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Herr Wiedewald, den er mit Lampe am andern Tag besuchte, war erst am gleichen Morgen mit dem Dampfer aus der Stadt angelangt, und das Geschäft, das Herr Lampe ihm nahelegte, wickelte sich, weil es eben ein Geschäft war, in einem bequemen Schritt ab. Wenn man einmal Geschäfte macht, so geht man an manchen Ort und steht zu mancher Stunde gelassen herum, wo man sich sonst einer verdrießlichen Aufregung an Nichts bloß aus mangelnder Gelegenheit an beruhigender Annehmlichkeit überlassen hätte. So ging es Herrn Wiedewald mit seinem Wäldchen, in dem es einen ziemlich großen Posten Festmeter Weißeschen gab, die er Seespeck ohne viel Handeln verkaufte. Sie standen an der kühlen Luft und besprachen die verschiedenen Selbstverständlichkeiten mit einem Behagen, für das sie keinen Grund wußten. Herr Wiedewald ließ seinen grauen Bart zu seinen gewöhnlichen Worten wedeln und wackeln und gab ihnen damit einen Anflug von Leidenschaft. Das Beben dieses dünnhaarigen Geflockes schien von den Lippen niedergegeifert, und dieses Lippenzittern mußte wohl oder übel Worte von zelotischer Art erregt haben. So machte er den Eindruck eines Menschen voll von einer Verhaltenheit, die unter einem verborgenen Sporn zuckt. Sie gingen vor dem Wäldchen, während die Villa zur Linken am Abfall des Ufers liegen blieb, hin und her und sahen ziemlich hoch hinab aufs Haff. Es war nun alles so lang und breit gekaut, daß das Geschäftliche als verdaut gelten konnte, und doch hatte Herr Wiedewald ein Bedürfnis, das Narkotikum einer von eigener Unbeschäftigtheit ablenkenden Unterhaltung weiterzukosten. Ehe seine Besucher sich also verabschieden konnten, lud er sie ein, seinen Garten und seine Wasseranlage zu besehen, welche letztere in der Tat unter so überlegener Meisterung kleinster Vorteile einem ungünstigen Quellgebiet abgewonnen war, daß sie schon als ein Kunststück gelten konnte. Dieses Werk war Herrn Wiedewalds ganzer Stolz. Aber es kam noch besser, sie mußten auch ins Haus und dessen wohldurchdachten Plan bewundern. Besonders die Lage einer gewissen Örtlichkeit war ein Triumph, denn hier konnte man eines Weges kommen und des andern gehen, ohne je Gefahr zu laufen, dieses Ziels verdächtig zu werden oder sich seines Herkommens schämen zu müssen. Und so reihte sich ein Sieg der Vernunft an den andern, lauter Siege über die Natur und Natürlichkeit. Seespeck fielen beim Anblick der wertlosen Wandbilder die Malereien des jungen Wiedewald in der Klus ein. Hier war alles ausgewählt mit der Rücksicht auf den Winter, wo man sie an ihren Plätzen lassen konnte ohne Sorge um ihren Verlust bei Einbruch oder Feuer. So konnte man in die Winterwohnung übersiedeln und hatte sich doch keine lästigen Umstände aufzuladen. Die Familie des Herrn Wiedewald war übrigens schon abgängig, die Dienstboten dazu, und nur der Gärtner, der Wächter des Ganzen im Winter, stand dem Herrn bei seinen Abschiedssorgen zur Seite. Die Klus aber ward von niemandem erwähnt, denn sie und Villa Wiedewald waren sich gegenseitig Luft. Seespeck galt hier nur als Berliner Herr.
Es gibt Leute, die sich gewissermaßen selbst nicht ähnlich sehen, so einer schien Herr Wiedewald zu sein, und Seespeck mußte wiederholt an das Klavierspiel Lampes vom vorigen Abend denken, an dem sich anfänglich wenigstens irgendein Charakter nicht hatte spüren lassen. Er wartete also getrost auf eine Entpuppung auch seines Gastgebers, die mit der Lampes am Klavier wetteifern konnte. Aber kein Wolf wollte sich bequemen, aus diesem weiten, öden Wald herauszubellen, kein Fuchs ging um, kein Eichhorn äffte den Blick, kein Häherlachen kitzelte das Ohr, dieser Wiedewald war vor lauter Bäumen gar kein Wald. Er ging im eigenen Hause hin und her wie ein Jäger nach Bequemlichkeit und Abschätzer praktischer Rekorde, er spionierte bei sich selbst nach Wohlgelungenheiten eigener Mache, und Seespeck meinte sich in seinen zwei Särgen von Friedenau häuslicher fühlen zu dürfen als Herr Wiedewald in Villa Wiedewald. Konnte das ein Floß des Behagens sein, konnte man darauf als Alternder ans Ende seiner Zeit schwimmen und sichs wohlsein lassen? Das Geschäft war ihm auch bei Einrichtung des Hauses zielgebend gewesen, es sollte nach seinem Tode bequem verkauft werden; irgendein jedermann, jeder sozusagen mußte ein williger Käufer werden, dem der Kauf angeboten wurde, der aufdringliche Geschmack der faustdicken Bequemlichkeit war Architekt gewesen, der Bauherr Unternehmer einer Spekulation, für die er selbst und sein zukünftiges Nichtmehrsein den Grund und Boden hergab. ›Was er wohl für eine Frau hat, und -- was mag das für ein Maler- Schriftsteller von Sohn sein? dachte Seespeck.‹
