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Die lebenvolle Heiterkeit, welche von des Professors hoher Stirne strahlte, und seine bewegliche Persönlichkeit im liebenswürdigsten Lichte erscheinen ließ, wurde in etwas getrübt und verdüstert, als der Blick der Besuchenden sich jener magischen Uhr zukehrte, mit welcher deren Besitzer schon so oft seine Freunde, wie auch Fremde, in Erstaunen gesetzt hatte – jene Uhr, die aus der Entfernung seinem Winke gehorchte, welche ging oder stand, wie es ihm beliebte, und Stunden zeigte, wie sie ihm beliebten.
Als Wolf ihn bat, die Uhr spielen zu lassen, sprach der Professor flüsternd: »Ich muß Eure Excellenzen bitten, sich diese Uhr als gar nicht vorhanden zu denken. Dieses Instrument stimmt mich trübe. Ich ziehe es nicht mehr auf, ich verschwur schon seit einigen Jahren, jemals wieder mit derselben zu experimentiren.«
»Und dürfen wir fragen,« erhob Goethe die sonore Stimme: »weshalb Sie den Entschluß faßten, dieses gewiß kostbare Instrument völlig außer Gebrauch zu setzen?«
»»Kostbar, ja wol kostbar!«« seufzte der Professor. »Eure Excellenz gebrauchen, wie stets, so auch hier, das richtigste Wort. Sie ist kostbar, diese Uhr – sie kostet ein Menschenleben.«
»»Wie so?«« warfen beide besuchende Freunde die Frage auf.
»Es ist eine düstere Geschichte« – ließ der Professor sich vernehmen. »An einem öffentlichen Orte in Braunschweig kam die Rede auf diese Uhr. Es waren Militairs zugegen. Ein braunschweigischer Officier vom Leibregimente unseres gnädigsten alten Herrn, der die Uhr kannte und bei mir gesehen hatte, rühmte deren wunderbare, unbegreifliche Eigenschaften. – ein preußischer Officier vom Regimente unseres Prinzen Friedrich Wilhelm bespöttelte die Erzählung des Braunschweigers, und als dieser darauf verletzt antwortete, nannte jener die Erzählung eine alberne Lüge. Was konnte die Folge solchen traurigen Zwiespaltes anders sein als ein Duell? Der Preuße fiel, der Braunschweiger bekam Festungsarrest; ich aber gelobte mir mit einem heiligen Eide, nie wieder durch Vorzeigen des geheimnißvollen und allerdings den Laien unerklärlichen Kunstwerkes Anlaß zu solcher Gräuelthat zu geben.« –
Da sich gegen derlei höchst moralische Beweggründe nichts einwenden ließ, so folgten die Freunde aus dem größeren Saale willig in ein anderes Gemach, in welchem sich die berühmte Gemäldesammlung vermuthen ließ; es war aber von Bildern an den Wänden vieles und wesentliches nicht zu entdecken, sondern es enthielt dasselbe einen Theil der großen Instrumentensammlung, nebst Modellen, und es wurde von dem Besitzer stets aufs neue und mit großer Vorliebe darauf hingedeutet, wie dieses und jenes physikalische Instrument das sei, welches zunächst und unmittelbar bei der Erfindung aus des Künstlers Händen hervorgegangen. So die Guericke'schen Halbkugeln und seine Luftpumpe, nicht minder die Luftpumpen anderer Erfinder, der Heronsbrunnen, Modelle verschiedener Guillotinen, Franklins Harmonika und unzähliges andere. Für diese zahlreichen Proben künstlerisch mechanischer Thätigkeiten war dem klassisch gelehrten Professor Wolf der Sinn ungleich minder erschlossen, wie seinem allen Radien des wirkenden Menschengeistes mit Eifer, Scharfsinn und Neigung folgenden Gefährten, der auch gern die Gelegenheit wahrnahm, den begleitenden Sohn auf Gegenstände aufmerksam zu machen, die man anderwärts nicht so leicht wieder zu schauen bekam – so daß schon jetzt Geheimrath Wolf merkliche Unruhe zeigte, und leise zu Goethe äußerte, dieß Uebermaaß von zu betrachtenden Gegenständen wirke verwirrend und abspannend auf seine Nerven. Indeß mahnte jener eben so leise zu noch einiger Geduld, und jetzt öffnete der Professor sein Schlafzimmer, in welchem ein hohes mit schwerem Damastbehang prunkendes Himmelbette stand, und hier standen nun, fast allen Raum versperrend, Rahmen auf Rahmen gelehnt, oft zehn bis zwanzig auf einander senkrecht geschichtet, die viel gepriesenen Gemälde, und der Professor trug ein jegliches, das er der Beschauung darbot, mit eigener Hand aus dem Schlafzimmer in den geräumigeren Saal und auch wieder in jenes hinein, oder stellte es einstweilen an Stühle, Tische, Schränke, so daß sich auch in diesem äußeren Heiligthume der Raum mehr und mehr verengte.
