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13. Der Zwiespalt.

Als Ivo wieder in das Kloster zurückgekehrt war, ließ er mehrere Tage vorübergehen, ehe er die Bewegung seines Innern seinem bleich gewordenen Freunde Klemens mitteilte; er schauderte mit Recht vor dieser Eröffnung.

Als sie wiederum im Burgholz waren, faßte Klemens die Hand Ivos und sagte: »Ich habe es im Traume gesehen, wie Satan sein Netz über dich ausspannte.«

Ivo gestand seine Liebe zu Emmerenz.

»Wehe!« rief Klemens, »wehe! auch über dich ist der Versucher gekommen! Aergert dich dein Auge, so reiß es aus, du mußt die Höllenflamme in dir zertreten und sterbe auch dein Leben mit.«

Ivo mußte nun alsbald zur Beichte gehen. Auch von ihm erfuhr man nie, welche Buße ihm auferlegt wurde, nur willigte er gern in den Vorschlag des Klemens, daß sie fortan auf der Erde schliefen und sich auch sonst auf allerlei Weise kasteiten.

Klemens schlief fast immer auf der Erde, sitzend mit ausgebreiteten Armen, in der Form des Kreuzes.

Mit aller Macht seines Willens wendete Ivo seine Seele von den Weltgedanken ab, und es gelang ihm wiederum, sich ganz in die Gottesgelahrtheit zu versenken. Bald aber verfolgte ihn auch in diese heiligen Gebiete ein fremder Dämon. Er wagte es nicht, dies Klemens mitzuteilen; denn dieser hätte von neuem kläglich Zeter gerufen.

So war der Zerfall der beiden Freunde schon vorbereitet, der endlich ganz unerwartet zum Durchbruche kam.

Klemens sprach einst von der Gottheit Christi, der den martervollen Kreuzestod über sich genommen, und wie ihn das erst als Gott und Heiland der Welt offenbare.

»Ich sehe an dem Kreuzestod nichts so Uebermenschliches,« sagte Ivo ganz ruhig. »Es ist heilig, aber nicht übermenschlich, als Unschuldiger für ein erhabenes Streben zu sterben. Nicht der gekreuzigte Christus, sondern der lebende und lehrende, der so allliebend war, wie noch keiner vor ihm, der ist mein Heiland; er wäre mir derselbe, wenn er die Treue seiner göttlichen Sendung auch nicht mit dem Martertode besiegelt, wenn die verblendeten Juden ihn anerkannt und ihn leben gelassen hätten. Nicht der gekreuzigte, sondern der lebendige Christus, sein göttliches Leben und seine göttliche Lehre ist mein Heiland, mein Erlöser.«

Klemens stand da und zitterte am ganzen Körper, seine Lippen quollen auf, sein Auge rollte wild, und mit gewaltiger Faust schlug er Ivo ins Gesicht, daß diesem die Funken aus den Augen sprühten und die Wange brannte.

Ivo stand ruhig da, Clemens aber fiel vor ihm nieder, faßte seine Hand und schrie:

»Wirf dich mit mir in den Staub, Elender! Wahrlich, die schwerste Züchtigung, die für deine Gottlosigkeit dir werden konnte, hat der Herr durch meine Hand an dir vollführt; ich wollte es nicht, aber der Herr hat meinen Arm gegen dich geschleudert. Du bist mein Herzbruder, und durch mich mußtest du gezüchtigt werden, daß du es fühlest, wie zweischneidige Schwerter durch dein Gebein fahren. – Wirst du mich von dir stoßen, so ist das die härteste Strafe, die der Herr über dich verhängte; er will dir deinen besten Freund nehmen. Thue, wie dir dein Geist befiehlt, verstoße mich, dann bist du zwiefach elend. In tiefe Nacht muß dich der Herr tauchen, damit du zum Licht kommst, mit Wermut muß er dich tränken, mit Galle dich sättigen, bis der Lügengeist aus dir ausfahre und der Sündenschlamm von dir abfällt. Herr! laß dir dies Opfer wohlgefallen, ich opfere dir ein Stück meines Herzens, meinen Freund. Du bist mein Freund, o Herr! Vergib mir, daß meine Seele noch an ihm hing, der da ist ein Fraß der Würmer. Begnadige mich, o Herr! reiche mir den vollen Becher des Schmerzes, führ mich den Dornenweg, zu dir, zu dir!«

