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Brosi und Moni.

Wie Geigen- und Klarinettenton klingt es in der ganzen Umgegend von Haldenbrunn, wenn man diese Namen nennt, und allerorten heißt es: So gibt es keine Menschen mehr, so lustig und so gut und so glücklich.

Es ist eine Freude, solche Menschen gekannt zu haben, und eine höhere Freude, sie andern bekannt zu machen und ihnen damit eine reine Erquickung zu schenken. Aber freilich, das geht schwer. Wer nicht ein Auge mitbringt, in dem die Menschenliebe leuchtet, und wer nicht seine Lust hat an unverwüstlichem Lebensmut – der wird am Ende weiter nichts sehen als zwei alte knochendürre Gestalten.

Wir gehen ab der Landstraße einen ziemlich schroffen Berg hinan, der Weg ist mehr mit Schlitten als mit Wagen befahren, und hüben und drüben stehen dunkle Tannenwälder, drin der Kuckuck ruft und die Holzaxt schallt. In Klaftern aufgeschichtetes Brennholz verbreitet in der Mittagssonne einen eigentümlichen Harzduft, jetzt haben wir das Dorf erreicht und sehen, daß wir nur einen Vorhügel erstiegen, denn hinter ihm dehnen sich fast unübersehbar weit hinaus hohe Waldberge. O wie erquicklich ist es, wenn man im heißen Mittag über den Berg kommt und aus dem Wald heraustretend ein Dorf in grünen Obstbäumen vor sich sieht; da lernt man verstehen, was es heißt, sich nach dem kühlen Wein sehnen. Es ist niemand auf der Straße, den wir nach dem besten Wirtshaus fragen können, ist aber auch nicht nötig; dort gegenüber dem Röhrbrunnen jenes helle Haus mit dem Ziegeldache hat seinen Wegweiser, der blecherne Auerhahn mit ausgespreiztem Schweif, den es im Schilde trägt, schaut vergnüglich auf euch nieder. Er ist Alleinherrscher und kein anderer neben ihm. Es ist ganz am Platze, daß man dem einzigen Wirtshaus im Walddorfe den Auerhahn zum Schilde gegeben, der hier noch lebendig nistet; und noch dazu gehört jetzt das Wirtshaus dem Revierförster, der es erheiratet hat, seitdem die Beamtung aufgab und sich dem einträglicheren Holzhandel widmet. Wir treten in die geräumige getäfelte Stube, an deren oberem Ende ein Stück Brett in die Decke neu eingesetzt ist. Wir werden schon später erfahren, warum. Es ist niemand daheim als das wohl kaum fünfzehnjährige Wirtstöchterlein, das emsig aus einem Buche abschreibt. Flink eilt es auf unser Geheiß in den Keller.

Die Welt ist doch schön eingerichtet für den, der Geld im Sack hat. Hier oben, wo kaum die Holzäpfel reif werden, beherbergen die guten Menschen kräftigen Unterländer Wein, der nur auf den Ruf aus lechzender Kehle wartet.

Wollt ihr wissen, was das junge Wirtstöchterlein im heißen Mittag einsam schreibt? Lächelt nur, es sind französische Vokabeln. Der Herr Revierförster (denn ein Titel stirbt nicht aus) lassen jede Woche zweimal den geschickten Lehrer von Endringen kommen, der muß das Töchterlein vorbereiten, bis er es nach dem nahen Straßburg auf ein Jahr in ein Pensionat tut.

Die geschminkte Vornehmigkeit und der deutsche Bedientengeist finden ihren Weg in die entlegensten Walddörfer.

Es hat aber damit doch noch keine Gefahr. Fragt den Mann, der jetzt mit seinem schindelnbeladenen Gefährte vor dem Wirtshaus hält und, die Peitsche im Schoß, einen Schoppen Most trinkt, fragt ihn nach dem Brosi, und er wird euch sagen: »Das war ein alter Deutscher«, und darunter versteht man doch noch immer einen schlichten, gerechten Mann von Treu und Glauben.

Hier in der Wirtsstube hat der Brosi viele schöne Stunden verbracht, die gerippten Gläser, die dort auf dem Brette auf den Kopf gestellt sind, hingen gewiß alle schon an seinen Lippen.

Es ist hier gerade der rechte Platz, seine Lebensgeschichte zu erzählen.

 

Erstes Kapitel.

Seht dort den weißen Kirchturm mit gestaffeltem Giebel: just so lang, als der im Dorfe steht, ist der Brosi auch da; sie stammen auch beide aus einem Ort, denn die großen Quader sind in Endringen ans Tageslicht gebracht und der Brosi auch; und der Brosi hat geholfen, diese Steine einfugen, und als man zum erstenmal vom Turm läutete, ging der Brosi mit seiner Moni in die Kirche und wurden als Ambrosius Heller mit Monika Kreitter feierlich getraut.

Damals war der Brosi noch ein frischer Bursch und hatte Backen fast so rot als wie die Purpurnelken in seinem Hochzeitstrauß; er tat einen Schwur, solange er ein Bein heben könne, auf jeder Hochzeit und jeder Kirchweih im Dorfe zu tanzen, und er hat diesen Schwur ein gutes halbes Jahrhundert treulich gehalten.

Der Brosi erzählte immer gern, wie er zu seiner Frau gekommen, und sagte dabei immer, er habe sie sich »ermauert«.

Endringen liegt eine gute Stunde entfernt an der jenseitigen Abdachung des zweiten Vorberges. Von dorther kam der Brosi jeden Morgen, sobald der Tag graute, und wenn er über den Steg des Forlenbachs ging, der an Haldenbrunn vorbei talwärts rollt – es ist ungewiß, ob der Bach seinen Namen von den Forellen in seinem Wasser oder von den Forlen an seinen Ufern hat –, da schaute Brosi jedesmal nach einem kleinen ärmlichen Häuschen, das dort neben einem kleinen, dicht mit Zwetschgenbäumen besetzten und mit fuchsig gewordenen Tannenzweigen umzäunten Grasgarten steht. In dem Häuschen war immer schon so früh am Tage jemand wach, die offene Stalltür zeigte, daß das erste Geschäft des Tages, das Reinigen des Stalles, vorgenommen wurde; und sei es, daß die Arbeit bereits so weit gediehen, oder daß das Auftreten des schlanken jungen Maurergesellen auf dem dröhnenden Stege dazu gemahnte: in der Regel erschien eine junge Mädchengestalt mit einem Besen unter der Tür, vom Steg aus wurde ein heller »Guten Morgen« gerufen und von der Tür aus mit einem regelmäßigen »Schön Dank« erwidert. »Auch schon fleißig?« setzte dann der Maurergeselle noch hinzu. »Ein bißle«, lautete die Antwort. Der Maurergeselle ging vorüber und schwenkte das bunte Tuch, das er in der Hand trug und in das er seinen Topf und sein Brot gewickelt hatte, noch schneller hin und her.

Noch nach Jahrzehnten konnte Brosi seine Frau damit necken, daß er eben nicht sehr zart sagte: »Ich hab' dich zuerst als Hexe mit dem Besen und auf dem Mist gefunden.«

Mit dem Morgengruß in der Seele ging Brosi an die Arbeit und war allzeit wohlgemut, obgleich er sich lange nichts dabei dachte; ja, als dies geschah, redete er sich's aus, denn er war ja ebenso lustig, wenn ihn aus dem Schiebfensterchen zuerst die alte Frau mit kahlem Scheitel begrüßte.

Endringen ist nicht so weit von Haldenbrunn entfernt, daß der Brosi nicht die Verhältnisse dieses Hauses genau kannte. Es waren gerade zwölf Jahre, Brosi war damals siebzehn Jahre alt und vom Speisbuben zum Maurer emporgestiegen, als der Maurermichele von Haldenbrunn in Nellingen vom Dach stürzte und auf dem Platze tot blieb. Die Witwe, Rosine mit ihrem Taufnamen, die ehedem in der Apotheke der drei Stunden entfernten Amtsstadt als Magd gedient hatte und darum das Apothekerrösle genannt wurde, nährte sich nun davon, daß sie im Walde und auf den Wiesen allerlei Kräuter und Wurzeln für die Apotheke sammelte. Daneben trieb sie einen Butter- und Eierhandel, und die Bauerfrauen gaben mit innerem Widerstreben, aber äußerlich freundlich, ihr die verkäuflichen Vorräte, weil sie fürchten mußten, daß das Apothekerrösle ihnen die Küh' und Hühner verhexe; die Männer dagegen, die sich auf ihre Aufklärung was zu gute taten, behaupteten, das Apothekerrösle sei deshalb allzeit so aufgeweckt und habe noch in alten Tagen so flimmerige Augen, weil es bei seinen Stadtgängen tief ins Glas gucke. Ausgemacht war aber jedenfalls, daß das Apothekerrösle eine scharfe aufgeweckte Frau war, die auf jedes Vorkommnis eine Auskunft bereit hatte, so sicher als der Apotheker seine Mittel in Gläsern und Kolben geordnet und leicht zu finden hat. Die beiden älteren Töchter des Apothekerrösle dienten in der Schweiz, wohin schon damals des größeren Lohnes wegen der Zug der Dienstboten sich lenkte; die jüngste Tochter war daheim und konnte jetzt nicht mehr in die Fremde, da die Mutter plötzlich lahm geworden war. Die Rede ging: in Kronweiler habe ein Bauer in der Nacht einer schwarzen Katze, die im Stall einen Rappen ritt, daß er schäumte, den Fuß abgeschlagen, und das sei das Apothekerrösle gewesen. Wenn das Apothekerrösle mit ihrem von jahrelangem Korbtragen ganz kahl gewordenen Vorderkopf jemand zum Fenster heraus grüßte, dankte man schnell mit einem frommen Gruß, damit man kein Leid erfahre.

Brosi war nicht frei vom Hexenglauben, so gern er sich das auch ausredete; jetzt aber empfand er gar keinen Schreck, wenn ihn das Apothekerrösle am frühen Morgen grüßte, im Gegenteil, es mutete ihn heiter an, und er war oft versucht, das der Alten zu sagen, die gewiß um die üble Nachrede, die sie verfolgte, bekümmert war; aber es war doch besser, sich hier gar nicht einzulassen, denn Brosi fühlte, daß er nichts von der Mutter zu gefährden habe, vor der er doch noch eine Scheu hatte: die Tochter mit der hellen Stimme und dem arglosen und doch wiederum schelmischen Blicke konnte es ihm weit eher antun. Brosi aber wollte noch höher hinaus. Zunächst war er noch jung und gedachte über die Berge zu wandern und in der Fremde sein Glück zu suchen; ließ er sich aber von einem Geschick daheimhalten, so mußte es etwas anderes sein, als ein armes Mädchen mit der Dreingabe einer Hexenschwieger. Brosi war ein ehrliches Gemüt, und eben darum hatte er eine Höllenangst vor dem Verlieben; er war früh verwaist, und darum früh zum Ernst und darauf hingewiesen, für sich selbst Bedacht zu nehmen. Er lebte in Endringen bei einer Base, die, an einen Holzknecht verheiratet, mit einem Haufen Kinder in Armut lebte und noch besonders zänkisch gegen Brosi war, weil er nicht seinen sämtlichen Erwerb in ihr Hauswesen einbrockte.

Brosi war schon lange damit umgegangen, sich in der Gegend eine andere Unterkunft zu suchen, aber es wollte sich nicht schicken, und jetzt stand sein Vorhaben fest, in die weite Welt zu ziehen.

So oft er aber am Hause des Apothekerrösle vorüberging, war es ihm, als zöge ihn etwas da hinein, und er hätte gewiß an einen Zauber geglaubt, wenn er nicht gewußt hätte, daß ein anderes dabei waltet.

Schon drei-, viermal hatte er eine Hinneigung zu dem allzeit rüstigen Mädchen in sich aufkommen lassen und wieder bekämpft, noch bevor er, wie man sagt, ein übriges Wort mit dem Mädchen gesprochen hatte; ja, den nötigen Morgengruß auf dem Stege sprach er oft verdrossen und fast zornig, immer aber wurde ihm mit gleicher Freundlichkeit erwidert.

Als der Bauer von der langen Furche, der nachmals ein so schweres Geschick hatte, das wir ein andermal berichten müssen, mit des Schmalzgrafen Tochter von Siebenhöfen Hochzeit hielt, und drei Tage lang das Tanzen und Prassen nicht ausging, da machte sich der Brosi auch einen arbeitsledigen Tag und war voll übermütiger Lustigkeit.

Er tanzte mit der Braut den Siebensprung und mit der ersten Brautjungfer, der Schwester des Furchenbauern, den Hoppetvogel (wobei man nach bestimmter Weisung wie ein Vogel hüpft und nach Futter scharrt) so meisterlich, daß selbst die Alten auf ihn zukamen und ihm als höchstes Lob die Versicherung gaben, daß sie zu ihrer Zeit nicht besser hätten tanzen können. Und immer lustiger ward der Brosi, und jeder Bursche, der den Musikanten ein Lied vorsang, das sie als Tanzweise spielen sollten, und der damit nicht vom Flecke kam, fand im Brosi eine allzeit bereite Hilfe; er kannte alle Lieder und alle Weisen und hatte eine helle, alle übertönende, nie heisernde Stimme. Die Monika, die Tochter des Apothekerrösle von Haldenbrunn, war auch auf dem Tanz. Sie durfte sich wohl sehen lassen, sie war nett und sauber gekleidet und trug einen Rosmarinstrauß am Busen: von Gestalt untersetzt, mit einem apfelrunden Gesicht von wenigem Ausdruck, zeigte sich doch um die festgeschlossenen feinen Lippen, zu welcher Lebendigkeit dieses Mädchen gebracht werden könnte, wenn der Rechte sich einfand. Brosi bedachte, daß die Monika gewiß nur seinetwegen gekommen sei, aber er sah sich kaum nach ihr um und hatte noch im stillen die Schadenfreude, ihr einen Plan zuschanden zu machen; sie hatte ihn gewiß seit Monaten allmorgendlich nur so freundlich gegrüßt, um einen sicheren Tänzer für den heutigen Tag zu haben; jetzt hatte sie das Zusehen. Brosi tanzte immer nur mit den fürnehmsten Bauerntöchtern, besonders mit der Schwester des Furchenbauern, die er sich endlich just im Angesicht der Monika auf den Schoß setzte und dabei sang und trank, als ob die ganze Welt nur ihm gehörte; und im Tanzen hielt er's, als ob jeder Reigen der erste wäre, aufstampfend, singend, mit den Händen schnalzend, tat er, als könne er von Müdigkeit und Sättigung der Lust gar nichts wissen.

Einmal saß er, die erste Brautjungfer auf dem Schoße, in einer Pause am Tisch, mit dem Gesicht nach dem Tanzraum gekehrt, da rief er:

»Heut tanz' ich meinen Kehraus in der hiesigen Gegend. Wenn die Schwalben davonziehen, gehe ich in die weite Welt. Wer mich haben will, muß es heut sagen und heut noch Hochzeit machen.«

Ein guter Schwarm Mädchen kam auf ihn zu und umringte ihn neckend und spottend und wiederum bittend, er möge doch ja nicht fortgehen. Als er aber immer darauf bestand, rief die Brautjungfer: »Dann binden wir dich an. Kommet nur alle.«

Im Nu hatten sich alle nach dem Beispiele der ersten Brautjungfer ihre doppelten Zöpfe mit den fliegenden langen roten Bändern auf die Brust gelegt und nestelten nun die Bänder an Brosi fest. Er ließ es geschehen, und mit einem schrillen Juchhe sprang er auf, stampfte auf den Boden und sang:

Spielleut, spielet auf und auf
Und seid nicht so verzagt,
I han no ein Vögeles-
Groschen im Sack.

Die Musikanten ließen die Weisung ertönen, und Brosi sprang an die Decke mit jauchzendem Juchhe und machte allerlei Figuren, während die Mädchen, mit den roten Zopfbändern an ihn geheftet, ihn umtanzten. Plötzlich warf er sich auf den Boden und sang:

Weil Scheiden bitter ist
Und 's Lieben süß,
Jetzt leg' i mei'm alten Schatz
D' Händ' unter d' Füß'.

Die Bänder mußten losgemacht werden, die Brautjungfer mußte sich auf seine Hände stellen, und er tanzte eine Weile so mit ihr, bis er sie in den Armen auffing und singend mit ihr den Reigen beschloß.

Von dieser Zeit her stammt der Bändelestanz; man nennt ihn auch noch den Brositanz, und niemand konnte ihn meisterlicher ausführen als der Urheber.

»Mein Mann ischt koaner!« Ist keiner. Mit mir kann sich niemand vergleichen. rief der Brosi oft und oft, und von jenem Abend an hatte er diese Redensart und wendete sie bei vielen Gelegenheiten an.

Die Monika wäre, ohne einen Fuß zum Tanz gesetzt zu haben, nach Hause gegangen, wenn sich nicht die Schneiderin von Haldenbrunn über sie erbarmt und einmal mit ihr herumgetanzt hätte, wobei sie viel gestoßen und gedrückt wurde, denn die Burschen haben es darauf abgesehen, Mädchen, die allein tanzen, anzurennen. Als Monika über den Bachsteg ihrem Hause zuging, nahm sie den Rosmarinstrauß von dem Busen und warf ihn hinab in den Bach; es hatte kein Bursch danach verlangt, und der, von dem sie es gewünscht hätte, war schlecht und stolz und gab sich doch zum Hansnarren her.

Das dachte aber Brosi nicht, er hätte gern immer aufgeschrien vor Lust, aber seine sonst unangreifbare Kehle schien nicht mehr mittun zu wollen, so sehr er ihr auch mit kaltem und warmem Wein zusprach; er ballte jetzt oft still die Faust vor innerer Seligkeit.

Es war tief in der Nacht, da sagte Brosi, daß er am Morgen wieder an die Arbeit gehe und sich mit dem Hammer einen Hopser und mit der Kelle einen Schleifer spiele; da trat der Hochzeiter auf ihn zu und sagte:

»Was hast denn Taglohn?«

»Zehn Kreuzer«, erwiderte Brosi, denn so niedrig stand zu selbigen Zeiten noch der Taglohn.

»Ich geb' dir das Doppelte,« rief der Hochzeiter, »da nimm, du mußt dableiben und die Lustbarkeit erhalten. Da nimm.«

Die Mädchen kamen wieder und bestimmten Brosi, doch einzuwilligen, da sprang er auf und rollte die Augen so wild, daß die Mädchen scheu vor ihm zurückwichen; er nahm einen sauer verdienten Kronentaler aus dem Beutel, warf ihn den Musikanten zu und rief:

»Aufgespielt! Die Schmalzbauern meinen, sie könnten die Lustigkeit auch kaufen, sie geben einen guten Taglohn für einen Lustigmacher. Drei Dutzend Juchhe um einen Groschen!« schrie Brosi mit plötzlich wieder hell gewordener Stimme. »Aufgespielt! hellauf! Weg da, Hochzeiter, weg, oder dein Hochzeit ist dein Tod.«

Und wieder begann er zu tanzen und zu singen und zu trinken, aber alles in Ingrimm, und um zu zeigen, daß er sich um die angetane Schmach nichts kümmere. Er zerschlug nacheinander drei Gläser, aus denen er getrunken, und als es dem Morgen immer näher kam, die Musikanten aufhören wollten und die Mädchen sich nacheinander fortschlichen, ließ sich Brosi noch allein aufspielen, und ohne sein Sonntagsgewand auszuziehen, ging er im Morgengrauen nach Haldenbrunn an die Arbeit.

 

Zweites Kapitel.

Auf dem Stege schaute Brosi hin und her, aber niemand grüßte ihn, und hadernd mit sich selber und übernächtig von der tollen Lust, tat er seine Arbeit, voll Reue, daß er sich dazu hatte verleiten lassen, sein mühsam Erworbenes im Trotze zu verschleudern, worüber ihn die fetten Bauern gewiß noch hinterdrein auslachten.

Viele Tage sah Brosi nichts an dem Hause des Apothekerrösle, und nur das war ihm erwünscht, daß er an jenem Abende nichts mit Monika angeheftelt hatte; er konnte nun um so freier in die Welt ziehen, aber sparen mußte er mehr als je, denn die Hochzeit hatte den größten Teil des Reisegeldes aufgezehrt.

Wenn Brosi gut aufgeräumt war, freuten sich des besonders die Speisbuben, die den Mörtel auf das hohe Gestell zu tragen hatten, denn war Brosis Kübel leer, so trommelte er immer so lustig in die Höhlung, daß es gar nicht wie eine harte Mahnung klang, und fast tanzend kletterten die Speisbuben die hohen Leitern hinan und verwechselten den leeren Kübel mit einem vollen. Seit mehreren Tagen aber klopfte der Brosi so wild und so melodielos in seinen Kübel und zankte noch mit den lässigen Speisbuben.

Das Wetter hatte sich gewendet, und es goß beständig in Strömen herab, so daß die Arbeit noch überdies eine wenig freudige war. Durchnäßt, frierend und hustend (denn seit der Hochzeitsnacht fühlte er stets einen stechenden Schmerz auf der Brust) ging Brosi am Morgen und am Abend ungegrüßt über den Steg. Der Forlenbach, der sonst in den hohen Sommermonaten oft so trocken war, daß eine Katze hinüberlaufen konnte, schwoll durch den anhaltenden Regen immer mehr an und wälzte seine braunen Wellen wildrauschend über die Felsen. Brosi stand einst auf dem schon schwankenden Steg still und wünschte sich, daß die Wellen den Steg jetzt fortreißen und ihn selbst mit verschlingen möchten. Es kamen Tage, an denen der Regen nachließ, aber weiter im oberen Gebirge mußte er noch anhaltend sich ergießen, denn der Bach wurde immer höher und brachte ganze Baumstämme mit, die von den Uferbewohnern mit Hakenstangen, sogenannten Geißfüßen, als gute Beute eingezogen wurden. Eines Morgens kam Brosi an den Steg und schaute verwundert um sich; er kannte die Gegend kaum mehr, da war keine Spur des Steges, und weit hinein in die Wiesen floß das Wasser und schwemmte das in Schochen zusammengerechte Grummet mit sich fort. Während Brosi noch umschauend dastand, sah er am jenseitigen Ufer im Grasgarten des Apothekerrösle die Monika. Er öffnete den Mund, aber noch ehe er ein Wort hervorbrachte, rief ihm die Monika so laut zu, daß er es trotz der rauschenden Wellen hören konnte:

»Droben an der Bömles-Sägemühle kann man noch 'rüber.«

Betroffen von diesem Zurufe und mit höchster Anstrengung rief der Brosi hinüber:

»Wir haben in Lustbarkeit nicht zusammenkommen sollen, es scheint, daß es in Traurigkeit sein soll.«

»Wir brauchen gar nicht zusammenkommen, gar nicht«, lautete die schnippische Antwort der Monika, und sie verschwand.

Den ganzen Tag mußte Brosi bei der Arbeit darüber nachdenken, wie so eigen die Monika ihm doch zugerufen und ihn dann so barsch abgewiesen hatte. In der mittäglichen Feierstunde ging er nach dem Hause des Apothekerrösle, er hustete mehrmals und wagte es nicht, hineinzugehen. Endlich fand sich eine schickliche Ausrede: sich eine Kohle vom Herde holen, um die Pfeife anzuzünden, ist eine unverfängliche Sache.

Brosi ging nach der Küche, Monika stand scheuernd in derselben.

