daß mit jedem neuen Streifzug durch das Werk die Ernte zwischen seinen Blättern ärmer wurde. Immer aber bleiben darin, zwischen alten und frischen, Lieder von der vollendeten taktilen Schönheit von Früchten; Strophen, die sich als Lied im Sinn der Griechen von Hand zu Hand wie eine Schale, eine Scherbe geben lassen. So sind der »Ange du Méridien« und die »Kretische Artemis«, das »östliche Taglied« und der »Archaïsche Torso Apollos« durch die Hände einer Generation gegangen, der bei so feinem billigen Undank nicht wohl wird.

Sie wartet noch auf einen Nachruf für Rilke.

 

Journalismus

Neben so viel Feierlichkeit, die Lindberghs Flug über den Ozean umrahmt, sei die Arabeske eines Scherzes vermerkt – das heitere Gegenstück zu dem tristen Leichtsinn, der die Pariser Abendblätter vor drei Wochen voreilig den Triumph von Nungesser und Coli melden ließ. Die gleichen Blätter sind zum zweiten Male bloßgestellt. Das danken sie einem Einfall, den Karl Kraus dem Schüler der Ecole Normale, der ihn gehabt hat, neiden könnte. Diese Ecole Normale ist, wie bekannt, die berühmte staatliche Freischule Frankreichs, zu der man alljährlich nur eine Elite nach den strengsten Prüfungen zuläßt. Am Nachmittag des ersten Tages, den der Flieger in Paris verbrachte, teilte jemand allen Redaktionen telephonisch mit, die Leitung der Ecole Normale beschließe, Lindbergh zu ihrem »ehemaligen Schüler« zu ernennen. Und alle Blätter brachten die Meldung. Es gab unter den Scholastikern eine Schule, die Gottes Allmacht mit dem Satz umschrieb, daß er sogar Geschehenes ändern, wirklich Gewesenes ungeschehen und nie Gewesenes wirklich machen könne. Bei aufgeklärten Redakteuren braucht es, wie man sieht, nicht Gott; bei ihnen tut es schon eine Behörde.

Glozel und Atlantis

Niemals fühlt sich das Publikum wohler, als wenn es eine umfassende Blamage exponierter Personen herannahen sieht. Während groß und klein sein Vergnügen an dem cas Léon Daudet hat – und ist es als Programmabfolge nicht unerreicht, dieser traurige Tod des Philippe Daudet und das Satirspiel um den Vater, das daraus hervorgeht? –, rollen sich in der Welt der Wissenschaft: zwei Aktionen ab, die ebenfalls, nach hochdramatischem Beginn, mit einem unversehenen Lacherfolge enden könnten. Im vorigen Jahre begannen in Glozel die Ausgrabungen des Dr. Morlet. Man wollte auf ein umfangreiches Depot prähistorischer Objekte aus dem Neolithikum (will sagen, etwa aus dem Jahre 3500 v.Chr.) gestoßen sein. Von Anfang an war ein Raunen um diese Dinge. Dr. Morlet unternahm seine Grabungen allein, nur von dem jungen Fradin, einem intelligenten – und vielleicht allzu anstelligen – Burschen aus der Gegend unterstützt. Bei diesen Grabungen, so erzählte man sich, sei es ursprünglich nicht sehr wissenschaftlich zugegangen: weder Fund Journal, noch Distriktsplan. Und später, als man hin und wieder Sachverständige zuzog, da habe es sich immer so getroffen, daß man am ersten Tage nichts vorfand und erst am andern Morgen in der »unberührten« Lehmschicht der angegrabenen Stelle auf neue Objekte geriet. Skeptiker hielten sich an die Person des Dr. Morlet, der Illuminat ist und seine Nachforschungen in der Absicht unternimmt, das Vorhandensein einer frühen und hochentwickelten Kultur im Westen nachzuweisen. Einer sehr hochentwickelten – denn das Wichtigste ist: man hat in Glozel Tafeln gefunden, die mit rätselhaften Zeichen bedeckt sind. Um diese ist natürlich im Handumdrehen ein leidenschaftlicher Streit entbrannt, nicht nur in Fachzeitschriften, sondern sogar im »Mercure de France«. Der Entdecker selbst spricht von prähistorischem Alphabet und Zahlensystem, ein Dr. Jullian liest sie als lateinische Kursive und will in ihnen Zauberformeln aus dem 3. Jahrhundert n.Chr. sehen. Wieder andere jedoch wollen unter den übrigens krausen Zeichen die Letternfolge TSF Amtliche Abkürzung für Télégraphie sans fil. mit aller Deutlichkeit herauserkannt haben ... Im »Mercure« spielt nun dieser Streit in Nachbarschaft einer Kontroverse über Atlantis sich ab, die an suspekten Hypothesen noch reicher ist. Es existiert in Paris eine Société des études atlantéennes, von offenbar sehr heterogener Zusammensetzung. Herr Paul Le Cour, eines ihrer Mitglieder, ist nun, an der genannten Stelle, kürzlich mit der Behauptung an die Öffentlichkeit getreten, die Rettung Europas hinge von der vertieften, innerlichen Einsicht in Atlantis als in das Ursprungsland der westlichen Kultur ab. Auch ist ihm nicht sowohl die prähistorische Methode, als die Inspiration der gegebene Weg, um über diesen Erdteil nähere Informationen zu beschaffen. In allen andern Fragen ist Herr Le Cour um so viel exakter und kann, wenn's darauf ankommt, einem gegnerischen Gelehrten dessen Mitarbeit an der »Humanité« Organ der Kommunistischen Partei Frankreichs. öffentlich nachweisen...