Man war grade wieder im Umschreiten einer neuen Merkwürdigkeit der Villa, nämlich ihrer Turmseite und der anschließenden Grotten-Romantik begriffen, als der Gärtner Däubler heranführte, recht eigentlich einen neuen Däubler, einen, der im Zuge war, einmal Ernst mit etwas zu machen, einen Empörten auf der Flucht. Sein Köfferchen trug er in der Hand, ein Ding, dem man einen Plunder von Inhalt von weitem anzusehen glaubte, ein Ding wie nichts als Einbildung von Wert und Gewicht. Es konnte kaum fünfundzwanzig Pfund wiegen, und doch verkeuchte sein Träger fast daran, seine Kraftlosigkeit übergoß ihn mit Schweiß und Zittern, und zwei zierliche Hände, Hände, die das kristallisierte Weltall zwischen den Fingern drehten, wenn sie wollten, krampften sich mit Verzweiflungskraft und Glauben an dieses einzige Bündel Eigentum, dieses Stückchen Wert, das ihm die Welt von allen ihren Schätzen zugestanden hatte. Er zog, indem er Herrn Wiedewald respektvoll begrüßte, Seespeck beiseite. Dieser hatte das Gefühl, daß er nun zu einer Art von Koffer geworden, das einzige Menschenwesen, dem Däubler im Augenblick noch Treu und Glauben entgegenbringen konnte. »Seespeck«, flüsterte er, so außer Atem er war, doch im Besitz einer wahren Urkundlichkeit von Aussprache, »Seespeck, Kind Gottes, was soll man tun, was kann man machen?« Doch war sein Flüstern wie das scharfe Betonen eines andern, nur gelindert durch die Scheidewand einer Stubentür. So verstanden Herr Wiedewald und Lampe jedes Wort. Der Stern in Däublers Angesicht zitterte gleich Flammen und Zucken des Sirius. »Ich muß fort«, deutete er mit einer schwerfälligen Wendung des Koffers in der Richtung nach der Klus an. »Aber was ist geschehen?« fragte Seespeck, weil Däubler offenbar eine indiskrete Frage brauchte, um vor sich selbst keiner Indiskretion schuldig zu werden. Er machte aber zunächst allerhand Pfötchen und Mäulchen, als merke er bei sich selbst an, was für ein taktloser Mensch doch der Seespeck sei, um so direkt zu fragen -- und Seespeck half seinem Drange weiter zu Luft und Sprache, indem er riet: »Ist etwas mit dem Doktor vorgefallen?« Das konnte Däubler nicht leugnen -- »Ja« -- er zog die gewaltigen Schultern noch höher und ließ den Koffer in beiden Händen vor seinem Bauch hängen -- »ja«. Und dann, weil es einmal gesagt war, setzte er seine Last zu Boden und nahm die andere, die kosmisch-schwere Last, die Verschuldung des Doktors, in beide Hände, krallte sich daran fest und schüttelte sie vor Seespecks Augen unbarmherzig hin und her. Was war geschehen? Der Doktor hatte weiblichen Besuch aus der Stadt bekommen, mit demselben Dampfer, der auch Herrn Wiedewald gebracht. Diese Person hatte sich alsbald in Däublers Stübchen eingenistet, und der Doktor hatte das ganz in Ordnung gefunden, sich auch darum gar keine Gedanken darüber gemacht, weil Däubler, als er seine beiseite geschobenen Papiere sammelte, all seinen Aufbegehr hinter der gefälligsten Miene verschlossen hatte. Fräulein Gundel schien ihm wohlgesinnt zu sein, etwa wie man einem allerliebsten, langlockigen Pudel wohlwill. Seine Täppischkeit hatte sie entzückt, seine ironisch entgegenkommende Weitläufigkeit war ihr als Huldigung vor einer einflußreichen Beschützerin erschienen, sie hatte gemeint, was bei ihm Selbstverständlichkeit und Kinderstube eines guten Hauses war, müsse bei einem solchen Tanzbären aus Beflissenheit geschehen. Und so hatten sie sich beide verhängnisvoll mißverstanden. Daß er seine Siebensachen zusammenkramte, war ihr nicht aufgefallen, denn natürlich mußte er sich in ein anderes Örtchen des Hauses bequemen -- und so war er, da der Doktor sich mit bloßen Füßen und in einem Philosophengewand am Meer erging, aus dem Hause entwichen, ohne andere als die betulichsten Gebärden zu zeigen oder seine Flucht überhaupt bemerken zu lassen, viel weniger sie zu begründen. »Die Gundel«, höhnte Däubler, und, im Erbarmen über solch einen Versager des Schöpfers erseufzend, goß er das Wort aus der hohen Stimmlage wie gebrauchtes Handwasser noch einmal aus. Seespeck war arg betreten, denn Däublers Furor schien kein Genüge daran finden zu wollen, die Schöne an den Haaren zu schleifen. Nein, auch der Doktor sollte seine Ohren in Däublers Fäusten lassen. Indem er also ansetzte, etwas Trennendes zwischen Däubler und sein Opfer zu schieben, war schon Herr Wiedewald herangetreten