Wehmütig stand Ivo da und blickte auf seinen Freund, dessen überquellende Heftigkeit er wohl kannte; er wollte ihn aufrichten, Klemens aber wehrte es ab, und Ivo erkannte bald den vollen Gedankenlauf dieser Verzückung. Mit unbeschreiblichem Schmerze sah er dann hier in seinem lebendigen Freunde dessen Leiche vor sich, und wiederum war es ihm, als stünde sein eigener Geist vor dem eigenen entseelten Körper und sähe ihn zum letztenmal zusammenzucken; ihm schwindelte. Er versuchte es nochmals, Klemens aufzuheben, dieser aber richtete sich straff auf und fragte Ivo gebieterisch:

»Willst du Buße thun? Willst du mit den Thränen der Reue den Rost deiner Seele abwaschen?«

»Nein.«

»So fahre zur Hölle!« rief Klemens, Ivo abermals packend; dieser aber wehrte kräftig ab, und der Wilde sagte bittend: »Schlage mich, tritt mich, ich will alles gern über mich nehmen, aber retten muß ich dich, das will der Herr.«

Ivo kehrte sich ab und verließ lautlos seinen Freund.

Still und gedankenvoll ging Ivo lange Tage umher: die volltönendste Saite seiner Seele war in schrillem Mißklange zerrissen, er hatte eine schöne Liebe begraben, seine Trauer war tief und namenlos. – Jetzt auch, da er ein Extrem der Glaubensschwärmerei vor sich gesehen hatte, regten sich viele halbschlummernde Zweifel und Bedenken lebhafter, er war »zwiefach elend«, wie Klemens verheißen, aber er konnte sich nicht retten.

Der Horber Kaplan war als Professor nach Tübingen gekommen. er hatte noch immer eine gewisse Vorliebe für Ivo; dieser schloß sich ihm inniger an und eröffnete ihm die Marter seiner Seele.

Sonderbar! gerade über die Jungfrau Maria wagte Ivo die meisten Bedenken. Er fragte zuerst, ob sie »eine Heilige, auch allgegenwärtig sei«, da man doch überall zu ihr bete. Der Professor sah ihn etwas betroffen an, dann sagte er: »Der Begriff der Gegenwart ist ein bloß menschlicher, den körperlichen Dingen entnommen, eigentlich nur für sie geltend; indem wir das Wörtchen ›all‹ zu ›gegenwärtig‹ hinzusetzen, wollen wir nun die Gesamtheit des Daseins zusammenfassen, wir glauben nun dadurch einen neuen Begriff zu gewinnen, in der That aber haben wir keinen. Wie wir überhaupt nichts Ueberirdisches als solches in Begriffe fassen können, ist also das Dasein eines Geistes durch den Begriff der Gegenwart gar nicht meßbar. Wir fassen überhaupt alles Ueberirdische nicht durch den Begriff, sondern durch den Glauben.«

Ivo befriedigte sich vollkommen mit dieser Antwort; schüchtern wagte er noch die Frage, wie man von der Jungfrau Maria sprechen könne, da doch in der Bibel Brüder Christi erwähnt würden.

Der Professor erwiderte: »Das griechische Wort αδελφός ist nicht wörtlich zu nehmen, das ist ein orientalischer Ausdruck, aus dem Hebräischen genommen, und heißt so viel als Verwandter, Freund.«

»So wäre also der Ausdruck υιὸς θεου̃ auch nicht wörtlich zu nehmen, und wäre auch bloß orientalischer Ausdruck?«

»Keineswegs, hierfür sprechen ausdrücklich die messianischen Stellen des Alten Testaments, die Evangelien und die Satzungen der Kirche, und dann,« setzte er hinzu, indem er die Mienen Ivos scharf beobachtete, »ist die ganze Menschwerdung Gottes nur dazu, um dem menschlichen Begriff einen Halt zu geben, da, wie ich vorhin gesagt, wir das Ueberirdische nicht begreifen können. Das Wesen derselben ist und bleibt eben ein Mysterium, das wir nur glauben können, und der Glaube wird in dir wohnen, wofern du dich nur recht befleißest, deine Seele rein und kindlich zu erhalten.«

»Ja, das ist nicht so leicht,« sagte Ivo zaghaft.

