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Oberleutnant Hans Arnim von Kühnhausen, ein großer, schlanker, hübscher Infanterieoffizier, mit einem klugen, intelligenten Gesicht und hübschen, übermütigen Augen und einem kurzen flotten, dunklen Schnurrbart, war in der Krankenstube des Lazarettes, die er bisher bewohnt hatte, damit beschäftigt, seinen Koffer zu packen, um bis zu seiner völligen Genesung in das Haus der reichen Frau Konsul Behnke zu übersiedeln, die ihm in liebenswürdigster Weise Gastfreundschaft angeboten hatte, weniger um seiner selbst willen, denn er persönlich kannte die Dame noch gar nicht, sondern wohl lediglich, weil es in dem Lazarett an Platz mangelte und weil die halbwegs gesunden Offiziere und Mannschaften, sobald es ging, in Bürgerquartieren untergebracht werden mußten. Auch er wurde in gewissem Sinne einfach umquartiert, nur daß für ihn in dem neuen Quartier keinerlei Quartiergeld bezahlt wurde, sondern daß er lediglich als Gast bei der Frau Konsul wohnen solle. Bis zu einem gewissen Grade war ihm das peinlich und genant, aber es blieb ihm ja schließlich nichts weiter übrig. Am liebsten wäre er nach Hause zu seinen Eltern gereist, aber er befand sich mit seinem Fuß, den nicht weniger als drei feindliche 2 Infanteriegeschosse durchbohrt hatten, immer noch in ärztlicher Behandlung. Die Wunden selbst waren zwar geheilt, aber es war doch noch eine niederträchtige Schwäche im Fuß zurückgeblieben, die ihn zwang, sich bei dem Gehen stark auf den Stock zu stützen. Deshalb hätte er natürlich trotzdem nach Hause reisen können, aber er wußte es im voraus, daß dort dann sehr bald wieder das Gejammere über seine Schulden losgehen würde, und die Mutter würde abermals klagen, wie schrecklich es ihr sei, von neuem die Hilfe der Verwandten für ihn in Anspruch nehmen zu müssen. Gewiß, das hatten sie ihm in ihren Briefen geschrieben, sie wollten ihm gern helfen, denn jetzt waren sie ja alle stolz auf ihn. Aber die Verwandten verlangten vorher, daß er selber de- und wehmütig für sein früheres flottes Leben um Verzeihung bäte und daß er sich schriftlich und ehrenwörtlich verpflichten solle, in Zukunft ein neues, solides Leben zu führen.
Dagegen aber lehnte sich sein Stolz auf. Seine Schulden bekennen wollte er gern, aber deswegen um Verzeihung bitten? Eher sollten die Verwandten sich bei ihm entschuldigen, daß sie ihn früher so wenig unterstützten und sich mühselig ein Zwanzigmarkstück vom Herzen abrangen, wenn er sie um einen Hundertmarkschein bat. Und nun gar Besserung geloben und sich schriftlich verpflichten, bis an sein Lebensende ein Tugendbold zu bleiben? Das fiel ihm ja gar nicht ein.
Aber seine Schulden los werden mußte er. Für den Fall, daß er auf dem Felde der Ehre bleiben sollte, hatten ihm seine Verwandten die Regulierung seiner Verbindlichkeiten zugesagt, aber nun, da er Gott sei Dank noch lebte, 3 mußte er, wenn er nicht zu Kreuze krocht selber sehen, wie er damit fertig würde.
Und er war sich auch längst darüber klar, wie er das machen könne, sogar aus eigener Kraft! Er würde ganz einfach ein schwerreiches, junges Mädchen heiraten, an denen hier nach allem, was er auf Befragen darüber erfuhr, absolut kein Mangel herrschte. Hier in der kleinen, hübsch gelegenen Stadt Mitteldeutschlands, die sich als Luftkurort eines gewissen Rufes erfreute, sollten die reichen Mädchen, wie in Sachsen nach dem alten Liede die hübschen, sogar auf den Bäumen wachsen. Na, und er würde sich von den Reichen schon die Allerreichste zu kapern versuchen. Natürlich mußte sie auch hübsch und liebenswürdig sein, aber vor allen Dingen reich, enorm reich, so reich, daß er seinen Verwandten eines Tages einen Brief schreiben konnte, in dem es hieß: »Ich bin zwar kein Rothschild, aber trotzdem, wenn Ihr mal vorübergehend um fünfzig- oder hunderttausend Mark verlegen seid, dann bitte wendet Euch nur an mich.«
Bis doch wieder Zweifel in ihm aufstiegen, ob er dieses Ziel wohl erreichen würde? Aber warum sollte ihm das nicht gelingen? Ein hübscher Mensch war er, das wußte er selbst sehr genau, ohne deswegen eitel zu sein. Die jungen Mädchen in seiner alten Garnison hatten ihn stets sehr gern gehabt, und wenn er ernstlich gewollt hätte, dann hätte er damals schon eine gute Partie machen können. Aber damals wollte er noch nicht und damals hatte er sich auch nicht so recht getraut, ernsthaft um ein reiches, junges Mädchen zu werben, denn da war er doch weiter nichts als ein junger Offizier mit einem großen Sack voll Schulden. Heute aber 4 stand er anders da. Er hatte den Krieg mitgemacht, und an seiner Brust prangten drei Orden. Das Eiserne Kreuz I. und II. Klasse, die er für einen mit Todesverachtung gegen eine russische Batterie unternommenen Sturmangriff erhielt, und nicht zuletzt die österreichische goldne Tapferkeitsmedaille, die er sich erwarb, als sein Regiment mit den Österreichern zusammen Schulter an Schulter in den Karpathen kämpfte. Na, und konnte er als ein Offizier, der da bewiesen hatte, daß er sein Leben für die zu Hause mehr als einmal auf das Spiel setzte, nicht ruhig um jedes reiche junge Mädchen freien? Und für das Geld, das sie ihm in die Ehe brachte, bekam sie mit seiner Person doch schließlich auch etwas wieder. Vielleicht nicht allzu viel, aber immerhin doch etwas.
Na, ein Glück, daß er heute endlich aus dem Lazarett herauskam und daß gerade die reiche Frau Konsul ihn bei sich aufnahm. Sicher hatte die eine Tochter, die hoffentlich nicht nur den Vorzug besaß, das Kind ihrer Mutter zu sein, sondern die auch noch andere Vorzüge aufzuweisen hatte. Und er würde in dem Hause der Frau Konsul, oder sonst irgendwie, auch noch andere Bekanntschaften machen. Die Kriegsurlauber, die schon wieder soweit hergestellt waren, daß sie in einigen Häusern gesellschaftlich verkehrten, trotzdem jetzt zu Beginn des Sommers die Gesellschaftssaison natürlich längst vorbei war, hatten sich über einen Mangel an Einladungen bisher nicht zu beklagen gehabt. Überall hielten sich die lieben Menschen hier gleichsam für verpflichtet, den Kriegsurlaubern das Leben so angenehm wie nur irgend möglich zu gestalten. Da würde auch er schon 5 Bekanntschaften schließen. Die Hauptsache blieb für ihn natürlich, daß er sich nicht verlepperte, daß er sein Ziel stets im Auge behielt und daß er sich nicht in zwei schöne Augen vergaffte, nur weil die schön waren.
Seinen Gedanken nachhängend war es mit dem Einpacken nicht allzu schnell gegangen, so blickte er denn erstaunt und erschrocken zugleich auf, als es an die Tür klopfte und als gleich darauf ein alter Diener in einfacher, aber geschmackvoller Livree bei ihm eintrat, um ihm zu melden, daß der Wagen der Frau Konsul vorgefahren sei.
Richtig, richtig, nun fiel es ihm wieder ein, die Frau Konsul hatte ihm sagen lassen, sie würde ihm um elf Uhr ihren Wagen schicken. Aber war es denn schon so spät?
»Wenn ich dem Herrn Oberleutnant vielleicht etwas helfen könnte?« erkundigte sich der Diener, und mit dessen Hilfe war das Packen der letzten Sachen dann sehr bald erledigt, so daß Leutnant von Kühnhausen, der sich bereits vorher von Allen im Lazarett verabschiedet hatte, dem Diener ins Freie folgen konnte.