»Ist's erlaubt, eine Pfeife anzuzünden?« fragte Brosi und Monika erwiderte:

»Das kann man niemand wehren.«

Brosi nahm die Kohle und war eben im Begriff, zu gehen, als er mächtig husten mußte; da klopfte es dreimal dumpf an die Küchenwand, und die Mutter rief aus der Stube: wer draußen sei, solle zu ihr hereinkommen. Brosi trat in die Stube, und erschrak heftig, da die Frau ihm aus dem Bett mit gellender Stimme entgegenrief:

»Gleich tust die Pfeif' 'raus, gleich. Jeder Zug, den du draus tust, nimmt dir ein Stück Leben.«

Nun fing das Apothekerrösle an, ihn vor allem tüchtig auszuzanken, daß er mit der Monika nicht getanzt habe; sie habe gar nicht zum Tanz gehen wollen und habe nur auf ihr Zureden nachgegeben, weil ihre Mütter so gut Freund gewesen seien. Hierauf ging es an ein Klagen, wie schlecht jetzt die Welt sei, vorzeiten hätten verlassene Menschen zusammengehalten und keines einem andern eine Unehre geschehen lassen, jetzt aber hofiere alles den Holzbauern, die groß damit tun, daß sie das Geld von ihren Wäldern, die von selbst wachsen, verprassen können. Die Pfeife in der Hand, mit offenem Munde mußte Brosi zuhören, wie er immer schärfer abgekanzelt wurde; und dazu hörte er oft kaum die Worte, denn er sah jetzt das Apothekerrösle zum erstenmal ganz in der Nähe, sie hatte ein Gesicht, das sie mit nie gesehener Behendigkeit bewegte, als wäre gar kein Knochen darin. Den Unterkiefer bewegte sie mit solcher Gelenkigkeit, daß man meinte, sie könne ihn über die Nase hinaufheben; dazu bildete bei besonders höhnischen Reden, und wenn sie lachen wollte, der linke Mundwinkel ein Pfännchen, mit dem sie schlürfte, als ob sie eine Süßigkeit kostete; die Augen waren allerdings noch flimmerig, aber schrecklich anzusehen war der kahle Scheitel. Man konnte den Leuten nicht unrecht geben, daß sie hier eine Hexe zu sehen glaubten.

Als das Apothekerrösle sich sattsam ausgelassen hatte, schloß es damit:

»Ich kann dir deinen Husten heilen, der dich unter den Boden liefert, wenn du nicht dazutust. Deine Mutter ist auch schwach auf der Brust gewesen. O, sie war ein' gute Seel' und hätt's besser verdient. Steig einmal hinauf und hol' mir den Sack vom Himmelbett herunter.«

Brosi tat, wie ihm befohlen, und das Apothekerrösle übergab ihm eine Handvoll Tee von seltsamer Mischung, mit der genauen Anweisung des Gebrauchs, und entwickelte dabei solch eine mütterliche Sorgfalt, untermischt mit liebevollen Erinnerungen an die Verstorbene, daß Brosi ein Brennen in den Augen verspürte.

»Ich rauch' nicht mehr. Ich laß mein' Pfeif' gleich da«, – das war alles, was er hervorbrachte, und mehr stolpernd als gehend verließ er die Stube und das Haus; aber schon am Abend kam er wieder und sagte geradezu, wie er sich's ausgedacht, daß er eigentlich in Endringen keine Heimat habe, er sei dort bei seiner Mutterschwester und könne besser hier sein und erspare noch den Weg hin und her; wenn daher die Base (in der Gegend von Haldenbrunn nennt sich alles, was sich kennt, Vetter und Base) nichts dagegen habe, wolle er, solang der Kirchenbau noch dauere, in ihrem Hause bleiben und für das Kochen einer warmen Suppe und die Unterkunft ein billiges Entgelt leisten.

»Mein' Moni schlaft bei mir, und wir haben sonst kein Bett«, entgegnete das Apothekerrösle, worauf Brosi, als des Einverständnisses sicher, auseinandersetzte, daß er ein paar Tage auf dem Heu schlafe, und sobald man mit einem Karren von Endringen herüber könne, hole er sein eigen Bett; es sei ihm ohnedies lieb, dies einzige Erbstück von seiner Mutter in guter Hand zu wissen, da er nicht sicher sei, daß ihm seine Hausleute nicht die Federn stehlen, während er auf Arbeit sei.

Es war während dieser Verhandlung Nacht geworden, und der Regen strömte wieder mächtig herab. Ohne weitere Erörterung klopfte das Apothekerrösle wieder mit der Faust dreimal an die Wand und rief der Monika, sie solle gleich Wasser ans Feuer stellen und dem Brosi seinen Tee bereiten.

»Und ich will nicht«, schrie Monika, daß es im ganzen Hause gellte.

»Geh 'naus, sie ist noch bös«, winkte die Mutter dem Brosi und zwinkerte dabei mit den Augen so einverständlich, daß es Brosi graute vor dem, was er begonnen. Er gehorchte zögernd, aber kaum war er in der Küche, als Monika sie verließ, in die Stube eilte und lauten Zank erhob, daß die Mutter den Brosi ins Haus nehme, und beteuerte, daß sie in finsterer Nacht davongehe, wenn es dabei bleibe. Eine Weile überschrien sich beide Frauen so sehr, daß man kaum die Stimme der einen von der andern abscheiden konnte; dann trat eine Pause ein, in der man nur noch ein Weinen vernahm, und jetzt sagte die Mutter:

»Ich hab' den Brosi so fest wie einen Finger an der Hand. Der geht nicht mehr aus dem Haus, und niemand anders als du kriegt ihn, und du wirst mir's noch danken, wenn ich schon lang verfault bin.«

»Und ich geh' davon, so weit mich meine Füß' tragen«, rief Monika.

»Und kommst doch wieder,« entgegnete die Mutter ruhig; »sei froh, daß du bös auf ihn gewesen bist, eh' du ihn hast, du ersparst's für nachher.«

Das wollte dem unwillkürlich lauschenden Brosi doch nicht zu Sinn, er kam sich doch wieder wie verzaubert vor; und hätte er sich nicht geschämt, er wäre noch in der Nacht davongelaufen. Wer weiß auch, welch ein Trank ihm bereitet wird. Eben hatte es aber die Mutter dahingebracht, daß ihm Monika die gemischten Kräuter in die Küche trug. Durch solche Hand, dessen war Brosi gewiß, geht kein Trank, der einem Böses antut, und noch als er die schwankende Treppe hinaufstieg, hörte er Monika klagen:

»Mutter, Ihr habt's verschuldet, wenn ich von dieser Nacht an einen bösen Namen hab', daß ich keinem Menschen mehr frei ins Gesicht sehen kann.«

Wo solch ein Sinn daheim ist, hat keine Hexerei eine Gewalt – das war der Gedanke, mit dem sich Brosi in das duftende Heu niederlegte.

 

Drittes Kapitel.

Der Speicher war von innen nicht verschließbar, nur von außen befand sich ein Holzriegel an der Treppentür. Was war aber zu gefährden in solch einem Hause? Brosi legte sich behaglich in das Heu. Kaum aber lag er eine Weile, als er sich wieder aufrichtete; die Treppenstufen knarrten, es schlich etwas herauf wie eine Katze so leise, aber nur von einer Menschenlast konnten die Treppen so knarren, es mußte jemand sein, der barfuß heraufkam.

»Wer ist da?« rief Brosi halb in Furcht, halb in Zorn.

Niemand antwortete, das Heraufkommende stand offenbar still auf seinem Platz, eine Weile horchte Brosi hinaus, man hörte nichts als das Rauschen des Forlenbachs und das Zirpen der Grillen in der warmen, wieder regenlosen Sommernacht. Schon glaubte Brosi, daß er sich getäuscht habe, und wollte sich ruhig wieder ausstrecken, da hörte er es mit den Händen tastend noch einige Treppenstufen heraufkommen, und laut wurde der Holzriegel an der Treppentür in den Kloben gestoßen.

Jetzt war keine Täuschung mehr möglich, und »Ins Teufels Namen, was ist das?« rief Brosi auffahrend.

»St! Stille! Ich will dir was sagen«, erwiderte eine leise Stimme.

»Wer ist denn da?«

»Ich bin's, die Monika. Komm da her an die Tür, aber tu leise, ich will dir was sagen.«

»Mach die Tür auf, dann kannst besser reden, und ich kann sehen, wer es ist. Mach die Tür auf, oder ich stampf' sie ein.«

»Ich bitt' dich, tu leise,« bat die Stimme draußen wieder, »ich mach' nicht auf. So kann ich besser mit dir reden, und wenn dir dein Leben lieb ist, hör mir ruhig zu und polter nicht und pockel nicht und sei ganz still.«

»Was willst denn, wenn du die Monika bist? Wenn du 'rein willst, mach auf. Was willst denn vorher ausmachen?«

»Red nicht so schlecht. Eben deswegen komm' ich ja. Was mein' Mutter vorhat, ich weiß nicht und will's nicht wissen. Es ist mein' Mutter, ich darf nicht schlecht von ihr denken und tu du's auch nicht. Guck, ich lieg' da vor der Tür auf den Knien und heb' meine Hände zu dir auf und bet', wie man zu Gott betet. Brosi, du bist ein braver Mensch gewesen und ich auch … und wenn dir deine eigene Ehre lieb ist und die von einem armen Mädchen auch – Brosi, tu mir den einzigen Gefallen und bleib nicht mehr im Haus, kein' Minut, kein' Stund mehr. Ich bitt' dich, nimm deine Stiefel in die Hand und geh leise herunter, die Haustür kannst von innen aufmachen. Brosi, sei barmherzig und geh.«

»Wo soll ich denn hin jetzt in so später Nacht und aus dem ersten Schlaf heraus? Ich bin ohnedem krank.«

»Geh noch nach Endringen, oder wenn du nicht willst, drüben beim Jörgtoni schlafen noch drei fremde Maurer, da kannst du auch sein.«

»Morgen will ich's tun. Heute geh' ich nimmer fort.«

»Wenn du nicht heut gehst, bist du verloren auf ewig und ich auch. Brosi, sei barmherzig. Du wirst es sonst in deiner Todesstunde bereuen, der Angstschweiß auf der Stirne wird dich gemahnen, wie du ein armes Mädchen –«

»Hoho! Tu nicht so arg. Ich geh' ja, aber mach nur auf und komm ein bißle 'rein.«

»Bist du schlecht, Brosi? Willst du schlecht sein?«

»Nein, ich hab' ja schlafen wollen. Ich will ja nichts. Morgen will ich gehen, oder meinetwegen heut, du Heilige. Mach nur auf und gib mir die Hand.«

»Schwörst du, gleich zu gehen?«

»Ja, ich schwöre. Mach nur auf und gib mir die Hand.«

»Schwörst du, ohne Bedingung zu gehen?«

»Ja, so wahr mir Gott helfe zu einem rechtschaffenen Leben und zu einem leichten Tod.« –

Brosi drückte an die Tür, sie war offen, er hatte sie nicht entriegeln gehört, er vernahm keinen Tritt die Treppe hinab, kein Öffnen und Schließen der Stubentüre. Alles war wie in die Luft verschwunden, keine Menschengestalt, keine Stimme, nur der Forlenbach rauschte, die Heimchen zirpten noch, und die einzige Kuh im Stall brummte wie verschlafen.

Brosi nahm die Stiefel in die Hand, und von Angst gejagt, als fliehe er aus einem brennenden Hause, stieg er die Treppe herab, öffnete das Haus und stand frei atmend draußen in der stillen Nacht. Er zog seine Stiefel an und eilte nach Endringen.

Den ganzen anderen Morgen war Brosi bei der Arbeit immer selbstvergessen und träumend, er hielt oft den Hammer unbewegt in der Hand und vergaß, den Stein vor sich zu meißeln, und als er ihn einfugte und mit Mörtel befestigte, schöpfte er mehrmals aus dem leeren Kübel, ohne es zu merken. Der Bauführer, der das lässige Wesen Brosis sah, ließ ihn hart darob an, und Brosi hörte ihn mit offenem Munde an, als gelte das gar nicht ihm. Am Mittag, als Brosi wieder auf dem Boden stand, war es ihm, als ginge die ganze Welt mit ihm im Kreise herum. Er aß ohne Hunger, und als er sich eine Weile niederlegen wollte, konnte er keine Ruhe finden, denn er lag wie in schaukelnder Wiege. Er stand auf und ging zuerst nach dem Hause des Jörgtoni und bestellte sich eine Schlafstelle, und wie unwillkürlich ging er dann nach dem Hause des Apothekerrösle.

Mutter und Tochter taten gleich verwundert über sein nächtliches Entweichen; nur als Brosi bemerkte, daß er sich beim Jörgtoni eingemietet habe, glaubte er ein kaum merkliches Nicken der Monika zu beobachten.

Da sich Brosi heute nicht arbeitsfähig fühlte, schenkte er sich den noch halben Arbeitstag, holte sein Bett in Endringen und war nun erst ganz in Haldenbrunn daheim.

Das Apothekerrösle hatte seinen Namen nicht umsonst, Brosi fühlte sich bald wiederhergestellt von den Folgen jener tollen Tanznacht.

Brosi kam oft in das Haus des Apothekerrösle, Monika mußte es merken, daß er etwas auf der Zunge hatte, was er ihr mitteilen wollte, aber Mädchen in Wiflingröcken wie in langen Kleidern verstehen es, einen unkecken Burschen nicht zu Wort kommen zu lassen. Kam Brosi in die Stube, verließ Monika dieselbe mit freundlichem Gruß; vertrat er ihr den Weg im Freien, wußte sie immer jemand anzurufen, der sich zu ihnen gesellte, und dann hatte sie immer so eilige Besorgungen, daß sie sich keine Minute aufhalten konnte. Wenn Brosi meinte, jetzt halte er sie fest, war sie ihm immer unversehens entschlüpft, und so ging er in seltsamen Selbstgesprächen lange einher.

Die wilden Wasser im Bache hatten sich rasch wieder verlaufen, und nun zeigten sich die traurigen Folgen der Überschwemmung; ganze Wiesen waren zerrissen und mit Sand bedeckt, und nicht nur der Ertrag des gegenwärtigen Jahres war verloren, auch für lange Zeit hinaus war kein Ersatz zu hoffen; das war doppelt betrübend in der Gegend, die keinen anderen Feldbau kennt als die Wiesennutzung. Im Hause des Apothekerrösle war auch Wehklagens genug, die wilden Wasser hatten zwar den hochgelegenen Grasgarten nicht zu überschwemmen vermocht, sie hatten aber ein gut Stück davon mit fortgerissen und eine tiefe Höhlung gemacht, daß noch mehr nachstürzen mußte und der Bach immer eigensinniger sich nach dem linken Ufer drängte, um den Garten der Witwe zu verschlingen. Ohne ein Wort von seinem Vorhaben zu sagen, begann Brosi in den abendlichen Feierstunden Steine aus dem Bett des Baches zu wälzen und zu meißeln, und bald zeigte sich, was werden sollte: eine durch vorgeschobene Reisigbündel gesicherte und ins Halbrund gesetzte Schutzmauer zog sich längs des Gartens hin, und ein sogenannter Sporn, ein nur dem Kennerauge sichtbarer Erdaufwurf im Bette des Baches, drängte den Strom nach dem jenseitigen Ufer hin. Brosi ärgerte sich oft, daß ihm Monika noch immer kein besonderes freundliches Wort gab; er wußte ja nicht, daß sie fest darauf hielt, man dürfe einen Menschen, der ein gutes Werk tue, nicht dabei berufen. Einmal jedoch konnte sie sich nicht enthalten, bei ihm stehen zu bleiben, und schnell rief Brosi, sie festhaltend:

»Jetzt sag, jetzt sag einmal, hab' ich's nicht brav gemacht?«

»Ja, die Mauer ist brav.«

»Du weißt wohl, daß ich das nicht mein'. Verdien' ich gar keinen Dank, daß ich so schön gefolgt hab' und bin aus eurem Nonnenklösterle fort, wie du mich geheißen hast?«

»Ich weiß nicht, was du meinst, ich versteh' kein Wort«, entgegnete Monika mit so treuherzig unwissender Miene, daß Brosi sie anstarrte, und sie setzte hinzu: »Red deutsch, daß man dich auch verstehen kann. In welchem Kloster bist denn gewesen?«

»O ihr Weibsleut!« rief Brosi, »ich hab' mein Lebtag gehört, ihr könnt euch verstellen ärger als der best' Fastnachtshansel, aber so arg hätt' ich's doch nicht glaubt. Weißt denn nichts mehr vom Riegelzu, und ich lieg' auf den Knien und bet' zu dir wie zu unserem Herrgott? Hab' ich darum den Rechtschaffenen an dir gemacht und allen Respekt vor dir gehabt, daß du jetzt tust wie der Ich-bin-nicht-dabei-gewesen?«

»Ich versteh' von all deinen Reden vom Simri kein Mäßle«, beharrte Monika, und hohnlachend entgegnete Brosi:

»Gut, so will ich der Narr sein und will dir alles nochmals erzählen«, und er berichtete genau von jenem Abend und allen Worten, die er gehört und gesprochen.

Monika hatte die Hände in die zusammengerollte Schürze versteckt und schaute den Sprechenden mit großen Augen an, endlich sagte sie:

»Ich glaub' dir, aufs Wort hin glaub' ich dir alles, es ist gewiß so. Aber, Brosi, glaub mir auch, du hast alles nur geträumt, und es ist einer von den rechten, von den braven Träumen gewesen. Guck, jeder Mensch hat seinen guten Engel, der ihm alles tut; da ist mein guter Engel zu dir kommen und hat dir alles berichtet, wie ich dir's selber gesagt hätt'; aber ich, glaub mir, ich bin nicht aus der Stub' kommen. Wo hätt' ich auch so schnell hin verschwinden sollen? Da hast das Wahrzeichen, daß ich's nicht gewesen bin und nur meine Schutzheilige, zu der ich dafür beten und der ich danken will. Und mit dem Riegel? Kannst 'naufgehen und kannst selber sehen, an der Tür ist so, wie man's angreift, bald ist sie zu, bald auf, es ist nur ein Vorteil Geschickter Handgriff. dabei. Ich laß es aber gelten, wie wenn ich's selber gewesen wär', und rechne dir's grad so an; aber geträumt hast, das ist einmal ausgemacht.«

Brosi stand eine Weile wie versteinert, dann faßte er sich schnell und machte allerlei Versuche, Monika zum Lachen zu bringen und ihr das Geständnis abzuzwingen, daß sie ihn nur necke; aber keine Miene in ihrem Gesicht zuckte, sie schaute ernsthaft drein und verließ ihn, indem sie ihm noch mehr solche gute Träume wünschte.

Brosi schaute mit verdächtigem Blick auf das Haus des Apothekerrösle, das ganze Haus schien ihm nicht geheuer, da man darin so lebhafte und wunderliche Träume haben könne; und doch wollte er wieder nicht daran glauben, daß all das Erlebte nur ein Traum gewesen, und wiederum dünkte ihn das noch besser; denn wenn Monika jetzt ein falsches Spiel mit ihm triebe, war sie ja falsch wie Galgenholz; drum muß es doch ein Traum gewesen sein.

Am anderen Tage machte Brosi einen Versuch an der Treppentür und fand die Aussage der Monika richtig, es bedurfte nur eines geschickten Griffs an der Türe, um den Riegel auf- oder zuzumachen. Bei dieser Gelegenheit entdeckte aber auch Brosi den baufälligen Zustand des Hauses; und als die Gartenmauer vollendet war, machte er sich an Instandsetzung des Innern. Wo er anklopfte, stäubte es ihm entgegen. Die Umfassungsmauern bestanden aus aufgeschichteten Querbalken, die noch ziemlich standhielten, aber die Riegelmauern zerbröckelten fast bei starker Berührung, und besonders die Feuerwand, die nach der Küche ging und so oft von den drei Schlägen erdröhnte, hatte einen wundersamen Bestand, die drei Schläge mußten mit besonderer Kunst geführt werden, daß die Wand nicht einstürzte.

Das Apothekerrösle wußte es Brosi wenig Dank, daß er mit Aufopferung all seiner freien Zeit und, da diese nur kurz gemessen war, sehr langsam das Häuschen so herstellte, daß es »behäb war wie ein Büchschen«. Das Apothekerrösle hatte nur immer zu klagen, daß es diesen Staub und dieses Gehämmer noch erleben müsse. Desto dankbarer aber war Monika, und als sie ihm einst sagte:

»Brosi, du baust zwei Kirchen, dort die große und hier eine kleine, die dir Gott lohnen wird«, da warf Brosi Hammer und Kelle weg, und die lange verhaltene Liebe brach in die Worte aus:

»Und ich will dich von Gott zum Lohn und weiter nichts.«

»Ich hab' auch sonst nichts, denn das Häusle ist verschuldet, und unsere Kuh haben wir nur im Bestand.«

Der Bund war geschlossen, und das Apothekerrösle sagte, es freue sich nur, daß es doch recht behalte; es tue kein Mensch etwas aus Gutheit, der Brosi habe Haus und Garten nur hergerichtet, um alles zu haben. Mit Nachdruck setzte es dann hinzu, wie gerichtlich festgestellt werden müsse, daß die beiden älteren Töchter, die in der Schweiz dienten, ein Heimatsrecht im Hause hätten, das ihnen niemand verkümmern dürfe. Überhaupt hob das Apothekerrösle mit schmatzendem Munde alle die Mißlichkeiten hervor, die dem neuen Hausstande drohten, so daß Brosi oft zaghaft werden mußte, wenn er nicht bedacht hätte, daß seine Schwiegermutter ingrimmig sei, weil sie einen Tochtermann bekam, den sie nicht eingestellt und in der Hand hatte. Moni lobte ihn über diese Auslegung als tiefen Menschenkenner und bestärkte ihn mit heiterem Sinn in froher Zuversicht.

Als erstes Geschenk des nun geschlossenen Bundes wollte Brosi von seiner Moni wissen, ob er an jenem Abend wirklich geträumt habe; aber Moni wich ihm aus, und als er immer dringlicher ward, sagte sie ihm, am Hochzeitstage werde jemand kommen, der ihm alles erkläre, er dürfe aber nie mehr vorher danach fragen.

 

Viertes Kapitel.

Es gibt ein Bekenntnis der Armut, das sich unter allen am schwersten bekennen läßt: es ist die Armut an Freundschaft. Nur ein in ungemessener Selbstherrlichkeit sich erhebendes Wesen vermag dieses Geständnis mit einem gewissen heiteren Gleichmut zu tun, weil sich darin wiederum die große Tatsache offenbart, daß niemand ihm gleichkomme, sei es an wirklichem Gehalt oder auch nur an Verständnis seiner unerfaßlichen Bedeutsamkeit. Untergeordnete, in sich oder von der Welt sich abhängig fühlende Naturen dagegen erkennen in ihrem Mangel an Freundschaft nicht nur eine Härte und schiefe Stellung des Geschickes, die oft dabei mitwirkt, sondern auch in der Aufrichtigkeit vor sich selber einen Fehler in der eigenen Natur, die es nicht vermag, Liebe zu gewinnen und festzuhalten.

Mit demutsvoll niedergeschlagenen Augen und zitternder Stimme sagte eines Tages Moni zu ihrem Bräutigam:

»Horch, Brosi, ich muß dir etwas sagen. Dann bin ich aber auch ganz fertig und kannst mich aufschneiden und findest keinen verborgenen Gedanken mehr in mir.«

»Was hast? Sag's nur frei heraus.«

»Guck, mein' Mutter ist gewiß viel daran schuld, du weißt ja selbst am besten, wie sie ist; aber ich bin auch schuld, gewiß, ich auch.«

»Was hast denn? 'raus mit.«

»Guck, ich hab' auf der ganzen weiten Welt keinen Menschen, den ich zur Hochzeit laden kann, und ich hab' keine Gespiele, die an unserem Ehrentag mit mir in die Kirche geht. Die Näherlise, die in Endringen mit mir getanzt hat, wär' die einzige, aber die kann ja jetzt nicht. Ich hab' niemand auf der Welt, ich bin wie aus dem Stein gesprungen; wenn ich mein' linke Hand in die rechte nehm', hab' ich all meine gute Freund' beieinander. Gelt, ich seh' dir's an, das tut dir auch weh, aber red' jetzt und sag', wie wir's machen.«

Moni hatte recht gesehen. Ein gewisses bräutliches Bangen, das halb verschleierte Bewußtsein, nun mit dem ganzen Leben abgeschlossen zu haben, hatte schon manchmal bei aller Zuversicht das Herz Brosis erzittern gemacht; jetzt bei dieser Kundgebung kam es wieder. Er wollte schon losbrechen in der Darlegung seiner Bekümmernis, als er noch zeitig genug an sich hielt, denn jetzt zum erstenmal kam ihm der Gedanke, daß zwei Menschen, die sich zu einem vollen Gemeinleben verbinden, wohl in Ehrlichkeit und Offenheit zusammenstehen müssen, daß es aber die Pflicht des einen sei, dem andern, das in Leid oder Leidenschaft versunken ist, nicht durch eigene Zutat solches noch zu vermehren, sondern ihm herauszuhelfen.

