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Das Kruzifix mit dem Totenschädel

Der König von Kastilien rüstete zum Kriege gegen die Mauren und hatte für diesen Kampf wider die Feinde des Glaubens an die Blüte des Adels seiner beiden Reiche den Heerbann ergehen lassen. Die sonst so stillen Straßen Toledos erklangen nun Tag und Nacht vom kriegerischen Lärm der Pauken und Zinken. Keine Stunde verging, in der man nicht den heiseren Ruf der Wachen vernahm, die bald an dem maurischen Zweiangeltor, bald am Heckentor oder auch am Kopf der alten Sankt Martinsbrücke die Ankunft irgendeines Ritters ankündigte. Vorauf das herrschaftliche Banner und hinterdrein Reiter und Troßknechte – so sah man die Hauptmacht des kastilischen Heeres zusammenkommen.

Bis man damit fertig war, die königlichen Streitkräfte zu ordnen und man zur Grenze aufbrechen konnte, vertrieb man sich die Zeit mit rauschenden Volksfesten, prunkhaften Gastereien und glänzenden Waffenspielen. Und als schließlich der Vorabend des Tages gekommen war, den der König schon im voraus für den Aufbruch des Heeres bestimmt hatte, traf man die Vorbereitungen zu der letzten Festlichkeit, mit der die Reihe der Lustbarkeiten abschließen sollte.

Am Abend des Festes bot die königliche Burg ein einzigartiges Schauspiel. In den weiten Höfen lagerte wirr durcheinander um die riesigen Feuer ein bunt zusammengewürfelter Haufe von Knappen, Troßknechten, Bogenschützen und niederem Volk. Die einen putzten ihre Rosse und Waffen und machten sie kampfbereit. Andere saßen beim Würfelspiel, schreiend und fluchend die Wechselfälle des Glücks begrüßend. Hier sangen einige im Chor den Kehrreim einer Heldenromanze, die ein Spielmann vortrug und auf der Gusla begleitete. Dort kauften andere von einem Pilger Muscheln, Kreuze und Bänder, die am Grabe Santiagos geweiht waren. Nicht weit davon wurde ein Possenreißer mit tollem Gelächter für seine Witze belohnt. Daneben übte jemand auf der Zinke das Sturmsignal, mit dem ein jedes Fähnlein ins Treffen zu rücken pflegte. Und weiterhin wurden alte Rittergeschichten und Liebesabenteuer erzählt oder von Wundern berichtet, die sich erst kürzlich zugetragen haben sollten. Und dies alles bildete ein höllisches, betäubendes Durcheinander, unmöglich mit Worten zu schildern.

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Über diesem brausenden Meer von Kriegsgesängen und dröhnenden Hämmern, die auf Ambosse niederfielen, von kreischenden Feilen, die in den Stahl sich einfraßen, von stampfenden Rossen, anhaltendem Gelächter, Fluchen und zornigem Schreien aus heiseren Kehlen, von schrillen Lauten und anderen, seltsamen Mißtönen – über all diesem schwebten bisweilen, wie ein Hauch süßen Wohlklangs, die fernen Akkorde der Festmusik ...

Die Säle, in denen das Fest stattfand, in einem andern Teil der Burg, boten zwar nicht so phantastische und abwechslungsreiche Bilder, wohl aber einen desto glänzenderen und prunkvolleren Anblick.

Weithin zogen sich lange Galerien, auf einem verwirrenden Labyrinth von schlanken Pilastern ruhend, mit geschnitzten Schwibbögen, fein wie Spitzengewebe. Die weiten Hallen waren mit seidenen und goldgewirkten Tapeten ausgeschlagen, auf denen in tausend verschiedenen Farben Liebesszenen, Jagd- und Kriegsbilder dargestellt waren. Eine Unzahl von bronzenen, silbernen und goldenen Lampen und Kandelabern, teils herabhängend von der hochgewölbten Decke, teils befestigt an den starken Mauerpfeilern, warf eine Flut von Licht auf die blinkenden Waffen und Schilde, die als Trophäen die Wände zierten. Und überall, wohin man auch blickte, sah man einen Schwarm schöner Frauen in reichen, goldverbrämten Gewändern auf und ab schweben. Perlschnüre umfingen ihre Locken, Rubingeschmeide funkelte auf ihrer Brust, Kranzfächer aus duftigen Federn und mit elfenbeinernem Griff schaukelten an ihrer Hand, und weiße Spitzenkrausen umkosten ihre Wangen. Und um sie herum fröhliche Scharen geputzter Edelleute in Seidenstrümpfen und Saffianschuhen, in Brokatwämsern und kurzen Mänteln mit offenen, weiten Ärmeln und spitzer Kappe, die leichten, zierlichen Galadegen an samtenem Gehenk und mit Dolchen, deren Griff aus feinster Filigranarbeit bestand.