Mit beredter Zunge wurde ein Bild nach dem andern vorgezeigt, seine Schönheit und Meisterschaft vor allen gepriesen, sein hoher Preis erwähnt, und wie der glückliche Besitzer Kaiser und Könige bei Versteigerungen von Gemälden, die zu besitzen er sich einmal vorgenommen, überboten habe. Die Namen großer Meister entflossen in bunten Reihen gleichsam strömend seinem Munde, und es war nicht wol möglich, auch nur zu unterbrechen, geschweige Zweifel zu wagen.
»Ich besitze alle Schulen vertreten, von den berühmtesten Meistern habe ich mindestens drei Bilder aus deren verschiedenen Lebensperioden. Sehen Sie, meine Herren, diesen Christuskopf von Raphael; diesen himmlischen Ausdruck, diese göttliche Wehmuth. Wenige Menschen vermögen bei längerem Anschauen dieses Bildes sich der Thränen zu enthalten; selbst mein heiterer, sarkastischer Freund Lichtenberg in Göttingen weinte beim Anblicke dieses Bildes. Und hier – meine Herren! Hier Michel Angelo Buonarotti! Unser Herr mit den beiden Jüngern in Emaus. Wie ruht auf Christi Antlitz die heilige Ruhe der Verklärung! Wie spiegeln die Mienen der Jünger Freude und Trauer, Verehrung und Anbetung zurück! Welche Größe, welches Feuer, welche Begeisterung des Meisters in diesem Meisterwerke! Werfen Sie einen Blick auf das Brot, das auf dem Tische liegt! Ein Lord, der mich besuchte, brachte, was ich, beiläufig gesagt, für äußerst unanständig halte, einen Hund mit, eine Dogge, und gleich schnappte die Bestie nach dem Brote, und bellte laut vor Aerger, als sie sich im Betreff des guten Bissens getäuscht sah!«
»Ich bezeichne gern jedes meiner Bilder mit einem lateinischen Distichon, auf diesem lesen wir:
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Divam faciem Christi pinxit Bonarotus,
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So ging es weiter – wenige Distichen wurden erlassen, hier waren Tintoretto's Weiber von Weinsberg, hier Joseph II., von Joseph Hickel 1778 gemalt, hier ein etwas lascives Bild von Hans Burgkmaier, den der Besitzer aber Birkmaier nannte – hier ein Albrecht Dürer – ein Tizian (heilige Nacht) ein J. von Hugtenburg, (Reitergefecht) hier Abraham vor den drei besuchenden Engeln kniend. von Luca Giordano, hier der verlorene Sohn reuig zum Vater zurückkehrend, von Joseph Ribera. Dieses Durcheinander und die für jedes und jedes Bild fast gleichbleibende begeisterte Lobspendung wurde endlich peinigend für die Beschauer – je mehr zumal der Raum um dieselben sich verengte, so daß Geheimrath Wolf endlich mit komischer Angst ausrief, wie der Professor wieder in das Schlafzimmer gegangen war, um abermals ein anderes Bild herauszuholen: »Hilf Himmel, wir werden eingemauert in Bildern! Ein umgekehrter Bildersturm!« und lauter: »Bester Herr Professor! Entschuldigen Sie gütigst! Ich muß mich entfernen! Einstweilen danke höflichst und herzlichst!«
Und eilend entwich der Geheimrath, nicht ohne Gefahr, einige der rings um nur lose hingestellten Gemälde über den Haufen zu rennen – und unaufhaltsam durch die Gemächer iti den Flur, ins Freie.
