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In den Märchen heißt es: Er war ein armer Page, sie eine Prinzessin. Das ist eine höchst unangenehme Situation. Zumeist endigt so eine Geschichte mit dem Tode, und das Lied meldet von den Liebenden: Sie mußten beide sterben, sie hatten sich viel zu lieb ... Aber wenn er Kadett ist und sie die Tochter eines Obersten, dann steht die Sache noch viel hoffnungsloser. Denn so ein Page in den Märchen entpuppt sich oft als heimlicher Prinz, oder er zieht aus und erobert flink ein Königreich, und wenn er dann an der Spitze einer siegreichen Armee heimkehrt, so steht er dem königlichen Vater der Geliebten ebenbürtig gegenüber, der Alte hat nichts mehr zu reden, und die Prinzessin macht zum Schluß noch eine sehr gute Partie. Das alles kommt bei einem Kadetten nicht vor; noch dazu, wenn der Kadett nur ein Reservekadett ist, was noch unendlich weniger als ein Kadett, und wenn der Oberst ein adeliger Oberst ist, was noch unendlich mehr ist. Und doch endigt diese Geschichte nicht mit dem Tode – durchaus nicht. Sie endet mit einem großen und glücklichen Gelächter.
Die Tochter des Obersten war eine von den gefährlichen Blondinen. Blondinen sind selten gefährlich, aber wenn sie es sind, dann sind sie lebensgefährlich. Sie war schlank und dabei voll, und ihr schönes Haupt neigte sich ein wenig unter einer schweren Last von Gold und Seide. Unter der funkelnden Krone ihrer Haare wölbten sich zwei dunkle Augenbrauen wie mit Tusche gemalt, aber vollkommen waschecht. Die Lider mit langen dunklen Wimpern waren gewöhnlich gesenkt und lagen vor ihren Augen wie Jalousien vor den Fenstern eines Landhauses, wenn der Frühling noch nicht gekommen und die Herrschaft noch in der Stadt wohnt. Aber wenn sie zuweilen die Jalousien zurückschlug – sagen wir, um zu lüften –, so stand man geblendet von der leuchtenden Pracht, die sich hinter diesen Fenstern verbarg. Und erst nach einiger Zeit bemerkte man, daß sie dunkelbraune, glänzende Augen hatte mit enormen Pupillen.
Sämtliche Offiziere des Regiments huldigten ihr; die verheirateten bedauerten heimlich, daß sie schon verheiratet waren, und die ledigen machten ihr ohne Ausnahme den Hof. Im ganzen bemühten sich um sie siebenundzwanzig Subalterne, neun Hauptleute, zwei Majore und sogar der dicke Oberstleutnant, der rund war wie ein Faß und beim Gehen schnaubte wie ein Walroß. Sie aber ließ die Jalousien geschlossen und wartete in träumerischer Ruhe auf die Herrschaft, die der Frühling bringen würde.
Und richtig, an einem Frühlingstag zog die Herrschaft ein. Es war ein Philosoph, der zur Waffenübung einrückte und sich, ehe er seinen Dienst antrat, privat beim Obersten vorstellte. Bei diesen ersten außerdienstlichen Vorstellungen war der Oberst prinzipiell sehr liebenswürdig; grob wurde er erst am ersten Tage der Waffenübung; früher grob zu sein, hielt er für eine unnütze Kraftvergeudung. So legte er denn sein ledernes Gesicht in ein gewinnendes Lächeln zusammen und stimmte seine blecherne Kommandantenstimme auf einen säuselnden Unterhaltungston, so daß man ihn höchstens bis ins vierte Zimmer hörte. Und als sich gar im Laufe des beginnenden Gesprächs herausstellte, daß der Kadett beauftragt war, dem Obersten Grüße von einem befreundeten Hauptmann zu überbringen, da rief der Regimentskommandeur seine Frau und seine Tochter und stellte ihnen den Kadetten vor.
Der Kadett erwies sich als ein gewandter und lustiger Plauderer.