So werden, wie man sieht, zum Heil und Ruhm Westeuropas gleichzeitig Raum- und Zeitenfernen durchforscht. Aber all das erinnert ein wenig an Chestertons Ausspruch: er wolle es ja gern glauben, daß Shakespeares Dramen von Bacon geschrieben sind. Nur solle man ihm erklären, warum denn die Vertreter dieser Meinung zugleich davon durchdrungen seien, daß man kein Fleisch essen dürfe.

 

Staatsmonopol für Pornographie

Wahrscheinlich hat Spanien die schönsten Zeitungskioske der Erde. Wer die Straßen von Barcelona entlangschlendert, ist von diesen windigen, buntscheckigen Gerüsten flankiert, Tanzmasken, unter denen die junge Göttin der Information ihren provozierenden Bauchtanz ausführt. Aus dieser Maske hat vor einigen Wochen das Direktorium den strahlenden Stirnreif herausgebrochen. Es untersagte den Vertrieb der fünf oder sechs deutlichen Kollektionen, welche die Liebe ohne ... – – –, die weitverbreitete Morseschrift, die in der schönen Literatur ihrer Darstellung dient, behandelt haben. Bekanntlich wird diese Emanzipation von der Morseschrift in der Übermittelung geschlechtlicher Vorgänge mit dem Namen »Pornographie« belegt. Wie dem nun sei: die zartgetönten spanischen Heftchen unterschieden sich nicht von Büchern wie unsere »Memoiren einer Modistin«, »Boudoir und Reitbahn«, »Ihre ältere Freundin«. Lehrreich an ihnen war etwas anderes: im Register ihrer Verfasser fanden sich angesehene Autoren, ja sogar Dichter von dem Range eines Gómez de la Serna. Unstreitig Stoff genug zu einer Glosse, die in den lauteren Flammen sittlicher Entrüstung ihren Gegenstand reinlich verzehren würde. Statt aber dergestalt mit ihm zu verfahren, wollen wir ihn ein Weilchen betrachten.

In einem sind pornographische Bücher wie alle andern: darin nämlich, daß sie auf Schrift und Sprache gegründet sind. Hätte die Sprache in ihrem Wortschatz nicht Stücke, die von Haus aus obszön angelegt und gemeint sind, das pornographische Schrifttum wäre seiner besten Mittel beraubt. Woher kommen nun solche Wörter?

Die Sprache, in den verschiedenen Stadien ihres geschichtlichen Daseins, ist ein einziges großes Experiment, das in so vielen Laboratorien veranstaltet wird als die Erdkugel Völker trägt. Dabei geht es überall um die Einheit der schnellen, unzweideutigen Mitteilung mit befreiendem, suggestivem Ausdruck. (Was ein Volk der Mühe wert hält zu sagen, richtet sich danach, welche Chancen des Ausdrucks, welche Arten der Mitteilung es überhaupt absieht.) Für dieses gewaltige Experimentalunternehmen stellt große Poesie gewissermaßen ein Formelbuch, das volkhafte Sprachgut aber die Materialien. Beständig wechselt die Versuchsanordnung, und immer wieder ist die ganze Masse von neuem ins rechte Verhältnis zu bringen. Nebenprodukte aller Art sind dabei unvermeidlich. Zu ihnen zählt, was außerhalb der gewohnten, sei es gesprochenen, sei es geschriebenen Sprache, an Prägungen, an Redewendungen im Umlauf ist: Kose- und Firmennamen, Schimpfwort und Schwurwort, Andachtsformeln und Obszönitäten. Das alles ist entweder überschießend im Ausdruck, ausdruckslos, heilig, Ferment der kultischen Sprache oder überdeutlich im Mitteilen, schamlos, verworfen. Abfallprodukte eines alltäglich geübten Verfahrens, gewinnen diese selben Elemente freilich einen entscheidenden Wert in anderen: im wissenschaftlichen vor allem, welches in diesen befremdenden Sprachfragmenten Splitter vom Urgranit des sprachlichen Massivs erkennt. Man weiß, wie genau sich diese Extreme in ihrer polaren Spannung entsprechen. Und es wäre eine der interessantesten Studien über die Rolle des skatologischen Witzes in der Klostersprache des Mittelalters zu machen.

Wenn nun, so wendet man ein, die Produktion solcher Worte derart im Wesen der Sprache begründet ist, daß alle Worte, welche geil im Übermaße mitteilender Energie sich gefallen, schon an die Grenze des Obszönen rühren, sind sie vom Schrifttum um so unbedingter fernzuhalten.