Goethe aber athmete auf, denn des Freundes mehr und mehr sich zeigende Ungeduld bei weit geringerer Selbstbeherrschung, als der große Mann sich angeeignet, hatte ihn bedrängt und einen unangenehmen Ausbruch fürchten lassen.
Stoisch ertrug Goethe noch eine beträchtliche Weile die Vorzeigung und Lobpreisung eines Bilderschwalles, der ihn umfluthete, wie die Wasser seinen »Zauberlehrling.« Denn da drängten sich die Raphaele, die Correggios, Tiziane, Paolo Veronese, Lenardo da Vinci, Guido Reni, Guilio Romano, zwischen die sich Stücke von Lucas Cranach, Rubens, Heinrich Golz, Salvator Rosa, Lucas von Leiden, Georg Basari, J. Elias Ridinger, Wouvermann und andern Meistern schoben, fast traum- und fabelhaft, und neben diesen Meistern tauchten wieder Namen auf, wie Walther, Glauber, Stuhr, Kupetzki, Elsheimer, denen allen gleiches Lob wie jenen widerfuhr, so daß einem kunstverständigen Beschauer in der That zuletzt hören und sehen vergehen mochte.
Gleichwohl wurde dennoch Goethe, wie derselbe später aufrichtig bekannte, für den Unmuth, den manches Bild von zweifelhafter Aechtheit oder ganz unterordnetem Werthe erregte, »durch den Anblick trefflicher Bilder getröstet« – und für die beharrliche Geduld belohnt, mit welcher er bei dem vergönnten wechselvollen Genusse nebst dem Sohne aushielt. So fand derselbe ein unschätzbares Bild von Albrecht Dürer, Eigenportrait des berühmten Künstlers, dem er volle Bewunderung zollte, aber fast erschreckt wahrnahm, wie die Grille des Eigenthümers dieses Kleinod ohne Rahmen oder sonstigen Schutz gelassen, und es herumfahren ließ, stets der Gefahr ausgesetzt, umgestoßen zu werden, zu bersten oder am Boden sich auf dem Sande abzuscheuern, ein Gedanke, der jeden Kunstfreund erzittern machen könnte.
»Aber mein bester Herr Hofrath! Ich bitte Sie denn doch um Gottes Willen, wollen Sie dieses herrliche Bild nicht einrahmen lassen?« rief Goethe besorgt aus. »Ich möchte dasselbe in der That für die Krone Ihrer Sammlung erklären! Wie leicht bricht ohne sichernden Schutz dieß dünne Bretchen, auf welches wir von des Künstlers Hand so unnachahmlich schön sein jugendliches Antlitz gezaubert sehen!«
Der Professor lächelte fein zu dieser Besorgniß, und erwiederte: »Sehen Sie, mein Herr Geheimrath, es ist vom Jahre vierzehnhundertdreiundvierzig und Nummer vierundsiebenzig meines Katalogs, und es steht einmal in demselben verzeichnet: sur bois, sans cadre. Lasse ich es nun umrahmen, so könnte jemand glauben, es sei nicht das rechte. Aber ich bitte, drehen Sie es doch gefälligst um, und lesen Sie mein Distichon. Hochdieselben werden dasselbe gewiß sinnreich und treffend ausgedrückt finden.«
Goethe las:
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»Hocce rudimentum Dureri principis artis
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und machte: »Hm, hm!« Weder erbaute den Dichter das Distichon, noch den Kenner die seltsame Gleichgültigkeit gegen das edelste Bild bei so viel Emphase in der Anerkennung fast völlig werthloser Stücke.
