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III. Staatsverwaltung und Gesezgebung.

Mohammed und die ersten Kalifen waren alles in einer Person: Kriegsherren, Hohepriester, Finanzverwalter und Richter. Handelte es sich um wichtige Angelegenheiten, so wurden die Erfahrensten zusammenberufen und mit ihnen gemeinsam beratschlagt. Doch die rasche Ausdehnung des Reiches machte diesem patriachalischen Zustand bald ein Ende. Omar I. war schon genötigt, eine Rechnungskanzlei einzurichten, die das Steuer- und Finanzwesen unter sich hatte. Moawija gründete auch eine Staatskanzlei, welche die Korrespondenz mit den Statthaltern und den Heerführern zu besorgen hatte, denn bereits hatte sich Omar genötigt gesehen, in den einzelnen Provinzen Statthalter zu ernennen. Der Umfang und Siz dieser Statthaltereien wie die Machtbefugnisse derselben wechselten häufig. Jeder Kalife nahm ihm gutdünkende Aenderungen vor und oft hatten diese keine andere Veranlassung, als rein persönliche Rücksichten auf den, der eben den Posten inne hatte. Laune, Gunst und Fraueneinfluß spielten bei Besezung der Posten ihre Rolle.

Die Statthalterschaft teilte sich in die beschränkte und unbeschränkte. Die unbeschränkte erlaubte dem Statthalter, nach Belieben in seinem Territorium zu schalten und zu walten; er war nur verpflichtet, den Ueberschuß der Staatseinnahmen an die Kasse des Kalifen abzuliefern. Welche Willkür hierbei möglich war, braucht nicht hervorgehoben zu werden. Neben der obersten Leitung des gesammten Militär- und Kriegswesens, lag dem Statthalter die Aufsicht über die Rechtspflege und die Erneuerung der Richter (Kadi) ob; er ernannte die Steuerbeamten, schrieb die Steuern aus und ordnete die Art ihrer Erhebung an. Die öffentliche Sicherheitspflege (Polizei) war ihm unterstellt und ebenso galt er als der Beschüzer der Religion und hatte das offizielle Freitagsgebet und die Predigt in der Moschee zu halten. Der Mohammedaner feiert den Freitag als heiligen Tag der Woche, wie der Jude den Samstag, der Christ den Sonntag. Ferner hatte er die Ordnungen für die jährliche große Pilgerkarawane nach Mekka zu treffen und für ihre Sicherheit und glückliche Rückkehr zu sorgen. Die beschränkte Statthalterschaft unterschied sich von der ersteren dadurch, daß sie alle diese amtlichen Funktionen nach den Weisungen der Kalifen auszuführen hatte. Die einzelnen Statthalter ernannten häufig wieder Unterstatthalter, die sich nach ihren Weisungen zu richten hatten und in allem von ihnen abhingen. Starb der Statthalter oder verlor er aus irgendeinem Grunde seinen Posten, so waren auch alle diejenigen ihres Postens verlustig, die ihm ihre Ernennung verdankten, es sei denn, daß der Nachfolger sie im Amt bestätigte. Auch kam der Mißbrauch auf, daß sich die Höflinge mit einer Statthalterschaft belehnen ließen, selbst aber den Posten nicht versahen, sondern ihn durch einen Bevollmächtigten verwalten ließen, der ihnen eine bestimmte Einnahme sicherte.

Da troz dieser Dezentralisation der Verwaltung die Geschäfte an deren Zentralsiz sich so häuften, daß der Kalife allein sie nicht übersehen konnte, dieser auch nicht selten zu unfähig oder zu träge dazu war, und es vorzog, seinen Vergnügungen und Schwelgereien obzuliegen, so entstand unter den Abbasiden das Wezyrat. Der Wezyr war nach unseren heutigen Begriffen eine Art Reichskanzler, der, wenn er im Besiz des unbeschränkten Wezyrats sich befand, ganz wie der Herrscher selbst alles anordnen konnte, mit Ausnahme der Tronfolge, die zu bestimmen allerdings auch nicht in den Händen der Kalifen lag, denn in den seltensten Fällen folgte ihm ein Sohn in der Regierung nach. Grundsäzlich hing das Kalifat von der Wahl der Stämme ab; aber dazu kam es später nie. Das Parteiwesen, der glückliche Zufall oder die Entschlossenheit eines Bewerbers und seines Anhangs gaben in der Regel den Ausschlag.