»Ich will dir einen bewährten Rat geben,« sagte der Professor, die Hand auf die Schulter Ivos legend: »so oft ein Gedanke in dir aufsteigt, der dich vom Glauben entfernt, such ihn augenblicklich zu bannen durch Gebet und Studium, laß ihn nie länger in dir walten. Es geht uns mit unserm Gotte, wie mit einem Freunde; haben wir uns länger innerlich von ihm entfernt, so finden wir leicht den rechten Weg zu seinem Herzen nicht mehr.«

Diese Lehre und dieses Gleichnis trafen Ivo gewaltig, aber es war zu spät.

Man sollte vermuten, solcherlei Forschungen hätten Ivo über die Kirche hinaus bis an die äußersten Grenzen des Denkens treiben müssen, aber er war und blieb ein gläubiges Gemüt; er war vom Vorhandensein der Wunder lebendig überzeugt, und nur eine Seele, die noch auf dem Zauberboden der Wunder steht, weilt noch auf dem Gebiete des wahrhaften Kirchenglaubens: der Glaube ist die Hingabe an ein Unerklärbares oder Unerklärtes, an ein Wunder.

Das Widerstreben Ivos gegen das geistliche Studium hatte noch ganz andre Grundlagen, die ihm jetzt immer deutlicher wurden; die alte Lust nach einem thätigen Leben regte sich in ihm.

Eine frühere Gedankenreihe, die schon im Kloster zu Ehingen begonnen, aber wieder abgebrochen ward, setzte sich in Ivo fort. »Nicht die schweißvolle Arbeit der Hände,« sagte er zu sich, »ist die Strafe für die erste Sünde, sondern, weil die Menschen vom Baume der Erkenntnis einmal gegessen, müssen sie nun ewig danach streben, ohne sich ganz daran ersättigen zu können; im Schweiße ihres Angesichts suchen sie das Brot ihres Geistes, die flatternden dürren Papiere sind die Blätter am Baume der Erkenntnis, zwischen welchen die Frucht versteckt sein soll. Glückselig, wem der heilige Christbaum mit seinen von höherer Hand angezündeten Lichtern der volle Baum der Erkenntnis geworden. Arbeit! Arbeit! Nur das Tier lebt und arbeitet nicht, es gehet aus, um seine Nahrung zu suchen, und bereitet sie nicht; der Mensch aber greift ein in die ewig schaffende Kraft der Erde, frei mitwirkend in der Thätigkeit des Alls erringt er den Segen der That, kommt Ruhe und Friede über ihn. Ihr verblendeten Römer! Euer Wahlspruch war: Leben heißt Krieg führen, und ihr ginget hin, eure Brüder zu unterjochen, um im stolzen Triumphe in die Roma einzuziehen. Nein! Leben heißt arbeiten. Wohl ist das auch ein Kampf mit den stillen Mächten der Natur, aber ein Kampf des freien Lebens, der Liebe, der die Welt neugestaltet: des Steines Härte weicht des Meißels Kraft und füget sich zum schönen Gebäude; und vor allem sei du mir gepriesen, Ackerbau! In der Erde Furchenwunden streuest du siebenfältig Leben. Da hebt sich das Herz, da wächst der Geist. Und wie wir die Erde bebauen, sie uns unterthan machen, so lernen wir auch unsre Erdennatur, die wir mit uns herumtragen, beherrschen und lenken; und wie wir des Segens und des Sonnenscheins von oben harren, der unser Werk aufgehen und reifen macht, so ist es dein Wille, o Herr! die Gnade über uns auszugießen, damit die Saat unsres Geistes gedeihe und unsern Leib heilige. Gib mir, o Herr! einen kleinen Fleck Erde, und ich will ihn siebenfältig umarbeiten, auf daß die verborgenen Säfte aufschießen in Halme, die sich vor dem Hauch deines Mundes anbetend neigen. Ich will meine schwieligen Hände lobpreisend zu dir erheben, bis du mich hinaufziehst in das Reich deiner Glorie.«

