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Viertes Kapitel.
Der Mörder Cäsars

Der Wagen, welchen George Borton, der gefürchteten Spion der Unionsarmee, bestiegen hatte, fuhr auf der Straße von Macruders Hill geradeswegs nach Richmond. Spät Abends erst erreichten sie die Brücke welche, über den James führend, den diesseitigen Theil der Stadt mit dem jenseitigen verbindet. Die offene Chaise rollte federleicht durch die winkelrecht gebauten und ebengepflasterten Straßen, bis sie in der Nähe von Libby Hill vor dem Hotel Franklin Halt machte.

Goldbetreßte Lakaien stürzten an den Wagenschlag und wetteiferten, den Gast mit Aufmerksamkeiten zu überhäufen, denn man kannte den Wagen, in welchem er fuhr als den des Präsidenten der Sklavenstaaten Jefferson Davis, und kannte den jungen Mann als Freund und Günstling des Präsidenten.

»Ist Mr. Sandford Conover hier?« fragte Georg den Oberkellner, der ihn aus sein Zimmer geleitete, das beste, welches im Hotel vorhanden war, und welches die Aussicht bot auf einen mit Blumenanlagen gezierten Platz, an dessen gegenüberliegender Seite sich das Palais des Präsidenten befand.

»Ihnen zu dienen, Sir, Mr. Conover ist vor zwei Stunden angekommen!« replicirte der Kellner mit devoter Verneigung.

»Gehen Sie zu ihm und sagen Sie ihm, daß ich ihn bitte um seinen Besuch.«

»Zu Befehl, Sir. Es ist auch ein Billet da, welches eine Schwarze, eine Dienerin der Miß Davis, hier abgegeben.«

»Es ist gut. Geh jetzt zu Mr. Conover.«

George Borton nahm das Billet, das auf dem Tische lag mit halb geringschätzigem halb höhnischem Lächeln. Es trug die Aufschrift: An Mr. Francis Parker. Er öffnete und las:

 

»Theuerster Francis!

Von meinem Vater höre ich, daß Du heute erwartet wirst. Wie lange habe ich Dich mit Sehnsucht erwartet, und wenn Du morgen meinem Vater Deine Aufwartung machen wirst, so gestattet die Etiquette nicht, daß ich Dich mit der Zärtlichkeit begrüße, die ich für Dich empfinde. Leider verbietet die hohe Stellung, die ich einnehme, mir, auch der Welt zu zeigen, was Du mir bist. Empfindet Dein Herz noch Liebe für mich wie früher, so komm noch heute Abend ins Theater, in der ersten Loge links wirst Du mich finden, ich werde nur von meiner Gesellschafterin, Miß Anna Surratt, die Du ja auch kennst, begleitet sein.

Die Deinige
Jenny Davis.

 

George hatte mit sichtlichem Widerwillen die Zeilen gelesen, als er eben damit geendet und das Billet einsteckte, klopfte es, die Thür öffnete sich, und ein Mann nahe den Vierziger Jahren trat ein. Es war eine mittelmäßig große, schlanke Figur. Er trug einen vollen röthlichen Backenbart und kurzgeschornes Haar. Sein Gesicht war zwar nicht schön aber regelmäßig, sein Auge sprechend und geistvoll. Ein Zug um seinen Mund schien zuweilen ein ironisches Lächeln zu verrathen und sein Blick war durchdringend und schlau; in unbeobachteten Momenten oft argwöhnisch forschend.

George eilte ihm entgegen und erwiderte seinen herzlichen Händedruck mit Wärme.