Wie schön das Sommerwetter war, merkte er eigentlich erst, als er nun auf die Schwelle des Lazarettes trat. Der Himmel erstrahlte im hellsten Blau, die Sonne schien schön und warm, und in vollen Zügen atmete er die frische Luft ein, während er zugleich voller Anerkennung das Gespann der Frau Konsul musterte. Eine Frage lag ihm auf den Lippen, warum diese beiden schlanken und doch kräftigen und muskulösen Jucker nicht für den Krieg ausgehoben seien, aber was ging das ihn an. Vielleicht, daß die Pferde trotz ihres blendenden Aussehens doch irgend einen organischen 6 Fehler hatten, der sie für den Kriegsdienst untauglich machte. Auf jeden Fall konnte das Gespann sich sehen lassen, ebenso der alte Kutscher, der in untadelhafter Haltung auf dem Bock saß, die Zügel mit der Peitsche in der Linken, die rechte Hand grüßend an dem Hut.
Und er war nicht der Einzige, der den Wagen und die Pferde bewunderte. Als er sich zufällig noch einmal umblickte, ob vielleicht doch noch jemand zu sehen wäre, dem er vergessen hätte, Lebewohl zu sagen, bemerkte er an den Fensterscheiben viele Gesichter der kranken Mannschaften, die ihm beinahe voller Neid nachsahen, als wollten sie ihm zurufen: »Ja, du hast es gut, du fährst davon, vielleicht einem neuen glücklichen Leben entgegen, wir aber bleiben hier zurück und wer kann es wissen, wie lange noch.«
War das von dem »neuen glücklichen Leben« wirklich in den Blicken der anderen zu lesen, oder bildete er sich das nur ein, weil sich ihm plötzlich dieser Gedanke im Zusammenhang mit dem, was ihn noch vor kurzem beschäftigte, aufdrängte? Auf jeden Fall war es ihm beinahe peinlich, sich so anstarren zu lassen, und er schämte sich fast, in dem Wagen Platz zu nehmen, als nun sein Koffer auf den Bock gestellt war.
Gleich darauf zogen die Pferde an, und lautlos glitt die leichte, offene Chaise auf Gummirädern dahin. Das Militärlazarett lag etwas außerhalb der Stadt, inmitten eines schönen Waldes, zwischen alten Buchen und Eichen, so daß der Weg zuerst durch den Wald selbst führte, bis man dann die Stadt erreichte, durch deren Straßen der Wagen noch leichter dahin rollte und fast noch schneller als bisher, denn die Jucker schienen es zu wissen, daß es dem Stall entgegen 7 ging. Bis dann plötzlich in der Hauptstraße der Kutscher mit einem scharfen Ruck die Zügel anzog, daß er die Pferde fast a tempo zum Stehen brachte, während gleichzeitig vorn auf der Straße lautes Sprechen und Schelten ertönte und zwischendurch das »Hüh hüh! Hott hott!«, mit dem man einen wohl ermatteten Gaul neu anzutreiben versuchte.
Was gibt es denn da für einen Aufenthalt? wollte Hans Arnim dem alten Diener zurufen, aber er unterließ es doch. Er war ja gewissermaßen nur ein Gast in diesem Wagen, und außerdem schien es sich nur um eine ganz kurze Verkehrsstockung zu handeln, sonst hätte sich der Diener wohl von selbst nach ihm umgewandt, um ihn darüber aufzuklären, was vorläge. Aber der Wagen hielt doch länger, als er gedacht hatte.
In die rechte Ecke zurückgelehnt saß Hans Arnim und wartete darauf, daß es weiter gehen solle, bis er jetzt, als er den Kopf einmal ganz zufällig zur Seite wandte, unmittelbar neben dem Wagen ein Auto halten sah, das wohl lautlos herangeglitten sein mußte, denn er hatte es jedenfalls nicht kommen hören.
Donnerwetter, das Auto und dreimal Donnerwetter das Mädel, das in dem wundervollen Auto saß!
Einen Augenblick starrte er die junge Dame fassungslos an, dann aber – ja wahrhaftig, hätte er sich nicht selbst wieder mit Gewalt auf den Sitz zurückgedrängt, dann wäre er vor Erstaunen über so viel Schönheit und Anmut, ohne an seinen schlimmen Fuß zu denken, in die Höhe geschnellt. So aber besann er sich doch noch zur rechten Zeit auf sich selbst und begnügte sich damit, sich mit einem sogenannten 8 hörbaren militärischen Ruck im Sitzen stolz und stramm aufzurichten. Dann jedoch sah er sich die junge Dame, von der er sowieso den Blick noch nicht wieder abgewandt hatte, noch genauer an. Herrgott noch mal, war das ein Mädel! Anscheinend mittelgroß, schlank und geschmeidig gewachsen, hatte sie ein entzückendes, bildhübsches Gesicht mit zwei großen kugelrunden, tiefschwarzen Augen, die von dichten Wimpern beschattet waren, und unter dem großen runden Strohhut quoll eine Fülle des herrlichsten hellblonden Haares hervor. Schwarze Augen und hellblonde Haare! Donnerwetter, das wirkte. Und dazu der pfirsichrote Teint, die im Profil äußerst fein und zart geschnittene Nase, der kleine, verführerisch hübsche Mund, der nur dazu geschaffen schien, um zu küssen, vor allen Dingen aber, um geküßt zu werden. Herrgott von Strammbach noch einmal!
Er fühlte ganz deutlich, wie ihm sonderbar zumute wurde. Das war doch noch mal ein Mädel. Wenn die wollte, in die verliebte er sich sofort, ohne erst danach zu fragen, ob sie auch reich wäre. Und das schien sie zum Überfluß auch noch zu sein, denn wer in einem solchen Auto fuhr, der mußte in der Wahl seines Vaters sehr vorsichtig gewesen sein.
Er vermochte den Blick nicht von ihr abzuwenden, selbst auf die Gefahr hin, dadurch etwas aufdringlich zu erscheinen, und jetzt bemerkte er ganz deutlich, während er fühlte, wie sein Herz laut und unruhig zu schlagen begann, wie sie nun auch ihn ansah. Zuerst sicher nur gleichgültig und ohne jedes Interesse, bis er dann doch zu bemerken glaubte, – oder bildete er es sich nur ein, daß auch sie ihn mit einer gewissen Neugierde betrachtete?
9 Da wandte er erst recht den Blick nicht von ihr ab und mit einemmal sah er sie ganz anders an, als bisher. Die Nähe der bildhübschen jungen Dame berauschte ihn. Dazu der klarblaue Himmel, das schöne Sommerwetter, die Freude, den engen Wänden des Krankenhauses entronnen zu sein, das Bewußtsein, wenn auch nur langsam seiner völligen Genesung entgegenzugehen, das alles stimmte ihn plötzlich nicht nur froh und glücklich, sondern sogar übermütig, und aus diesem Übermut heraus sah er sie mit einem lächelnden, schelmischen, aber zugleich auch mit einem verliebten Augenaufschlag an. Er warf ihr seinen Blick zu, wie er den nannte, und von dem er bisher in der alten Garnison stets behauptete, den könne ihm keiner der Kameraden nachmachen. Und die jungen Damen hatten ihm darin beigestimmt und ihn mehr als einmal im Scherz gebeten: »Herr von Kühnhausen, machen Sie doch einmal wieder Ihren verliebten Augenaufschlag!«
Jetzt tat er es unaufgefordert, und die Wirkung blieb auch diesmal nicht aus. Allerdings entsprach die, wenigstens zuerst, nicht ganz seinen Erwartungen, denn die junge Dame machte ein Gesicht, als sei sie mehr als empört und sie sah ihn nun ihrerseits an, als wolle sie ihm zurufen: »Wie können Sie es wagen, mir derartig in die Augen zu sehen, das ist beinahe, nein, das ist sogar wirklich mehr als ungezogen.«
Aber dann bemerkte er doch, wie es auch in ihren Augen aufblitzte. War das nur Zorn, oder ein, wenn auch nur zurückgehaltenes Lachen? Und auch um ihren Mund zuckte es, als müsse sie sich bemühen, ganz ernsthaft zu bleiben. Aber gleich darauf nahm ihr süßes, kleines Gesicht wieder 10 einen strengen, strafenden Ausdruck an, bis sie plötzlich ihren Sonnenschirm aufspannte und den ostentativ gegen ihn hinhielt, so daß sie für ihn unsichtbar wurde. Aber wie es kam, wußte er selber nicht, er hätte darauf schwören mögen, daß sie hinter dem Schirm lachte und daß sie den mehr aufspannte, um ihn zu ärgern, als um sich weiter vor seinen Blicken zu schützen.