Über das Antlitz Brosis zog eine eigentümliche sonnige Klärung, er faßte die Hand Monis und sagte:

»Red' nicht so. Freilich ist's hart. Sag' aber nicht, wenn deine rechte deine linke Hand faßt, habest du alle deine gute Freund'. Da hast meine zwei Händ', und ich hab' viele Freunde, und die sind alle dein, und ich hab' niemand auf der Welt, der was gegen mich hat, auch der Furchenbauer nicht. Ich schaff' dir Gespielen, soviel du magst und die fürnehmsten aus der ganzen Gegend. Wenn nur wir zwei mit Gottes Hilfe gut Freund sind, dann wird's die ganze Welt auch sein.«

Moni beugte ihr Haupt nieder und legte ihre brennende Wange auf die Hand Brosis, dann richtete sie sich auf, schüttelte seine beiden Hände mit mächtiger Kraft und sagte:

»Brosi, das vergeß ich dir nie, nie, wie du jetzt gegen mich gewesen bist. Du wirst sehen, was du an mir hast.«

Die Verlobten hielten ihre beiden Hände fest und sahen einander tief in die Augen, und dieser Blick sprach mehr, als alle Worte auszudrücken vermögen. Ohne Kirche, ohne Priester und Zeugen kam die Segnung der ewigen Weihe über die beiden Verbundenen.

Moni war so aufgelöst und hingegeben, daß sie schon heute ihrem Verlobten das Rätsel jener Traumnacht lösen wollte, aber Brosi wollte nichts davon hören.

»Du mußt mich dazu anhalten, daß ich bei meinem Wort bleib', und ich will's auch so halten«, erklärte er, worauf Moni die feste Männlichkeit hochpries. Brosi schmunzelte, dann aber sagte er mit der Zunge schnalzend:

»Jetzt ist's genug, sonst kommen wir ja in ein Geflenn, wie die Katzen auf dem Dach. Lustig, und wenn der Sack sieben Löcher hat.«

Zum erstenmal mußte Moni mit ihm in den Auerhahn zum Weine gehen, sie sträubte sich lange dagegen und wollte es auf Sonntag verschieben; aber Brosi behauptete, heut sei Sonntag, und gab seiner Braut als Probe auf, das augenblicklich zu glauben. Lachend sagte Moni:

»Hast recht, heut ist Sonntag, aber ich will deswegen auch schnell meine Sonntagskleider anziehen. Ich bin gleich wieder da.«

Sie erfüllte dieses Versprechen mit überraschender Schnelligkeit, und noch nie schmeckte Brosi ein Schoppen so gut, als den er mit seiner Moni austrank. Durch die Nacht heimwärts gehend, sangen sie in beweglicher Weisung:

Es gibt kein' größre Freud
Auf dieser Erden,
Als wenn zwei junge, junge Leut'
Zwei Eheleut' werden.

Da gibt es keine Not,
Kein Kreuz und kein Leiden,
Nichts als der bittre Tod,
Der kann sie scheiden.

Noch nie ging Brosi so wonneselig von seiner Braut, als an diesem Abend. Als er ihr am anderen Morgen begegnete, sagte sie:

»Du hast mich ganz narret gemacht, es will mir gar nicht aus dem Sinn, daß gestern Sonntag gewesen ist und die Leut' sagen, heut sei Freitag.«

»Diese Woch' hat halt zwei Sonntäg'«, entgegnete Brosi lachend, und ein jedes ging an seine Arbeit. –

Am nächsten wirklichen Sonntag machte sich der Brosi mit seinen beiden Hochzeitlädern auf, um in seiner Heimat die üblichen Einladungen zu machen; er trug einen Rosmarinstrauß mit roten und blauen Bändern auf dem Hut und im Knopfloch, und ebenso die beiden Gesellen, die noch dazu Säbel an der Seite trugen. Moni schaute ihnen noch lange nach von dem wiederaufgerichteten Bachstege, und von fernher ertönten ihr noch die hellen Juchhe, die die Berge widerhallten.

Es war für Brosi eine eigentümliche Buße, daß das erste Haus, in das er mit seinen Gesellen eintreten mußte, der Hof zur langen Furche war. Hier kam er gerade in große Festlichkeiten hinein, denn die Schwester des Furchenbauern verlobte sich mit dem Gipsmüller vom unteren Tale; da standen Fuhrwerke von ob und nid der Steige wie eine Wagenburg vor dem Hause, und drinnen in der Stube war alles gesteckt voll von dicken Verwandten beider Seiten. Brosi überkam ein Bangen und ein seltsamer Schreck, als er in die übervolle Stube trat. Wie viele Menschen hatten sich hier zusammengefunden, um den Handschlag mitzufeiern, wie wirkte das Ereignis hinaus über Berg und Tal, und eine ganze Reihe von gewichtigen Menschen trat einander nahe; wie armselig dagegen war seine Verlobung gewesen, und Moni hatte recht, da sie sagte: »Ich bin wie aus dem Stein gesprungen.« Der Furchenbauer, der es wohl bemerkte, wie Brosi so verloren um sich schaute, hielt das für eine Verlegenheit von jenem trotzigen Aufbrausen an seinem Hochzeitsabende her; er trat daher auf Brosi zu, versicherte ihn herablassend seiner Gunst, und nun sprachen die beiden Gesellen den üblichen Einladungsspruch. Die neue Braut reichte dann nach gewohnter Sitte den Brotlaib, um eine Schnitte abzuschneiden, brachte aber gleich darauf auch ein groß Stück Kuchen zum Gruß an Moni, äußerte die Freude, daß an ihrem Brautmorgen ein so fröhliches Ereignis bei ihr einkehre, und versprach, sicher zur Hochzeit zu kommen. Brosi brachte seinen Wunsch vor, daß sie die Brautjungfer sein möge, und nachdem sie ihren Bräutigam geholt und diesem das Verlangen vorgetragen hatte, willigte sie gern ein. Trotz dieser Zusage verließ Brosi mit gestörtem Gemüt das Haus; die Verlockungen des Reichtums und das Verlangen, einer großen hochgeltenden Familie anzugehören, waren in seine Seele gedrungen. Er hatte nie danach getrachtet, solch ein Mädchen zu gewinnen, das war ja unmöglich, denn die Standesunterschiede bei den Bauern stehen fast unerschütterlich fest; jetzt aber fühlte er doch etwas wie Neid und Lust nach geborgenem Vermögensstande. Er dachte auf einmal, wieviel Hammerschläge er tun müsse, bis er sich nur ein Geringes erobert haben werde; und nachmals hat er noch oft und oft davon erzählt, daß er damals auf der Schwelle des Furchenbauern erfahren, »wie der Teufel in jedem Menschen wohne und Meister werde, wenn man ihn nicht gleich beim Grips fasse und erwürge«. Jetzt hatte Brosi nichts in der Hand als das große Stück Kuchen; das gab er seinen Gesellen und brachte keinen Bissen davon über die Lippen, für sich zum Zeichen, daß er von den bösen Gewalten nichts annehme.

Brosi hatte am vergangenen Donnerstag die volle Wahrheit gesprochen: überall, wohin er kam, hatte er nichts als gute Freunde und niemand, der ihm gram war. Ja, die Freundschaft ging sogar soweit, daß man da und dort über seine Schwiegermutter spöttelte und ihn um diese Zuwage bedauerte, andere machten ihm dabei noch freundliche Vorwürfe, daß er so früh heirate und sich einen so harten Anfang aufbürde; alle aber versprachen, sicher zu kommen, zumal da man ja auch zugleich die Einweihung der Kirche mitmache. Es wurde ihm als ein kluger Streich ausgelegt, daß er seine Hochzeit auf diesen Tag festgesetzt, da es ihm so an Zuspruch und reichlichen Hochzeitsgeschenken nicht fehlen könne. Von Moni sprach fast niemand, es kannten sie auch nur wenige; destomehr aber sprach Brosi in sich: »Und ihr wisset alle nicht, daß es mein klügster Streich ist, just die Moni zu heiraten.«

Als er am Abend auf dem Heimweg wieder an des Furchenbauern Haus vorüberkam und die Stelle sah, wo so böse Gedanken ihm in der Seele gewaltet hatten, eilte er seinen Gesellen voraus und wollte schnell heim zu Moni; nur auf das Zureden der Gesellen, wie es sich nicht schicke, daß er allein heimkehre, hielt er gleichen Schritt mit ihnen.

Moni war hocherfreut, als sie vernahm, welch eine fürnehme Brautjungfer sie haben werde; als aber Brosi in seiner Offenherzigkeit auch erzählte, welche böse Gedanken ihm in der Seele aufgesproßt seien, wie er sie aber mit Stumpf und Stiel ausgerottet habe, da weinte Moni bitterlich und wollte sich nicht beruhigen lassen, so sehr auch Brosi versicherte, daß alles wurzweg in ihm ausgejätet sei. Erst nach und nach gelang es ihm, sie zu beruhigen, aber so heiter wie die vergangenen Tage war sie doch nicht.

Auf dem Heimwege nach seiner Schlafstelle fand Brosi mitten in der Nacht eine sehr dienliche Weisheit. »Man muß den Weibern nicht alles berichten,« sagte er sich, »absonderlich aber nicht von Dingen, die aus und vorbei sind; sie glauben das doch nicht und meinen, es sei immer was übrig. Kannst dich darauf verlassen, Moni, du kriegst nichts mehr von dem, was ich einmal 'nunter gedruckt hab'.«

 

Fünftes Kapitel.

Man redet solang von der Kirchweih, bis sie endlich da ist, das ist eines der unbestreitbarsten Sprichwörter, und es bewährte sich auch in Haldenbrunn.

Im dichten undurchdringlichen Morgennebel, den man nach dem Ausspruche vieler fast mit Löffeln essen könnte, krachten die Böllerschüsse und ertönten zum erstenmal die Kirchenglocken von Haldenbrunn allesamt und so hell wundersam von unsichtbarer Höhe, daß alles auf die Straße rannte und eines dem anderen zurief, doch auch hinzuhorchen, wie schön das klinge: solch ein Geläute habe keine Gemeinde landauf und landab; eines bestärkte das andere in der zuversichtlichen Hoffnung, daß der Nebel fallen und ein heller Tag darüber erscheinen werde.

Brosi ging beim ersten Geläute nach dem Hause seiner Monika, er hatte unwillkürlich die Hände gefaltet, und seine Lippen bewegten sich, denn er sprach vor sich:

»Guter Gott, gib, daß diese Glocken uns nur Stunden des Glücks und der Freude ankündigen.«

Als das Gesamtgeläute vorüber war, tönten noch drei einzelne Glockenschläge nach, als sprächen sie dreimal Amen.

Moni war nicht in der Stube, sie war in der Bühnenkammer, die Brosi wohnlich hergerichtet hatte; die Türe war verschlossen, und Brosi bat nicht um Einlaß, es wäre gegen allen Brauch gewesen, dieses Gemach jetzt zu betreten.

»Hast's auch so schön läuten gehört?« fragte Brosi, und von innen antwortete es:

»O, freilich! und ich hab' gewußt, daß du kommst, und ich hab' zu Gott gebetet, er soll uns alle Stunden, die uns die Glock' angibt, in Zufriedenheit erleben lassen, und wenn es Leidmut gibt, soll er helfen, daß wir bald wieder darüber 'naus kommen.«

Das war ja ganz dasselbe, was in Brosis Herzen aufgestiegen war, nur noch bedachtsamer auf Leid und Ungemach. Moni ließ ihn nicht lange hierüber nachdenken, denn sie rief, indem sie eine Kiste zuschlug:

»Wenn sich nur das Wetter auch aufheitert. Geh' nunter, ich komm' sogleich.«

Das Apothekerrösle war auch heute noch voll grämlichen Klagens und sagte immer, die ganze Welt sei darauf zugespitzt, um es zu ärgern: sich zum Possen müsse es den Tag noch erleben, wo alles sich draußen freut, und es müsse daheimliegen wie eine kranke Katz.

Brosi schauderte bei dieser unzerstörbaren Giftigkeit und der Erinnerung an die Katze; er bat indes die Schwiegermutter, doch wenigstens heute fröhlich zu sein, er wolle ihr Wein und Braten und Kuchen nach Haus schicken oder selbst bringen, sie solle mindestens heute freundlich zu den ankommenden Gästen sein, sie habe bösen Namen genug.

»So?« rief das Apothekerrösle mit gellender Stimme, »ich weiß wohl, die Leut' halten mich für eine Hex', aber wenn ich machen könnt', daß mich die Leute für des Teufels Großmutter hielten, ich tät's. Lieber möcht' ich von einem tollen Hund gebissen sein, als von den Menschen gern gehabt. Wenn sie so recht Furcht vor mir haben, das ist mir recht. Wenn sie nur so stark Furcht hätten, daß sie alle die Gichter kriegten, wenn ich sie anseh'!«

Moni unterbrach diese Herzensergießungen, die noch viel weitergehen zu wollen schienen, sie brachte ihrem Bräutigam das feine flächsene Hemd, das sie selbst gesponnen, gebleicht und genäht und das er heute den ganzen Tag tragen mußte. Das Apothekerrösle wollte die Geschichte vom Rockertsweible erzählen, das ein Hemd aus Brennesseln gesponnen habe; aber Moni befahl ihr in scharfem Tone, davon still zu sein, und klagte über die Brautjungfer, die solange auf sich warten lasse, und die Mutter äußerte schadenfroh, daß sie gewiß gar nicht kommen werde. Da ertönte das Schellengeläute eines Fuhrwerkes vor dem Hause, die Brautjungfer war angekommen, ihr vorauf lud man einen großen Sack ab, es war ein Malter Weißmehl, das als Hochzeitsgeschenk in den Hausgang gestellt wurde. Ehe die Brautjungfer in die Stube ging, ließ sie den Sack umdrehen, und da war auf demselben deutlich »Ambrosius Heller 1799« in einem Kranze zu lesen. Die Brautjungfer trug einen Rosenkranz um die Hand geschlungen, offenbar zum Schutz gegen die Hexerei des Apothekerrösle; sie schickte sogleich den Brosi fort, da es gegen alles Herkommen war, daß er sich jetzt im Hause befand.

Zum zweitenmal knallten die Böllerschüsse, die Glocken läuteten, und alles jauchzte, da die Sonne hell hervorbrach. Moni war besonders glücklich, da sie just in dem Augenblicke so hell erglänzte, als ihr die Brautjungfer die Flitterkrone, die sogenannte Schappel, aufsetzte. Die Sonne hatte aber in Haldenbrunn noch gar viel andere Herrlichkeiten zu bescheinen: vom Turme flatterten Fahnen, und an den Häusern hingen überall Kränze von grünen Tannenreisern und Stechpalmen, aus denen in Ermangelung von Blumen aufgereihte Hagebutten und Zweige von Pfaffenhütchen und Vogelbeerbüschel hervorschauten. Der Auerhahnwirt hatte von seinem Hause nach dem gegenüberstehenden Kirschenbaume am Röhrbrunnen einen mit vielen Bändern verzierten Kranz gezogen, und auf den Straßen lagen überall Tannenreiser, Ginster und sogenanntes Schafterheu; der Wald hatte seinen Gruß gesendet zum Danke dafür, daß ihn nun Glockenschall durchhallte.

Die Burschen von Endringen kamen alle insgesamt unter Pistolenknallen und mit bänderverzierten Rosmarinsträußen auf dem Hute, sie holten Brosi ab, um ihm das Geleite nach der Kirche zu geben. Als es zum drittenmal läutete, Böller- und Pistolenschüsse knallten, ertönte die Musik, die beiden Hochzeitläder gingen mit gezücktem Säbel vor und hinter der Braut; zum erstenmal ertönte zum feierlichen Gottesdienste die Orgel in der Kirche, und man sah viele Leute vor Freude und Rührung weinen. Der Geistliche, ein Heimatgenosse Brosis aus Endringen gebürtig, verstand es, die rechten Worte für die Weihestimmung zu treffen, und als er die Anrede an Brosi hielt, wünschte er ihm, daß sein Glück so fest und ohne Wanken sein möge wie die Steine des Baues, die er zusammenfügen geholfen.

Beim Ausgang war ein großes Gedränge, abermaliges Läuten, Böllerkrachen und Musikschall, und jetzt, nachdem der nötige Ernst abgetan war, brach die Freude mit verdoppelter Macht hervor.

Die Brautführer geleiteten die Braut und deren Gespiele bis ins Wirtshaus, stießen dort ihre Säbel in die Stubendecke, genau da, wo Braut und Bräutigam sitzen müssen, und nun begann der Brauttanz. Es war eine Lustbarkeit, wie sie zwischen den dunklen Wäldern noch selten gefunden war, und Brosi nickte zufrieden, als ihm einer der Burschen mitten aus dem Tanze zurief: »Heute sind wir alle lauter Brosis!« Er selbst fühlte sich in seiner neuen Würde zu ernstem Maßhalten gestimmt, er hatte auch dafür zu sorgen, daß er mit jedem der Gäste ein freundliches Wort sprach und daß jeder für sein Geld gehörig bedient werde. Auch hatte Brosi Grund genug zu ernstem Nachdenken. Er hatte seiner Schwiegermutter Wein und Essen nach Haus gebracht, und sie hatte vor seinen Augen den Wein in die Stube geschüttet und dabei so höllisch gelacht, als wäre ihr Wunsch vom Morgen in Erfüllung gegangen und sie wirklich des Teufels Großmutter. Er suchte indes den Gram darüber zu verwinden, und in erster Anwendung seines vor der Hochzeit angelobten Verfahrens unterließ er es, der Moni etwas davon zu sagen. Diese strahlte in harmloser Seligkeit und brachte es eben dadurch auch zuwege, ihn zu erheitern und den Vorsatz in ihm zu befestigen, das Apothekerrösle wie einen Narren zu behandeln, mit Geduld und Gleichmütigkeit.

Als es Abend zu werden begann und manche Gäste sich zur Heimfahrt anschickten, schrie alles wie aus einem Munde:

»Bändelestanz! Brositanz!« und Brosi mußte den auf der Hochzeit des Furchenbauern erfundenen Reigen abermals ausführen. Heute aber faßte er nur seine Moni und sang dabei:

Weil Scheiden bitter ist
Und 's Lieben süß,
Jetzt leg' i mei'm rechten Schatz
D' Händ' unter d' Füß'.

Trotzdem schon viele Pferde auf der Straße angespannt waren und hell wieherten, versprachen doch viele Gäste noch zu bleiben, wenn Brosi auch noch den Hoppetvogel und den Siebensprung ausführe. Er ließ sich dazu nicht lange bitten, und man konnte nicht sagen, wer alles zierlicher und auf den Ton hin genauer ausführte, er oder Moni. Die volle Lustigkeit brach wieder in Brosi hervor, er jauchzte und sprang und sang, daß alles auf Tisch und Bänke stieg, um ihm genau zuzusehen, und als er geendet hatte, rief er: »Eingehalten! Es kommt was.« Er trat mit Moni vor die Brüstung, hinter der die Musikanten saßen und sagte: »Moni, das ist auch ein Altar, und jetzt kommt ein neues Versprechen. Ich nehm' euch alle zum Zeugen, da schwör' ich's: solang mir der oberste Musikant da zu allerhöchst oben Leben und Gesundheit schenkt, tanz' ich jede Kirchweih. Schwör' du das auch, Moni, tu's, ich bitt' dich drum.«

»Ja, ja, ich schwör's auch!« rief Moni und reichte ihm die Hand; die Musikanten wirbelten einen Tusch und hefteten gleich einen lustigen Hopser dran. Alle Gäste, denen Brosi und Moni das Geleite geben mußten, um von ihnen das übliche Geldgeschenk zu empfangen, beteuerten, noch nie eine so lustige Hochzeit mitgemacht zu haben, und der beste Beweis, daß alles glücklich und zufrieden war, lag darin, daß Moni im geheimen ihrem Mann ins Ohr sagte, sie hätten jetzt neben dem Sack Mehl und anderem schon dreißig Gulden bar über die Hochzeitskosten eingenommen.

»Hast's gezählt?« fragte Brosi.

»Ja, ich hab' alles ungesehen abgezählt, eh' ich's in Sack tan hab'; da rechts hab' ich achtzehn, und da hab' ich siebenundzwanzig Gulden. Wir kaufen dem Beständer unser Kühle ab, es ist gar ein brav Kühle, das wird das beste sein.«

»Ja, ja,« sagte Brosi und rieb sich vergnügt die Hände, er sah schon jetzt wieder deutlich, was für eine »häusliche« Frau er hatte.

Nachdem die Braut gestohlen und dann wieder ausgelöst worden war, ging die Lustbarkeit von neuem an. Brosi sprach im geheimen vom Heimgehen, aber Monika hatte noch manche Leute im Auge, die noch kein Geschenk gegeben hatten, deren Weggang mußte abgewartet werden. Endlich nickte Moni still, als ihr Brosi wieder winkte, sie schlich sich fort, und bald war Brosi bei ihr auf der Straße; aber so verborgen sie sich auch glaubten, sie waren doch entdeckt worden, und Musik und Gesang tönte ihnen von den Fenstern heraus nach.

Nicht weit von ihrem Hause sprang Moni davon, er ließ sie gewähren, denn es gilt als Zeichen, daß der die Herrschaft bekommt, der zuerst ins Haus tritt, und Brosi sah schon, daß er gut dabei stand, wenn er seine Frau walten ließ. Er sah sie in das Haus treten und die Türe hinter sich offen lassen, aber so sehr er auch das Haus durchsuchte und sie rief, er fand sie nirgends, auch in der Bühnenkammer war sie nicht und nicht auf dem Heuboden, nicht im Stall und Keller. Endlich rief er: »Soll ich an meinem Hochzeitstag fluchen? Und das muß ich, wenn du nicht kommst.«

»Such' das Geheimnis«, rief eine Stimme wie aus der Ferne, und auf die Bitten Brosis rief es endlich deutlicher: »Da bin ich.« Unter der Treppe war ein Laden, der in die Raufe nach dem Stalle ging, und Moni erklärte, daß sie hier hin verschwunden sei in jener Nacht, als sie ihn aus dem Hause bettelte.

 

Sechstes Kapitel.

Man hatte sich bisher in Haldenbrunn mit einer zerfallenen Kapelle auf dem Gottesacker begnügen müssen, und man muß es wissen, was es heißt, wenn ein Dorf zum erstenmal eine eigene Kirche hat. Es ist, als ob der heilige Geist sich leibhaftig unter den Bewohnern ansässig gemacht hätte, und wiederum, als ob alle gemeinsam ein schönes unzerstörbares Sonntagsgewand bekommen hätten; der wahre heilige Geist, das Gefühl der Gemeinsamkeit und Allgehörigkeit, erhebt die Herzen, macht sie froh in sich und freundlich eines dem andern. Verstünde es die Kirche, diese Weihestimmung, dieses Gefühl der Brüderlichkeit und Gemeinsamkeit vor allem in den Herzen wachzuhalten, sie wäre die Heilsanstalt, deren Beruf sie sich zuschreibt.

Fast noch mehr aber, als an der Kirche, freute sich alles an den Kirchenglocken. Wie still und ungezählt waren die Stunden des Lebens vorübergegangen, wie lief man in des Nachbarn Haus oder schaute nach dem Schatten, um die Tageszeit zu erkunden; jetzt tönt es allezeit vom Turme, und die Berge, solchen Klanges ungewohnt, sprechen ihn nach, und im Walde legt der Holzhauer die Axt nieder und spricht: das ist unsere Glocke, die elfe schlägt – und dieses unsere tut so wohl und würzt das karge Mahl. Ein feierlicher Hauch wehte noch tagelang über Haldenbrunnen, und die Tannenreiser, die zu festlichen Kränzen und Bogen verwendet waren, dufteten so würzig; aber der festliche Hauch vergeht, und die Tannenreiser werden bald abgenommen, zu Reisigbüscheln für die Heizung zerhackt und gebunden.

