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Ob uns gleich, begann der Lehrer, vom Herakles oder Herkules nicht eine einzige geschichtliche, wirklich zuverlässige Nachricht überliefert ist, so können wir doch aus der hohen Berühmtheit, die derselbe durch die Dichter erhalten hat, mit Zuversicht schließen, daß er seinem Zeitalter als ein ganz außerordentlicher Mann erschienen sein müsse. Um die große Menge von Sagen, deren Gegenstand er ist, leichter zu erklären, nahmen schon die Gelehrten des Altertums an, daß es der Helden dieses Namens mehrere gegeben habe. Ägypten und Griechenland hätten vielleicht irgend einen berühmten Nationalheros gehabt, dessen Thaten von der Sage in die benachbarten Länder weitergetragen und mit den Thaten der dort verehrten Helden vermischt worden seien. So möge denn alles Abenteuerliche und Große, das ursprünglich von verschiedenen Helden vollführt worden, zuletzt auf den einen Herakles übertragen sein.
Noch jetzt ist über diese Dinge nichts Entschiedenes ausgemacht worden, und ich werde mich daher auch nicht auf alle die Deutungen einlassen, die man über jede der einzelnen Mythen versucht hat. Diese Märchen sind ohne Zweifel einst von Dichtern der ältesten Zeiten als Volkslieder gesungen worden, und die Hörer haben sich an der Dichtung ergötzt, ohne sich viel um die Bedeutung und den Ursprung jeder einzelnen Geschichte zu bekümmern. So, denke ich, sollt auch ihr zunächst sie hören. Mögt ihr immerhin fürerst in diesen Sagen nur ein anmutiges Spiel der Dichtung erblicken. Auch dieses Spiel hat hohen Sinn, und wirklich nützlich und nötig wird euch die Bekanntschaft mit diesen Mythen schon insofern, als ihr erst durch ihre Kenntnis eine Menge trefflicher Kunstwerke und zahlreiche Anspielungen älterer und neuerer Dichter verstehen könnet.
Herakles war ein Stiefsohn des thebanischen Königs Amphitryo; denn sein wirklicher Vater war kein Geringerer als der allgewaltige Olympier selbst. Zeus, so erzählt die Sage, hatte sich mit Alkmene, der jungen Gemahlin des Amphitryo in dessen Abwesenheit heimlich vermählt und dadurch den gerechten Zorn der Here erregt. Diese aber, unvermögend an dem treulosen Gatten selbst Rache zu nehmen, hatte dem Kinde seiner Liebe ewige Verfolgung geschworen. Kaum war der junge Herakles acht Monate alt, so schickte die zürnende Göttin zwei giftige Schlangen an seine Wiege; allein der Knabe streckte lächelnd seine Hände nach ihnen wie nach einem Spielwerke aus, packte sie am Nacken und erdrückte sie beide. So bekundete schon das Kind seine göttliche Abkunft; was Wunder, daß Zeus gerade diesem seiner Söhne eine besondere Liebe zuwandte und ihm vor allen Unsterblichkeit zu verleihen wünschte? Da aber kein Erdgeborener unsterblich werden konnte, der nicht wenigstens einmal mit Göttermilch gelabt worden war, so beratschlagte Zeus mit dem Hermes, wie Here überlistet werden könnte. Der allezeit fertige Götterbote mußte das Knäblein heimlich zum Olymp hinauf holen und es der Here, während sie schlief, an die Brust legen. Aber der Säugling trank mit so durstigen Zügen, daß die Göttin alsbald erwachte und ihn im höchsten Zorn losriß. Zur Erde stürzend, würde er seinen Tod gefunden haben, hätte ihn nicht Athene geschützt. Diese hob ihn auf und brachte ihn in die Arme der Alkmene zurück.
