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Wenn ich einem Werk, das vor nun bald dreizehn Jahren begonnen wurde, den Titel der »Menschlichen Komödie« gebe, so wird es nötig sein, daß ich seine Idee angebe, von seiner Entstehung berichte und in Kürze seinen Plan auseinandersetze; und zwar muß ich versuchen, von diesen Dingen zu sprechen, als sei ich an ihnen ganz unbeteiligt. Das ist nicht so schwierig, wie der Leser vielleicht glaubt. Ein Werk, auf das wenig Arbeit verwandt wurde, leistet oft der Eitelkeit Vorschub, andauernde Arbeit aber macht unendlich bescheiden. Diese Beobachtung erklärt die Durchprüfung, der Corneille, Molière und andere große Autoren ihre Werke unterzogen: wenn es unmöglich ist, ihnen in ihren schönen Eingebungen gleichzukommen, so kann man sich wenigstens in dieser Empfindung mit ihnen berühren.
Die erste Idee der »Menschlichen Komödie« tauchte mir wie ein Traum auf, wie einer jener ungeheuren Pläne, denen man liebevoll nachhängt und die man entfliegen läßt; wie eine Schimäre, die lächelt, die ihr Frauengesicht zeigt, und die alsbald ihre Flügel entfaltet, um in einen phantastischen Himmel zurückzukehren. Aber die Schimäre wandelt sich wie viele Schimären zur Wirklichkeit; sie übt eine Herrschaft und eine Tyrannei aus, der man gehorchen muß. Die vorliegende Idee entsprang einem Vergleich zwischen dem Menschlichen und dem Tierischen. Es wäre ein Irrtum, wollte man glauben, der große Streit, der sich vor einiger Zeit zwischen Cuvier und Geoffroy Saint-Hilaire entspann, habe auf einer neuen wissenschaftlichen Entdeckung beruht. Der Gedanke der ›Einheit in der Vielheit‹ hatte unter anderen Namen schon die größten Geister der beiden vorhergehenden Jahrhunderte beschäftigt. Wenn man die so außerordentlichen Werke der mystischen Schriftsteller durchliest, die sich mit den Wissenschaften in ihren Beziehungen zum Unendlichen befassen, wie etwa Swedenborg, Saint-Martin und andere, und ferner die Schriften der großen naturwissenschaftlichen Genies, wie die eines Leibniz, eines Buffon, eines Charles Bonnet usw., so findet man in den Monaden des Leibniz, in den organischen Molekülen Buffons, in der vegetativen Kraft Needhams, in der ›Einschachtelung‹ der ähnlichen Teile bei Charles Bonnet, der kühn genug war, schon 1760 zu schreiben: »Das Tier vegetiert wie die Pflanze«: dort, sage ich, findet man die Keime des schönen Gesetzes vom Selbst an und für sich, auf dem die »Einheit in der Vielheit« beruht. Es gibt nur ein Tier. Der Schöpfer hat sich für alle organischen Wesen nur eines einzigen Musters bedient. Das Tier ist ein Grundwesen, das seine äußere Gestalt oder, genauer, die Unterschiede seiner Gestalt in den Umgebungen annimmt, in denen es sich zu entwickeln berufen wird. Aus diesen Unterschieden ergeben sich die zoologischen Arten. Dieses System, das übrigens mit unseren Begriffen von der göttlichen Macht im Einklang steht, verkündet und vertreten zu haben, wird ewig ein Ehrentitel Geoffroy Saint-Hilaires bleiben, der in dieser Streitfrage der Wissenschaft über Cuvier siegte und dessen Triumph durch den letzten Aufsatz begrüßt wurde, den der große Goethe schrieb.
