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(Halle. In der Mitte ein Vorhang.)
Leopold. Dann Isolda.
Leopold (als Koch gekleidet, tritt auf). Also Hofkoch! – Zwar nur provisorisch und mit der Exspectanz, aber wer bei Hof einmal die Exspectanz hat, der ist für sein Leben geborgen. Hofdienst über Alles! Denn warum? Den besten Herrn kann ich verlieren, oder er kann mich entlassen – der Hof entläßt Niemand. Ich koche schlecht: der Hof behält mich. Ich setze dem Hof Gerichte vor, die ihm nicht schmecken – der Hof ißt sie, denn ich bin einmal der Hofkoch; der Hof ißt sie Jahre lang mit Anstand, und wenn er es nicht mehr aushalten kann, pensionirt mich der Hof mit dem ganzen Gehalt, und gibt mir noch den Titel: geheimer Hofkoch; denn wenn man einen Menschen öffentlich nicht mehr brauchen kann, so macht man ihn zu was Geheimen. Nun frag' ich: welcher Herr, und wär's der beste von der Welt, thut das für einen schlechten Diener? Dafür häng' ich auch an der guten Pfalz, seit ich das Dekret habe, mit einer Treue, die ihres Gleichen sucht.
Isolda (tritt auf).
Leopold. Die schöne Gräfin! – So einsam und allein, Fräulein?
Isolda. Sieh da, Leopold!
Leopold. Was macht Ihr hier, vor der verhängten Waffenhalle? Ihr sucht Euch wohl bei Zeiten einen guten Platz, um mit aller Bequemlichkeit mit anzusehen, wie den beiden hübschen Fremdlingen der Ritterschlag ertheilt wird.
Isolda. Vergiß nicht, guter Freund, daß Du Dein Lustigmacher-Amt zurück gelegt.
Leopold. Nun denn, ernsthaft gesprochen: ich glaube, man frägt nach Euch.
Isolda. Nach mir?
Leopold. Der Burggraf von Nürnberg ist hier; er kommt aus Aachen, von des Kaisers Majestät.
Isolda. So?
Leopold. Euer Oheim stellt ihm eben die beiden Junker vor.
Isolda. Roland und Claudius?
Leopold. Der Burggraf behandelt sie recht gnädig und herablassend. Sie sind, denk' ich, seinem Schutz empfohlen.
Isolda. Seinem Schutz? Den bedürfen sie wohl nicht.
Leopold. Wer weiß! Zwar führen sie das Schwert und tummeln das Roß, wie wahre Edelleute; aber mir scheint, sie sind nicht aus dem feinen Teig, aus dem man gewöhnlich die Ritter zu backen pflegt. – Gott befohlen, Fräulein!
(Ab.)
Isolda (allein).
Fast glaub' ich's auch: sie sind nicht hoher Abkunft. –
Was kümmert's mich zuletzt! Und doch – der Roland
Vermißt sich ein Betragen gegen mich –
Der Oheim meint, er sei der Graf von Geldern –
Mag sein, mag nicht – allein ich will's nicht dulden,
Daß er – – Wer ist der Roland? Ei, man dächte,
Kein Mann von nied'rem Stande wagt, sein Auge
Zur Grafentochter zu erheben.
Isolda. Roland.
Roland. Fräulein –
Isolda. Roland, Ihr kommt allein? Wo bleibt der Burggraf?
Roland. Er spricht mit Euerm Ohm und meinem Bruder.
Isolda. Der Burggraf ist, so hört' ich, Euer Gönner?
Roland. Gar gnädig ist er uns gesinnt und freundlich,
Wie Ihr und Euer Ohm.
Isolda. Mein Ohm?
Roland. Ihr lächelt?
Isolda. Weil Ihr von Gnade sprecht, die man nur Niedern
Erweis't; doch Ehre dem, der unsers Gleichen.