Im Gegenteil: die Gesellschaft hat diese natürlichen – um nicht zu sagen profanen – Prozesse im Sprachleben als Naturkräfte sich nutzbar zu machen, und wie der Niagara Kraftwerke speist, so diesen Sturz und Abfall der Sprache ins Zotige und Gemeine als gewaltige Energiequelle zu benutzen, den Dynamo des schöpferischen Aktus damit zu treiben. Wovon die Dichter eigentlich leben sollen, ist eine ebenso alte wie beschämende Frage, der man seit jeher nur mit Verlegenheiten hat antworten können. Ob man ihm selber oder ob man dem Staat die Sorge dafür anheimstellt: in beiden Fällen kommt es auf sein Verhungern hinaus.

Daher verlangen wir: Staatsmonopol für alle Pornographie. Sozialisierung dieser beträchtlichen Stromkraft. Der Staat verwalte dieses Monopol nach Maßgabe der Bestimmung, die diese literarische Gattung zum ausschließlichen Reservat einer Elite bedeutender Dichter macht. Der Literat erwirbt statt einer Sinekure die Erlaubnis, einen so und so großen Prozentsatz des statistisch ermittelten Bedarfs an Pornographie den zuständigen Stellen zu liefern. Weder im Interesse des Publikums noch des Staates liegt es, den Preis dieser Ware allzu niedrig zu halten. Der Dichter produziert für einen fixierten, nachgewiesenen Bedarf gegen Barzahlung, die ihn vor den ganz unberechenbaren Konjunkturen, die sein wahres Schaffen betreffen, sichert. Sein Unternehmen wird weit sauberer sein als stünde er von nahe oder fern, bewußt oder unbewußt, einer Partei, einer Interessentengruppe zu Diensten. Er wird als Sachkenner dem Amateur überlegen sein und dem unleidlichen Dilettantismus entgegentreten, der auf diesem Gebiete herrscht. Auch wird er, je länger je weniger, seine Arbeit verachten. Er ist nicht Kanalräumer sondern Rohrleger in einem neuen komfortablen Babel.

Ein internationales Gesellschaftsspiel

Nichts ist anziehender, als wenn der Statistiker seine seriösen Verbindungen – Handelsbilanz und Sterblichkeit, Welttonnage und Baumwollernte – auf einen Augenblick links liegen läßt und mit Kunst, Literatur, Bühne und Film flirtet. Hierzu hat ihm die New Yorker Zeitschrift »Vanity Fair« in ihrer Aprilnummer den verführerischsten Anlaß gegeben. Sie legt ein »Complete Handbook of Opinion« vor. Mitarbeiter waren insgesamt zehn europäische und amerikanische Kapazitäten. Und ihre Aufgabe, innerhalb einer Skala von 0-25 in Punkten es auszusprechen, wie hoch in ihrer Schätzung die bedeutendsten Erscheinungen der Gegenwart und der Vergangenheit bis zurück in die Vorzeit stehen. Aber noch wichtiger als diese Zehn-Jury eines New Yorker Walhall, in deren Würde unter anderen Sherwood Anderson, Kerr, Molnar, Morand, Ezra Pound sich teilen – ist die ihnen entsprechende anonyme Instanz, die Redaktion von »Vanity Fair«, der man die Liste von mehr als 200 Namen verdankt, die für die Postamente dieser Ruhmeshalle in Betracht gezogen werden. Nennen wir vorab die Sieger: Shakespeare erreicht (mit durchschnittlich 21,9 Punkten) die Spitze, es folgt (mit 18,5) Voltaire, Dostojewski (mit 18,1) an der Spitze aller Modernen, Beethoven (18), Plato (17,9) usw. Aber das ist noch der banalere Aspekt des Ganzen, ebenso wie die Reihe der niedrigst Bewerteten. Dem europäischen Publikum ist von ihnen wahrscheinlich nur Maria von Rumänien bekannt, die es trotz ihres kürzlichen Besuchs in den Staaten nur auf 1,6 gebracht hat. Auch ist es nicht ohne Witz, daß einer der Preisrichter selbst, A. Guest, mit 0,1 hier den Rekord schlägt. Und es kann sehr nachdenklich stimmen, daß er bei der statistischen Selbstbegegnung, welche die Redaktion veranstaltet hat, indem sie einige Preisrichter in die Liste ihrer Ruhmesanwärter mit aufnahm, auch vor sich selber mit einer 0 ausgeht, während etwa Sherwood Anderson sich einen vornehmen Strich, Kerr eine weniger vornehme als überraschende 18 setzt. Um aber auf die Liste der Kandidaten zurückzukommen: Da treten nicht nur die Berühmtheiten ersten Ranges von Aeschylos und Aristoteles bis zu Richard Wagner und Oscar Wilde, nicht nur Jack Dempsey, Tex Ricard, Greta Garbo und Lilian Gish auf, sondern die Zeitschriften, Institutionen, Symbole, der American Mercury (die Zeitschrift von Mencken), die Birth Control (Geburteneinschränkung), die Freiheitsstatue und die Zehn Gebote. Nicht weniger frappant ist der begleitende Text, in dem die Redaktion die Ernte aus den sauber gefurchten statistischen Pflanzungen einbringt, die sich über zwei große Seiten dahinziehen. Da ist der charakterologische Ertrag: sie verzeichnet die kühlen und die enthusiastischen Temperamente, will sagen, sie errechnet, wer von den Zehn die größte, wer die kleinste Zahl von Punkten vergeben hat (Molnár und Sherwood Anderson streuen die Saat ihrer Hochachtung am üppigsten aus). Dann die statistischen Verwandtschaften: alles andere als Wahlverwandtschaft, möchte man glauben, wenn man Henry Ford und Abälard, Ruskin und Paul Whitman, Marcel Proust und die Zehn Gebote beisammen sieht, – dann wieder Wahlverwandtschaft? wenn Anatole France und Konfuzius, Attila und Marie Laurencin genau bis auf die Dezimale gleich rangieren. Die ausgezeichnete Redaktion hat die gleiche Projektion weltgeschichtlicher Geisterkämpfe in die Arena greller Aktualität schon einmal, vor sechs Jahren, doch mit charakteristischen Unterschieden, vorgenommen. Damals bestand das Schiedsgericht nur aus Amerikanern. Der statistische Wert des Spielchens der ohnedies, das dürfen wir im Vorbeigehen verraten, gleich Null ist – war damit um ein Unendlichkleines größer, sein Interesse für europäische Leser aber geringer. Damals gab es auch eine Minuswertung. Ford, Upton Sinclair und Walter Scott waren die Hauptleidtragenden bei diesem »Versuch, die negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen«. Das spannendste Moment in alledem wird doch immer die Selbstbewertung der Preisrichter sein. Und das führt auf den liebenswürdigen Ursprung dieses statistischen Gesellschaftsspieles zurück. Es soll nämlich von Morand stammen und sieht ursprünglich so aus: Jeder Mitspieler bekommt eine Karte, an deren linkem Rande ein Register von Charaktereigenschaften (Neigungen, Idiosynkrasien, Leidenschaften, Tugenden, Lastern usw.) entlang lauft, und neben jede von denen setzt er eine Ziffer, hoch, wenn er diese Eigenschaft bei sich entwickelt, niedrig, wenn er sie unentfaltet vermutet. Dann gibt er, nicht ohne die eigene Bewertung durch eine Falte verdeckt zu haben, das Blatt an den Nachbar. Und so gehen die Signaturkarten aller Mitspieler der Reihe nach um. Die Gesellschaft porträtiert sich in Ziffern. »Vanity Fair« hat den hübschen Einfall gehabt, diesen Zeitvertreib auf internationale Dimensionen zu bringen.

