Ludwig Bechstein
Märchen
Ludwig Bechstein

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Sonnenkringel

Es war ein Mann auf der Wanderschaft, der war aller Zehrung bar und allen Zehrgeldes und wußte nicht, wovon er in der nächsten Herberge die Zeche zahlen sollte. Und da kamen ihm böse Gedanken in den Sinn – wenn einer käme, der am Gelde etwas zu schwer trüge, so wollte er ihm wohl seine Last erleichtern. Und wo der Wald recht tief war, sah dieser Wanderer einen anderen Wanderer vor sich her gehen, beeilte seine Schritte und holte jenen bald ein – und sah, daß der, den er einholte, ein Jude war. Da dachte er gleich: Juden haben immer Geld – und schrie ihn an: »Jud! Gib mir auf der Stelle dein Geld, oder du mußt sterben.«

»Soll mir Gott helfen!« sprach der Jude, »hab ich doch nicht mehr Geld als acht armselige Heller! Was tut Ihr damit? Wollt Ihr vor Gott die große Sünde begehen und einen Menschen totschlagen um acht Heller?«

»Jud, du lügst! Ohne Geld reist kein Mauschel. Heraus mit dem Gelde – oder –!«

»Wehe mir! Wehe geschrien!« rief voll Angst der Jude. »Habe ich doch nicht mehr, als ich Euch sage!« Aber jener hörte schon nicht mehr in seiner tollen Raubsucht und schlug den armen Juden nieder, und dieser rief im Sinken: »Wehe geschrien über dich, du Mörder! Die klare Sonne soll an den Tag bringen deine Missetat, das allsehende Auge des Firmamentes!«

Mit diesen Worten verschied der Jude, und nun suchte sein Mörder ihm alle Taschen aus, er fand aber nur ein kleines schlaffes Lederbeutelchen und darin in der Tat nicht mehr und nicht minder als acht rote Heller. Da war es ihm doch leid, daß er den schnöden Mord verübt – und als er in die Sonne sah, erschrak er, denn sie stand ganz blutrot – und er rannte eilend von dannen – im Walde aber sammelten sich die Rotkehlchen und trugen Blumen herbei und legten sie sanft auf das Angesicht des Erschlagenen, damit das Schrecknis der Menschheit nicht des Waldes heiligen Frieden störe. Der Mörder aber wanderte, so weit er nur vermochte, von jener Stelle fort und konnte nicht mehr in die Sonne sehen. Am andern Morgen war es ihm wie ein böser, böser Traum – aber der Traum verfolgte ihn lange, und die Sonne erinnerte ihn fort und fort an den Todesruf des erschlagenen Juden. Endlich ward er ruhiger in seinem Gemüte, arbeitete fleißig und gewann, da er sonst ein leidlicher Geselle war und sich sehr still und zurückhaltend hielt, die Neigung einer Meisterstochter, mit der er eine Zeitlang in glücklicher Ehe lebte. Nicht häufig dachte er mehr an seine Untat, nur vor der Sonne hatte er eine gewisse Scheu, doch fragte er sich endlich selbst: »Wie soll sie's denn anfangen, die liebe Sonne, es an den Tag zu bringen? Der Jude ist längst vergessen, ich bin viele Meilen fern von jenem Lande – reden kann die Sonne nicht, schreiben kann sie auch nicht. Ich habe mich für nichts so lange vor ihr gefürchtet und geängstigt.«

Eines Morgens brachte die Frau ihrem Manne seine Tasse Kaffee; er goß einen Teil desselben aus der Obertasse in die Untertasse, und zufällig schien die Sonne hell hinein, da bildeten sich von der bewegten Flüssigkeit an der Stubendecke bewegte, zitternde Lichtkringel infolge der Abspiegelung, und des Mannes Blicke fielen zur Decke empor. Er glaubte, er sei allein, und sprach vor sich hin: »Meinst du Sonne, du könnest es an den Tag bringen, weil du dort hinauf die zitternden Kringel zeichnest?«

»Was soll die Sonne an den Tag bringen wollen, Mann?« fragte laut die Frau – und der Mann erschrak heftig. Lebhaft drang sie in ihn, es ihr zu sagen, als er stockte und nichts bekennen wollte. Aber die Frau ruhte nicht eher, bis er, nachdem sie das tiefste Schweigen ihm angelobt, ihr erzählte, daß er einst einen Juden im Walde erschlagen habe, der habe im Sterben gerufen: »Die klare Sonne soll an den Tag bringen deine Missetat, das allsehende Auge des Firmamentes!« und nun habe die Sonne doch nichts an den Tag gebracht; sie könne nichts als leuchten und wärmen und Kringel an der Wand oder an der Decke machen.

Die Frau hörte das, schauderte und schwieg; aber das unselige Geheimnis drückte ihr fast das Herz ab, beunruhigte sie Tag und Nacht, und stets aufs neue erinnerte sie die Sonne daran. Sie konnte es nimmermehr auf dem Herzen behalten, sie erzählte es unter dem heiligsten Siegel der Verschwiegenheit ihrer liebsten Freundin – diese trug es weiter, bald vernahmen es die Richter. Da wurde der Mörder festgenommen und gestand alsbald alles; er war recht froh, als es heraus war, und empfing, nachdem er zum Schwert verurteilt war, mit Fassung den Todesstreich. In derselben Stunde aber lief seine schwatzhafte Frau auf den Boden und knüpfte sich an einem Balken auf.

 


 


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