Nur bei Brosi war die Festtagssonne noch nicht erloschen. Zwar gestattete er sich nur noch tags darauf im Sonntagsgewande einherzugehen, und wenn ihn die Leute grüßten, meinte er, alle müßten es ihm ansehen, wie glücklich er sei, und seine feierliche Stimmung blieb noch lange Zeit. Er begriff oft gar nicht, daß die Leute so taten, als ob das gar nichts wäre, wenn er auf ihre Frage »Wohin?« zur Antwort gab: »Ich gehe heim.« Wußten denn die Leute nicht, daß er zum erstenmal in seinem Leben eine Heimat gefunden, und daß er jetzt ein doppelter Mensch war, daß er daheim eine wackere nette Frau sein eigen nannte? Über seine frohe Stimmung und das volle Erquicken an derselben vergaß er aber nicht, auf das Erste und Notwendigste bedacht zu sein, und das war: eine Winterarbeit, einen Verdienst in der harten Zeit zu finden. Zwar begann man schon damals hier und dort Winterwerkstätten für Steinmetzen herzurichten, und da Brosi Steinmetz und Maurer war, hätte er wohl ein Unterkommen finden können; aber gleich den ersten Winter aus der neugegründeten Heimat fortzugehen, konnte er sich nicht zumuten. Es blieb also nur übrig, Arbeit im Orte zu finden, und da gab es nur eine einzige: Holz fällen in den umgrenzenden Wäldern, und wenn der Boden gefroren ist und sich eine Schneebahn darüberlegt, das Gefällte auf Handschlitten talwärts führen. Der Revierförster war nicht abgeneigt, gegen den damals üblichen Abzug von dem bedungenen Lohne zu seinen eigenen Gunsten Brosi Arbeit zu geben, und er durfte nicht lange zögern, denn ein junger Ehemann in seinen Vermögensverhältnissen mußte der übelsten Nachrede gewärtig sein, wenn er nur einen Tag müßig umherging. Die Waldarbeit wurde Brosi unsäglich schwer, er war von seinem Handwerk an ein stetiges und gleichmäßiges Arbeiten gewöhnt, aber diese oft plötzlichen Kraftanstrengungen ermüdeten ihn mehr, als man bei seinem starkknochigen Körperbau vermuten mochte.

Bald aber gelang es ihm, auch diesem Tun die heitere Seite abzugewinnen. Er nannte den gefrorenen Wald seinen überzuckerten Weihnachtsgarten, und wenn er vor Kälte hüpfte und mit den Händen schlegelte, sagte er immer, er führe jetzt den Friertanz auf. Er sprach zu den Bäumen, die er fällte, so entschuldigend freundliche Worte und bat sie unter allerlei Verbeugungen, doch gnädigst nicht so zäh zu sein und sich in ihr Schicksal zu finden, daß alle anderen Holzhauer sich herzudrängten, um mit ihm gemeinsame Arbeit zu machen. Wenn der Baum schwankte und krachend niederfiel, stieß Brosi immer einen hellen Juchschrei aus. Am glückseligsten war er aber doch, wenn er in sich hinein dachte, welch ein »kugelig Weible«, wie er es stets nannte, er daheim habe, und manchmal verzehrte er verstohlen, um den Neckereien der anderen zu entgehen, einen guten Bissen, den ihm Moni »hehlings« in die Tasche gesteckt hatte. Wenn er dann abends heimkam und die Axt in einen Küchenwinkel stellte, wischte er sich behaglich Reif und Schnee aus dem Bart, stellte sich breitspurig, die Hände auf dem Rücken, vor seine Moni, die am Herde stand, und schaute sie solange an, bis sie lachte; dann sprach er ganz leise mit ihr, damit es die Mutter in der Stube nicht höre, und dieses Heimlichtun, das doch seine traurige Ursache hatte, erschloß wieder seinen besonderen Reiz. Brosi und seine Frau waren immer wie zwei Liebende, die sich vor einem keifenden Vormunde nur verstohlen und heimlich nähern dürfen, denn das Apothekerrösle fluchte und schimpfte immer, wenn Brosi und Moni miteinander scherzten, und sagte, sie wollten es noch vergiften, um ihre Narreteien ungesehen treiben zu können. Sprachen sie einmal leise miteinander in der Stube, so heulte und wehklagte das Apothekerrösle, daß man es zehn Häuser weit hören konnte und die Eheleute ihr alles versprachen, wenn sie nur still sei. Moni hatte der Mutter einen Teil des Bettes nehmen müssen, und nun klagte diese stets über das hartherzige Kind, das ihr die Kissen unter dem Kopfe wegzöge, und das sie gewiß bald aus der warmen Stube vertreibe; aber sie gehe nicht fort und werde noch einen Menschen finden, der für sie den Vogt hole.

Brosi wollte der Mutter die entnommenen Bettstücke wieder zurückgeben, aber Moni duldete das nicht, man dürfe nicht nachgeben, sonst sei man verloren. Moni suchte ihren Mann zu trösten über die schwere Bürde, die er an ihrer Mutter habe, aber dieser sagte gleichmütig:

»Wir wären zu glücklich, darum müssen wir unser Kreuz haben, das ist einmal so in der Welt; und so schwer ist es nicht, daß wir nicht noch lustige Sprünge machen können.«

Als ihm aber Moni ein beglückendes Geheimnis mitteilte, sagte er doch:

»Lieber Gott, mir ist nur arg, daß das unschuldige Kind die Belferei von deiner Mutter mitanhören muß.«

Jetzt aber war Moni gescheiter, denn sie entgegnete:

»Das schadet nichts. Man wird just nicht giftig davon, das siehst an mir, und in frühen Jahren zu wissen, daß nicht alle Menschen Lämmer Gottes sind, hat auch sein Gutes.«

Ganze Abende saß Brosi bei seiner Frau und sang mit ihr, daß die Fenster zitterten. Weil sie in Gegenwart der Mutter nicht viel reden durften, begannen sie in der Regel bald nach dem Nachtessen, das die Hauptmahlzeit war, Liebeslieder und Schelmenlieder, wie sie ihnen in den Sinn kamen, und wie gesagt, das hässige Wesen der Mutter drängte die Eheleute gerade zu um so größerer Lustigkeit, die freilich in ihnen beiden steckte. Schien der Liedervorrat erschöpft oder nicht mehr ergiebig genug, so ging es an die wortlose Musik. Hopser und Walzer und besonders der Siebensprung wurden ohne Ende zweistimmig gesungen, bis der Uribasche, der Nachtwächter, neun Uhr anrief. Dabei waren aber beide Eheleute nie müßig mit den Händen. Moni hatte von dem Geld, das nach Ankauf der Kuh übrig geblieben war, Hanf gekauft und spann nun denselben mit nie gesehener Schnelligkeit; sie war ja überhaupt allezeit lebhaft und fleißig, drehte sich dreimal herum, ehe ein anderes nur aufstand. Brosi hatte auch nie zu den Langsamen und Trägen gehört; er fand aber in den Winterabenden nichts anderes zu tun, als dieselbe Hantierung, die in der ganzen Gegend heimisch war: nämlich Schindeln zu machen. Damals war es noch nicht wie heute, wo die Holzhändler alles Stammholz aufkaufen und den Schindelnmachern nichts übrig bleibt, als die astvollen Spitzen, die nur im Kerne zu verarbeiten sind; damals ging man noch hinaus in den Wald und bezeichnete sich eine Schindeltanne, die man als Spaltholz zum Revierpreis und manchmal auch nur für einen Küchengruß erhielt; denn damals wurde noch nicht jeder Baum in sieben Bücher eingeschrieben und verrechnet, da hatte man zartes, das heißt astloses Holz genug, und wenn man den Stamm in kleine schuhlange Blöcke gesägt und in Würfel gespalten hatte, durfte man nur das Messer oben einsetzen, um mit leichtem Handgriff die Schindel nach der Faser zu schlitzen. Freilich waren sie damals auch noch billiger, das heißt das Geld war teurer; wenn man heutigestags für hundert Stück gern drei Kreuzer bekommt, war man damals froh, sie für einen loszuwerden. Brosi machte noch am Abend spielend seine zwei- bis dreihundert fertig, und das gab doch immer etwas für Salz und Öl; denn auch dieses brauchte man, da es die Mutter nicht leiden konnte, daß man Lichtspäne in der Stube brannte. Oft stellte Moni mit ihrem Manne den Wettkampf an, daß sie einen Faden abspinne, bis er zwei Schindeln geschlitzt habe, und sie hielt es richtig inne.

So weit die dunkle Tanne die hohen Berge bedeckt, gab es gewiß kein arbeitsameres und fröhlicheres Haus als das von Brosi und Moni, und noch dazu standen sie am Vorabend eines glücklichen Ereignisses; denn das »brave Kühle«, wie es Moni stets nannte, mußte nun bald ein Kalb bringen, aus dessen Verkauf man ein gut Stück Geld in die Hand bekam, und wenn dann die drei Hühner zu legen aufhören, hat man doch wieder Milch im Hause und eine volle, reiche Haushaltung.

Bei jedem Begegnenden auf dem Waldwege und in den Gesprächen bei der Arbeit selbst forschte Brosi stets nach einer anderen Tagesbeschäftigung, aber er konnte und mochte keinen Tag aussetzen, um nach einer solchen umzuschauen, und das besonders seiner Frau wegen; sie sollte nicht merken, wie mühselig ihm diese ungewohnte Arbeit war, und erst davon erfahren, wenn er eine andere ausfindig gemacht. Diese Rücksicht war aber nicht lauter Zartheit, sondern vornehmlich auch Stolz. Ein Mann wie er, sagte sich Brosi, darf sich von seiner Frau nicht darum ansehen lassen, daß er so wenig Erwerbsquellen hat; wenn die Frau da mitberaten hilft, ist aller Respekt dahin, und diesen zu erhalten, war Brosi allezeit sehr eifrig bedacht.

Es begann nun die Zeit, wo das Scheitholz zwei Stunden weit nach dem Tal gebracht werden mußte, von wo es im Frühling verflößt oder auf der Achse befördert wurde. Lange bevor der Tag anbrach, zog die Mannschaft mit Fackeln hinaus in den Wald, ein jeder trug seinen Schlitten mit den rasselnden Anhebketten den Berg hinauf. Es war ein seltsamer Anblick, diese Schar in den Wald ziehen zu sehen: voraus gingen die Knaben, die nur beim Aufladen helfen mußten, sie trugen abwechselnd die Fackeln und drangen vor in die Finsternis, als dränge man stets in eine tiefe Grube; dann kamen die Männer, auf den Schultern die Schlitten, deren Geleise nach vorn hornartig aufgebogen und gespitzt emporstanden, so daß die Männer wie ungeheuerliche Riesen mit seltsamen Umzäumungen erschienen: dazu das Rasseln der Abhebeketten, das Knarren der Tritte im harten Schnee und manchmal ein schlaftrunkenes Taumeln auf dem abschüssigen Wege oder gar ein Hinstürzen bei der Unachtsamkeit auf eine tückische Baumwurzel. Manchmal geschah es auch, daß die Fackeln durch unvorsichtiges Halten oder vergessenes Schwingen ausgingen, wo alsdann alle nacheinander und oft mehrere gemeinsam die glühenden Kohlen zu heller Flamme anzublasen suchten und dabei nichts zuwege brachten als pausbackige glühende Gesichter, die während des Blasens nur bisweilen sich setzten, um grimmig zu fluchen. Nachdem man mühsam ein Schwefelholz entzündet und nacheinander alle, die man bei sich hatte, an die Fackel gehalten, bis es auf die Nägel brannte, mußte man oft eine Stunde lang auf dem Fleck stehen bleiben, wo man eben war; man durfte es nicht wagen, in Finsternis und Schneewehen weiterzugehen, bis der Morgen anbrach. Ist schon das Warten in jeglicher Lage ein die innerste Verstimmung leicht aufreizendes, so war es hier noch weit mehr der Fall, man zankte und stritt sich über das geschehene Ungemach, und da man sich bei diesem Streite nicht sah, gab es oft die lustigsten Stimmenverwechslungen, und besonders der Brosi machte oft den Spaß, mit sich selber einen Streit anzufangen oder mitten im Gezanke die Stimme eines Unbeteiligten nachzuahmen und in seinem Namen tüchtig zu schimpfen. Man träppelte auf dem Platze hin und her; wo eines einen Knaben unter die Hände kriegte, bekam er einen Knuff als mutmaßlicher Übeltäter, und in das Zanken und Streiten mischte sich klägliches Weinen des Knaben und noch lauteres Schelten und Fluchen des betreffenden Vaters. Es war fast immer so finster, daß man einander in die Augen greifen konnte, und dabei stieß man sich noch gegenseitig mit den Schlitten auf die Köpfe, teils mutwillig, teils im Hader, wenn einer seinen Schlitten abnehmen und den anderen dadurch von seiner sicheren Stelle verdrängen wollte.

Brosi verhielt sich in solchen Fährlichkeiten auch oft ganz ruhig, und wenn alles durcheinander lärmte und schrie, schüttelte er sich nur und machte das Rollenhalfter, das er sich umgehängt hatte, laut erklingen.

Es bedurfte seines ganzen unverwüstlichen Frohsinns, um in diesen Zänkereien und den darauffolgenden Mühen nicht bis zum Übermaß verdrossen zu werden.

Hatte man dann seinen Schlitten geladen und die Sperre, die nur aus niederhängenden Scheitern in der Kette bestand, gehörig gerichtet, so galt es, weder der erste zu sein, der den anderen Bahn machte, noch auch einer der letzten, der schon zu glatte Geleise vorfand. Es gelang Brosi nicht, weder mit Scherz noch mit nachdrücklichem Ernste eine feste Reihenfolge herzustellen, ja er wurde gehänselt und mit seinen Neuerungen barsch abgewiesen, weil er, von Endringen gebürtig, ein Eindringling und einer der jüngst Eingetretenen war. Brosi war nun meist der Bahnmachende, er stellte sich in die Gabel seines Schlittens und leitete ihn den Berg hinab, bald anziehend, bald sperrend, je nachdem es der Weg mit sich brachte. Oft war es ihm, als müßte das Treiben ihm die Arme ausrenken und das Ziehen die Brust herausstoßen, und noch dazu das allezeit vorsichtige Umschauen auf den Weg und das Aufmerken auf die Genossen, die so unverzeihlich hart hinter ihm dreinkamen; aber Brosi war jung und gesund, und er freute sich dessen doppelt. War er im Tal angekommen, wo er sich zum Verschnaufen ein wenig ausspannte und sich den Schweiß von der Stirn wischte, so reckte und bäumte er sich mit Lust und fühlte die Kraft durch alle Glieder strömen; er sagte dann oft scherzend: »Das Ding ist doch gut, das macht einem Gaulsknochen.« Das Ziehen im Tale war dann nur noch ein Kinderspiel, eine halbe Arbeit, und so oft er ausschnaufte, pfiff er einen lustigen Ländler dabei.

Die rechte Freude kam aber doch immer erst, wenn er mit sinkender Nacht heimkehrte und mit seiner Moni die gebackenen Schupfnudeln oder gebrägelten Kartoffeln aus der Pfanne aß, und seltsamerweise wurde der Sack Mehl, den der Gipsmüller geschenkt hatte, kaum merklich leer. Moni mußte einen Haussegen haben, der ihr dazu verhalf; wenn sie auch Schwarzmehl oder sogar Kleie unter das geschenkte Mehl schüttete – die Schupfnudeln waren offenbar dunkel –, das Mehl erwies sich doch wunderbar ausgiebig. Moni hatte während des Essens immer sehr viel zu erzählen und ließ ihren Mann fast gar nicht zu Worte kommen. Dieser merkte wohl, daß sie darum so viel sprach, um ihm Gelegenheit zu geben, den größeren Teil des Essens zu verzehren, denn sie hielt oft die Gabel leer oder gefüllt lange unbewegt vor dem Munde; Brosi hörte ihr ruhig zu und tat ihr den Willen, sich ihrer Gutherzigkeit freuend, er nickte meist nur mit dem Kopfe, aber wenn er merkte, daß er seinen gebührenden Anteil hatte, legte er die Gabel nieder und sagte:

»So, gottlob! jetzt iß du voll aus«, und da half keine Widerrede mehr; Moni durfte nicht aufstehen, bis sie rein aufgegessen hatte und unter steten Beteuerungen, daß sie nicht mehr weiter könne, und unter vielem Lachen mußte sie ihm doch willfahren.

Mit dem Schindelnmachen ging es seit Beginn der Holzfuhren nur lässig, denn Brosi war in der Tat jetzt am Abend »müde wie ein Gaul«, er schlief meist schon auf der Bank hinter dem Tisch ein, nachdem er sich die Würfelscheiter hergerichtet hatte. Wenn ihn dann endlich seine Frau weckte, so verführte sie dabei allerlei Scherze, namentlich kitzelte sie ihn mit einem gedrehten Papierchen auf der Nase und im Gesicht; er wehrte dann stets die vermeintliche Fliege ab, und sie mußte ihn zuletzt noch rütteln und rief oft dabei: »Guten Morgen, Brosi!« Dieser aber erhob sich dann in die Hände klatschend und dankte Gott, daß er ihm für jeden Tag zwei Nächte zum Schlafen gebe und auf der Treppe nach der Bühnenkammer gab es dann meist helles Lachen und Scherzen.

 

Siebentes Kapitel.

Wochenlang sah Brosi während der Werktage kein Haus in Haldenbrunn, solange die Sonne schien, denn vor Tag ging es in den Wald und erst mit sinkender Sonne wieder heimwärts. Dafür war aber auch der Sonntag ein wahrer Sonnentag, und wenn's auch schneite, daß man kaum die Augen aufmachen konnte; da hatte jede Stunde, ja jede Minute ihre Ruheseligkeit. Wie behaglich wurde am Morgen getrödelt und gezögert, Moni hatte noch, bevor ihr Mann die Augen aufschlug, das Sonntagsgewand hergerichtet so ordentlich und so pünktlich, daß es eine Lust war, sie mußte aber oft drei-, viermal die Treppe hinaufrufen und sogar selbst hinaufkommen, um ihn zur Morgensuppe zu entbieten, und manchmal hatte Brosi schon die Kleider im Arm, er setzte sich aber wieder auf den Stuhl und rief durch die verschlossene Tür: »Laß mich noch ein bißle dasitzen, es tut gar so wohl. Sag' der Supp' einen schönen Gruß und sie soll warm bleiben, ich versprech' ihr auch dafür eine gute Versorgung.« Erst wenn Moni klagte, daß sie nun schon so lange mit leerem Magen herumgehe, beeilte er sich und sagte dann der Schwiegermutter einen so treuherzigen, sonntagsfreudigen »Guten Morgen«, daß selbst diese verboste Hexe freundlich sein und mit ihrer Unterlippe ein Pfännchen machen mußte. Hemdärmelig wurde die Morgensuppe verzehrt, und so gewiß, als die Glocke tönt, mußte ihm jedesmal während des dritten Geläutes Moni helfen den langen blauen Rock anziehen und ihm den dreispitzigen Hut nebst Gebetbuch darreichen. Brosi ging in der Regel morgens in die Kirche und Moni nachmittags. Nur in seltenen Fällen und bei besonderen Feierlichkeiten gingen sie miteinander. Brosi ging doppelt gern in die Kirche, weil ein Endringer hier Pfarrer war, und wenn eines den Pfarrer lobte, vergaß er gewiß nie hinzuzusetzen: »Ja, er ist eben von Endringen. Wir sind aus einem Ort.« Brosi war ein frommes, gläubiges Gemüt und hatte eben darum wenig damit zu schaffen; er tat seine Pflicht, glaubte, was vorgeschrieben ist, und war sicher, einst eine selige Urständ zu finden. Er stand in einem unausgesprochenen Einverständnis mit dem Schullehrer, und so oft dieser die Intonation vollendet hatte, stimmte Brosi mit mächtiger Stimme den Gesang an; er war in den Kirchenliedern nicht minder bewandert, wie in Liebes- und Schelmenliedern, und war imstande, einen ganzen wankenden Chor aufrecht zu erhalten. »Mir nach!« sprach dann seine aufrechte Haltung, wenn er sich erhob, und die Leute ließen es darob nicht an wirklichem und übertriebenem Lob fehlen, worauf er oft seinen Spruch hervorbrachte: »Mein Mann ist koanr.« Mit seligen Hoffnungen und Verheißungen gespeist, ging Brosi nach Hause, blieb unterwegs bald bei diesem, bald bei jenem stehen und sprach über allerlei. Je näher er aber seinem Hause kam und den Rauch von der Luke des Strohdaches aus dem weißen Schnee aufsteigen sah, um so mehr schmunzelte er in der Zuversicht eines besonderen Genusses, der auch nie fehlte. So oft er auch sein gutes Dutzend faustgroße Leberspatzen verzehrte, jedesmal rühmte er, daß gewiß, so weit man kocht, niemand solche Leberspatzen bereiten könne wie seine Moni. Überhaupt war es ausgemacht, daß die beiden Ehegatten einander sehr viel lobten; aber Brosi erhielt auch hier den größeren Teil, und wer es noch nicht gemerkt hat, dem sei es jetzt ausdrücklich gesagt, daß Brosi eigentlich von Grund des Herzens eitel und lobsüchtig war, und zwar sehr eitel und sehr lobsüchtig.

Während der Mittagskirche saß Brosi vor einem durchschossenen Kalender und schrieb – er war ja von Endringen und hatte Schreiben, Tafelrechnen und Lesen gelernt, und das konnte damals unter zehn kaum einer –, mit harter Hand verzeichnete er den Arbeitslohn der Woche, was er davon erhalten und noch gut hatte und wieviel Klafter er überhaupt zu Tal geliefert; daneben wurde der Schindelnverkauf genau berechnet und jede besondere Ausgabe, wie etwa die Herrichtung einer zerrissenen Sperrkette, verzeichnet. Brosi hätte das alles wohl im Kopf behalten können, aber erstlich erschien er sich in einer besonderen hausväterlichen Würde bei solcher Buchführung – und Moni vergaß es nicht, ihn gebührlich darob zu loben –, und dann war es ihm in der Tat, als ob er sich eine Last abnehme, wenn er diese Sachen aus dem Gedächtnis schaffte; da auf dem Papier stand es sicher und fest, und wenn es eintönig aus der Kirche läutete, hing er den Kalender mit besonderem Behagen an den Nagel.

Junge Männer, die zu einer selbständigen Wirtschaftlichkeit gelangen, beginnen leicht eine übermäßig genaue Buchführung, lassen aber ebenso leicht bald ganz davon ab, im stillen Vertrauen, daß sie nichts Unnötiges verausgaben. Wir werden aber im Verfolge unserer Erzählung sehen, daß Brosi seinem Vorsatze durch länger als ein halbes Jahrhundert getreu blieb, und eben diese wohlgeordnete Sammlung von Kalendern, unter denen die leider nur wenigen Jahrgänge des unübertrefflichen »Rheinländischen Hausfreundes« sehr verlesen sind, diente uns vielfach als Stützpunkt zu den Ereignissen im Leben Brosis und erweckten ihn zu ausführlichen Berichten; denn wenn er nur in diese Blätter hineinsah, stand wieder alles so lebendig vor ihm, als wäre es erst heute geschehen.

Oft war auch Brosi rascher fertig mit seinen Aufzeichnungen und fand dann noch Zeit, bei einem Nachbar einzusprechen. Das hatte aber Moni nie gern, sie sprach es nur einmal aus, und als das nicht gut wirkte, so arbeitete sie fortan im geheimen mit allerlei Künsten daran, daß ihr Mann sich nicht daran gewöhne, seine Unterhaltung außer dem Hause zu suchen und, kaum den Löffel aus dem Mund, fortrenne, sondern daß er am liebsten daheimbleibe.

Damals war noch allgemein Sitte auf dem Walde, daß allsonntäglich nach dem Nachtessen die Eheleute, wenn sie gut miteinander lebten, gemeinsam ins Wirtshaus gingen. Es war nicht wie heute, wo der Mann sich allein einen frischen Trunk vom Fasse holt und die Frau mit versäuertem Gemüte daheim läßt. In der Regel gingen die Frauen aber, besonders solche, die Kinder und ein großes Hauswesen hatten, wenn sie vom Glase genippt hatten, bald wieder fort, und dieser Wirtshausgang war mehr eine Musterung über das Eheleben.

So ging auch Brosi das Dorf hinein und seine Frau hinter ihm, sie tat das nicht anders, sie ging nie voraus.