 

Vaterherz, kalt garniert

Dem Programmheft der Erstaufführung von Carl Zuckmayers »Katharina Knie« im Lessing-Theater lag u. a. eine Probeseite aus dem bekannten Heyischen Kochbuch bei, das nun, den endlich wieder stabilisierten Verhältnissen Rechnung tragend, von neuem in der völlig unveränderten Vorkriegsausgabe erschienen ist. Wir freuen uns, dieser Probeseite den nachstehenden Abdruck entnehmen zu können:

Man nehme ein nicht mehr allzu junges Vaterherz, schneide dasselbe in 4 aktlange Scheibchen, lege sie sauber auf einen Gemeinplatz, schlage sie längere Zeit breit, röste sie sodann (am besten mit W. von Heimburgs Back- und Bratfett »Alles in Butter«) auf kleinem Feuer und übergieße sie dabei fleißig mit einem Viertelliter heißer Tränen. Inzwischen hat man einen Backfisch sorgfältig abgeschuppt, das Innere und besonders das Gehirn sauber entfernt und das Fischlein auf allen Seiten knusprig abgebräunt (Fisch- und Bratenwender »Prachtmädel«). Man verarbeitet nun das alles zu einer Masse und preßt sie in einem schneeweißen Linnen, bis der letzte Rest Handlung abgetropft ist. Zum Schluß wird das Ganze mit einem Päckchen Gelatine »'s Badener Ländle« angerührt, mit einer Lage Streuzucker Marke »Sternennacht« überstäubt und das schmackhafte Gericht (bekanntlich eine Leibspeise des seligen Ludwig Pietsch) in einer Gartenlaube serviert. Als Garnierung verwende man die herbstlichen Blätter eines immer noch fröhlichen Weinbergs.

Für getreue Kopie:
Walter Benjamin

Nochmals: Die vielen Soldaten

Unter dem Stichwort »Infanteristen und Pioniere« setzt sich Hans Kafka in Nr. 15 der »L. W.« mit den beiden Militärstücken auseinander, die jetzt in Berlin zu sehen sind. Wir sind natürlich gar nicht mehr in der Lage, solche Stücke anders als aus politischen Voraussetzungen zu beurteilen. Kafka tut das besonders nachdrücklich und damit hat er recht. Ganz unrecht hat er aber mit den theaterpolitischen Forderungen, die er an diese Stücke heranträgt. Diese Forderungen nämlich sind nicht die des politischen Raisonnements. Wir werden gleich sehen, welcher Natur sie sind.