Eben so zog ein Bild von Peter Paul Rubens mächtig den tief forschenden Geist des bedeutenden Kenners an. Es zeigte eine Marktscene, eine angesehene Bürgerfrau, von einer Magd gefolgt, feilschte beim Gemüsekram einer Hökin, während die Dienerin mit einem Burschen liebäugelte, und die Magd der Hökin einen heimlich nach Obst langenden Knaben mit einem Handklapps bedrohte; ein Bild voller Lebens welches Goethe vollsten Beifall und laut ausgesprochene Bewunderung abgewann; diese überbot aber der Besitzer nun noch dadurch, daß er nicht nur triumphirend das unvermeidliche Distichon recitirte:
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»Rubens, qui miro pingendi excellit honore,
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sondern auch bei der kühnen Behauptung, daß die stattliche, allerdings reich gekleidete Bürgersrau wirklich Rubens Gemahlin darstelle, blieb, was Goethe ziemlich in Zweifel zog. Sollte der gefeierte Künstlerfürst eine Freude daran gefunden haben, die Züge seiner Elisabeth einer bürgerlichen Gemüseeinkäuferin zu leihen? –
Doch darüber, um die unermüdliche Freundlichkeit und Güte des stets neue Bilder aufdeckenden alten Mannes nicht abzuschrecken, weiter keine Worte verlierend, warf der berühmte Gast die Aeußerung hin: »Schade ist es denn doch, diese zahlreichen Bilder nicht ein wenig nach Zeiten, Meistern und Schulen gesondert in geordneten Reihen an lichthellen Wänden zu erblicken, wo ihr Eindruck ein dem Beschauer nicht nur angenehmerer, sondern auch bezüglich der Lichtwirkung dem Urtheil ungleich förderlicher sein würde!«
»»Excellenz halten zu Gnaden!«« entgegnete rasch der Professor. »Die große Anzahl der Gemälde aufzuhängen, verstatten die mir zu Gebote stehenden Räume nicht, obschon deren viele sind. An den Wänden umher hängend, würde es doch unmöglich sein, die stets auf der hintern Seite angebrachten Distichen den Beschauern zu zeigen, oder man müßte jedesmal das Bild abheben. Der Ordnung nach Zeiten und Schulen bedarf es nicht, diese sind dem Kenner ohnehin bekannt, und für den Nichtkenner sind dieselben nicht vorhanden; dieser letztere rückt ein ächt byzantinisches Bild auf Goldgrund und ein gestern gemaltes russisches Heiligenbild auf Goldgrund, das im gleichen stehen bleibenden Typus ausgeführt ist, auf eine Stufe. Excellenz wissen, wie selten Bilder aus den ersten Jahrhunderten nach Christus sind; mein ältestes datirt aus dem vierten Jahrhundert. Hochdieselben sollen es sogleich sehen.«
Goethe antwortete auf diese Aeußerung nichts, aber er hob die Hand empor und legte sie an seine klassisch geformte Jupiterstirn, als werde es ihm schwül unter derselben, dann schüttelte er das gelockte Haupt, und brummte wieder vor sich hin: »Hm hm« – und schwieg gedankenvoll. – Das Bild kam an – sein byzantinischer Ursprung ließ sich nun zwar in keiner Weise verkennen, dennoch erschien die Composition, der Tod der Maria in Gegenwart der heiligen Dreieinigkeit, zu figurenreich, um dem Bilde ein so sehr hohes Alter zuzuschreiben, aber der Eigenthümer fand seine Gründe in mancherlei Merkmalen, und ließ sich auf Widerlegung abweichender Ansichten in keiner Weise ein. Er trug mit der gleichen Ueberzeugung ein das fünfte Jahrhundert vertretendes Bild herbei, wieder eine Maria mit dem Jesusknaben, und wie er das erste einem hellenischen Mönche zugeschrieben hatte, (» Helladicus monachus« sprach das Distichon aus) so war auch dem zweiten sein Urheber, pictor graecus bestimmt, und mit gleicher zuversichtlicher Unfehlbarkeit wurden auch die Vertreter nachfolgender Jahrhunderte bis in das fünfzehnte vorgewiesen, in welchem Zeitraum nun die altdeutsche Schule sich nicht mehr verkennen ließ, und die chronologische Folge sichereren Boden gewann – wo es aber Goethe an der Zeit schien, dem die Gedanken verwirrenden Strome einen Damm zu setzen, indem er mit heiterer Ironie die Worte sprach: »Bester Herr Hofrath – Wir müssen's dießmal unterbrechen, die nächsten male mehr davon.«
Auf diese schönen Schaugerichte folgten dann insgemein wirkliche, reichliche, die der Gastgeber, wie immer den Kreis seiner Geladenen anmuthig, munter und jugendlich belebend, mit Humor und Laune, oder mit Erzählungen erlebter wundersamer Abenteuer, oder auch Schilderungen von künftig noch vorzuzeigenden Herrlichkeiten würzte, auch wol die Tafel eiligst verließ, um alsbald mit den erwähnten Gegenständen zum Kreise der Gäste zurückzukehren, und nun begann, vorzeigend zu erläutern und erläuternd vorzuzeigen.