Der unbeschränkte Wezyr, auch Großwezyr genannt, hatte über seine Handlungen einfach dem Kalifen Bericht zu erstatten; doch mußte er darauf bedacht sein, sich die Gunst seines Herrn, der in der Regel sehr launenhaft war, zu erhalten. Daher konnten nur Männer mit Aussicht auf Erfolg einen solchen Posten bekleiden, die es verstanden, sich in allen Lagen des Hoflebens zurechtzufinden und allen Intriguen die Spize zu bieten, andrerseits durch Geschäftskenntnis sich auszeichneten. Von einem tüchtigen Wezyr erwartete man, daß er Geist und Wiz habe, ein angenehmer Gesellschafter und ein schlagfertiger Redner sei, auch sich auf die damals üblichen gesellschaftlichen Vergnügungen und Spiele verstehe und namentlich in den vornehmsten Wissenschaften, in der Grammatik und Matematik, der Medizin und Geschichte, und in Poesie und Astrologie einigermaßen bewandert sei. Und doch retteten ihn oftmals alle diese Tugenden nicht vor einem plözlichen Sturz, bei dem nicht nur sein Leben bedroht war, sondern in der Regel auch sein Vermögen zum Besten des Schazes des Kalifen konfiszirt wurde. Ja, bei einigen der Kalifen war es Prinzip, jedem abgesezten Beamten das Vermögen einzuziehen. Auch verführte der Umstand, daß viele der höheren Beamten es verstanden, in kurzer Zeit riesige Vermögen zu erpressen, die Kalifen zu ihrer Amtsentsezung und Vermögenseinziehung, um den eignen leer gewordenen Schaz für eine Weile zu füllen.

Der gewöhnliche, mit beschränkter Vollmacht versehene Wezyr, bildete die Mittelsperson zwischen dem Kalifen und den übrigen Staatsorganen. Er bedurfte zu allen wesentlichen Amtshandlungen der Zustimmung des Kalifen, wie er ihm über alle vorkommenden Angelegenheiten Bericht zu erstatten hatte. Zu diesem Wezyrposten gelangten sogar Christen und Juden, sehr zum Aerger der strenggläubigen Moslimen, die in einem Falle, der einen Juden betraf, sich in folgendem Gedicht Luft machten:

Die Juden unserer Zeiten erreichten
Das Ziel ihres Sehnens und kamen zur Herrschaft,
Ihrer ist das Ansehen, ihrer ist das Geld!
Aus ihnen macht man Staatsräte und Prinzen;
O Volk Aegyptens! ich gebe dir den Rath,
Werde jüdisch, denn der Himmel selbst ist jüdisch geworden.

Der Antisemitismus unserer Tage ist nicht neuen Ursprungs.

Bei dem Verfall des Reichs waren die Kalifen manchmal genötigt, Statthalter wider ihren Willen anzuerkennen, wenn diese mit Waffengewalt sich in den Besiz eines Territoriums gebracht. Man gab ihnen die Bestätigung, um nicht den Tribut aus dem bezüglichen Lande gänzlich zu verlieren.

Mit den Einnahmen sah es freilich später schlimm aus. Um das Jahr 780 flossen jährlich 410 Millionen Dirham, gleich 328 Millionen Mark in den Schaz. Um 820 waren diese auf 371 Millionen gesunken und sie betrugen 894 nur noch 293 Millionen, aber 915 soll der Schaz nur noch 24 Millionen empfangen haben. Harun al Raschid hinterließ im Jahre 809 im Schaz 900 Millionen Dirham, die aber seine Nachfolger bald alle machten.