Da ich von diesem System durchdrungen war, längst ehe es zu all den Streitigkeiten Anlaß gab, so erkannte ich, daß die Gesellschaft in dieser Hinsicht der Natur glich. Macht nicht auch die Gesellschaft aus dem Menschen je nach den Umgebungen, in denen sein Handeln sich entfaltet, ebenso viele verschiedene Menschen, wie es in der Zoologie Variationen gibt? Die Unterschiede zwischen einem Soldaten, einem Arbeiter, einem Verwaltungsbeamten, einem Advokaten, einem Müßggänger, einem Gelehrten, einem Staatsmann, einem Kaufmann, einem Seemann, einem Dichter, einem Bettler und einem Priester sind, wenn auch schwieriger zu definieren, so doch nicht minder beträchtlich als jene, die den Wolf, den Löwen, den Esel, die Krähe, den Hai, die Meerkuh, das Schaf und andere unterscheiden. Es hat also ewig soziale Gattungen gegeben und wird ihrer ewig geben, wie es zoologische Gattungen gibt. Wenn Buffon ein prachtvolles Werk schrieb, als er versuchte, das Gesamtbild der Zoologie in einem Buche darzustellen, war da nicht auch ein gleiches Werk über die Gesellschaft zu schaffen? Aber die Natur hat den tierischen Variationen Grenzen gesetzt, in denen sich die Gesellschaft nicht halten sollte. Wenn Buffon den Löwen geschildert hatte, so war er mit der Löwin nach ein paar Sätzen fertig; in der Gesellschaft dagegen zeigt sich die Frau nicht immer als das Weibchen des Männchens. Es können in einer Ehegemeinschaft zwei gründlich verschiedene Wesen zusammenleben. Die Frau eines Händlers verdient bisweilen die eines Fürsten zu sein; und oft ist die eines Fürsten nicht so viel wert wie die eines Künstlers. Die soziale Stellung ist Zufällen unterworfen, wie die Natur sie sich nicht erlaubt, denn sie ergibt sich aus der Natur plus der Gesellschaft. Die Schilderung der sozialen Arten umfaßte also zum mindesten das Doppelte der tierischen Arten, wenn man nämlich auch nur auf die beiden Geschlechter Rücksicht nahm. Schließlich spielen sich zwischen den Tieren wenig Dramen ab; nie gerät Verwirrung unter sie; sie stellen sich gegenseitig nach, das ist alles. Auch die Menschen stellen sich freilich gegenseitig nach, aber ihre mehr oder minder große Intelligenz macht den Kampf ganz bedeutend komplizierter. Wenn einige Gelehrte immer noch nicht zugeben, daß das Tierische in einem ungeheuren Lebensstrom hinüberspielt ins Menschliche, so steht es fest, daß der Krämer manchmal Pair von Frankreich wird, während der Adlige zuweilen in die letzte soziale Reihe zurücksinkt. Dann fand Buffon das Leben bei den Tieren äußerst einfach. Das Tier hat nur wenig Mobiliar, es kennt keine Künste und Wissenschaften; der Mensch dagegen strebt auf Grund eines noch zu erforschenden Gesetzes danach, seinen Sitten, seinem Denken und seinem Leben in all dem Ausdruck zu verschaffen, was er seinen Bedürfnissen anpaßt. Wenn auch Leuwenhoek, Swammerdam, Spalanzani, Réaumur, Charles Bonnet, Müller, Haller und andere geduldige Zoographen nachgewiesen haben, wie interessant die Sitten der Tiere sind, so bleiben doch die Gewohnheiten eines jeden einzelnen Tieres, wenigstens in unseren Augen, stets sich selber gleich, während die Gewohnheiten, die Kleidung, die Worte, die Wohnsitze eines Fürsten, eines Bankiers, eines Bürgers, eines Priesters und eines Bettlers völlig verschieden sind und sich je nach der Zivilisation wandeln müssen.
Daher mußte das Werk, das zu schaffen war, eine dreifache Gestalt haben: je nach den Männern, den Frauen und den Dingen, d.h. den Menschen und der äußeren Form, die sie ihrem Denken geben; kurz, nach dem Menschen und dem Leben.
Wer hat nicht bemerkt, wenn er den trockenen und abstoßenden Wortschatz der sogenannten historischen Berichte las, daß die Geschichtsschreiber zu allen Zeiten, in Ägypten wie in Persien, in Griechenland wie in Rom, vergessen haben, uns die Geschichte der Sitten zu geben? Das Fragment des Petron über das Privatleben der Römer reizt unsere Neugier mehr, als daß es sie befriedigt. Als der Abbé Barthélemy bemerkt hatte, welche ungeheure Lücke hier auf dem Felde der Geschichte klaffte, widmete er sein ganzes Leben dem Wiederaufbau der griechischen Sitten in seinem »Anacharsis«.