So lenkte er bei solcher Gelegenheit die Rede auf einen seiner geschichtlichen Lieblinge, Gustav Adolph, den großen Schwedenkönig; er hatte die werthen Gäste aus Weimar und Halle bereits früher aufmerksam gemacht auf Gemälde von demselben, es lag eine ganze Mappe voll Kupferstiche und fliegender Blätter bereit, die alle nur Gustav Adolph darstellten; ein besonderes Münzkästchen war nur ihm gewidmet, dann aber kamen ganz eigentliche Reliquien an die Reihe vorgezeigt zu werden; zwar befand sich nicht der zu Stockholm, Wien, Dresden, auch Schloß Schwarzburg und sonst wo aufbewahrte Kollet von Elennshaut mit dem Loche, das die silberne Kugel verursachte, dabei, aber doch ein Paar Handschuhe und ein Stück Manschette. Der glückliche Besitzer dieser braunen Lederhandschuhe, welche keineswegs die tückische Enge unserer heutigen Glacéhandschuhe hatten, zog aus dem einen Handschuh die nicht mehr vollständige Manschette, und aus dem andern ein altes Stück Papier mit triumphirendem Lächeln, das er der ganzen Gesellschaft vor Augen hielt. Man sahe, daß das Papier mit einem Ringpetschaft untersiegelt war, es schlug sich aber unter demselben ein Stückchen Papier in die Höhe, welches den Stempel eines kaiserlichen geschworenen Notarius publicus bedeckte.
»Was könnte glaubhafter sein, als ein Document, das ein beeidigter kaiserlicher Notar ausstellte und untersiegelte!« rief der Besitzer aus, und begann zu lesen: »Daß in einer am vierten Februar siebenzehnhundert und einundachtzig im kaiserlichen Gasthause zu Braunschweig gehaltenen Versteigerung von Gemälden, Kupferstichen, Gewehren und anderen artigen und raren Antiquen, so weiland Herrn von Münchhausen zuständig gewesen« – Kaum entschlüpfte der Name Münchhausen dem Munde des Vorlesers, als niemand vermochte, schallendes Gelächter zu unterdrücken, denn in noch allzu frischem Andenken war der Hannoversche Freiherr dieses Namens, dessen abenteuerliche Schnurren Bürger herausgegeben, und Wolf war es, der zuerst rief: »Ein schlimmer Gewährsmann, Herr Hofrath! ein schlimmer Gewährsmann« – aber der Lesende ließ sich das alles mit nichten anfechten, blieb völlig ernst und las, nachdem er die Zuhörer hatte zu Ende lachen lassen: »Nummer dreiundachtzig, ein Paar Handschuhe mit einer Manschette und der Anmerkung: Diese Stücke hat der König Gustavus Adolphus gebraucht und ist das sub Numero dreiundachtzig verzeichnete von dem Herrn Hofrath und so weiter erstanden worden, und wird hiermit sub fide mea notariali beurkundet. Gebhardt, Advocatus et Notarius publicus caesareus et juratus.«
Gänzlich unbekümmert darum, ob die Hörer an die Aechtheit dieser Handschuhe, deren Form und Arbeit allerdings auf die Zeit des dreißigjährigen Krieges zurück und auf einen vornehmen Besitzer hinwies, glaubten oder nicht glaubten, beseitigte der Professor schnell alles Vorgezeigte; die Manschette und die Urkunde zogen sich wie Schnecken in ihre Häuser in das bergende Handschuhepaar zurück und anderes trat an ihre Reihe.
Da ward denn doch auch manches würdige Alterthum nach Verdienst anerkannt und bewundert, zugleich ergab sich aufs neue die gute Gelegenheit, den Besitzer von so mancherlei Herrlichkeiten, Seltenheiten und Kunstwerken glücklich zu preisen, wie andererseits zu beklagen, daß ihm kein Erbe lebe, der einst, des Eigenthümers Andenken ehrend, diese unschätzbare Sammlung beisammen halten würde.