Rings um die königliche Estrade, in hohen Sesseln aus dunklem Lärchenholz, saß das reifere Alter und sah heiter lächelnd die strahlende, blendende Jugend vorüberfluten. Vor allem galt die Aufmerksamkeit einem Fräulein, das wegen seiner unvergleichlichen Schönheit auf allen Turnieren und Minnehöfen jener Zeit zur Königin ausgerufen wurde. Die tapfersten Ritter führten die Farben dieser Schönen im Wappen. Die namhaftesten Sänger der Fröhlichen Kunst und Wissenschaft wählten ihre Reize zum Gegenstand ihrer Lieder. Auf ihr weilten alle Augen mit Entzücken; alle Herzen pochten insgeheim ihr entgegen. Und die edelsten Sprößlinge des toledanischen Adels, die an jenem Abend auf dem Feste erschienen waren, umdrängten sie huldigend, gleich demütigen Dienern im Gefolge ihrer Herrin.

Agnes von Tordesillas war der Name dieser gefeierten Schönheit. Hochmütig war sie und abweisend, aber keiner von denen, die dem ständigen Troß ihrer hoffnungsvollen Verehrer angehörten, verzagte jemals in seinen Bewerbungen. Glaubte dieser ein ermutigendes Lächeln auf ihren Lippen zu erraten, so meinte jener, ein wohlwollendes Leuchten aus ihren Augen erhascht zu haben. Ein jeder hoffte im geheimen der Bevorzugte zu sein – der eine wegen eines anerkennenden Wortes, der andere wegen irgendeiner geringfügigen Gunstbezeigung oder eines oft weit zurückliegenden Versprechens.

Indessen gab es unter ihnen zwei, die sich ganz besonders durch ihre Ritterlichkeit und Hingebung hervortaten und die scheinbar – wenn auch nicht als die Bevorzugten der Schönen, so doch als diejenigen gelten konnten, die auf dem Wege zu ihrem Herzen am weitesten vorgeschritten waren. Und diese beiden Ritter, gleichwertig durch Abkunft, Mut und edle Eigenschaften, eines selben Königs Diener und Verehrer einer selben Frau, hießen Alonso von Carillo und Lope von Sandoval.

Beide waren in Toledo geboren. Gemeinsam hatten sie ihre ersten Waffengänge getan, und an ein und demselben Tage waren ihre Augen einem Blick der schönen Agnes begegnet und sie wurden von heimlicher, glühender Liebe zu ihr entflammt. Anfangs keimte diese Liebe nur still im verborgenen, aber als sie schließlich hervorzubrechen begann, verriet sie sich unwillkürlich in all ihren Worten und Taten.

Bei den Turnieren auf dem Zokodover, bei den Blumenspielen am Hofe – überall, wo sich nur eine Gelegenheit bot, an edlem Anstand und anmutiger Beredsamkeit miteinander zu wetteifern, griffen beide Ritter sie stets mit Begeisterung auf, begierig sich vor den Augen ihrer Dame auszuzeichnen. An jenem Abend hatten sie zwar den Eisenhut gegen das Federbarett vertauscht und das Panzerhemd gegen Brokat und Seide, aber sie standen, wohl von demselben Bestreben erfüllt, neben dem Sessel des edlen Fräuleins, das sich nach einem Rundgang durch die Säle eine Weile ausruhte, und begannen einen anmutigen Wettstreit in artigen und geistreichen Redensarten und versteckten Spitzfindigkeiten.