Aber wie sollte man das Drama mit drei- bis viertausend handelnden Personen, wie eine Gesellschaft es darstellt, interessant machen? Wie sollte man zugleich dem Dichter, dem Philosophen und der Masse gefallen, die die Poesie und die Philosophie unter packenden Bildern verlangt? Waren mir die Bedeutung und die Poesie einer solchen Geschichte des menschlichen Herzens klar, so sah ich kein Mittel, sie auszuführen; denn bis auf unsere Zeit hatten die berühmtesten Erzähler ihr ganzes Talent darauf verwandt, eine oder zwei typische Gestalten zu schaffen, eine Seite des Lebens darzustellen. Mit diesem Gedanken las ich die Werke Walter Scotts. Walter Scott, dieser moderne »Finder« (Troubadour), verlieh einer Dichtungsgattung, die man zu Unrecht zweitrangig nennt, etwas Riesenhaftes. Ist es nicht in Wahrheit schwieriger, mit der Wirklichkeit durch Schöpfungen zu wetteifern, wie es Daphnis und Chloe, Roland, Amadis, Panurg, Don Quixote, Manon Lescaut, Clarisse, Lovelace, Robinson Crusoe, Gil Blas, Ossian, Julie d'Etanges, Mein Onkel Tobias, Werther, René, Corinna, Adolphe, Paul und Virginie, Jeane Dean, Claverhouse, Ivanhoe, Manfred und Mignon sind, als Tatsachen aufzureihen, die bei fast allen Nationen die gleichen bleiben, nach dem Geist verschollener Gesetze zu forschen, Theorien aufzustellen, die die Völker in die Irre führen, oder wie gewisse Metaphysiker zu erklären, was ist? Zunächst leben all jene handelnden Personen, deren Dasein dauernder, verbürgter wird als das der Generationen, in deren Mitte man sie geboren werden läßt, nur unter der Bedingung, daß sie ein großes Gemälde der Gegenwart sind. Sie sind dem innersten Wesen ihres Jahrhunderts abgelauscht, und also regt sich unter ihrer Hülle das ganze menschliche Herz; es versteckt sich in ihnen oft eine ganze Philosophie. Walter Scott erhob also den Roman zu dem philosophischen Wert der Geschichte; jene Literaturgattung, die von Jahrhundert zu Jahrhundert unsterbliche Diamanten einfügt in die Krone der Dichtung jener Länder, in denen die schönen Künste gepflegt werden. Er führte den Geist der alten Zeiten ein; er vereinigte in ihr das Drama, den Dialog, das Porträt, die Landschaft und die Schilderung; er wies dem Wunderbaren und dem Wahren seine Stellung an, jenen Elementen der Epik, und bei ihm berührte sich die Poesie mit der Vertraulichkeit der niedrigsten Sprache. Aber da er weniger ein System ersonnen, als vielmehr im Feuer der Arbeit oder durch die Logik der Arbeit seine Manier gefunden hatte, so war ihm nie der Gedanke gekommen, seine Dichtungen miteinander zu verknüpfen, so daß durch die Nebeneinanderordnung eine vollständige Geschichte entstand, deren jedes Kapitel ein Roman war und jeder Roman eine Zeitgeschichte. Als ich diesen Mangel der Bindung erkannte, der übrigens die Größe des Schotten nicht schmälert, sah ich zugleich das System, das der Ausführung meines Werkes günstig war, und die Möglichkeit, es auszuführen. Wenn ich auch sozusagen geblendet war durch die überraschende Fruchtbarkeit Walter Scotts, der sich stets gleich und stets originell bleibt, so verzweifelte ich doch nicht, denn ich fand die Wurzel dieses Talentes in der unendlichen Mannigfaltigkeit der Menschennatur. Der Zufall ist der größte Romandichter der Welt: um fruchtbar zu werden, braucht man nur zu studieren. Die französische Gesellschaft sollte der Historiker sein, ich nur ihr Sekretär. Wenn ich die Inventur der Laster und Tugenden aufnahm, wenn ich die hauptsächlichsten Daten der Leidenschaften sammelte, wenn ich die Charaktere schilderte, wenn ich die wichtigsten Ereignisse des sozialen Lebens auswählte, wenn ich durch die Vereinigung der Züge vieler gleichartiger Charaktere Typen schuf, so konnte es mir vielleicht gelingen, die von so vielen Historikern übersehene Geschichte zu schreiben: die der Sitten. Mit viel Geduld und großem Mut konnte ich über das Frankreich des neunzehnten Jahrhunderts jenes Buch zustande bringen, nach dem wir alle uns sehnen, das uns Rom, Athen, Tyrus, Memphis, Persien und Indien unglücklicherweise über ihre Zivilisationen nicht hinterlassen haben, und das nach dem Beispiel des Abbé Barthélemy der mutige und geduldige Monteil für das Mittelalter zu schreiben unternahm, jedoch in wenig anlockender Form.
Aber diese Arbeit war noch nichts. Der Schriftsteller, der sich an eine solche genaue Wiedergabe hielt, konnte ein mehr oder minder treuer, mehr oder minder glücklicher, geduldiger oder mutiger Schilderer der menschlichen Typen, ein Erzähler der Dramen des Alltagslebens, ein Archäolog des sozialen Apparates, ein Namengeber für die Berufe und ein Registrator des Guten und Bösen werden; um mir aber das Lob zu verdienen, nach dem jeder Künstler streben soll, mußte ich da nicht die Ursachen oder die Ursache für all diese sozialen Wirkungen studieren? Mußte ich nicht den verborgenen Sinn in dieser ungeheuren Häufung von Gestalten, Leidenschaften und Ereignissen erhaschen? Und wenn ich diese Ursache, diese treibende Kraft in der Gesellschaft, gesucht (ich sage nicht: gefunden) hatte, mußte ich da nicht über die natürlichen Prinzipien nachgrübeln und erforschen, worin sich die Gesellschaften von der ewigen Regel, vom Wahren und Schönen entfernen oder sich ihnen nähern? Trotz der Ausdehnung der Prämissen, die für sich allein schon ein Werk sein konnten, verlangte das Ganze, um ein Ganzes zu werden, einen Schluß. So geschildert, mußte die Gesellschaft den Sinn ihrer Bewegung in sich selber tragen.