Ihr wißt, mein Oheim ist ein stolzer Graf,
Und gibt Euch Ehre doch.
Roland. Versteh' ich Euch?
Isolda. Nun, kurz: man hält Euch hier für einen Mann
Von hohem Stand.
Roland. Fürwahr, das bin ich nicht.
Isolda. Ihr seid nicht vornehm also?
Roland. Daß ich's wäre!
Isolda. Doch wohl ein edler, doch ein freier Mann,
Gewiß leibeigen nicht?
Roland. Und wär' ich das?
Isolda. Nein, nein –
Roland. Und warum nicht?
Isolda. Weil – geht! Ihr habt
Das Ausseh'n nicht; auch wagt kein nied'rer Mann
Sich an der Fürsten Höfe.
Roland. Ihr beschämt mich –
Isolda. Das wollt' ich nicht. Allein wer seid Ihr? Sprecht!
Roland. Ein Fremdling, unbekannt und namenlos,
Der seine Heimath nicht an Euerm Hof, nein,
In Eurer Seele fand.
Isolda. Recht schön, recht gut!
Doch Eure Herkunft –?
Roland (nach einer kleinen Pause). Ist gering und dunkel.
Isolda (hastig).
Ihr seid kein Graf von Flandern denn?
Roland. Ein Graf?
Isolda. Ich meinte nur –
Roland. Isolda! – Nun begreif' ich!
Der Ring – der Bräutigam – der Erbe Gelderns –
Ihr hieltet mich dafür? – Wie Schuppen fällt's
Mir von den Augen! – War't mir hold und freundlich –
Doch nein – dem armen Roland nicht – dem Grafen! –
Nun denn, verachtet mich! Denn alles Gute,
Das Ihr an mir gepriesen, schwindet ja
Zu nichts, da mich kein Schild und Wappen ziert.
Isolda. Wie Ihr Euch doch ereifern könnt, Herr Roland!
Mein Oheim ist Euch gnädig – sagt Ihr selbst.
Euch ziert kein Wappen? Doch es wird Euch zieren.
Roland. Des Mitleids Spende, nicht der freien Gunst!
Behaltet solche Wappen, solche Ehren;
Ein Mann ist brav, auch ohne Wappenschild.
Doch Ein's noch hört: Ein überschwellend Herz.
Mein ganzes Inn're trug ich Euch entgegen,
Ich sah nur Euch, nur Euer schönes Selbst,
Nicht Rang und Stand. Wär' ich ein Fürst, ein König,
Ihr aber wär't Isolda nicht, die Gräfin,
Isolda nur, das Mädchen in der Hütte:
Ich beugte meine Knie' vor Euch, wie damals,
Und hielt' Euch hoch und theuer, so wie damals,
Denn, hohe Gräfin oder Bäuerin:
Schönheit, Anmuth und Sitte ist das Weib,
Und namenloser Fremdling oder Fürst:
Kraft, edler Trotz und Ehre ist der Mann!
(Indem er ihr die Schleife gibt).
So nehmt zurück, was mir nicht zugedacht,
Was einem – Grafen nur zu tragen ziemt.
Isolda (mit der Schleife spielend).
Ihr wollt nicht meine Farbe tragen, Roland?
Ihr nennt mich stolz? Ihr seid weit stolzer, seh' ich.
Ich wollt', Ihr wär't ein Graf – versteht! Ich fürchte,
Mein Oheim zürnt, wenn er erfährt – darum
Seid auf der Hut. Hört Ihr? –
(Von ihm abgewendet.) Nehmt diese Schleife!
Ich will sie nicht. (Nach einer Pause.)
Was seht Ihr mich so an?
War ich zu gnädig? Nein! Ihr sollt mich nicht
Mit diesem Blick betrachten. Geht!! Geht! sag' ich.
Bei meinem Zorn. (Roland entfernt sich langsam.)
Was sagt Ihr? (Roland bleibt stehen.)