»Nun da find Sie ja wieder, Sie kühne …«

»Still!« unterbrach ihn George, »ich bin hier auch für Sie nichts anderes, als was ich scheine. Nennen Sie meinen Namen selbst nicht im traulichen Gespräch, wie leicht könnte dann, wenn Vorsicht von Nöthen, die Gewohnheit Ihnen ein Wort in den Mund legen, das uns Verderben bringt. Nennen Sie mich Francis Parker, das ist der Name, unter dem ich mich bei Mr. Excellenz, dem Herrn Präsidenten eingeführt.«

»Gut, gut! Sie wissen ja, daß ich nicht zu denen gehöre, denen die Zunge mit der Klugheit davongeht. Ich bin an dergleichen Maskeraden hinlänglich gewöhnt, und wie Ihnen ja. bekannt ist, ruht meine eigene Sicherheit lediglich auf meiner Verstellungskunst.«

»Ich weiß, lieber Mr. Conover. Gelingt es Ihnen noch zuweilen der New-Yorker Tribüne Ihre Correspondenzen zuzustellen?«

»Selten. Ich kann meine Manuscripte fast nur durch flüchtige Nigger besorgen lassen und diese werden in den meisten Fällen aufgegriffen.«

»Schade, sehr schade. Doch versuchen Sie wenigstens die Nachricht nach New-York zu expediren, daß der General M'Clellan von dem Spion George Borton gesehen worden ist aus dem James River, und daß er vermuthlich einen heimlichen Verkehr mit den Rebellen unterhält.«

»Was höre ich? Täuschen Sie sich nicht? Wär's möglich, daß M'Clellan ein Verräther ist?«

»Noch weiß ich es nicht; es ist möglich, daß ich mich täuschte, doch glaube ich es nicht. Vielleicht habe ich schon morgen Gewißheit.«

»Himmel, wenn es wahr wäre!«

»Ich werde die Wahrheit entweder selbst erforschen oder durch Frederic Seward erfahren, den ich hier erwarte. Doch, lieber Freund, was haben Sie hier Neues? Ich brenne vor Begierde von Ihnen Nachrichten zu erhalten; denn es sind bereits drei Monate, daß wir uns nicht sahen.«

»Ganz recht, seit der Schlacht bei den sieben Tannen, die M'Clellan auf unbegreifliche Weise verlor, und in welcher wir einen Verlust von 25,000 Mann zu beklagen hatten. Die· unglücklichen Gefangenen! ihr Loos ist gräßlich. Man muß das Gefängniß bei Millen, Ga mit eigenen Augen sehen, denn die umfassendste Beschreibung würde nicht die empörenden Details erschöpfen.«

»Ich hörte davon und werde Gelegenheit nehmen, mich durch den Augenschein zu überzeugen.«

»Ich rathe es Ihnen nicht, ein solcher Anblick ist nicht für die zarten Nerven einer ….«

»Schon wieder!« unterbrach ihn George. »Ich fange an, an Ihrer Vorsicht zu zweifeln, ich heiße Mr. Parker. – Nun fahren Sie fort in Ihrem Bericht.«

»Entschuldigen Sie, Mr. Francis Parker«, versetzte Conover lachend, »es soll mir nicht wieder passiren, daß ich Ihre Maske vergesse. – Was für Sie das Wichtigste ist, das ist der Plan, den jetzt die Ritter vom goldnen Zirkel ausgebrütet haben. Man weiß noch nichts Genaueres darüber, allein es ist etwas im Werke. Ich habe Aeußerungen von Mr. Breckenridge gehört, die annehmen lassen, daß es sich um Brandstiftung, Mord oder dergleichen handelt. Dann hat ein gewisser Oldham dem Präsidenten seine Dienste angeboten, die wohl ganz absonderlicher Art sein müssen. Ich könnte Ihnen darüber so manches Interessante erzählen.«

»Thun Sie es, Mr. Conover,« bat George. »Sie leisten mir damit einen großen Dienst, allein wenn es Ihnen recht ist, begleiten Sie mich in's Theater, wir können ja dann unterwegs plaudern. Ich habe im Theater ein Rendezvous mit Miß Davis,« fügte er ironisch lächelnd hinzu.

