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[Einleitung]

Im Januar 1845 richtet Robert Browning, damals neben Tennyson der gefeiertste Dichter der neuen Generation, an Elizabeth Barrett einen Brief, der seiner Bewunderung und Liebe für ihre jüngst erschienene Gedichtsammlung herzlichen Ausdruck gibt; die Dichterin erwidert mit lebhafter Sympathie und Verehrung, und ein immer denkwürdiger Bund ist geschlossen. Es dauert noch Monate, bis Browning die Freundin persönlich kennen lernen kann: von ihrem 15. Jahr an siecht die jetzt 39jährige dahin, seit langem ans Zimmer gefesselt, schmerzlichen Erinnerungen und schwerem häuslichem Druck ausgesetzt; die einzige Aussicht und Hoffnung ist der Tod. In dies verlöschende Dasein tritt Browning, voll Kraft und Liebe, und in einem Kampfe von ergreifender Größe der Gesinnung auf beiden Seiten gewinnt er die Geliebte dem Leben und sich; im Herbst 1846 folgt sie ihm nach Italien. In Florenz sind dem Paar noch 15 Jahre glücklichster Ehe vergönnt gewesen, im Juni 1861 ist Elizabeth entschlafen Näheres in Otto Jiriczek's schöner Anthologie »Viktorianische Dichtung« (Heidelberg 1907); und u. a. in Ellen Keys »Menschen«..

Jene anderthalb Londoner Jahre spiegeln sich in dem Briefwechsel Nach Brownings Tode von dem Sohn herausgegeben; in Auswahl verdeutscht bei S. Fischer, Berlin. und in den gleichzeitig entstandenen, 1850 erschienenen »Sonnets from the Portuguese«: nur unter der Maske von Übersetzungen konnten diese tiefsten Lebens- und Liebeszeugnisse veröffentlicht werden; der Titel ist ein Anklang an die berühmten »Lettres portugaises«, die Liebesbriefe einer namenlosen französischen Nonne des 17. Jahrhunderts.

Die Gedichte sind mehrfach ins Deutsche übertragen worden, stets in Sonettform. Aber ist es möglich, diese Form beizubehalten, ohne allzuviel des Inhaltes darüber zu verlieren? Schon die Zeilenzahl macht Schwierigkeiten: nur selten lassen sich, bei dem bekannten Verhältnis beider Sprachen, 14 englische Zeilen in 14 deutsche pressen; ein Teil wird überschießen und weggeworfen werden müssen, – wenn man nicht zu einer freien Wiedergabe greifen will. Aber für eine solche ist die Barrett zu schade; sie hat ein Recht darauf, ohne Verstümmelung und ohne Zusätze vor uns zu kommen, sie gehört zu den wenigen Dichtern, die eine Auflösung ihrer Poesie in Prosa – nach Goethes bekanntem Wort der beste Prüfstein für den Gehalt – nicht zu scheuen brauchen. In der Tat ist bei einer Prosaübersetzung der Sonette kaum je ein Wort zu entbehren, so knapp ist ihre Sprache, so geschlossen der Gedankengang dieser beziehungsreichen Liebesdialektik. – Also wörtliche Treue ist hier Pflicht des Übersetzers. Wenn ihn schon die Zeilenzahl beengen würde, wie viel mehr der Zwang, diesen genau bestimmten Inhalt in die vier bis fünf Reime des Sonettes einzuschließen. Nur für den Dichter, für den ersten Gestalter, ist die Form produktiv; und ich habe nicht den Ehrgeiz, diese Gedichte als Rohstoff für »Nachdichtungen« zu brauchen.

Aber nicht nur kann die Sonettform nicht verwandt werden, sie darf es nicht einmal, wollen wir dem Charakter dieser Poesie gerecht sein. Das Sonett besitzt – A. W. Schlegel hat das gezeigt und für unser Stilgefühl verbindlich gemacht – ein scharfes Profil mit seinen vier auf- und gegeneinander gestellten Teilen. Das erste Quartett nimmt einen Gedanken auf; das zweite erweitert, bestreitet, begrenzt ihn; das Terzettenpaar bringt den Prozeß in zunehmender Feinheit zum Austrag. Demgemäß ist der äußere Bau von größter Strenge der Verhältnisse: jeder der Teile steht für sich; ein Überfließen, ein »Enjambement« ist häßlich und unstatthaft. – Wie anders der Stil unserer Gedichte. Keine breite Architektur im Gleichgewicht stehender Gruppen, sondern ein Rinnen und Fluten, das vielfach abbrechend und wieder einsetzend in kleinen Stößen oder in großen Wogen auf die letzte Zeile hindrängt; erst in ihr beruhigt sich meistens die Bewegung; sie bringt den lösenden Gedanken, ein abschließendes starkes Wort und Bild.

