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Vorsatz.

(Auf der Reise nach Berlin.)
Dresden, den 11. März.

Ich muß wieder reisen. Es ist kein Futter mehr auf den Nerven. Der gallische und spanische und afrikanische Proviant ist lange aufgezehrt. Das ewige Wiederkauen wird verdrießlich. Ja, wenn es Menschen gäbe – aber es gibt bei uns keine Menschen. Darum kann man in Frankreich leben und ermüdet niemals und verjüngt sich immer: man füttert die Nerven mit Menschen. Jeder ist neu, Jeder ist ein Ereignis, Jeder ist seine Welt. Aber hier hat jeder Beruf sein Cliché; darnach werden die Typen gefertigt, die herumlaufen, – und das Cliché ist alt, es sind verwischte und elende Abdrücke.

Reisen. Nach neuen Sensationen botanisiren. Erstens ist es ein Vergnügen; zweitens ist es mein eigentliches Geschäft. Man hat so viele Menschen in sich, als man Welten erlebt hat: jedesmal wächst ein neues Stück an die Seele. Es ist die billigste und bequemste Bereicherung.

Sonst, wenn man im engen Bezirke verweilt, da bleibt man ganz klein und gering und einfach: man hat nur sich selbst – das Bischen, das angeboren ist, das Bischen, das von der Nachbarschaft erworben ist, und das Bischen, das von gnädigen Erlebnissen geschenkt ist. Aber draußen erweitert man sich täglich: jede neue Landschaft, jede neue Sprache, jede neue Rasse wird an die Seele hinzugefügt. Man gewinnt zu dem eigenen Gehirn viele fremde hinzu, mit denen man anders denkt und seiner Vergangenheit widersprechen kann. Man gewinnt andere Sinne, die nur dieser andere Himmel, diese andere Sonne, diese andere Luft bilden konnten. Man gewinnt neue Gefühle, die von fremden Vorfahren in fremden Erlebnissen geformt wurden. Man vervielfältigt sich. Man kann mehr genießen, weil man neue Instrumente erworben hat. Man ist nicht mehr einsam: denn man hat in sich viele wunderliche Gäste. Man ist nicht mehr einfach: man trägt Mehrere in sich und kann sich für jeden Tag der Woche ein neues Ich umschnallen, wie eine neue Cravatte. Man wird sich nicht so leicht und nicht so schnell zuwider. Wenn mir's der Deutsche in mir gar zu bunt treibt, dann ärgere ich mich nicht lange, hänge ihn in den Kasten und ziehe den Marokkaner an; und manchmal sind zwischen dem Mann aus Linz, dem Andalusen und dem Berliner ganz überaus vergnügliche Terzette.

Aber die Hauptsache ist der Genuß. Den Genuß muß man kosmopolitisch vermehren. Jede Nation genießt anders; und ihre besondere Kunst des Genusses von jeder zu lernen, war ich immer vornehmlich bedacht. Jede macht auf die Geschenke des Lebens anders Jagd: diese besondere Weise der Jagd ist an und für sich schon jedesmal wieder ein besonderer Genuß; und am Ende fängt man auch reichere Beute.

Also reisen. Und wieder mit dieser eifrigen Absicht reisen, ein neues Ich zu erwerben und neue Instrumente des Genusses in die Seele zu bringen. Wieder nach Sensationen reisen.

Aber ich habe mir die Sensationen lange genug mutwillig verdorben, indem ich sie durchaus suggeriren wollte. Der eigene Genuß genügte mir nicht: ich dachte immer gleich an die Anderen. Was ich selber an Schmerz und Freude erfuhr, das sollte immer gleich heraus und in die Anderen hinein, daß sie das Nämliche erführen. Wenn ich die Welt in mich versetzt und genossen hatte, dann wollte ich mich in die Welt versetzen und das eigene Erlebnis in den Anderen erwecken: es sollte herüber und hinüber ein täglicher Tausch sein. Daher das irre Suchen um die schöpferische Musik des rechten Wortes, die Sensation nicht blos aus mir auszudrücken, sondern in die anderen einzudrücken, bis sie dort wieder auferstehe und unvergänglich weiterlebe. Wozu? Sie machen ja doch nur dumme Gesichter und Keiner versteht es.

Vielleicht ist es überhaupt ein Unmögliches, von vorne herein, wonach ich haschte. Vielleicht ist die Suggestion der Sensation, in der ich die neue Kunst gesucht, ein trügliches, unirdisches Phantom, das nimmermehr erfaßt werden kann. Vermag eine menschliche Kunst, meinen Geschmack der Galanes und meinen Geschmack der Chartreuse und meinen Geschmack der Tuberrose in solche Worte umzusetzen, daß Andere, die keine Galanes, keine Chartreuse und keine Tuberrose jemals gekannt haben, eben den nämlichen Geschmack erfahren? Vermag ich den Wind in Sätze zu fangen, aus denen es ebenso bläst und ebenso staubt und ebenso riecht? Vermag ich die knisternde Wollust arabischer Seide durch Buchstaben auf fremde Nerven hinüberzurascheln?

Das vorläufige Deutsch kann es nicht; es langt kaum für die Bedürfnisse des Verstandes und des Gefühles. Ich mußte darum eine neue Sprache suchen und versuchen. Wenige haben die Absicht verstanden; Manche haben es blos verhöhnt; die Meisten äffen es sinnlos nach und wissen nicht warum; kaum an einem Dutzend ist die Wirkung gelungen.

Vielleicht werde ich es weiter versuchen. Vielleicht werbe ich weiter um die Zauberworte. Aber ich will mir nicht länger jeden Genuß verderben, indem ich gleich immer blos nach seinem sprachlichen Aequivalent mich plage. Wenn ich die Sensation nur selber erlebe und die nötigen Zeichen von ihr notire, welche sie jeden Moment zurückrufen können! Sensationen sammeln, daß ich dann einen Vorrat habe. Und mit dem ersten Worte der gemeinen Sprache merken, das mir begegnet. Es sollen nur Noten für mich und die Virtuosen der Sensation sein, die die Arbeit schon selber verrichten werden. Was kümmern uns die Anderen, denen die ganze Mühe ja doch am Ende nichts hilft? Das ist mein Vorsatz.

Sensationen mit verschärften Sinnen fangen. Mit geübten Nerven genießen. Mit dem nächsten Schlagwort, das mir zuläuft, merken. Die stilistische Akrobatik später wieder einmal. Wenn ich erst wieder reich bin, reich an nervöser Erfahrung.


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