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Zehntes Kapitel.
Was dem Magister im Walde begegnete.

Gott sei Dank, daß das Komödiespielen nun ein Ende hat,« rief der Apotheker seinem Subjekt entgegen, als dieser in das Laboratorium trat. »Ich habe seither immer eine geheime Angst ausgestanden, daß Ihr über den Possen die Tinktur vernachlässigen würdet. Schaut nur her, wie das funkelt und strahlt. Diesmal geräth's. – Habt Ihr den Xylander mit nach Hause gebracht?«

Fritz Hederich berichtete über das Verbleiben des Magisters. »Mit diesem,« fuhr Herr Thomasius fort, »wird man nun hoffentlich wieder ein vernünftiges Wort sprechen können; in den letzten Wochen war durchaus nichts mit ihm anzufangen. Seht, Fritz, mit der Poeterei ist's just wie mit der fallenden Sucht. Vor einem Anfall ist der Patient tagelang ein halber Narr, dann fällt er um, schäumt und rast und schlägt mit Händen und Füßen um sich. Ist der Anfall glücklich überstanden, so wird der Patient ruhig und ist ein ganz vernünftiger Kerl, mit dem sich's gut auskommen läßt. Schlimm ist's freilich, daß sich so ein Anfall wiederholt, und daß der Hirnkasten doch am Ende darunter leidet. Darum sind auch Stadt- und Hofpoeten meistens so verrückte Käuze. – Versprecht mir, Fritz, daß Ihr kein Poet werden wollt.«

Das konnte Fritz mit gutem Gewissen versprechen.

»Nun will ich Euch meinen Platz überlassen,« schloß der Apotheker, »und morgen müßt Ihr wohl oder übel von früh bis Abends Stand halten, denn mich rufen Geschäfte nach Ammerstadt, vor Einbruch der Nacht aber bin ich wieder hier. Bei dieser Gelegenheit will ich auch Nachfrage halten, ob für Euch irgendwo eine Stelle offen ist. Aber ehe wir die Tinktur fertig haben, lasse ich Euch nicht ziehen. Gute Nacht!«

Am andern Morgen um sieben Uhr war Herr Thomasius auf dem Wege nach Ammerstadt, und während er zum unteren Thor hinausfuhr, zog der Magister, bewaffnet mit einem indischen Rohr, aus dem oberen Thor den bewaldeten Bergen zu. In der Tasche trug er, sorgfältig eingewickelt, kaltes Fleisch und Brot, eine Taschenausgabe des Poeten Horatius und eine wohlgefüllte Flasche aus gekörntem Glas.

Der Erfolg des gestrigen Abends, die wiedergewonnene Huld seines Landesherrn, die rosenfarbige, mit güldenen Gnadenkettlein und Lorbeerkränzen verbrämte Zukunft – das alles hatte die Brust des Magisters Hieronymus Xylander dermaßen schwellen gemacht, daß es ihm in seinem Museo schier zu enge wurde, und er den Entschluß faßte, einmal einen ganzen Tag curis expeditis herumzuschweifen, wie dies die beiden römischen Poeten Virgil und Horaz zu ihrer Zeit gethan hatten. Als vorsichtiger Mann hatte er zuvor Erkundigungen eingezogen, ob der Wald sicher sei, und erst, nachdem er von zuverlässiger Seite die Versicherung erhalten hatte, daß weder Buschklepper, noch wildes Gethier, Eichhörnchen ausgenommen, in dem Gebirge hausten, war er in der genannten Ausrüstung fortgegangen.

Das Wandern war sonst des Magisters Sache nicht; an sonnigen Sonntagsnachmittagen pflegte er wohl einen Spaziergang zu machen, das heißt, er ging zu einem Thor hinaus und kam zum andern wieder herein oder umgekehrt, aber eine Wanderung querfeldein war ihm noch nicht in den Sinn gekommen.