Hat man je
Solch einen Menschen wohl geseh'n? Nun trotzt er! –
Ihr seid ein Kind, ein großes, ungeschlachtes,
Ein unverständig Kind. Nun will ich Euch
Nicht weiter gute Worte geben. Geht!
Roland (ergreift ihre Hand).
Ihr meint, mir droht Gefahr? Das ist mir recht.
Sie sollen's wissen, daß ich Euch verehre;
Und ob Ihr mich verlacht, das gilt mir gleich,
Und lieb' ich Euch, was geht's Euch an? Ich bin ja
Ein nied'rer Mann und Ihr verachtet mich,
Weil ich nicht vornehm bin.
Isolda. Thu' ich's?
Roland. Ihr werdet's.
Kommt erst der Bräutigam, das junge Gräflein,
Dann trifft mich Euer Spott.
Isolda. Der Bräutigam?
Nun seht – noch ist er's nicht.
Roland. Isolda –
Isolda. Laßt mich!
Roland. Du meine theure Herrin – (will ihre Hand ergreifen).
Isolda. Laßt mich, laßt mich –
(Rasch ab.)
Roland (allein).
Isolda, höre mich – – da kommen Leute!
Roland. Der Pfalzgraf, der Burggraf von Nürnberg und Claudius (treten auf).
Pfalzgraf. War das nicht meine Nichte?
Claudius. Herr, sie war's.
Pfalzgraf. So so! (Zum Burggrafen )
Beliebt es Euch, wir folgen ihr.
Die Beiden mögen, Eure Schützlinge,
Und deren Vater, wie ihr sagt, Euch Freund,
Uns vor der Waffenhalle hier erwarten.
Burggraf. So kommt, denn Wicht'ges hab' ich Euch zu künden.
Pfalzgraf. Mir?
Burggraf. Und dem Fräulein.
Pfalzgraf. So? (Für sich.) Aha! Er wirbt
Um ihre Hand für Roland. (Laut.)
Kommt, Herr Burggraf.
(Beide ab.)
Claudius. (Zu Roland, der eine Bewegung macht, den Abgehenden zu folgen.)
Wo willst Du hin?
Roland. Zu ihr –
Claudius. Zu ihr?
Roland. Fort! Fort!
(Zur entgegengesetzten Seite ab.)
Claudius. Dann Hedwig.
Claudius (allein).
Unseliger! Er liebt die Gräfin –
Hedwig (noch hinter der Scene). Bruder!
Claudius (fährt auf).
Das war der Schwester Stimme –
Hedwig (auftretend). Claudius!
Claudius. Hedwig!
Hedwig. Ach, Bruder, Bruder, lieber Bruder!
Claudius. Hedwig! Du hier?
Hedwig. Ihr lieben – bösen Brüder!
Wie konntet Ihr aus meiner Nähe flieh'n?
Doch nein! Kein Vorwurf! Hab' ich Euch doch wieder,
Und lass' Euch nimmer, nie –
Claudius. Herzliebe Schwester!
Ich drücke Dich an's Herz, in meine Arme –
Nun ist ja alles gut!
Hedwig. Mein sanfter Claud!
Der wilde Roland lockte Dich vom Hause –
Nicht wahr? Doch still! Kein Wort mehr d'rüber! – Höre:
Der wack're Humbert nahm mich mit, denn Sehnsucht
Erfaßte mich zu Haus', ich aß nicht, schlief nicht,
Ich sah Dich in dem Kampf verwundet, todt –
Allein Du lebst! Gott hat Dich mir erhalten!
Ach, und wie stattlich Deine Tracht! Wie männlich
Dein Ausseh'n! Du bist stark geworden, Bruder.
Das Reisen schlug Dir an. – Es heißt, Ihr wart
In einer Schlacht gar tapfer – da's vorüber,
So freut's mich sehr. – Du siehst so vornehm d'rein –
Fast schäm' ich mich vor Dir in diesen Kleidern.