Die Gestirne zweiter Ordnung dieses strahlenden Sternbildes umgaben wie ein goldener Halbkreis die beiden Ritter, lachend und sie zu immer feineren Scherzen ermutigend. Und die Schöne, um deretwillen das Wortgefecht angestellt war, billigte lächelnd die witzigen Einfälle und Anspielungen, die einmal wie eine Welle zarten Blütenduftes, ihrer Eitelkeit schmeichelnd, dem Mund ihrer Verehrer entstieg, ein andermal wie ein spitziger Pfeil herausschoß, um den Gegner an seiner verwundbarsten Stelle, seiner Eigenliebe, zu treffen.

Bald aber begann der höfische Streit in geistreicher und gewandter Rede sich mehr und mehr zuzuspitzen, mit jedem Mal an Heftigkeit zunehmend. Die Worte blieben zwar noch in der Form höflich, wurden aber kurz und trocken hervorgestoßen und von einem gewissen Lächeln, einem leisen Zucken um die Mundwinkel begleitet. Auch wies das rasche Aufblitzen der Augen, die nicht fähig sind, etwas zu verheimlichen, darauf hin, daß der Zorn, mühsam verhalten, schon in der Brust der beiden Nebenbuhler kochte.

Die Lage war unhaltbar. Das Fräulein begriff und erhob sich vom Sessel, um in die Säle zurückzukehren. Da aber durchbrach ein neuer Zwischenfall die Schranken der gegenseitigen Achtung und Höflichkeit, in welchen die beiden verliebten Junker sich noch gehalten hatten. Agnes hatte nämlich, um sich Kurzweil zu schaffen, im Laufe des Gesprächs von ihren nach köstlichen Essenzen duftenden Handschuhen einen goldenen Knopf nach dem anderen abgerissen und – vielleicht absichtlich, vielleicht auch nur aus Vergeßlichkeit – einen Handschuh auf ihrem Schoß liegengelassen. Als sie nun aufstand, glitt dieser zwischen den weiten Falten des seidenen Kleides herab und fiel auf den Teppich. Im gleichen Augenblick bückten sich all die edlen Herren ihres glänzenden Gefolges, ihn wieder aufzuheben, im Streit um die Ehre, mit einem leichten Kopfnicken für ihre Zuvorkommenheit belohnt zu werden.

Ein leises Lächeln befriedigter Eitelkeit umspielte die Lippen der stolzen Agnes, als sie sah, mit welcher Bereitwilligkeit alle einen krummen Buckel vor ihr machten. Mit einer einzigen flüchtigen Kopfbewegung grüßte sie die Herren, die soviel Eifer bewiesen hatten, ihr zu dienen. Und mit hochmütigem, verächtlichem Gesicht, ohne kaum hinzusehen, streckte sie die Hand in der Richtung aus, wo Lope und Alonso standen, um von ihnen den Handschuh zurückzufordern, denn augenscheinlich waren sie allen anderen zuvorgekommen. Nahe bei ihren Füßen hatten beide Junker gleichzeitig den Handschuh niederfallen sehen; beide hatten sich gleich schnell gebückt, um ihn aufzuheben, und als sie sich wieder aufrichteten, hielt ein jeder ihn an einem Ende gefaßt. Starr und stumm standen sie da, sahen sich an mit herausfordernden Blicken, ein jeder entschlossen, den Handschuh nicht dem andern zu lassen.

Als das Fräulein dies bemerkte, entfuhr ihm unwillkürlich ein leiser Schrei, auch die übrigen Augenzeugen gaben ihrer Bestürzung lauten Ausdruck. Alle fürchteten, es würde zu einer stürmischen Szene kommen, und eine solche, im Schloß des Königs und in seiner Gegenwart, mußte geradezu als Mißachtung aufgefaßt werden.

Dennoch verharrten Lope und Alonso teilnahmslos. Schweigend maßen sie sich vom Kopf bis zu den Füßen, und nur ein leichtes nervöses Zittern, das ihre Glieder wie ein Fieberschauer durchflog, verriet den Sturm in ihrem Innern.