»Ich möcht' wohl Pfarrer sein,« sagte er ein andermal vor sich hin, »aber nur des Sonntags: so die ganz' Woch' mit nichts als mit unserm Herrgott und von dem leben, was man von ihm weiß, in der Kirche so daheim sein wie in seiner Stub', da hat man gar keine Kirche und keinen Sonntag mehr. Ach, lieber Himmel! wie schön war mir's, wenn ich des Morgens in die Kirche gekommen hin und hab' ›guten Morgen, Gott‹ gesagt; die Sonne hat ganz anders geschienen, die Häuser haben anders ausgesehen, und die Welt war ganz anders wie an einem Werktag.« Ivo mochte an Emmerenz gedacht haben, denn er sagte weiter: »Das lutherische Pfarrleben gefällt mir auch nicht. Vom Predigen eine Frau und einen Haufen Kinder ernähren, nein! nein!« Dann kamen wieder leise die theologischen Bedenken, und er sagte einmal: »Die Theologie verdirbt die Religion. Was braucht's da viel? Liebe Gott und liebe deinen Nächsten. Punktum.«

So erzitterte und erbebte das ganze Wesen Ivos. Der Gedanke an Emmerenz jagte ihm oft Fiebergluten in das Antlitz, und dann überrieselte ihn wieder Eiseskälte, wenn er an sein Schicksal dachte.

Ivo dachte nun viel darüber nach, wie er den Eltern seinen unabänderlichen Entschluß, aus dem Kloster zu treten, mitteilen wolle; es war schwer, ihnen klar zu machen, daß er keinen rechten Beruf zum Geistlichen und auch den vollen Glauben nicht in sich fühle. Da kam plötzlich ein Bote aus Nordstetten mit einem Briefe vom Schultheiß an den Direktor, der den Wunsch enthielt, Ivo einige Tage nach Hause zu entlassen, da seine Mutter eine schwere chirurgische Operation nur in seinem Beisein bestehen wolle.

Von Angst gejagt, eilte Ivo mit dem Boten nach Hause. Er erfuhr, daß seine Mutter schon vor längerer Zeit beim Fallen von der Treppe einen Arm gebrochen, daß sie aber nicht darauf geachtet, und nun, als es schlimmer geworden sei, der Arm noch einmal gebrochen und wieder eingerichtet werden müsse, sonst müsse sie sterben; nur ihrer Kinder wegen, für die sie sich erhalten müsse, wolle sie sich der schmerzlichen Operation unterziehen.

Es durchschnitt Ivo die Seele, daß der Bote immer von seiner Mutter sprach, wie wenn sie schon gestorben wäre, oder sicherlich »nicht mehr davonkäme«. »Sie war die rechtschaffenste Frau, so weit man kocht,« war der stete Schluß seiner Reden.

Das Wiedersehen von Mutter und Sohn war herzergreifend, und die Mutter sagte. »So, jetzt kann ich alles besser aushalten, wenn du da bist.«

Andern Tages kam der Chirurgus, er wollte, daß man der Frau die Augen verbinde, sie aber sagte: »Nein, rücket das Bett in die Mitte des Zimmers, so daß ich den Heiland sehen kann, und ihr werdet's erfahren, ich werd' nicht zucken und keinen Laut geben.« – Nach vielem Einreden und Widerstreben wurde ihr willfahrt. In der einen Hand, an ihrem kranken Arme, hielt sie den Rosenkranz, mit der andern hielt sie die Hand ihres Sohnes fest, ihr Auge war starr nach dem Kruzifix gerichtet, und sie sagte: »Lieber Heiland! Du hast die höchsten Schmerzen mit göttlichem Lächeln ertragen, lieber Heiland, gib mir Kraft, halte mich fest, wenn ich zittern will, und wenn die Schwerter mir durch die Seele fahren, will ich dein gedenken, o heilige Mutter Gottes! und stille dulden. Bete mit mir, lieber Ivo.«