Man sagt, Ihr steht bei Hof in hohen Ehren,
Doch werdet Ihr die Schwester nicht verachten,
Gelt, lieber, guter Bruder? Ach, Du weißt nicht,
Welch traurig Leben ich zu Hause führte!
Doch alle, alle Schmerzen lösen sich
An Deinem Hals in süße Freudenthränen! –
Ich plaud're da und plaud're, und Du schweigst.
So sprich ein Wort! Freu' Dich doch auch ein wenig!
Claudius. Ich horche Deiner Stimme Klang, die lieblich
In's Ohr mir tönt, so wie dem müden Wand'rer
Der lang entbehrten süßen Fluth Geriesel.
Nun fühl' ich's klar: Du warst's, die mir gebrach.
Ein dunkles Sehnen trieb mich in die Ferne:
Dort hüllt' es sich in wechselnde Gestalten,
Die mich verwirrten, und die freundlich jetzt
Zusammenfließen in Dein trautes Bild.
Dein Anblick zaubert mich zurück nach Nürnberg,
In's kleine, dunkle, rebumrankte Häuschen,
Wo wir den holden Traum der Jugend träumten.
Wie glücklich war ich dort! Was fand ich hier
Als Angst und Pein? Mich soll kein falsches Streben
Je wiederum von Herd und Scholle locken;
Dich gab mir die Natur, Du gabst mir Liebe,
Ein arger Thor, wer And'res will, als Liebe!
Hedwig. So hör' ich's gern. Wie bist Du gut und freundlich!
Du kehrst mit mir nach Hause? Welche Freude!
Gesteh' ich's nur: mir bangte fast um Dich;
Entfremdet schienst Du mir, und manche Thräne
Weint' ich im Stillen über Deine Kälte.
Claudius. Ich kalt? Kalt gegen Dich?
Hedwig. Ja, ja! Denk' nur
An unser letzt' Gespräch daheim.
Claudius. Daheim? –
Nun sieh! Wie geht's daheim?
Hedwig. Im alten Gleise.
Das Rädchen schnurrt, die Base zankt ein wenig,
Geduldig folgt der Tag dem Tage nach,
Doch Festtag wird's, sobald Du wiederkehrst.
Claudius. Und – sonst ist nichts geändert?
Hedwig. Ei, was sollte –?
Claudius. Roland erzählte mir –
Hedwig. Du meinst –?
Claudius. Dein Freier –
Hedwig (nach einer Pause).
Der um mich freite, ist vermählt, mein Bruder.
Claudius. Vermählt? So wiesest Du ihn ab?
Hedwig. Ich that's.
Claudius. Und das – warum?
Hedwig. Je nun, ich liebt' ihn nicht! –
Mein Bruder, nein, Dir will ich nichts verhehlen,
Und nennst Du kindisch auch mein Thun. So höre:
Als ich im Krieg Euch wußte, in Gefahr,
Da that ich ein Gelübde – lächle nicht –
Brünstig fleht' ich zu Gott um Eure Rückkehr,
Und jedes Mannes Liebe schwor ich ab,
Als meines Bruders, kehrt' er glücklich heim.
Der Herr hat mich erhört; laß mir den Glauben,
Daß mein Gelübde Dich im Kampfe schützte.
Claudius. Du holdes, frommes Kind! Und wär's ein Wahn:
In Deinem Herzen war er heil'ge Wahrheit.
Hedwig. So zürnst Du meiner Einfalt nicht? Doch soll sie
Geheimniß bleiben zwischen Dir und mir.
Was brauchen wir die Andern? Sie versteh'n
Das nicht, und alles Schönste, Beste, Reinste,
Ist nur für den, der's fühlt, begreift. Nicht also?
Claudius. In meinem Busen steigen auf und nieder
Gefühle mannigfalt, wie holde Engel,
Vor deren Glanz das Herz in Wonne schauert.