Ob sie wohl noch einmal wieder sichtbar werden wird? dachte er im stillen. Aber sein Hoffen sollte nicht in Erfüllung gehen, denn gleich darauf zogen die Pferde, da der Weg wieder frei geworden war, von neuem an, und an ihm vorbei rollte lautlos das Auto, dessen Nummer sich Hans Arnim einprägte, um baldmöglichst in Erfahrung zu bringen, wem es gehöre und welcher sicher sehr reiche Vater diese auffallend hübsche Tochter besäße. Sicher, es war ja ein Wahnsinn, zu glauben, daß es ihm gelingen könne, diesen hübschen Goldfisch einzufangen, aber trotzdem, versuchen wollte er es, wenn es nicht zu spät war, wenn der sich nicht schon verlobt oder noch nicht in einen anderen verliebt hatte. Aber dem Mutigen gehört die Welt und er war es schon seinem Namen schuldig, auch hier, wie bisher draußen vor dem Feinde, es an Kühnheit nicht fehlen zu lassen.
Ganz in Gedanken versunken achtete er gar nicht weiter auf den Weg, den der Wagen zurücklegte, um erst wieder aufzusehen, als die Pferde plötzlich scharf nach rechts abbogen und als der Wagen die Straße verlassen hatte und durch ein weit geöffnetes Tor in einen Garten einbog, der in seiner Ausdehnung und mit seinen alten Bäumen eher einem Park glich. Man schien an Ort und Stelle zu sein, wenigstens 11 tauchte nun eine große, schneeweiße, im Stil eines englischen Landhauses gebaute Villa auf, die nur aus einem, allerdings sehr geräumigen Erdgeschoß bestand, während sich unter dem ziemlich hochgehaltenen Dache nur wenige Fenster zeigten. Von dem Garten führte eine niedrige Treppe mit breiten Stufen in das Haus, aber zu seinem Erstaunen fuhr der Wagen nicht dort vor, sondern bei der Rückfront des Hauses, von der eine gleiche Treppe wie vorn in das Freie führte. Der Wagen hielt, und der alte Diener kletterte etwas steif und mühselig vom Bock, um ihm bei dem Aussteigen behilflich zu sein. Gleich darauf ging Hans Arnim, auf seinen Stock gestützt, die Treppe hinauf, um sich, sobald er die erstiegen, und die Tür geöffnet hatte, in seinem Wohnzimmer zu befinden, denn der alte Diener klärte ihn darüber auf, die gnädige Frau hoffe, er möge sich in diesen Räumen wohl fühlen. Die gnädige Frau habe ihm gerade dieses Zimmer mit dem daneben gelegenen Schlafgemach anweisen lassen, damit der Herr Oberleutnant hier ganz ungeniert sei.
Hans Arnim verstand. Er hatte hier sein kleines Reich für sich, er konnte kommen und gehen, wie es ihm beliebte, ohne jedesmal mit den anderen Hausbewohnern zusammenzutreffen. Er hatte sogar seinen besonderen Eingang, angenehm für ihn, angenehm auch für die Frau Konsul. Da trugen die Ordonnanzen, oder wer sonst zu ihm kam, keinen Schmutz in das Haus, da brauchten die nicht erst vorn an der Haustür zu klingeln, um dadurch die Dienstboten von der Arbeit abzurufen. Und wie bequem er es hatte, wenn er von seinem Zimmer in den schönen Park gehen wollte, 12 und wie hübsch die Aussicht aus seinem Zimmer war. Nein wirklich, besser hätte er es gar nicht treffen können. Wie groß sein Wohnzimmer war und wie bequem und behaglich zugleich eingerichtet. Ein großer Teppich bedeckte den ganzen Fußboden, an den Wänden hingen alte Ölbilder, um den Tisch herum standen bequeme Klubsessel, eine breite Chaiselongue stand bereit, wenn er sich einmal ausruhen wollte. An den Fenstern waren echt orientalische Kelims angebracht, und die halbgeschlossene Jalousie hielt das grelle Sonnenlicht ab. Aber auch sonst hatte man dafür gesorgt, daß er sich hier wohlfühlen solle. Jetzt sah er es erst, auf einem der kleinen Tische standen sogar ein paar Kisten Zigarren, importierte und gute Hamburger, und auf einem anderen Tische stand ein Strauß herrlicher dunkler Rosen.
Hans Arnim war über soviel Aufmerksamkeit ganz gerührt und so fragte er den Diener: »Hat die Frau Konsul das alles selbst mit soviel Liebe für mich, der ich ihr doch fremd bin, hergerichtet?«
»Hauptsächlich hat das gnädige Fräulein das besorgt, Herr Oberleutnant,« lautete die Antwort.
Also war doch eine Tochter im Hause! Seine Wünsche und seine Hoffnungen schienen in Erfüllung gehen zu wollen, aber trotzdem, jetzt ließ ihn die Nachricht ziemlich kalt, denn seitdem er vorhin die junge Dame in dem Auto gesehen hatte, was ging ihn da die Tochter des Hauses an, mochte die noch so reich oder noch so hübsch sein. Allerdings, ganz vernachlässigen durfte er die auch nicht, das erforderte schon die Dankbarkeit gegen ihre Mutter, die ihn so gastfrei aufnahm, und auch er mußte ihr von Herzen danken, daß sie 13 sein Zimmer so wohnlich für ihn einrichtete. Und wenn die Autodame, wie er die im stillen nannte, für ihn wirklich unerreichbar sein sollte, oder wenn die bereits vergeben war, der Gedanke, sich hier in diesem reichen Hause als Schwiegersohn zu etablieren, war schließlich auch noch nicht der dümmste. Natürlich immer vorausgesetzt, daß er sich in die Tochter auch verliebte, denn ein Mädel nur des Geldes wegen zu nehmen, das brachte er denn doch nicht fertig.
Er humpelte in dem Zimmer auf und ab und warf einen Blick in das große, helle, geräumige Schlafzimmer, an das sich ein Baderaum anschloß, während der Diener wieder hinausgegangen war, um das Gepäck zu holen. Der schickte sich dann auch an, die Sachen auszupacken, aber Hans Arnim wehrte dankend ab: »Nein bitte, lassen Sie nur, das besorge ich schon allein, ich möchte Sie nicht länger von Ihren sonstigen Pflichten abhalten, sicherlich braucht die gnädige Frau Sie auch. Nur noch eine Frage: Läßt sich die Frau Konsul bei ihrem Titel oder »gnädige Frau« nennen?«
»Immer nur ›gnädige Frau‹,« lautete die Antwort.