Nicht einmal als Knabe hatte er an den Streifzügen seiner Kameraden Theil genommen. Wenn sich diese in Feld und Wald tummelten, sei es, um zu spielen, sei es, um Vogelnester auszunehmen oder Zwetschen zu stehlen, saß der kleine Hieronymus Holzmann daheim bei seiner Mutter und half ihr bei den häuslichen Geschäften, und während sich im Winter die Jugend im Schnee und auf dem Eis vergnügte, zog er vor, am warmen Backofen zu kauern, um den Erzählungen der weitgereisten Gesellen zuzuhören, oder ein lehrreiches Buch zu lesen, etwa das Zauberschloß in der Höhle Xa-Xa, oder die vier Haimonskinder, oder die Abenteuer des Herzogs Ernst von Schwaben. Seine Schulkameraden verspotteten ihn zwar und nannten ihn einen Ofenhocker, aber Hieronymus machte sich nichts daraus, mied, eingedenk des Bibelspruches: »So dich die bösen Buben locken, so folge ihnen nicht,« ihren Umgang und betrug sich stets wie ein gesitteter Knabe. Dafür sah er aber auch immer sauber aus, brachte niemals ein blaues Auge, eine blutige Nase oder Löcher in den Höslein mit nach Hause und war deshalb der Liebling der Mutter.

In späteren Jahren, als der Magister seiner Studien halber reisen mußte, blieb er hübsch auf der Landstraße und begnügte sich, Berge und Wälder aus der Ferne zu beschauen. Die heutige Wanderung war die erste derartige in seinem Leben, und wenn er etwas bedächtig waldeinwärts schritt und seine Augen halb neugierig, halb ängstlich umherschweifen ließ, so wird man ihm das ebenso wenig verübeln, als dem Bauernbuben, der zum ersten Mal die Hauptstadt betritt, das Gaffen und Maulaufsperren.

Der Magister betrachtete sich alles mit Muße und schritt dabei nicht allzuhastig weiter. Plötzlich wurden die Bäume lichter, und ein Wasser blinkte auf.

»Das ist vermuthlich ein See,« sagte der Magister, »obgleich er nicht blau aussieht, wie ihn die Poeten schildern, sondern vielmehr schwärzlich grün; das Ding müssen wir uns einmal in der Nähe betrachten.« Er ging vorwärts, hemmte aber plötzlich erschreckt seinen Fuß, denn platsch, platsch! sprangen kleine Gestalten vom Ufer in's Wasser.

Des Magisters erste Gedanken waren Nixen und Elfen, im nächsten Augenblick aber belächelte er diese Gedanken und schämte sich seines Schrecks, denn ihm kam zu guter Zeit die Erinnerung an die oft gelesene Erzählung von den Bauern, die von der erzürnten Latona in Frösche verwandelt worden waren.

Vorsichtig schlich er näher, und richtig, da guckte ein dicker Kopf aus dem Wasser. Der Dichter der Hochzeit zu Kana hob den Stock auf, um dem Frosch eins zu versetzen, als aber der Stock in's Wasser klatschte, tauchte der grüne Bursche unter, und dem Magister spritzte das Wasser in's Gesicht. Er wiederholte den Angriff noch mehrmals, denn er hätte gar zu gern einen der verwandelten Bauern in der Nähe betrachtet, jedoch immer mit demselben Erfolg. Daß dabei sein linker Fuß in den sumpfigen Boden allmählich einsank, bemerkte er im Eifer der Jagd nicht eher, als bis ihm das kalte Wasser in den Schuh drang, – einen Schrei ausstoßen und einen Satz nach rückwärts machen, war eins.

»Das hätte übel ablaufen können,« sagte er, während er seinen Schuh an Gras und Moos abputzte. »Vorsicht, Hieronymus, Vorsicht!«

Der kleine Schreck war indeß bald vergessen, der Magister zog weiter und freute sich seiner Begegnung mit den Fröschen, die nun hinter ihm drein quakten.

» Sub aqua maledicere tentant,« sagte er erfreut, »schade, daß ich meinen Ovidius Naso nicht zur Hand habe, jetzt an Ort und Stelle den betreffenden Abschnitt zu lesen, das müßte fürwahr ein Genuß sein.«

Dabei erinnerte er sich seines Horaz. Er zog ihn aus der Tasche, und da er bereits etwas müde geworden war, so beschloß er, ein wenig zu rasten und eine Ode zu lesen.

