Eduard v. Bauernfeld
Bürgerlich und Romantisch
Eduard v. Bauernfeld

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Erster Act.

(Zimmer in der Wohnung des Rathes Zabern.)

Erste Scene.

Die Räthin (sitzt am Tische bei der Arbeit). Rath Zabern (daneben), Cäcilie (strickt), Bad-Commissär Sittig (sitzt neben ihr und liest die Zeitung).

Sittig (lesend). »Und so hat denn das Juste-Milieu fast alle seine Anhänger verloren –«

Rath. Schade um das Juste-Milieu! Es war eine schöne Erfindung.

Sittig. Herr Rath, diese Ansicht kann ich nicht theilen.

Rath. Ich weiß, Sie sind ein Radikaler, aber Sie werden einsehen lernen –

Räthin. Zankt Ihr schon wieder? Was radikal! Ich bitt' Euch, bleibt mir mit der Politik vom Leibe. Nicht wahr, Cäcilie? Lesen Sie weiter, lieber Sittig.

Sittig. Nun kommen die Notizen.

Räthin. Die sind mir das Liebste.

Sittig (liest). »Witterungskunde« –

Rath. Wird überschlagen.

Sittig (wie oben). »Unglücksfälle« –

Räthin. Davon will ich nichts hören.

Sittig (wie oben). »Neu angelangte Badegäste. Nachtrag vom 13ten. Minister von Birken, mit Familie; geheimer Secretär von Auerhahn; Frau Katharine von Rosen –«

Cäcilie. Wer ist das?

Sittig. Eine hübsche Frau. (Sieht nach der Uhr.)

Cäcilie. So?

Rath. Ja, das ist wahr. Ich habe sie gesehen.

Räthin. Sie, Herr Gemahl?

Rath. Und gesprochen. Sie kredenzte mir gestern einen Becher am Brunnen. Ein munteres, gesprächiges Weibchen.

Räthin. Das ist wohl dieselbe, Cäcilie, die ganz allein mit einem Mädchen reist?

Sittig. Allerdings, gnädige Frau. Sie ist eine Künstlerin. Sie malt ganz vortrefflich.

Cäcilie. Sie haben sie vermuthlich auch gesprochen?

Sittig. Als Bade-Commissär muß ich –

Räthin. Ein Frauenzimmer, welches ohne Mann in dieses Bad kommt – was sagst Du, Cäcilie?

Cäcilie. Sie ist eine Künstlerin, Mama!

Räthin. Eine reisende Malerin? Es klingt doch immer ein Bischen abenteuerlich.

Sittig. Ich glaube, Sie irren, meine Damen. Frau von Rosen scheint ein sehr sittsames, wohlerzogenes Frauenzimmer.

Rath. Ja, ja, das ist sie. Gewiß, mein Schatz, Du hast Unrecht.

Räthin. Die Herren gleichen sich; wo Einer nur ein hübsches Lärvchen sieht – nicht wahr, Cäcilie?

Sittig. Um Vergebung! Ich meine nur, daß Frau von Rosen –

Cäcilie. Nun, lassen wir Frau von Rosen. Ich bitte, lesen Sie weiter.

Sittig (liest). »Gestern, am 15ten. Baron Ringelstern, Gutsbesitzer.«

Räthin. Ist der auch wieder hier?

Rath. Ein medisanter Mensch!

Räthin. Es ist wahr, er weiß eine Gesellschaft superb zu unterhalten.

Cäcilie. Aber sein Witz ist zuweilen zu boshaft.

Räthin. Du hast Recht, Cäcilie.

Rath. Boshaft ist er, das ist wahr. Er hat mir einmal mit Vorsatz einen kleinen Slam vorgegeben; das werd' ich ihm nie vergeben.

Sittig. Verzeihen Sie, Verehrte, daß ich den Baron gegen Sie alle in Schutz nehmen muß. Er ist mein Freund.

Cäcilie. Wir können heute dem Sittig nichts recht machen, Mama –

Sittig. Bei einigen Uebertriebenheiten ist Ringelstern gewiß ein vortrefflicher Mensch. Ich achte, ich schätze ihn, ohne alle Nebenrücksichten. Uebrigens ist er ein Anverwandter des Präsidenten von Stein, den wir täglich hier erwarten, und in dessen Händen meine Beförderung liegt. Mein Freund wird ohne Zweifel bei Sr. Excellenz zu meinen Gunsten sprechen.

Räthin. Das ist ein Anderes! Man muß die Menschen benützen, wenn sie uns auch zuwider sind.

Cäcilie (zu Sittig). Sie sehen schon wieder auf die Uhr?

Sittig. Ich habe versprochen, Ringelstern im Badegarten aufzusuchen. Die Stunde ist beinahe vorüber. Befehlen Sie noch Etwas?

Cäcilie. Wir wollen Sie nicht aufhalten.

Sittig. So hab' ich die Ehre – (Steht auf.)

Zweite Scene.

Vorige. Fritz.

Fritz. Herr Sittig, schneiden Sie mir doch ein Paar Federn.

Räthin. Nicht doch, Fritzchen! Man sagt: ich bitte.

Fritz. Ich bitte! (Hält ihm die Federn hin.)

Sittig. Den ganzen Busch, lieber Fritz?

Fritz. Nur fünfe, sechse.

Sittig. So geben Sie her.

Rath. Brav gelernt, Fritz?

Fritz. Ja, Papa!

Räthin. Steh' doch gerade! Wie hast Du das Halstuch gebunden? Komm' her!