Das Gesetz des Schriftstellers, das, was ihn zu einem solchen werden läßt, ja, ich scheue mich nicht zu sagen, was ihn dem Staatsmann gleich, wenn nicht gar überlegen macht, das ist eine irgendwie über alle menschlichen Dinge gefällte Entscheidung, eine absolute Hingabe an Prinzipien. Machiavelli, Hobbes, Bossuet, Leibniz, Kant, Montesquieu sind die Wissenschaft, die die Staatsmänner anwenden. »Ein Schriftsteller muß in der Moral und in der Politik feste Anschauungen haben, er muß sich als einen Erzieher der Menschen betrachten; denn um zu zweifeln, bedürfen die Menschen keiner Lehrer«, sagt Bonald. Ich habe mir diese großen Worte, die so gut das Gesetz des monarchischen Schriftstellers sind wie das des demokratischen, früh zur Richtschnur genommen. Und wenn man mich also mir selber entgegenhalten will, so wird es sich finden, daß man irgendeine Ironie falsch gedeutet hat, oder daß man die Worte einer meiner Gestalten unsinnigerweise wider mich wendet: ein Verfahren, das den Verleumdern geläufig ist. Was den verborgenen Sinn, die Seele dieses Werkes angeht, so mögen diese Prinzipien, die ihm als Grundlage dienen, hier folgen.
Der Mensch ist weder gut noch böse; er wird mit Instinkten und Anlagen geboren; die Gesellschaft verdirbt ihn keineswegs, wie Rousseau es behauptet hat, sie vervollkommnet ihn, sie macht ihn besser; aber das Interesse entwickelt auch seine schlimmen Neigungen. Das Christentum, und besonders der Katholizismus, ist als ein vollständiges System der Unterdrückung aller entarteten Neigungen des Menschen, und als solches habe ich ihn im »Landarzt« dargestellt, die größte Kraft der sozialen Ordnung.
Wenn man die Schilderung der Gesellschaft, die gewissermaßen nach dem lebenden Körper mit all seinen Vorzügen und Schwächen abgegossen wurde, aufmerksam durchliest, so ergibt sich diese Lehre, daß der Gedanke oder die Leidenschaft, die Denken und Empfinden umschließt, wenn sie das bauende Element der Gesellschaft darstellt, doch auch zugleich ihr zerstörendes Element ist. Darin gleicht das soziale Leben dem menschlichen Leben. Man kann den Völkern nur dadurch ein langes Leben geben, daß man ihre Lebenstätigkeit dämpft. Die Aufklärung oder, besser, die Erziehung durch religiöse Körperschaften ist also für die Völker das große Daseinsprinzip, das einzige Mittel, in der ganzen Gesellschaft die Summe des Bösen zu verringern und die Summe des Guten zu mehren. Das Denken, der Ursprung des Guten und Bösen, kann nur durch die Religion vorbereitet, gebändigt, gelenkt werden. Die einzige, mögliche Religion ist das Christentum. (Siehe im »Louis Lambert« den von Paris aus geschriebenen Brief, in dem der junge mystische Philosoph bei Gelegenheit von Swedenborgs Lehre auseinandersetzt, wieso es seit der Entstehung der Welt stets nur eine Religion gegeben hat.) Das Christentum hat die modernen Völker erschaffen, es wird sie auch erhalten. Daher zweifellos die Notwendigkeit des monarchischen Prinzips. Der Katholizismus und das Königtum sind Zwillingsprinzipien. Was die Grenzen angeht, in denen diese beiden Prinzipien durch Gesetze einzuschließen sind, damit sie sich nicht bis ins Absolute entwickeln können, so wird ein jeder spüren, daß ein so gedrängtes Vorwort, wie dieses es sein muß, nicht zu einem politischen Traktat werden darf. Daher kann ich mich auch nicht auf die religiösen und politischen Streitfragen des Augenblicks einlassen. Ich schreibe beim Licht zweier ewiger Wahrheiten: der Religion und der Monarchie, zweier Notwendigkeiten, die die zeitgenössischen Ereignisse verkünden und zu denen jeder verständige Schriftsteller unser Land zurückzuführen versuchen muß. Ohne ein Gegner der Wahl zu sein (sie ist ein ausgezeichnetes Prinzip der Gesetzgebung), weise ich die Wahl als einziges soziales Hilfsmittel zurück, zumal wenn sie so schlecht organisiert ist wie heute, da sie imponierende Minoritäten, an deren Gedanken und Interessen eine monarchische Regierung denken würde, überhaupt nicht vertritt. Die Wahl gibt uns, wenn sie auf alles ausgedehnt wird, die Regierung durch die Massen, die einzige, die nie verantwortlich ist und deren Tyrannei keine Grenzen kennt, denn sie nennt sich ›das Gesetz‹. Deshalb erscheint mir auch die Familie, nicht das Einzelwesen, als wahres Element der Gesellschaft. In dieser Hinsicht trete ich auf die Gefahr hin, als rückschrittlerischer Geist zu gelten, auf die Seite Bossuets und Bonalds, statt mich den modernen Neuerern anzuschließen. Da die Wahl zum einzigen Werkzeug der Gesellschaft geworden ist, so dürfte man, wenn ich selbst meine Zuflucht zu ihr nähme, daraus nicht auf den geringsten Widerspruch zwischen meinen Worten und meinen Handlungen schließen. Ein Ingenieur warnt davor, daß die und die Brücke einzustürzen droht, daß es gefährlich ist, sie zu benutzen, und er geht doch selbst hinüber, wenn sie die einzige Straße ist, auf der man in die Stadt kommt. Napoleon hatte die Wahl dem Geist unseres Landes trefflich angepaßt. Daher waren denn auch die geringsten Abgeordneten seiner Gesetzgebenden Körperschaft noch die berühmtesten Redner der Kammern unter der Restauration. Keine Kammer war so viel wert wie die Gesetzgebende Körperschaft, wenn man sie Mann für Mann verglich. Das Wahlsystem des Kaiserreichs ist also unstreitig das bessere.
