Ernst Barlach
Protokolle und Porträts
Ernst Barlach

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Nachruf auf Albert Kollmann

Die seltsamste Persönlichkeit wird totgesagt. Kollmann verließ diejenigen, die glauben durften, ihn vertraulich gemacht zu haben, schon immer ein bißchen in der Art, als ob er entrückt würde. Etwa so: Im Dahinschlendern stockt er an einer Straßenkreuzung und erklärt in dürren Worten, indem er schon die Abschiedshand reicht, daß er nun fahre. Ausdrücke des Bedauerns und der Überraschung erträgt er noch soso, aber ein Anerbieten – nein, eine Bitte, mit ihm zum Bahnhof gehen zu dürfen, gibt seiner Geduld den Rest. Seine Hände schieben solchen überflüssigen Wunsch wie eine unsichtbare Drohgestalt zurück, er stemmt sich gegen, so gut es geht, und aus seinen Mienen könnte man auf übelriechende Vergasungen aus der Zudringlichkeit des Bittstellers raten. Und erschien denselben Freunden oder wie sie sonst zu heißen verdienen, aus der Verschlungenheit von Jahr und Tag auftauchend, und überraschte, ja erschreckte sie gelinde, weil es immer so etwas wie eine Erscheinung wurde. Seinen Tod kann man kaum als ein Ende wie bei andern ansehen. Er verwarf wohl jeden seiner Bekannten einmal, aber er ließ ihn immer wieder neu zur Prüfung zu, floh jeden, um ihn doch wieder zu suchen. Und besonders dieses Fliehen war bezeichnend; es stößt ihn ab, er muß fort, die Blume ist ausgesogen, er hat sich gestärkt und kann sie nun entbehren. – Man hat das Gefühl, er ist tot, weil das Leben ihn nun entläßt wie ein Baum sein reifes Samenkorn.

Aber man darf ihn auch anders sehen. Kannte er wirklich alle Menschen? Denn das mußte man denken, wenn man ihn sprach; sonderbar ist nur, daß er wohl sozusagen alle kannte, aber nur wenige ihn. Es ist gewagt, über das Ziel seiner inneren Unruhe zu sprechen, aber – – – brauchte er im letzten Grunde die Menschen, oder war es umgekehrt? Mir kam er oft wie ein Apostel vor, wie ein Vorläufer, ein Johannes aus der Wüste. Seine Magerkeit war nicht kümmerlich, sondern rassig; er ekelte sich vor vielem Fleisch und lebte selbst so enthaltsam wie in der Wüste, sein Kommen war Auflockern, Spalten, Erschüttern, er trat leise, behutsam, fast verlegen heran und war doch ein Kommandeur. Seine Mienen? Das Gesicht schrumpfte tausendfältig, verkrauste sich, als würde seine Haut von Krallen geritzt und immer wieder zerschlitzt und zerklüftet, er konnte grausam absonderliche Grimassen des Eiferns, des Ekels, der Verwunderung, des Wütens, des Zustimmens, Absprechens, Befremdens, Gewinnens ... (hier fehlen mir tausend Unaussprechlichkeiten) machen. Dabei strömte zorniger Odem heiser aus der knöchernen Brust. Und wieder lächelte es siegend aus ihm heraus im Abglanz gnädiger Laune, begleitete sein Frohlocken, sein unmerkliches Triumphieren mit flottem Zauber seines Mundes. Sein Mund? Ein Ausgang und Eingang, ein Marderloch, ein Iltisschlupf, und daraus fuhr die geschäftige Zunge hervor wie eine spitze Tierschnauze und ließ Lächeln wie Huschen und Schwenken eines schnellen Schweifes einen Schattenblitz übers Gesicht scheuchen.

Der Apostel, Relief, Holz, 1925
110 X 97 X 15 cm
Gertrudenkapelle Güstrow, vor 1933 in der Nationalgalerie Berlin

Er schien gespornte Schwäche, die sich aufbäumen ließ, aber es schien nur so. Die Hände flatterten um seine ruinenhafte Baufälligkeit wie Fledermäuse. Er konnte sich unterbrechen und zitternd vor Empörung den ganzen Plunder von sich schieben, als schäme er sich plötzlich seines Wüstentums, als erbittere ihn dieses Aposteltum, das sich heiser schreien muß und sich verschwenden an eine verlorene Sache. Und was war er denn für ein Apostel? Warum, wenn man so fragen darf, spukte er durch die Welt? Entsprachen die Künstler, die er nacheinander im Laufe seines langen Lebens verkündete, nur ebenso vielen Entwicklungsstufen seines Verständnisses? Das könnte eine tüchtige Untersuchung abgeben, aber es handelte sich in Wahrheit garnicht um Kunst und auch nicht um Verständnis. Es handelte sich bei Kollmann um etwas, was ich nicht versuchen will, durch ein Wort klar zu machen, und wobei ich denken muß, daß er so war, wie ich ihn mir denke. Er reiste, und er reiste unter Not und Mühen, immer vom Kellnerbrigantentum verfolgt, in einem ewigen Anfall von Hotelverdrossenheit, geplagt von Empfindlichkeit, bekämpft von der schlimmsten Koalition, die sich in der Welt gegen einen Einzelnen zusammenrotten kann – reiste und kämpfte sich durch diese Welt, fraß den Ärger an ihrem Äußern, Ekel über ihr Inneres wie ein böses alltägliches Brot – wofür? Ich denke, daß irgend etwas am Leben, in gewissen Künstlern und Dichtern ihm dem Allerletzten, Größten, Endgültigen soviel näher zu kommen schien wie etwa ein Berggipfel dem Nordstern.