Sittig (leise zu Cäcilie, indem er Federn schneidet). Sind Sie böse, liebe Cäcilie?

Cäcilie. Was fällt Ihnen ein?

Sittig. So geben Sie mir die Hand.

Cäcilie. Wozu die Kindereien? (Läßt ihm halb widerstrebend die Hand, die er küßt.)

Räthin (zu Fritz). Halte Dich ruhig. Der Bursch ist Quecksilber.

Fritz. Sind die Federn fertig?

Sittig. Hier zwei, drei –

Fritz. Na, 's ist genug. Danke, Herr Sittig. Adieu, Mama! Adieu, Papa! Adieu, Schwester! (Läuft ab.)

Sittig. Nun will ich auch – (Nimmt den Hut)

Räthin. Adieu, lieber Sittig.

Rath. Kommen Sie Abends nicht zu spät zur L'hombre-Partie.

Sittig. Punkt sieben, Herr Rath. Wenn Sie es erlauben, mach' ich auch vor Tisch noch einen Sprung herüber. Empfehle mich gehorsamst – (Ab.)

Dritte Scene.

Rath. Räthin. Cäcilie.

Rath (steht auf, gähnend). Ein seelenguter Mensch, der Sittig, seinen Liberalismus abgerechnet. Er wird Dich einmal auf den Händen tragen, meine Tochter. – Erst neun Uhr! Was soll man nun den ganzen Vormittag machen?

Räthin (steht gleichfalls auf). Bewegung, mein Schatz. Komm', wir begleiten Dich. Nicht wahr, Cäcilchen?

Cäcilie. Ja, Mama! (Steht auf.)

Rath. Diese ungeschickte Badekur! Da jagen Einen die Aerzte vor fünf Uhr aus dem Bett, und nun kriegt der übrige Tag eine Länge und eine Langeweile –

Räthin. Die Dir sehr heilsam ist. Du siehst weit besser aus; Dein Appetit wächst.

Rath. Was hilft's? Die Bissen werden uns ja von den Söhnen Aeskulap's so knapp zugeschnitten! Ich hungere wie ein Jagdhund.

Räthin. Das ist ein gutes Zeichen.

Rath. Das ist ein Zeichen, daß ich essen soll, aber ich kriege nichts.

Räthin. In einer Stunde bekommst Du eine Handvoll Kirschen und ein Stück Brod. Jetzt gehen wir langsam nach der Aussicht, und setzen uns in den Schatten. Du rauchst Deine Pfeife, ich stricke, Cäcilie liest uns vor. Später spazierst Du auf ein halbes Stündchen in das Kaffeehaus und diskurirst mit den Gästen; dann kommst Du nach Hause und fütterst die Vögel. So wird es zwölf Uhr. Dann zu Tisch; hierauf wieder ein Pfeifchen, ein Schläfchen, dann die Promenade, der Milchkaffee, ein Spielchen, ein leichtes Nachtessen – um halb zehn Uhr zu Bette. So leben die vernünftigen Leute.

Rath. Ja, und hungern ganz unmenschlich dabei, und ennuyiren sich zu Tode.

Cäcilie. Aber was haben Sie denn nur Anderes in der Stadt?

Räthin. Das sag' ich ja auch!

Rath. O die Stadt! Das ist ganz was Anderes! Erstens ist es – die Stadt. Und dann – kann ich aus dem Fenster sehen.

Cäcilie. Das thun Sie nicht im ganzen Jahr, Papa.

Rath. Auch mache ich Besuche.

Räthin. In der Einbildung. Du versäumst alle Deine Bekannte. Glaube mir, nichts Anderes liegt Dir am Herzen als Deine albernen Acten, die Dich krank machen. Aber jetzt komm'!

Rath. Ja, ja, meine lieben Acten!

Cäcilie. Kommen Sie, Papa!

Räthin. Komm! Komm'!

Rath. Wenn ich nur wenigstens Vormittags auf ein Paar Stunden in's Bureau gehen könnte! (Alle ab.)

Vierte Scene.

(Badegarten. Rechts eine Laube.)

Unruh (allein, steht im Hintergrund und bürstet einen Rock aus).

Unruh. »Süßes Leben! Schöne, freundliche Gewohnheit des Daseins und Wirkens« – Rock-Ausbürstens! – Es ist nicht gar so süß, auch bin ich es noch nicht recht gewohnt. Aber ein Genie muß Alles gewöhnen. (Bürstet.) Wer war Epiktet? Ein Lastträger. Wer bin ich? Ein Lohnlakei. Ich bin also eine weit vornehmere Person als Epiktet, der ein weit größerer Philosoph war, als ich durch Kleiderputzen jemals werden kann, obschon ich wieder, ehrlich gestanden, mehr Witz besitze als Derjenige, dem dieser Rock gehört; denn der ist ein dummes Schaf, aber er ist reich – und ich bin arm! Da liegt's!

Nec cogitandi spatium, nec quiescendi
In urbe locus est pauperi.

Guter Martial! Was ist Dir da ausgewischt? Der Arme hat nicht Raum zu denken? Gerade die Armen haben die reichsten Gedanken, aber sie müssen sie an die Gedanken-Armen spottwohlfeil verkaufen. (Klopft den Frack.) Halt! Da ist was Hartes! (Langt in die Tasche.) Ein Silberstück. Die Münze hab' ich geschlagen, folglich gehört sie eigentlich mir. Aber ich bin ehrlich. Ich will das Geld zurückstellen, um es als Tugend-Prämie und Trinkgeld wieder zu bekommen. (Ab.)