Ohne einen Laut von sich zu geben, ließ sie die Operation vollziehen, und als der Knochen unter gewaltigem Drucke knackte, als alles ringsum weinte und stöhnte, als der Vater halb ohnmächtig in die Kammer geführt und hinter der verschlossenen Thüre sein halb unterdrücktes Schluchzen laut wurde, da war die Mutter Christine still und regungslos, nur ihre Lippen bewegten sich, ihr Auge war fest auf den Heiland gerichtet, und ein heiliger Glanz leuchtete daraus hervor.

Als nun alles vollbracht war und selbst der Chirurgus nicht umhin konnte, die Heldenkraft der Kranken zu preisen, da sank Christine in die Kissen zurück, ihr Auge schloß sich, aber eine lichte Glorie schwebte auf ihrem Antlitze. Alle Anwesenden standen in stummer Bewunderung. Der Vater war wieder eingetreten. Er beugte sich über seine Frau; als er ihren Atem fühlte, blickte er mit einem schweren Seufzer und dem Rufe: »Gelobt sei Gott!« nach oben. Ivo kniete an dem Bette nieder, er blickte zu seiner Mutter auf und betete die Verklärte an. Alles faltete still die Hände, niemand wagte einen Laut, und es war, wie wenn der lebendige Geist Gottes durch alle Herzen zöge.

Als die Mutter Christine erwachte und »Valentin!« rief, eilte dieser auf sie zu, faßte ihre Hand, drückte sie an sein Herz und weinte.

»Gelt,« sagte er endlich, »du verzeihst mir? du sollst g'wiß kein unschön Wörtle mehr von mir kriegen. Ich bin dich nicht wert, das seh' ich erst jetzt doppelt ein; und wenn unser Herrgott dich mir genommen hätt', ich wär' toll geworden.«

»Sei nur ruhig, Valentin, ich hab' dir nichts zu verzeihen; ich weiß wohl, du bist gut, wenn du auch manchmal nicht so bist, wie du bist. Gräm dich nur jetzt nicht, Valentin, es geht wieder alles gut. Unser Herrgott hat uns nur versuchen wollen.« – –

Die Mutter Christine genas wunderbar schnell. Valentin hielt getreulich Wort. Er wachte um seine Frau wie um ein höheres Leben, der leiseste Wink ihres Auges war ihm ein fröhliches Gebot; man mußte ihn zwingen, sich nur etwas Nachtruhe zu gönnen.

Emmerenz und Ivo wechselten ab, um bei der Mutter zu wachen, und diese sagte manchmal: »Ihr seid liebe, brave Kinder, unser Herrgott wird's euch g'wiß gut gehen lassen.«

Oft auch, wenn die Mutter schlief und das eine kam, um das andre abzulösen, redeten sie noch lange miteinander. Ivo offenbarte der Emmerenz den tiefsten Wunsch seiner Seele nach einer anstrengenden Arbeit, und sie sagte: »Ja, ich kann mir's denken, ich könnt' nicht leben, wenn ich nicht recht tüchtig zu schaffen hätt'; ich will mich nichts berühmen, aber im Schaffen nehm' ich's mit einer jeden im Dorf auf.«

»Und wenn du erst ein eigen Hauswesen hättest, gelt, da thätest du erst rechtschaffen arbeiten?«

»Ja,« sagte Emmerenz und streifte ihre kurzen Hemdärmel noch besser hinauf und straffte ihre kräftigen Arme, gleich als müsse sie jetzt augenblicklich zugreifen. »Ja, wenn das wär'! aber es ist mir auch so kein' Arbeit zu viel.«

»Nun,« sagte Ivo, »denkst du denn auch als etwas bei der Arbeit?«

»Ja, g'wiß.«

»Was denn?«

»Was einem eben so in den Sinn kommt, ich hab' mich noch nie darum besonnen.«

»Nun sag mir's zum Beispiel.«

»Ja, da weiß ich nichts.«

Das sonst so zuversichtliche Mädchen wußte sich vor Verlegenheit gar nicht zu helfen.