Er suchte sich einen bequemeren Platz aus, breitete sein Nastüchlein auf's Moos, setzte sich nieder und las:

Integer vitae scelerisque purus etc.

Bekanntlich theilt Horaz in dieser Ode mit, er sei, seine Lalage besingend, im Sabiner Wald spazieren gegangen und einem Wolf begegnet, dieser aber habe die Flucht ergriffen. Daraus zieht nun der Dichter den merkwürdigen Schluß, daß einem braven Mann kein Unglück auf der Reise passiren könne.

Diese Ode, die so recht in seine Lage paßte, las der Magister mit großer Befriedigung. Er nahm sich vor, gleichfalls seine Lalage, welche Else Thomasius hieß, zu besingen, um einen etwaigen Wolf in die Flucht zu schlagen, mußte sich aber zu seinem Schrecken bekennen, daß er bis dato noch kein Carmen auf Else Lalage verfertigt habe, welches er jetzt singen könne.

»Das soll meine erste Arbeit sein,« sprach er, klappte seinen Horaz zu und simulirte im Weitergehen auf einen Anfang. Dabei störten ihn aber die Baumwurzeln, die über den Weg liefen.

»Die Farbe meines Elselein –« Hopp!
Ist weißer als kein Hermelein –« Hopp!

»Nein, es ging nicht, er sah ein, daß er das Dichten auf eine ruhigere Stunde verschieben müsse, und er beschäftigte sich wieder mit der Außenwelt.

»So ein Wald ist ein hübsches Ding,« sagte er bei sich, aber einförmig ist er dennoch; unten Moos, in der Mitte Bäume und oben Himmel. Und unter den Bäumen ist gar keine Abwechselung.«

Er blieb stehen und nahm einen Tannenzweig in die Hand.

»Da ist eine Nadel just wie die andere; auf die Länge, glaube ich, wird das sehr langweilig.«

»Piep,« zirpte es dicht neben dem Magister. Er schaute auf und entdeckte auf dem nächsten Ast einen winzig kleinen Vogel, der auf dem Kopfe goldig glänzende Federn hatte. Von diesem Vogel mußte er schon einmal gehört haben. Richtig, jetzt fiel's ihm ein. Seine selige Mutter hatte ihm oftmals das Märchen von dem wunderbaren Vögelein erzählt, welches ein güldenes Krönlein trägt und eitel güldene Eier legt. Das kleine Ding war außerordentlich keck; da saß es kaum eine Armeslänge entfernt und blickte den Magister mit großen Augen an. In diesem wurde das Raubthier wach, und wie vorhin nach dem Frosch, so schlug er jetzt mit dem Stock nach dem Goldhähnchen, aber – o Wunder! – das kleine Geschöpf hüpfte nur um ein Zweiglein weiter und blieb daselbst sitzen, indem es höhnisch zirpte und den mordgierigen Xylander unverwandt ansah. Dem Magister stand der Verstand still. So etwas hatte er nie von einem Vogel erlebt; das übertraf sogar die Unverschämtheit des Raben Jakob. Es rieselte ihm kalt den Rücken hinunter, und er schritt eiligst von dannen.

Als er sich eine Strecke entfernt hatte, kam ihm sein Muth wieder, und er begann sich im Stillen eine Vorlesung über seine Furchtsamkeit zu halten.

»Sei ein Mann!« sagte er laut, und »Mann, Mann!« hallte es zurück, daß er zusammenfuhr.