Hedwig, Du meine Schwester – mehr als Schwester:
Mein Bestes und mein Einziges, mein Alles –
Du gabst Dein inn'res Eigen für den Bruder,
Nimm mich mit meinem ganzen Selbst dafür.
(Küßt sie sanft auf die Stirn.)
Und wie der Mensch, soll er sich nicht verflücht'gen,
Für etwas Hohes glühen muß und Würd'ges,
Weih' ich mein ganzes Sein dem reinsten Triebe.
Hedwig. Mein Bruder: Dein für immer.
Claudius. Meine Schwester –
(Pause. Sanfte Musik hinter der Scene.)
Horch! Welche Töne! Horch!
Hedwig. Wie hold und süß!
Claudius. Sie locken meine Seele weit von hier
In and're Kreise – solche Töne klangen
Mir einmal schon. – horch!
Hedwig. Sie verstummen wieder.
Claudius. So hast Du's auch gehört? Und mahnt's Dich nicht –?
Hedwig. Woran?
Claudius. Ach, weiß ich selber mir's zu sagen!
Zu große Macht übt Klang und Ton auf mich,
Der sinnvoll unbestimmt in Lüften zittert,
Und dem ich ängstlich eine Deutung suche.
Hedwig. Musik und Sang hat's in der Art: sie wecken,
Was fremd und räthselhaft im Busen schläft,
Und mahnen so an Alles und an Nichts.
Claudius. So mag es sein. Doch jene Melodie
Ist mir nicht fremder als ich selbst mir bin!
Vorige. Leopold.
Leopold. Grüß' Euch, Junker Claudius. Potz! Seh' ich recht? (Zu Hedwig.) Seid Ihr's nicht, die mir damals in Nürnberg den Zehrpfennig gereicht?
Hedwig. Ich bin's, wenn Ihr jener lustige Pilger seid.
Leopold. Der war ich, schönes Kind, aber nun ist's ausgepilgert. – Was betrachtet Ihr mich so aufmerksam, Herr Claudius?
Claudius. Dieses weiße Gewand – –
Leopold. Trug ich als junger Bursche, und trag' es wieder als Mann. So kommt man im Leben immer auf's Alte zurück. Ich bin jetzt Hofkoch, und beneide Euch nicht um den Ritterschlag.
Hedwig. Den Ritterschlag sagt Ihr?
Leopold. Allerdings. Schon gab die Musik das erste Zeichen. Sogleich wird der Hof sich versammeln, und unser vornehmer Gast, der Burggraf von Nürnberg, wird der Ceremonie beiwohnen.
Hedwig. Wie? Der Burggraf, unser Gönner, ist hier, mein Bruder?
Leopold. Ihr seid die Schwester? Nun, Eure Brüder machen Euch Ehre. Bald wird's heißen: (Singend.)
»Schwertlein so blank, Rößlein so weiß –« |
Claudius (erfaßt seine Hand). Was singst Du da?
Leopold. Alte kindische Reime, die mir eben in den Mund liefen.
Vorige. Der Pfalzgraf, der Burggraf, Isolda (im Hintergrund). (Von der anderen Seite) Roland (welchem der Pfalzgraf zuwinkt).
Claudius (wiederholend).
»Schwertlein so blank, Rößlein so weiß –« |
Leopold. Kennt Ihr das Lied?
Claudius. Ich glaube, ja.
Leopold. Ich glaube, nein. Denn es ist das Wiegenlied, womit ich den kleinen Lothar oft in den Schlaf gelullt.
Claudius. Sage mir den Vers noch einmal.
Leopold. Wenn's Euch Vergnügen macht –
Hedwig (welche die Eintretenden bemerkt). Bruder –
Claudius (wehrt sie ab). Still! Still! (Zu Leopold.) Das Lied –
Leopold. Also hört:
»Schwertlein so blank, Rößlein so weiß, Geh'n mit dem Ritter Wohl auf die Reis'. Engelein hold –« (Stockt.) |
Claudius. Weiter! Weiter!