»Schön, daß ich das weiß, und dann noch eins, nur damit ich darüber orientiert bin. Sie sprachen vorhin von dem gnädigen Fräulein. Hat die gnädige Frau nur diese eine Tochter, oder sind sonst noch Kinder im Hause?«
»Kinder sind überhaupt nicht da, Herr Oberleutnant,« klärte der Diener ihn auf, »das gnädige Fräulein, das ich erwähnte, ist die Gesellschafterin, ein Fräulein von Greusen. Und ehe ich es vergesse, das gnädige Fräulein läßt den Herrn Leutnant bitten, sie nur bei ihrem Namen, niemals aber »gnädiges Fräulein« zu nennen, denn sie behauptet 14 immer, diese Anrede stehe ihr nicht mehr zu. Aber wenn wir von ihr sprechen, wir nennen sie doch nur stets »gnädiges Fräulein,« namentlich tue ich das. Denn als ich noch jung war, war ich einmal Bursche bei einem Major und weiß ich doch, wie man eine Majorstochter anzureden hat. Und schließlich kann Fräulein von Greusen doch auch nichts dafür, daß sie durch diesen Krieg nicht nur ihren Vater. sondern auch den letzten Rest ihres Vermögens verloren hat und daß sie nun gezwungen ist, als Gesellschafterin sich bei fremden Leuten ihr Brot zu verdienen.«
»Ach Herrjeses,« entfuhr es Hans Arnim voll ehrlichster Anteilnahme, bis er dann hinzusetzte: »Dieses Fräulein von Greusen entstammt also einer Offiziersfamilie?«
»Ja, ja, Herr Oberleutnant,« stimmte der Diener ihm bei, »es ist, wie ich sagte. Ich glaube, das gnädige Fräulein hat viel Schweres in ihrem Leben durchmachen müssen, aber allzu sehr brauchen der Herr Oberleutnant das gnädige Fräulein doch nicht zu bedauern, denn die gnädige Frau ist sehr gut und lieb mit ihr, es sind überhaupt alle nett mit ihr und tun für sie, was sie können. Na, nun lacht das gnädige Fräulein auch schon manchmal wieder, aber zuerst, als sie vor länger als einem halben Jahre zu uns kam, war sie immer so ernst und traurig, daß einem das Herz weh tun konnte. Noch dazu, wo das gnädige Fräulein so auffallend hübsch ist. Wirklich, Herr Oberleutnant, sie ist so hübsch, daß man gar nicht begreift, daß die früher keinen Mann bekommen hat,« bis er sich dann selbst mit den Worten unterbrach: »Der Herr Oberleutnant müssen mich nicht für einen alten Schwätzer halten, daß ich soviel rede, aber wenn 15 das Gespräch auf das gnädige Fräulein kommt, geht mir jedesmal das Herz durch. Nun aber entschuldigen mich der Herr Oberleutnant wohl. Wenn ich denn doch nicht helfen soll, und im übrigen brauchen der Herr Oberleutnant nur zu klingeln, dann kommt das Stubenmädchen, die Nanny. Ich werde mir erlauben, den Herrn Oberleutnant abzuholen, wenn es Zeit wird, zu Tisch zu gehen. Präzise ein Uhr wird gegessen. Die gnädige Frau lassen den Herrn Oberleutnant bitten, sich bis dahin in keiner Weise stören zu lassen.«
Gleich darauf war Haus Arnim allein und er machte sich daran, seine Sachen auszupacken und diese in die Kommoden und in die Schränke zu legen. Das ging aber doch nur langsam, fast noch langsamer, als vorhin in dem Lazarett das Einpacken. Nicht nur, weil das Gehen von dem Schrank zu dem Koffer und wieder zurück ihm Schwierigkeiten bereitete, sondern weil er jetzt noch mehr als am frühen Morgen seinen Gedanken nachhing. Aber sonderbarerweise beschäftigten die sich jetzt eigentlich weder mit seiner eigenen Person, noch mit der Autodame, sondern lediglich mit der Gesellschafterin hier im Hause. Er würde ja nun sehr bald selber sehen, ob die wirklich so hübsch war, wie der Diener ihm vorschwärmte. Na und wenn schon, was ging es ihn an? Ihm wollte es nur nicht recht in den Sinn, daß er eine Offizierstochter jetzt plötzlich nicht mehr »gnädiges Fräulein«, sondern »Fräulein von Greusen« nennen solle. Das widersprach seinem Empfinden und er dachte im stillen: »Wenn dieser Krieg dem gnädigen Fräulein schon so manches nahm, den Vater, das Elternhaus und das 16 Vermögen, dann hätte man ihr wenigstens die gesellschaftliche Anrede lassen sollen, die ihr früher zukam und an die sie doch als selbstverständlich gewöhnt war.« Ja ja, dieser Krieg, der brachte viel mit sich, der wertete viele Werte um, und mancher, der noch vor einem Jahr in guter Position dasaß, war heute gezwungen, sich sein Brot zu verdienen. Gewiß, das war für keinen Menschen, auch nicht für Fräulein von Greusen, eine Schande, aber trotzdem, ihm persönlich wäre es lieber gewesen, wenn die Gesellschafterin dieses Hauses anderen Kreisen als gerade einer Offiziersfamilie angehört hätte.
Der helle Schlag einer kleinen alten Standuhr ließ ihn aufblicken. Doch schon halb eins, da wurde es Zeit, sich zu beeilen, damit er nachher nicht wieder den Diener warten lassen müßte, wenn der kam, um ihn zum Mittagessen abzuholen.
Und der erschien mit dem Glockenschlage ein Uhr: »Die gnädige Frau lassen bitten.«
Da es der erste offizielle Besuch war, hatte Hans Arnim den Überrock mit dem Waffenrock vertauscht, den Helm zur Hand genommen und sich das Schlachtschwert um die Lenden gegürtet. So hinkte er, sich auf den Stock stützend, hinter dem alten Diener her, der ihn durch eine ganze Flucht von Zimmern führte, bis er in einem mit behaglichem Luxus ausgestatteten Empfangssalon der Frau Konsul gegenüberstand, einer mittelgroßen, ein klein wenig zu starken Dame, mit einem unendlich guten und liebenswürdigen Gesicht, aus dem zwei hellgraue Augen mit einer fast jugendlichen Lebhaftigkeit in die Welt blickten. Sie war eine Erscheinung, 17 der man, wie man so sagt, auf den ersten Blick gut sein mußte. Und Hans Arnim dachte, während er die Hand, die sich ihm zum Willkommen entgegenstreckte, an die Lippen führte: daß es Fräulein von Greusen bei dieser alten Dame gut hat, glaube ich ohne weiteres, die sieht nicht danach aus, als ob sie ihre Angestellten schlecht behandelt und als ob sie die ihre Abhängigkeit fühlen ließe.
Dann aber dankte er mit herzlichen warmen Worten für die außerordentlich gastfreie Aufnahme, die er hier gefunden habe, um hinzuzusetzen, er wisse wirklich nicht, wie die gnädige Frau dazu gekommen sei, ihm ihr Haus zu öffnen.
Aber die Frau Konsul lehnte mit ihrer weichen angenehmen Stimme jeden Dank ab: »Es ist wirklich das Wenigste, was wir Zivilfamilien für die noch der Schonung bedürftigen Herren Offiziere tun können, daß wir die bei uns aufnehmen und nach besten Kräften für sie sorgen. Wieviel haben sie alle, die sie krank oder verwundet aus diesem Kriege zurückkommen, nicht da draußen vor dem Feinde für uns getan? Ich habe gar manche Nacht nicht schlafen können, wenn ich am Abend in den Zeitungen davon las, welche ungeheuren Strapazen unsere braven Truppen namentlich in diesem Frühjahr in den Karpathen durchgemacht haben. Und da dachte ich mir immer, wenn du doch nur einem dieser Braven dafür anders danken könntest, als dadurch, daß du für ihn betest. Und als ich zufällig erfuhr, daß auch Sie an diesen Kämpfen teilnahmen und daß für Sie ein Privatlogis gesucht würde, da stand mein Entschluß, Sie zu mir einzuladen, sofort fest. Jetzt habe ich nur den einen Wunsch, daß Sie sich bei mir wohlfühlen möchten.«
18 »Das Gegenteil brauchen Sie, gnädige Frau, ganz gewiß nicht zu befürchten,« gab er mit seiner hübschen, sonoren Stimme zur Antwort. »So fürstlich wie in den beiden mir freundlichst zur Verfügung gestellten Zimmern habe ich selbst vor dem Kriege niemals gewohnt, und da Sie, gnädige Frau, außerdem noch von einer solchen großen Güte sind, können Sie überzeugt sein, daß ich stets voller Dankbarkeit an die Zeit zurückdenken werde, die ich bei Ihnen verleben durfte.«
»Und damit Sie das wirklich tun, Herr von Kühnhausen, bitte ich Sie, sich in keiner Weise einen Zwang auferlegen zu wollen. Sie sollen nicht die geringste Rücksicht auf mich nehmen. Leben Sie ganz, wie es Ihnen gefällt. Wenn Sie die Mahlzeiten mit uns zusammen einnehmen, mittags um ein Uhr, abends um sieben Uhr, dann werde ich mich dessen stets freuen. Wünschen Sie aber, zuweilen in Ihrem Zimmer zu speisen, oder in der Stadt mit den Kameraden zusammen, bitte ich Sie nur, das vorher dem alten König, dem Diener, zu sagen. Heute am ersten Tage wünschte ich Sie natürlich als Gast bei mir zu Tisch zu sehen. Hoffentlich haben Sie keine andere Verabredung? Nun, das freut mich,« setzte sie hinzu, als er ein »keineswegs, gnädige Frau« dazwischen warf, »und ich denke, wir können jeden Augenblick zu Tisch gehen. Aber wollen Sie nicht ablegen, es hätte wirklich nicht nötig getan, daß Sie meinetwegen in voller Uniform erscheinen, wie man das wohl nennt.«
Er schnallte den Säbel ab und sah sich gerade nach einem Platz um, wohin er den mit dem Helm legen könne, als der Diener die Tür öffnete, um zu melden, daß serviert sei.