»Hieronymus, Du bist in der That wie ein Kind,« sprach er lächelnd zu sich, »und erschrickst am Ende vor Dir selber. Aber das kommt daher, daß ich noch nicht gefrühstückt habe.«

Er trachtete aus dem Dickicht herauszukommen, denn in dem Dämmerlicht des Hochwaldes war es ihm doch zu unheimlich, als daß er sich mit rechter Lust den Freuden des Schmausens hätte hingeben können. Darum schritt er vorwärts, umging klüglich hemmende Wurzeln und zerrende Hecken und gelangte glücklich auf eine Waldblöße, von der aus er tief unten im Thal die Stadt liegen sah. Bei dem Anblick der Dächer und Schornsteine schwand seine Beklemmung völlig, er setzte sich auf einen Baumstumpf, das Gesicht dem Thal zugekehrt, und nahm seinen Imbiß in Angriff.

Es schmaust sich angenehm im Grünen. Diese Bemerkung machte jetzt der Magister, und kauend schaute er vergnügt auf seine Umgebung. Gras und Kraut um ihn her bog und schmiegte sich im Wind, in der Luft tanzte allerlei kleines Gethier, und auf dem Boden rannten bunte Käfer geschäftig hin und her, während andere geschickt an den Halmen emporkletterten. Häuserschnecken zogen wie müde Karrengäule langsam ihres Weges, und die grünen Heupferde sprangen lustig über jedes Hinderniß hinweg. Das war eine ganze Welt im Kleinen.

Wie der Magister seine Augen auf den Boden heftete, um die Kreatur zu betrachten, bemerkte er mehrere kugelrunde Steine, die halb aus der Erde hervorschauten. Mit Hilfe seines Stockes hob er einen heraus, nahm ihn in die Hand und wunderte sich über die steinerne Stückkugel. Er versuchte sie zu zerschlagen, und nachdem er sie in dieser Absicht mehrmals gegen einen Stein geschleudert hatte, zersprang sie endlich in zwei Stücke.

»Nein, ist das wieder eine Überraschung!« sagte der Magister halblaut, als er das Innere der Kugel mit dichtgedrängten, blitzenden Krystallen bekleidet sah. »Das Ding will ich dem Herrn Thomasius mitbringen, dem wird es sicherlich große Freude machen. Welche Pracht!«

»Habt Ihr etwas gefunden?« fragte urplötzlich eine Stimme hinter dem Magister.

Dieser ließ den Stein aus der Hand fallen und drehte sich erschreckt um. Hinter ihm stand ein altes, ärmlich gekleidetes Männlein, welches ein großes Bündel Wurzeln und Kräuter trug.

»Ach, Ihr seid's, Herr Magister!« sagte der Alte grinsend und zog seinen runden Filzhut. »Ich dachte schon –«

»Woher kennt Ihr mich?« fragte der Magister nicht eben besonders freundlich.

»Wie sollte ich Euch nicht kennen,« versetzte jener, »komme ich doch alle Sonnabend in die Löwenapotheke, um dem Herrn Thomasius meine Kräuter zu verhandeln. Habt Ihr mich denn nie gesehen? Ich bin der Wurzelpeter.«

Der Magister erinnerte sich jetzt, den alten Kräutermann gesehen zu haben, und seine Gesellschaft hier im Walde kam ihm nicht gerade unerwünscht; er reichte dem Alten etwas Brot und Fleisch, welches dieser auch dankbar annahm.

»Habt Ihr etwas gefunden?« fragte er abermals.

»Freilich,« antwortete der Magister, »seht nur die schönen glitzenden Steine!«

»Das ist nichts; Gold, Gold müßt Ihr finden,« versetzte der Wurzelpeter mit gedämpfter Stimme. »Liegt viel Gold da herum; wer's nur zu finden verstände. Seht, hier wächst Goldmilz und Widerthon; die zwei Kräutlein zeigen allemal an, daß Gold verborgen unter der Erde liegt. Wer's aber heben will, der muß mehr können, als Brot essen. Die Kugel da,« er zeigte auf den Stein in der Hand des Magisters, »ist noch nicht reif, und es ist schade, daß Ihr sie zerschlagen habt; in ein paar Jahren wäre das Gold vielleicht darin gewachsen.«

Dem Magister stand der Verstand still; offenbar war der Wurzelpeter bei seinen Besuchen in der Löwenapotheke von der Krankheit des alten Thomasius angesteckt worden.