Während Mama lachte, ließ die Tochter ihren großen ernsten Blick auf dem jungen Manne ruhen. Er fühlte diesen Blick, und sein Herz schlug. Als er dann nach drei Minuten sich empfahl, fühlte er eine warme weiche Hand, die sich zutraulich einen Augenblick in die seine legte. Er hatte das dunkle Gefühl, daß er diese Hand küssen sollte. Aber zur rechten Zeit erinnerte er sich, daß er nur ein armer Kadett auf Waffenübung sei. Da verbeugte er sich, ein wenig unmilitärisch, nach Philosophenart, und ergriff die Flucht. Der Oberst hatte ein leichtes Stirnrunzeln und hätte am liebsten »herstellt!« kommandiert und ihn die Verbeugung wiederholen lassen. Weil es aber noch nicht der erste Tag der Übung war, nahm er davon Abstand. Die Tochter schaute ihm nach mit einem milden, gütigen Lächeln.
Sie ging leise auf ihr Zimmer zurück, mit langsamen Schritten wie sie gekommen, das schöne blonde Haupt ein wenig vorgeneigt. Sie nahm mit schlanken Fingern die Stickerei auf, an der sie gearbeitet, zog rote Wolle in die Nadel ein und dachte dabei: Den möchte ich heiraten.
Daß der Kadett sich in einen ähnlichen Traum verlor, ist selbstverständlich. Das tat jeder junge Mann, der der Tochter des Obersten ein einziges Mal gegenübergestanden. Aber schon am nächsten Tage weckte ihn der Oberst mit einem »Sie, Kadett!« aus seinem Traum, daß ihm Hören und Sehen verging. Am zweiten Tag gab er ihm den wohlmeinenden Rat, sich ein zweites Paar Brillen anzuschaffen, damit er seinen Zug auf dem Exerzierfelde leichter finde. Der Kadett lächelte mit leiser Ironie, nach Philosophenart. Nun hat ein Kadett während seiner Dienstleistung nicht zu lächeln, wenn er nicht gefragt wird. Ironisch aber schon gar nicht. Der Oberst beugte sich auf seinem Falben vor: »Was sind Sie denn in Zivil?« fragte er.
»Kandidat der Philosophie, Herr Oberst,« sagte er sanft.
»So?« sagte der Oberst, und am nächsten Tage rief er zur Erheiterung des Offizierkorps über den ganzen Exerzierplatz: »Sie, Philosoph« ... Ein Oberst kann auch ironisch sein, wenn er will. Aber ein Oberst bleibt nicht bei der Ironie stehen. Sie ist eine zu seine Waffe und eignet sich für den dienstlichen Verkehr nicht. Darum, als der angerufene Kadett in die Nähe kam, fügte er der ironischen Anrede: »Sie, Philosoph!« die Worte hinzu: »Sie sind ein Esel!« und dann erklärte er ihm, warum. Der Kadett hörte mit dankbarem Interesse zu.
Nun mag man sagen, was man will, es ist immer eine unangenehme Sache, die Tochter eines Mannes zu lieben, der einen nach dreitägiger Bekanntschaft vor mehreren Leuten einen Esel heißt. Wenn dieser Mann aber ein Oberst ist und man selbst ihm als armer Kadett gegenübersteht, so wird der Gedanke einer Brautwerbung grotesk. Das erkannte auch der Philosoph, tröstete sich mit Schopenhauers Entsagungsphilosophie, resignierte und dachte an des Obersten Tochter zurück wie an ein blondes und sehr fernes Märchen.
Sie aber hatte Schopenhauer nicht gelesen. Sie war nicht fürs Resignieren. Dieser junge Mann gefiel ihr. Er war der erste, der ihr gefiel. Sie gefiel ihm ganz sicher auch, also warum sollten sie sich nicht heiraten? Das ist die gesunde Logik einer Achtzehnjährigen, die nichts von Philosophie weiß und das Herz auf dem rechten Fleck hat.