Das politische Raisonnement sagt uns: Diese Stücke sind in zumindest einer Hinsicht gegenüber allem, was wir von Militärstücken vorher hatten, ein politischer Fortschritt. Während das Vorkriegstheater (»Rosenmontag«, »Husarenfieber«, »Feldherrnhügel« usw.) in satirischer oder patriotischer Absicht nur militärische Chargen auf die Bühne brachte, haben wir hier zum ersten Male die Truppe im Rampenlicht. Wir haben die ersten Versuche vor uns, die kollektiven Kräfte zu zeigen, die in der uniformierten Masse erzeugt werden und mit denen die Auftraggeber der Heeresmacht rechnen. In dem Stück der Fleißer sind diese Kräfte des militärischen Kollektivs noch durchsetzt mit denen des landschaftlichen und volklichen; darum hat dessen verdienstvoller Regisseur recht getan, in die Vorkriegszeit, die Epoche der allgemeinen Wehrpflicht es zurückzuversetzen. In dieser zeitlichen und landschaftlichen Umfriedung ist es idyllisch und zart geblieben. In den »Rivalen« dagegen haben wir es bereits mit jenem hochaktuellen Berufsheer zu tun, das mehr und mehr, selbst in den äußeren Formen der allgemeinen Wehrpflicht, sich als die Heeresform der Zukunft erweisen wird. Damit treten Bestialität, Sadismus und Blutrausch schon um einige Grade unverstellter heraus. Aber leider nur für ein waches Publikum, mit dem man nirgends und am wenigsten in den bürgerlichen Theatern zu rechnen hat. Die sträfliche Fahrlässigkeit des Anderson-Zuckmayerschen Dramas ist, diesen ganzen militärischen Apparat losgelöst von seinem Garanten und Unternehmer: der Industrie, zu zeigen, und so der bürgerlichen Anschauung Vorschub zu leisten, es sei »der Krieg« ein »Naturereignis« mit allen seinen Schrecken und Wonnen. Wir aber haben es nicht mit abstrakten Kriegen zu tun, sondern mit bestimmten konkreten, die immer Phänomene des Wirtschaftslebens sind. Und im besonderen Falle mit dem letzten, der in der Epoche des Imperialismus der erste ist.

Soweit die Sprache des politischen Raisonnements. Demgegenüber ist Kafkas Sprache die des sentimentalen. Er macht sich zunächst den verhängnisvollen Ausgangspunkt der bürgerlichen Doktrin zu eigen: den abstrakten Allgemeinbegriff von Krieg und Militarismus. Ich werde an anderer Stelle in Kürze zeigen, wie mit diesem falschen Ansatz die ganze Frage aus dem gesicherten Terrain der politischen Diskussion ins Bodenlose der ethischen abgleitet. Bodenlos allerdings. Wenn wir heute zu der Einsicht gelangt sind, daß nicht einmal in der Individualerziehung es Ziel sein kann, die dunklen tierischen Elemente im Menschen abzutöten – erstens weil das immer mißglückt, zweitens weil sie an entscheidenden Wendepunkten des Daseins immer, nur im rechten Sinne, müssen eingesetzt werden – wenn wir mithin das Tugendideal für die Erziehung des Einzelnen verabschiedet haben, ist es dann nicht ein trostloser Dilettantismus, die Vernunft als Gouvernante über die Klassen zu setzen? (Wir sprechen von Klassen. Denn der Krieg zwischen Völkern ist heute keine primäre, sondern eine sekundäre Erscheinung.) Nicht zu erziehen, sondern zu herrschen ist die erste Aufgabe der Vernunft, und diese Herrschaft wird ihr Quellen der Gewalt als solche zu verschütten nicht nur nicht verbieten, sondern sie verpflichten, an Wendepunkten sie für ihre Zwecke aufzurufen.

Um nun auf Kafka zurückzukommen: Die Forderung, zu der er gelangt, ist logisch, und kann darum nicht richtiger sein als der Ausgangspunkt. Er will auf dem Theater den Einen sehen, der die Waffe fortwirft. Das defaitistische Heldenstück. Es ist die ethische Chimäre, »rein vom Krieg«, »die Hände rein vom Blute« sich zu halten. Und doch gibt es keine Reinheit in diesen Dingen außerhalb des zweckmäßigen Verfahrens der Reinigung, dem bewaffneten Aufstand. Ob das Theater dazu etwas tun kann, ist sehr die Frage. Seine Möglichkeiten aber liegen gewiß nicht in der Richtung, die Kafka ihm weist.

 

Aus dem internationalen Antiquariat

Unter diesem Titel gedenken wir, Einiges von dem vielen Merkwürdigen zu veröffentlichen, auf das der Sammler beim Studium der einlaufenden Kataloge zu stoßen pflegt. Natürlich sollen diese Kuriosa nicht rein bibliographischer Art sein. Wir denken an auffallende Buchtitel, Exemplare mit romantischen Provenienzen, verschollene Bücher, die ihre Verfasser das Leben oder die Freiheit gekostet haben, exzentrische »Fortsetzungen« klassischer Werke oder Briefe wie den folgenden. Nämlich:

Ein Dantebrief von 1865

Kein Brief mit Dantes Unterschrift – das kann man billigerweise nicht verlangen. Aber ein Brief mit den Initialen des Dichters, Initialen, von denen man noch dazu mit Sicherheit sagen kann, daß Dante sie sich zu seinen Lebzeiten nicht hätte leisten können. Sie sind nämlich aus seiner Asche.