»Habt Ihr denn schon einmal Gold in so einem Stein gefunden?« fragte er den Wurzelmann.

»Nein, ich nicht, aber vor vielen Jahren kamen zuweilen Fremde in's Land, die sahen es den Steinen an, ob sie reif seien. Die unreifen vergruben sie wieder, die reifen zerschlugen sie und fanden Gold die Hülle und Fülle. Dieses schleppten sie dann nach Welschland, wo sie herrliche Häuser bauten.«

»Also Welsche waren die Männer?« fragte der Magister.

»Ja, Welsche oder Ungarn; Welschland und Ungarn ist einerlei,« fügte der Wurzelpeter in belehrendem Ton hinzu.

»Und Ihr habt mich für einen solchen Goldsucher gehalten?«

»Von hinten, Herr Magister, von hinten, meine Augen fangen an schwach zu werden. Ich habe Euch für den fremden Herrn gehalten, der drunten beim Ganswirth wohnt.«

»Welcher fremde Herr?«

»O du meine Güte!« rief der Wurzelpeter und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Habt Ihr denn nicht gehört von dem welschen Grafen, dem Sterngucker, der unserm allergnädigsten Herrn Gold macht?« Der Magister hatte nichts von dem welschen Grafen gehört. Der Wurzelmann erzählte ihm daher, was er wußte. Er sei ihm oft hier oben im Walde begegnet und habe gesehen, wie er Steine zerklopft habe. Der Fremde sei auch hin und wieder bei ihm eingekehrt und habe etwas Speise und Trank begehrt, welches er dann immer gut bezahlt habe.

»Ich gäbe es ihm aber auch gern umsonst,« fügte er hinzu, »denn die Freundschaft mit dem fremden Herrn könnte mir Glück bringen. Es hat früher einmal ein Ohm von meinem Ältervater Kameradschaft mit einem Welschen geschlossen und hat's nicht zu bereuen gehabt«

Der Magister wurde neugierig. »Erzählt mir das,« bat er.

»Gern, Herr Magister, aber wenn Ihr nicht naß werden wollt, so kommt mit in mein Haus. Seht einmal den Himmel an.«

Dieser hatte sich allerdings bedenklich umnachtet, und der Magister dankte dem Glück, welches ihm den Wurzelpeter zugeführt hatte.

»Ihr habt ein Haus hier oben?« fragte er im Gehen den Alten.

»Ich bin eigentlich drüben im Walddorf daheim,« erklärte dieser, »während des Sommers aber hause ich mit meinem Schwestersohn, der ein Kohlenbrenner ist, hier im Wald. Dort, wo Ihr den Rauch aufsteigen seht, ist unsere Hütte. Der Köhler ist heute in die Stadt gegangen, ich aber bin daheim geblieben, weil immer einer bei dem Meiler sein muß.«

Man langte bei der Köhlerhütte an, gerade als der erste Windstoß durch die Gipfel der Tannen fuhr, und kaum war der Magister mit seinem Führer unter dem schützenden Dach, so prasselte der Regen nieder.

Das Innere der Hütte sah nicht eben sehr wohnlich aus. Ein Herd, ein dreibeiniger Stuhl, ein Dutzend hölzerner Vogelbauer bildeten die gesammte Einrichtung; aber man war doch vor dem Sturm geborgen.

Der Wurzelpeter schleppte den Stuhl für seinen Gast herbei und hockte selber auf die Streu nieder, welche ihm und seinem Schwestersohn als Bett diente.

»Das Wetter kann bis zum Abend anhalten,« meinte Peter, und als er bemerkte, daß der Magister bei dieser Bemerkung ängstlich wurde, setzte er hinzu: »Wenn Ihr wollt, so führ' ich Euch dann aus dem Wald, ich kenne alle Wege und bringe Euch von hier aus in einer kleinen Stunde bis auf die Landstraße, wo Ihr nicht mehr irre gehen könnt.«

Dem Magister gefiel dieser Vorschlag, und er forderte nun seinen Wirth auf, das Abenteuer zu erzählen, welches sein Ahnherr mit dem welschen Goldsucher gehabt habe. Der Wurzelpeter war bereit. Draußen heulte der Sturm und schüttelte die Tannenzapfen von den Ästen, der Regen rauschte und schlug gegen die hölzernen Fensterläden; es war das richtige Wetter zum Anhören einer wunderbaren Geschichte.