Immer dringlicher wurde das begütigende Zureden der Umstehenden. Immer mehr Leute kamen herbei und umringten die beiden Helden des Dramas. Und – sei es aus Verwirrung, oder weil sie sich darin gefiel, das Spiel in die Länge zu ziehen – Agnes lief von einer Seite zur andern, als suche sie eine Zuflucht, um sich den Blicken der Neugierigen zu entziehen, die sich in immer größerer Zahl ansammelten.

Eine Katastrophe war unabwendbar. Schon hatten die beiden Junker ein paar kurze Worte miteinander gewechselt. Krampfhaft hatten sie mit der einen Hand den Handschuh gepackt, und schon tasteten sie mit der anderen unwillkürlich nach dem goldenen Griff ihrer Dolche, als sich plötzlich der Kreis der Zuschauer ehrfurchtsvoll auftat und der König erschien.

Seine Stirn war heiter; kein Unwille lag in seinem Gesicht, kein Zorn in seiner Gebärde.

Mit einem Blick erfaßte er das ganze Bild, und dieser eine Blick reichte hin, um ihm begreiflich zu machen, was sich da zutrug. Mit der ganzen Liebenswürdigkeit eines vollkommenen Edelmannes nahm er den Handschuh den beiden Rittern ab, deren Hände sich, wie von einer Feder bewegt, mühelos öffneten, als sie die Berührung des Fürsten spürten. Darauf wandte sich dieser an Agnes von Tordesillas, die, auf den Arm einer Zofe gestützt, einer Ohnmacht nahe war, und sagte mit festem, wenn auch mildem Ton:

»Hier nehmt, edles Fräulein, doch hütet Euch, ihn noch einmal fallen zu lassen! Es könnte sonst geschehen, daß man ihn Euch blutbefleckt zurückbrächte ...«

Als Agnes den König also sprechen hörte, fiel sie in Ohnmacht – ob infolge der Aufregung oder um sich würdiger aus der Verlegenheit zu ziehen, ist schwer zu entscheiden – und wurde von den Umstehenden aufgefangen.

Alonso zerdrückte sein Samtbarett in den Händen, und Lope nagte an den Lippen, daß das Blut hervorquoll. Nur einen Blick tauschten sie – einen entschlossenen, durchbohrenden Blick ...

Und bei derartigen Vorfällen galt ein Blick soviel wie ein Backenstreich, wie ein Handschuh, dem andern ins Gesicht geworfen, wie eine Herausforderung auf Leben und Tod.

 

II

Als Mitternacht herannahte, zogen sich der König und die Königin in ihre Gemächer zurück. Das Fest war zu Ende, und all die Neugierigen, die in zahlreichen Gruppen in der Burgstraße, auf dem Zokodover und auf dem Miraderoplatz ungeduldig dieses Augenblicks gewartet hatten, stellten sich eiligst auf, um die Heimkehrenden zu sehen.

Ein oder zwei Stunden lang herrschte noch in der Auffahrt zur Burg und in den benachbarten Straßen ein unbeschreibliches Leben und Treiben. Überall sah man Knappen vorüberreiten, reichgeschirrte Rosse am Zaume führend, Herolde in prunkvoller Zeremonialtracht, geziert mit Wappenschildern und Figuren, Paukenschläger in buntfarbigem Kleid, Reisige in glänzendem Harnisch, Pagen in Samtmänteln mit federgeschmückten Baretts und Diener zu Fuß, die den mit kostbaren Stoffen bedeckten Tragsesseln und prächtigen Sänften voraufschritten. In der Hand trugen sie große brennende Fackeln, deren rötlicher Schein die erstaunten Gesichter der Menschenmenge beleuchtete. Mit offenem Munde und verwunderten Augen sahen diese staunend die Besten des kastilischen Adels vorüberziehen, der bei solcher Gelegenheit einen geradezu fabelhaften Prunk entfaltete.

Dann wurde es nach und nach stiller auf den Straßen und der Lärm legte sich. Auf der Burg, hinter den bunten Scheiben der hohen gotischen Fenster, erloschen die Lichter. Die letzte Reiterschar zog an der dichtgedrängten Menge vorüber, und allmählich verlief sich das Volk in alle Richtungen und verlor sich im Gewirr der dunklen, gewundenen Gäßchen.