Das Stück wird von dem bedeutendsten Antiquar Neapels, Gaspare Casella, ausgeboten und von ihm beschrieben wie folgt: »Der Brief stammt von dem berühmten Dante-Forscher Abate Giambattista Giuliani und ist gerichtet an den Kardinal Alfonso Capecelatro, Erzbischof von Capua und Bibliothekar des heiligen Stuhles. Der Brief wurde anläßlich der Festlichkeiten zum sechshundertsten Geburtstage Dantes verfaßt und legt nicht nur beredtes Zeugnis vom Dante-Kult des Schreibers sondern auch von dessen patriotischem Einschlag ab, indem der Preis hier mehr dem Propheten der Einigung Italiens als dem Dichter gilt. Giuliani sah in der Entdeckung der sterblichen Reste Dantes die Weihe des Triumphs von Italien.«

Mit dieser Beschreibung ist, wie uns scheinen will, nicht nur der denkwürdige Brief sondern auch der Stil der Bücherkataloge des neuen Imperium Romanum ein wenig gekennzeichnet.

Der grüne Postillon

Seit einiger Zeit hat die preußische Akademie der Künste eine Sektion für Dichtkunst. Man kann ihre Notwendigkeit bezweifeln. Sogar ihre Möglichkeit. Nicht bezweifeln aber kann man: welches immer ihre Aufgabe sei, sie kann sie nur in Angriff nehmen auf Grund ihres Prestiges als repräsentative Vertretung der deutschen Dichter. Von Staats wegen ist wenig geschehen, um ihr dieses Prestige zu sichern. So wahr der verdienstvolle Kultusminister Becker kein Richelieu ist, so wahr konnte er sie mit Autorität nicht bekleiden. Sie muß sie sich selber schaffen von Anfang an. Die Einsichtigen – zu denen die »Literarische Welt« gezählt werden darf – waren willens, einem solchen Beginnen solange ihre Unterstützung zu leihen, als die Aussicht auf Erfolg noch nicht völlig geschwunden war. Das ist aber, zumindest für die Ära Molo, nun eingetreten.

Die Akademie, von der man bisher hauptsächlich durch Festsitzungen und Festschriften erfuhr, hat einen salto mortale in die Tagespresse gemacht. Man kann nicht sagen, die Zeitungen hätten ihr ihre Spalten geöffnet. Denn die Verkündigung ihres Präsidenten besetzt ein breiter zugeschnittenes Areal wie nur der Inseratenteil es einräumen kann. Dieser im Inseratenteil verschiedener Tagesblätter publizierte Schriftsatz von Molo lautet:

»Die ›Grüne Post‹ hat das geschaffen, worum die Dichter sich so lange allein bemühten, was sie mit ihren Werken herbeizwingen wollen: seelische Einigkeit aller Deutschen, den Weg zur Einigkeit aller Menschenseelen auf unserer Erde.«

Man hat Deutschland das Land genannt, in dem man sich nicht blamieren kann. Das Wort ist im Zeitalter des Parlamentarismus entstanden. Und wie man über seine Berechtigung auch denken mag: die Mißgriffe, die Entgleisungen müssen noch erst gefunden werden, mit denen ein Parlamentsmitglied sich vor seinesgleichen blamieren könnte. Die Sektion für Dichtkunst ist aber kein Parlament. Und sie würde für das geistige Niveau Deutschlands – mithin auch für die Literatur – mehr als mit Bänden ihres Jahrbuchs leisten, wenn sich ergäbe, daß vor ihr (wennschon sonst nirgends) man sich unmöglich machen kann.

Sie wende nicht ein, Molo habe nur als Privatmann gesprochen. Es ist das Wesen der Repräsentation, daß sie nicht nur bei außerordentlichen Anlässen, sondern im ganzen Tun und Lassen, im Lebensstil der verantwortlichen Person zum Ausdruck gelangt. Dieser Lebensstil, diese Haltung entschädigen für das vielfach Fragwürdige eines jeden. Sie stellen Anforderungen an die Besonnenheit und die Disziplin des Betreffenden, dafür stellen sie ihn in anderen Punkten sicher. Es ist z.B. für einen Präsidenten der Sektion für Dichtkunst nicht entscheidend, ob der Stil, den er schreibt, vorbildlich sei. Das Urteil über den Dichter Molo betrifft nicht den Präsidenten, solange gegen den nichts einzuwenden ist. Aber nichts ist natürlicher, als daß im Fall des Versagens die Frage der Qualifikation einer Nachprüfung unterzogen wird. In diesem Augenblick beginnt dann auch Molos Dichtung eine Rolle zu spielen. Er kann sich nicht wundern, wenn man angesichts solcher Stilwidrigkeiten der Haltung seinem Prosastil auf den Grund geht. Das ist in der Tat die leidige Folge gewesen, und »der Stil des Präsidenten« ist im Begriff, im Glossenteil der Wochenschriften ein beliebtes Divertissement zu bilden. Bliebe die interne Wirksamkeit Molos, von der versichert wird, sie sei segensreich. Das ist erfreulich. Es kann und muß für die materielle Lage der deutschen Autoren noch viel geschehen. Sie haben es nötig. Daß aber diese Aktion erkauft werde durch die Kompromittierung des Schrifttums selber, wie eine weitere Präsidentschaft Molo sie bedeuten würde, das haben sie, ihrer Notlage ungeachtet, denn doch nicht nötig.