»Der Vater von dem Ohm meines Ältervaters,« hub der Kräutermann an, »ist ein Köhler gewesen und hat da herum seine Hütte gehabt. Das war just in der Zeit, wo die Welschen alle Sommer in's Land gekommen sind, um Gold zu suchen. Einmal in der Nacht hört der Köhler ein Schreien und Lamentiren, und wie er nachsieht, da findet er einen solchen Welschen, der war in der Dunkelheit gestürzt und hat nicht mehr vom Fleck gekonnt. Da hat ihn denn der Vater von dem Ohm meines Ältervaters aufgehoben und an ihm gethan, was Christenpflicht ist, und von der Zeit an sind die Beiden gut Freund gewesen. Jeden Morgen ist der Welsche mit seinem Arbeitszeug in die Berge gegangen und am Abend in die Hütte zurückgekommen, wo er auf drei Fellen, einer Schweinshaut, einer Hirschhaut und einer Bärenhaut, abwechselnd geschlafen hat.«

»Giebt's Bären hier 'rum?« unterbrach der Magister.

Beruhigend schüttelte der Wurzelpeter das verwetterte Haupt und fuhr fort:

»Wenn der Winter kam, so zog der Welsche fort, doch kehrte er im Frühjahr regelmäßig wieder, just wie die Schwalben und der Storch. Von seinem heimlichen Treiben hat er aber nie gesprochen, und der Vater von dem Ohm meines Ältervaters hat auch nicht gefragt. Das ging so ein paar Jahre lang fort, endlich aber blieb der Freund aus und kam nicht wieder. Unterdessen war des Köhlers Sohn, der Ohm meines Ältervaters, ein Bursch geworden und ging als Vogelhändler in die Fremde, um sein Glück zu suchen. Auf seiner Wanderschaft ist er auch in die prächtige Stadt Venedig gekommen. Das ist eine Stadt, noch größer und schöner als Finkenburg, und die Häuser sind dort alle aus dem weißen Stein gebaut, aus dem sie den seligen Fürsten Mauritius ausgehauen haben. Als er dort seine Finken und Kreuzschnäbel feil geboten hat, ist auf einmal ein fürnehmer Herr gekommen, und das war kein Anderer als jener Welsche. Der Welsche hat sich seiner auch gar nicht geschämt, sondern hat den Ohm meines Ältervaters bei der Hand gefaßt und ihn in ein prächtiges Schloß geführt, das von Gold gefunkelt hat. Da ist es hoch hergegangen. Schweinefleisch, Sauerkraut und Bier hat er haben können, so viel er nur gewollt hat, und des Nachts hat ihn der Welsche in eine Kammer geführt, da sind drei Betten gestanden, das eine hat einen Hirschen, das andere ein Schwein und das dritte einen Bären vorgestellt, und alle drei sind aus purem Gold gewesen. Darin mußte der Ohm meines Ältervaters abwechselnd schlafen. Dann hat ihm der Welsche erzählt, daß er das Gold in unseren Bergen gefunden habe, und hat ihm alle seine Vögel abgekauft und obendrein so viel geschenkt, daß er genug gehabt hat für sein Lebtag. – Ist das nicht eine merkwürdige Geschichte?« schloß der Wurzelpeter.