Manche werden diese Erklärung hoffärtig und ruhmredig finden. Man wird mit dem Romandichter Zank suchen, weil er Geschichtsschreiber sein will; man wird ihn zur Rede stellen über seine Politik. Ich komme hier einer Verpflichtung nach, das ist meine ganze Antwort. Das Werk, das ich unternommen habe, wird so lang wie eine Weltgeschichte, und ich war seinen noch verborgenen Sinn, seine Prinzipien und seine Moral schuldig.
Ich muß notwendigerweise jene Vorreden streichen, die geschrieben wurden, um wesentlich vergänglichen Kritiken zu entgegnen, und ich will aus ihnen nur eine Anmerkung erhalten.
Die Schriftsteller, die ein Ziel haben, und wäre es die Rückkehr zu den Prinzipien, die sich eben deshalb schon in der Vergangenheit finden, weil sie ewig sind, müssen stets erst das Gelände säubern. Wer nun seinen Stein für das Gebiet des Denkens herbeiträgt, wer einen Mißbrauch kennzeichnet, wer das Schlimme mit einem Merkmal versieht, damit es ausgemerzt werde, der gilt stets als ›unmoralisch‹. Der Vorwurf der Unmoralität, der keinem mutigen Schriftsteller je erspart blieb, ist übrigens der letzte, der noch übrigbleibt, wenn man einem Dichter nichts mehr zu sagen hat. Wenn er in seinen Schilderungen wahr ist, wenn er vermöge täglicher und nächtlicher Arbeit dahin gelangt, daß er die schwerste Sprache der Welt zu schreiben versteht, so wirft man ihm das Wort ›unmoralisch‹ ins Gesicht. Sokrates war unmoralisch, Jesus war unmoralisch; beide wurden im Namen der Gesellschaft, die sie umstürzten oder reformierten, verfolgt. Wenn man jemanden töten will, so beschuldigt man ihn der Unmoral. Dieses den Parteien vertraute Verfahren ist eine Schmach für die, die es anwenden. Luther und Calvin wußten genau, was sie taten, als sie sich der Verletzung materieller Interessen wie eines Schildes bedienten! Daher haben sie auch ihr Leben zu Ende leben können.
Wenn ich die ganze Gesellschaft kopierte, wenn ich sie in der Unendlichkeit ihrer Gärungen zu fassen suchte, so war es unausbleiblich, daß die eine Dichtung mehr des Bösen als des Guten bot, daß jener andere Teil des Freskos eine schuldbeladene Gruppe darstellte: und die Kritik schreit über Unmoral, ohne auf die Moralität eines dritten Teils aufmerksam zu machen, der bestimmt war, den vollständigen Gegensatz darzustellen. Da die Kritik von dem Gesamtplan nichts wußte, so verzieh ich ihr um so leichter, als man die Kritik so wenig wie das Auge, die Zunge und die Urteilskraft hindern kann, sich zu betätigen. Außerdem ist der Zeitpunkt der Unparteilichkeit für mich noch nicht gekommen. Im übrigen darf ein Autor, der sich nicht darein fügen kann, daß er das Feuer der Kritik wird zu ertragen haben, so wenig schreiben, wie ein Reisender sich auf den Weg machen darf, wenn er auf einen ewig heiteren Himmel zählt. In dieser Hinsicht muß ich nur noch darauf hinweisen, daß die gewissenhaftesten Moralisten sehr daran zweifeln, ob die Gesellschaft so viele gute Handlungen aufweisen kann wie schlechte; in dem Gemälde aber, das ich entwerfe, finden sich mehr tugendhafte Persönlichkeiten als tadelnswerte. Schmähliche Handlungen, Fehltritte und Verbrechen finden von den leichtesten bis zu den schwersten stets ihre menschliche oder göttliche Strafe, die sie vor aller Welt oder im geheimen ereilt. Ich habe mehr getan als der Historiker, ich bin freier. Cromwell blieb hier auf Erden ohne andere Züchtigung als die, die ihm der Denker auferlegte. Und selbst die ist noch von Schule zu Schule strittig gewesen. Selbst Bossuet hat diesen großen Königsmörder geschont. Der Usurpator Wilhelm von Oranien, Hugo Capet, noch ein Usurpator, sterben hochbetagt, ohne mehr Argwohn oder Besorgnisse durchzumachen als Heinrich IV. und Karl I. Das Leben Katharinas II. und das Ludwigs XIV. würden, einander gegenübergestellt, gegen jede Moral sprechen, wenn man sie nämlich vom Standpunkt jener Moral aus beurteilt, die die Bürger regiert; denn für die Könige und die Staatsmänner gibt es, wie Napoleon gesagt hat, eine große und eine kleine Moral. Die »Szenen aus dem politischen Leben«Szenen aus dem politischen Leben: ›Eine Episode unter der Schreckensherrschaft‹ und ›Eine dunkle Affäre‹. sind auf diesem schönen Gedanken