»Ein Rendezvous mit Miß Davis!« wiederholte sein Freund und brach in lautes Gelächter aus. »Wohl, ich gehe mit Ihnen, ich werde in der gegenüberliegenden Loge Platz nehmen und mich über die Komödie, die Sie spielen werden, tausendmal mehr ergötzen als über die Tragödie auf den Brettern, die die Welt bedeuten.« –

Das Nationaltheater war heute Abend überfüllt; die Plätze waren bis auf den letzten verkauft, und unwillig, an der Kasse abgewiesen zu sein, mußten Unzählige auf den Genuß dieses Abends verzichten.

Auf dem Theaterzettel war heute Shakespeare's Julius Cäsar angekündigt, und in der Rolle des Junius Brutus sollte zum ersten Mal ein Schauspieler auftreten, dem ein vielversprechender Ruf voranging. Julius Cäsar war heute die Parole. Die Eröffnung der Kasse hatte einen Wettkampf um Eintrittskarten eröffnet. Haufenweise sammelte sich vor dem Theater das Publikum, das nicht so glücklich gewesen war, einen Platz zu erlangen, um den Mann auch nur sehen zu können, dessen Vater bereits in dieser Rolle geglänzt, dessen Bruder darin die größten Erfolge erreichte, der aber selbst von keinem jener Beiden erreicht wurde.

Der Vorhang rauschte eben zum zweiten Male empor, da öffnete sich die Thür der ersten Loge linker Hand, und George Borton, der schöne Jüngling, der Spion, trat ein, die beiden in der Lage anwesenden Damen mit feinem Anstande begrüßend. Ueber das sonst stets in gemessenem Ernst gehaltene Gesicht der Einen flog es wie ein Schimmer freudiger Ueberraschung, aber der gute Ton erforderte dieselbe zu verbergen, und schnell waren wieder die Züge der Würde ihrer Stellung entsprechend zurecht gelegt. Sie reichte dem Eintretenden die Hand, die derselbe mit Grazie an die Lippen führte worauf er sich gegen die Begleiterin der Dame verneigte.

»Soeben empfing ich Dein Billet, Jenny,« flüsterte er, ein süßes Lächeln erzwingend, »und auf den Flügeln der Sehnsucht eile ich, Deinem Wink zu folgen.«

Er nahm Platz an der Seite der Miß Jenny Davis.

Es war ein merkwürdiger Contrast zwischen den mädchenhaft weichen Zügen des Jünglings und den eckigen, harten, männlichen Zügen des etwa 22 jährigen Mädchens an seiner Seite. Sie war mittlerer Größe, mager aber starkknochig gebaut; ihre Gesichtszüge gewöhnlich, Nase und Mund von ordinärem Typus; Manieren und Haltung steif und gezwungen, und aus jeder derselben sprach das Bewußtsein, etwas mehr zu sein als ihre Umgebung. Sie trug ein prächtiges Kleid von schreienden Farben und gebrauchte ihren Fächer mit mehr Energie als Grazie, eine Angewohnheit, die den Nachtheil für sie hatte, daß sie dabei stets einen äußerst unschönen Arm zeigte.

Miß Anna Surratt war ganz im Anschauen des Stückes vertieft und störte das Gespräch zwischen George und Jenny nicht. Nur hin und wieder hörte man von ihr Ausrufe wie:

»Welch' ein Mann! – O, wie schön ist er! – Welches Feuer!« und dergleichen mehr.

George hielt es für Pflicht der Höflichkeit auch die Freundin der Dame seines Herzens in's Gespräch zu ziehen, und redete sie deshalb an:

»Darf man fragen, Miß Surratt, wem diese schmeichelhaften Expectorationen gelten?«

»Wem sonst als dem Einzigen – dem Unübertrefflichen!« antwortete sie mit Begeisterung.

George würde schwerlich errathen haben, wer dieser Einzige, Unübertreffliche sei, wäre ihm nicht Miß Davis, die von der Begeisterung ihrer Freundin ebenfalls angesteckt schien, zu Hülfe gekommen.