Nun lag die Stadt im tiefen Schweigen der Nacht. Aus der Ferne nur schallte der Ruf eines Wachtpostens, der Schritt eines Neugierigen, der als letzter heimging, das Kreischen der Türriegel, die bald hier, bald da vorgeschoben wurden.

Da erschien oben auf der Freitreppe, die vom Burgwall herabführte, ein Ritter. Er schaute sich nach allen Seiten um, als suche er jemand, der auf ihn gewartet haben mußte, stieg darauf langsam herab und wandte sich durch die Burggasse zum Zokodoverplatz.

Hier blieb er stehen; wieder sah er sich nach allen Seiten um. Es war eine stockfinstere Nacht, nicht ein Stern funkelte am Himmel, und auf dem ganzen Platz brannte nicht ein Licht. Dennoch war es ihm, als unterschied er weiter hinten die Gestalt eines Mannes. Auch vernahm er jetzt aus derselben Richtung leise Schritte, die näherkamen. Das war zweifellos der, auf den er mit solcher Ungeduld zu warten schien.

Der Ritter, der soeben die Burg verlassen und den Zokodoverplatz erreicht hatte, war Alonso Carillo. Das Ehrenamt, das er in der königlichen Kammer bekleidete, hatte ihn genötigt, sich solange beim König aufzuhalten. Und der andere, der aus dem Dunkel der Bogengänge, die rings um den Platz laufen, hervortrat, war Lope von Sandoval. Als die beiden Ritter einander gegenüberstanden, wechselten sie leis einige Worte:

»Ich nahm an, daß du mich erwartetest!« sagte der eine.

»Und ich erwartete, daß du dies annehmen würdest!« entgegnete der andere.

»Wohin gehen wir?«

»Irgendwohin, wo ein Lichtstrahl uns leuchtet – und wenn wir auch nur vier Spannen breit Platz haben, um uns zu rühren!«

Nach diesem kurzen Gespräch bogen die beiden Junker in eine der engen Gassen ein, die vom Zokodoverplatz abgehen, und vertauchten im Dunkel der Nacht wie Gespenster, die den, der sie erblickt, einen Augenblick lang erschrecken und dann, sich in Dunst auflösend, in den Schoß der Finsternis zurücksinken.

Lange gingen sie kreuz und quer durch die Straßen Toledos, auf der Suche nach einem passenden Ort, ihren Ehrenhandel auszufechten. Die Dunkelheit der Nacht war jedoch so undurchdringlich, daß ein Zweikampf ganz unmöglich schien. Aber beide wünschten sehnlichst, sich zu schlagen – und zwar noch, bevor der Morgen dämmerte, da schon bei Tagesanbruch des Königs Heer, und mit ihm Alonso, aufbrechen sollte.

So liefen sie denn aufs Geratewohl weiter – über verlassene Plätze, durch düstere Gänge und enge, finstere Gäßchen. Endlich sahen sie von weitem ein Licht blinken – ein winziges, schwach flackerndes Licht, phantastisch umhüllt von einem verschwommenen, kreisrunden Nebelschein.

Sie waren in die Christusgasse gekommen, und das Licht, das sie am anderen Ende der Straße erblickten, ging augenscheinlich von dem Lämpchen aus, das auch schon in damaliger Zeit vor dem Kruzifix brannte.

Als sie des Lichtes ansichtig wurden, stießen beide einen Freudenruf aus und richteten eiligst ihre Schritte dorthin. Nach wenigen Minuten standen sie vor dem kleinen Altar im Lichtkreis der Lampe.

Unter einem in die Mauer eingelassenen Bogen sahen sie das Bild des Erlösers am Kreuz; ihm zu Füßen einen Totenkopf. Ein grobgearbeitetes hölzernes Vordach schützte es gegen die Unwetter, und an einem Strick hing eine kleine, schwach leuchtende Lampe, vom Winde geschaukelt. Das war der ganze Altar! Einige Efeuranken, die aus den verwitterten und gespaltenen Quadersteinen hervorwuchsen, umgaben ihn mit einer Art grünem Thronhimmel.

