Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Eines schönen Tages stattete mir mein Freund Jewropegow einen Besuch ab. Er nahm Platz, kreuzte ein Bein übers andere, rauchte eine Zigarette und begann nach einer längeren Pause:
»Was ich sagen wollte – du kennst doch Demkin? Demkin bat mich, daß ich ihn dir vorstellen sollte.«
»Wer ist Demkin? Ich habe diesen Namen nie gehört!« bemerkte ich skeptisch.
»Du kennst Demkin nicht? Ein lieber Kerl! Ich habe Demkin von dir vorgeschwärmt – also, darf ich ihn hierherführen?«
»Was will der Mann von mir? Soll ich ihn protegieren?«
Jewropegow schaute mich an und brach in ein helles Lachen aus:
»Du denkst sofort, daß jemand eine Bekanntschaft mit dir ausnützen will – nein, Demkin ist ein uneigennütziger Mensch! Ich habe ihm von dir vorgeschwärmt, da sprach er den Wunsch aus, dich kennenzulernen. Das kommt alle Tage vor. Auch seid ihr in gewissem Sinne Kollegen; denn Demkin schreibt in seinen Mußestunden Gedichte – er ist aber auch ein brillanter Gesellschafter, der glänzend Schnurren und Anekdoten erzählt. Seine Witze sind einzig, man kann sich krank lachen – und das ist in einer kritischen Zeit, wie wir sie heute durchleben, Medizin. – Also, darf er kommen?«
»Meinetwegen. Ich bin gespannt, diesen Meister des Witzes kennenzulernen!«
*
Am nächsten Morgen, als ich an meinem neuen Roman arbeitete, wurde an der Eingangstür geläutet. Mascha, das Dienstmädchen, öffnete die Tür. Wenige Augenblicke später hörte ich im Vorzimmer einen heftigen Lärm. Zwei Leute stritten so laut, daß ich in meinem Zimmer jedes Wort verstand.
»Was fürchtest du dich? Tritt nur ein!« sagte Jewropegow.
Eine fremde Stimme aber sagte verlegen:
»Ich habe hier nichts zu suchen. Diesen Awertschenko kenne ich gar nicht. Was wird er von mir denken?«
»Der Hausherr ist mein bester Freund! Er erwartet uns – er freut sich, den Meister der Anekdote kennenzulernen. Also, sei kein Kind und komm!«
Wenige Augenblicke später erschien in meinem Arbeitszimmer Jewropegow mit einem kleinen, schüchternen Herrn, der sich kaum ins Zimmer traute.
»Servus!« rief Jewropegow. »Da bringe ich dir den Dichter und Meister der Anekdote. Darf ich vorstellen – Herr Demkin – Arkadij Awertschenko!«
Wir schüttelten einander die Hände.
»Sie sind auch Dichter?« fragte ich nach einer Pause Demkin.
Er schaute mich verzweifelt an und bemerkte:
»Ja – ich schreibe Gedichte, aber nicht für die große Öffentlichkeit, sondern zu meinem privaten Vergnügen. Leider ist noch kein einziges meiner Gedichte veröffentlicht worden!«
»Demkin«, rief nun Jewropegow, »erzähle deine famosen Schnurren und Witze, damit der Hausherr weiß, weshalb man dich den König der Anekdote genannt hat. Geniere dich nicht! Er ist ja auch ein Kollege, auch ein Dichter.«
Demkin schaute mich einen Augenblick an, dann lächelte er leise vor sich hin und erzählte mit tonloser Stimme:
»In ein Wirtshaus kommt ein Kaufmann. Er läßt sich nieder und bemerkt in einem Käfig einen Zeisig. ›Was kostet der Zeisig?‹ fragt er den Wirt. ›Dreißig Rubel!‹ antwortet der Wirt. – Dann . . .«
»Schneiden Sie mir ein Stück für ein paar Kopeken ab«, bemerkte ich. »Herr Demkin, dieser Witz ist sehr alt – er hat einen langen, weißen Bart . . .«
»So? Dann werde ich einen anderen erzählen: Ein junges Ehepaar geht in ein Theater. Der Mann studiert fleißig das Theaterprogramm und sagt dann zu seiner Frau: ›Herzchen, nach dem ersten Akt müssen wir gehen, denn der zweite spielt ein Jahr später – wir versäumen sonst den Zug!«
Obwohl mir dieser Witz bekannt war, lachte ich aus Höflichkeit.