Leopold. Nur Geduld!
»Engelein hold –« |
Es geht nicht! Ich hab's vergessen!
»Engelein hold Steht ihm zur Seit', Führt ihn zum Glück, Wahrt ihn vor Leid.« |
Leopold. Richtig! Woher kennt Ihr das Lied?
Claudius (mit gesteigertem Affect).
»Denn wo ein Ritter Fromm ist und rein, Schützen ihn immer Die Engelein.« |
Leopold. (erstaunt). Wahrhaftig, so ist es!
(Sanfte Musik, wie früher.)
Claudius. Schon wieder diese Töne, die tausend holde, bunte Bilder in mir erwecken. Und jenes Lied! – Himmel! Wo bin ich? Was birgt dieser Vorhang? Ich höre Waffenklirren, hohe Ritterbilder schauen mich an –
Pfalzgraf (tritt vor). Jüngling, blick' auf!
(Auf ein Zeichen wird der Vorhang geöffnet. Man erblickt eine mit Waffen geschmückte Halle; Ritterstatuen stehen auf erhöhten Piedestalen, Hugo und andere Ritter sind zur Ceremonie versammelt.)
Claudius. Ha! Meine Gesichte! Meine Träume! Sie werden wahr – sie treten in's Leben!
Pfalzgraf. Roland und Claudius aus Nürnberg, nähert Euch! Empfangt den Ritterschlag aus meiner Hand.
Claudius. Schont mein, hoher Herr! Mein Herz klopft, meine Knie wanken – jene steinernen Bilder schreiten auf mich zu –
Hedwig. Mein Bruder!
Claudius. Schütze mich, Schwester!
Burggraf. Das Mädchen, von dem ich Euch sprach.
Hedwig. Mein Bruder! Ach, gnädiger Herr! Sein Blick starrt nach jener Seite –
Claudius. Hinweg! Hinweg! (Auf die Statuen weisend.) Diese Gespenster verfolgen mich –
(Auf einen Wink des Pfalzgrafen wird der Vorhang wieder geschlossen.)
Pfalzgraf. Ruhig, mein Sohn! Fasse Dich. Woran mahnen Dich jene Bildsäulen?
Claudius. An eine dunkle Ferne. Aber nun wird's mir deutlicher, und immer deutlicher: in einer solchen Halle, unter solchen todtlebendigen Gestalten bin ich oft als kleiner Knabe spielend gewandelt –
Isolda. Gott! So wär' es wirklich?
Pfalzgraf. Fast schwindet jeder Zweifel. Sprecht, werther Burggraf! Ich bin zu bewegt.
Burggraf (zu Roland und Claudius). Hört, meine Lieben! Euer Vater lebte früher, zwanzig Jahre sind es her, in der freien Stadt Worms, wo er ein angesehener Künstler und ein Patrizier war. Ist es nicht so?
Roland. So ist es, Herr. Doch sprach er ungern von seiner Vaterstadt, weil er dort unsere Mutter verlor. Darum siedelte er sich später mit uns, als kleinen Knaben, in Nürnberg an.
Burggraf. Um diese Zeit nun war es, als in Worms ein Pilger in sein Haus kam, krank, fast sterbend, ein Knäblein von vier Jahren auf den Armen. Der Knabe gehöre einem vornehmen Geschlechte an, erzählte der Pilger, aber ein mächtiger Gegner verfolge ihn; darum habe er das Kind, als es im Starrkrampf lag, gegen seinen eigenen Diener für todt ausgegeben.
Leopold. Gegen seinen Diener?
Burggraf. Der Pilger starb. Das Knäblein blieb am Leben. So hat Euer Vater vor seinem Ende mir erzählt.