Fünfte Scene.

Katharine von Rosen und Ernestine r(treten bei den letzten Worten im Vordergrunde rechts auf).

Katharine.

»Laß mich der neuen Freiheit genießen,
Laß mich ein Kind sein, sei es mir!« –

Nun, Ernestine, wie gefällt Dir unsere neue Lebensweise?

Ernestine. Nicht zum Besten. Wir hätten in der Stadt bleiben sollen.

Katharine. Du weißt ja, daß ich hier meine Freundin mit ihrem Gemahl zu finden hoffte.

Ernestine. Aber wir haben sie nicht gefunden, und deßhalb sollten wir umkehren.

Katharine. Warum? Mir behagt es hier. Die großartige Natur, das Hochgebirg, die Wasserfälle, Alles sagt meinem Sinne zu. Mein Gemüth findet hier reiche Nahrung, wie mein Talent. Die Zeichnung, die ich gestern nach der Natur entworfen, ist besser, als alle meine früheren.

Ernestine. Nun, das Bild könnten Sie in der Stadt bequemer ausführen.

Katharine. In der Stadt? Ich bin einmal hier. Auch will ich den Präsidenten erwarten.

Ernestine. Wer weiß, ob er diese Reise billigt.

Katharine. Bin ich doch Herrin über meine Handlungen, seit das Gericht mich großjährig sprach.

Ernestine. Ein Mädchen ist niemals großjährig!

Katharine. Ein Mädchen? Du vergißt, daß ich eine Frau bin.

Ernestine. Eine Frau – ohne Mann.

Katharine. Wozu ein Mann? Ich will die Ehre der Frauen herstellen, und der Welt zeigen, daß wir auf eigenen Füßen stehen können.

Ernestine. Können wir das?

Katharine. Wir sollen es können, und deßhalb will ich es können. Wir armen Frauen! Warum sind wir die Unterdrückten? Haben wir nicht Verstand, Geist, Gefühl, so gut als die Männer? Besser als die Männer? Sollen sie Gesetze geben für uns, und sie brechen gegen uns? Laß sie Gelehrte sein, Staatsleute und Soldaten, aber laß uns nicht ihre Sclavinnen werden. Ich habe keinen Vater, keinen Bruder, keinen Mann. Ich stehe allein in der Welt. Soll ich mich deßhalb vor der Welt verbergen? Diese Sonne lacht uns Allen, die Vöglein singen, Blumen und Blüthen duften für Alle. Laß uns die schöne Frühlingszeit harmlos genießen. Ist es ein so großes Verbrechen, ohne männliche Begleitung spazieren zu gehen? Verlang' ich denn mehr? Und kann man weniger verlangen?

Ernestine. Nun ja! Das sind Ihre überspannten Ansichten, Ihre romantischen Ideen.

Katharine. Ueberspannt? Romantisch? Es ist blos vernünftig. – Doch wie kommst Du mir vor? Im Hause meiner Tante theiltest Du meine Ansichten. Die gute Tante! Denkst Du noch an ihre Morgengesänge, ihre drei Bologneser, ihre Kanarienvögel, ihren Stickhusten und ihre Strafpredigten? Erinnerst Du Dich noch an unsere tägliche, melancholische Promenade um die Stadtmauern, an die Rapusch-Partien, an die tausend Romane und Schauspiele, die wir mit einander lasen? Sieh, die Poesie ist in's Leben getreten, der Käfig ist offen, die Vöglein flattern froh und frei in die weite Welt. Ach, mir ist zu Muth, wie Einer von Shakspeare's Personen. Ich bin Portia, Du Nerissa; ich Rosalinde, Du Celia. Oder soll ich mich lieber mit Goethe's Lila vergleichen? Ja, dieß ist Lila's Park; an verzauberten Ungeheuern fehlt es hier durchaus nicht.

Ernestine. Leider! Leider! – Sie wissen nicht – dieser Badeort – man spricht mancherlei über uns.

Katharine. Was kann man sprechen? Thun wir doch nichts Uebles. Und werden wir nicht geehrt, ja ausgezeichnet? Die table d'hôte wimmelt von meinen Anbetern. Ein jeder bemüht sich, der jungen Witwe zu gefallen. Brachte mir der junge Engländer nicht erst diese Nacht ein Ständchen, aus Entzücken über meinen echten Accent?

Ernestine. Aber Sie wissen nicht, was er mir brachte.

Katharine. Nun!

Ernestine. Erst eine volle Börse –

Katharine. Das ist gut!

Ernestine. Die ich zurück wies.

Katharine. Das ist auch gut.

Ernestine. Dann einen Liebesbrief für Sie.

Katharine. In der That?

Ernestine. Den ich nicht annahm.

Katharine. Das war recht. Aber willst Du ihm ein Verbrechen machen aus seiner Pflicht, die ja eben darin besteht, mich liebenswürdig zu finden? Das finden sie Alle. Hast du gesehen, wie sogar der dicke Börsespeculant im Salon mit mir tanzte? – Du hast es nicht gesehen? – Das muß ich Dir zeigen. Sieh, er hielt mich so. Sein linker, gichtischer Arm erstrebte mit Mühe meine Linke, und nun hopste er, indem er Kopf und Nacken zurückbog, mit einer Ruhe und einem Anstand – beiläufig so. Der leibhafte Bär aus Lila's Park! Faites le serviteur, le joli seigneur! – Ist's nicht zum Todtlachen?