Beständige Kriege nach Außen, die Ackerbau und Gewerben die Arbeitskräfte entzogen, Bürgerkriege und innere Unruhen, die ganze Provinzen verwüsteten und die Wasserleitungen, jene Lebensquellen für die Vegetation im Orient, zerstörten, das Loslösen großer Territorien unter sich selbständigmachenden Fürsten, Weigerung der Statthalter, die üblichen Tribute abzuführen, endlich maßlose Aussaugungen und Bedrückungen seitens der Kalifen und Statthalter, Hand in Hand gehend mit unsinniger Verschwendung, das waren in der Hauptsache die Ursachen, welche die Verminderung der Staatseinnahmen erzeugten.

In der guten Zeit des Reichs fehlte es nicht an zum Teil ganz vortrefflichen Staatseinrichtungen. In allen Provinzen gab es Postmeister, die neben der Leitung und Ueberwachung des Postwesens die Kontrole über die Statthalter übten, und alle ihre Beobachtungen und Wahrnehmungen über deren Verhalten und ihre Maßnahmen direkt dem Kalifen sandten. Die Berichte dieser Postmeister umfaßten den Zustand des Militärwesens, der Staatsdomänen, die finanzielle Lage, das Münzwesen, den Zustand der Heerstraßen und die Lage der Bevölkerung. Ein solcher General-Berichterstatter war für die Zentralregierung äußerst wichtig, sein Posten war aber gegenüber gewalttätigen Provinzialbeamten nicht immer ungefährlich.

Das Postwesen war im Kalifenreich sehr frühzeitig und verhältnismäßig vollkommen organisirt und wurden dafür bedeutende Ausgaben aus der Staatskasse gemacht.

Unter dem Kalifen Mutamid (870-892) gab es im ganzen Reich 930 Poststationen und betrugen die Ausgaben mancher Provinzen für das Postwesen, z. B. von Irak, bis vier Millionen Dirham jährlich. In der Hauptstadt des Reiches bestand eine eigene Oberpostbehörde mit einem Vorsteher, einer Art Generalpostmeister an der Spize, durch dessen Hände die an den Kalifen gerichteten Aktenstücke und Sendungen gingen, namentlich die Berichte der Postmeister der einzelnen Provinzen, die er dem Kalifen vorzutragen hatte. Diesem Generalpostmeister lag die Ernennung der Beamten ob, und er hatte die Gehaltsauszahlungen wie den Gang der Verwaltung zu überwachen.

Bei der Gründlichkeit und Systematik, womit die Araber überall in ihren Organisationen zu Werke gingen, und wodurch sie in vielen Dingen gar manchem späteren sogenannten Kulturstaat als nachahmenswerte Muster gelten können, hatten sie auch die Abfassung besonderer Postreisebücher mit entsprechenden Karten vorgenommen, in denen Station für Station mit genauer Angabe der Entfernungen und der Lage aufgeführt war. Die Postsendungen wurden in verschiedner Art, durch Fußboten und zu Wagen, befördert; dringliche Sendungen aber vermittelst Postkourieren, die, bei einem gut geordneten Pferderelaissystem mit vorzüglichen Tieren, weite Entfernungen in ungemein kurzer Zeit zurücklegten. Auch die Taubenpost war den Arabern schon bekannt.

In allen fortgeschrittenen Staaten bildet ein geordnetes Münzwesen eine der Hauptbedingungen einer geordneten Staats- und Privatwirtschaft. Münzen gab es in dem aus so vielen Völkern zusammengesezten Reich in Menge, die sich aber oft schwer in ein richtiges Verhältnis zueinander bringen ließen, den Verkehr hemmten und der Fälschung Tür und Tor öffneten. Daher mußte es eine Hauptsorge der Kalifen sein, ein einheitliches Münzsystem zu schaffen, das dann auch der Kalife Abdulmalik (685-705) durchführte. Ebenso wurde ein gleiches Maaß und Gewicht durch das ganze Reich eingeführt und für das Münz- wie das Maaß- und Gewichtswesen eine Zentralbehörde eingesezt.