und lebhaft und verbindlich auf eine Beteiligung an dem Gespräch hingelenkt. Seespeck fühlte sogleich, daß Däubler von ihm losließ und sich an Herrn Wiedewald wie an einen neuen und besseren Koffer anklammerte. Er lobte die Wandbilder seines Sohnes und sagte darüber viel Gescheites, tat einen ernsthaften Schmeichel an ein gut mundendes Gericht schöner Erklärungen, malte ein Däublersches Konterfei des Jungen, daß dem Alten zum ersten Male so etwas wie Abglanz vom Ruhme seines Namens widerfuhr. Er entdeckte einen ganz neuen Schein im Leben, den Geruch von einer fremden Pflanze. Als es sich herausstellte, daß Däubler demnächst in Berlin Aufenthalt nehmen würde, wenn auch auf der Fahrt nach Italien nur vorübergehend, bat er ihn dringend, doch seinen Sohn aufzusuchen, und erklärte, in seiner Einwirkung den besten Einfluß auf ein noch verworrenes Wollen vorauszusehen. »Er muß mit nach Italien gehen, und Sie müssen ihm die Winke zu seinem Nutzen nicht vorenthalten«, rief er aus, und Seespeck konnte die besänftigende Wirkung der neuen Würde auf Däublers Erregung leicht erkennen. Die Gundel hatte ihn zum Wallen gebracht, aber Herr Wiedewald goß Öl auf die Wogen. Er war in ein gestreicheltes, schnurrendes Riesenkätzchen verwandelt. Er hielt sich im Verfolg des Gesprächs ganz fern von allen Übersteigerungen und jedem Überschäumen, er schien, nein, er war ein Mensch wie ein anderer, besonders wie Herr Wiedewald. Der Priesterrock und die Prophetenseele schienen ins Köfferchen verschlossen, und alles bei ihm lehnte sich zufrieden und glücklich an diese Zeitgenossenschaft wie an eine Grundmauer für Zeit und Ewigkeit an. Kein Wort von fünfzehntausend Versen, keine Kristallisierung des Weltalls, kein Niederstampfen der Treppen im Wiedewaldschen Hause!
Im großen Zimmer mit dem Blick aufs Haff standen sie in ihren Mänteln bei offenen Türen zum Garten ungeniert am Büfett und nippten aus den kleinen Gläsern an dem Getränk, das Herr Wiedewald ihnen eingoß. Das Wasser war schaudergrau, und des Himmels feuchte Hadern hingen in allerlei Unformen hernieder, Däubler und Seespeck schauten hinaus und fingen eine gelinde Beschwörung aller grau-nordischen Stimmungsherrlichkeit miteinander an. Darüber nun schien der Däubler in Däubler wieder auferstanden, wenigstens begann er mit der Linken gewaltig teilend des Raumes phantastische Plastik in Schwüngen und Schnitten durch die Luft nachzuschöpfen. Mit gebogener Handkelle backte er grade oben und unten Himmelsweiten aneinander, als Herr Wiedewald mit der Flasche herantrat, da er wohl glauben mochte, daß jemand, der so hart arbeite, auch tüchtig trinken müsse. Im Einschenken lenkte er Däublers Aufmerksamkeit auf einen Farbendruck an der Wand und begehrte seinerseits von demselben Lob und Schmeichel, der ihm vorhin so gut mundete, ein Weiteres. Er schien zu glauben, daß alles Wiedewaldsche, ob Sohnes Kunst oder Vaters Wandbild, in Däublers Seele gleichmäßig widerhallen müßte. Es war ein Bild, so sauber wie es nur je aus einer Druckerei hervorgegangen war, hübsch sanft in der Farbe, aber saftig in einer verhehlten Lüsternheit und blühend vor Schmachten und Geziertheit, voll von der Begeisterung der Unreife für »Glück und Glanz«, eine großartige Wichtigtuerei mit halbflüggen Gemütszuständen schien sein Hauptgeschäft. Däubler wandte seine Augen darauf und schnitt eine Sichelfalte zwischen den Brauen ein, seine Nasenflügel begannen zu zittern, und die Fliege unter der Lippe sträubte sich. Er netzte die Lippen mit Likör und lugte von rechts und links um ein unsichtbares Hindernis, trat dann zurück, bog den Kopf nach hinten und ließ ausgereckten Armes das Bild im Raum auf der Außenfläche seiner linken Hand stehen. Als das alles den Schund nicht besserte, ließ er es unter ihr hängen, dann zielte er mit dem einen, dann mit dem andern Auge und schüttelte schließlich die Locken. »Das Licht ist nicht das rechte«, sagte er. »So?« fragte Herr Wiedewald, »es ist doch der beste Platz im Hause!« »Gewiß«, fiel Däubler ein, »aber der Raum verlangt kein Bild. Der Raum hat den ganzen Himmel in sich« -- und dabei schob er einen Armvoll des Himmels ins Zimmer, »wer möchte hier noch ein Bild sehen!« »Na, na«, sagte Herr Wiedewald, »ich freue mich jedesmal darüber, wenn ich es sehe, muß ich sagen. Ist das Bild nicht sehr hübsch, so wie es ist?« Nun trat Seespeck ein wenig vor und wandte sich an Herrn Wiedewald: »Wissen Sie, was ich finde?« Er hatte eigentlich nur die Absicht, Däublern eine Pause zum Luftschöpfen zu verschaffen, aber ganz ungeboten sprang ihm ein schalkischer Kamerad im Geiste zu Hilfe. »Nun?