Sechste Scene.

Vorige. Unruh (der indessen kam und sich zu schaffen machte).

Ernestine. Stille doch! Dort ist ein Mann.

Katharine. Es ist nur ein Bedienter. – Sucht Ihr Etwas, guter Freund?

Unruh. Ich räume auf. – Verzeihen Euer Gnaden – ich bin hier noch neu – Sie sind vermuthlich eine Künstlerin?

Katharine. Eine Künstlerin? Allerdings.

Unruh. Vielleicht von der Schauspieler-Gesellschaft, die man erwartet?

Katharine. Von der Schauspieler-Gesellschaft? Hörst Du, Ernestine? – Ganz recht, mein Freund. Ich bin eine Künstlerin – Er hat es errathen. Da ist Etwas für sein glückliches Talent. (Gibt ihm Geld.)

Unruh. Danke gehorsamst.

Ernestine. Gnädige Frau, dort kommen Herrn zum Frühstück. Wollen wir nicht auf unser Zimmer gehen?

Katharine. Laß uns das Bad besuchen. Ich will Dir tausend Possen erzählen, und alle Deine finsteren Grillen zu Tode schwatzen. (Beide ab.)

Siebente Scene.

Unruh. Baron Ringelstern (der die Abgehenden grüßte). Samuel.

Unruh. Das dacht' ich gleich, daß sie vom Theater ist; aber ihre Freigebigkeit nimmt mich Wunder.

Baron (zurückblickend). Welch eine niedliche Gestalt! Die wird vorgemerkt. – Aber wer schreibt uns da? (Oeffnet zwei Briefe.) Betti – Rosalie – (Liest flüchtig.) Bravo! Beinahe im sechsten Stufenjahre und schon am zweiten Tage zwei Eroberungen. Wer soll nun an's Heirathen denken, wenn die Frauen selbst Alles thun, uns daran zu hindern! (Zu Samuel.) War Commissär Sittig noch nicht da?

Samuel. Nein, Euer Gnaden.

Baron. Ich will ihn hier erwarten. Geh' nur!

(Samuel ab.)

Achte Scene.

Baron Ringelstern. Unruh.

Unruh. Befehlen Euer Gnaden sonst Etwas?

Baron. Nichts, mein Freund, als den Mangel Deiner Gesellschaft.

Unruh. Ich bin der neue Lohnlakei, erst heute eingestanden.

Baron. So?

Unruh. Betrachten mich der Herr Baron doch gefälligst ein Bischen.

Baron. Nun?

Unruh. Kennen Sie mich denn gar nicht?

Baron. Habe nicht die Ehre.

Unruh. Habe doch so manches Merkmal von Dero hochfreiherrlichen Gunst und Ungunst erfahren.

Baron. Du?

Unruh. Allerdings. Erinnern sich Euer Gnaden des Knaben nicht mehr, den Ihr Herr Vater studiren ließ, und der, halb gewachsen und halb studirt, davonlief?

Baron. Alle Wetter! Du bist –

Unruh. Heinrich – Heinrich Unruh.

Baron. Mein Vater behauptete, Du seist ein Genie.

Unruh. Das fürcht' ich leider auch.

Baron. Ich hielt Dich für einen Taugenichts.

Unruh. So ein Anschmack von Beiden.

Baron. Bursche, was ist aus Dir geworden?

Unruh. Ein Philosoph.

Baron. Und ein Lohnlakei?

Unruh. Philosoph für die Welt!

Baron. Du hast Kopf. Du konntest Etwas leisten.

Unruh. Ich nütze in meinem bescheidenen Wirkungskreise. (Bürstet ihm den Rock ab.)

Baron. Wo triebst Du Dich bis jetzt herum?

Unruh. In halb Europa.

Baron. Und was machtest Du?

Unruh. Anfangs Schulden, dann Verse.

Baron. Bravo! Du warst ein Dichter?

Unruh. Romantiker, zu dienen. Dann ward ich Schauspieler. Aber ich zeigte kein Talent zum Rollen-Lernen. Hierauf bildete ich mich zum Pädagogen aus.

Baron. Du? Pädagog? Heiliger Salzmann und Pestalozzi!

Unruh. Ueber das Erziehungswesen hab' ich meine eigenen Ansichten.

Baron. Das will ich glauben.

Unruh. Sehen Sie, gnädiger Herr, ich behaupte, ein weiser Mentor ist heut zu Tage gar nicht nöthig. Unsere Jugend wird ernsthaft und altklug geboren, und eben so erzogen. Mit sechs Jahren lernen die Buben griechisch und die Mädchen englisch; mit acht Jahren spielen beide Geschlechter Whist, mit zwölf Jahren lesen sie die Zeitung. Wenn die Jünglinge und Mädchen zusammen kommen, sei's auch im Mondenschein, so schwärmen sie längst nicht mehr; über Werther und Lotte machen sie sich nur lustig; dagegen diskuriren sie vom Cours, von Militär- und Civil-Beförderungen, von Politik; bekümmern sich um jeden Ministerwechsel, wissen die neunundneunzig belgischen Protokolle auswendig. Diese leidige Politik tödtet das Leben, und verdirbt alle Lust an dummen Streichen, die nicht politischer Natur sind. Darum behaupte ich: die Aufgabe eines Hofmeisters heutiger Zeit ist es, in seinem ernsthaften politischen Zögling den ursprünglichen Hang zur Thorheit, und so die rein menschliche Natur wieder zu erwecken. So zog ich denn als Kotzebue'scher Educations-Rath überall im Lande herum; aber die Welt verkannte mein edles philanthropisches Bestreben, und die Behörden ließen mich einsperren.