Bis in sein achtzehntes Jahr blieb nun Herakles in seiner Heimat und wuchs unter körperlichen Anstrengungen und kriegerischen Übungen aller Art zum kräftigen Jünglinge heran. Dann begab er sich auf seine erste Wanderung, indem er bald als kühner Jäger allerlei wildes Getier, Eber, Bären, Wölfe u.s.w. verfolgte und mit seinen Geschossen erlegte, bald als Rächer des Verbrechens Mörder und Räuber erschlug. Zurückgekehrt von diesen Zügen, fand er die erste Gelegenheit, für seine Vaterstadt ein Abenteuer zu bestehen, Erginos, der junge Beherrscher einer benachbarten Ansiedelung zu Orchomenos, hatte nämlich inzwischen Theben überfallen, mehrere Einwohner getötet und die Stadt gezwungen, ihm alle Jahre einen Tribut von hundert Stieren zu bewilligen. Allerdings war dies nicht ohne Anlaß geschehen. Denn ein Thebaner hatte ihm seinen Vater Klymenos tödlich verwundet, und für diese That Vergeltung zu üben betrachtete der Sohn als Kindespflicht. Als er jedoch abermals nach Theben schickte, um den Tribut einfordern zu lassen, war Herakles soeben zurückgekommen. Dieser schnitt den Herolden nach der grausamen Sitte wilder Zeiten Nasen und Ohren ab, band ihnen die Hände mit Binsenseilen über dem Nacken zusammen und ließ dem Könige sagen, das sei der Tribut, den er ferner erhalten könne. Sogleich machte sich Erginos mit den Seinen auf, um den Schimpf blutig zu rächen und Theben noch einmal zu überfallen; aber jetzt zog ihm Herakles mit seinem Vater Amphitryo und einer Schar reisiger Thebaner entgegen, Amphitryo blieb tapfer kämpfend im Gefechte, allein dafür erlegte Herakles auch den Erginos, schlug die andern in die Flucht und zwang sie den bisher empfangenen Tribut doppelt wieder zu erstatten.
Nach diesem Siege vermählte er sich mit der Megara, einer edeln Fürstentochter, und es wurden ihm drei Söhne geboren. Aber der alte Haß der Hexe war noch nicht erloschen. Sie verfinsterte die Seele des Helden, daß er in Wahnsinn versank; und in diesem schrecklichen Zustande ermordete er einst seine eigenen Söhne samt denen seines Bruders Iphikles. In furchtbarer Raserei warf er sie ins Feuer, und erst als die That geschehen war, kam dem Unglücklichen die Besinnung wieder. Er entsetzte sich vor sich selbst, und legte sich, die ungeheure Schuld zu büßen, die Strafe freiwilliger Verbannung auf.
Gattin und Freunde und Unterthanen verlassend, wanderte er tiefsinnig nach Delphi und fragte die Pythia, wo er fortan wohnen solle. Das Orakel antwortete, nur dann werde er seine Frevel sühnen, wenn er zum Könige Eurystheus nach Mykenä gehe, diesem zwölf Jahre dienstbar sei und alles gehorsam ausrichte, was derselbe von ihm verlangen werde.
»Mykenä? Wo lag das?« fragte Julius.
»Hier im Peloponnes liegt es«, sagte der Lehrer, »in der Landschaft Argolis.« Eurystheus war ein schwacher, feiger Mann, der den gewaltigen Gast, welcher ihm seine Dienste anbot, nicht ohne Furcht ansehen konnte. Indessen wagte er doch nicht dem Orakel entgegen zu handeln, auf welches der Fremde sich berief, und da dieser mit allen Schwüren gelobte, ihm als ein treuer Knecht zu dienen, so nahm er ihn endlich auf. Aber arglistig beschloß er von Stunde an, ihm nur solche Aufträge zu geben, die ihn in den ersten Tagen seines auf zwölf Jahre gestellten Gelübdes das Leben kosten sollten.
Jetzt folgen nun die sogenannten zwölf Arbeiten des Herakles, die er auf Eurystheus' Befehl verrichtet haben soll. Die Dichter weichen aber in der Aufzählung derselben so sehr voneinander ab, daß man, wenn man ihre verschiedenen Angaben vereinigen wollte, wohl noch um die Hälfte mehr herausbringen könnte. Einige nennen dagegen nur zehn Arbeiten. Ohne Rücksicht auf die Zahl will ich euch die berühmtesten derselben nennen.
Das erste dieser Abenteuer ist die Erlegung des nemeischen Löwen. Nemea hieß ein Gebirgsthal im nördlichen Argolis.
Hierher hatte sich der Sage nach ein gewaltiger Löwe verirrt, der in den Herden der ringsum wohnenden Ackerbauer fürchterlich hauste. Er war vom drachenhäuptigen Typhon gezeugt, und menschliche Waffen schienen ihn nicht verwunden zu können. Daher wagte sich niemand mehr aus seiner Hütte hervor, aus Furcht, dem Ungeheuer zu begegnen; noch weniger dachte jemand daran es zu erlegen.