« fragte Herr Wiedewald. »Ich hörte Herrn Däubler gestern abend äußern«, sagte Seespeck, »daß jedes Bild auf irgendeine Weise als ein Porträt des Hausherrn angesehen werden könne -- stimmt das nicht?« wandte er sich an Däubler. »Ja, das stimmt«, schwor Lampe eifrig, »das ist das Einzige, was ich von seinem ganzen Vortrag behalten habe.« Däubler kaute an seinem Bart und gestand ungnädig: »Eine billige Weisheit -- sowas soll man über Nacht verschlafen.« »Einerlei«, fuhr Seespeck fort, »es stimmt und trifft zu: so geben die Wandbilder des jungen Herrn Wiedewald zwar nichts vom Porträtkopf, aber wohl vom Geiste des Dr. Welt, und so ist das mit dem Porträt ja wohl zu verstehen. Wo wären nun die Züge des Herrn Wiedewald in diesem Bild zu finden? Wenn ich so sagen dürfte, schiene es mir eher eine Karikatur auf Sie zu sein, Herr Wiedewald, oder noch besser: es ist ihr Abbild aus den -- sagen wir: Knabenjahren. Sie waren einmal in gewissen Zeiten« -- er wies auf das Bild -- »in einem solchen Zustand. Das wahre Abbild von Ihnen aber ist Ihr Haus; so steckt nun eins im andern, das Bild im Haus wie das verpuppte Stück Pubertätszeit in Ihrer heutigen Persönlichkeit.« Herr Wiedewald war klug genug mitzulachen und Lampe beteuerte, daß er in seinen kritischen Jahren nicht viel anders gewesen sein könnte, überdies gefiele ihm das Bild auch noch. Däubler aber, der jetzt seinen Bart aus den Zähnen ließ, trat heran und fegte mit dem Nachdruck eines wirklichen Ernstes die Wirkung von Seespecks Worten weg. Er umgrenzte mit Armen und Händen ein kleines Bild in dem großen und sagte bestimmt: »Dazwischen liegen die Elemente eines großen Bildes. Ihr Sohn, Herr Wiedewald, hätte das gesehen und gestaltet. Der Maler dieses Bildes aber hat sich verführen lassen, statt des Einfachen, das er fühlte, aber nicht faßte, etwas Buntes zu schaffen. Das Bild ist nicht gut -- aber es hätte etwas Gutes werden können -- wie gesagt: Ihr Sohn ...« Seespeck war überrascht von der Richtigkeit dieser Belehrung, zugleich aber verdrossen über Däublers Diplomatie -- der mit einem Fingerwink auf die Aussicht unter dem Fenster hinzufügte: »Dann -- wäre das Bild ein Stück Welt von draußen -- dann wäre es hier am rechten Ort, -- so nicht, vermutlich sind Sie von diesem Bruchstück impressioniert, ich gratuliere.« Es war großartig und beschämend, denn er hatte aus einem miserablen Wandschmuck Nahrung für den Wiedewaldschen Größenwahn gewonnen, und Herr Wiedewald selbst war entzückt. ›Es scheint wahrhaftig‹, spottete Seespeck im stillen, ›als ob die abgelegten Anzüge des Herrn Wiedewald Däubler passen, denn der neue Anzug vom Doktor ist natürlich verfallen.‹ Übrigens hatte er schon ziemlich lange ein Mißbehagen bekämpft und fühlte sich jetzt wie durch Zwang zum Abschiednehmen bewogen. Herr Wiedewald war auch mit seiner Hand so erbötig, als ob es ihn gejuckt habe, sie berührten, wie ihre Finger sich voneinander lösten, noch einmal das bewußte Geschäft, gleichsam als ob man sich beiderseits darauf besonnen, daß dieses und keinerlei Menschliches sonst sie mit einem ebenso flüchtigen wie oberflächlichen Kennen verbunden hätte. Nun wandte sich Seespeck zu Däubler und deutete die Möglichkeit an, gemeinsam den Dampfer zu benutzen. Er hatte schon am Morgen die Zeit gewählt und fand in diesem Augenblick noch eine gute Stunde in der Rechnung zu seinen Gunsten, in der einem Abschied beim Doktor ein gemächliches Schlendern zur Brücke folgen sollte. »Ich gehe jetzt zur Klus, um dem Doktor Adieu zu sagen«, bemerkte er, als er Däubler schwanken sah -- »wenn Sie aber direkt zum Dampfer gehen, sehen wir uns also dort.« »Nein, ich will mit zur Klus«, entschied Däubler tapfer, »es ist schon das Beste.« Aber Lampe hängte sich an sie mit einer Hindeutung auf Stoffproben und Maßnehmen, womit er aber seine Finger an einen Hahn einer Pistole rühren ließ, die nun mit jähem Krach abschoß. Mochte Däubler in der Erinnerung an den neuen Anzug eine Bloßstellung vor Herrn Wiedewald erblickt haben, der ja aber wohl nicht wissen konnte, daß der Doktor der Besteller des Däublerschen Kleidungsstückes war, oder sah er darin eine ungebührliche Anspielung auf den Notschrei seiner Garderobe, Seespeck ahnte noch etwas anderes, was ihm ein fast sentimentales Mitleid erregte. Der Grund, der Däubler zu seinem scharfen Verweis an Lampe, zu einer explosiven Abkanzlung erregte, schien ihm in seiner wirklich dringlichen Bedürftigkeit zu liegen, und am Ende war es das