Im Wirtshaus war strenge Rangordnung, und niemand dachte sie zu durchbrechen. Die Großbauern hatten ihren besondern Tisch und bekamen Flaschen und Gläser dazu, die Halbbauern saßen wieder gesondert und hatten glatte Schoppengläser, die Häusler, zu denen Brosi gehörte, saßen ebenfalls für sich und hatten gerippte Gläser. Dem Eintretenden brachte es indes dieser und jener zu, und er mußte aus jedem Glase trinken mit einem »Gesundheit!« beim Ansetzen und »Groß Dank!« beim Absetzen. Wenn Brosi eintrat, war keiner in der Stube, der es ihm nicht zubrachte, denn er war von allen wohlgelitten, und daran hatte besonders Moni ihre Freude; sie strahlte vor Glückseligkeit, sie, die Vereinsamte, Verstoßene, die nun durch ihren Mann in die Gemeinschaft der Menschen aufgenommen war. Solche, die früher kaum nach ihr umgeschaut und kein gutes Wort für sie hatten, taten jetzt, als ob sie von jeher die besten Freunde zu ihr gewesen wären, und die Großbauern sprachen mit ihr und sagten, man sehe es erst jetzt, daß sie eigentlich ein »sauber Mädle« gewesen sei. Das alles verdankte sie ihrem Brosi, der sie nicht mit den anderen Frauen fortgehen ließ, sondern bei sich behielt, bis sie sich unversehens zu der Wirtin in die Schenke machte, denn sie war oft bald die einzige Frau unter den vielen Männern.

Haldenbrunn gehörte zu Vorderösterreich, und der Krieg mit den Franzosen, in dem viele Söhne aus dem Dorfe sich befanden, bildete natürlich das erste Gespräch; der Sieg Erzherzog Karls bei Stockach, der Rückzug der Franzosen über den Rhein, Bonapartes Rückkehr nach Frankreich, die Gefangennehmung des Papstes, nachträgliche Berichte über den Gesandtenmord in Rastatt, das alles lief wirr durcheinander mit Vermutungen über die Zukunft. Bald aber verließ man die hohe Politik, bei der nur die Großbauern das Wort führten, und kam auf Näherliegendes.

Es ist allezeit wohlgetan, daß gesunde Menschen die Kraft in sich erwecken, mitten unter Drangsal und Bangen einen Scherz zu erhaschen, daß einem das Wasser in die Augen tritt. Das dachten die Haldenbrunner nicht, aber sie taten es, und das ist am Ende gleichviel. Der Sohn des Nachtwächters, auch ein jungverheirateter Mann, des Uribasches Kalter genannt, weil er die Eigenschaft hatte, daß er nichts Warmes genießen konnte, war das Stichblatt des eben nicht wählerischen Scherzes; besonders am Tische der Großbauern gab es darob oft ein Lachen, daß der Tisch wackelte und Gläser und Flaschen aneinander klirrten. Brosi war dabei der erfindungsreichste Urheber neuer Scherze und Neckereien, und unversehens war er selber der Gegenstand des Hänselns geworden; er merkte das wohl, aber es erheiterte ihn, andere zu erheitern, und er gab sich selber zum besten, so viel man wollte.

An dem Abend, an dem dies zum erstenmal geschah, ging Moni still hinter ihrem Manne drein nach Hause, und so behutsam sie auch im stillen Kämmerlein sagte, daß er sich nicht zum Narren hergeben dürfe, sonst könne er künftig allein gehen und sie wolle diese Ehre nicht mehr mitgenießen – hierüber schmollte Brosi zum erstenmal mit seiner Frau, er sagte, daß er nicht ins Ehejoch gegangen sei, um alle Lustbarkeiten in sich ertöten und beschimpfen zu lassen, und er gab seiner Frau keine Antwort, als sie ihm gute Nacht sagte.

In dieser Woche ward Brosi die Arbeit doppelt schwer, pfiff keine Ländler beim Ausschnaufen im Tale. Moni war stets gleich freundlich, er wartete indes stets, daß sie ihn um Verzeihung bitte; sie aber tat das nicht, und Brosi ging immer zu Bette, ohne zuvor seinen ersten Schlaf auf der Tischbank zu halten.

Am Sonntagmorgen, als ihm Moni den Rock anziehen half, ihm Hut und Gesangbuch darreichte, sagte Brosi endlich:

»Moni, kannst du mich so in die Kirch' gehen lassen? Hast dich noch nicht besonnen? Bittst mich nicht um Verzeihung, daß du mich einen Narren geheißen hast?«

»Das hab' ich dich nicht geheißen, ich sag' bloß, du läßt dich dazu machen.«

»Das ist gehupft wie gesprungen, das ist ebensoviel.«

»Nein, das ist nicht ebensoviel, aber geh nur jetzt.«

»Nein, ich geh' nicht, und wenn alle Leute fragen, warum ich nicht in die Kirch' kommen bin, ich geh' nicht!« rief Brosi und versuchte den Rock wieder auszuziehen.

»Denk' nach, ich hab' dir nichts Böses tan, geh jetzt«, bat Moni.

»Denk' du nach,« schalt Brosi, »es ist an dir.«

»Wenn du meinst, ich hätt' dich beleidigt, bitt' ich dich um Verzeihung«, beschwichtigte Moni.

»Ich mein's nicht, es ist so, da soll man die ganze Welt fragen, ob's nicht so ist.«

»Und ich bin auf dem Glauben, daß ich nichts Böses tan hab'«, beharrte Moni.

»Da soll doch ein Millionendonnerwetter!« schrie Brosi und zerrte den Rock vom Leib.

»So ist's recht. Kommt's jetzt schon? Ich hab's gewußt, daß es mit dem Gepätschel und Getätschel bald aus sein wird«, kicherte eine Stimme aus dem Hintergrunde, und wie versteinert stand Brosi und hielt den Rock in der Hand. Das Apothekerrösle lachte noch frohlockend. Moni zog ihren Mann aus der Stube, und draußen sagte sie:

»Brosi, du bist ja der bravste Mann von der Welt, und deine Ehr' ist's ja nur, worauf ich bedacht bin: wenn ich's ungeschickt gemacht hab', denk', ich bin nicht gescheiter; ich kann nicht lügen, das willst du gewiß auch nicht. Jetzt geh in die Kirch' und bitt' Gott, daß er mich gescheiter macht und dich – und dich läßt, wie du bist.«

Sie half ihm nochmals den Rock anziehen, und mit großen Schritten eilte er nach der Kirche, ging aber, um kein Aufsehen zu erregen, zu dem Lehrer auf die Orgel. Heute sang er nicht vor, er betete überhaupt nichts von dem, was im Buche stand, er betete immerdar inbrünstig zu Gott, daß dies der erste und letzte dumme Streit mit seiner Frau gewesen sein möge. Auf dem Heimwege hielt er sich bei niemand auf, sondern eilte zu seiner Frau in die Küche und »du hast recht, du hast recht«, sagte er stets, wenn Moni ihm erklärte, daß sie ja seine Lustigkeit nicht unterdrücken wolle; im Gegenteil, ein Mann, der das ganze Jahr eine Ehrenhaltung bewahre, der dürfe schon einmal das Garn auf dem Boden laufen lassen und seine jungen Jahre genießen: wenn man aber allezeit den Lustigmacher spiele, sei man bald der Garnichts, sie selber sei auch noch gern lustig und hoffe, daß ihr noch lange die Musikanten die liebsten Handwerksleute seien.

»Ich brauch' Gott nicht bitten, daß er dich gescheit macht«, sagte Brosi schmunzelnd. Der Friede war geschlossen, und wie das immer geht: ein Friedensschluß zwischen Liebenden erweicht die Gemüter gar sehr, eines will dem andern sein Gutsein dartun und in besonders eindringlicher Weise, wie solches der ungestörte Fortgang nicht hervorgebracht hätte. Moni lehnte indes jede Auswägung des Schuldanteils an der Mißhelligkeit klüglich ab, obgleich Brosi auch hier den größeren Teil auf sich nehmen wollte; sie sagte immer: »Das Wasser ist den Bach 'nab und vorbei.«

Beim Essen, wo es wieder munter herging, mußte Moni ihrem Manne viel zureden, aber beim besten Willen brachte er es heute nicht zu seiner gesetzten Zahl Leberspatzen; der Zank am Morgen hatte ihm doch die Eßlust etwas verdorben. Moni versprach, den Überrest auf den nachkommenden Hunger aufzubewahren.

Als sie am Mittag nach der Kirche ging, erschloß es ihr plötzlich wie eine Offenbarung; sie konnte bei ihrem Manne alles zuwege bringen, wenn sie bei einer Zurechtweisung ein Lob vorspannte. Voll Dank und Freude saß sie in der Kirche und sang laut mit.

Brosi war unterdes daheim mit Aufzeichnung seiner Wochenarbeit bald fertig, aber noch lange saß er über das Blatt gebeugt und hielt die Feder fest, er wollte sich's zur Warnung aufzeichnen, daß er eine Woche Fröhlichkeit verloren und heute den ersten unnötigen Zank mit seiner Frau gehabt habe: aber wozu das aufschreiben? und noch dazu da, wo es jedermann lesen kann? Er konnte es aber nicht unterlassen, zur Erinnerung drei eingeringelte Kreuze zu machen, und wie gesagt, so oft er solch ein Blatt wiedersah, stand alles wieder deutlich vor ihm, und bei den drei eingeringelten Kreuzen erzählte er diese Geschichte aufs genaueste.

Am Abend, als zur Suppe die rückständigen Leberspatzen eingeheimst waren, ging Brosi wiederum mit seiner Frau nach dem Auerhahn. Er hatte ihr vorausgesagt, daß er nicht mit einemmal absetze, und hielt es auch so, er ließ sich nur maßhaltend zu Scherzen herbei.

Es gibt Menschen, die, wenn sie in Gesellschaft mit anderen sind, teils aus Langeweile, teils aus Gefälligkeit gerne Lachen erregen und dabei leicht ihre natürliche Laune überschrauben und sich selbst zum besten geben; sie spinnen sich ein Netz von Späßen, aus dem sie gar nicht mehr heraus können, auch wenn sie sehen, daß die Gutmütigkeit mißbraucht wird und man diese Opferung noch dazu für Eitelkeit hält.

Und noch eins: in vielen Kreisen der geselligen Lust hat man weit eher und länger seine Freude an lächerlichen und sogar an spottsüchtigen, als an eigentlich lustigen Menschen. Wer über das menschliche Leben nachdenken mag, der wird sich das leicht erklären, und es hat mehr als einen Grund.

Man findet Beispiele hierfür an albumbedeckten Tischen wie in tabaksdampferfüllten Dorfschenken.

Heute, da sich Brosi ruhiger verhielt, merkte er, in welcher Gefahr er gestanden hatte, denn einmal in die Rolle des Lustigmachers gekommen, ist es unsäglich schwer, sich ihrer wieder zu erledigen.

Jetzt war es noch Zeit, die Voraussetzung zu zerstören, daß er sich zu dem gnädigen Spaß der Großbauern hergebe.

Als er mit seiner Frau heimging, lobte er wiederholt ihre Klugheit, und es lag ein tiefer Schmerz um die verlorene Harmlosigkeit darin, als er hinzusetzte: »So geht es einem, wenn man in fremdem Ort ist, wo man einen nicht von Jugend auf kennt; da sind die Menschen wie Räuber auf einen hinein. So getreue Menschen, wie in Endringen, die gibt's nicht mehr in der ganzen Welt.«

 

Achtes Kapitel.

Das war das erstemal, daß sich ein seltsames Heimweh in Brosi festsetzte, und dies behielt er, wie wir sehen werden, sein Leben lang.

Was ist aber alle Menschengeltung und alles Sinnen und Grübeln, wenn's wieder an die Arbeit geht? Dahin wie der Schatten einer fliegenden Wolke. Das ist der Segen aller Arbeit, zumal der leiblichen Hantierung, daß sie den Menschen wieder auf sich stellt: vergessen und nicht dagewesen ist alle kleinliche Verstimmung, die in der Müßigkeit der Mensch über sich kommen läßt, oder die andere ihm einflößen.

Wenn Brosi in seine Werktagskleider schlüpfte und seinen Schlitten auf die Schultern nahm, wußte und wollte er nichts mehr davon, ob man ihn für einen närrischen Spaßmacher hielt oder nicht; er hatte eine brave Frau, verdiente sein Brot und noch eine Ersparnis dazu, und nun mögen andere auch treiben und denken, was sie wollen; er pfiff seine Ländler so lustig wie je und blieb dabei, daß er sich seinen Frohmut von niemand nehmen lasse.

Es hatte nach einem Tauwetter tüchtig gefroren, und mit den Steigeisen sich scharf einhakend, marschierte der Trupp nach der Spitze des Kappelberges. Brosi mußte wiederum zuerst auf die Bahn. Er hatte ein halb Klafter auf den Schlitten und die Sperren geladen, aber kaum ist er damit am Bergeshang, da treibt es ihn so gewaltig, daß es ihn vom Boden hebt und er zappelnd sich mit beiden Händen noch an der Gabel festhält, und durch einen glücklichen Schwung treibt er den Schlitten seitwärts und gewinnt wieder den Boden unter den Füßen, er steift sich mächtig zurück, sich fast ganz zurücklegend, und schaut hin und her, um nirgends anzurennen oder eine Stelle zu erkundigen, wo er einen Widerhalt finde, um festzustehen. Die Kameraden oben schreien und pfeifen, aber er versteht nicht, was sie schreien, und was sie mit dem Pfeifen meinen; er sucht aus dem Gurte zu schlüpfen, den er über die Brust gespannt hat, und der ihn an den Schlitten heftet, er will dann eine rasche Wendung versuchen, um sich hinter den Schlitten zu bringen und ihn allein den Berg hinabstürzen zu lassen; aber er kann hüben und drüben keine Hand loslassen; der Gurt reicht ihm vom Bücken schon bis ans Kinn, doch er kann mit dem Kopf nicht durchschlüpfen, und jetzt stößt es ihn plötzlich wieder vorwärts, als ob der ganze Berg hinter ihm dreinschiebe. Er sieht und hört nichts mehr, und fortgeschleudert und mit dem Schlitten über einen Hang hinab durch die Luft fliegend, befiehlt er Gott seine Seele; da kracht und poltert es, er liegt zur Seite geschleudert, er lebt, er hebt den Kopf empor, und dort überstürzt sich der Schlitten zwei-, dreimal und liegt endlich an einen mächtigen Felsen angerannt. Brosi erhebt sich auf die Knie, die zitternden Hände ineinander faltend, betet er ein Vaterunser, und inbrünstiger wurden diese Worte gewiß nie gesprochen, als hier in der erstarrenden Bergschlucht.

Wäre Brosi nicht auf fast wunderbare Weise aus dem Gurte geschlüpft, er läge jetzt dort am Felsen zerschmettert. Das Herz im Leibe zitterte ihm, als er jetzt aufstehend an Moni und das traurige Geschick des vor der Geburt Verwaisten gedachte; er begann nochmals ein Vaterunser, als er es jenseits des Felsens krachen und splittern hörte, und dann war alles still. Er konnte nicht weiter und setzte sich wie zerschlagen auf den umgestürzten Schlitten; da vernahm er wieder Schreien und Pfeifen, sie suchten ihn gewiß, und mit angestrengter Kraft rief er laut zwischen die beiderseits vorgehaltenen Hände: Hallo! Von allen Seiten antwortete es ihm, und der Jörgtoni, bei dem Brosi früher als Schlafgänger gewesen war, stand zuerst vor ihm.

»Hast du den Uribasche nicht gesehen? Er ist hinter dir drein«, fragte der Jörgtoni, ohne die glückliche Rettung Brosis mit einem Worte zu erwähnen.

»Ich weiß von niemand was, ich dank' Gott tausendmal, daß ich noch von mir weiß«, antwortete Brosi, und bald standen die andern mit leeren Schlitten bei ihm; des Uribasches Kalter jammerte kläglich nach seinem Vater.

Man umging den Felsen, Brosi schlich mühsam hinterdrein, und der Jörgtoni, der wieder der erste war, rief laut:

»Daß Gott erbarm, da liegt er tot!«

Alle standen festgebannt, lautlos, nur des Uribasches Kalter wimmerte und jammerte, und die Zähne klapperten ihm.

»Das ist rack aus gewesen«, sagte der Jörgtoni, der den Zerschmetterten untersuchte. Man lud ihn auf zwei zusammengebundene leere Schlitten, deckte ihm mit dem Kittel, den man ihm auszog, das Gesicht zu, drei Mann spannten sich vor, und auf mühsamen Umwegen auf dem eingefrorenen Bache führte man die Leiche nach dem Dorfe. Der Sohn des Uribasche ging hinterdrein, in der einen Hand trug er die Mütze des entseelten Vaters und wischte sich damit die Tränen ab, die alsbald gefroren, in der andern Hand trug er ein Stück Brot, das dem Vater aus der Tasche gefallen war; er sah wehmütig darauf, man wußte nicht, ob aus Kummer, oder weil er nicht wußte, ob er dreinbeißen solle.

Brosi folgte still und matt, es fror ihn mächtig, als aber die Ziehenden abwechselten, spannte er sich selbst auch vor, und die Anstrengung brachte ihn zu neuer Kraft.

Im ganzen Dorfe war Jammer und Wehklage über den so jähen Tod des Uribasche, ein jedes wollte sein bester Freund gewesen sein und hatte schöne Taten von ihm zu erzählen, besonders die Frauen, die sich auch hier am zahlreichsten einfanden, stimmten darin überein, daß man solch einen braven Nachtwächter nie mehr bekomme. Diese hatte er immer pünktlich geweckt, wenn sie große Wäsche hatte, jener hatte er eine verlaufene Gans heimgebracht und einer andern ein vergessenes Stück Tuch von der Bleiche geholt. Auch der Kalte, der sonst meist nur Spottreden erfuhr, lernte zum erstenmal die guten Worte der Menschen kennen; er stand aber noch immer wie vergessen da, rührte nicht Hand noch Mund und hielt die Mütze in der einen und das Stück Brot in der andern Hand. Von der wunderbaren Rettung Brosis sprach niemand eine Silbe. Als er heimwärts ging und ihm Moni entgegeneilte, ihn auf offener Straße umarmte und weinend rief: »Gott Lob und Dank, daß du gesund bist!« da sagte er: »Ja, ich dank' Gott, daß ich dich hab'; ich hab' doch einen Menschen, der sich freut, daß ich noch da bin, die andern, die tun, wie wenn ich gar kein Mensch wär', weil ich von Endringen bin. Das Nest ist's aber nicht wert, daß einer von Endringen hier Burger ist.«

Moni hatte viel zu tun, ihm diesen Ärger auszureden, sie verschluckte den Kummer, daß er immer Endringen wie ein Paradies lobte und ihren Geburtsort so herabsetzte; nach echter Frauenart sagte sie:

»Dank' Gott, daß er uns nicht härter gestraft hat, weil wir in Unfriede gelebt haben; er hat uns gezeigt, was wir verdienen. Gott Lob und Dank, daß die Warnung so an uns vorbeigegangen ist!«

Dem Uribasche galt das erste Läuten der Totenglocke von Haldenbrunn, und seitdem heißt diese Glocke der Uribasche. Dieses Andenken ist länger geblieben, als das andere, das ihm errichtet ward; das hölzerne Kreuz draußen am Felsen des Kappelberges, wo er den Tod fand, ist längst versunken und verschwunden.

Am nächsten Sonntag schrieb indes Brosi in seinen Kalender: »Der Herr über Leben und Tod hat mich vor einem frühzeitigen Ende bewahrt; ihm sei allezeit Preis und Dank. Ulrich Sebastian genannt Uribasche †.«

Des Uribasches Kalter übernahm die Bedienstung seines Vaters als ein Erbamt; man überließ es ihm ohne Widerrede, solange das Mitgefühl um den Tod des Vaters noch frisch war; gegen Neujahr aber mehrten sich die Klagen, daß man dem halben Simpel die Bewachung des Dorfes überlasse, zumal in so gefahrvollen Zeiten, und der Bewerber fanden sich viele.

Brosi ging seiner Arbeit nach; aber auf allen, die sie vollzogen, lag eine Bangigkeit: der Tod des Uribasche machte sie beklommen, und vor der Abfahrt wurde jetzt oft still gebetet.

Moni erzählte ihrem Manne, daß der Kalte nicht mehr lange Nachtwächter bleibe, und Brosi sagte scherzend, das wäre ihm für den Winter ein fröhliches Amt, und er würde die Holzfuhren dann aufgeben.

Am anderen Tage sah man Moni ungewöhnlich viel im Dorfe umherlaufen, sie ging bei den Großbauern umher, die im Auerhahn so freundlich mit ihr gesprochen hatten.

Als es am Neujahrstage zur Wahl kam, erhielt Brosi die gewichtigsten Stimmen; er tat aber noch ein übriges, teilte das Amt mit dem Kalten, der auch in den kurzen Sommernächten den Dienst allein versehen konnte und im Winter nur die Stunden vor Mitternacht anzurufen hatte: die nach Mitternacht behielt sich Brosi.

 

Neuntes Kapitel.

Der Uribasche hatte den Tod erleiden müssen, der auch Brosi bedrohte, jetzt erbte dieser noch gar das Amt des Verstorbenen, und just mit dem Jahrhunderte trat Brosi sein Amt an. Haldenbrunn hatte die schönsten Glocken in der Umgegend und den gewecktesten, hellgestimmtesten Nachtwächter dazu. Mit einer Andacht und einer Fröhlichkeit, die jedem, der es hörte, das Herz erfreuen mußte, sang Brosi die Stunden an. Es war ihm eine Lust, in den als Gemeindeeigentum ererbten Schafpelz und in die Ohrenkappe versteckt, mit der Hellebarde in der Hand oft zum wandelnden Schneemann geworden, durch das Dorf zu schreiten und mit heller Stimme mahnend und tröstend die Stunden zu verkünden; da ging er hin in stiller Nacht, und niemand hörte ihn als sein eigen Ohr und der Gott über ihm, und er sang so schön und aus voller Seele, er schenkte sich keinen Vorschlagton, so oft er auch die Weisung wiederholte, die Töne kehrten wieder in seine Seele zurück wie eine Botschaft vom Himmel, und sein Geist wurde größer und allezeit fröhlicher in der einsamen Nacht. Es schlafen die Menschen, Leid und Freud ist dahin, draußen stehen die Sterne und schauen glitzernd hernieder und warten, bis der Tag erwacht.

Zwölf, das ist das Ziel der Zeit,
Mensch, bedenk' die Ewigkeit,

sang Brosi und schritt dahin, so wünschelos, so in sich gesättigt, als wäre er allein auf der Welt und wiederum schon in der Ewigkeit.

Und in einsam stiller Nacht legte Brosi einen großen Teil seiner Eitelkeit ab, er sang seinen Spruch so voll, so ganz, mochte ihn ein Mensch hören oder nicht. Fröhlich und fromm, in jedem Tone glückselige Zuversicht, klang es, wenn er den Tag anrief:

Hört, ihr Herrn, und laßt euch sagen:
Unsre Glock hat vier geschlagen.
Vierfach ist das Ackerfeld,
Mensch, wie ist dein Herz bestellt?

Alle Sternlein müssen schwinden,
Und der Tag wird sich einfinden;
Danke Gott, der uns die Nacht
Hat so väterlich bewacht.

Einst in stiller Winternacht hatte ein menschenfreundlicher Herr seine Herberge im Dorfe genommen, es war ein Mann von wohlwollendem und fröhlichem Herzen, das die Gedanken der Menschen in sich trug, die nur dürftige Kunde geben können von dem, was sie bewegt. Der Mann erwachte in dunkler Nacht, er hörte den Wächter draußen rufen, ein Heimweh bemächtigte sich seiner nach dem schlichten Reden und Denken der Volksgenossen, unter denen er einst gelebt, und er hieß die Sprache feststehen, die bisher nur die Luft getragen, und faßte das klanglos verborgene Leben in melodisch gebundene Worte.

Der Mann, der nachmals Brosi so viel heitere und erquickende Geschichten erzählte, der allemannische Dichter, wurde von ihm in stiller Nacht zum Innewerden seines Heiltums erweckt.