19 »Sehr schön, König, wir kommen,« meinte die Frau Konsul, und er trug rasch den Helm und den Säbel nach draußen auf den Korridor, um schnell wieder zur Stelle zu sein, als Hans Arnim, der der Frau Konsul seinen Arm geboten hatte, mit dieser das große, helle Eßzimmer betrat.
Und dort in dem Eßzimmer, sie beide erwartend, stand eine große, schlanke, junge Dame von höchstens zweiundzwanzig Jahren, mit vollem, dichtem, kastanienbraunem Haar und ein Paar großen, stahlblauen Augen. Und so schön war sie, daß Hans Arnim sie einen Augenblick ganz entgeistert anstarrte, bis er sich sagte: »Gott sei Dank, daß du schon unrettbar in die Autodame verliebt bist, denn sonst würde die hier es dir antun, und anstatt dich durch eine reiche Partie zu rangieren, wärest du imstande, später der einen Heiratsantrag zu machen und dir zu deinen vielen alten Sorgen eine neue große auf den Hals zu laden.«
Aber es mußte ihm doch wohl gelungen sein, das, was ihn beschäftigte, nicht zu verraten, wenigstens verriet die junge Dame in keiner Weise, daß sie an seinem Blick irgend etwas Besonderes bemerkt habe, und die Frau Konsul hatte auf den wohl wirklich nicht geachtet, denn ganz unbefangen vermittelte sie jetzt die Bekanntschaft: »Mein liebes Fräulein von Greusen, erlauben Sie, daß ich Ihnen meinen Gast, Herrn Oberleutnant von Kühnhausen, vorstelle,« und erklärend setzte sie hinzu: »Fräulein von Greusen ist allerdings erst seit reichlich einem halben Jahr bei mir im Hause, aber sie ist mir bereits eine außerordentliche liebe Hausgenossin geworden.«
Hans Arnim empfand es auf das Angenehmste und 20 dankbarst, daß die Frau Konsul wohl absichtlich das Wort »Gesellschafterin« vermied. Dann machte er Fräulein von Greusen eine zeremonielle Verbeugung, die diese durch ein leises, aber freundliches Neigen des Hauptes erwiderte, bis er dann an dem runden Eßtisch Platz nahm, zur Rechten der Hausfrau, Fräulein von Greusen gegenüber.
Der alte König servierte leise und geräuschlos, und das Gespräch drehte sich zunächst wieder darum, daß die Frau Konsul abermals wünschte, daß er sich bei ihr wohlfühlen möge, bis sie dann hinzusetzte: »Wenn Sie noch irgendeinen Wunsch haben sollten, Herr von Kühnhausen, wenden Sie sich bitte an Fräulein von Greusen. Ich habe es ihr überlassen, Ihnen die Zimmer einzurichten, da Fräulein von Greusen besser weiß, welche Bequemlichkeit ein Offizier liebt, da Fräulein von Greusen einer Offiziersfamilie entstammt und da ich ihre Anwesenheit bei mir dem traurigen Umstande verdanke, daß Fräulein von Greusen das Unglück hatte, den Vater in diesem entsetzlichen Kriege zu verlieren.«
Er tat, als höre er das zum erstenmal, er hielt es nicht für passend, zu erzählen, daß der alte König bereits mit ihm über sie sprach. So fand er denn für Fräulein von Greusen jetzt ein herzliches Wort der Teilnahme, bis er, sich an die Frau Konsul wendend, meinte: »Ich glaube nicht, gnädige Frau, daß ich noch in die Lage kommen werde, auch nur den leisesten Wunsch zu äußern, denn Fräulein von Greusen hat an alles, aber auch an alles gedacht.«
»Und doch habe ich absichtlich etwas vergessen,« widersprach diese mit einer ruhigen, äußerst angenehmen Stimme.
»Das wäre?« fragte er ganz erstaunt. »Denn ich kann 21 mich wirklich nicht besinnen, auch nur das Geringste vermißt zu haben. Was könnte das wohl sein?«
»Ein paar gute Bücher,« lautete die Antwort. »Ich habe natürlich auch daran gedacht und lange vor dem Bücherschrank gestanden, aber ich wußte nicht, was ich für Sie auswählen sollte. Ich kenne Ihren Geschmack in der Richtung ja absolut nicht. Vielleicht treffen Sie nachher selbst Ihre Auswahl, ich werde Ihnen gern dabei behilflich sein.«
»Wenn Sie das wollten, Fräulein von Greusen, wäre ich Ihnen aufrichtig dankbar,« stimmte er ihr lebhaft bei, »wir alle, die wir aus dem Felde zurückkommen, haben einen wahren Heißhunger nach guten Büchern mit nach Hause gebracht und doch hat es uns auch da draußen in den Schützengräben nicht an Büchern gefehlt, die wir als Liebesgaben erhielten. Aber es waren doch eigentlich immer dieselben Bücher, die uns geschickt wurden, und so haben wir uns manchmal fürchterlich in den Schützengräben gelangweilt.
Und dann begann er auf Wunsch der Frau Konsul von dem Leben im Kriege zu erzählen. Aber um Fräulein von Greusen nicht etwa durch die Schilderung der Schrecknisse an den Tod ihres Vaters zu erinnern und um durch die Erwähnung der zahllosen traurigen Bilder, die er gesehen, keine trübe Stimmung aufkommen zu lassen, schilderte er in humoristischer Art nur kleine lustige Episoden, die sich in den Schützengräben oder im Quartier abspielten. Manches absichtlich stark übertreibend, aber mit dem gewünschten Erfolg, denn selbst Fräulein von Greusen, deren hübsches Gesicht einen ernsten Ausdruck trug, lachte ein paarmal fröhlich auf. Auch die Frau Konsul amüsierte sich sichtlich 22 über seine Art zu erzählen. So herrschte an der kleinen Tafel bald eine heitere, frohe Stimmung und für Hans Arnim wurde die noch durch die schönen Speisen und durch die edlen Weine erhöht, die die Wirtin servieren ließ. Ja, ihm zu Ehren gab es heute sogar eine Flasche französischen Sekts, obgleich man den in dieser Zeit ja eigentlich gar nicht trinken dürfe, wie die Frau Konsul äußerte, als der alte König den perlenden Wein in die Gläser einschenkte.
Hans Arnim lachte fröhlich auf: »Darüber haben wir, als wir noch in Frankreich kämpften, bevor wir nach dem Osten geschickt wurden, wesentlich anders gedacht, gnädige Frau. Wir haben den französischen Sekt in Strömen getrunken, bis dann eines Tages etwas eintrat, das man bei einem preußischen Leutnant, wie er früher immer geschildert wurde und wie er ja auch in Wirklichkeit war, wohl niemals für möglich gehalten hätte. Wir konnten keinen Sekt mehr sehen, geschweige denn den noch trinken. Aber jetzt habe ich mich in der Hinsicht schon längst wieder zu meinem Nachteil verändert.«
»Dann also nochmals herzlich willkommen,« rief die Frau Konsul, und gleich darauf stießen alle drei mit den Gläsern an.
Und bei der Gelegenheit geschah es zum erstenmal, daß Fräulein von Greusen ihn ganz offen und frei ansah. Nicht, als ob sie es vorher vermieden hätte, ihren Blick zuweilen auch auf ihn zu richten, aber sie hatte sich doch dabei stets eine gewisse Zurückhaltung auferlegt, hauptsächlich wohl seinetwegen, damit er in seiner übermütigen Stimmung, in die er nach und nach geraten war, auch nicht einen 23 Augenblick vergessen möge, in ihr etwas anderes als nur die Gesellschafterin der Frau Konsul zu sehen.
Nun aber sah sie ihn offen und frei an und da bemerkte er eigentlich erst ganz deutlich, was sie für wunderbar schöne stahlblaue Augen hatte. Die waren tatsächlich so schön, daß er es bis zu einem gewissen Grade beinahe bedauerte, sich bereits in zwei andere Augen verliebt zu haben. Bis er sich doch aber wieder im stillen zurief: »Hans Arnim, sei vernünftig, mache keine Dummheiten, denk' an deine Verwandten, setze dich dem nicht aus, die wieder anpumpen und später vielleicht sogar von ihrer Gnade leben zu müssen.«
Das brachte ihn wieder zu sich selbst und in seiner fröhlichen Art plauderte er weiter darauf los, bis man sich nach einer guten Stunde erhob, um in dem Wintergarten den Kaffee zu trinken.