Baron. Armer Reformator!

Unruh. Der Trieb lag einmal in mir. Da man mir die Jugend nicht anvertraute, machte ich mich über die ganze Menschheit her. Ich redigirte ein kritisches Journal, ich rezensirte.

Baron. Ich ahne Schlimmes!

Unruh. Zuerst wurde Goethe beim Kopf genommen. Ich bewies, daß ihm der Mittelpunkt fehle.

Baron. Was heißt das?

Unruh. Ich weiß es selbst nicht recht, aber die Leute nahmen es gut auf. Ich sprach ferner von Goethe's verknöcherter Poesie, von dem Mangel einer höchsten Idee u. s. w. Werther hieß mir ein Narr, Egmont ein Egoist, Iphigenie und Tasso waren kalt wie Eiszapfen.

Baron. Glaubtest Du denn an all' den Unsinn?

Unruh. Ich? Kein Wort. Aber ich kannte die Schadenfreude der Menschen. Sie haben nichts lieber, als wenn man sich über ihre Lieblinge lustig macht. Meine Blätter gingen ab wie warme Semmel. Das machte mich immer kühner. Da ich das Schimpfen einmal zu meinem Metier erwählte, so blieb kein berühmter Mann von mir unverschont. Aus Mangel an Stoff mußte ich endlich an die unberühmten rühren. Das gab mir den Todesstoß. Erst regnete es Antikritiken, dann – noch Etwas. Diese schmerzlichen Erfahrungen und der Verlust meiner Abonnenten gaben mir Veranlassung, mich wieder in's Privatleben zurückzuziehen. Ein vornehmer Mann trug mir an, ihn auf seinen Reisen zu begleiten. Es war ein recht freundschaftliches Verhältniß. Ich besorgte die Wirthshaus-Rechnungen, die Pferde, machte sogar die Kleider und Stiefel meines Freundes rein –

Baron. Das heißt: Du warst sein Bedienter.

Unruh. So etwas dergleichen. Aber diese beschränkte Existenz sagte meinem Geiste nicht zu. Ich fühlte mich getrieben, mehr in's Große, in's Allgemeine zu wirken. Ich ward Lohnlakei. Das ist ein Amt, welches Kenntniß der Welt und hohe Bildung erfordert.

Baron. Ein Lohnlakei? Das Erste, was ich höre!

Unruh. Ganz gewiß. Denn sehen Sie, gnädiger Herr, ein großes Hôtel ist eine Welt im Kleinen. Da kommen Deutsche und Franzosen, Engländer und Spanier, Beamte und Kaufleute, Gelehrte und Müßiggänger, kluge Leute und Narren, ehrwürdige Matronen und lustige Dämchen – reich und arm, alt und jung, schön und häßlich, schlau und dumm – da gilt es: die Nationalitäten zu studiren, die Charaktere, Geschlechts- und Standes-Verschiedenheiten – Jedes hat Absichten, Plane, spinnt Intriguen – Alle wenden sich an den Lohnlakei – er ist die Seele dieses Mikrokosmus.

Baron. Vortrefflich! Du solltest ein Buch schreiben: »Das Ganze des Lohnlakeithums.« – Aber jetzt, mein gelehrter Herr Studiosus, Romantiker, Schauspieler, Pädagog, Kritiker, Philosoph und Lohnlakei, entfernen Sie sich gefälligst, denn ich sehe dort eben den erwarteten Freund durch die Allee herbei eilen.

Unruh. Sehr wohl, Euer hochfreiherrlichen Gnaden. Vergessen Sie nur Ihren ergebensten Unruh nicht, der sich Ihnen hiermit bestens zu allen möglichen Diensten empfiehlt. (Ab.)

Neunte Scene.

Baron Ringelstern. Sittig.

Sittig (eilig). Verzeihung, bester Freund –

Baron. Du ließest lange warten!

Sittig. Geschäfte hielten mich ab.

Baron. Willst Du frühstücken?

Sittig. Ich danke.

Baron. Nun, was machst Du, guter Junge?

Sittig. Man lebt eben so still fort –

Baron. Du siehst nicht gar fröhlich aus.

Sittig. Ich? O, ich bin recht zufrieden.

Baron. Wirklich?

Sittig. Ganz gewiß. – Deine Güter haben sich ameliorirt, wie ich höre? Du bist sehr thätig –

Baron. Allerdings. Ich setze Dampfmaschinen und Eisenbahnen in Bewegung, die großen Hebel unseres Jahrhunderts.

Sittig. Wirst Du Dich lange bei uns aufhalten?

Baron. Vier Wochen. Wenn ich mich das ganze Jahr auf meinen Gütern herumgeplagt, mit den Verwaltern gezankt und mit den Behörden gestritten, so schenk' ich mir hier Ferien, und gebrauche die Narrenkur. Gewöhnliche Gäste trinken den Brunnen, ich genieße die Narrheiten der Brunnentrinker.

Sittig. Du hast Deine Erholungszeit gut gewählt. Du findest hier eine glänzende und geistreiche Gesellschaft.