Eine hochwichtige Einrichtung, von der im heißen Morgenlande das Wohl und Wehe der Bevölkerung sehr wesentlich abhängt, ist das Bewässerungswesen. Vorderasien und Arabien sind zum größten Teil an Wäldern arm, daher der Mangel an Feuchtigkeit, die künstlich herbeigeschafft werden muß, dann aber auch dem sandigsten Boden die reichsten Erträge entlockt. Da diese Bewässerung oft durch großartige Wasserbauten erzeugt werden muß, die sorgfältig zu überwachen und im Stand zu halten sind, so erklärt sich die manchem überraschend erscheinende Tatsache, daß weite Länderstrecken Asiens, die ehemals in üppiger Vegetation prangten, und einer dichten Bevölkerung Nahrung und Lebensunterhalt gaben, heute dem Reisenden nichts als dürre Sandebenen mit spärlicher Vegetation und kaum erkennbaren Ruinen ehemaliger menschlicher Wohnstätten darbieten. Wohingegen dort, wo Dämme die Ueberflutungen verhindern sollten, wie an den Mündungen des Euphrat und Tigris, mächtige Sümpfe, die giftige Miasmen ausströmen, vorhanden sind. Wenige Jahrzehnte allgemeiner Vernachlässigung dieser Leitungen reichen hin, die Spuren ehemaliger Vegetation zu vertilgen. Da ferner die menschlichen Wohnungen und selbst die großartigsten Bauten aus wenig dauerhaftem Material gefertigt wurden, so erklärt sich, daß heute selbst von manchen früheren Riesenstädten nur kümmerliche Spuren vorhanden sind. –

Es ist eine der traurigsten Wahrnehmungen, aber auch das sprechendste Zeichen von dem allgemeinen Verfall morgenländischer Staats- und Gesellschaftsverfassung, daß sogar noch heute die Unfruchtbarwerdung der Orientländer immer weiter fortschreitet, indem die Wüsten von Jahrzehnt zu Jahrzehnt mehr Boden gewinnen, weil die heute dort existirenden Menschen und Regierungen unfähig sind, dem allgemeinen Versandungsprozeß des Landes und dem Verfall des Volks- und Staatslebens Einhalt zu tun. Erst wenn die abendländischen Völker bei sich selbst eine neue und bessere Ordnung geschaffen haben, werden sie auch ausreichend Mittel und Wege und Zeit finden, den Ländern des Orients ihre Aufmerksamkeit zu schenken, um dort dauernd einen Kulturzustand zu erzeugen, der tausend Millionen Menschen Nahrung und Lebensgenuß in reichlichster Fülle bietet.