Bei einer solchen Bemerkung schien der Professor von einem schmerzlichen Ergriffensein bewegt zu werden. Er wandte sich ab, ging nochmals in sein Schlafzimmer, und kehrte bald aus demselben mit dem Brustbilde eines jungen Mannes zurück, das, wie es Goethe geschildert hat, von der Art war, wie man hunderte sieht, nicht ausgezeichnet, weder anziehend, noch abstoßend, und sprach: »betrachten Sie sich, meine Hochverehrtesten, diesen jungen Mann. Ich habe ihn erziehen lassen, ich habe bedeutende Summen auf ihn verwendet, ich hatte ihn ausersehen, einst in den Besitz meines ganzen Vermögens zu kommen – wenn er den Lebensweg ging, den ich ihm vorzeichnen wollte, zum Theil auch bereits vorgezeichnet hatte. Aber wie unbesonnene und unbedachte Jugend denkt, urtheilt und handelt, so erging es hier. Mein Unterricht zog jenen Jüngling nicht an, er gewann zu mir nie eine Herzensneigung, er ging undankbar und trotzig seinen eigenen Weg, und ich mußte ihn ziehen lassen. Wie glücklich wäre ich, wenn ich, der ich so allein stehe, einen begabten Jüngling oder Mann fände, der mir sich liebevoll verbindend, mir einst die Augen zudrückte!«
Wie weit diese Reden aufrichtig gemeint waren, vermochte niemand zu beurtheilen, als vielleicht nur der einzig halb und halb Vertraute, Bergrath von Crell, und gerade diesen trafen sie verletzend und schmerzlich, denn er war ja der Mann gleicher Wissenschaft, der Chemie, er war der Enkel eines Mannes, der den Professor geistig gehoben und gefördert, und seinen Ruf als Arzt wie als Chirurg hatte begründen helfen – warum wurde ihm denn nun nicht das volle Vertrauen geschenkt, das er durch stete verehrende Anhänglichkeit an den alten wunderlichen Herrn zu verdienen glaubte und auch wirklich verdiente? –
Crell fühlte tief und ahnte noch tiefer – er glaubte, den ihm sonst allerdings sehr wohlgesinnten und wohlgeneigten Freund und Gönner recht genau zu kennen, und wunderte sich jetzt doch im Stillen über die psychologische Sonderbarkeit oder Grille mit dem Vorzeigen dieses Bildes – aber er äußerte sich in keiner Weise.
Als jedoch die Gäste schieden, verzögerte Crell seinen Hinweggang und blieb allein bei dem Gastgeber zurück, der ihn befremdet anschaute und fragte: »Nun, mein lieber Lorenz Florenz? Haben wir noch etwas auf dem Herzen? Vielleicht noch ein kleines Dürstchen? Beliebt noch ein Fläschchen Tokaier Ausbruch mit mir auszustechen? Stehe von Herzen gern zu Dienste.«
»»Das nicht, werthvoller Gönner und Freund!«« entgegnete Crell. »Eine Frage nur: Fopptest Du nicht vorhin aus einer Anwandlung curioser Laune die ganze Gesellschaft mit dem Bilde?«
»Ei, wie so? Kennst Du etwa das Bild, trauter Lorenz Florenz?« fragte der Professor anscheinend heiter und unbefangen zurück – innerlich aber doch in etwas beunruhigt.
»Nun wie sollt' ich nicht?« gegenredete der Freund. »Es war das Bild des Sohnes Deines alten Dieners, Deines Pathen, des Gottfried, aus jüngeren Jahren. Zu diesem Manne kannst Du doch unmöglich in einem solchen Verhältnisse gestanden haben, wie Du andeutetest, und wenn Du vielleicht Gründe hattest, ihn zu lieben – so hast Du ihn sicher nichts davon merken lassen, und seine Natur artete sich anders, wie die Deine. Du hättest ihn früher mehr an Dich heranziehen sollen – so war er immer zu scheu, er wagte gar nicht den kühnen Gedanken, Du könntest ihm mehr sein wollen, als ein Gebieter.«
»»Ganz gut, mein lieber Lorenz Florenz«« – gegenredete, einigermaßen etwas unruhig, gespannt, prickelnd, der Professor: »aber was soll es? Was willst Du mit dem allen?«
»»Nichts«« – versetzte der jüngere Freund. »Ich will Dir blos etwas sagen, was Du, der doch bekanntlich alles weiß, doch noch nicht zu wissen scheinst. Es ist das eine, daß Du ein Unrecht begangen hast gegen den Gottfried, und es ist nur gut, daß die Fremden nicht wissen, wer gemeint war; ein Unrecht, sage ich, dadurch, daß Du ihn als undankbar geschildert hast. Weißt Du denn, carissimo Gottfrede, Wer jenen damals zu Braunschweig im Duell gefallenen preußischen Officier forderte, weil dieser unglückliche junge Mann sich beigehen ließ, Dich zu schmähen, Dich zu beschimpfen, und ihn im Zweikampfe niederstach?«
Mit großen Augen starrte der Professor den Sprecher an.