So fragte sie an einem der nächsten Tage, als der Oberst nach dem Essen die Zeitung vornahm:
»Wie macht sich der Kadett, der am Sonntag bei uns war?«
»Wer?« fragte der Oberst mißtrauisch. »Ah! der! Der Philosoph!« Er grinste vor Sarkasmus.
Hierauf gab er eine kurze Charakteristik von den Fähigkeiten des jungen Mannes. Er nannte ihn nicht wieder einen Esel. Er liebte es nicht, sich zu wiederholen. Wozu auch? Die Zoologie umfaßt ein so weites Gebiet. Der Oberst war ein Mann von gründlicher naturwissenschaftlicher Bildung. Er schloß mit den einfachen Worten: »Er ist ein Kamel.«
Die blonde Tochter stand auf, neigte das Haupt und ging mit leisen Schritten auf ihr Zimmer. Der Oberst schaute ihr behaglich nach. Er hatte etwas gewittert. Aber die Hauptsache ist: Nichts aufkommen lassen! Das war auch sein Prinzip im Dienste. Er war ein Pädagog, der Oberst. Und er tat sich etwas zugute darauf.
Des Obersten Tochter nahm ihr blaues Kleid, einen blauen Hut, einen weißen Schleier, zog die Handschuhe an und wartete am Fenster ihres Zimmers, das auf den Kasernenhof hinausging, bis sie den vielgequälten philosophischen Kadetten die Kaserne verlassen sah. Dann ging sie aus, ohne mit einer ihrer schönen Wimpern zu zucken.
Als der Philosoph um die Ecke bog, sah er zu seinem Erstaunen das blonde Märchen in Blau gerade auf sich zukommen. Als Zivilist hätte er sie jedenfalls angesprochen, allein durch seine Mißerfolge in den letzten Tagen war er ein wenig eingeschüchtert. Auch dachte er, die Tochter möchte die Ansichten ihres Vaters in betreff seiner geistigen Qualitäten wohl teilen. So wollte er mit einem stummen Gruß an ihr vorbei.
Das war aber durchaus nicht ihre Absicht. Mit einem Lächeln, das beherzte Mädchen in entscheidenden Augenblicken finden, fragte sie, indem sie ihren Schritt verzögerte: »Wie geht es Ihnen?«
Einen Augenblick lang stand er ihr fassungslos gegenüber. Im nächsten Augenblick wußte er alles.
»Ich danke – schlecht,« sagte er lustig.
»Ich weiß,« lächelte sie, indem sie einen Augenblick stehenblieb, »Papa ist gar nicht zufrieden mit Ihnen. Sie müssen sich sehr zusammennehmen, sonst –«
»Sonst?« fragte er keck.
»Sonst – werden Sie schlecht beschrieben« – sie lächelte und schloß eine Sekunde lang die Augen – »Auf Wiedersehn!«
Er schaute ihr nach, bis das blaue Kleid um die nächste Ecke bog.
Am nächsten Tage, als die Vormittagsübungen begannen, setzte er sich fest und ernstlich vor, sich zusammenzunehmen.
Und schon sah er sich im Geiste die spröde Gunst des Vorgesetzten Schritt für Schritt gewinnen, schon träumte er von einem ersten wohlwollenden Lächeln, von einem freundlichen Wort, von einer Einladung ins Haus – da hörte er sich mit Fanfarenstimme vom Obersten, der auf seinem Falben herangeschnaubt kam, angerufen: »Kadett heraus!« Das war keine freundliche Einladung.
Der Philosoph hatte nämlich, in seine Träumereien von einer künftigen Versöhnung versunken, seinen Zug gemütlich in einen der Teiche von mittlerer Ausdehnung marschieren lassen, wie sie da und dort nach einem Regen das Exerzierfeld verschönerten. Die Leute waren vergnüglich und mit Stechschritten in das Wasser gestapft, weil sie sahen, wie der Oberst herüberschaute, und sich schon auf die Szene freuten, die folgen würde. Der Kadett kommandierte ratlos »Halt!« und ließ die Leute mitten im Wasser stehen, die unbeweglich, wie Säulen, dastanden, mit ernsten Gesichtern, ob sie gleich innerlich jubelten. So sieht es aus, wenn ein Philosoph sich beim Exerzieren zusammennimmt. »Kadett heraus!« schrie der Oberst noch einmal.