Herakles machte sich mit Pfeil und Bogen auf, außerdem trug er in seiner Rechten eine Keule, die aus dem behauenen Stamme eines jungen Ölbaums bestand, den er einst auf dem Helikon mit der Wurzel ausgerissen hatte. Diese Wurzel, hart und knotig, aber gleichfalls behauen, bildete den Kopf der Keule. So gerüstet suchte er die bezeichnete Gegend auf, fand die Fußstapfen des Löwen im Sande, verfolgte sie einen ganzen Tag und durchirrte den Wald nach allen Seiten hin, ohne das Tier selbst zu finden. Endlich am Abend sah er es langsam einen Bergpfad herab steigen und auf sich zu kommen. Er versteckte sich hinter einem Baume, spannte seinen Bogen, und als der Löwe ihm nahe genug gekommen war, schnellte er los. Aber der wohlgezielte Pfeil prallte kraftlos ab. Der Löwe, stutzend, sah sich nach dem verborgenen Jäger um, der gleich darauf einen zweiten, ebenso wohl gezielten Pfeil, aber auch ebenso fruchtlos entsandte. Jetzt schüttelte das Tier grimmig seine Mähne, krümmte sich zusammen, wie ein Reif sich unter den Händen des Böttchers krümmt, und sprang mit einem gewaltigen Satze auf den Helden los. Dieser hatte schon den Bogen aus der Hand geworfen und die Keule mit beiden Händen erhoben, und ehe der Löwe noch die fürchterlichen Krallen ihm ins Haupt schlagen konnte, schmetterte er demselben den astigen Ölbaum mit solcher Gewalt an die Stirn, daß das Ungeheuer betäubt zurücktaumelte, die Augen verdrehte und sinnlos hinsank. Schnell wirft Herakles nun die Keule weg. Er springt hinter den Löwen, tritt mit beiden Füßen auf die Krallen seiner Hinterbeine, umspannt ihm den Unterleib mit seinen Schenkeln und den Hals mit den Armen, und hebt so den Vorderleib in die Höhe. Vergebens windet sich der Löwe. Er vermag nicht sich loszumachen; immer enger umklammern ihn die Arme des Helden, bis er endlich röchelnd verendet. Jetzt aber war Herakles in einer neuen Verlegenheit. Er wollte dem Löwen die Haut abziehen, um sie dem Eurystheus als ein sicheres Zeugnis der glücklich vollführten That vorzeigen zu können, und hatte doch weder Schwert noch sonst eine schneidende Waffe. Allein auch hier half ihm seine natürliche Stärke. Er machte an irgend einer Stelle einen Einriß in das Fell, riß dann immer weiter und vollendete auf diese Art das Werk mit seinen bloßen Händen. Triumphierend warf er dann die Beute als Mantel um seine Schultern, zog die Kopfhaut über sein eigenes Haupt und wanderte in diesem Aufzuge zum Schrecken und Staunen aller Begegnenden in Mykenä ein. Auch Eurystheus erschrak und wollte ihn in argwöhnischer Furcht zuerst gar nicht vor sich lassen; ja die Sage erzählt, er habe sich in ein ehernes Faß unter der Erde geflüchtet und dem Herakles befohlen, künftig die Beweise seiner Kämpfe nur vor den Thoren zu zeigen.
Bald sann Eurystheus auf ein Mittel, den gewaltigen Dienstmann aufs neue gefährlich zu beschäftigen. Denn seine Nähe erfüllte ihn mit Sorgen, und dem vornehmen Schwächling ist nie wohl in der Gesellschaft eines Untergeordneten, der ihm an innerer Kraft überlegen ist.
Die Gegend von Argos ernährte damals ein anderes Ungeheuer, eine Wasserschlange, die lange eine Geißel der Menschen und der Herden gewesen war. Sie hieß von den Sümpfen bei Lerna, wo sie sich aufhielt, die lernäische Hyder. Neun Köpfe hatte dies Scheusal, und daran nicht genug, war einer derselben unsterblich, während die andern acht gar nicht abgehauen werden konnten, ohne sich sofort und zwiefach zu erneuern. Denn sobald ein Kopf herunter geschlagen war, wuchsen an dessen Stelle aus dem hervorquellenden Blute im Augenblicke zwei andere hervor.