»Höchst merkwürdig,« bestätigte der Magister, »und Ihr habt niemals Gold gefunden?«

»Niemals, ich hab' mir aber auch keine besondere Mühe drum gegeben, denn es wäre doch vergebens. Wer Gold finden will, muß mehr können als Brot essen.«

Der Magister dachte nach. »Jedenfalls,« murmelte er, »theile ich das Gehörte dem alten Thomasius mit, das ist etwas für ihn. Schöner wär's freilich, wenn es mir selbst gelänge, so ein paar Goldklumpen zu finden. Wie wollte ich dann meinen Schwiegervater in spe auslachen, der sich seit Jahren müht und plagt und kein Körnlein noch zu Wege gebracht hat! Dann gute Nacht, lateinische Schule!«

Bunte Bilder zogen an ihm vorüber, und schimmernde Luftschlösser bauten sich vor ihm auf. Der Geist, der in den alten Thomasius gefahren war, begann seine Krallen nach dem Magister auszustrecken.

Der Wurzelpeter erzählte noch andere Wundergeschichten, von weißen Schlangen mit goldenen Krönlein, von Kröten, die einen Karfunkel im Kopf tragen, von Wunderblumen, unterirdischen Schatzkammern und schwarzen Hunden, der Magister aber hörte nur mit halbem Ohr, er träumte wie der Hase mit offenen Augen.

Da wurde die Thür geöffnet, und herein trat ein Mann, dessen schwarzer, durchnäßter Mantel ihm das Ansehen einer riesigen Fledermaus gab.

»Das ist der welsche Graf aus der Goldenen Gans,« raunte der Wurzelpeter dem Magister in's Ohr und erhob sich, um den Fremden zu bewillkommnen.

»Das ist ein Wetter wie damals, als sich Vater Noah in seine Arche begab,« sagte der Ankömmling und schwenkte seinen Hut, daß die Tropfen herumspritzten. »Wurzelpeter, macht Feuer an, daß ich meine Federn wärmen kann!« Er nahm den Mantel ab, und jetzt entdeckte er den Magister, dessen Gruß er ziemlich mürrisch erwiderte.

Der Wurzelpeter war außerordentlich geschäftig. Im Nu prasselte ein Feuer auf dem Herd, und dann sah sich Peter nach einem Sitz für den Gast um. Da war freilich guter Rath theuer, denn der einzige Stuhl war bereits an den Magister abgegeben worden. Dieser verstand den bittenden Blick seines Wirthes, und da er auch übrigens ein höflicher Mann war, namentlich hochgestellten Personen gegenüber, so erhob er sich von seinem Dreibein und bot dasselbe mit einer zierlichen Verdrehung seiner Gliedmaßen dem welschen Grafen.

Dieser dankte verbindlich, setzte sich auf den Stuhl und kehrte Herrn Xylander den Rücken zu.

»Das ist grob,« dachte der Magister, »aber dafür ist er ein italienischer Graf.«

Er brannte vor Begierde, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, denn der Fremde war jedenfalls der rechte Mann, der ihm Auskunft geben konnte in der Sache, mit der sich sein Gehirn seit der Erzählung des Wurzelpeters beschäftigte, aber wie ihm beikommen? Einstweilen betrachtete er die Gestalt des Fremden von hinten und von der Seite und gewahrte, daß demselben ein Hammer zur Rocktasche heraussah. Der Magister räusperte sich und hub an:

»Schlechtes Wetter heut, hm?«

»Ja,« erwiderte der Fremde. »Peter, habt Ihr etwas zu essen?«

Der Kräutermann schien nur auf diese Frage gewartet zu haben, denn im Nu stand Brot, Butter und Käse nebst einer Flasche vor dem Gast.

»Peter,« sagte der Magister, »habt Ihr nicht auch für mich etwas zu essen? Ich bezahl's Euch gut.«

Der Wurzelpeter, welcher wußte, daß der Magister erst kurz vorher eine Mahlzeit gehalten hatte, verwunderte sich über den Hunger desselben, brachte aber gefügig dasselbe noch einmal herbei, was er dem Grafen vorgesetzt hatte. Der Magister setzte sich auf eine Ecke des Herdes und beobachtete das Gesicht des Andern.

»Gute Butter das,« hub er wieder an und tippte mit dem Messer auf die Schüssel.

»Ja,« entgegnete der Fremde und schob einen großen Bissen in den Mund.