Der Kadett lief schon. Das heißt: für einen Philosophen lief er, für einen Kadetten war es nicht geschwind genug. Als er daher vor dem Obersten stand und salutierte, streckte dieser ganz ruhig die Hand aus und befahl: »Kadett hinein!«
Er verstand nicht sogleich. Ein Blick des Kommandanten erklärte ihm die Sache. Er war nicht flink genug gelaufen. Er kehrte also zurück und stellte sich bei seinem Zug auf. »Kadett heraus!« befahl der Oberst neuerdings, und als er wieder vor ihm stand: »Kadett hinein!« Und dieses ergötzliche Spiel wiederholte er einige Male, dann erst erklärte er ihm den Zweck: »Damit Sie laufen lernen, Herr Kadett!« Außer Kadetten behandelt man nur Hunde so.
Der Kadett hätte ihm am liebsten den Säbel aus der Hand gerissen vor Wut. Ein solcher Mensch soll eine solche Tochter haben, und in diese Tochter soll man verliebt sein!
Das war am Vormittag. Am selben Nachmittag begegnete er der Tochter, die ausgegangen war, sich ein Paar Handschuhe zu kaufen. Und weil der Kadett just dieselbe Straße ging, so durfte er sie ein Stückchen begleiten. Im Nu waren die Grobheiten des Obersten vergessen.
Und so ging es auch an den folgenden Tagen. Vormittags die Flegeleien des Vaters, nachmittags die Zärtlichkeiten der Tochter. Die Flegeleien wurden von Tag zu Tag gröber, die Zärtlichkeiten immer feiner. Im Verlauf der nächsten zwei Wochen wurde der Philosoph ein vollständiger Bajazzo in der Hand des Obersten, über den das ganze Regiment lachte, eine Art von Regimentsnarren, wie er zum Stabe eines jeden Regiments gehört ebenso wie ein Hund und ein Hornist. Das war an den Vormittagen; nachmittags war er ein König.
Das Töchterlein machte noch einen Versuch, den Frieden zwischen dem Vater und dem heimlichen Liebhaber zu vermitteln. Sie fragte einmal:
»Wird uns der Kadett nicht noch einmal besuchen?« Schon war er »der Kadett«.
»Besuchen?« fragte der Oberst zurück mit einem Grinsen, das sein Gebiß bis zu den Weisheitszähnen entschleierte. »Besuchen soll er mich auch noch? Ich wollt' es ihm raten.«
»Ist er denn wirklich so ungeschickt?« erkundigte sie sich mit einem erzwungenen Lachen.
»Ungeschickt? Ein Heuochs ist er, ein Narr, ein Clown, das ganze Regiment lacht über ihn.«
»Wissen Sie, was Papa über Sie gesagt hat?« fragte sie am Nachmittag ihren Liebsten, der ihr schon beide Hände küßte.
»Ich bin nicht neugierig, mein Fräulein. Auch hat es mir der Papa wahrscheinlich schon selbst gesagt.«
»Das ganze Regiment lacht über Sie,« sagte sie im Tone eines strengen Verweises.
»Es lacht noch nicht, aber es lächelt,« entgegnete er. »Ich möchte es lachen machen – das ganze Regiment. Wenn Sie mir helfen wollen, bringen wir es zustande.«
Das war ein Plan, der in seiner erbitterten Kadettenseele entstanden war. Er wollte sich rächen. Es galt, die Ehre der Philosophie gegenüber der rohen Gewalt des Militarismus zu retten. Und es galt, ein schönes Mädchen zu gewinnen, das nur durch einen Gewaltstreich zu erobern war ... Jawohl, das ganze Regiment soll lachen, fragt sich nur, über wen.