»Auf die Zigarre werden Sie in meiner Gesellschaft leider verzichten müssen, Herr von Kühnhausen,« erklärte die Frau Konsul liebenswürdig, »es tut mir ja selbst am meisten leid, Ihnen die Freude rauben zu müssen, aber ich kann nun einmal keinen Zigarrendampf vertragen. Deshalb gehe ich so ungern zu meinem Schwager, obgleich ich den sonst sehr liebe. Umso lieber gehen die Herren dorthin, sein Zigarrenlager ist fast noch beliebter als sein Weinkeller.« Und nach einer kleinen Pause fuhr sie fort: »Haben Sie meinen Schwager, den Kommerzienrat Bachhof, schon zufällig kennen gelernt?« Und als er das bedauerte, setzte sie hinzu: »Dann müssen Sie ihm nächstens Ihren Besuch machen. Er wird sich sehr darüber freuen, er hält auch jetzt noch sein gastliches Haus offen, in erster Linie für die 24 Kriegsurlauber. Er war früher selbst mit Leib und Seele Reserveoffizier und wäre am liebsten auch jetzt noch mit ins Feld gezogen, aber seine Geschäfte hielten ihn zurück. Auch ist er nicht mehr ganz jung, bald ebenso alt wie ich, Mitte der Fünfzig. Na, umso stolzer ist er auf seinen Sohn, den Viktor, der sich als flotter Husarenleutnant schon das Eiserne Kreuz I. und II. Klasse holte.«
»Da gratuliere ich herzlichst,« meinte Hans Arnim, bis er sich an Fräulein von Greusen, die den Kaffee einschenkte, wandte, um sie zu bitten,: »Sie sind wirklich sehr liebenswürdig, Fräulein von Greusen, aber ich bitte keinen Zucker und auch keine Sahne, ich trinke den Kaffee am liebsten schwarz.«
Man plauderte noch eine kleine Weile, aber doch schon mit dem stillen Gedanken, dem Zusammensein bei der nächsten Gelegenheit für jetzt ein Ende zu machen, als der Diener mit der Meldung erschien, es sei aus der Villa des Herrn Kommerzienrat antelephoniert worden. Das gnädige Fräulein lasse um Erlaubnis bitten, um halb vier Uhr zum Kaffee mit möglichst viel Schlagsahne und Kuchen kommen zu dürfen, und wenn die gnädige Frau es erlaube, möchte das gnädige Fräulein im Anschluß daran gegen fünf Uhr mit Fräulein von Greusen etwas auf den Tennisplatz gehen.
»Die Kitty kommt!« rief die Frau Konsul erfreut, als der Diener wieder gegangen war. »Das ist aber lieb von ihr und auch, daß die Sie zum Tennisplatz abholen will, Fräulein von Greusen. Selbstverständlich müssen Sie mit ihr gehen, schon weil Kitty mich sonst ausschilt,« und erklärend setzte sie hinzu: »Sie müssen nämlich wissen, Herr 25 von Kühnhausen, meine Nichte ist ein kleiner, übermütiger Racker, der keinen Widerspruch duldet. Aber sie ist ein liebes, herziges Geschöpf, das sicher auch Ihnen gefallen wird, nur vor einem möchte ich Sie gleich warnen, verlieben Sie sich nicht in die, das hat schon mancher getan, aber bisher ohne jeden Erfolg.«
»Ich danke Ihnen für die Warnung und werde mich nach der zu richten wissen, gnädige Frau,« meinte Hans Arnim lachend und übermütig und am liebsten hätte er hinzugefügt: »Sie brauchen nichts zu befürchten, gnädige Frau, ich bin schon verliebt, aber in eine andere,« und doch hielt er diese Worte zurück, schon weil er sie mit Rücksicht auf Fräulein von Greusen unpassend fand. Aber da er das nicht sagen konnte, suchte er nach ein paar anderen Worten, die er noch als Erklärung hinzufügen wollte, aber bevor ihm auch nur eine halbwegs gescheite Ausrede eingefallen wäre, fragte Fräulein von Greusen: »Wie ist es, gnädige Frau, soll ich den Kaffeetisch für heute Nachmittag wieder wie in den letzten Tagen im Garten in der großen Laube decken lassen, oder im Eßzimmer?«
»Lieber im Freien,« stimmte die Frau Konsul ihr bei, »denn das Wetter ist ja geradezu herrlich. Nun aber, Herr von Kühnhausen,« bat sie, »müssen Sie mich bis ein halb vier Uhr freundlichst entschuldigen. Ich schlafe zwar des Nachmittags nicht, aber ich bin es doch gewohnt, mich etwas hinzulegen. Also auf Wiedersehen um halb vier Uhr im Garten, denn soweit ich Kitty kenne, würde die schön schelten, wenn ich ihr meinen lieben Gast nicht gleich vorstellen wollte.«
»Ich werde mich mit militärischer Pünktlichkeit einfinden,« 26 gab Hans Arnim zur Antwort, »jetzt aber bitte ich, mich verabschieden zu dürfen, damit Sie, gnädige Frau, sich zur Ruhe begeben können.«
Aber als er sich nun mit einem Handkuß und einer devoten Verbeugung entfernen wollte, hielt die Frau Konsul ihn zurück: »Ich denke, Fräulein von Greusen wollte Ihnen noch ein paar Bücher heraussuchen? Wollen Sie ein paar Minuten warten, Fräulein von Greusen wird gleich wieder bei Ihnen sein.«
»Selbstverständlich tue ich das sehr gern, gnädige Frau,« und es dauerte wirklich keine fünf Minuten, bis Fräulein von Greusen wieder eintrat, um ihm sofort zuzurufen: »Wenn ich also bitten dürfte, Herr von Kühnhausen, mir in das Bibliothekszimmer zu folgen?« Und ohne seine Antwort abzuwarten, schritt sie ihm voran. Auf seinen Stock gestützt folgte er ihr, dabei immer von neuem voller Verwunderung ihre herrliche, schlanke, große Figur bewundernd und auch die Art, wie sie leicht und elastisch über den weichen Teppich dahin schritt, bis er dann doch bat: »Wäre es vielleicht möglich, Fräulein von Greusen, das Marschtempo etwas zu mäßigen? Mit meiner Humpelei komme ich da nicht mit und ich möchte nicht plötzlich allein hier stehen. Ich würde mir da vorkommen, wie ein einsamer Wanderer, der sich in einem Ausstellungspalast verirrte, denn es scheint mir hier fast noch mehr Zimmer zu geben als in einem solchen Gebäude.«
»Ganz soviel doch nicht,« erwiderte sie, nun an seiner Seite bleibend, »das Parterre besteht nur aus achtzehn Zimmern.«
27 »Das nennen Sie nur?« meinte er halb ernsthaft, halb erschrocken. »Wie kann man nur soviel Zimmer haben und die dazu noch alle im Parterre?«
»Aus einem sehr einfachen Grunde. Der verstorbene Herr Konsul hat dieses Haus ganz nach seinem eigenen Entwurf bauen lassen, da ein Herzleiden es ihm fast unmöglich machte, Treppen zu steigen. Daher mußten alle Räume zusammenliegen. Es wird sicher auch Ihnen aufgefallen sein, wie niedrig und bequem die Treppen sind, die von dem Garten in das Haus führen. Die Stufen sind so geschickt angelegt, daß es nicht die leiseste Schwierigkeit macht, die hinauf oder hinab zu steigen. Das wird auch Ihnen sicher angenehm sein, denn als für Sie Quartier gesucht wurde, hieß es ausdrücklich, es würde möglichst ein Haus ohne Treppen gewünscht, da Ihr Fuß noch sehr der Schonung bedürfe«