Bedauern, daß nun nichts aus dem Anzug werden konnte. »Ich bestelle meine Kleidung bei meinem eigenen Lieferanten, merken Sie sich das«, schloß er seinen Text, eine Rakete prasselnder Worte. Herr Wiedewald schaute aufmerksam zu und begleitete dann das ratlose Häuflein der Klusgenossen bis an die Grenze seines Reiches. Hier nahm Däubler, würdevoll und überlegen jede Weiterung unterdrückend, seinen Abschied und wandte sich, schon wieder mehr an seinem Koffer hängend als der Koffer an ihm, mit vorgebeugtem Haupt und Schultern gradeswegs zum Sturm gegen die Klus. »Jesus, Herr Seespeck«, rief Herr Wiedewald zurück, als sie sich schon den Rücken gewandt hatten -- »Sie müssen einen Augenblick umkehren, Ihr Schirm steht noch da, kommen Sie schnell.« Er machte dazu eine so vorbedachte Miene, daß Seespeck sogleich gehorchte, obgleich er gar keinen Schirm getragen hatte. Sie gingen ein paar Schritte zusammen, und nun verlangte Herr Wiedewald in leisem Ton eine Aufklärung: »Was ist der Herr eigentlich«, fragte er, »wovon lebt er -- und wie kommt es, daß --« und was so ein Wiedewald für Fragemittel braucht, um sich das Unerklärliche durch Betasten mit dicken Fingern zu verwiedewaldschen. »Ein Dichter? Fünfzehntausend Verse? Ein Epos? Sicher ist er ein großer Geist! Aber wissen Sie, der Doktor ist nicht der Richtige für ihn, er braucht einen verständigen Menschen zum Freund. Sie als Geschäftsmann werden da schon eine Form ausfindig machen -- überlegen Sie sichs mal und schreiben mir darüber, es soll ganz unter uns bleiben, ich kann es mir leisten, einem Dichter den Weg zum Erfolg zu ebnen. Es muß nur praktisch angefaßt werden, sehen Sie.« Als Antwort hierauf wollte in Seespeck eine Flut von Vorschlägen anheben, doch fühlte er wie ein Brummen aus der Tiefe seine eigne Nüchternheit ihm den Versuch verweisen, dem Schicksal ein Lenker sein zu wollen, indem er weder Däubler noch Herrn Wiedewald genug kannte, um ohne Gefahr der Verwirrung die Fäden, die sich zwischen ihnen anspinnen sollten, freihändig ziehen zu können. ›Das will ausgespürt sein‹, rief er sich zu, dankte als Geschäftsmann dem Geschäftsfreund für das gute Zutrauen, versprach, sich die heikle Sache durch den Kopf gehen zu lassen, und folgte den beiden andern, die inzwischen die Klus erreicht hatten. Als Seespeck eintrat, hatte das Duell zwischen Doktor und Däubler schon begonnen. Wie er später vernahm, waren persönliche Fragen kaum berührt worden, und mit einigen knappen Erklärungen hatte der Doktor Däubler von aller Gekränktheit kuriert, dennoch war er bei seinem Vorhaben abzureisen geblieben, und nun standen sie beide einander gegenüber am Tisch und wußten von nichts, als dem Heil und der Zukunft der Welt zu reden, wobei die Gundel und Lampe, jedes von seiner Sofaecke, zuschauten. Sie gingen wie kluge Elefanten gegeneinander vor, mit leisen, langsamen Tritten, die ganze Masse ihrer Lebensgewichtigkeiten heranführend. Sie brachten sie in Feierlichkeit getragen und boten in Höflichkeit die geballten Kräfte einander zur Erprobung. Seespeck wäre nicht imstande gewesen, in Worten Rechenschaft über die kosmischen Vorgänge im Austausch der beiden Grundstürzer und Grundgründer zu geben, ja, er wußte ihren Worten oft gar nicht zu folgen, oder vielmehr ihm wurden die Augenerlebnisse zu so viel größeren Wichtigkeiten, daß er dem Vorrücken oder dem Weichen der Handlung durch die verschiedensten Räume des Geistes keine Aufmerksamkeit gönnen konnte. Ihm deuchte, es hallte und echote an den Wänden und Gewölben aller Zeiten, Vergangenheit und Zukunft quirlten und keuchten durcheinander, und doch war es am Ende Seespecks alter Freund, das trübe Licht des Herbstnachmittags, das ihm des Doktors oder Däublers Übermenschenhaftigkeit zur freundlichen Brüderlichkeit umfärbte. Er war nicht geringer als sie, fühlte er, ihr Handwerk war nur ein anderes als seins, oder vielmehr, sie hatten ein Handwerk, er hatte aber keins. Es durchfuhr ihn zu wünschen, seinerseits etwas zu können, das in diesem Ausströmen jener beiden gleichkäme, ja, es schwellte ihn einen Augenblick von Hochmut bei der Überzeugtheit, daß sein Tun als Zeugnis von seiner inneren Welt einmal größer werden würde, wohl stärker in der Beschränktheit, einfacher im Ergebnis, aber unbezweifelbarer an Wert. Ganz wenig, ganz bescheiden, aber für immer gültig, etwas Ganzes, wie es von allen neuen Zeiten niemals überboten werden könne. ›Nichts als Ich, aber das ohne Sprung und Fehler, das Ich, das alles in sich birgt,‹ so leuchtete es einen Augenblick in ihm auf.