Die Sektion für Dichtkunst hat, soviel wir wissen, noch kein offizielles Publikationsorgan. Sollte sie es nun in der »Grünen Post« gefunden haben, so ist das erste, was wir dort zu lesen hoffen, der Rücktritt des Präsidenten von Molo – wenn es sein muß im Inseratenteile.

 

Kavaliersmoral

Je sicherer die Routine den Menschen erlaubt, aalglatt in allem ihrem Tun und Lassen dem harten Zugriff der Wahrheit zu entschlüpfen, desto feinsinniger werden sie sich mit konstruierten »Gewissensfragen«, »inneren Konflikten«, »ethischen Maximen« befassen. Das ist selbstverständlich, enthebt einen aber nicht der Aufgabe, diesen widerwärtigen Tatbestand aufzuzeigen, wo er sich breit macht. Und das ist kürzlich wieder sehr ungeniert in einer Kontroverse geschehen, die Ehm Welk über den Kafkaschen Nachlaß mit dessen Herausgeber, Max Brod, eröffnet hat. Brod hat im Nachwort zum »Prozeß« und zum »Schloß« mitgeteilt, daß Kafka ihm diese Werke zum eigenen Studium und unter der ausdrücklichen Bedingung übergeben habe, sie niemals drucken zu lassen, vielmehr später sie zu vernichten. Diesen Mitteilungen hat er dann die Darstellung der Motive folgen lassen, die ihn veranlaßten, sich über Kafkas Willen hinwegzusetzen. Nun waren es freilich nicht nur diese Motive, die es niemandem vor Ehm Welk erlaubten, die bequeme, äußerst naheliegende Anklage auf verletzte Freundespflicht zu erheben, mit deren energischer Zurückweisung wir es hier zu tun haben. Denn da stand ja nun einmal dieses erschütternde Kafkasche Werk, öffnete seine großen Augen, in die man blickte, war mit dem Augenblick seines Erscheinens ein Tatbestand, der die Lage so gründlich veränderte wie die Geburt eines Kindes noch den illegitimsten Beischlaf. Daher die Achtung, der Respekt, die mit dem Werk, auf das sie sich bezogen, auch dem Verhalten dessen gegolten haben und gelten, durch welchen wir es erst leibhaft besitzen. Daß die absurde Beschuldigung gegen Brod von keinem, dem das Werk von Kafka irgend nahesteht, erhoben werden konnte (und wie kann denn er selber heut uns nahestehen als durch sein Werk?), das ist ebenso sicher wie dies: daß nun, da sie einmal erhoben, sie sich in ihrer ganzen kümmerlichen Arroganz enthüllt, sowie man sie mit diesem Werke konfrontiert. Kafkas Werk, in dem es um die dunkelsten Anliegen des menschlichen Lebens geht (Anliegen, deren je und je sich Theologen und selten so wie Kafka es getan hat, Dichter angenommen haben), hat seine dichterische Größe eben daher, daß es dieses theologische Geheimnis ganz in sich selbst trägt, nach außen aber unscheinbar und schlicht und nüchtern auftritt. So nüchtern ist das ganze Dasein Kafkas und ist auch seine Freundschaft mit Max Brod gewesen. Nichts weniger als ein Orden und Geheimbund, sondern eine innige und vertraute, doch ganz und gar im Licht des beiderseitigen Schaffens und seiner öffentlichen Geltung stehende Dichterfreundschaft. Die Scheu des Autors vor der Publizierung seines Werks entsprang der Überzeugung, es sei unvollendet und nicht der Absicht, es geheim zu halten. Daß er von dieser seiner Überzeugung sich in der eigenen Praxis leiten ließ ist genau so verständlich, wie daß sie für den andern, seinen Freund, nicht galt. Dieser Tatbestand war ohne Zweifel für Kafka in den beiden Gliedern deutlich. Er hat nicht nur gewußt: ich habe selbst zugunsten des in mir noch Ungewordenen das was geworden ist, zurückzustellen, er wußte auch: der andere wird es retten und mich von der Gewissenslast befreien, dem Werk das Imprimatur selber geben oder es vernichten zu müssen. Hier wird nun Welks Entrüstung keine Grenzen kennen. Um Brod zu decken, Kafka Jesuitentricks, Kafka eine reservatio mentalis zuzumuten! Ihm diese tiefste Absicht beizulegen, daß dieses Werk erscheine und zugleich des Dichters Einspruch gegen dies Erscheinen! Jawohl, nichts anderes sprechen wir hier aus und fügen zu: die echte Treue gegen Kafka war, daß dies geschah. Daß Brod die Werke publizierte und zugleich des Dichters nachgelassenes Geheiß, es nicht zu tun. (Ein Geheiß, das Brod durch Hinweise auf Kafkas wechselnde Willensmeinung nicht abzuschwächen brauchte.) Ehm Welk wird hier nicht mehr mitgehen. Wir hoffen, er hat es schon längst aufgegeben. Sein Angriff ist ein Zeugnis für die Ahnungslosigkeit, mit der er allem gegenübersteht, was Kafka angeht. Diesem zweifach stummen Mann gegenüber hat seine Kavaliersmoral nichts zu suchen. Er soll nur machen, daß er vom hohen Pferde herunterkommt.