»Sieh doch jenen Schauspieler dort,« sagte sie auf den deutend, der die Rolle des Junius Brutus spielte. »Das ist Wilkes Booth. Gieb nur Acht, mit welcher Wahrheit er spielt.«

George wandte seine Blicke zum ersten Male der Bühne zu. Man spielte gerade die erste Scene im zweiten Act, in welcher Brutus sich zum Morde des Cäsar entschließt. George's Blicke ruhten mit fast leidenschaftlichem Feuer auf dem Schauspieler. Er mußte sich gestehen, daß die Lobeserhebungen der Miß Surratt nicht übertrieben waren.

George hatte nie einen schöneren Mann gesehen, er schien ihm ein Mittelding zwischen einem Endymion und einem Antinous. Groß und schmächtig, breitschultrig und von zarter Taille, das bleiche, edle Gesicht durch feurige, fast unheimliche Augen gehoben, so mußte es ihm leicht werden die Herzen aller Frauen zu erobern. Sein schwarzer Schnurrbart war wohl gepflegt, und hob die Vorzüge seines Gesichts. Sein Spiel war feurig und begeistert, doch wie George sich nicht verbergen bunte, haschte er an Unkosten seiner Charakteristik nur nach Effekt.

Eben kam er in seiner Ueberlegung zu dem Entschluß:

»Es muß durch seinen Tod geschehen. Ich habe
Für mein Theil keinen Grund, ihn wegzustoßen
Als für's gemeine Wohl ….«

Ein donnerndes Bravo erscholl.

»Ist's nicht, als meinte er damit Lincoln?« sagte Miß Surrath. »Bei Gott, er wäre der Mann zu solcher That.«

George begann jetzt dem Spiel mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Die Person von Cäsars Mörder gewann immer mehr Interesse für ihn, und nur halb hörte er die Zärtlichkeiten, die seine verliebte Nachbarin ihm zuflüsterte, daß diese endlich anfing, ihm wegen seiner Zerstreutheit Vorwürfe zu machen und sich zu beklagen, daß ihre Nähe so wenig Reiz für ihn habe. Das brachte den Jüngling zur Besinnung, und wieder widmete er sich ganz der Geliebten. Es gehörte indessen nicht viel Scharfblick dazu, um zu erkennen, daß er die Rolle des Liebhabers wenn auch gut, so doch mit Widerstreben und gezwungen spielte.

Der dritte Akt kam heran und lautlose Stille banger Erwartung herrschte, als Brutus seinen Dolch in Cäsars Brust senkte, und in dämonischer Begeisterung ausrief:

»……. Bückt euch Römer!
Laßt unsre Händ' in Cäsars Blut uns baden
Bis an die Ellenbogen! Färbt die Schwerter!
So treten wir hinaus bis auf den Markt,
Und, überm Haupt die rothen Waffen schwingend,
Ruft alle dann: Erlösung! Friede! Freiheit!«

»Sag, Francis, wärst Du wohl im Stande, für die Freiheit solche That zu vollbringen? – Ach, den würde ich anbeten, der so das Vaterland gerettet!« flüsterte Miß Davis ihrem Nachbar zu und vergaß in ihrer Begeisterung die Etiquette so weit, daß sie die Hand George's ergriff und mit Verzückung an ihr Herz drückte.

Das Publikum sah in fieberhafter Erregung den blutenden Thyrannen daliegen und hörte den Ruf des Mörders; aber der Applaus vermochte nicht, sich Bahn zu brechen, denn Alles lauschte in athemloser Stille. Es war gerade als Jenny die Hand ihres Geliebten an's Herz drückte, da unterbrach diese feierliche Stille ein helles Lachen aus der Seitenloge rechter Hand. Alles wandte sich dahin und Blicke bösen Unwillens trafen Conover, dessen forschendes Auge, die zärtliche Wallung der Miß bemerkend, mit George einen Blick des Einverständnisses wechselte. Um aber dem Publikum nicht ferner Anlaß zum Mißfallen zu geben, entfernte er sich aus der Loge.