Sie hatte Mut für drei, und dann: es war das einzige Mittel. Auf friedlichem Wege war Papa nicht zu haben. Also Krieg. Krieg dem Obersten. Sie ging darauf ein.
Zwei Tage später wurde die Schlacht geschlagen. Der Kadett begann die Operationen, indem er sich krank meldete. Der Oberst, der eine schon gewohnte Zerstreuung auf dem Exerzierplatz vermißte, beschloß, den Philosophen, wenn irgend möglich, dafür einzusperren.
Aber um zehn Uhr trafen die Verbündeten zusammen, nämlich der Kadett und seine Angebetete. Sie gingen in eine nahegelegene Konditorei, an der das einrückende Regiment vorbei mußte. Dort nahmen sie behaglich unter der Markise Platz und bestellten sich rotes und weißes Eis.
Als die ersten Töne der Regimentsmusik von weither über die sonnige Straße erschollen, klopften einen Augenblick ihre Herzen. Aber sogleich lachten sie wieder und vertieften sich in das Eis.
Das Regiment kam herangezogen. Voran der Oberst auf seinem tanzenden Falben, mit seiner breiten Brust aus Watte. Der Kadett sprang auf und salutierte in strammer Ehrerbietung. Neben ihm stand des Obersten tapfere Tochter und winkte lachend mit dem hellen Sonnenschirm.
Der Oberst wollte instinktiv den Gruß erwidern, aber der Säbel blieb ihm in der Luft stecken. Einen Augenblick stand der Mund des Schlachtenlenkers vor Erstaunen weit offen. In der dritten Sekunde riß er seinen Falben zusammen, daß die Funken aus dem Pflaster flogen. Aber in der vierten Sekunde hatte er schon überlegt, daß der Ruf seiner Tochter von seiner Haltung in diesem Augenblick abhänge. Da zwang er sein ledernes Gesicht in ein liebenswürdiges Lächeln, setzte den unterbliebenen Gruß fort und rief kollegial mit seiner blechernen Stimme hinüber: »Servus!«
In seinem Leben hatte er zu einem Kadetten nicht »Servus!« gesagt; noch dazu einem Reservekadetten! So war in diesem Augenblick schon die Schlacht zugunsten des jungen Mannes entschieden. Und nun folgte das große Gelächter.
Denn schon hatte der dicke Oberstleutnant, der hinter dem Obersten ritt, die Situation erfaßt und schwang seinen Säbel lachend zum Gruß.
Nun nimmt eine disziplinierte Truppe jede Miene und jede Bewegung ihrer Vorgesetzten ab. Wenn der Vorgesetzte die Stirn runzelt, runzelt das Regiment die Stirne. Wenn der Vorgesetzte lacht, lacht das Regiment. Sowie also der Major den Oberstleutnant lachen sah, brach er gleichfalls in ein schallendes Gelächter aus und gab das Lachen weiter. Alle Offiziere, alle Unteroffiziere und die ganze Mannschaft lachte. Durch fünf Minuten zog ein bewegliches Band von lachenden Gesichtern, die alle im Dreiviertelprofil herüberblinzelten, an den beiden vorüber. Der Kadett stand da, auf seinen Säbel gestützt, ein Napoleon nach der Schlacht bei Austerlitz, und salutierte wohlwollend. Und neben ihm stand des Obersten Tochter, eine junge Kaiserin in ihrer blonden Schönheit. Ihr Mund lachte, die kleinen Hände bebten vor Vergnügen, die Augen blitzten, die Jalousien waren weit zurückgeschlagen und ließen die langverhüllte schimmernde Pracht in den erstaunten Frühling leuchten.
In der Kaserne angekommen, lief der Oberst, ohne den Säbel abzulegen, wie ein Wahnsinniger in seinem Zimmer auf und ab. Niemand wagte sich in seine Nähe. Nur das mutige Töchterchen hatte den Mut, ihre Tat zu vertreten. Tapfer trat sie bei ihm ein, in ihrem hellen Hut, den hellen Sonnenschirm in der Hand. Tapfer ließ sie den Obersten siebenmal an sich vorüberrasseln.