 

Ade mein Land Tirol

»Alpenglühen« heißt die Oper des Komponisten Hans Ritter, der Ännchen, des Reisleitners Töchterlein, heimführt. Der Film, der's uns mit allem drum und dran zusingt, zublökt und zukreischt, ist ein Tonfilm, kein Farbenfilm. Dennoch färben einmal die Schroffen da droben sich rot. Es ist aber gerade am hellen Mittag; Alpenglühen kann es nicht sein. Es ist das jüngst entdeckte Schamrot, das die Gipfel um Virgen, Amrach und Lienz überlief, als Gustav Ucicky mit seinem Gefolge vom Kurfürstendamm kam, um dem Bergvolk tonfilmisch beizubringen, bis die Schnaderhüpferln ihm hochsteigen. Sollte nun aber einer das Ganze bodenlos finden, so bekommt er doch bald den Boden zu spüren, auf dem dies neue Steiermark – vielmehr Vorarschberg – gegründet ist, nämlich den weit ins Publikum vorgeschobenen Hosenboden des Lettnerbauern, der einen »Po-Po-Pokal« zum Ehrentrunke erhebt. Im Lenz beginnt diese Handlung. Der Joe May ist gekommen, die Bäume schlagen aus. In ihren Wipfeln rauscht der Atem Benatzkys. Der Inn spiegelt, wie natürlich, in seinen klaren Wassern die Ufa. Im Hintergrunde erhebt sich der Hugenberg. Wer aber ist die mythische Gestalt, die sich ragend dagegen abhebt? Das ist der wetterfeste Schirmherr dieser Gegend: Andreas Patzenhofer, Filmtirols treuester Sohn. Zum »Unsterblichen Lump« im Frankfurter Ufa Palast.

Kleiner Briefwechsel mit der Steuerbehörde

Berlin, 19. Juli 1931.

An das Finanzamt Wilmersdorf-Süd, Wilmersdorf.

Steuer-Nummer ...

Sehr geehrter Herr,

ich bitte Sie hierdurch dringend um Stundung der bis zum 10. Oktober 1931 ausschließlich zahlbaren Beträge bis zu dem genannten Zeitpunkt. Ich hatte bereits im vorigen Jahre, in dem Sie so freundlich waren, ein entsprechendes Gesuch von mir zu berücksichtigen, Gelegenheit darauf hinzuweisen, daß ich in diesen Monaten so gut wie gar keine Eingänge habe. Dazu kommt, daß eine Erbschaftssteuer in Höhe von ... Mark von mir zu zahlen ist, obwohl es mir bisher, angesichts der Zeitlage, unmöglich gewesen ist, irgendwelche Beträge aus meiner Erbschaft zu realisieren.

Meine Lage ist daher zur Zeit die denkbar schwierigste.

Hochachtungsvoll
Unterschrift.

 

Finanzamt Wilmersdorf-Süd

Steuer-Nr...

Berlin, 30. Juli 1931.

An Herrn ...

Auf Ihre Zuschrift vom 19.7.31 erwidere ich, daß ich zu meinem Bedauern nicht in der Lage bin, die rückständige Steuer zu stunden bezw. Ratenzahlungen zu gewähren. Zur Vermeidung weiterer Kosten empfehle ich, den Rückstand umgehend zu entrichten.

Im Auftrage
gez....
Beglaubigt:
Unterschrift.

Berlin, 11. August 1931.

An das Finanzamt Wilmersdorf-Süd, Wilmersdorf.

Sehr geehrter Herr,

bezugnehmend auf Ihre Zuschrift vom 30. Juli 1931 gestatte ich mir Ihnen mitzuteilen:

Seit der Erfindung der Schreibekunst haben die Bitten viel von ihrer Kraft verloren, die Befehle hingegen gewonnen. Das ist eine böse Bilanz. Geschriebene Bitten sind leichter abgeschlagen und geschriebene Befehle leichter gegeben als mündliche. Zu beiden ist ein Herz erforderlich, das oft fehlt, wenn der Mund der Sprecher sein soll.

Diese Bemerkung von G. Ch. Lichtenberg dürfte für Ihre Behörde um so höheres Interesse besitzen, als sie von einem Steuerdirektor, dem Sohn des Verfassers, vor über 100 Jahren aus seinem Nachlaß zum Druck gegeben wurde.

Hochachtungsvoll
Unterschrift.


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