George sah ihn mit Bedauern fortgehen, er kannte den Grund seines Lachens, allein er wagte nicht, ihn durch einen Blick zum Bleiben aufzufordern, denn Conover hatte alle Ursache, sich in Richmond nicht mißliebig zu machen.

Der vierte Akt war vorüber und der fünfte sollte eben beginnen, da klopfte es an die Thür der Loge, in welcher George sich befand.

Es war der Logenschließer, der Herrn Francis Parker meldete, daß Jemand draußen sei, der ihn dringend zu sprechen wünsche.

George entschuldigte sich bei den Damen und trat hinaus. Es war Mr. Conover, der ihn hatte hinausrufen lassen. Schon seine Miene verrieth, daß sich etwas von außerordentlicher Wichtigkeit mußte zugetragen haben.

»Fliehen Sie!« sagte er hastig. »Denn die Polizei hat Wind, daß sich der Spion George Borton im Theater befinde. Soeben treten die Policemen ein, um Sie zu fangen. Kommen Sie durch diese Seitenthür hinaus.«

George sprang schnell in die Loge zurück und erklärte, daß ein Ereigniß von höchster Wichtigkeit seine augenblickliche Entfernung fordere; nachdem. er flüchtig von Miß Davis Abschied genommen und sich gegen Miß Surratt verneigt hatte, eilte er zu Conover zurück.

Dieser schob ihn durch die bezeichnete Seitenthür mit den Worten:

»Ein Cab wartet unten. Sie wissen meine Wohnung; In dem obern Zimmer finden Sie Alles, was Sie brauchen.«

Es mochten kaum zwei Minuten verstrichen sein, da trat einer der Policemen an Mr. Conover heran und fragte:

»Nun, wie ist's, Mr. Conover, haben Sie ihn gesehen?«

»Nein, Mr. Smith,« war die Antwort. »Ich zweifle, ob Sie recht berichtet sind. Er ist im Theater nirgend zu sehen, überzeugen Sie sich selbst.«

»Hm, dann wird er in den Gängen versteckt sein,« meinte der Polizist.

Er machte bereits Anstalt, die Büffets der Conditoreien und Restaurationen zu durchsuchen, da kam ein anderer Polizeibeamter herbeigelaufen.

»Mr. Smith!« rief er, »der Vogel, den wir fangen wollen, ist soeben in einem Cab von hier abgefahren. Einer unsrer Leute hat sofort ein anderes Cab genommen und fährt ihm nach, um uns zu berichten, wo er bleibt.«

Es mochte eine halbe Stunde verstrichen sein, da kam ein Mann und meldete, er werde von einem Polizeibeamten geschickt, der den Spion verfolgt habe. Dieser sei in das Haus Mr. Conover's getreten, vor dem der Beamte Wache halte, bis Hülfe käme.

»In Ihr Haus, Mr. Conover?« rief Mr. Smith mit einem mißtrauisch forschenden Blick.«

»Das kann nicht möglich sein,« versicherte der Angeredete, »es muß ein Irrthum sein. Kommen Sie, mein Herr, durchsuchen Sie mein Haus, ich schwöre Ihnen, Sie werden ihn dort nicht finden.«

Mr. Conover, der Sergeant Smith und vier andere Polizeibeamte begaben sich sofort in die Wohnung des Ersteren; vor welcher sie den Polizeimann Wache haltend fanden.

»Bist Du sicher, daß er hier ist?« fragte der Sergeant.

»Ganz sicher« war die Antwort, »und daß er nicht herausgekommen ist, weiß ich auch, denn das Haus hat weiter keinen Ausgang.«

Die Hausthür war offen; sie traten ein. Die Zimmer der unteren Etage wurden von Mr. Conover bewohnt, und Niemand darin gefunden.