Baron. Geistreiche Gesellschaft? Wo ist denn die in unserm lieben Vaterlande zu finden? Ich kenne Eure feinen Cercles. Da wird beiläufig täglich dasselbe gesprochen. Ein Paar ästhetische Ansichten, ganz fadenscheinig vom vielen Gebrauch, ein halb Dutzend Coterie-Späßchen, sehr viel Thee und sehr wenig Geist – das ist die deutsche geistreiche Gesellschaft.

Sittig. Du bist ungerecht. Wir zählen so viele verständige und kenntnißreiche Männer unter uns –

Baron. Gewiß! Jeder Einzelne ist vernünftig, aber wenn sie zusammen kommen, werden sie Alle närrisch. Es ist nicht der rechte Boden für die Geselligkeit. Unser Geist gedeiht nur in der Einsamkeit. In den Treibhäusern der Salons verdorrt er und stirbt ab.

Sittig. Du magst in gewissem Sinne Recht haben. Auch ich habe längst die Gesellschaft aufgegeben. Das stille bürgerliche Leben ist am Ende das Beste.

Baron. Das bürgerliche Leben? Du siehst in der That recht bürgerlich aus. Höre, Schatz, Du hast Dich überhaupt sehr verändert!

Sittig. Wie so?

Baron. Es ist Etwas in Deinem Wesen, das mir, ehrlich gestanden, schon gestern Abends nicht gefiel. Ich fürchte, ich werde Dir den Text lesen müssen.

Sittig. Mir? Hab' ich Dich beleidigt?

Baron. Warum nicht gar! Du bist ein wackerer Mensch – ehrlich, bieder, voll Fähigkeiten, mein bester Freund, wenn wir auch in Jahren ungleich sind, ich liebe Dich wie einen jüngern Bruder, aber Du bist – (Hält inne.)

Sittig. Nun, was bin ich denn?

Baron. Du bist ein braver, lieber, seelenguter Junge, doch Du schwebst in höchster Gefahr –

Sittig. In Gefahr?

Baron. Ein vollkommener Spießbürger zu werden, ein ganz unmenschlicher Philister.

Sittig. Ist's weiter nichts? Hättest Du mich doch bald erschreckt!

Baron. Weiter nichts? Mein Freund, es ist das Gefährlichste, was einem vernünftigen Menschen begegnen kann. Darum ist es meine Freundespflicht, Dich zu warnen. – Sieh! Ich kenne beiläufig Deine Verhältnisse; Du willst heirathen. Das ist eben Dein Unglück. Wenn Du heirathen willst, so thu' den Schritt jetzt, in der Jugend, in der Leidenschaft. Jung gefreit, hat Niemand gereut. Verliebe Dich, wo möglich, in ein Mädchen, das man Dir nicht geben will, denn Hindernisse müssen da sein, die wecken den Muth, den Geist. Wenn mir die Mutter giftige Blicke zuwirft, wenn mir der Vater die Thüre weist, wenn die Gouvernante keift, die Tanten schimpfen, die Bediente drohen, die Hunde bellen – dann ist's ein Vergnügen. Wachsende Leidenschaft, verstohlene Zusammenkünfte, zugesteckte Briefchen – vielleicht eine Entführung, ein kleines Handgemenge – mit Nichts angefangen, alle Kräfte zusammengenommen – das gibt eine glückliche Ehe.

Sittig. Das hört sich recht lustig an, aber es ist nicht mein Geschmack. Ich bin für das Ordentliche, das Solide. Das Exentrische sagt meiner Natur nicht zu. Muß man denn eben seine Geliebte entführen? Nun ja, wenn man sie nicht anders bekommen kann! Aber ich darf meine Cäcilie täglich sehen, wir leben mit einander, gewöhnen uns zu einander, wir lernen alle unsere Neigungen kennen, wir wissen, daß wir für einander bestimmt sind; das gibt eine gewisse Sicherheit, eine Ruhe, ja, das ganze Leben erhält dadurch eine behagliche Färbung. Das Wildleidenschaftliche verliert sich, nur der Segen einer warmen Neigung wirkt wohlthätig weiter. Nein, nein, Du magst sagen, was Du willst, es ist ein schönes, zartes, inniges, reines Verhältniß.

Baron. Wenn Du wirklich Cäcilien liebst, wie Du sagst –

Sittig. Ganz gewiß.

Baron. Und – notabene – Cäcilie Dich –

Sittig. O, Du kennst sie nicht – Du hast eine falsche Ansicht von ihr – so Mancher hält sie für kalt, gefühllos – aber wer sie näher kennt – sie ist ein Engel.

Baron. Ich zweifle gar nicht –

Sittig. Nein, Du wirst mich wirklich böse machen, wenn – Du glaubst, daß Cäcilie –

Baron. Versteh' mich nur recht! Wenn Ihr Euch wirklich liebt, gut für Euch. Ich kenne Cäcilien besser als Du glaubst. Gewiß, sie ist zur braven Hausfrau geschaffen. Aber sie steht jetzt eben auf dem Punkt, in der Folge vielleicht Dich, sich, Euch beide unglücklich zu machen. – Brechen wir davon ab. Im Ganzen billige ich Deinen Wunsch, zu heirathen. Kann ich beitragen, Euer Glück zu beschleunigen, so will ich's mit Freuden thun. Hier meine Hand: ich spreche mit meinem Onkel, und zwar so, als ob es für mich selber wäre.

Sittig. Liebster bester Freund –

Baron. Genug davon! – Apropos! Heute sollten wir doch den Tag über beisammen bleiben.