Roland. Und jenes Knäblein – wo ist es?
Burggraf. Hier: Claudius, Eures Vaters Pflegekind.
Hedwig. Claudius! Nicht mein Bruder?
Claudius. Du nicht meine Schwester! – Und meine Eltern? Sprecht, Herr –
Leopold. Alle Wetter! Der fremde Pilger – der Diener – das Wiegenlied – – ich wittere eine große Rührung. Was verstummt Ihr Alle? Hoheit, darf ich sprechen? Jener Pilger war mein Herr, der Freiherr Eberhard, und das ist – so wahr ich lebe – das ist der kleine Graf Lothar, Euer Neffe.
Burggraf. Er ist's, Pfalzgraf. Mein theurer Neffe!
Isolda. Bruder! Bruder!
Leopold (singt).
»Engelein hold, Steht ihm zur Seit' –« |
Claudius.
»Führt ihn zum Glück, Wahrt ihn vor Leid.« |
So werden meine Träume wahr! Ich bin's!
Lothar! Dein Bruder, holde Schwester!
Isolda. Bruder!
(Sie halten sich umarmt.)
Hedwig (für sich, mit einer Bewegung nach den Beiden).
Ihr Bruder – und nicht mein!
Roland (eben so). Sie seine Schwester!
Leopold. So seid denn Ihr der kleine Erbgraf, den ich
Auf meinen Armen trug! Was man erlebt!
Man soll daraus eine Ballade machen,
Und mich und Euch dazu im Holzschnitt – nein!
Ich faß' mich nicht vor Freud' – ich komm' von Sinnen –
Ich möchte lachen – ha, ha, ha! und muß –
Muß weinen – hi, hi, hi! Daß mich der Bock stößt.
Ich geh' und koche. Ja, das ist das Beste!
In dieser Rührung, dieser Auflösung
Von allen Seelenkräften durcheinander,
Muß mir ein wahres Meisterstück gelingen.
Lebt wohl! Ich setze alle meine Töpfe
An's Feuer, werfe Butter in die Gluth,
Bereite einen Schmaus für's ganze Land.
Hört mich, Ihr Ritter und Vasallen, hört!
Der Graf ist da, der Landesherr! Heut müssen
Die Unterthanen alle satt sich essen. (Ab.)
Die Vorigen ohne Leopold.
Pfalzgraf. Nur zu, Du munt'rer Bursch, und ruf' es aus
In alle Welt, daß unser Neffe lebt.
Bald soll das Land Euch huldigen.
Claudius. Mein Ohm –
Roland (nähert sich ihm).
Mein Herr. (will sich vor ihm beugen).
Claudius (umarmt ihn).
Mein Freund und Bruder! (Reicht Isolda die Hand.)
Durch die Schwester!
(Zu Hedwig.)
Gott hörte Deinen Schwur: nur ihm und mir
Gehörst Du an – erkenne seine Leitung.
(Sanfte Musik wie oben. Der Vorhang öffnet sich wieder, und die Ritter treten entblößten Hauptes hervor.)
Pfalzgraf (zu den Rittern).
Herbei, Ihr Herren, kommt herbei!
Claudius. Was ist –?
Pfalzgraf. Sie kommen, Euch zu huldigen, mein Neffe.
Claudius. So huldiget dem Grafen, Euerm Herrn –
(Indem er Hedwig umfaßt.)
Und huldiget der Gräfin, seiner Braut!
Bereits im Jahre 1824 geschrieben, wurde das Lustspiel erst sechzehn Jahre darauf für die Bühne bearbeitet. Der jugendliche Versuch war vielleicht nicht ohne Anhauch von Poesie; vor dem Lampenlicht verblaßte der romantische Schimmer. Die Scene, in welcher Claudius durch ein Lied an die Schicksale seiner Jugend erinnert wird, ist geschrieben, bevor die »weiße Frau« auf die Wiener Bühne kam.