Ob Herr A., dessen Werk er früher verkündigte, Herrn B. unterlegen ist, ob C., D., E. wirklich die paar Größten in seinen Augen sind, weil er ihretwegen zuletzt aus der Wüste kam, das ist müßige Frage. Was bleibt, ist dies eine, daß er seinen Norden nach immer neuen Kompassen unermüdlich suchte und Andere ermunterte und wohl bisweilen peinigte, ebendort, wo er es gangbar fand, das Heil zu suchen.

Und für dieses Aposteltum war er zwar nicht vornehmlich mit Zungen ausgerüstet, sondern mit einer merkwürdigen Macht zu überzeugen, daß er wisse. Diese Gewalt konnte in Form einer höhnischen Verachtung selbst manchen stacheln, an dem schon Hopfen und Malz verloren schien. Wie man sich gegen Reden und Beweise taub machen, vor Sichtbarem die Augen schließen kann, wenn es mißfällt, aber bei scharfem Rauch oder Dunst am Ende machtlos wird, so mit einem eigentlich unsinnlichen Bestimmen umwitterte und durchdrang sein Hinlenken auf das Notwendige, ohne daß er etwas genau Umschriebenes »wollte« oder »lehrte«, – und beeinflußte den Zustand vieler Menschen.

Er war im hohen Alter kein Greis, er schien bald jung, bald alt, wie gerade die Stunde geschlagen hatte. Man konnte glauben, er wäre aus la Mancha gebürtig, aber er war auch als Mecklenburger ein unbequemer, jedem Schlendrian in Worten, Werken und Gesinnungen abholder Ritter. Weichheit, die er wohl hatte, beschnitt er an sich streng wie einen Baum, der nicht schatten soll. Sein freundlichstes Lächeln hatte etwas Schabendes, Zerpflückendes. Ein prachtvoller Hochmut konnte bei ihm ausbrechen, wenn sich ahnungslose Gemütlichkeit an ihn heranmachte; dann zerschnitt er das Tischtuch, daß der Andre die Tatze hastig wegriß, und markierte seine Grenzen wie für die Ewigkeit. Und doch kleidete er sich meistens in Demut und ließ sein Rittertum unter der Hülle der Bescheidenheit nur ahnen. So war denn die Rückverwandlung, wo es sich nötig machte, oft eine Abstrafung und Beschämung, wenn es sich um Dinge handelte, um die man blank zieht.

Und doch bin ich mir darin ungewiß, ob ich denn nun seine wahre Gestalt gesehen habe; sicher nicht, ich habe nur einige seiner Verwandlungen gesehen. Nur eine seiner Erscheinungsformen möchte ich als die behalten, die seiner wahren vielleicht am meisten gleicht. Die eines ermüdeten, mit ein wenig Staub der Kümmerlichkeit bestreuten alten Herrn, der einer leisen Heiterkeit in irgend einem stillen Schlupfwinkel vor dem nie aussetzenden Gebell da draußen sich hervorzuwagen gönnt. Zwar war das immer noch eine Laune, die sichs auf eigene Kosten Wohlsein läßt, als ob er über sein Behagen selbst spotte, aber einem Weltkind mochte es scheinen, als ob er sich von der Zeit und dem Schicksal seiner eigenen Natur, die Fluch und Segen zugleich sein mochte, losgelöst und einmal da stand, wo alles glücklich und zufrieden ist. Ob Stunden, ob Minuten – er konnte doch auch stillstehen, um dem Draußen zuzuschauen wie einem braven Stück Zeittheater. Dann schien es, als ob eine Spur Erfüllung, ein Abschlag auf etwas Verheißenes und Ersehntes, ein Pröbchen Seligkeit wie ein Bröckchen Ruhe von einem Rastlosen vorausgeschmeckt würde.

Der Geistkämpfer, Bronze, 1928
Abguß nach dem kleinen Werkmodell für das Ehrenmal an der Universitätskirche (heute an der Nikolaikirche) in Kiel
119 cm hoch
Kunsthalle Mannheim (Nachlaß Leo von König); ein weiterer Guß im Barlach-Haus Hamburg-Kleinflottbek (Sammlung Reemtsma)


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