Das Untier hielt sich in einem Sumpfe bei der Quelle Amymone verborgen und ward selten gesehen. Als endlich Herakles dasselbe entdeckt hatte, befahl er seinem Waffenträger Iolaos ein Feuer im Walde anzuzünden und ihm die Spitzen seiner Pfeile glühend zu machen. Mit diesen feurigen Geschossen nun lockte er die Hyder endlich hervor. Aber es war ein grauenvoller Anblick, wie sie den ungeheuren Leib daherwälzte und drohend ihre neun Häupter emporstreckte und aus den weitgeöffneten Rachen die schwarzen Zungen hervorzischten. Mit vorgehaltenem Schilde und funkelndem Schwerte sprang der Held auf sie ein, und mit raschen Hieben flog Kopf auf Kopf herunter, so daß er das Werk schon gethan zu haben glaubte, als zu seinem Schrecken aus jeder Wunde zwei neue Köpfe sichtbar wurden, die noch viel gräßlicher als die ersten nach ihm schnappten. Schon fühlte er den einen Fuß von den Windungen des Scheusals umschlungen und sah sich gleichzeitig von einem riesengroßen Krebs gepackt, der der Wasserschlange zu Hilfe eilte. In dieser Not denn die Köpfe vermehrten sich ja mit jedem neuen Hiebe kam ihm ein glücklicher Einfall. Er befahl dem Iolaos mit Feuerbränden herbeizuspringen und jede frisch geschlagene Wunde auszubrennen, und so gelang es ihm den raschen Nachwuchs zu ersticken und auch dieses Abenteuer glücklich zu vollenden. Denn zuletzt flog auch der mittelste, für unsterblich geltende Kopf herunter; den vergrub er in der Erde und wälzte einen schweren Stein darauf. Den Körper der giftigen Hyder aber hieb er in Stücke, und in das schwarz hervorströmende Blut tauchte er seine Pfeile, um sie durch dieses Gift unfehlbar tödlich zu machen.
Herakles kam fröhlich von seinem neuesten Siege zurück und erwartete vom Eurystheus einen andern Befehl, zumal dieser die zweite Arbeit nicht für gültig erklärte, weil Iolaos dabei geholfen hatte. Sie erwies sich auch durch das Gift der Pfeile noch in anderer Beziehung unheilvoll, wie wir bei dem Untergange des schwergeprüften Helden sehen werden. Die dritte Arbeit war den beiden vorigen ähnlich. Einen Löwen und eine Schlange hatte der Held schon erlegt, jetzt sollte er auf einen Eber Jagd machen, der in den Klüften des Berges Erymanthos in Arkadien sein Lager hatte und davon in der Mythologie den Namen des erymanthischen Ebers führt. Um aber dem unermüdlichen Helden die Arbeit noch mehr zu erschweren, verlangte der König, daß er den Eber lebendig nach Mykenä bringe.
Herakles machte sich auf und nahm seinen Weg über das Gebirge Pholoë, welches von dem Kentauren Pholos, der es bewohnte, seinen Namen hatte. Dieser nahm ihn gastfreundlich auf und setzte ihm gebratenes Fleisch vor, indes er selbst nach uralter Sitte noch rohes aß. Auch Wein wollte er ihm geben, allein er hatte nur ein einziges Faß, ein Geschenk des Dionysos, das dieser Gott vor vier Menschenaltern allen Kentauren gemeinschaftlich mit dem Befehle verehrt hatte, es so lange unberührt zu lassen, bis Herakles zu ihnen kommen würde. Indem nun Pholos den Spund herauszog, verbreitete sich ein so starker und lieblicher Duft aus dem köstlichen Fasse, daß alle Kentauren aus der Nachbarschaft herbei gelaufen kamen und mitzutrinken begehrten. In kurzem waren sie alle berauscht und fingen untereinander Händel an. Umsonst suchte der ehrliche Pholos ihren wilden Hader zu schlichten; er ward von den Blindwütenden zuerst getötet. Da ergriff seinen Gast gerechter Zorn; er fuhr mit seiner Keule auf die trunkenen Kentauren los dergestalt, daß viele tot blieben, andere die Flucht ergriffen. Seinen Gastfreund aber begrub er, wie sich's gebührte, und nach Vollziehung dieser heiligen Pflicht ging er nach Psophis, um den Eber aufzusuchen. Nachdem er ihn aufgefunden, scheuchte er ihn mit gewaltigem Geschrei aus einem Dickicht auf und jagte ihn in tiefen Schnee, wo er bald ermüden mußte. Dann verfolgte er ihn mit geschwungener Keule so lange im Gebirge, bis das Tier zuletzt erschöpft stecken blieb. Hier drückte er es mit starken Armen vollends nieder, band ihm dann Hinterbeine und Vorderbeine, und lud es so auf seinen Rücken. Als nun Herakles mit dieser gefährlichen Bürde beladen heim zog, sah ihm männiglich voller Verwunderung nach. Doch wagte niemand ihn zu fragen; denn er schien allen, die ihn sahen, mehr ein Gott, als ein Mensch zu sein. Eurystheus aber schreckte vor dem Anblicke des grimmigen Keulers so zusammen, daß er sich wieder in sein unterirdisches Gewölbe flüchtete.