»Sie haben sonst noch Zimmer?« fragte der Sergeant.

»Im der oberen Etage noch zwei.«

»So wollen wir auch diese durchsuchen. Ist er überhaupt in diesem Hause, so muß er also dort sein.«

Das erste der beiden Zimmer ward ebenfalls ohne Erfolg durchsucht. Durch die Thürspalten des andern Zimmers aber schimmerte Licht.«

»Aha!« triumphirte der Sergeant, »hier haben wir ihn.«

Er pochte an die Thür.

»Herein!« rief eine weiche Stimme.

Der Sergeant öffnete, blieb aber betroffen auf der Schwelle stehen, denn er fand hier nicht im mindesten, was er erwartet hatte. Hier stand nicht, wie er meinte, der verwegene Spion, den Lauf des Revolvers auf ihn gerichtet, oder am geöffneten Fenster, um seine Freiheit durch den gefährlichen Sprung zu erreichen, nein, hier saß an einem Tische auf dem Sopha eine schöne junge Dame in Nachtkleidern und schrieb.

Der Policeman in Amerika ist höflich, namentlich dem weiblichen Geschlecht gegenüber. Mr. Smith war gewiß nicht einer von denen, die in Gegenwart von Damen einen Mangel an guter Lebensart verrathen würden. Mit einem tiefen Bückling sagte er daher:

»Entschuldigen Sie, Ma'am, wir wollten Sie nicht stören, wir suchten hier nur einen Mann ….«

»Einen Mann? – Bei mir?« rief die junge Dame befremdet.

»Nicht bei Ihnen, Ma'am,« lenkte der Polizist ein, »sondern überhaupt in diesem Hause; ein sehr gefährliches Subject. Er könnte sich vielleicht verborgen haben ….«

»Mein Herr, bei mir hat sich Niemand verborgen,« versetzte die Dame indignirt. »Aber, sind Sie mißtrauisch, so durchsuchen Sie mein Zimmer.«

So ungern Mr. Smith sich auch einen Eingriff in das Heiligthum einer Frau zu Schulden kommen lassen mochte, so forderte doch seine Pflicht, daß er diese Rücksicht nicht allein obwalten lasse. Mit möglichster Schonung wars er daher einen Blick· in das zurückgeschlagene Bett, unter dasselbe sowie unter das Sopha und in das Spind.

Es war keine Spur von dem Spion zu entdecken.

Hätte Mr. Smith das verschmitzte Lächeln Mr. Conovers bemerkt, der hinter ihm stand, vielleicht wäre dann sein Argwohn weniger leicht beseitigt.

Mit tiefen Verbeugungen gegen die Dame und tausend Entschuldigungen, ihr lästig gewesen zu sein, entfernte er sich.

An der Hausthüre reichte er Mr. Conover die Hand.

»Ich konnte mir's schon denken, daß Sie nicht der Mann sind, der Spionen Schutz und Zuflucht gewährt; ich wäre auch nie darauf gekommen, allein der Tölpel, der den Spion verfolgte, und seine Augen nicht recht aufgemacht hat, um zu sehen, wo er bleibt, der ist schuld daran. – Bitte, Mr. Conover, nehmen Sie mir's nicht übel und entschuldigen Sie mich gefälligst bei der schönen Lady. – Gute Nacht, Mr. Conover!« – –

Eine halbe Stunde, nachdem die Policemen sich entfernt hatten, trat Mr. Conover mit Mr. George Borton am Arm aus seinem Hause, bestieg unter herzlichem Lachen mit ihm ein Cab, und Beide fuhren nach dem Hôtel Franklin. –

Ob nach den Anstrengungen des Tages und der glücklich überstandenen Gefahr dieser Nacht ein süßer Schlaf den Jüngling erquickte? …. Ehe der Schlummer seine Augen schloß, rang sich ein tiefer Seufzer aus seiner Brust, und seine Lippen hauchten den Namen Wilkes Booth!


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