»Deshalb also,« meinte er, »na, das habe ich damals auch nicht gewußt, als ich verwundet wurde, daß ich den Geschossen ein so herrliches Quartier zu danken haben würde. Aber wenn mich mein Auge nicht täuscht, dann dürfte hier wohl nun endlich das Bibliothekszimmer sein.« Und sich voller Verwunderung in dem großen Saale umsehend, an dessen Wänden ein Bücherschrank dicht neben dem anderen stand, rief er in komischem Entsetzen: »Und hier finden Sie sich zurecht, Fräulein von Greusen? Ich könnte das selbst dann nicht, wenn ich als berufsmäßiger Bibliothekar auf die Welt gekommen wäre.«
»Es ist nicht so schlimm, wie Sie glauben, Herr von Kühnhausen,« beruhigte sie ihn, »denn alles ist hier auf das 28 Tadelloseste geordnet,« und sie bewies ihm, daß sie hier sehr gut Bescheid wußte, denn schon nach wenigen Minuten hielt sie ihm einige Romane, die seit dem Ausbruch des Krieges erschienen waren, zur Prüfung hin: »Vielleicht sehen Sie einmal nach, Herr von Kühnhausen, ob Sie das eine oder das andere bereits kennen, und auch, ob es Ihrem Geschmack entspricht.«
Er tat, wie sie es wünschte, aber als sie zu den Büchern, die sie bereits herausgesucht hatte, noch weitere suchen wollte, bat er: »Um Gotteswillen nicht mehr, das reicht ja mindestens für die nächsten acht Tage. Ich bitte, sich wirklich nicht weiter bemühen zu wollen, gnädiges Fräulein.«
Es war das erstemal, daß ihm diese Anrede entschlüpfte, aber kaum war das geschehen, als Fräulein von Greusen ihn auch schon bat: »Bitte nennen Sie mich nur stets bei meinem Namen.«
Es klang zwar höflich, aber zugleich doch sehr bestimmt und ablehnend, so daß er für den Augenblick etwas verlegen wurde, bis er meinte: »Muß das wirklich sein? Muß das auch sein, wenn wir uns unter vier Augen befinden?«
»Dann erst recht, Herr von Kühnhausen, denn ich möchte nicht, daß Sie, auch wenn wir miteinander allein sind, jemals etwas anderes in mir sehen als die Gesellschafterin der Frau Konsul. Sie werden mich ohne weiteres verstehen und Sie werden wissen, wie ich das meine. Trotzdem ich mir jetzt mein Geld selber verdienen muß, habe ich vor mir selber natürlich nicht aufgehört, die zu sein, die ich war, als mein guter Vater noch lebte. Aber das »gnädige Fräulein« ist nun trotzdem das »Fräulein von Greusen« geworden. 29 Und im Zusammenhange damit bitte ich Sie noch um eines: bemitleiden Sie mich nicht etwa im stillen, fühlen Sie sich bitte nicht veranlaßt, mich durch irgendwelche Aufmerksamkeiten, selbst wenn diese auch nur in Worten beständen, erfreuen zu wollen, damit ich nach Ihrer Ansicht es wenigstens zuweilen vergäße, mich nun in abhängiger Stellung zu befinden. Daß Sie etwas Ähnliches im stillen dachten, habe ich Ihnen bei Tisch angemerkt. Das macht Ihrem guten Herzen alle Ehre, aber trotzdem, oder gerade deshalb, je weniger Sie mich durch Ihr Verhalten mir gegenüber daran erinnern, daß ich selbst ein Offiziersmädel war, desto dankbarer würde ich Ihnen sein.«
Geduldig hatte er ihr zugehört, um sie nun zu fragen: »Sind Sie jetzt mit der Instruktionsstunde fertig, Fräulein von Greusen? Mit der Instruktionsstunde über das Thema: Verhaltungsmaßregeln für den Oberleutnant Hans Arnim von Kühnhausen gegen Fräulein von Greusen, die sich von anderen ihres Geschlechtes dadurch unterscheidet, daß sie mit Vornamen heißt?«
»Wenn Sie das irgendwie interessiert, will ich Ihnen das gern verraten, ich heiße Maria Elisabeth. Aber nun müssen Sie mir versprechen, daß Sie meine Instruktion auch gewissenhaft befolgen wollen.«
»Ich werde mir wenigstens die allergrößte Mühe geben,« stimmte er ihr bei.
»Dann bin ich beruhigt,« gab sie zur Antwort, »nun aber muß ich um Erlaubnis bitten, Sie allein lassen zu dürfen. Meine Pflicht ruft mich ab, und auch Sie werden sicher jetzt endlich die langentbehrte Zigarre rauchen wollen. Wenn 30 es Ihnen recht ist, klingle ich dem alten König, damit er Ihnen die Bücher in Ihr Zimmer trägt. Es ist auch wohl besser, daß er Ihnen nochmals den Weg zeigt, damit Sie sich nicht am Ende wirklich verlaufen. Und vergessen Sie bitte nicht, daß um ein halb vier Uhr im Garten in der Laube der Kaffee getrunken wird. Sie können uns dort gar nicht verfehlen, die große Laube liegt gleich an dem Haupteingang an der rechten Seite.«
»Ich werde mich schon zurecht finden,« meinte er, und als kurz darauf der Diener eintrat, nach dem Fräulein von Greusen geklingelt hatte, verabschiedeten sie sich mit einem gegenseitigen »Auf Wiedersehen!«
Bald darauf gab er sich in seinem Zimmer dem Genuß der wirklich langentbehrten Zigarre hin, aber so schön die auch war, die war doch nicht imstande, eine gewisse Mißstimmung zu verscheuchen, die sich seiner bemächtigt hatte. Er ärgerte sich noch nachträglich etwas über die Instruktion, die Fräulein von Greusen ihm erteilt hatte, und doch sah er ein, daß die wohl nötig gewesen war, denn sonst hätte er doch sicherlich versucht, sie durch kleine Aufmerksamkeiten und durch ein besonders ritterliches Benehmen ihr gegenüber darüber hinweg zu trösten, daß sie sich nun in abhängiger Stellung befand. Und wenn sie auch nicht wollte, daß er irgendwelches Mitleid mit ihrer Lage empfand, so tat er es dennoch. Gewiß, für den Augenblick hatte sie keinen Grund zur Klage, aber wie würde es später mit ihr werden, wenn sie alt war? Es gab nach seiner Ansicht für Maria Elisabeth nur eins, die mußte sobald wie möglich heiraten, und wenn er dazu etwas beitragen konnte, daß er unter 31 seinen Kameraden den passenden Mann für sie fand, der natürlich über etwas Vermögen verfügen mußte, dann wollte er alles tun, was in seinen Kräften stand, um den in sie verliebt zu machen.
Er wußte selbst kaum, wie es kam, daß Fräulein von Greusens Zukunft ihn im Augenblick fast noch mehr beschäftigte als seine eigene. Sollte er der wirklich zu tief in die stahlblauen Augen gesehen haben? Aber das war ja Unsinn, er empfand für Maria Elisabeth weiter nichts wie aufrichtige Teilnahme, aber wie dem auch immer sein mochte, so viel wußte er, wenn er nachher bei dem Kaffee die Nichte der Frau Konsul kennen lernte, würde er sich die gar nicht erst daraufhin ansehen, ob die überhaupt Augen habe. Für ihn gab es vorläufig nur zwei Augen auf der Welt, und ehe er die nicht wiedergefunden hatte – – –
Er saß da und sann und träumte vor sich hin, bis er beinahe erschrocken zusammenfuhr, als es jetzt plötzlich an die Tür des Zimmers klopfte. Na, zum Kaffeetrinken ist es doch noch viel zu früh, dachte Hans Arnim, verwundert, was will der alte Diener denn nun schon wieder?