Noch eine Reihe ähnlicher Thaten hat die Sage vom Herakles aufbewahrt, und kaum gab es irgend ein starkes oder gefürchtetes Tier in Griechenland, das er nicht bezwungen hätte. So soll er dem Eurystheus einmal einen feuerschnaubenden Stier aus Kreta, ein andermal zwei berühmte Rosse aus Thrakien, noch ein andermal eine der Artemis geweihte Hirschkuh lebendig gebracht haben. Diese letztere hatte ein goldenes Geweih und eherne Füße; kein anderes Wild kam ihr an Schnelligkeit gleich. Ein ganzes Jahr lang hat er das seltsame Tier über Berge und Thäler, durch Wälder und Wiesen verfolgt, bis es endlich ermüdet nach dem arkadischen Flusse Ladon flieht und, indem es denselben durchschwimmt, vom Herakles verwundet und ereilt wird. Ein anderer Auftrag des Eurystheus ging dahin, die Gegend um den See bei Stymphalos in Arkadien von ungeheueren Schwärmen großer Wasservögel zu befreien, die den Bewohnern jener Landschaft lange Zeit sehr lästig gefallen waren, und die mit ihren ehernen Flügeln, Klauen und Schnäbeln große Verwüstungen anrichteten. Es sind dieselben Stymphaliden, denen auch die Argonauten im Pontus begegneten.
Sie hatten die ganze Gegend verheert und verpestet; Menschen und Tiere mußten vor ihrem räuberischen Andrange weichen. Da scheuchte Herakles sie mit einer lautschallenden Eisenklapper, die ihm Athene geschenkt hatte, aus ihren Verstecken hervor und erlegte sie dann mit seinen Pfeilen.
Dem Eurystheus ward es indessen fast schwerer immer neue Preisangaben zu ersinnen, als es dem Herakles ward dieselben zu lösen. So fiel ihm unter andern einmal sein Gastfreund Augeias (oder Augias), König in Elis, ein, der für einen Sohn des Sonnengottes galt und einer der reichsten Fürsten seiner Zeit war. In mächtigen Pferchen standen hier dreitausend Rinder, und diese Pferche waren seit dreißig Jahren nicht gereinigt.
Hm! dachte Eurystheus, der seinem Dienstmanne immer häßlichere und maßlosere Arbeiten auferlegte, das muß ein hübscher Haufen Mist sein! Wenn ich dem Herakles auftrüge, diese Ställe in einem Tage zu reinigen, so wäre das dann am Ende doch wohl noch ein stärkeres Stück, als Löwen und Drachen zu besiegen.
Er rief den Helden herbei und machte ihm diesen Vorschlag. Dieser, ohne einen Augenblick zu zögern, erklärte sich zu dem schmachvollen Werke bereit, nahm seine Löwenhaut und seine Keule und wanderte nach Elis.
Als er dort angekommen war, hörte er von dem Augeias viel Böses erzählen. Er war ein gewaltthätiger Mann, den sein Reichtum übermütig gemacht hatte. Die benachbarten Fürsten, unter andern Neleus, der Vater des nachmals so berühmten Nestor, führten bittere Klagen über ihn. Solchem Menschen so ganz ohne Lohn und Dank einen höchst wichtigen Dienst in seiner Wirtschaft zu leisten, schien dem Herakles geradezu unrecht zu sein. Er schwieg daher wohlbedacht von dem Befehle des Eurystheus, und kehrte bei dem Augeias durchaus als Fremder ein.