Die Ritter entblößten ihr Haupt, verneigten sich ehrerbietig vor dem Christusbild und sprachen ein leises Gebet. Darauf musterten sie mit einem raschen Blick die Umgebung, warfen die Mäntel ab, trafen die nötigen Vorbereitungen zum Kampf, gaben sich durch eine leichte Kopfbewegung das Zeichen und kreuzten die Klingen. Aber kaum hatten sich die Degen berührt – und bevor einer der Gegner einen einzigen Schritt tun, noch einen Ausfall machen konnte, erlosch plötzlich das Licht, und die Straße war in tiefste Dunkelheit gehüllt. Wie vom gleichen Gedanken geleitet, traten die Kämpfer, von Finsternis plötzlich umgeben, einen Schritt zurück, richteten den Blick auf das Lämpchen und senkten die Spitzen der Degen. Und im selben Augenblick, als sie Miene machten, den Streit beizulegen, leuchtete das Licht, das noch soeben erloschen war, wieder auf.

»Es wird ein Windstoß gewesen sein, der die Flamme niedergedrückt hat,« rief Carillo und stellte sich von neuem zum Kampfe auf, zugleich auch Lope dazu auffordernd, der seinen Gedanken nachhing.

Lope trat vor und nahm seinen früheren Platz wieder ein. Er legte sich aus, und die Klingen kreuzten sich. Aber wieder erlosch das Licht bei dem ersten Anprall und blieb erloschen, solange die Degen noch gegeneinander lagen.

Danach flammte es von selbst wieder auf und flackerte im Winde langsam hin und her, mit eigenartig zitterndem Schein den gelben Totenschädel zu Füßen des Kruzifixes beleuchtend.

»In der Tat, das ist seltsam!« flüsterte Lope, mit einem Blick auf die Lampe.

»Ach was,« meinte Alonso, »es wird daher kommen, daß die Schwester, die für die Altarlampe zu sorgen hat, mit dem Öl knausert und so die Andächtigen betrügt. Das Licht ist dem Erlöschen nahe, wird abwechselnd hell und dunkel im letzten Todeskampf.«

Nach diesen Worten legte der ungestüme Junker sich wieder aus, und sein Gegner folgte dem Beispiel. Diesmal aber wurden sie nicht allein wieder in dichtes, undurchdringliches Dunkel gehüllt, sondern zu gleicher Zeit traf ihr Ohr der tiefe Klang einer geheimnisvollen Stimme, ähnlich dem langgezogenen Heulen des Sturmwindes, wenn er in den engen Gassen sich fängt und klagend, jammernd hin und her rennt.

Was jene furchtbare, übermenschliche Stimme sagte, vermochten die Junker nicht zu erfassen. Aber beide wurden dermaßen von Schrecken ergriffen, daß die Degen augenblicks ihren Händen entfielen. Ihr Haar sträubte sich, ein Schauder rann ihnen durch die Glieder, und aus allen Poren brach kalter Todesschweiß.

Und das Licht, zum drittenmal erloschen, flammte wieder auf und verscheuchte auch zum drittenmal die Finsternis.

Da sah Lope, wie sein Gegner ebenso fassungslos war wie er selbst, ebenso bleich und starr, und er dachte daran, daß dieser einst sein bester Freund gewesen.

»Gott will diesen Kampf nicht zulassen,« rief er, »weil es ein Streit zwischen Brüdern ist. Hundertmal haben wir den Himmel zum Zeugen unserer ewigen Freundschaft angerufen, und darum ist ein Zweikampf zwischen uns eine Kränkung Gottes.« Mit diesen Worten warf er sich Alonso an die Brust, und auch dieser schloß ihn mit herzlichem Druck in seine Arme.