Sittig. Den ganzen Tag? Lieber Freund, das geht nicht. Ich habe nach Tisch Geschäfte.

Baron. Nach Tisch? Nun gut! Aber gegen Abend könnten wir uns finden und uns auf die Berge ergehen. Dort oben spricht sich's besser von der Brust.

Sittig. Heute Abend?

Baron. Ja, wenn's kühler wird, so zwischen Sechs und Sieben.

Sittig. Heute Abend? – Ja, ja – oder – wär' es Dir nicht lieber: morgen Abend?

Baron. Nein, das wäre mir nicht lieber.

Sittig. Also gut: heute Abend. – Es ist doch sonderbar, wie unbeständig die Witterung hier ist! Während wir sprechen, ziehen sich dort die Wolken zusammen –

Baron. Wo?

Sittig. Sieh, dort gegen Norden.

Baron. Ich sehe ein einziges, weißgraues Wölkchen, dort zwischen den beiden Bergen.

Sittig. Das ist das Wetterloch.

Baron. So?

Sittig. Ich wette, wir bekommen ein tüchtiges Gewitter.

Baron. So werden wir naß. Schadet auch nicht.

Sittig. Freilich! freilich! Aber es kann einen eigentlichen Wolkenbruch absetzen. (Sieht nach den Wolken.)

Baron (Nach einer Pause). August –

Sittig. Lieber Karl –

Baron. Sei aufrichtig! Du willst nicht mit mir gehen.

Sittig. Wie kannst Du glauben –?

Baron. Du hast versprochen, zu Deiner Braut zu kommen, nicht wahr?

Sittig. Wenn ich es gestehen soll –

Baron. Sprich ohne Scheu. Ich entbinde Dich Deines Versprechens.

Sittig. Nun sieh! Die alten Leute sind ihre L'hombre-Partie gewöhnt. Wenn ich ausbleibe, fehlt der dritte Mann –

Baron (schlägt die Hände zusammen). L'hombre-Partie! Dritter Mann! – August, der Spießbürger ist fertig. Du wirst in Deinem eigenen Hause der dritte Mann sein. Ich sehe Dein ganzes Leben vor mir, ich sehe Dich Zwirn abwinden, höre Dich Tagesgeschichten erzählen, Du mußt den Mops der Schwiegermama kämmen –

Sittig. Sie hat gar keinen Mops. Einen Spitz –

Baron. Mußt die Vögel füttern –

Sittig. Das thut der Alte.

Baron. August, um's Himmels willen, ermanne Dich! Noch ist es Zeit. Ich wiederhole es: ich habe nichts gegen Deine Liebe, ich bin kein Feind der Ehe, für den man mich ausschreit; aber ein vernünftiger Mann muß seine Frau lenken, nicht sie ihn.

Sittig. Glaubst Du denn wirklich, daß ich –?

Baron. Ich glaube nicht – ich weiß. Ich kenne solche Verhältnisse. Die Weiberchen spinnen ihre Fäden langsam und fein, aber sicher und fest. Wenn aber einmal umsponnen ist, gibt's keinen Ausweg. Diese Oberaufsicht über alle Handlungen des Mannes ist unwürdig, ja abscheulich. Erst gewöhnt die Frau den Mann an sich, er darf keinen Schritt aus dem Hause thun ohne ihr Wissen, darf mit keinem Freunde umgehen, der ihr nicht zusagt, darf kein schönes Mädchen schön finden. Kunst, Wissenschaft, Geselligkeit, heiterer Lebensgenuß sind verbannt, die Karten müssen Alles ersetzen, eine todte Langeweile schleicht sich durch das Haus. Und was ersetzt dem guten, geduldigen Ehemann den Verlust aller seiner Lebensfreuden? Die kalte, starre, viel gepriesene Tugend seiner Ehehälfte, eine ängstliche Häuslichkeit, die an Hymen's Fakel ihre Kochtöpfe erwärmt!

Sittig. Freund – wir sprechen weiter über diesen Punkt, heute Abends, auf unserm Spaziergang.

Baron. Wie? Du willst die L'hombre-Partie versäumen?

Sittig. Ich ziehe die Landpartie vor.

Baron. Fräulein Cäcilie wird mich Deinen Verführer schelten?

Sittig. Das wird sie nicht. Sie soll Dich kennen lernen, Du sollst sie kennen lernen. Ihr müßt Euch gefallen.

Baron. Ich bin zu Allem erbötig.

Sittig. Wir sprechen noch darüber. Wo treffen wir uns?

Baron. Ich denke, hier. Nach sechs Uhr.

Sittig. Gut. Punkt halb sieben. (umarmt ihn.) Lebe wohl, bester Freund! Du sollst Deinen Irrthum einsehen, Du sollst erfahren, daß Du Dich in Cäcilien, in uns Beiden geirrt hast. Adieu! – Aber Du wirst sehen, wir werden naß – (Ab.)

Zehnte Scene.

Baron Ringelstern, dann Unruh.

Baron. Dort flattert der Vogel, den Faden am Halse!

»Es ist der alte, frei geborne Vogel nicht,
Er hat schon jemand angehört.« –

Im Grunde ist er beneidenswerth. Ich gäbe was darum, wenn ich mich auch wieder einmal ganz ungeheuer verlieben könnte. Doch das ist zu spät. Des Lebens Mai blüht – ein Paar Mal und nicht wieder. – Holla! Jene schöne Gestalt kommt zurück. (Lorgnirt.) In der That das Gesichtchen, der Wuchs, der Fuß – Alles prima sorte – Unruh!