Dieser konnte nicht unterlassen vor seinem Gaste mit seinen Reichtümern zu prahlen und ihm alle seine Viehstände zu zeigen, Herakles bewunderte die Menge der trefflichen Rinder und Schafe; »aber«, fügte er lächelnd hinzu, »der Mist! der Mist!«
»Ist ein notwendiges Übel!« antwortete achselzuckend Augeias. »Wer kann ihn auch jetzt nach fortschaffen! Freilich gäbe ich viel darum, wenn er heraus wäre,«
»Was gäbst du wohl, wenn ich ihn dir hinausschaffte?«
»Hm!« sagte Augeias, »das wirst du doch nicht thun wollen. Würdest's auch nicht können, du ganz allein!«
»Was giebst du mir, wenn ich's ganz allein in einem Tage vollbringe?«
»In einem Tage?«
»Giebst du mir den zehnten Teil deiner Herden?«
»Mit Freuden.«
»So nehme ich dich zum Zeugen, Phyleus!« sagte Herakles hierauf zu dem daneben stehenden Sohne des Augeias. »Und nun gieb mir geschwind einen Spaten.«
Er ergriff das Grabscheit und ging an den Fluß Penëus, der nahe an den Ställen vorüberfloß. Er grub einen Kanal bis an die Mauer des Stalles und führte einen zweiten Kanal von der jenseitigen Mauer an bis in den Alpheios, einen andern Fluß, der gleichfalls in der Nähe vorüberströmte. Nach diesen mühsamen Vorbereitungen rief er eines Morgens den Augeias und seinen Sohn herbei und sagte ihnen: »Nun habt acht, wie ich mein Wort lösen werde! An diesem einen Tage sollen alle diese Pferche gereinigt sein, wie ich versprochen habe.«
Er stieß darauf die untere Mauer ein, und das Wasser stürzte sich in die Viehhöfe, brach an der andern Seite durch die gleichfalls geöffnete Wand hindurch und führte allen Unrat durch Herakles' Nachhilfe mit sich fort in den Alpheiosstrom. Hierauf verschüttete Herakles die Gräben wieder, setzte auch die Mauer wieder zu, badete sich und trat dann vor Augeias hin, um den ihm verheißenen Lohn zu fordern.
Dieser war aber schon vom Anfange an nicht willens gewesen sein Wort zu halten, oder vielmehr hatte er es gar nicht im Ernste gegeben. Denn wie hatte er sich vorstellen können, daß so etwas nur möglich sei? Auch fehlte es ihm nicht an einem trefflichen Vorwande für einen Wortbruch; denn er hatte unterdessen erfahren, daß Herakles diese und ähnliche Arbeiten auf Befehl des Eurystheus verrichten müsse. Er warf ihm also gar noch Unredlichkeit vor, weil er sich einen unerlaubten Gewinn habe zueignen wollen, und zeigte sich bereit sich jedem schiedsrichterlichen Ausspruche zu unterwerfen. Da erhob sich Phyleus, sein eigner Sohn, gegen ihn und sagte: »Wohlan, wenn ich Schiedsrichter wäre, so müßtest du die Stiere herausgeben; denn du hast es versprochen, und dieser Mann hat wahrlich Wunder vor unsern Augen gethan und wäre wohl noch größeren Dankes wert, mag ihn gesandt haben wer es sei!«
Über solche Worte höchlich ergrimmt, verbannte Augeias seinen Sohn samt dem Herakles aus Elis, ehe noch der schiedsrichterliche Ausspruch erfolgte. Aber nachdem die zwölf Dienstjahre verflossen waren und Herakles wieder sein eigener Herr geworden, führte diesen einst ein Zug durch den Peloponnes auch nach Elis. Hier vereinigte er sich mit den längst erbitterten Nachbarfürsten des Augeias, führte ihre Leute gegen denselben an und erschlug ihn selbst mit seiner Keule. Er setzte hierauf den bis dahin verbannten Phyleus in seine Güter ein und empfing von ihm statt des zehnten Teils der Herde ein anderes so reiches Geschenk, daß er davon den Tempel des Zeus zu Olympia erbauen lassen konnte, von welchem schon vorher die Rede gewesen ist. Doch fällt diese That erst in eine spätere Zeit seines Lebens, und noch haben mir mehr von jenen Jahren der Knechtschaft zu erzählen, während deren der Held dem Eurystheus zu dienen verpflichtet war.