 

III

Es währte einige Minuten, bis sich die beiden Junker auf jede Weise ihre Liebe und Freundschaft von neuem versichert hatten. Alonso nahm als erster das Wort und sagte, noch tief bewegt über die eben erfolgte Versöhnung, mit warmer Stimme zu seinem Freunde:

»Lope, ich weiß, daß du Agnes liebst – ob ebenso heiß wie ich, kann ich zwar nicht wissen – jedenfalls liebst du sie. Da nun ein Kampf zwischen uns beiden unmöglich ist, wollen wir uns entschließen, unser Schicksal in ihre Hände zu legen. Komm, wir wollen zu ihr gehen! Möge sie zwischen uns wählen und entscheiden, wer der Glückliche sein soll – und wer der Unglückliche. Ihre Entscheidung soll von uns beiden anerkannt werden, und wer ihrer Gunst nicht wert ist, hat morgen Toledo mit dem König zu verlassen, um im Trubel des Krieges Trost und Vergessen zu suchen.«

»Gut, es soll sein, wie du willst!« entgegnete Lope.

Und Arm in Arm schlugen die beiden Freunde den Weg nach dem Domplatz ein, wo Agnes von Tordesillas wohnte – in einem Palast, von dem heute auch nicht einmal Reste mehr übrig sind.

Tagesanbruch war nicht mehr fern, und da auch Agnesens Brüder und noch einige andere aus ihrer Sippe am nächsten Tage mit dem Heer des Königs aufzubrechen hatten, so war es nicht unmöglich, daß die beiden schon zu so früher Stunde Einlaß in den Palast erhielten.

Von dieser Hoffnung erfüllt, schritten sie aus und standen bald am Fuß des gotischen Turms. Aber kaum waren sie hier angekommen, als ein eigentümliches Geräusch ihre Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Schnell verbargen sie sich in einer der dunklen Nischen, die von den hohen, vorspringenden Pfeilern gebildet werden, und da sahen sie zu ihrem größten Erstaunen, wie sich im Palast ihrer Angebeteten eine Balkontür öffnete und in ihrem Rahmen ein Mann erschien, der mit Hilfe eines Strickes auf die Straße kletterte. Darauf wurde oben eine weiße Gestalt sichtbar, zweifellos Agnes selbst, die, sich über die Brüstung beugend, ihrem heimlichen Liebhaber einige zärtliche Abschiedsworte zurief.

In der ersten Erregung hatten die beiden Junker zum Degen gegriffen. Dann aber, wie von demselben Gedanken plötzlich erleuchtet, sahen sie einander an. Und ein jeder fand sich einem Gesicht gegenüber, das so komisch erstaunt dreinschaute, daß alle beide in lautes Lachen ausbrachen. Ihr Gelächter schallte hell über den ganzen Platz, hinüber zum Palast, und fand in der Stille der Nacht vielfachen Widerhall.

Im selben Augenblick verschwand die weiße Gestalt vom Balkon, und man hörte, wie die Türen heftig zugeschlagen wurden. Danach lag alles wieder in tiefem Schweigen. –

Am folgenden Morgen sah die Königin von einem prächtig geschmückten Schaugerüst aus die Scharen vorbeiziehen, die gegen die Mauren ausrückten, und ihr zur Seite saß die vornehmste Frauenwelt Toledos. Unter ihr war auch Agnes von Tordesillas, und wie gewöhnlich, richteten sich auch heute aller Augen auf sie. Aber es schien ihr, als ob der Ausdruck anders wäre als sonst ... als ob in den neugierigen Blicken, die auf sie fielen, ein spöttisches Lächeln läge ...

Diese Wahrnehmung mußte sie um so mehr in Unruhe versetzen, als sie an das laute Gelächter in der vergangenen Nacht dachte, das sie drüben, von einer anderen Ecke des Platzes her, vernommen zu haben meinte – gerade als sie sich von ihrem Liebsten trennte und die Balkontüren wieder schließen wollte ... Da sah sie in den Reihen der Krieger, die, in Staubwolken gehüllt und in blitzenden, funkelnden Rüstungen, am Schaugerüst vorüberzogen, die vereinigten Banner der Häuser Carillo und Sandoval auftauchen. Und als sie erkannte, wie friedlich die beiden einstigen Nebenbuhler jetzt nebeneinander ritten, und das bedeutungsvolle Lächeln bemerkte, mit dem diese sie während der Verbeugung vor der Königin ansahen – da erriet sie alles. Vor Scham wurde sie purpurrot, und nur mit großer Mühe konnte sie die Tränen zurückhalten.


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