Wieder trat eine Pause ein. Der Magister beschloß, dem Italiener näher auf den Leib zu rücken; er zog die zerschlagene Quarzdruse aus der Tasche und hielt sie seinem Gegenüber unter die Nase.

»Verzeiht, Herr,« sprach er, »könnt Ihr mir etwa sagen, was das für ein Ding ist?«

Der Fremde warf einen Blick auf den Stein und sagte: »Kann dem Herrn nicht dienen.«

Der Wurzelpeter, der neben den Beiden stand, grinste. Er wußte recht wohl, worauf der Magister mit seiner Frage zielte, und da er selber gar zu gern etwas über das heimliche Thun des Welschen erfahren hätte, so wollte er dem Magister die Sache erleichtern und sagte:

»Wenn's der Herr Graf Euch nicht sagen kann, so fragt nur den Apotheker Thomasius, wenn Ihr heim kommt; der versteht sich auf solche Dinge.«

Der welsche Graf hob blitzschnell seine Augen und senkte sie ebenso schnell wieder auf das Stück Brot, welches er in der Hand hielt.

»Ah,« sagte er dann zu dem Magister, »Ihr seid wohl ein Gehilfe des Apothekers?«

Dem Angeredeten stieg das Blut in den Kopf. Er, der Dichter der Hochzeit zu Kana, ein Apothekersubjekt!

»Nein,« erwiderte er, »der alte Thomasius ist nur mein Freund, ich wohne in seinem Hause. Mein Name ist« – der Magister erhob sich, und mit einer Handbewegung, wie sie vielleicht der Gast des Phäakenkönigs gemacht hatte, da er sich als Odysseus, Sohn des Laertes, vorstellte, sagte er: »Mein Name ist Hieronymus Xylander, Magister der freien Künste.«

Der italienische Graf neigte sich. »Seid Ihr vielleicht ein Verwandter des hochansehnlichen Poeten, der gestern vor unserem durchlauchtigsten Herrn eine Komödie hat spielen lassen?«

Der Magister erröthete wie ein Mägdelein und lispelte verschämt:

»Der bin ich selbst.«

»Aaaah!« machte der Graf und erhob sich von dem dreibeinigen Stuhle. Er sprach etwas von großer Freude und hoher Ehre, und zwei Lippenpaare flossen über von honigsüßen Worten, das dritte Lippenpaar, nämlich das des Wurzelpeters, stand vor Erstaunen offen. Die beiden Herren, Graf und Magister, setzten sich wieder, zuvor erhob sich ein kleiner Streit wegen des dreibeinigen Stuhls, dann aber nahm das begonnene Gespräch seinen Fortgang. Der Graf ließ sich die zersprengte Kugel noch einmal zeigen und gab seine Meinung über dieselbe ab. Der Magister brachte die Geschichte, die ihm der Wurzelpeter mitgetheilt, zur Sprache, erzählte von seinem alten Freund, dem Apotheker Thomasius und dessen vergeblichen Bemühungen, Gold zu machen, und brachte es endlich dahin, daß der Graf sich herbeiließ, ihm über die geheime Kunst der Alchymie einige Belehrungen angedeihen zu lassen.

Der Wurzelpeter, dessen Maulsperre noch immer anhielt, wich und wankte nicht und verschlang jedes Wort des Welschen, obgleich er nicht das dritte verstand.

Dem Magister ging es im Grund wie dem guten Kräutermann. Der Graf überschätzte offenbar die Vorkenntnisse seines Zuhörers, denn er sprach außerordentlich dunkel und gelehrt, aber nichtsdestoweniger lauschte der Andere wie ein Mäuschen, als der Graf von dem Geheimniß des großen Magisterii und der noch weit unverständlicheren Lehre von der Multiplikation sprach.

Der Regen hatte aufgehört, trocknend fuhr der Abendwind über die Berge, und die Sonne ging zur Rüste. Der Magister aber dachte nicht an Aufbruch. Mit vorgestrecktem Hals lauschte er der Weisheit des welschen Grafen, dessen Augen im Schein des sinkenden Herdfeuers sonderbar leuchteten.


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