Aus dem Licht des Nachmittags wurde Abendlicht, und die beiden Retter standen ohne Ermüden an ihren Plätzen. Zuweilen bog Däubler unter aufgestemmten Armen seine Obermasse wie ein Gebirge über den Tisch, dann krachten die Fugen, als spränge etwas im Gebälk der Welt -- dann holte sein Mund die dumpfe Gewalt der Stimme aus Kratertiefen, und dann schien sein Bauch eine metallene Grundflut von Überzeugung zu bergen. Dann schöpfte er aus unerschöpflichen, glühend flüssigen Notwendigkeiten und ergoß ein neues All über das alte. Die Welt war, darin mußte Seespeck dem Doktor beistimmen, nur das Gleichnis, der Abspiegel, die minderwertige Verrätselung einer andern, seiner eigenen Däublerischen, deren Sendling er vielleicht war, aus der er aber nur verirrt, entsprungen und verbannt schien. Wie seine Sprache war seine Welt unmenschlich, ihre Sitten waren Seespecks Fühlen unverwandt, ihre Gesetze ihm unmaßgeblich. Er wußte mit den Treppen und Zimmern dieses jetzigen Daseins nichts anderes anzufangen als sie unter sich niederzustampfen und zu sprengen. Sein Vaterhaus, das ihn verstoßen hatte, war zum Symbol aus Tempeln und Domen zusammengestrahlt, und die Erinnerung an sie wollte ihn in der Ameisensiedlung seiner Erniedrigung nicht verlassen.
Der Doktor aber überließ Symbol und Überwelt den Orten, die er nicht kannte. Da mochten sie sein oder nicht sein, schmachten oder prunken, er streckte keinen Finger nach ihnen aus. Er führte nur ein Symbol mit sich, das war die Faust, sie ließ er wie eine Bombe an einem Seil in alle Untiefen und Überhöhlen niedergleiten und zersprengte sie fingerspreizend nacheinander. Bald lag sie ihm auf der Brust und schien sich mit aller Seelenstärke und allem Menschenstolz vollzusaugen, bald fuhr sie wie ein wilder Trabant seines Kopfes, wie eine kompakte Erdenwelt, freudetanzend, glückbebend vor seinem Gesicht wie vor einer Sonne hin und wider. Er war mit seinem Gott zufrieden, und eine feste Burg war ihm sein Gott. ›Ob sein Gott auch ein Doktor ist?‹ mußte Seespeck flüchtig denken, und doch sah er tieffroh einen Lebenden seines Lebens froh sein.
Aus dem Licht des Abends wurde Finsternis, und die Welt war chaotischer als am Nachmittag, aber die beiden Ordner am Tisch blieben am Werk; sie waren nun gelinde warm geworden und fühlten sich jeder von der Allmacht umwittert, aus der sein Wesen ausgeströmt war, sie umkreisten sich atmosphärenumrauscht, lichtumwoben wie zwei Doppelsterne, einer den andern zu bannen bestrebt. Der Gundel schien so etwas ganz genehm, sie horchte und schaute unverwandt und hätte dermaßen gehorcht und geschaut, wenn statt Doktor und Däubler zwei Nashörner miteinander zu tun gehabt hätten. Da sie aber im Laufe der Stunden keine Entwicklung des Streites zu Sieg oder Niederlage wahrnahm, wozu ihre hübschen Augen auch nicht vorgebildet waren, so meldete sich bei ihr ein Bedürfnis zu eigener Tätigkeit. Sie begann also Lampe, der fröhlich eingeschlafen war, den Kopf zu kraulen, denn sie waren alte Freunde, und diese Handreichung war ihm stets eine starke Versüßung des Daseins.
Seespeck hatte längst beschlossen, den Dampfer fahren zu lassen und die Stunden nicht aufzuhalten. Däubler hatte den Dampfer und seinen Verzicht auf Gastrecht der Klus völlig vergessen, und der Doktor ritt auf seinem gesunden Optimismus durch die Welträume, ohne der Umkehr und dem heimischen Stall des Schimmels eine Rücksicht zu schenken. So kannte ihn die Gundel, und darum suchte sie ihn durch Beifall oder mahnende Tricks keineswegs abzulenken. Sie ergab sich dem Wahrscheinlichen in stiller Fürsorge um Lampe, und nachdem sie an ihm ihre Samariterhandlung ohne Kargheit vollzogen, wußte sie unauffällig Shawls oder Decken zu erlangen, unter denen sie, an den grauköpfigen Schneidermeister geschmiegt, alsbald einschlief. Die Welt und ihre Herkunft und Zukunft war durch den Zusammenprall zweier Polargeister zur baren Wüstenei geworden, als diese Pole sich tief in der Nacht, verschnaufend wie in Selbstbesinnung aus Gelähmtheit und Verranntheit, umschauten. Der Doktor nahm die Lampe und beleuchtete das Sofanest, wie ein Vater das Lager seiner unschuldigen Kinder überschaut. »Sie können nicht besser liegen, als sie tun«, sagte er beinah zärtlich, »sie wärmen sich gegenseitig.« Dann leuchtete er Däubler die Treppe hinauf und wies ihm sein früheres, jetzt Gundels Bett zum Lager an, Seespeck aber bekam ein Eckchen auf einer Pritsche in einem Raum neben dem Wohnzimmer, wo er den Rest der Nacht erbärmlich fror; der Doktor aber ging als sein eigener Nachtwächter rauchend um, bald draußen, bald drinnen, Seespeck hörte ihn einmal in der Küche mit Gläsern und Tellern hantieren, wobei er aus Selbstgesprächen leise lachte.