So lange das Kalifenreich noch in seiner Jugendkraft dastand, hatten Volk und Regierungen die Wichtigkeit des Be- und Entwässerungssystems sehr wohl begriffen, weshalb sie unter großem Aufwand von Staatsmitteln, namentlich im Gebiet des Euphrat und Tigris, in Syrien, Aegypten und Spanien ein ausgedehntes Kanal- und Bewässerungssystem ins Leben riefen, oder aus früherer Zeit vorhandene Anlagen vervollkommneten. Es wurde ein Nez von Kanälen gegraben, Dämme wurden gegen Ueberschwemmungen aufgeführt, Wasserräder und Schöpfwerke gebaut, die das Wasser in die Nebenkanäle und auf die Felder zu treiben hatten. Einen größeren Teil dieser Bauten bestritt das Reich aus eigenen Mitteln, andere wurden auf Provinzial- und Privatkosten gemeinschaftlich hergestellt. Um die Tätigkeit der Privaten anzuspornen, wurde der Ausbildung des Wasserrechts besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Es wurde bestimmt, daß diejenigen, die Kanäle und Bewässerungen auf eigene Kosten angelegt, frei darüber verfügen und jedem anderen die Mitbenuzung verbieten oder verweigern konnten. Hatten mehrere zusammen genossenschaftlich Bewässerungen vorgenommen, so wurden sie ohne weiteres als juristische Person anerkannt und konnten die Anlagen kollektiv bewirtschaften; der Einzelne durfte nur unter Zustimmung der Gesammtheit Aenderungen daran vornehmen. Andere gesezliche Bestimmungen regelten das Recht an die Brunnen. Wurde ein Brunnen verlassen, so wurde er Gemeingut des Bezirks, in dem er lag. Wer einen Brunnen auf Brachland grub, durfte ihn mit einer 40-50 Ellen weiten Umzäunung versehen und Brunnen und Terrain verblieben sein Eigentum. Wer eine Quelle ausfindig machte, hatte das Recht, sie mit einer bis zu 500 Ellen weiten Umzäunung zu umgeben und durfte Quelle und eingezäuntes Land als sein Eigentum betrachten. Man bezweckte durch solche Maßregeln die Bewässerung und die Nachforschung nach Wasser zu befördern. Aehnlich verhielt es sich mit der Urbarmachung von Brachland, als welches unbebautes und unbewässertes Land galt. Wer die Urbarmachung übernahm, war Eigentümer des urbar gemachten Bodens. Dagegen durfte urbar gemachtes Feld nicht unbebaut liegen bleiben; wer dies tat, ward gezwungen, es zu verpachten oder zu verkaufen. Man ging also von der ganz richtigen Auffassung aus, daß der Einzelne mit seinem Grund und Boden nicht machen könne, was ihm beliebe, wenn durch seine Handlungsweise die Allgemeinheit geschädigt werde.

Der Instandhaltung der Ströme, Kanäle und Schleusen für die Schiffahrt wurde gleichfalls große Aufmerksamkeit geschenkt. Es gab eine besondere Wasserpolizei, welche alle nötigen Maßnahmen zu treffen und das Wasserwesen zu überwachen hatte. Bauten und Reparaturen bei Strömen, Kanälen und Schleusen für die Schiffahrt waren ausschließlich Staatssache. Da ferner in dem wüsten westlichen und nordwestlichen Teile Arabiens nicht selten Hungersnöte ausbrachen, so ließen die Kalifen einen bereits von den Ptolemäern gegrabenen Kanal zwischen Suez am roten Meer und dem Nil, der im Laufe der Jahrhunderte, wo sich niemand um ihn gekümmert, durch Versandung fast wieder verschwunden war, von neuem ausgraben. Dadurch wurde es möglich, aus dem Inneren Aegyptens zu Wasser der arabischen Wüstenbevölkerung billig Nahrungsmittel zuzuführen, auch diente diese neue Wasserstraße nun als wichtiges handels-politisches Verbindungsmittel, indem sie auf einem kleinen Umweg durch den Nil vermittelte, was heute der Suezkanal leistet, sie stellte die Verbindung des Mittelmeeres mit dem roten Meere und dem indischen Ozean her.

Für den Verkehr zu Lande wurde in der Weise gesorgt, daß auf den Heerstraßen in gewissen Entfernungen auf Staatskosten Unterkunftshäuser für Menschen und Tiere, sog. Karawansereien, errichtet wurden, in deren unmittelbarer Nähe sich Brunnen oder Cysternen befanden. Auch in den Städten gab es öffentliche und unentgeltliche Herbergen für mittellose Reisende und empfingen diese auch lange Zeit Geldmittel aus der Staatskasse und zwar aus dem Sadakahfonds.