Der Wächter und der Dichter haben nie voneinander den Namen erfahren, und doch wurden beide einander zum Heile.

Brosi erfuhr nur von minder bedeutenden Zuhörern das Lob über sein Taganrufen, und er konnte sich nicht enthalten, auf solchen Ruhm hinzuzusetzen: »Mein Mann ischt koanr«, aber er sagte diesen Spruch doch nicht mehr so ungemessen selbstzufrieden wie sonst.

Ein Nachtwächter hat aber nicht immer gottselige und fromme Gedanken, sein Gemüt ist weit weniger allezeit empfänglich als seine Kehle, und wo nächtige Gesellen beisammen sitzen und sich am kühlen Wein laben, da kann man sich darauf verlassen, daß der Nachtwächter unter sie tritt, nicht als nachgeborener Cherub der Polizei, der die Seligen aus dem Paradiese vertreibt mit rostiger Hellebarde; nein, er setzt sich ruhig an den Seitentisch beim wärmenden Ofen und täuscht sich nicht in der Hoffnung, daß die Seligen gern spenden, und auf die Frage, welche Zeit es sei, hat er die trostreiche Antwort: »Noch früh am Tag. Erst ein Uhr.« Wie manchen guten Trunk hätte Brosi verschlafen, wenn er nicht Nachtwächter geworden wäre, und er hatte oft die Genugtuung, daß ihn lustige Zechbrüder zu sich riefen, wenn er die Stunde ansang. Ein Amt, und sei es auch das geringste, gibt doch alsbald auch eine Würde. Brosi ließ sich durch kein Zureden und Versprechen dazu herbei, selber mitzujubeln und tolle Streiche zu machen; er störte die Lustbarkeit der andern nicht, aber er selber blieb in Amt und Würde.

Oft hatte er noch die besondere Sendung, den Kappelbauer heimzugeleiten. Dieser zechte und kartelte oft Nächte hindurch mit dem Auerhahnwirt, und die leichten Karten spielten nach und nach ganze Morgen Hochwald in die Hände des Wirts. Der Kappelbauer war kinderlos, hatte aber dafür eine Frau, die mehr Lärm machen konnte, als zehn Kinder in der Abenddämmerung. Wenn nun der Kappelbauer seinen richtigen »polnischen Rausch« hatte, wie er es nannte, stützte er sich auf die befreundete Macht Brosi und begann in mehr als liebevoller Hingebung zu klagen, welch eine böse Frau er habe und wie sie ihn die wenigen Stunden nicht werde schlafen lassen. Er konnte dabei untereinander fluchen und weinen, bis Brosi einst ein kluges Mittel fand:

»Weißt was?« sagte er, »wenn deine Frau zankt, daß schon so spät sei, sagst, es sei ja erst zehne, und ich steh' vor deinem Haus und ruf zehne an.«

Der Kappelbauer weckte sogar seine Frau, und als Brosi den Zank losgehen hörte, rief er mit verstellter Stimme, als wenn des Uribasches Kalter sänge, zehn Uhr an, und nur noch ein lautes Lachen erscholl, dann ward es still im Hause des Kappelbauern.

Einen ganzen Winter lang ging dieser Betrug vor sich, und außer den beiden Beteiligten wußte niemand davon als der Auerhahnwirt. Brosi machte sich nicht im geringsten ein Gewissen daraus, die ganze Wahrhaftigkeit seines Berufes zu mißbrauchen, und doch war es derselbe Mann, der zuzeiten von den heiligsten Gedanken getragen dahinschritt; der Übermut des Scherzes deckte alles zu, und die Trinkgelder des Kappelbauern waren reichlich. Gemahnte ihn doch bisweilen eine innere Stimme, so beschwichtigte er sie mit dem Einwande, daß der Kappelbauer auch ohne diese Beihilfe sein Leben nicht ließe und nur Zank dadurch verhütet werde, daß der Kappelbauer nicht mehr lange lebe und die Witwe noch immer reich genug bleibe; im nächsten Winter aber, wenn der Kappelbauer doch noch leben sollte, gelobte er sich diesen Betrug nicht mehr mitzumachen.

Auf Diebe hatte Brosi wenig zu achten, denn es gab damals in Haldenbrunn nichts zu stehlen als etwas Holz, und dessen konnte man bei Tag genug habhaft werden; aber manchem Burschen, der aus einem Fenster sprang und durch die Schatten an den Häusern dahinhuschte, winkte er mit der Hellebarde und rief ihm auch einige Spottworte nach. Oft klopfte er auch an ein Haus und weckte die Leute, wenn er hörte, daß eine Kuh kalben wollte, ein Pferd sich losgerissen hatte, und das trug immer ein paar Töpfe Milch oder einige Kocheten Kartoffeln ein.

Von den Holzfuhren hatte sich Brosi nicht losmachen können, denn der Revierförster, der anfangs Winter getan hatte, als ob er ihm eine überschwengliche Gnade angedeihen ließe, hielt ihn jetzt aus Mangel an Holzknechten fest. Brosi war damit zufrieden, er ging immer bei Tag in den Wald, sah mit unnennbarer Erquickung, daß sich sein Besitztum täglich vermehrte, und Brosi war der lustigste Schlittengaul, wie er sich oft nannte.

Nun kam noch das glückliche längstersehnte Ereignis, daß das »brave Kühle« endlich kalbte. Der Sprößling war so starkknochig, daß nur zu bedauern war, daß man seine fernere Entwicklung nicht miterleben durfte; dafür legte aber auch schon nach acht Tagen der Metzger zwei harte gediegene Kronentaler auf den Tisch und noch zwölf Kreuzer Trinkgeld für die Moni; diese war schon ohnedies im gelobten Lande, denn eine neumelkige Kuh im Stall ist für eine wirtliche Frau eine Wonnezeit, und noch dazu begannen die Hühner schon wieder zu legen. Fülle und Reichtum war im Haus und bar Geld dazu. Moni sang wie ein junges Mädchen im Haus umher, und Brosi sang mit.

»Jetzt sind wir reich. Jetzt haben wir zwei frischmelkige Küh'«, sagte er eines Tages, und Moni erwiderte:

»Ich dank' Gott für die eine.«

»Und wir haben doch zwei.«

»Ich hoff' auch, wir kommen mit Gottes Hilfe noch dazu.«

»Nein, wir haben's jetzt schon.«

»Mach' mich nicht zum Narren«, schalt Moni verdrossen, und schelmisch erwiderte Brosi:

»Wir haben doch zwei frischmelkige Küh'. Du mußt noch lang wachsen, bis du da 'rauf reichst,« sagte er, auf die Stirn deutend, »dein brav Tierle im Stall ist die eine und mein Amt ist die zweite Milchkuh. Jetzt sag', bin ich ein Narr?«

»Ich wollt', die ganz Welt wär so närrisch wie du.«

»Und ich wollt's nicht. Ich will was Apartes haben.«

Es gibt eine Fröhlichkeit, eine innere Durchleuchtung, die sich in gar nichts Besonderem, ja nicht einmal in Worten ausspricht: eines der Ehegatten oft fern von dem anderen hat die vergnügtesten Stunden mit ihm, sei es im Alleinreden oder im inneren Gedenken, und wenn sie sich begegnen, lachen sie einander aus, sie wissen nicht, warum, und wollen es nicht wissen. So lebten Brosi und Moni seelenvergnügt, während draußen die beginnenden Frühlingsstürme rasten, und wenn das Apothekerrösle noch immer keifen wollte, verstand Brosi oft, es lachen zu machen.

Wenn Brosi um zwölf Uhr sein Amt antrat, stand Moni mit ihm auf und spann, bis der Tag anbrach, so sehr auch das Apothekerrösle schalt, daß man ihm auch noch die Nachtruhe raube. Moni hängte einen Rock an das Himmelbett und spann hinter demselben, und wenn Brosi in der Zwischenzeit des Anrufens nach Hause kam, sprach sie leise mit ihm oder ließ ihn einschlafen und weckte ihn mit dem Glockenschlag. Es waren für ihn jetzt manchmal böse Zeiten, der Sturm raste, daß Brosi nur mit höchster Gewalt seine Haustüre öffnen konnte, die ihm alsbald wieder aus der Hand geschlagen wurde, so daß das Apothekerrösle in der Stube immer laut aufschrie; draußen auf der Straße heulte und toste es, als wollte der Wind alle Wälder zusammenbrechen und die Wohnungen der Menschen in die Luft davontragen; und damit keine Stimme ertöne als das Brausen des Sturmes, riß dieser dem Wächter das Wort von den Lippen, daß er es selber kaum hörte; drehte Brosi sich um und sang nach der anderen Seite, so kam der Wind auch hier herangesaust und benahm ihm fast den Atem. Sturmentgegen wie durch reißende Wogen mußte sich Brosi fortarbeiten, und nur eines war gut; es fiel kein Ziegel von einem Dache, denn alle Häuser des Dorfes, ausgenommen die Kirche, das Pfarrhaus und der Auerhahn, waren mit Stroh gedeckt.

Brosi tröstete seine Frau, die über solches Unwetter klagte und immer behauptete, so sei es noch nie gewesen; er beteuerte stets, er freue sich dieses Sturmes, der bringe den Frühling und mit ihm die lohnreiche Bauzeit.

Noch lag tiefer Schnee in den Schluchten, als sich Brosi auf die Wanderschaft begab, er wußte noch nicht, wo er Arbeit finden werde. Moni ließ es sich nicht nehmen, ihm ein gut Stück das Geleite zu geben, sie nahm aber auch gleich ein Beil und einen Strick mit, um auf dem Heimwege dürres Holz zu sammeln. Die Wolken standen noch fest auf dem Berge, über den die beiden Eheleute hinschritten, sie sprachen nichts vom Abschied, und Moni sagte:

»Wenn ich ein geschickts Wiesle kaufen kann, tu' ich's. Ich mach' hundert Ellen Tuch, daraus lös' ich ein Ordentliches, und etwas bar haben wir auch noch. Hätt'st dir doch noch einen Gulden mitnehmen sollen.«

»Ich komm' schon fort,« beruhigte Brosi, »aber was ich dir noch einmal sag', versprich mir, daß du dir nichts abgehen läßt, das Näherlisle soll dir warten, und neun Tag bleibst im Wochenbett.«

»Das versprech' ich nicht, aber drei Tag, da hast mein' Hand drauf.« Brosi hielt die Hand fest und stand still, indem er sagte:

»Ich schreib', wo ich bin, und der Lehrer soll mir gleich anzeigen, was es ist, ein Bub oder ein Mädle ist mir gleich, wenn's nur wuselt. Wenn ich dem Terkel nur auch gleich in die Augen sehen könnt' – aber es ist schon so recht, der Gipsmüller und sein' Frau wollen Gevatter sein, und die Namen weißt auch. Ich hab' dir nichts mehr zu sagen. Jetzt, weiter darfst nicht mit. Ich geh' da links 'nauf. Was ich vergessen hab', kannst dir selber sagen. Was du tust, ist mir recht, das weißt. Jetzt b'hüt dich Gott, Moni. B'hüt dich Gott, alter Schatz, und grüß mir den Terkel und laß ihn nur recht schreien, daß er auch gut singen lernt. Jetzt heul' nicht, du tust dem Kind schaden. Es ist nichts zu heulen. Geh', sing', ich halt' dir zu, solang ich dich hör'.«

Er schüttelte Moni die Hand und schritt davon. Moni setzte sich an den Wegrain, nach einer Weile aber rief Brosi aus dem Walde:

»Ich bitt' dich, sing.«

Und Moni begann:

Es wollt' ein Steinhauer wandern,
Auf die Wanderschaft wollt' er gehn.
Was begegnet ihm auf der Reise?
Ein Mädchen schneeweiß bekleidet:
»Wo 'naus, wo wollt Ihr hin?« –
»Ich such' ein Schatz auf Erden,
Oder willst du mein Schatz werden,
So komm' und bleib' bei mir.«

Brosi stand still und begleitete den Gesang, dann schrie er Juchhu, daß es von Berg und Tal widerhallte, und weiter schritt er singend, und Moni ging tiefer in den Wald, sammelte Holz und trug es heim; sie sang aber nicht weiter.

Das Haus war so leer, beim Essen war's so einsam, und hätte Brosi nicht gebeten, es dem Kinde zulieb zu unterlassen, sie hätte viel geweint; sie bewältigte sich und trug ihr Garn zum Weber, der aufrichtig beteuerte, kein so schönes noch auf seinem Webstuhl gehabt zu haben. Moni wünschte nur, daß auch ihr Mann dies Lob gehört hätte.

 

Zehntes Kapitel.

Das Erdreich wird aufgegraben und Stein an Stein zur Grundmauer gefügt, langsam schreitet der Bau fort, bis sich der Bau über die Erde erhebt, und in einem Tage türmt sich das Gebälke darüber, prangt die Maientanne auf dem Giebel und läßt die hellen Bänder im Winde flattern. Die Menschen, die des Weges kamen, schauten allezeit um nach dem Bau, still ahnend oder hell bewußt, daß wieder ein Fleck Erde der Heimat von Baum und Pflanze entzogen ist, um der Gemeinsamkeit eines Menschenlebens Raum zu gönnen. Wenn der Bauspruch ertönt, stehen sie lauschend versammelt, dann aber zieht ein jedes dahin und hat noch kaum einen Blick dafür, wie sich der Bau ausfüllt und im Innern vollendet.

Wir haben die Gemeinsamkeit des Lebens von Brosi und Moni sich erbauen sehen, wir kennen das Grundwesen desselben und wollen nun auch im Auge behalten, wie das Schicksal es wendet und wie sie seine Fügungen aufnehmen.

Moni war so glücklich, noch ihr Heu einzutun, und zwar auch das von der neuerworbenen Wiese im unteren Tale, die sie von der Witwe des wirklich verstorbenen Kappelbauern kaufte, und noch stand ein Handkarren voll unabgeladen im Schuppen, als Moni rasch und gesund eines derben Knaben genas, der seine Befähigung zum Sänger mit tüchtigem Schreien bekundete.

Die Tage, die Moni wiederum mit der Mutter allein gewesen, waren voll Hader und Verhetzung; die Mutter hatte eine teuflische Lust daran, der Tochter immer vorzusagen, daß der Brosi gewiß nicht wiederkäme, und wußte viele derartige Beispiele zu erzählen. Endlich kam ein zufriedener Brief von Brosi, worin er erzählte, daß er nach mühseligem Suchen zuletzt im Elsaß Arbeit gefunden. Moni hatte nicht das Glück, den Brief lesen zu können, aber sie trug ihn doch stets bei sich und war nicht mehr allein, und als sie das Kind in den Armen hielt, war sie eine glückselige Mutter und Frau.

Unterlieferanten waren in das Dorf gekommen und hatten zur Ausrüstung des Heeres alles Leinenzeug aufgekauft. Moni erhielt für ihren Vorrat ein schön Stück Geld, und in diesem Sommer baute sie selbst etwas Hanf, sie hatte einen Teil der neuerworbenen Wiese versuchsweise dazu verwendet und den Grasgarten am Hause in einen Kartoffel- und Krautacker verwandelt; dabei lebte sie so sparsam, daß sie noch Milch verkaufte. Die schwarze Henne, die immer am spätesten zu legen aufhörte und am frühesten wieder anfing, hatte gebrütet und elf Junge glücklich erzogen, deren Verkauf nun auch eine gute Beisteuer gab. Der kleine Knabe, den die Mutter immer in einem Korbe mit sich aufs Feld nahm, gedieh zusehends.

Der Sommer ging rasch vorüber. Brosi hatte einmal geschrieben und nicht wieder, man hatte ihm die Geburt seines Sohnes angezeigt, und dabei blieb es; bei sparsamen Landleuten ist das Postgeld das überflüssigste von allem. Moni hatte ihr Grummet eingetan und damit das ganze Haus vollgestopft, daß es ganz von süßem Duft erfüllt war; sie hatte ihren Hanf gejätet, gedörrt und gebrochen, die Kartoffeln eingetan und das Kraut eingeschnitten, so segenerfüllt, so spickvoll war das Haus noch nie gewesen. So oft Moni nach dem Walde ging, um Holz zu raffen, hielt sie sich möglichst in der Nähe des Waldweges, sie hoffte täglich, daß Brosi daherkommen müsse. Der Nebel stand schon wieder tagelang auf den Bergen, und endlich schneite es sogar; aber Brosi kam noch nicht, und Moni tröstete sich, daß drunten im Lande wohl noch heller Herbst sei und die Bauarbeit noch fortgehe.

Eines Abends, als der kleine Nachtwächter, wie ihn die Großmutter stets hieß, mächtig schrie, hörte man es vor der Türe plötzlich quieken wie von einem jungen Schweine; der kleine Nachtwächter horchte auf diesen Laut und war einen Augenblick still, da öffnete sich die Türe und –

»Wart', ich will dich«, rief eine starke Männerstimme. Der kleine Knabe schrie wieder, aber noch lauter als er rief Moni:

»Lieber Gott, lieber Gott! Mein Brosi«, sie faßte seine beiden Hände, er drückte sie rasch und beugte sich dann zu dem Knaben nieder, der den fremden Mann mit dem bereiften Gesichte, der ihn küßte, mit großen Augen anstarrte, dann aber wieder laut schrie.

»Der hat einen guten Brustkasten«, sagte Brosi und reichte nun auch der Schwiegermutter die Hand, die ihm aber kaum die ihrige reichte und sich nach der Wand umwendete.

»Hast der Mutter nichts mitgebracht?« fragte Moni leise.

»Zuerst bin ich da, das ist die Hauptsach'. Mit dem andern hat's Zeit«, sagte Brosi, tiefaufatmend sich auf die Bank setzend. »Gottlob, daß ich wieder da bin. Es sieht wüst aus in der Welt, die Menschen sind aufeinander, wie wenn eins das andere auffressen möcht'! Du bist aber schöner geworden, Moni, ich hab's gar nicht mehr gewußt, daß ich so eine nette Frau hab'.«

Er strich ihr mit der Hand über die erglühende Wange, dann hob er den Säugling sehr unbeholfen aus der Wiege und nahm ihn noch ungeschickter auf den Arm. Moni tat ihm das Häubchen ab und zeigte, wie viel Haare er schon habe, aber das Kind verlangte nach der Mutter, und Brosi ging vor die Türe und schleppte einen großen Quersack in die Stube, in dem es wieder quiekte. Er öffnete den Sack und sagte:

»Ich hab' noch etwas Lebiges mit ins Haus gebracht.« Er zeigte ein schönes junges Schwein mit vielversprechenden langen Ohren; da aber der Säugling die Freude der Mutter nicht teilte, sondern erbärmlich schrie, wurde der neue Mitbewohner wieder in sein vorläufiges Zelt gebracht und aus der anderen Seite des Sackes dem jungen Weltbürger ein rotbackiger Apfel gereicht, den er alsbald zum Munde führen wollte, was die Mutter indes abwehrte; aber der kleine Schelm verstand es schon, den Apfel auf den Boden fallen zu lassen, und lachte herzlich, da die Mutter mit liebkosendem Schelten ihm den Apfel stets wieder aufhob.

»Wie er so herzlich lacht«, jauchzte Brosi, und die Mutter behauptete, er könne noch viele Kunststücke, aber sie brachte ihn nicht dazu, daß er jetzt eines davon preisgab.

Brosi legte der Großmutter ein Täfelchen Schokolade auf das Bett und bemerkte frohlockend, er habe es in Erinnerung behalten, daß sie einst dieses Getränk gelobt; aber das Apothekerrösle kehrte sich nicht um und sagte nur: »Ich mag keinen, trink' du ihn, ich nehm's für genossen an.« Brosi biß auf die Lippen, aber Moni winkte ihm beschwichtigend und staunte nun über das schöne Obst, das er auf dem Tisch ausschüttete, wobei sie nicht vergaß, hinzuzusetzen, daß sie ihm die schönsten Zwetschgen aus dem Garten aufgehoben habe. Zuletzt gab es noch großen Jubel, als Brosi Wollzeug zu einem Sonntagskittel aus einem verschnürten Papiere auspackte.

»Es wär' nicht nötig gewesen, aber es freut mich doch und doppelt, und daß du so an mich denkst, freut mich«, äußerte Moni.

Da die Mutter sich noch immer teilnahmlos abwendete, zeigte sie die »Mitbring« dem Kinde und sagte:

»Guck, das hat dein Vater mitgebracht, dein Vater ist ein braver Mann, werde nur auch so. Streichel' ihm zum Dank«, sie nahm das Händchen des Kleinen und strich damit Brosi über die Wangen. Sie mußte ihm das Kind gehörig auf den Arm geben, und er tanzte und sang damit in der Stube umher, während Moni schnell das Essen bereitete und aus der Küche mitsang.

Moni hatte viel zu erzählen, und wie natürlich alles kunterbunt durcheinander, schließlich aber kamen sie doch immer wieder beide darauf zurück, daß sie glückliche Menschen seien, nicht durch die Liebe, davon sprachen sie nicht, sondern durch die Vermehrung ihres Besitztums; sie hatten es in diesem Jahre weitgebracht, hatten eine fast ganz bezahlte Wiese, und Brosi breitete all sein erworbenes Geld ein Stück neben dem anderen auf dem Tisch aus; er gab dem kleinen Knaben einen nagelneuen Fünflivrestaler als sein Eigentum, daß er damit zu hausen anfange.

War Brosi in Gedanken auch immer daheim gewesen, und sagte er oft, ein verheirateter Mann sollte eigentlich nicht mehr in die Fremde gehen, denn er habe sich fast vor sich selbst geschämt, welch ein Heimweh er anfangs hatte, so war ihm doch wiederum jetzt sein eigenes Leben neu; er empfand das Glück desselben, aber auch das Ungemach, das ihm beschieden war und fast unerträglich erschien. Das Apothekerrösle ließ nicht ab von seiner unbegreiflichen Verbostheit, und jedes gute Wort, das man ihm gab, war ebenso an ihm verschwendet, wie es am Hochzeitstage den Wein ausgeschüttet hatte. Brosi war indes Manns genug, um diesen Kummer in sich zu verwinden, und das schlafende Kind betrachtend, sagte er zu sich: »Du mußt dir's verdienen, daß deine Kinder auch einmal Geduld mit dir haben, wenn du bettlägerig und krittlig bist.«

Obgleich er von der Reise, er war heute zwölf Stunden gelaufen, müde war, wollte er doch noch heute sein Nachtwächteramt, das des Uribasches Kalter im Sommer allein versehen hatte, wieder antreten; aber Moni, der ihr kleiner Sohn mehr als die Stunden anrief, ließ ihren Mann ruhig die Zeit verschlafen, und als dieser erwachte, war es ihm nur noch gegeben, des Uribasches Kalten darin abzulösen, daß er für ihn den Tag anrief. Ungesehen von seinen Mitbürgern und ohne daß sie wußten, daß er da war, schritt er durch die Nacht dahin und ließ den Morgensang erschallen, so hell, so von ganzer Seele, daß ihm selber immer froher dadurch zumute ward, und mancher, der in stiller Nacht erwachte, dachte vor sich hin oder sprach es laut: »Der Brosi ist wieder da.« Zuletzt sang er noch vor seinem eigenen Hause, und es war ihm, als tönte ihm, als tönte jedes Wort wie ein Segen vom Himmel darauf nieder, und alles ist geweiht und beschirmt …

Am Sonntag mußte Brosi im Auerhahn viel erzählen, wie es »draußen in der Welt« aussieht, und er verstand es meisterlich. Der Zug Bonapartes nach Italien bildete das Hauptgespräch, bald aber fand sich eine näherliegende Verhandlung: die Jahresfeier der Kirchweihe fiel in so unruhige Zeit, daß man sie lieber aussetzen wollte. Brosi gewann aber mit seiner Meinung die Oberhand, daß man gar nicht absehen könne, wann die Welt wieder ruhig werde, darum müsse man lustig sein, solange es noch tagt.