aufgebaut. Die Geschichte untersteht nicht wie der Roman dem Gesetz des Strebens nach der idealen Schönheit. Die Geschichte ist oder sollte sein wie die Wirklichkeit, während der Roman nach dem Ausspruch der Madame Necker, eines der vornehmsten Geister des letzten Jahrhunderts, »die bessere Welt« sein soll. Aber der Roman wäre ein Nichts, wenn es in dieser erhabenen Lüge nicht die Wahrheit im einzelnen gäbe. Walter Scott war, da er sich den Begriffen eines wesentlich heuchlerischen Landes anpassen mußte, soweit das Menschliche in Betracht kommt, unwahr in der Schilderung der Frau; denn seine Vorbilder waren Schismatiker. Die protestantische Frau hat kein Ideal. Sie kann keusch, rein und tugendhaft sein, aber ihre Liebe, die keine Überschwenglichkeit kennt, wird stets ruhig und geordnet bleiben wie eine erfüllte Pflicht. Es könnte scheinen, als habe die Jungfrau Maria den Sophisten, die sie aus dem Himmel verbannten, sie mitsamt ihren Schätzen des Erbarmens, das Herz kalt gemacht. Im Protestantismus bleibt der Frau nach dem Fehltritt keinerlei Möglichkeit mehr, während in der katholischen Kirche die Hoffnung auf Vergebung sie erst erhaben macht. Deshalb gibt es für den protestantischen Schriftsteller nur eine einzige Frau, während der katholische Schriftsteller in jeder neuen Lage eine neue Frau entdeckt. Wäre Walter Scott Katholik gewesen, hätte er es sich zur Aufgabe gemacht, in aller Wahrheit die verschiedenen Gesellschaften zu schildern, die sich in Schottland gefolgt sind, so hätte vielleicht der Maler Effies und Alices (der beiden Charaktere, die geschildert zu haben er sich in seinen alten Tagen zum Vorwurf machte) die Leidenschaften mit ihren Fehltritten und ihren Strafen und mit den Tugenden, die die Reue ihnen zuweist, anerkannt. Die Leidenschaft umfaßt alles Menschliche. Ohne sie wären die Religion, die Geschichte, der Roman und die Kunst nutzlos.
Manche Leute sind, als sie sahen, wieviel Tatsachen ich anhäufte und genau so schilderte, wie sie sind, nämlich mit der Leidenschaft als Triebfeder, auf den Gedanken gekommen, und zwar sehr zu Unrecht, ich gehörte zu der sensualistischen oder materialistischen Schule, die beide nur zwei Seiten einer und derselben Anschauung bedeuten: des Pantheismus. Aber vielleicht konnte man, mußte man sich täuschen. Ich teile, soweit es sich um Gesellschaften handelt, den Glauben an einen unendlichen Fortschritt nicht; ich glaube an den Fortschritt des Menschen über sich selbst hinaus. Jene, die bei mir die Absicht bemerken wollen, den Menschen als ein fertiges Geschöpf zu betrachten, sind also in einer merkwürdigen Täuschung befangen. Seraphita, die in Handlung umgesetzte Lehre des christlichen Buddha, scheint mir eine genügende Antwort auf diese übrigens ziemlich oberflächliche, anderswo erhobene Beschuldigung.
In gewissen Fragmenten dieses langen Werkes habe ich versucht, die erstaunlichen Tatsachen, ich kann wohl sagen: die Wunder der Elektrizität zu popularisieren, die sich beim Menschen in eine unberechenbare Kraft umsetzen; aber worin stören die Phänomene des Gehirns und der Nerven, die das Dasein einer neuen moralischen Welt beweisen, die gewissen und notwendigen Beziehungen zwischen den Welten und Gott? Wieso würden dadurch die katholischen Dogmen erschüttert? Wenn das Denken eines Tages durch unbestreitbare Tatsachen unter die Fluida eingereiht wird, die sich nur durch ihre Wirkungen offenbaren und deren Wesen sich unseren Sinnen entzieht, wenn sie auch durch noch so viele mechanische Hilfsmittel unterstützt werden, so wird es damit gehen wie mit der Kugelgestalt der Erde, die Kolumbus entdeckte, oder mit ihrer Drehung, die Galilei nachwies. Der tierische Magnetismus, mit dessen Wundern ich mich seit 1820 vertraut gemacht habe, die schönen Forschungen Galls, des Nachfolgers Lavaters, und all derer, die seit fünfzig Jahren das Denken erforschten, wie die Optiker das Licht erforscht haben (und beide Dinge sind ja fast das gleiche), beweisen sowohl für die Mystiker, jene Schüler des Apostels Johannes, wie für alle großen Denker, die die übersinnliche Welt aufgebaut haben, jene Sphäre, in der sich die Beziehungen zwischen dem Menschen und Gott offenbaren.