»Schämst du dich, mir's zu sagen?«

»Kein Brösele, aber ich weiß halt nichts.«

»Nun, was hast du heut morgen beim Dinkelschneiden gedacht? was für Gedanken sind dir durch den Kopf gegangen?«

»Ja, da muß ich mich besinnen, du darfst mich aber nicht auslachen.«

»Nein.«

»Zuerst hab' ich, glaub' ich, an gar nichts gedenkt. Du könntest mich drauf rädern, es fällt mir nichts ein. Ja doch, ich hab' dacht, wie lang wir da zu schneiden haben. Hernach bin ich auf ein Wachtelnest gestoßen, da sind ganz junge Vögele drin gewesen; jetzt hab' ich's auf die Seite than, daß es die Buben nicht kriegen. Jetzt hätt' ich gar zu gern die Alten gesehen, wie die sich wundern, wenn auf einmal ihr Haus an einem andern Fleck steht. Jetzt ist mir das Lied vom Nazi eingefallen, du kannst's ja auch so schön singen, das von der armen Seel'. Jetzt hab' ich so dacht: wo mag auch der Nazi sein? Jetzt, ja, jetzt hab' ich dacht: es ist gut, daß bald Mittag ist, denn ich hab' einen wetterlichen Hunger gehabt. So, das ist alles. Gelt, das ist nicht viel?« Scheu zupfte das Mädchen an seinen Kleidern und wollte den Blick gar nicht erheben. Ivo fragte nun wieder:

»Denkst du denn nicht auch als daran, wie wunderbar es ist, daß Gott das Samenkorn, das der Mensch säet, siebenfältig aufschießen läßt, daß die Saat unter dem Schnee schläft, bis die Frühlingssonne sie weckt – wie viel Millionen Menschen sich schon von dem Safte der Erde genährt und ihn doch nie erschöpfen?«

»Jawohl, das hab' ich auch schon denkt, aber von ihm selber wär' ich nicht drauf kommen; der Pfarrer hat das auch oft in der Predigt und in der Christenlehr' gesagt. Guck, wenn man selbst so viel mit dem Sach' zu schaffen hat, da kommt man auf keine solche Gedanken, da denkt man halt: ist's bald zeitig, und gibt's viel aus? Die Pfarrer, die nicht im Felde schaffen, die keinen Dung 'nausführen und nicht dreschen, die kommen eher auf solche Gedanken.«

»Du mußt sie auch öfter aufsuchen, dann findest du sie von selber, thu das, Emmerenz.«

»Jawohl, das will ich, du hast recht, es ist immer gut, wenn man einen ermahnt. Wenn du mich wieder fragst, wirst sehen, kann ich dir mehr sagen; ich bin nicht so dumm.«

»Und recht lieb,« sagte Ivo. Er wollte ihre Hand fassen, hielt aber schnell wieder an sich; dessen aber konnte er sich nicht erwehren, daß er das kernhafte Wesen des Mädchens immer mehr liebte. – –

Mit tief erschütterter Seele kehrte Ivo wieder in das Kloster zurück. Er bewunderte die Heldenkraft seiner Mutter und gelobte sich, ihr nachzustreben; aber noch andres bewegte seine Brust: das Paradies seines elterlichen Hauses war aus Schmerz und Qual vor seinen Augen wiedererstanden. Er erkannte, welch eine unversiegbare Seligkeit es ist, wenn zwei liebende Herzen fest aneinander halten und im ewigen Wechsel des Lebens sich traut aneinander schmiegen. Der mächtig zurückgehaltene ewige Schmerz trat hervor. Er dachte an Emmerenz – und im dunkeln Tannenwalde saß er und weinte. Drunten im Thale schrillten die grellen Töne einer Sägemühle; Ivo wünschte, daß dies die Bretter zu seinem Sarge sein möchten, die man dort bereite. – –

In der nächsten Vakanz war Ivo wiederum fast immer zu Hause; hier war jetzt ein seliges Leben, Valentin war wie ausgewechselt, kein lautes Wort wurde vernommen, ein jedes behandelte das andre liebreich und zart, es war wie ein steter Palmsonntag aus der Kinderzeit. Aber all diese Ruhe erregte auch in Ivo eine Unruhe, all diese Freude erweckte ihm auch Schmerz und Unfrieden; er erkannte deutlich seine einsam verkümmerte Zukunft, ihm war kein so seliges Leben beschieden.