Zur damaligen Zeit brauchte man noch nicht ein Hin- und Herschreiben vom Amte, um einen Schweinestall bauen zu dürfen. Brosi war damit gerade am Abend vor der Kirchweih fertig und konnte am anderen Tage seinen Gästen den Neubau und dessen Bewohner zeigen. Überhaupt war es für Brosi ein großes Fest, zum erstenmal in seinem Hause Gäste zu bewirten, und zwar so vornehme, wie den Gipsmüller und seine Frau, die zur Kirchweih gekommen waren. Moni verstand es, ihre geringe »Aufwartung«, den Zwetschgenkuchen und den Kirschengeist so nett auf ein schönes weißes Tischtuch herzurichten, und hatte dabei alles so zur Hand, als ob ein dienender Geist ihr alles darreiche, so daß Brosi das Lob der Gevatterleute mit innerstem Behagen bestätigte. Dabei war der kleine Kilian, der schon aufrecht auf dem Arm der Mutter saß, »angetan wie ein Graf«. Die Gevatterleute lobten ihren Paten gar sehr, und wie die Menschen in der höchsten Freude der Gegenwart immer auch leicht die Zukunft mit hereinziehen und die ganzen beglückenden Folgen des Gegenwärtigen genießen wollen, so sagte Brosi immer: »Und ich freu' mich, wie das erst schön sein wird, wenn ich den Kerl erst mit in die Fremde nehm', ins Geschäft. Wenn's nur schon gleich morgen wär'.«

Brosi war, wie wir wissen, ein Mann von starkem Selbstgefühl, aber er hatte doch seine besondere Freude daran, an einem so angesehenen Manne, wie der reiche Gipsmüller war, eine Anlehnung zu haben, das konnte ihm und seinen Kindern zugute kommen. Er ging zwar auf das Anerbieten des Gipsmüllers nicht ein, ihm bei einem geschickten Häusertausche (da das jetzige doch gar zu eng schien) beizustehen, behielt sich indes die Beihilfe des Gevatters für den Ankauf einer neuen Kuh bevor und erklärte sich schließlich gern bereit, statt der Holzfuhren dem Gevatter dreschen und in der Gipsmühle arbeiten zu helfen.

Schön ist's, im eigenen Hause die ganze Fülle seines Glücks zu haben, aber schöner ist's, auch draußen hilfreiche und herzgetreue Menschen zu wissen, bei denen man in Leid und Freud eine Heimat findet, und nicht als einzelner, sondern Familie zu Familie: die eigene Heimat ist erweitert und vergrößert, und von Haus zu Haus weht sichtbar und unsichtbar eine belebende Gemeinschaft.

Mit strahlenden Angesichtern geleiteten Brosi und Moni ihre Gevatterleute durch das Dorf nach dem Auerhahn. In allen Häusern hatte man heute Gäste, die man freundlich bewirtete, aber gewiß war man nirgends glückseliger und auch stolzer mit seinem Besuche, als Brosi und Moni mit dem ihrigen.

Im Auerhahn waren auch viele Endringer, die Brosi zutranken, er freute sich ihrer und versprach, auch nach Endringen zur Kirchweih zu kommen. Der Kirchweihtag war der einzige, an dem die gewohnte Tischordnung aufgehoben war, Brosi und Moni saßen vergnügt bei ihren Gevattern, die Gipsmüllerin durfte nur einen Schleifer tanzen, um so höher sprang aber Brosi mit seiner Frau, nicht zur Erfüllung seines getanen Gelübdes, sondern in frischer Erregung des Augenblicks; und doch war seine Lustigkeit eine andere, als da er noch ledig war, er war nicht minder voll innersten Jubels, und doch war es anders, es ließ sich nicht bestimmen, wie und worin.

Als die Gevatterleute abgereist waren und wiederum einen Sack Mehl zurückgelassen hatten, ging Brosi nochmals allein in den Auerhahn, er sang lustig mit, machte sich aber doch frühzeitig heim und sang mit seiner Moni die Tanzweisen, die man vom Auerhahn herunter vernahm; der kleine Kilian schlief ruhig dabei.

 

Elftes Kapitel.

Mit Dreschen, Gipsmahlen und dem Nachtwächterrufen ging der Winter vorüber, das glückliche Ereignis des vorigen Jahres stellte sich wiederum ein, und niemand war dessen froher, als der grunzende Mitbewohner hinter dem Hause. Fröhlicher als im vergangenen Jahre trat Brosi wieder seine Wanderschaft an, denn er hatte es nun deutlich erfahren, daß alle Sorge um die Heimat unnötig war; als er im Spätherbst wieder heimkam, lief ihm der kleine Kilian schon entgegen, und der Vater lernte dessen unbeholfene Sprache bald verstehen. Moni hatte viel zu erzählen, man hatte Einquartierung gehabt von allerlei Nationen, Bayern, Russen, Hessen und Franzosen, die aber bisher immer gute Mannszucht gehalten hatten. Dazu kamen noch viele Neuigkeiten aus dem Dorfe und der Umgegend. Die Kirchweih in Haldenbrunn und Endringen wurde regelmäßig mitgefeiert, und so verging ein zweiter und ein dritter Winter und die Trennungszeit im Sommer. Brosi und Moni standen fest in Glück und Heiterkeit, aber doch empfanden auch sie das Bangen, das damals alle Menschen überfallen hatte; die Erschütterung, die damals ganz Europa ergriffen hatte, wurde in jedem Hause des entlegensten Dorfes verspürt. Bonaparte war Kaiser Napoleon geworden, und wir müssen es sagen, Brosi, der viel im Elsaß arbeitete, hatte eine große Verehrung für ihn. Die Gewalt des Kaisers änderte vieles, aber die Tischordnung im Auerhahn zu Haldenbrunn, die Brosi oft ein Greuel war, konnte er doch noch nicht umstürzen.

Brosi hatte seine Wiese vollständig bezahlt, und acht Tage bevor ihm sein erstes Töchterchen geboren ward, noch eine zweite Kuh bar bezahlt; dazu kam noch ein neues Bett, das aber Moni ganz allein aus der Kunkel herausspann, ein Schwein wurde alljährlich ins Haus geschlachtet, und es war alles heiter, nur das Apothekerrösle blieb sich gleich. Da kam eines Tages, Brosi war gerade in der abgelegenen Gipsmühle, russische Einquartierung, die arg in der engen Wohnung hauste. Das Apothekerrösle saß immer aufrecht im Bette und schimpfte und schalt, je mehr der Russe mit dem Säbel auf den Tisch schlug, und die Kinder heulten dazu. Moni hatte niemand, den sie nach ihrem Mann schicken konnte, sie wußte sich kaum zu helfen mit der Beschwichtigung der Mutter, der Kinder und des Russen. Als sie diesem das Essen brachte, warf er es zum Fenster hinaus, durchstöberte das ganze Haus und entdeckte endlich die wohlversteckten Hühner. Das Apothekerrösle schrie jämmerlich, als es draußen die so gut legenden Hühner krähen hörte, und als der Russe mit den Erwürgten in die Stube kam, hatte sein Schelten kein Ende. Als ihm der Russe mit dem Säbel drohend Schweigen gebot, spie es ihm den Geifer ins Gesicht, der Russe faßte es mit beiden Händen an dem Halse, noch einmal schnappte es auf nach Luft und sank in die Kissen zurück. Der Russe, der jetzt sah, was er getan hatte, schaute wild umher, raffte alles zusammen, vergaß aber die Hühner nicht und entfloh aus dem Hause, als jagte man mit Peitschen hinter ihm drein.

Moni kniete noch am Bett der Mutter, da trat Brosi ein und erfuhr schaudernd alles, was geschehen war. Es war keine Rettung mehr. Brosi eilte sogleich zu dem Befehlshaber, die Lärmtrommel tönte durch das Dorf, vor dem Auerhahn wurde Musterung gehalten, aber der Mörder fand sich nicht, und die Leute sagten, es sei gar kein Russe gewesen, der Teufel habe das Apothekerrösle erwürgt. Noch am selben Abend marschierte die Einquartierung ab.

Brosi und Moni konnten sich nicht leugnen, daß der Tod des Apothekerrösle gerade kein Unglück war; aber als hätte wirklich ein böser Geist die Hand dabei im Spiele, mußte noch die Art des Todes den Überlebenden schweren Kummer bereiten.

Von den sogenannten Totenfrauen wollte keine die Leiche des Apothekerrösle einkleiden helfen, Brosi und Moni mußten dies allein tun. Da fühlte Brosi um den Leib der Entseelten einen Gürtel. Moni hieß ihn hinausgehen, und nach einer Weile kam sie und hielt in zitternder Hand einen Gürtel, in den Geld eingenäht war; schnell trennte Brosi die Naht und enthülste nacheinander zwanzig Dukaten. Brosi fühlte das Gold schwer in der Hand, er legte es auf die Treppe und machte dreimal ein Kreuz darüber, es blinkte hell in der Dunkelheit.

»Sie ist bei alledem doch eine gute Frau gewesen«, sagte Moni, ihr Mann antwortete nicht.

Wäre nicht der Gipsmüller zum Leichenbegängnisse gekommen, es hätten sich nur wenige demselben angeschlossen, man sah es aber doch allen Menschen an, wie froh sie waren, daß das Apothekerrösle nun unter die Erde kam.

Dem Gipsmüller teilte Brosi auch das Geheimnis von dem aufgefundenen Schatze mit und überließ ihm auf Zureden Monis die Entscheidung, ob er solchen mit den Schwägerinnen in der Schweiz teilen solle. Der Gipsmüller entschied vorderhand, bis man später den Schwägerinnen es offen erklärte, für den Alleinbesitz Brosis, da die in der Fremde ja nichts für die Mutter getan hatten, sondern die Eheleute sie allein erhalten mußten. Er übernahm hierauf ohne Scheu das Gold und versprach Brosi Silbergeld dafür, das gar nichts Unheimliches hatte.

Man vermutete, daß der Gürtel, der zweimal kürzer genäht war, etwa bei einem Falle im Walde dem Apothekerrösle die Lähmung gebracht habe. Gewisses ließ sich natürlich darüber nicht herausbringen, aber ein Teil von dem trotzigen, aufbegehrerischen Wesen der Verstorbenen ließ sich allerdings dadurch erklären, daß sie sich im Besitz eines geheimen Schatzes wußte.

Das Haus war nun in doppelter Beziehung frei, das Apothekerrösle war nicht mehr da, und die Schuld, die wie ein Gespenst darauf gehaftet hatte, wurde abgetragen; aber ein anderes Gespenst zeigte sich. Brosi machte mehrere Versuche zu einem Häusertausch, aber niemand wollte sein Haus übernehmen, in dem das Apothekerrösle nächtens als Geist umgehen sollte.

Noch lange nach seinem Tode plagte es die Insassen durch diesen Aberglauben.

Brosi und Moni fanden sich aber doch nur wenig davon beunruhigt. Zwar kam Brosi immer früher aus der Gipsmühle nach Hause, um seine Frau nicht allein zu lassen, und wenn er die Stunden anrief, begann er vor seinem Hause den frommen Sang, um es damit zu beschirmen, und bald fanden die beiden Eheleute, daß sie für ihre ganze Lebenszeit Raum genug im Hause hatten; gehörte ihnen ja jetzt erst die Stube zu eigen, und die wohnliche Bühnenkammer war fast überflüssig.

Friedlich, aber still war's diesen Winter im Hause. Der Tod des Apothekerrösle brachte doch auch für die ganze Kriegszeit einen Segen über das Haus: es wurde teils aus Aberglaube, teils aus Rücksicht ferner mit Einquartierung übergangen.

 

Zwölftes Kapitel.

Napoleons Kontinentalsperre gegen England brachte dem Brosi reichlichen Verdienst, nicht als Fabrikant oder Schmuggler, sondern einfach als Maurer bei den vielen Fabrikgebäuden, die besonders im Elsaß errichtet wurden. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, daß Brosi durch ein Weltereignis sehr viel Kummer hatte, denn Brosi wurde plötzlich ein Ausländer. Bei der Teilung Vorderösterreichs durch den Reichsdeputationshauptschluß wurde Endringen badisch und Haldenbrunn württembergisch. Dieser Schnitt ging Brosi ins Herz; er wußte nichts von deutscher Einheit, er war trotz seiner Verehrung für Napoleon doch gut kaiserlich und merkte nichts von diesem Widerspruche; das aber fühlte er doch, was es ist, Länder zu zerschneiden, und jedesmal, wenn er an dem Grenzpfahl im Walde vorüberkam, machte er ihm ein grimmiges Gesicht. Besonders mit seinem Gevatter, dem Gipsmüller, der nun auch ein Badischer geworden war, sprach er viel über die verkehrte Welt, und als es im Laufe der Jahre hart gegen Napoleon herging, war seine erste Hoffnung, daß Endringen und Haldenbrunn wieder zu einem Lande gehören würden.

Es ist aber wunderbar, wie bald die aufgepfropften Begriffe selbständig ausschlagen. Es vergingen kaum einige Jahre, als die Endringer und Haldenbrunner als Badische und Württembergische einander vielfach neckten.

In dieser Zeit hatte aber Brosi von der Welt doch alljährlich eine besondere Freude. Obgleich der »Rheinländische Hausfreund« ein badischer Kalender war, brachte ihn doch Brosi jeden Herbst mit nach Hause; aber er las keine Silbe darin, bis das Neujahr wirklich da war, und auf manchem Gang in der Nacht schmunzelte er vor sich hin, wenn er an die lustigen Geschichten dachte, die er gelesen hatte. Von der ganzen Sammlung seiner Kalender waren diese die zerlesensten und in keinem ist mehr eingetragen. Es geschahen aber auch zu ihrer Zeit die wichtigsten Ereignisse.

Der Kilian hatte noch einen Bruder namens Franz und außer seiner Schwester Rösle noch eine namens Mariann erhalten, ein zweites Brüderchen lag neben dem Apothekerrösle auf dem Gottesacker. Es gab keine zweite Mutter in Haldenbrunn, die ihre Kinder mehr in Zucht und zur Schule anhielt, als Moni; ja, sie ging selber noch in die Schule, und zwar bei ihrem Kilian, denn sie lernte bei diesem Geschriebenes lesen und selbst die Feder führen. Spielend und ohne daß die Kinder die Unwissenheit der Mutter merkten, lernte sie die Schreibkunst; sie hatte erfahren, wie nachteilig ihr deren Mangel gegenüber den Kindern war, und freute sich auch kindisch darauf, an Brosi selber einen Brief schreiben zu können. Es war ein seltsamer Anblick, wenn die Mutter mit den Kindern um den Tisch saß und wettete, wer zuerst mit seiner »Gschrift« fertig werde. Jener erste Brief Brosis aus ihren ersten Ehejahren diente Moni als Vorschrift; sie hat dabei freilich nicht orthographisch schreiben gelernt, aber besser als Brosi brauchte sie es auch nicht zu verstehen, und ihre Fehler waren gerade die, die Brosi auch machte. Dieser war ganz glückselig, als ihm seine Moni so unverhofft einen eigenhändigen Brief in die Fremde schrieb. Die Kinder durften auch oft Briefe an den Vater schreiben, von denen aber natürlich höchstens einer abgeschickt wurde. Der wissenschaftliche Betrieb im Hause war aber doch weit geringer als der praktische in Wald und Feld. Kilian mußte die Kühe in den Wald zur Weide führen, denn die Grasnutzung im Walde war damals noch allgemein, die anderen mußten Streu eintun, Erdbeeren, Himbeeren, Heidelbeeren und Wacholder sammeln und teils selbst nach der Stadt zum Verkauf bringen, teils übernahm dies die Mutter. Ein besonderes Handelsgebiet war den Kindern aber auch darin eröffnet, daß sie im Herbste Lichtspäne – lange zugespitzte dünne Scheiben aus dem Kernholz von Kiefern, die man zur Beleuchtung in der Küche benützt – stundenweit in kleinen Körben auf dem Kopf nach dem Getreidelande tragen mußten, um dafür Mehl, Kleie, Schmalz oder auch Äpfel einzutauschen, und manchmal gab es sogar bares Geld, das die Kinder getreulich ablieferten. So kam es, daß Moni mit einem Häuflein Kinder nicht mehr brauchte, als da sie noch allein war, und die Kinder wurden gewitzigt und selbständig und früh auf ein sparliches Umtreiben hingewiesen.

Wenn Brosi im Frühling auf die Wanderschaft zog, begleitete ihn die Mutter mit den Kindern, die beiden Eheleute sangen nicht mehr, aber Brosi rief noch laut in der Ferne die Namen seiner Kinder nacheinander, und das war doch noch herzerfrischender als aller Gesang.

Jedesmal, wenn Brosi von der Wanderschaft nach Hause kam, kaufte er in der Stadt ein Weißbrot, und je mehr Kinder im Hause waren, je mehr Teile wurden daraus gemacht.

Das Heimweh Brosis wurde oft wieder stärker, in den letzten Herbstwochen war er immer ein verdrossener Arbeiter, ohne rechte Eßlust und ohne rechten Schlaf. Um sich zu zwingen, setzte er sich daher jedesmal noch eine Woche weiter zum Aufenthalt in der Fremde fest, aber jedesmal, wenn diese Woche kam, schenkte er sich dieselbe und eilte heim zu seiner Moni und zu seinen Kindern.

Brosi hatte noch eine zweite Wiese von anderthalb Morgen, die sogenannte Bömleswiese gekauft, es war dies der Boden eines abgetriebenen Waldes im untern Forlentale, da wo der Bach eine so starke Biegung macht, daß er die Wiese mehr als im Halbkreise umzieht. Moni hatte auch eine erkleckliche Beisteuer dazu gegeben, denn, trotzdem sie vier Kinder hatte, gewann sie immer noch so viel Zeit zum Spinnen, daß sie neben dem Hausbedarf an Leinen fünfzig Ellen jährlich verkaufen konnte; daneben legte sie noch manches zurück zur künftigen Aussteuer für ihre Töchter, und dazu hatte noch jedes Kind einen baren Fünffrankentaler, denn Brosi hatte jedem das Gleiche geschenkt wie seinem Erstgeborenen, und ganz allein von ihrer Ersparnis hatte Moni nicht nur eine vermehrte Kopfzahl für die im Kriege verlorenen angestammten Hühner erobert, sie vermehrte auch noch ihre Hausmacht durch fünf stattliche Gänse.

So schmerzvoll und niederdrückend es ist, wenn ein Familienvater sich trotz aller Mühen von Jahr zu Jahr verarmen und verkommen sieht und das noch ein glückliches Jahr nennen muß, in dem er sich so durchschlug, daß er nichts einbüßte, ebenso erquickend ist das Gefühl, sich wachsen zu sehen.

Es kommt so selten vor, daß jemand von Grund des Herzens und jahrelang sagt: ich bin ein glücklicher Mensch. Brosi sagte dies und er war es auch; dabei pflegte er hinzuzusetzen: »Ich hab', gottlob! in siebzehn Jahren dem Apotheker nicht mehr bezahlt als einen Batzen, und den für – Rattenpulver.«

Das innere Wohlgefühl Brosis wurde aber auch zum Wohlwollen für andere Menschen; nie hörte man ihn ein böses Wort über jemand reden, und wenn man im Auerhahn oder sonst wo über einen loszog, duldete er das nicht und nahm sich des Beschimpften in jeglicher Weise an. Es konnte nicht fehlen, daß Brosi bei seiner immerwährenden Heiterkeit für einen halben Narren galt; aber die Rechtschaffenheit und Gutmütigkeit hat doch so viel Bewältigendes, daß er in Ehre und Ansehen stand, und besonders das, daß er niemand Böses nachredete, machte ihn in vielen Dingen zum Ratgeber und Schiedsrichter, und Brosi konnte bei mancher glücklichen Auskunft hinzusetzen: »Ja der Brosi. Mein Mann ischt koanr.«

Die Kinder Brosis wurden mit diesem Eitelkeitsspruche ihres Vaters frühzeitig geneckt, und wo sie hinkamen, hieß es oft: »Wie sagt der Brosi? Mein Mann ischt koanr.« Sie klagten das oft der Mutter, aber diese wagte es nicht, gegen eine Grundeigenschaft ihres Mannes und deren Ausdruck anzukämpfen; sie hatte es einmal versucht, und jene Trutzwoche hätte sich fast wiederholt, sie beschwichtigte nun die Kinder, so gut sie konnte, und besonders damit, daß man jedem was nachspotten müsse, und ihr Vater dürfe das schon noch sagen, es gäbe auch keinen solchen Mann mehr auf der Welt, wie er sei. Das merkte sich der kleine Kilian, und als er wieder damit geneckt wurde, sagte er stolz: »Und es ist erst noch wahr, so wie mein Vater gibt's keinen mehr.«

Als man Brosi diese Rede seines Erstgeborenen erzählte, hatte er diesen, der ohnedies sein Liebling war, noch einmal so gern; er nahm ihn oft des Sonntags mit in den Auerhahn und am Werktag in die Gipsmühle. Der Kilian war überhaupt ein gescheiter Bub, er hatte einst das einzige Leidwesen Brosis in der Frage ausgedrückt: »Vater, bist du nur im Winter unser Vater?« Brosi versprach, ihn bei der Entlassung aus der Schule mitzunehmen, dann habe er auch einen Sommervater.

An der Kirchweih tanzte Brosi allezeit regelmäßig mit seiner Moni, und die Kinder, die auf dem Hausflur waren, tanzten dort ebenfalls. Mit des Kappelbauern Lisle (die Witwe hatte schon lange wieder geheiratet) tanzte der Kilian den Hoppetvogel und den Siebensprung gerade wie der Vater mit der Mutter.

In dem Jahre, als die Verbündeten in Paris einzogen, hatte auch Brosi einen Verbündeten. Er nahm seinen Kilian mit auf die Wanderschaft und sagte zu seiner Moni: »Weißt noch, wie ich mir die Zeit herbeigewünscht hab'? Und jetzt ist sie da. Es kommt alles. Drum lustig, solang es tagt.«

In dem Jahr, als Württemberg einen neuen König erhielt, wurde Brosi noch ein Sohn geboren. Der Revierförster, der jetzige Auerhahnwirt, der zu Gevatter stand, gab ihm den Namen Wilhelm; Brosi aber rief ihn bei seinem zweiten Taufnamen Severin. Er hatte seine besondere Freude an dem kleinen Severin und sagte oft:

»Ich freu' mich nur, daß wir auch wieder ein klein Kind haben, wenn sie nur auch länger so klein und lieb bleiben täten; wenn sie einmal größer sind, sind's keine Kinder mehr und machen einem nur noch die halbe Freude.«

Das erste Lebensjahr Severins war das schwerste für die ganze Familie, es war das Hungerjahr siebzehn. Brosi war vor allem darauf bedacht, daß die Mutter und das Kind die rechte Nahrung hätten; aber der Unsegen, der damals auf allem ruhte, daß man ganze Schüsseln aufessen und doch nicht satt sein konnte, schien sich auch auf die Muttermilch zu erstrecken: der kleine Severin schrie immer, mehr als je ein anderes Kind.

Brosi wäre in seinem ganzen Hausstande zurückgekommen, wenn sich nicht jetzt der Gevatter Gipsmüller bewährt hätte; er verkaufte kein Korn an Brosi; er lieh es ihm nur unter der Bedingung, daß er ihm solches im anderen Jahre wieder als Korn zurückerstatten müsse.

Wenn Brosi später den Jahrgang siebzehn seiner Kalender in die Hand nahm, sagte er: »Da steht gar nichts darin, ich vergeß das Jahr aber doch nie.«

 

Dreizehntes Kapitel.

Je mehr die Kinder heranwachsen, um so mehr hören die Eltern auf, für sich selber ein Leben zu haben und auch zu wollen; das Schicksal der Kinder wird immer mehr das der Eltern.

Nicht nur an dem ersten Tage von des Vaters Ankunft, wie dies immer ist, waren die Kinder brav; sie blieben es auch.