Am Montagmorgen nahmen sie alle zusammen den Dampfer. Seespeck geriet dabei an die Gundel und mußte ihr wohl oder übel Rede und Antwort stehen. Er fand ihre Blümchen so langweilig wie nur ein Ziergärtchen sein kann. Alles, was sie sagte, war brav »bürgerlich« zurechtgezupft und aufgereiht, ja, von Kindfreudigkeit, einer schon mattfarbigen, angewelkten, war ein Blütenhauch zu spüren. Im ganzen war er ihr gram, als sie ausstiegen, es war das Musikniveau, was der Doktor in der Gundel bewies, und also war er wohl ihm gram. Aber der bewußte Schimmel hatte ja starke Knochen, und sein Trott mußte wohl einmal durch öde Strecken gehen, die den Reiter selbst als Abwechslung statt trostlos traulich grüßten, wer konnte das wissen, wie das zusammen stimmte. Also ließ Seespeck in seiner Aufrechnung die Gundel beim Doktor gut und grade sein.
Er hatte Däubler den Wunsch äußern hören, Doberan zu sehen, und machte ihm den Vorschlag, den Nachmittag dort zusammen zu verbringen. Er verstand aber sogleich, daß Däubler, den das Schicksal zum Gast auf dieser Erde gemacht, nichts anderes als eine Einladung auf Tisch und Eisenbahn angenommen hatte. Und Seespeck, obgleich er mit Schrecken seine schmalen Mittel überschlug, fand mit Stolz seine überraschend neue Würde als Gönner eines Propheten ganz kleidsam. Auch bedachte er die günstige Gelegenheit, das Wiedewaldsche Anerbieten auf alle Möglichkeiten hin abzuwägen und einzuschätzen.
Sie verzehrten also Doberan, übernachteten in Rostock, verschlangen Rostock und reisten mit Wolfshunger nach Stralsund weiter. In den Gasthäusern ward Däubler etwa wie ein fahrender Fürst, manchmal fast als der Hölle entfahrener, angesehen, der in Begleitung seines zahlenden Sekretärs reiste. Exotisch und also sonderlich. Sie sahen erstaunt, wie herrisch er ging, mit Ungestüm niedersaß, wie ein Sklavenhalter Gehorsam gewöhnt, nach Bedienung rief und alles verzehrte, was aufgetragen ward. In Ermangelung eines Taschentuchs wischte er seine Lippen am Tischtuch, zwar verstohlen, wie er meinte, aber so offenkundig für die Kellner, daß sie sich zuzwinkerten, aber nicht zu lachen wagten. Und seine Reden waren atemraubend, selbst für die Kellner, die springfertig in der Nähe standen. Seespeck meinte zu Zeiten, daß sie etwas Hochstaplerisches hätten. Manchmal griff er mit den Armen an das himmlische Reck und machte den Bauchaufschwung, sah von oben aus der Fülle auf die Armut unter ihm herab. Er möchte aber, man merkte nicht, daß da oben eine Turnstange war, und sollte denken, es wäre Schweben und Entrücktsein gewesen. Er winkte dann anmutig mit den Brauen: ›es geht, man schwebt!‹ Und winkte hochwärts, als wollte er eine Hand in den Wolken schütteln. Er machte Seespeck ein geistiges Abenteuer vor, auch wenn er auf einem Heuwagen saß, wie Jovis in den Wolken, dann leugnete er sogar die Pferde und den Kutscher und schwebte vorüber. Nachher war er wieder da und machte die Mitteilung, daß er nur ein wenig gehext hätte. Er wüßte selbst nicht, wieso und wozu.
Inmitten der Kirchen himmelstürmender Pfeiler und Mauern verbissen sie sich die Menschlichkeit, aber wenn sie zu Tisch stürmten, ließen sie sie wieder zu Atem kommen. Wieso fühlten sie sich zu Hause im Wirtshaus, wo sie sich doch so wohl im Hause Gottes befunden? Nun ja, wenn es schon nach oben ging, konnte man da die Mägen einstweilen fahren lassen? Und wenn es zu Tisch ging, etwa tief abwärts in den Stralsunder Ratskeller, was taten sie da mit der Höhenluft, die noch an ihnen hing? Sie machte ihnen Appetit, das war es, sie hatte ihr Unteres mürbe, müde und durstig gemacht, und da man sich nun einmal nicht auseinanderreißen kann, so mußte ihr Oberes gefälligst freundliche Miene machen wie ein Pastor beim bäuerlichen Taufschmaus.
Aber doch -- die Turmvorkirche St. Marien in Stralsund, das Turminnere als Vor- und Sonderkirche eines übergöttlichen Gottes, erbaute sie am höchsten. Da schien bloß Gefühl der Gewalt, der Höhe, des Ungeheuerseins. Da war kein Mensch mehr ins Verhältnis gedacht wie drinnen mit Chor, Schiff und dem ganzen Herkommen. Hier vorne war nur ein Bekenntnis des Unbegreiflichen, nicht des Menschengottes, sondern des Unmenschlichen, das doch selbst der Mensch noch ahnt, das er aber nicht verehrt, mit dessen Dienst er kein sonntägliches Ausruhen vereinen kann.