Wenn man den Sinn dieser Dichtung recht erfaßt, so wird man erkennen, daß ich den ständigen, täglichen, geheimen oder offen zutage liegenden Tatsachen, den Handlungen des individuellen Lebens, ihren Ursachen und ihren Prinzipien die gleiche Bedeutung beilege, die bisher die Historiker den Ereignissen des öffentlichen Lebens der Nationen beigelegt haben. Die unbekannte Schlacht, die in einem Tal der Landschaft l'Indre Madame de Mortsauf der Leidenschaft liefert, ist vielleicht nicht minder groß als die berühmteste der bekannten Schlachten (Die Lilie im Tal). In der einen steht der Ruhm eines Eroberers auf dem Spiel; in der anderen handelt es sich um den Himmel. Das Unglück der Birotteaus, des Priesters und des Parfumeurs, ist für mich das der Menschheit. Die Fosseuse (im ›Landarzt‹) und Madame Graslin (im ›Dorfpfarrer‹) sind mir fast die ganze Frau. Wir leiden so jeden Tag. Ich habe hundertmal tun müssen, was Richardson nur einmal getan hat. Lovelace hat tausend Gestalten, denn die soziale Verderbtheit nimmt die Farben all der Umgebungen an, in denen sie sich entwickelt. Clarissa dagegen, jenes schöne Bildnis der leidenschaftlichen Tugend, zeigt Linien von verzweifelter Reinheit. Um viele Jungfrauen zu schaffen, muß man ein Raffael sein. Die Literatur ist vielleicht in dieser Hinsicht der Malerei unterlegen.
Es war keine kleine Aufgabe, die zwei- oder dreitausend markanten Gestalten einer Zeit zu schildern; denn diese Summe von Typen enthält schließlich jede Generation, und auch die ›Menschliche Komödie‹ wird sie umfassen. Diese Anzahl von Gestalten, von Charakteren, die Fülle von Existenzen verlangte Rahmen und, man verzeihe mir den Ausdruck, Galerien. Daher die so natürlichen, schon bekannten Einteilungen meines Werkes in Szenen aus dem Privatleben, aus dem Provinzleben, aus dem Pariser Leben, aus dem Leben der Politik, aus dem Soldatenleben und dem Landleben. In diese sechs Bücher sind all die Sittenstudien verteilt, die die allgemeine Geschichte der Gesellschaft bilden, die Sammlung aller ›facta und gesta‹, wie unsere Vorfahren gesagt hätten. Diese sechs Bücher entsprechen übrigens allgemeinen Ideen. Ein jedes hat seinen Sinn und seine Bedeutung, und es gestaltet eine Epoche des menschlichen Lebens. Ich will hier wiederholen, wenn auch in aller Kürze, was Felix Davin, ein junges Talent, das den schönen Künsten durch einen vorzeitigen Tod entrissen wurde, schrieb, nachdem er sich über meinen Plan erkundigt hatte. Die Szenen aus dem Privatleben geben die Kindheit und die Jugend mit ihren Fehltritten, wie die Szenen aus dem Provinzleben das Alter der Leidenschaften, der Berechnungen, der Interessen und des Ehrgeizes geben. Die Szenen aus dem Pariser Leben endlich zeigen das Gemälde der Neigungen, der Laster und all der Zügellosigkeiten, wie sie die den Hauptstädten eigenen Sitten entwickeln, denn dort begegnen einander der Gipfel des Guten und der Gipfel des Bösen. Jeder dieser drei Teile hat seine Lokalfarbe: Paris und die Provinz, dieser soziale Gegensatz hat ihre ungeheuren Hilfsquellen erschlossen. Nicht nur die Menschen, sondern auch die Hauptereignisse des Lebens formulieren sich nach Typen. Es gibt Situationen, die in allen Existenzen wiederkehren, typische Entwicklungsphasen; und darin genau zu sein gehört zu meinen am eifrigsten erstrebten Zielen. Ich habe auch versucht, von den verschiedenen Gegenden unseres schönen Landes einen Begriff zu geben. Mein Werk hat seine Geographie, wie es seine Genealogie und seine Familien hat, seine Orte und seine Dinge, seine Personen und seine Tatsachen; wie es auch seine Heraldik besitzt, seine Adligen und seine Bürger, seine Handwerker und seine Bauern, seine Politiker und seine Dandys und sein Heer, kurz, seine Welt.