»Nicht bös sein, Papa!« sagte sie, als er das achtemal an ihr vorüberkam, und hängte sich an seinen Arm. Er wollte sie abschütteln, aber da sah er, wie Tränen in ihre Augen traten. Er blieb stehen. Da legte sie den blonden Kopf an seine Schulter und streichelte seine alten Wangen.
»Er wird dich heiraten,« würgte er hervor.
Da fing sie unter Tränen zu lachen an. »Aber Papa, das wollten wir doch nur erreichen.«
Ein Kadett hatte ihn überlistet, ein Reservekadett! Ein Reservekadett einen Obersten!
»Ruf ihn mir!« brüllte er.
Der Philosoph hatte den klugen Einfall, zu dieser Unterredung als Zivilist zu kommen. So konnte ihm der Oberst »Herr Doktor!« sagen, wenn auch mit unterdrückter Wut, und alles lief gut ab. Dann aber sagte der Oberst: »Morgen kommen Sie mir zum Regimentsrapport!« Er sagte nichts weiter – vorläufig.
Am nächsten Tage war Regimentsrapport. Als der Oberst angerasselt kam, unterdrückten die anwesenden Offiziere nur mühsam ein Lächeln unter den Schnurrbärten. Allein der Oberst war nicht zum Lachen aufgelegt, und er hätte keinem der Herren geraten, zu lachen. Er war wieder ganz Oberst, als er auf den Kadetten zutrat, der wieder ganz Kadett war, ganz Opfer.
Der Kadett meldete sein Erscheinen beim Rapport »über Befehl des Herrn Obersten«.
Der Oberst maß sein Opfer von der Mützenrose bis zur Schuhspitze.
»Kopf in die Höh'!« begann er ganz harmlos, um von Wort zu Wort crescendo schärfer zu werden. »Kinn angezogen! Schultern zurück! Kreuz hohl! Daumen ausstrecken! Rechte Fußspitze auswärts! Zu viel! Zu wenig! Linke Fußspitze einwärts! Stehen Sie ›Habt acht!‹Donnerwetter!« Jetzt brüllte er, daß man ihn bis in die Kantine am anderen Flügel hörte. »Stehen Sie ›Habt acht!‹vor Ihrem Obersten!«
Das war die Einleitung, »die Korrektur der Stellung«.
Dann begann er wieder mit scheinbar sachlicher Ruhe, aber alle wußten, daß er am Ende seiner Rede brüllen würde wie ein Stier. Das ist Rapportstechnik.
»Sie haben sich gestern marode gemeldet und sind zwei Stunden später mit einer Dame in einer Konditorei gesehen worden. Es ist hier ganz gleichgültig, wer diese Dame war!« ... Er schaute drohend um sich. Aber keiner der anwesenden Offiziere tat ihm den Gefallen, zu lächeln. Um so erbitterter fuhr er fort: »Ich werde Ihnen zeigen« – jetzt kam es –, »mit Damen in Konditoreien herumsitzen und die Cour schneiden, statt zu exerzieren! Wissen Sie, was das heißt? Wissen Sie, was das ist, wenn Sie es in Kriegszeiten tun? Wissen Sie, daß das Desertion ist!!?« Höhepunkt. Pause. Hierauf die Konklusion: »Ich werde Sie strafen! Exemplarisch! Habt acht! Stehen Sie ruhig! Dreißig Tage Zimmerarrest. Strafantritt morgen! Abtreten! ...«
Man glaubt vielleicht, das sei ein Spaß. Aber wer das glaubt, der kennt den Oberst schlecht. Der Kadett büßte nach vollstreckter Waffenübung seine dreißig Tage ab. Seine Braut besuchte ihn täglich, brachte ihm Blumen in den Arrest ...
Schade, daß es nur dreißig Tage waren.