»Der Förster zu Neustadt unter der Harzburg, Herr Gottfried Leonhard, that es!« rief betonend der Bergrath. »Dein Pathe war es, der keinen Schimpf auf Dir sitzend leiden wollte – jetzt darf man davon reden – die Sache wurde damals vertuschelt; der Fürster verschwand eine Zeit lang, man weiß nicht, war er außer Landes, oder saß er irgend wo im Stillen seine Strafe ab. Ich aber wollte Dir nur so viel sagen: Ein Undankbarer hätte das nicht gethan, hätte Deine Ehre ruhig beschimpfen, Deinen Namen besudeln lassen. Und darum denke besser von ihm, und habe recht gute Nacht!«
Der Bergrath wartete keine Antwort ab, sondern ging.
Der Professor war voller Erstaunen – war auf das höchste überrascht. Er wußte allerdings das noch nicht, was Crell ihm so eben mitgetheilt hatte, es überstürmte ihn eine Fluth von Selbst-Vorwürfen, von peinlichen Gefühlen – von Beschämung, und da solche Gefühle seinem Gemüthe völlig fremd waren, so wirkten sie um so drückender und verstimmender auf ihn ein, und bereiteten ihm eine schlechte, unruhevolle Nacht, und keinesweges die gute, die Crell ihm angewünscht hatte.
Der Mann, von dem die Rede gewesen war, waltete indeß längst wieder in gewohnter, ruhiger und pflichtmäßiger Thätigkeit fort, als eines Tages ein ältlicher zerlumpter Mann in den Hof trat, und obschon von den Hunden umbellt, mit den Worten: »Weidmannsheil, Herr Förster! Ein alter vacirender Jäger bittet um ein Viaticum!« Gottfried anredete, der so eben im Begriff war, einen Birschgang anzutreten. In diesem Augenblicke schoß Tiro herbei, sprang an dem Fremden in die Höhe, indem er ein Wuthgeheul ausstieß und schnappte ihm nach der Gurgel. Mit Mühe und mit zornigem Zuruf und Schlägen wehrte der Förster den Hund von dem Bettler ab, von dessen verwüstetem und blatternarbigem Gesichte bereits durch eine leichte Verwundung Seitens des Hundes Blut floß – und erkannte den Mann von großem Bruche her – und Christoph Wurzer erkannte ihn, den verhaßten Todfeind.
Die Wuth des kaum zu bändigenden, und doch sonst so guten und ruhigen Hundes fiel dem Förster auf, ein Gedanke durchblitzte ihn, und er rief dem Bettler höhnend zu: »Ha! Weidmannsheil vom Gaudieb aus dem großen Bruch! Mordschütze und Hundeschläger vom Rathsfelde! In den Nobiskrug Die Hölle. mit Dir, Du gottvergessener nichtsnutzer Halunke!«
»»Den sucht' ich gerade hier«« – versetzte Wurzer vor Wuth zitternd: »und vermeine, ich sei nicht unrecht. Darum grüßt' ich das Handwerk und den Herrn Collegen. Danke für das Viaticum und werd's nicht vergessen!«
Damit wandte sich der Strolch zum raschen gehen, indem er mit zerrissenem Tuche das Blut seiner. Wunde trocknete. Der Förster sah ihm finster nach und murmelte vor sich hin: »Mein feindseliger Dämon. Doch ich stehe in Gottes Hand.«