Solcher Mannigfaltigkeit des Periodenbaues, des Gedanken- und Gefühlsgehaltes vermag keine strenge Form eine innere Einheit zu geben; nur eine Form bot sich mir dar, welche Freiheit mit Würde verbindet: der Blankvers. Es stand nicht zu fürchten, daß die Übersetzung durch das völlige Fehlen des Reimes an sinnlicher Schönheit hinter das Original zurückzutreten brauchte; im Gegenteil; der dumpfen Vokalisation, den kurzen Silben, den fast nur durch Präpositionen, ohne Freiheit der Stellung hart aneinander gepreßten Wörtern des Englischen ist unsre Sprache weit überlegen mit ihrem bunten Vokalstand, ihren noch nicht abgeschliffenen Silben, ihren unerstarrten Beugungen und der Beweglichkeit ihrer Satzfügung; hier allein ist die Satzmelodie, sind Tonabstufungen innerhalb der Periode, sind die eigentlich lyrischen und musikalischen Wirkungen möglich. Und doch durfte von diesen Mitteln nicht einmal der volle Gebrauch gemacht werden; es war – vor allem auch bei der Wortwahl – immer wieder ein Vergleich zu schließen zwischen den Ansprüchen unserer Dichtersprache und dem Wunsche, den Charakter des Originals nicht zu verwischen: jene tiefste Innigkeit und Süße, die sich zuweilen in einer erstaunlich sachlich klingenden Sprache mehr zu verbergen als auszudrücken scheint und die doch grade darum wieder so wahr wirkt.

War hier die Aufgabe, Verschiedenheiten im Sprache und Gefühlsleben der beiden Nationen zu vermitteln, so ergaben persönliche Eigenheiten der Dichterin andere große Schwierigkeiten. Die Barrett gehört zu den gelehrtesten und geistvollsten Frauen aller Zeiten; sie liebt Anspielungen, Andeutungen, halbe Worte, dunkle Bilder. Manche Stelle bleibt dem Wortverstande nach auch für den Engländer vieldeutig, und doch muß der Übersetzer sich für einen Sinn entscheiden, da es sich nicht um Wortspiele handelt.

Ich darf nicht hoffen, in den berührten Punkten immer das Richtige getroffen zu haben; daß ich aber diese Aufgabe überhaupt habe unternehmen können, verdanke ich der unermüdlichen Treue hilfreicher Freunde; ihnen sei dies Buch gewidmet, das ihnen mehr gehört als mir.

Als Elizabeth Anfang des Jahres 1847 die Gedichte ihrem Gatten gab, nannte dieser sie die schönsten Sonette, die seit Shakespeare geschrieben worden. Modernes Urteil hat hier nichts zu berichtigen gefunden. »Wo ihr intensiv lyrischer Genius«, sagt Otto Jiriczek von der Barrett, »seine volle Ausdrucksfähigkeit gewinnt – am häufigsten in der Sphäre religiöser und persönlicher Empfindung –, meistert sie ihr Instrument in hinreißendem Spiele, von dem leidenschaftlichen Moll- und Dur-Gewoge der portugiesischen Sonette bis zur ruhevollen Melodie der Strophen ›He giveth His Beloved Sleep‹. ... In der religiösen Lyrik des 19. Jahrhunderts steht ihr Name neben Christina Rossetti an erster Stelle; und wenn man aus dem Reichtum der englischen Literatur an großen Sonettzyklen der Herzensleidenschaft das Größte ausheben wollte, müßten nach Shakespeares ›Sonnets‹ und Dante Gabriel Rossettis ›House of Life‹ die ›Sonnets from the Portuguese‹ gewählt werden.«

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