Zwei gewichtige Ereignisse erhöhten noch das Leben dieser Vakanz; der Johannesle hatte für seinen Konstantin ein Haus bauen lassen, Valentin hatte es mit seinen Söhnen aufgerichtet, und Joseph, der in diesen Tagen Meister wurde, hielt den Bauspruch.

Das ganze Dorf war vor dem Hause versammelt, Meister und Gesellen standen hoch oben und steckten die junge Tanne, mit Bändern aller Art geschmückt, auf die Spitze des Giebels. Alles war gespannt auf den ersten Spruch Josephs. Nach einem einfachen Gruße sagte er:

»Allhier bin ich aufgestiegen und geschritten,
Hätt' ich ein Pferd gehabt, so wär' ich heraufgeritten;
Weil ich aber hab' kein Pferd,
So ist es nicht viel sagenswert.
Das höchste Haupt, der Kaiser gut,
Den Gott erhalt' in seiner Hut,
Ja, alle Fürsten, Grafen und Herren
Das ehrbar' Zimmerhandwerk nicht können entbehren.
Ein Zimmergeselle bin ich genannt,
Ich reise [wie] Fürsten und Herren durchs Land,
Dasselbe mit Fleiß zu besehen,
Daß ich einmal möchte bestehen.
Wann ich hätte aller Jungfrauen Gunst
Und aller Meister ihre Kunst
Und aller Künstler ihren Witz,
So wollt' ich ein Haus bauen auf eine Nadelspitz';
Weil ich aber dasselbe nicht thun kann,
So muß ich bauen nach einem guten Plan.
Wer da will bauen auf Gassen und Straßen,
Der muß einen jeden können reden lassen.
Ich lieb', was fein ist,
Wann's gleich nicht mein ist;
Wann mir's gleich nicht werden kann,
Hab' ich doch Lust und Freud' daran.
Drauf trinket ein Gläselein Wein,
Kamerad. schenk mir drauf eins ein.
Bauherr! ich bring's Euch aus Lieb' und Freud',
Nicht aus Haß oder großem Neid,
Sondern aus Lieb' und Freundlichkeit.
Auf unsers Kaisers feine Tapferkeit!
Auf seines Feindes Verderblichkeit,
Auf hiesiger Herren Gesundheit
Und aller guten Freunde insgemein,
Die hier unten versammelt sein.
Jetzt trink' ich über euch allen,
Gebt acht! das Glück wird hinunterfallen,
Hinunter ist gar gefährlich
Und euch herauf beschwerlich.
Ich will mich jetzt eins bedenken
Und das Glas hinunterschwenken.«

Joseph trank, das Glas fiel hinab, und ein hundertstimmiges Hoch erschallte. Dann sprach er wieder:

»Durch Gottes Hilfe und seine Macht
Haben wir diesen Bau zustande bracht,
Drum thun wir dem lieben Gott danken,
Daß er keinen hat lassen wanken;
Daß keiner ist in Unglück kommen,
Und daß keiner kein' Schaden genommen;
Auch thun wir den lieben Gott noch bitten:
Er wolle uns ferner in Gnaden behüten;
Nun befehl' ich diesen Bau in Gottes Hand,
Dazu auch das ganze Vaterland.
Auch wünsch' ich daneben unserm Bauherrn im neuen Haus
Gut Nahrung von denen, die gehen ein und aus;
Und so wünsch' ich allen insgesamt
Glück, Segen und Heil zu allem Stand.
Ich hätt' mich bald hoch vermessen
Und der viel ehr- und tugendsamen Jungfrauen vergessen,
Die uns diesen Kranz haben formiert
Und mit schöner Lieberei geziert;
Ich dank' für alle diese Liebereien gut,
Die werden uns hübsch stehen aufm Hut.«