»Ein lustiges Haus!« bemerkte Jewropegow. »Kein anderer kann so gut Witze erzählen! Wir gehen jetzt zu Petrow. Kommen Sie mit?«
»Leider keine Zeit – ich muß an meiner Novelle arbeiten!«
»Schade. Also auf zu Petrow!«
Demkin schaute verwirrt Jewropegow an und rief:
»Was soll ich dort? Ich kenne Petrow nicht!«
»Das macht nichts. Du wirst ihm deine Witze und Schnurren erzählen – komm, gehen wir!«
*
Eines schönen Tages erfuhr Jewropegow, daß ich eine Reise nach Moskau unternehmen mußte. Er suchte mich auf und fragte:
»Du fährst nach Moskau? Wo wirst du in Moskau wohnen?«
»Ich wohne in Moskau im ›Grand Hotel‹. Das Hotel liegt im Zentrum der Stadt, ist vornehm und elegant und die Preise der Zimmer sagen mir zu. Ich bleibe in Moskau nur wenige Tage.«
»Wozu in ein Hotel gehen, wenn man eine Wohnung gratis haben kann? Ich habe in Moskau einen guten Freund, einen Anwalt Nikolaj Polutisow. Ein lieber, netter Kerl! Er wird dir ein Zimmer zur Verfügung stellen. Er wird glücklich sein, einem Freund von mir dienen zu können.«
Er drang so lange in mich, daß ich – der lieben Ruhe wegen – ihm versprach, bei seinem Moskauer Freund abzusteigen.
*
In Moskau angekommen, nahm ich ein Auto und fuhr auf die Twerskaja 15, wo der Freund Jewropegows seine Wohnung hatte. Ich läutete. Eine hübsche, junge Zofe öffnete mir die Türe. Ich gab ihr meine Visitenkarte und ließ mich beim Anwalt anmelden.
Wenige Minuten später führte mich das Mädchen ins Sprechzimmer.
Der Anwalt kam mir entgegen und fragte höflich:
»Womit kann ich dienen? In welcher Angelegenheit kommen Sie zu mir? Handelt es sich um einen Scheidungsprozeß ? »
»Pardon«, bemerkte ich ein wenig verwirrt, »ich komme aus Petersburg und soll Ihnen Grüße von Ihrem besten Freund Alexej Jewropegow überbringen . . .«
Der Anwalt schaute mich an und sagte nach einer Pause:
»Alexej Jewropegow? Wer ist der Herr?«
»Jewropegow sagte mir, daß Sie gemeinsam in Petersburg gebummelt hätten – er sprach von einem tollen Abend in der ›Villa Rode‹.«
»Ja, jetzt entsinne ich mich dieses Vorfalls. – Wir waren in lustiger Gesellschaft in der ›Villa Rode‹ und tranken Sekt. Unweit von uns saß einsam ein Herr. Plötzlich stand der Herr auf, trat auf unseren Tisch zu und stellte sich vor: ›Mein Name ist Jewropegow. Wollen wir Brüderschaft trinken?‹ Ich winkte ab, da entfernte er sich und verließ rasch das Restaurant. Und dieser Mann behauptet, daß ich sein bester Freund sei? Das ist die größte Frechheit, die mir jemals vorgekommen ist!«
Der Anwalt stand auf und reichte mir die Hand. Ich entschuldigte mich, zog mich rasch zurück und verließ mit Windeseile die Wohnung des Anwalts, wobei ich sogar vergaß, dem hübschen Stubenmädchen, das mich hinausbegleitete, ein Trinkgeld zu geben.
Seit jener Zeit weiche ich dem Allerweltsfreund Jewropegow im großen Bogen aus.