Nachdem ich in diesen drei Büchern das soziale Leben geschildert hatte, blieb mir noch übrig, die Ausnahmeexistenzen zu zeigen, die die Interessen mehrerer oder aller zusammenfassen, und die gewissermaßen außerhalb des allgemeinen Gesetzes stehen: daher die Szenen aus dem Leben der Politik. Und als dieses ungeheure Gemälde der Gesellschaft vollendet und beendigt war, mußte ich sie da nicht in ihrem gewalttätigsten Stande zeigen, wie sie aus sich heraustritt, sei es, um sich zu verteidigen, sei es, um zu erobern? Daher die Szenen aus dem Soldatenleben, der noch am wenigsten vollendete Teil meines Werkes, für den jedoch in dieser Ausgabe Platz gelassen wird, damit ich ihn einordnen kann, wenn er beendet ist. Schließlich sind gewissermaßen die Szenen aus dem Landleben der Abend dieses langen Tagewerks, wenn ich das soziale Drama so nennen darf. In diesem Buch finden sich die reinsten Charaktere und die Nutzanwendung der großen Prinzipien der Ordnung, der Politik und der Moral. Das ist das Fundament voller Gestalten, voller Komödien und Tragödien, auf dem sich die Philosophischen Studien aufbauen, der zweite Teil des Werkes, in dem das soziale Werkzeug aller Wirkungen nachgewiesen wird, in dem, Empfindung für Empfindung, die Verheerungen des Denkens geschildert sind, und dessen erster Band ›Das Chagrinleder‹, die Sittenstudien gewissermaßen mit den Philosophischen Studien verbindet, und zwar durch das Bindeglied einer fast orientalischen Phantasie, die das Leben selber im Kampf mit der Begierde zeigt, einem Kampf, der das Prinzip jeder Leidenschaft ist.
Über ihnen sollen die analytischen Studien stehen, von denen ich nichts sagen will, da erst eine einzige veröffentlicht worden ist: Die Physiologie der Ehe.
In der nächsten Zeit werde ich zwei weitere Werke dieser Art liefern. Zunächst die ›Pathologie des sozialen Lebens‹, dann die ›Physiologie der Lehrkörper‹ und die ›Monographie über die Tugend‹.
Vielleicht wird man mir beim Anblick dessen, was noch zu tun bleibt, sagen, was meine Verleger schon gesagt haben: »Gott gebe Ihnen ein so langes Leben!« Ich wünsche mir nur, daß ich nicht weiter so von den Menschen und den Dingen gefoltert werde, wie ich gefoltert worden bin, seit ich diese furchtbare Arbeit unternommen habe. Ich habe eins für mich gehabt und danke Gott dafür: die größten Talente unserer Zeit, die schönsten Charaktere und aufrichtige Freunde, die im Privatleben so groß sind wie jene im öffentlichen Leben, haben mir die Hand gedrückt und zu mir gesprochen: »Mut!« Und weshalb sollte ich es nicht eingestehen, daß diese Freundschaften und die hie und da von Unbekannten erhaltenen Ermutigungen mir in meiner Laufbahn geholfen haben, und zwar sowohl gegen mich selbst wie gegen ungerechte Angriffe, gegen die Verleumdung, die mich so oft verfolgte, gegen die Entmutigung und gegen jene allzu lebhafte Hoffnung, deren Worte für die einer übertriebenen Eitelkeit gelten? Ich hatte beschlossen, Angriffen und Schmähungen stoische Unerschütterlichkeit entgegenzusetzen; aber in zwei Fällen machten feige Verleumdungen die Verteidigung notwendig. Wenn jene, die da verlangen, daß man Beleidigungen verzeiht, bedauern müssen, daß ich mein Geschick in der literarischen Fechtkunst zeigte, so sind doch auch manche Christen der Meinung, daß wir in einer Zeit leben, in der man beweisen sollte, daß das Schweigen auch der Großmut entspringen kann.
Bei dieser Gelegenheit muß ich darauf aufmerksam machen, daß ich mich nur zu solchen Werken bekenne, die meinen Namen tragen. Außer der ›Menschlichen Komödie‹ sind von mir nur die ›Tolldreisten Geschichten‹, zwei Theaterstücke und vereinzelte Artikel vorhanden, die übrigens meine Unterschrift tragen. Ich mache hier Gebrauch von einem unbestreitbaren Recht. Aber die Ableugnung wird mir, selbst wenn sie Werke treffen sollte, an denen ich mitgearbeitet habe, weniger durch die Eitelkeit als die Wahrheit auferlegt. Wenn man mir weiterhin Bücher zuschreiben sollte, die ich, literarisch gesprochen, nicht als die meinen anerkenne, aber deren Eigentumsrechte mir anvertraut wurden, so würde ich hinfort nicht mehr widersprechen, und zwar aus demselben Grunde, aus dem ich den Verleumdern das Feld einräume.
Die Unermeßlichkeit eines Planes, der zugleich die Geschichte und die Kritik der Gesellschaft, die Analyse ihrer Übel und die Erörterung ihrer Prinzipien umfaßt, berechtigt mich, so scheint es mir, meinem Werk den Titel zu geben, unter dem es heute erscheint: ›Die Menschliche Komödie‹. Ist es ehrgeizig, ist es nur gerecht? Darüber wird, wenn das Werk beendet ist, das Publikum entscheiden.
Paris, Juli 1842.