Eine dem Kalifenreiche eigentümliche Erscheinung war eine fast unbegrenzte Selbstverwaltung der Gemeinden, die noch heute im Orient wesentlich vorhanden ist. Nur wurde die Benutzung der öffentlichen Straßen und Pläze zur Errichtung von Verkaufsständen und Bazaren als Staatssache betrachtet und flossen die Einnahmen hieraus in den Staatssäckel. Die ganze übrige Verwaltung war den Gemeindegliedern überlassen. Die Andersgläubigen genossen dabei das Recht, ihre religiösen und Erziehungsangelegenheiten ganz selbständig zu ordnen und zu verwalten, auch war ihnen die Rechtsprechung in Streitigkeiten unter sich überlassen. Nur wenn ein Moslimen dabei beteiligt war, kam die Sache vor den Kadi.

Mit dem Verfall des Kalifenreichs stieg der materielle Druck. Schon unter den Abbasiden war die Liste der Steuern ansehnlich gewachsen. Es zeigte sich auch hier, daß stets die Machthaber verstehen, wenn sie Geld brauchen, auch Steuerobjekte ausfindig zu machen. Früher waren im Kalifenreich Konsumsteuern unbekannt, diese wurden jezt in ausgedehntem Maße erhoben. Die Steuer von den Bergwerken und Weidegründen war bis auf ein Fünftel ihres Ertrags gestiegen und es kam vor, daß die verschiedenen Steuern mehr als die Hälfte des Bodenertrags oder des Einkommens verschlangen. In den ersten zwei Jahrhunderten des Kalifenreichs bestand überall Freizügigkeit, es gab innerhalb des weiten Reiches keinerlei Zoll- und Steuerschranken; als aber die einzelnen Statthalterschaften sich unabhängig machten und den Kalifen nur noch formell anerkannten, änderte sich dies. Die einzelnen Territorien schlossen sich gegeneinander ab. Im zehnten Jahrhundert, dem vierten der Hedschra, als die Staatseinkünfte immer schmäler wurden, aber die verschwenderischen Kalifen und ihr Hofstaat mehr als früher brauchten, entstand bei diesen der Gedanke, die Staatseinnahmen ganzer Provinzen an einzelne Häuptlinge oder Günstlinge in Pacht zu geben. Ja der Kalif Muktadir (908-931) übertrug sogar die Verwaltung des ganzen Staatswesens an seinen Wezyr, der die Kosten desselben bestritt und dem Kalifen eine bestimmte Summe ablieferte, dabei aber natürlich sein sehr gutes Auskommen fand. Unterschlagungen, Erpressungen, Bestechungen, namentlich auch bei dem Rechtsuchen, denn die Kadis genossen durchschnittlich keinen guten Ruf, Brandschazungen, Steuererhöhungen und Auflage neuer Steuern kamen auf die Tagesordnung und brachten die Bevölkerung rasch im Wohlstand herunter.

In der Mitte des vierten Jahrhunderts der Hedschra war die Macht der Kalifen fast nur noch auf Bagdad und Umgegend geschränkt, alle Provinzen des Reichs befanden sich in den Händen selbständiger Machthaber oder fremder Eroberer. Besonders waren es türkische Volksstämme und Fürsten, die um diese Zeit das Reich bedrängten und schließlich das Kalifat ganz in die Hand bekamen. Ums Jahr Tausend gab es drei Kalifate und zwar in Bagdad, in Kairo in Egypten und in Cordova in Spanien. Im Kalifat Codova herrschte ein Zweig der Omajjaden. In Bagdad hatten zwar formell noch die Abbasiden das Kalifat in Händen, tatsächlich herrschten die Seldschuken'schen Türken. Diese aber bekamen so weit die Gewalt in die Hände, daß sie dem Kalifen die Summen auszahlten, mit denen er auskommen mußte, bis sie schließlich die Erbschaft ganz antraten und ihre Sultane vom Jahre 1538 an, fünfzehn Jahr vor der Eroberung von Konstantinopel, auch den Kalifentitel annahmen.


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