Mit dem Rosmarinstrauße auf dem Hut und dem unverschnittenen Felle angethan, kam Joseph herab und wurde von allen beglückwünscht und gepriesen, selig aber faßte seine Braut, des Hansjörgs Mareile, seine beiden Hände, sah ihm freudeverklärt in das Antlitz und blickte dann siegesfroh nach den Umstehenden.

Ivo stand daneben, und Joseph sagte: »Gelt, Ivo, ich kann auch predigen, wenn's sein muß? Das ist mein' Primiz.«

Ivo seufzte tief, da er an die Primiz erinnert wurde.

Als alles sich entfernte, ein Teil heimwärts, ein andrer zum Schmause ging, ließ sich Ivo durch kein Zureden Konstantins zu letzterm bewegen; er stand noch eine Weile allein vor dem luftigen Gebälke und dachte darüber nach, wie glücklich der Konstantin bald sein werde, der nun schon ein Haus sein eigen nannte. »So ein Pfarrhaus,« sagte er dann vor sich hin, »ist wie ein Schilderhaus, das gehört niemand, keiner hinterläßt eine echte Spur seines Daseins, da zieht eine andre einsame Wache auf, bis wieder eine kommt und ablöst; doch ich will nicht selbstisch sein, wird mir auch das Glück des Familienlebens nicht, ich will für andre arbeiten und an den Spruch denken:

Ich lieb', was fein ist,
Wann's gleich nicht mein ist;
Wann mir's gleich nicht werden kann,
Hab' ich doch Lust und Freud' daran.«

Acht Tage später war nun auch die Hochzeit Josephs. Da ging es lustig her, die Mutter Christine saß obenan neben ihrem Sohne Ivo, dieser war und blieb der Stolz der Familie. Ivo tanzte dann einmal mit seiner Schwägerin, hierauf aber auch mit Emmerenz; sie war ganz selig und sagte: »So, Jetzt haben wir doch auch einmal miteinander getanzt; wer weiß, ob wir noch im Leben dazu kommen.«

Nun brachte der zweitälteste Bruder Ivos ihm seinen Schatz und sagte: »Tanzet miteinander.« Ivo willfahrte gern. Als er geendet, kam die Mutter Christine auf ihn zu und sagte: »Du tanzst ja prächtig, wo hast's denn gelernt?«

»Das kann ich noch von meiner Jugend her; wisset Ihr, die Spinnerin hat mich's als zwischen Licht gelehrt.«

»Wollen wir's auch einmal probieren?«

»Ja, Mutter.«

Alles hielt aus, während Ivo mit seiner Mutter tanzte.

Jetzt erhob sich Valentin, schnalzte mit den Fingern und rief:

»Spielleut'! einen Vortanz für mich, es gibt eine Bouteill'. Komm, Alte.« Er nahm seine Frau am Arm, hüpfte und sprang, dann tanzte er den alten Nationaltanz: er schnalzte mit der Zunge, schlug sich auf Brust und Schenkel, wiegte sich bald auf den Zehen, bald auf den Fersen und führte allerlei Figuren auf; bald faßte er seine Tänzerin, bald ließ er sie wieder los und trippelte mit geneigtem Kopfe und ausgestreckten Armen ganz verliebt um sie herum. Christine sah mit züchtiger Andacht, aber doch freudevoll zur Erde, drehte sich oft und oft, fast ohne sich von der Stelle zu bewegen. Sie hielt ein Ende ihrer Schürze anmutig in der Hand und schlüpfte bald unter dem rechten, bald unter dem linken Arme ihres Mannes durch, bald drehten und wendeten sich beide unter den erhobenen Armen hinweg. Mit einem Hops, von dem der ganze Boden zitterte, beschloß Valentin den Tanz.

So war diese Vakanz voll Freude im Hause und außer demselben.


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