Unruh (auftretend). Gnädiger Herr?

Baron. Kennst Du jene Dame dort?

Unruh. Allerdings. Sie ist vom Theater.

Baron. So?

Unruh. Ich glaube eine Tänzerin.

Baron. Desto besser! – Frau oder Mädchen?

Unruh. Sie läßt sich gnädige Frau schelten.

Baron. Schon gut! Trolle Dich.

(Unruh ab.)

Eilfte Scene.

Baron Ringelstern. Katharine. Ernestine. Katharine (setzt sich in die Laube zum Stickrahmen), Ernestine (steht bei ihr).

Baron (für sich). Sie nahmen meinen Gruß freundlich auf, sie setzt sich, mir im Angesicht, in die Laube. Das ist eine offenbare Invite. Da wollen wir gleich ein bischen plänkeln. (Nähert sich den Frauen.) Ist es einem neugierigen Fremdling vergönnt, das schöne Werk so schöner Hände zu betrachten?

Katharine. Warum nicht? Doch ist die Arbeit kaum zur Hälfte fertig.

Baron. Wie nett, wie geschmackvoll! Amor, den ein Mann mit der Tabakspfeife verscheucht – welch ein allerliebster Gedanke! Selbst erfunden?

Katharine. Aus dem Leben gegriffen.

Baron. Ich war von jeher ein Feind des Tabakrauchens. – Und wie vortrefflich die Farben gewählt sind! Hier das Grün, das Goldgelb – nur dort wünschte ich eine hellere Schattirung.

Katharine. Wo?

Baron (indem er Ernestine sanft bei Seite drängt, und sich im Gespräch zu Katharinen setzt). Hier, sehen Sie, hier!

Katharine (macht Miene aufzustehen). Meinen Sie?

Baron (der es nicht zuläßt). Gewiß, gnädige Frau – ich verstehe mich auf weibliche Arbeit – das Gewand des Amor ist ein bischen zu dunkel gehalten.

Katharine (etwas pikirt über seine Vertraulichkeit). Das finde ich nicht –

Baron (schmeichelnd). Vergeben Sie, gnädige Frau – aber – das Auge des Fremden sieht deutlicher. Wie gesagt: Amor's Gewand ist zu hell, der Mann mit der Pfeife präsentirt sich zu elegant. (Zu Ernestine, indem er ihr winkt, sich zu entfernen.) Nicht wahr, mein Kind?

Katharine. Ernestine!

Ernestine. Gnädige Frau! (Stellt sich an ihre Seite.)

Katharine (leise zu Ernestinen). Was ist das für ein Mensch?

Ernestine (ärgerlich). Das ist eben auch wieder Einer, der Sie liebenswürdig findet!

Baron (leise zu Ernestinen). Allez-vous-en!

Ernestine. Gnädige Frau!

Katharine. Was gibt's?

Baron (bedeutet Ernestinen, zu schweigen). Liebes Kind, ich bitte um ein Glas Wasser.

Katharine (steht rasch auf). Mein Herr, Sie werden sich irren. Diese Laube gehört zu meiner Wohnung, und das ist mein Mädchen.

Baron (etwas bestürzt, folgt ihr). Um Vergebung, gnädige Frau – ich wollte Sie nicht beleidigen.

Katharine (stolz). Das hoff' ich.

Baron (wieder gefaßt). Ihre Schönheit scheint ganz der Sonne zu gleichen; sie brennt, wenn man sich ihr nähert.

Katharine. So bleiben Sie im Schatten.

Baron. Sehr gern: in Ihrem Schatten, und wenn Sie es erlauben, als Ihr Schatten.

Katharine. Sie erlauben sich eine sonderbare Sprache gegen eine Dame, die Sie gar nicht kennen.

Baron. Eine Dame? – Nun ja! Eine Dame, die ich gerne kennen lernen möchte.

Katharine. Und welche Ihr Verlangen nicht theilt. (Verbeugt sich kurz.)

Baron. Halt! Schöne Prinzessin!

Katharine. Prinzessin?

Baron. Oder Tänzerin –

Katharine. Ha!

Baron. Erste Tänzerin – prima donna – das sind Sie ja doch! Und ich bin primo amoroso.

Katharine. Mein Herr! Sie mögen mich beleidigt haben aus Thorheit oder bösen Willen – seien Sie versichert, daß ich wissen werde, mir Schutz und Genugthuung zu verschaffen. – Komm', Ernestine! (Beide ab).

Zwölfte Scene.

Baron Ringelstern (allein). Dann Unruh.

Baron. Was war das? Ich falle aus den Wolken! – So spricht keine Tänzerin. So beschämt fühlt' ich mich noch niemals. – Unruh! He, Unruh! Verdammter Unruh!

Unruh (tritt auf). Gnädiger Herr!

Baron. Mensch, was hast Du mir weiß gemacht? Das ist keine Tänzerin!

Unruh. Nicht? Aber sie tanzte doch.

Baron. Du bist ein Esel!

Unruh. Mit Vergnügen. Aber sagen Sie mir nur –

Baron. Was soll ich thun? Wie meinen Fehler wieder gutmachen? Ich will ihr nach, sie um Vergebung bitten, ihr den Irrthum aufklären –

Unruh. Was ist denn nur geschehen?

Baron. Schweig' – oder ich vergreife mich an Dir! Denn Du bist Schuld an allem Unheil! (Ab.)

(Unruh folgt ihm.)


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