Bisher war nun Seespeck Däublers wegen nicht zur Besinnung gekommen, hier in Stralsund, wo sie in der windumtosten Veranda des Hafenhotels von den Sitzungen im Ratskeller oder den Forschungen an der Stadt ausruhten, gab ihm sein guter Geist ein, daß die ganze Menschenfresserei seines neuen Freundes eitel sei, maskenhaft vor dem einfachen, artechten Menschen stände. Nein, im Tingeltangel war der Doppelmensch einfach, die monumentale Rüstung wird zum Requisit in der Polterkammer. Und im Tingeltangel saß Däubler gerne, so gerne, daß er selbst fürchtete, darum kein Religionsstifter zu werden, weil man ihn zu oft an ähnlichen Orten gesehen hätte. Und wenn mans recht bedachte, so ward ihm der ganze Tag, den er nicht allein war, zum Tingeltangel, vom morgendlichen Kaffeetrinken bis zur letzten Einkehr und allerletztem Austrunk. Ein freundliches Geschick gewährte ihm Ausruhen, Schauen, farbiges Spiel der Welt in seinen Augen, Lossein von sich selbst. Dann war er gütig, gefällig, herzlich, freund-brüderlich. Aber nur in Gesellschaft, davon ihm so ziemlich jede recht war, denn jede erfüllte ihren Zweck als Ableiter von der Qual seines eigenen Ichs. Aber alle Welt wurde in seinen Augen krank, wenn er auf sich selbst angewiesen war und nicht arbeitete, die Welt krank und die Dinge tot, -- und wer kann mit Lust tote Dinge anschauen? Dagegen wurde plötzlich bei ihm der Dichter-Alarm geblasen, dann strotzten die Dinge, dann wurden sie zu Trauben der Mystik, dann witterte seine Seele himmlischen Vorrat, und der glänzende Sanft des Geschauten spritzte ihm in die Augen. Seespeck fing entschlossen an, sich an den Menschen Däubler zu halten, und darüber konnte ihm das andere mit seiner Gewalt, seinen Spruchstürmen, seinem Inkognito als Gesandter eines mythischen Kaisers, wo nicht Kaiser aus Welt- und Zeitfernen selbst, als Berufswesen vorkommen, als Heldendarsteller, als Mime, der im Donnerwettern zu Hause scheint und sich doch erst am Familientisch zu Hause fühlt. So unrecht Seespeck mit solcher Anordnung von Däublerschen Bestandteilen hatte, so notwendig wurde sie ihm in diesen Tagen ihrer Bekanntschaft. Er sprach frischweg von Herrn Wiedewalds Absichten, und Däubler überließ ihm, dieses Geschäft ganz nach seinem Gutdünken zu regeln. »Das Leben ist nicht leicht«, sagte er mit einem Anflug von Selbstverspottung, die ihn sonst nicht leicht ankam, »man muß viel einstecken.« Tatsächlich konnte Seespeck sehen, daß er in Abwesenheit von seinen gewesenen oder werdenden Wohltätern leichter atmete und seine Armut wie eine Haubenlerche trug. ›Er ist ein Spiegel‹, dachte er wohl, (die ganze Welt läuft ihm in Farbengewittern und Bildergüssen über die blanke Seele, und natürlich wird diese Welt in diesem Spiegel eine däublerisch gedeutete und bewertete.)
Sie hatten übrigens ziemlich viel zu leiden. Wenn sie die Augen zu den Türmen aufhoben, dann wollten die Leute in Däubler einen Wundermenschen sehen, der sich zum Auffliegen rüstet und sein Ziel ins Auge faßt, um loszubrechen, oder wenn sie auf den Plätzen standen, umschauten und sich weiteten, um die Eindrücke einfahren zu lassen, dann schienen sie Besucher aus dem siebten Himmel, Leute mit unliebsamen Freudenerwartungen; tanzbärartig stand dann Däubler in der Unterhaltung, mit Handgriffen demonstrierend wie ein Jongleur mit Glasbällen, und mehrere Male fühlte Seespeck sich in Däubler gekränkt, erwiderte Bemerkungen Vorübergehender mit Glossen und übertrumpfte Anstaunen mit Anstieren. Beim Wandern durch die Gassen stutzte das Volk über Däublers gnadenloses Herabschauen, und allerdings lag in seiner Miene bei aller Milde und Versöhnlichkeit so gar wenig Verbrüderungsanerbieten, er ging wie ein Li Tai Pe als ungetümlicher Wanderpoet durch die Gassen, bestaunt, empörend und leise bespottet. Er selbst ließ sich aber über keiner Empfindlichkeit betreten. So ging es bei den Stralsundern und später bei den Neubrandenburgianern. Bei allem aber, nicht nur bei solchen Unbequemlichkeiten, fühlte sich Seespeck immer mehr zum Däubler werden. Er litt im Schatten eines Riesen, der wohl in Stunden und Tagen zum Normalmenschen zusammenschrumpfte. Er fühlte sich ausgekältet und entleert und dachte bald mit Sehnsucht an sein verborgen eigenes Treiben zurück. Er wollte wieder in seine Welt zurück, die ihm Däubler in diesen Tagen gewaltsam entzogen hatte. So trennten sie sich mit der Abrede, in Berlin wieder zusammenzutreffen.