Aber als er dann »herein« gerufen hatte, erschien nicht der Diener auf der Schwelle, sondern ein allerliebstes, blitzsauberes und adrettes Zimmermädchen, das in ihrem einfachen schwarzen Kleide mit der weißen Schürze und dem weißen Häubchen auf dem Kopfe wirklich sehr appetitlich aussah. Aber das nicht allein, die schien sich des Wertes ihrer werten Persönlichkeit bei aller Bescheidenheit in ihrem Wesen voll bewußt zu sein. Das merkte Hans Arnim nun an der Art, in der sie zierlich und graziös vor ihm knickste, 32 während sie ihm zugleich einen etwas koketten Augenaufschlag zuwarf, als sie nun fragte: »Der Herr Oberleutnant haben nach mir geklingelt?«
»Ich, verehrte Dame?« meinte der erstaunt, »Ich habe mich in der letzten halben Stunde nicht mal mit meinen Gedanken von diesem Stuhl erhoben, geschweige denn mit meiner Person. Da muß also schon mein heiliger Geist geklingelt haben, oder sonst jemand.«
»Aber das ist mir ganz unverständlich,« flötete das Zimmerkätzchen, »ich habe es doch ganz deutlich gesehen, daß unten an der Tafel die Nummer dieses Zimmers gefallen ist.«
»Sollten Sie das wirklich gesehen haben, Fräulein Nanny. denn nicht wahr, Sie sind doch die Nanny, von der mir der Diener erzählte?«
Das Zimmermädchen drehte sich kokett in den Hüften und meinte dann: »Der alte König hat dem Herrn Oberleutnant schon von mir gesprochen, das macht mich stolz und glücklich, denn hoffentlich hat der nur das Beste von mir erzählt.«
»Nur,« stimmte Hans Arnim ihr anscheinend ganz ernsthaft bei. »Er sagte mir, Sie wären das Zimmermädchen, hießen Nanny, und ich brauchte nur nach Ihnen zu klingeln, dann kämen Sie sofort. Eins aber erzählte er mir nicht von Ihnen, daß Sie auch dann kommen, wenn man Sie nicht klingelt.«
Natürlich hatte Nanny sich das, was sie von dem Glockenzeichen, das sie gehört hätte, berichtete, erfunden, sie war lediglich erschienen, um den Herrn Oberleutnant, von dem der alte König so viel in der Küche zu berichten gewußt 33 hatte und der ein so hübscher Mensch sein solle, endlich von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen. Dennoch meinte sie jetzt: »Ich weiß gar nicht, wie der Herr Oberleutnant dazu kommen, so etwas von mir zu glauben. Ich bin ein durch und durch anständiges Mädchen und einen Schatz habe ich auch schon.«
»Na, dann bin ich beruhigt,« meinte Hans Arnim, der sich Mühe geben mußte, ganz ernsthaft zu bleiben, bis er jetzt sagte: »Selbstverständlich steht Ihr Schatz auch draußen im Felde?«
»Er war draußen, Herr Oberleutnant, nun ist er hier als Kriegsurlauber, ich habe ihn erst kürzlich kennen gelernt. Ach, den müßten der Herr Oberleutnant mal sehen, er ist ein zu hübscher Mensch, und ist sogar Kavallerist.«
»Kann ich mir denken,« neckte er sie. »Sie kennen ja auch sicher das schöne Lied »Mein Schatz muß ein Reiter sein«? Vielleicht bietet sich mir später mal Gelegenheit, Ihren Herzallerliebsten persönlich kennen zu lernen, nun aber – –«
Nanny erriet, daß der hübsche Offizier sie wieder fortschicken wolle, aber das war nicht nach ihrem Sinn und so meinte sie denn: »Haben der Herr Oberleutnant wirklich nicht nach mir geklingelt und kann ich mich denn gar nicht irgendwie nützlich machen? Der Diener erzählte mir, der Herr Oberleutnant wären sicher mit dem Auspacken der Sachen noch nicht fertig, da helfe ich sehr gern, ich habe Zeit,« und mit ihrem kokettesten Augenaufschlag setzte sie hinzu: »Ich habe Nachmittags zwischen zwei und ein halb 34 vier Uhr, während die gnädige Frau ruht, immer Zeit. In der Küche brauche ich natürlich nicht zu helfen, ich bin nur für die allerleichtesten Hausarbeiten da.«
»Das freut mich Ihretwegen, Fräulein Nanny, aber ich möchte trotzdem des Nachmittags Ihre kostbare Zeit nicht in Anspruch nehmen. Aber nun, da Sie einmal da sind, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir etwas helfen wollten. Ich bin tatsächlich mit dem Einräumen meiner Sachen vor Tisch noch nicht fertig geworden.«
Hans Arnim erhob sich von seinem Platz, um in das Schlafzimmer zu gehen und voller Verwunderung sah er gleich darauf zu, mit welcher Geschwindigkeit, aber auch mit welcher Ordnung und Geschicklichkeit die Nanny alles aufräumte, so daß er ihr voller Anerkennung zurief: »Wissen Sie was, Fräulein Nanny, an Ihnen ist wirklich ein tadelloser Offiziersbursche verloren gegangen. Schade, daß Sie nicht als Mann auf die Welt gekommen sind.«
»Mir ist es aber schon lieber so, Herr Oberleutnant,« widersprach die Nanny. »Die Männer sind zwar auch für mich der Inbegriff aller Seligkeit, aber trotzdem möchte ich selbst kein Mann sein und noch dazu jetzt, wo wir Krieg haben. Wenn ich mir da denke, daß ich auch mit im Feuer stehen sollte und die Granaten flögen mir um den Kopf und ruinierten mir dabei allein durch den gewaltigen Luftdruck meine Frisur, das könnte ich nicht aushalten. Da würde ich vor Wut einfach rasend werden, da stürzte ich auf den Feind los, wenn ich auch nur den Sonnenschirm in der Hand hätte. Aber mein Schatz sagt, man dürfe nicht 35 einmal darauf los stürmen, wenn man wolle, man müsse den Befehl dazu abwarten, und auch das könnte ich nicht, das erlaubt mir mein Temperament nicht und ich habe viel Temperament.«
»Umso besser für Ihren Schatz,« neckte er sie abermals.
Nanny bekam unwillkürlich einen roten Kopf, dann sagte sie: »So wie der Herr Oberleutnant das auffassen, war das natürlich nicht gemeint« und das Gespräch ablenkend, bemerkte sie jetzt: »Wären wir denn nun schon mit dem Einräumen fertig? Das ist ja flink gegangen.«
Suchend sah Nanny sich um und Hans Arnim tat dasselbe, aber da auch er nichts mehr fand, sagte er: »Es ist vollbracht, Fräulein Nanny, und ich danke Ihnen nochmals.« Gleichzeitig griff er in die Tasche, um ein paar Mark hervorzuholen, aber Nanny lehnte ab: »Nein, Herr Oberleutnant, dafür nehme ich kein Geld an, das habe ich gern umsonst getan. Wenn der Herr Oberleutnant mir später bei der Abreise für die Dienste, die ich dem Herrn Oberleutnant noch leisten werde, für das Aufräumen und Reinigen der Sachen etwas geben wollen, dann werde ich mit Freuden so frei sein, aber heute nehme ich auf keinen Fall Geld.«
»Na, ganz wie Sie wollen, Nanny, dann also nochmals besten Dank.«
Aber wenn er glaubte, Nanny würde sich nun gleich entfernen, irrte er sich. Die blieb an ihrem Platze stehen und sah ihn mit verlangenden Augen an und es kam ihm sogar so vor, als spitze sie ein klein wenig das süße Mäulchen, als wolle sie ihm zu verstehen geben: ›Geld nehme 36 ich zwar nicht an, aber für ein Küßchen würde ich gern zu haben sein.‹
Unter anderen Umständen und wenn er hier in diesem Hause nicht als Gast geweilt hätte, würde er von dem freundlichen Anerbieten vielleicht Gebrauch gemacht haben, sicher aber hätte er das nicht so leichten Herzens abgelehnt, wie er es nun tat. Er tat ganz einfach, als bemerke er die Verführung, die in diesem Falle keiner Schlange, sondern einem hübschen Kätzchen glich, gar nicht, und so blieb Nanny denn nichts anderes übrig, als ihr vorgeschobenes niedliches Kußmündchen wieder in die normale Lage zu bringen. Hans Arnim merkte es ihr an, so ganz leicht wurde ihr das nicht und sie schien die Hoffnung auf einen Kuß immer noch nicht aufzugeben, bis er ihr jetzt zurief: »Na, Fräulein Nanny, wenn Sie denn jetzt wirklich kein Geld von mir annehmen wollen, muß ich das auf später verschieben, wobei ich schon jetzt der Hoffnung Ausdruck geben möchte, daß es mir dann gelingt, mit dem Trinkgeld Ihre vollste Zufriedenheit zu erlangen.«
Nanny machte ihren zierlichsten und graziösesten Knicks: »O, das wird dem Herrn Oberleutnant später sicher gelingen, ich bin ja so bescheiden und der Herr Oberleutnant sehen nicht danach aus, als ob der Herr Oberleutnant einem armen Mädchen gegenüber sparsam sein würden.«
»Wir werden uns später schon einigen, Fräulein Nanny,« brach Hans Arnim das Gespräch ab, »nun aber muß ich Sie bitten, mich allein zu lassen, mir fällt eben ein, daß ich unbedingt noch rasch einen Brief schreiben muß.«
Aber als er die Nanny gleich darauf los war, dachte er 37 nicht an das Briefschreiben, das er nur als Vorwand gebraucht hatte, sondern er nahm eins der Bücher zur Hand, die Fräulein von Greusen ihm ausgesucht hatte und begann zu lesen, um während des Lesens ein paarmal stillvergnügt vor sich hin zu lachen, als er nun doch unwillkürlich an die hübsche Nanny zurückdachte, die ihm so verführerisch ihr Kußmündchen angeboten hatte. – 38