Die Kinderzucht im Hause war eine musterhafte, das heißt strenge, es wurde wenig an den Kindern erzogen, aber unbedingter Gehorsam war oberstes Gesetz. Brosi rühmte sich des oft, indem er hinzusetzte: »Es kann eines meiner Kinder auf dem Dach in Lebensgefahr sein, ich pfeif ihm nur, huit! und bin sicher, daß es feststeht wie eine Mauer und nicht zuckt, bis ich komm' und es herunterhol'. Das hat mein' Moni zuweg bracht. O die, die könnt' General sein.« In der Tat war diese strenge Zucht das Werk Monis, denn ihr Mann war ja den größten Teil des Jahres in der Fremde; war er aber daheim, so konnte man gewiß sein, daß nie eines der Eltern dem andern in einer Zurechtweisung der Kinder widersprach oder durch eine Miene einen Widerspruch verriet, wenn es auch mit der Anordnung innerlich nicht übereinstimmte. Der Vater stand vor den Kindern wie ein höheres, fast unnahbares Wesen, eine Patschhand von ihm war eine hohe seltene Gunst, und half er gar im Frühling ein Mühlrad im nahen Bach bauen, so war das eine Seligkeit. Nie sahen oder hörten die Kinder einen Zank zwischen den Eltern; gab es eine Zurechtweisung, so wurde ein Alleinsein abgewartet, und Frohsinn und Heiterkeit herrschten allezeit; nur wollte Moni manchmal der Kinder wegen in der Wahl der Lieder wählerisch sein, aber Brosi duldete das nicht und behauptete stets, er habe diese Lieder schon gekannt, ehe er zehn Jahre alt war, und sei doch geworden, der er sei. Monika war gescheit und ließ, ohne ein Wort zu sagen, die »Gesätzle« weg, die ihr nicht gefielen, und Brosi war's auch recht; er nahm's mit dem Inhalt just nicht so genau, wenn's nur gesungen war und recht lustig, die Worte konnten sich legen, wie sie wollten, und wenn Moni fortfuhr und immer wieder anschlug, konnte er eine Strophe zehnmal singen und immer so vollauf, als wär's das erstemal. Nie ließ eines das andere beim Singen im Stich.

Der kleine Severin zeigte sich schon früh als ein eigensinniger hartköpfiger Bursche, und es war oft nahe daran, daß der Ehefriede seinethalb gestört wurde, wenn nicht Moni stets darauf hingewiesen hätte, wie das unschuldige Kind nichts dafür könne, daß sein Vater verstimmt und maßleidig sei. Brosi war dies oft aber in hohem Grade, denn von außen war ihm der Friede und die Ruhe seines Hauses gestört worden. In dem Sommer, als der Severin geboren wurde, hatte der Maurerjochem, dem der Garten an der Fensterseite von Brosis Hause gehörte, sich auf dem jenseitigen versandeten Ufer ein Haus gebaut und, um einen näheren Weg ins Dorf zu haben, ein Stück seines diesseitigen Gartens dazu verwendet; der Fußweg ging hart an den Fenstern Brosis vorbei. Noch in der ersten Nacht seiner Heimkehr zäunte Brosi diesen Weg zu, aber schon am anderen Tage mußte er auf schultheißenamtlichen Befehl den Zaun selbst wieder abtragen; Brosi wetterte und fluchte in seinem Hause, so oft jemand an seinen Fenstern vorüberging, und die Leute machten sich den Spaß und gingen des Weges auch ohne Not. Brosi lief zum Amt und verzettelte viel Zeit und Geld mit diesem Rechtshandel, der, mehrmals zu seinen Ungunsten entschieden, immer wieder von ihm aufgenommen wurde, so daß er volle vier Jahre dauerte. Brosi behauptete, daß vier Schuh Platz rings um das Haus ihm gehören, daß er das oft von seiner Schwieger gehört habe und nicht davon ablasse.

Er sprach oft davon, daß, wenn er den Prozeß verliere, so wandere er aus nach Endringen, wohin er ohnedies gehöre und wo er eigentlich am liebsten sei.

Moni war vollkommen mit ihrem Manne einig, daß man dieses Gäßchen nicht dulden dürfe; aber endlich mußten sie sich doch den Entscheid gefallen lassen, daß es blieb, zumal dieser Weg von Pfarrer und Schullehrer als Kirchen- und Schulweg bezeichnet wurde. Mit dem Auswandern nach Endringen schien es nicht recht Ernst gewesen zu sein und wäre dies nun auch schwierig geworden, da Endringen jetzt Ausland war. Brosi hatte zu dem Schaden noch den Spott, daß er fortan der Gäßles-Brosi hieß; man hatte schon lange nach einem Unnamen für ihn gesucht, jetzt hatte man einen, mit dem man ihn aufziehen konnte. Anfangs tat er den Leuten den Gefallen, sich darob zu ärgern, nach und nach aber lachte er dazu, und seine alte Lustigkeit brach aufs neue hervor. Wer aber seine besondere Gunst haben wollte, durfte nicht durch das Gäßchen gehen, und vor allem seine Kinder durften nie diesen Weg betreten, wie er und seine Monika ihr Leben lang keinen Fuß darauf setzten. Es wurde Brosi nicht verwehrt, ein Art Verhau am Eingang des Gäßchens anzubringen, um auch seine Hühner und Gänse abzuhalten, daß sie den Weg nicht gingen. Brosi aber rammte scharfgespitzte Pfähle ein, daß sich manche daran verwundeten, und wenn man Kies auf das Gäßchen schüttete, um es trocken zu legen, war er am andern Morgen verschwunden; den größten Teil des Jahres gab es keinen nasseren Weg als eben dieses Gäßchen.

Die Gäßlesgeschichte war noch lange der geheime Kummer Brosis; er klagte besonders dem Gevatter Gipsmüller oft, daß dies das einzige Leid sei, das er mit sich herumtrage, und empfing die Tröstung, er solle zufrieden sein, daß er sonst keines habe.

Im Jahre achtzehn erließ die Regierung die folgenreiche Verordnung, die den Beamten jegliche Geschenkannahme verbot; dies traf besonders auch die Forstbeamten, und der Revierförster, der seinem Paten den Namen des Königs gegeben, schien es doch geraten zu finden, dem Kuhhirt von Ulm zu folgen und von selbst abzudanken; er widmete sich fortan dem Holzhandel und machte schon damals Brosi den Antrag, als Kürer, der die Stämme im Wald aussuchen hilft und eine Art Aufsicht über die Holzknechte hat, bei ihm einzutreten; Brosi aber lehnte es ab, er wollte bei seinem Handwerke bleiben, zumal er dieses Jahr, wie er sagte, »zweispännig ausfuhr«, denn er nahm nun auch seinen Franz mit in die Fremde. Brosi wäre gern daheim geblieben und sah sich deshalb nach Beschäftigung bei einem nahegelegenen Brückenbau um, aber schon jetzt zeigte sich, daß er ein Württemberger war, die badischen Arbeiter erhielten den Vorzug, und Brosi wanderte wieder ins Elsaß.

In dem Jahre, als Kilian Soldat werden mußte und der Gäßleshandel sich entschied, gab Brosi das Nachtwächteramt auf, er hatte es durch zwanzig Winter versehen und sagte, auch im Gefühle seines Besitztums, daß es genug sei, wenn er fortan am Tage tüchtig arbeite. Es war aber, ohne daß er sich's gestand, auch Ärger über die Gäßlesgeschichte dabei; das Dorf, das ihm das angetan hatte, war eines solchen treuen und hellen Wächters nicht wert. Dennoch erwachte er noch wochenlang zu jeher Stunde, und manchmal sang er leise vor sich hin.

Der kleine Severin machte viel Ärgernis und bekam viel Schläge, er war das einzige Kind, das es nicht lassen wollte, aus dem Gäßchen hin und her zu gehen. Es gehörte in der Tat eine Selbstüberwindung dazu, das Gäßchen zu vermeiden, man mußte nicht nur immer einen Umweg machen; wenn man aus der Türe tritt, führt das Gäßchen gerade links an dem Hause vorbei, und es ist eine seltsame Eigenheit, daß man beim Austritt aus einem Hause, ohne zu wissen wohin, links wendet, wie man beim Ankleiden den linken Stiefel zuerst anzieht. Brosi selber mußte sich noch oft hemmen, daß er nicht unwillkürlich den verbotenen Weg ging. Der Severin war das einzige Kind, das von dem Vater viel Schläge und wenig gute Worte erhielt, und gerade der Severin war, wie sich schon früh zeigte, das ehrgeizigste seiner Kinder und hätte sich eher totschlagen lassen, als daß er um Erbarmen schrie oder um Verzeihung bat. Wenn der neue Lehrer, der ein tüchtiger Mann war, den Severin lobte, zuckte Brosi die Achseln und sagte: »Es ist eben ein knützer Knütz – zu bösen Streichen aufgelegt, nichts nutz. Bub. Wenn ihm meine Frau einmal ein Käsbrot gibt, frißt er den Käs oben 'runter, und erst wenn ich ihm mit Schlägen droh', bitzelt er am Brot, und ich sollt' ihm Hosen von Eisen machen lassen, er hat eine besondere Kunst, seine ledernen zu zerreißen. Das Best' an ihm ist, daß er singen kann wie ein Kanarienvogel, aber wenn man's ihn heißt, da tut er's nicht, und wenn ich aus der Haut fahr'. Ich will ihn aber schon eingeschirren, wenn ich ihn einmal mit mir nehm' und ihn ferm in meine Finger fass'.«

Die erwachsenen Söhne und Töchter Brosis gingen nun auch schon zum Tanz, das Rösle, das neben Kilian der Liebling Brosis war und das er oft »mein schön Mädle« nannte, hatte bereits eine entschiedene Bekanntschaft mit des Jörgtonis Kaspar; aber Brosi und Moni waren noch immer regelmäßig auf dem Kirchweihtanze und so lustig wie je. Und wieder hatte diese Lustigkeit einen andern Charakter. Es war nicht mehr wie in ledigen Tagen, noch wie in der ersten Ehezeit: man war jetzt mitten unter den erwachsenen Kindern, und eine gewisse Scheu vor ihnen begrenzte den Übermut; aber Brosi und Moni hatten ihre Freude an der Lustbarkeit der Kinder fast noch mehr als an der eigenen, und die Kinder konnten neuaufgekommene Tänze, besonders den Galopp, den die Alten nicht mehr verstanden und, hätten sie das auch, sich nicht mehr dazu geeignet fühlten. Brosi war aber keiner von denen, die über diese Neuerungen schimpften, im Gegenteil, er sagte zu seiner Frau:

»Die junge Welt hat eben ihre neuen Sprüng'. Wir bleiben bei unsern alten.«

Es war jedesmal eine feierliche Freude, wenn Brosi und Moni ihre Tänze aufführten; ihre eigenen Kinder betrachteten es als eine Art öffentlicher Kundgebung des Hausfriedens, denn glücklicher als Brosi und Moni lebten keine Eheleute, sie standen noch allezeit zueinander wie Braut und Bräutigam in zuvorkommender Freundlichkeit und heiterem Scherz, und man konnte nicht sagen, ob Brosi seine Moni mehr ehrte und lobte, oder sie ihn.

Brosi war der erste, der das neue Gesetz mit übertreten half, da vermöge allerhöchster Fürsorge in den Bestimmungen des Dekrets der Oberregierung vom 17. bis 22. Juni 1811 der Tanz mit dem Schlage zwölf Uhr enden sollte. Schon die polizeiliche Überwachung des Tanzes war Brosi ein Greuel, aber er setzte sich darüber weg, und Haldenbrunn lag auch so weit an der Grenze, daß die Strenge des Gesetzes dort etwas nachließ. Das Verbot aber, daß die Schulkinder dem Tanze zusehen und ihn auf der Hausflur nachahmen durften, wurde unnachsichtlich aufrecht erhalten.

Brosi wollte seinen Severin zwingen, mit ihm zum Tanze zu gehen, aber dieser blieb widerspenstig und flüchtete sich zum Lehrer, der dem, wie er glaubte, mißhandelten Knaben besonders zugetan war. Severin konnte überhaupt schon frühe die Späße seines Vaters nicht leiden, und dieser sagte oft: »In dem Buben steckt etwas vom Apothekerrösle, aber ich treib's ihm aus, und wenn er mir unter der Hand bleibt.« Wenn man den Severin mit dem Spruche seines Vaters neckte, schlug er um sich, und die Mutter hatte viel zu vertuschen, und wieder schien ihm nichts heilig: keines der Kinder hätte eine der oberen Zwetschgen im Garten angerührt, denn diese ließ die Mutter stets stehen, bis sie runzlig wurden, und bewahrte sie für den heimkehrenden Vater; der Severin aber war unversehens auf einem der Bäume und ging oft nicht herunter, bis man mit Steinen nach ihm warf.

Severin brachte immer am wenigsten mit, wenn er mit andern Kindern in den Wald geschickt wurde, um Waldbeeren zu sammeln, denn man hörte, daß er meist in den Himmel schauend unter einem Baume lag; und sollte er im Herbste Lichtspäne ins Getreideland tragen, mußte man ihn jedesmal mit Schlägen dazu zwingen; einmal kam er acht Tage lang nicht nach Hause, und keine Gewalt der Welt hätte aus ihm herausgebracht, wo er gewesen.

Die Landesvermessung kam auch nach Haldenbrunn, der Lehrer empfahl den Geometern den Severin, der noch die Schule besuchte, aber schon ein hochaufgeschossener Knabe war. Brosi wollte es nicht gestatten, daß Severin mit den Geometern ging, aber Moni ließ nicht nach, bis er es zugab, und als er das Lob seines Sohnes hörte, der sehr anstellig war, tat ihm das wohl, aber freundlicher ward er nicht gegen ihn; er getröstete sich der Zeit, wo er ihn ganz allein in seine Hand bekommen und ihn schon zurechtsetzen werde.

Hatte man vom Severin vielen Kummer, so machten die andern Kindern um so mehr Freude. Der Kilian war auf Urlaub gekommen und arbeitete wieder fleißig mit dem Vater und dem Franz. Das Rösle war Braut mit des Jörgtonis Kaspar. Brosi und Moni erfuhren nichts davon, daß diese Brautwerbung der Mutter einen bösen Ruf gemacht hatte. Der Kaspar hatte nämlich eine Zeitlang das Rösle verlassen und war der reicheren Tochter des Kappelbauern nachgegangen, da wurde des Kappelbauern Tochter plötzlich von einem Blutsturz befallen und starb, der Kaspar kam wieder zu dem Rösle und wurde auch wieder angenommen; die Leute aber sagten, die Moni habe das Hexen von ihrer Mutter geerbt und habe des Kappelbauern Tochter verhext. Da Brosi und Moni hiervon nichts erfuhren, war ihre Freude an der glücklichen Versorgung der Tochter eine ungetrübte.

Brosi hatte sich, teils um die Heirat zu ermöglichen, teils aber auch aus Stolz, bei der versprochenen Aussteuer über seine Kräfte angestrengt und arbeitete nun doppelt emsig mit seinen beiden Söhnen, um den Ausfall bald wieder einzubringen. Er hatte für zwei Jahre eine glückliche Arbeit gefunden, nur vier Stunden entfernt wurde eine neue Straße mit mehreren Brücken angelegt und diesmal auf württembergischem Grunde, und Brosi war nun mit den Seinigen jeden Sonntag zu Haus.

Eine lustigere Hochzeit als die von Rösle und Kaspar war lange nicht in Haldenbrunn gewesen. Brosi konnte sich zwar anfangs nicht damit zufrieden geben, daß die fürsorgliche Regierung den alten Brauch verboten hatte, daß die Hochzeitläder mit gezücktem Säbel die Braut geleiteten und die Säbel in die Decke steckten, darunter Braut und Bräutigam sitzen mußten. Dieses Eingreifen in die alten Gewohnheiten verbitterte ihm fast den glückseligen Tag, er sprach oft davon und ließ es an derben Schimpfworten nicht fehlen; aber er lernte allmählich, sich einen Freudentag weder durch einen Regierungserlaß, noch durch ein sonstiges Ereignis verderben zu lassen, und Moni verstand es, ihm darüber hinwegzuhelfen. Die Eltern waren die lustigsten auf dem Tanzboden, und Brosi rief oft: »Moni, jetzt sind wir hier zweimal daheim.« Er hatte sich einst so glücklich geschätzt, beim Gipsmüller eine freundliche Stätte zu haben außer dem Hause, jetzt ging er zu seinem eigenen Kinde und war dort hochgeehrt und geliebt.

 

Vierzehntes Kapitel.

Als Severin aus der Schule entlassen wurde, sprach er seinen Wunsch aus, Geometer zu werden, aber Brosi wies ihn barsch ab: es dürfe keines seiner Kinder für sich allein sorgen, es müsse jedes mit beitragen, den Hausstand zu erhöhen. Es war ein fröhlicher Tag, als Brosi dreispännig ausfuhr; der Vorspanngaul war und blieb aber widerspenstig. Brosi suchte seinen Jüngsten durch gute Worte zu zähmen, aber es schien zu spät dazu, und wenn der Vater in Gesellschaft der Genossen allerlei Späße machte, biß Severin auf die Lippen, während die andern lachten.

Im Winter, wenn die Söhne Schindeln schlitzten, war Severin verdrossen dabei; seine Hauptfreude war, wenn er die Schindeln im Schuppen zum Trocknen aufbauen durfte. Brosi selber lobte ihn über die schönen Häuser, Brücken und Schlösser, die er aus den Schindelnbüscheln aufbaute, und nannte ihn stets seinen Boßler.

Manchmal schien sich ein besseres Verhältnis zwischen Vater und Sohn herzustellen, und beide strebten sichtbar darnach; Severin hatte dem Vater schon oft darum angelegen, er möge doch die Bömleswiese verbessern dadurch, daß man dem Bache eine andere Richtung gebe. Brosi hatte ihn damit abgewiesen, auf immer wiederholtes Drängen aber ihm endlich gestattet, beim Forstamte die Erlaubnis dazu nachzusuchen und die Sache selber auszuführen. Nach vielen vergeblichen Gängen erhielt Severin die Genehmigung, und mit teils selbst gefertigtem, teils entlehntem Handwerkszeug steckte er die Wiese ab und leitete den Bach geradedurch, wobei er noch Vorrichtungen zur bequemen Wässerung anbrachte, daß die Wiese um die Hälfte mehr wert war und das Lob Severins im ganzen Dorfe sich ausbreitete. Dies schien ihm aber nicht zu genügen, er blieb verdrossen und einsilbig.

An der Kirchweih ging er wohl zum Tanz, aber er saß still bei seinem Schoppen und schaute nicht auf, wenn Vater und Mutter zur Bewunderung aller ihre Tänze ausführten; ja, er sagte der Mutter, es schicke sich nicht mehr für sie, die Junge zu spielen, und Moni, der das selber schon nicht mehr genehm war, ging das Jahr darauf gerade an dem Tage in die Mühle zum Mahlen. Alt und jung wollte sich die gewohnte Freude nicht nehmen lassen, und man entbot eine Gesandtschaft mit einem vorausgehenden Klarinettisten als Herold zu Moni in die Mühle, sie wies aber jede Einladung entschieden ab und sagte zuletzt: »Nicht zehn Gäule bringen mich zum Tanz.« Der Jörgtoni wußte hierauf einen gescheiten Ausweg, der mit Hallo ausgeführt wurde: man spannte elf Gäule an einen Schlitten, und Moni mußte wider Willen lächelnd nachgeben und wurde im Triumph mit dem seltenen Gespann in den Auerhahn gebracht.

Seitdem ist das Sprichwort in Haldenbrunn. Wenn einer sagt: »Zehn Gäule bringen mich nicht zu dem und dem,« so antwortet man: »Aber elf Gäule wie die Moni aus der Mühle zum Tanz«, und Fremde, die das nicht verstehen, erhalten willfährigen und genauen Bericht über die Entstehung dieser Redeweise.

Das Jahr darauf klagte Moni über Unwohlsein, und Brosi blieb bei ihr daheim. Eine Gesandtschaft aus dem Auerhahn erhielt abschlägigen Bescheid. Die Kinder waren alle auf dem Tanz, und selbst Severin war heute mit unter den Jubelnden.

Es war eine helle Herbstnacht, der Mond stand glänzend am Himmel und warf sein schräges Licht vielfach gebrochen in die Stube. Brosi hatte die Ampel gelöscht und saß noch lange still und horchte auf die Musik, die vom Auerhahn herübertönte; er schnupfte viel, denn das hatte er sich seit geraumer Zeit angewöhnt, es wollte ihm gar nicht in den Sinn, daß er zum erstenmal nicht zum Kirchweihtanze sollte. Mehrmals sagte er in sich hinein: »Sei nicht so närrisch, du bist kein junger Bursch mehr, die Schlappen sind jetzt deine Tanzstiefel. Du bist Großvater;« aber er konnte sich das in allen möglichen Wendungen wiederholen, es half nichts, er meinte immer, er müsse entfliehen. Endlich legte er sich doch still seufzend in das Bett, aber den Schlaf fand er nicht.

Mitternacht war vorüber, da regte sich Moni, und er sagte leise:

»Moni, Moni.«

»Was? Was willst?«

»Ich hab' gemeint, du schlafst.«

»Ich hab' nicht geschlafen. Was willst denn?«

»Ich kann auch nicht schlafen. Hörst die Musik?«

»Freilich, die läßt ja einem kein Aug' zutun.«

»Jetzt spielen sie den Bändelestanz. Ich möcht' nur auch wissen, wer den tanzt?«

»Geh' 'nauf und sieh' zu, ich hab' dir schon gesagt, geh' du allein. Es ist mir lieber, wenn du gehst.«

»Ich geh' nicht allein. Aber weißt was? Wir haben doch eigentlich geschworen, daß wir, wenn wir gesund sind, jede Kirchweih tanzen wollen.«

»Ich bin aber nicht wohl.«

»Wird nicht so arg sein. Weißt was? Steh' hurtig auf und zieh' dich an. Oder sag' mir ehrlich, tanzst du nicht auch gern?«

»Freilich wohl, rechtschaffen gern, aber was willst?«

»Komm', wir tanzen daheim.«

Mit einem lustigen Juchhe sprang Brosi aus dem Bett, gab Moni ihre Kleider auf dasselbe und zog sich rasch an. Vom Auerhahn tönte die Musik, der Mond schaute gerade voll in die Stube, und Brosi und Moni tanzten miteinander, und Brosi jauchzte und stampfte auf und schnalzte mit den Händen, er warf seine Moni in die Luft und fing sie wieder auf: da öffnete sich die Stube, und die Kinder standen beifallrufend und jauchzend unter der Tür, sie waren vom Tanze zurückgekehrt, und niemand hatte ihren Eintritt vernommen.

»Wo ist der Severin?« fragte Brosi.

»Er ist mit uns, er ist grad verschwunden«, berichteten die Kinder.

»Wer hat den Bändelestanz ausgeführt?«

»Des Rösles Kaspar, und prächtig«, berichtete Mariann', und Franz, der nach Severin ausgeschaut hatte, sagte, daß er schon oben auf der Bühne in seinem Bett liege.

Der Severin war also der einzige, der sich über die Fröhlichkeit seiner Eltern nicht gefreut hatte und still davongeschlichen war. Er war und blieb ein seltsamer, nicht zu bewältigender Trotzkopf.

Das Ende des vortrefflichen vierunddreißiger Weinjahres brachte unserm Brosi eine große Freude: er hatte das Glück, seine zweite Tochter Mariann' nach Endringen zu verheiraten und zwar an den Petersepp, der jahraus jahrein in der Gipsmühle des Gevatters arbeitete und ein weitläufiger Vetter von des Jörgtonis Kaspar war. Die Wurzeln eines ausgebreiteten Familienanhangs erstreckten sich immer weiter hinaus, aber diese, die seinen Geburtsort berührte, war für Brosi besonders nahrungsfrisch.

Am Hochzeitstage war es, als ob der Boden seiner Heimat ihn verjünge, und oft rief er: »Jetzt hab' ich wieder einen Ableger in meinem Endringen, und wenn's uns in Haldenbrunn überleidet wird, gehen wir nach Endringen. Nicht wahr, Moni?«

»Ja, wo du hingehst, geh' ich mit.«

Manchmal aber war es Brosi doch, als ob das nicht mehr das alte Endringen wäre. Die Leute hatten ein anderes Wesen, er konnte nicht recht fassen, worin das bestand, und glaubte, daß es darin liegen müsse, daß Endringen badisch geworden sei; aber mit alten Kameraden sang er unaufhörlich Lieder, die nicht badisch und nicht württembergisch waren.

Wie die Flüsse und Ströme auf der Erde ihren Weg ziehen, unbekümmert um die Grenzpfähle an ihrem Ufer, so flutet über der Erde ein unsichtbarer Strom des Geistes, der nicht zu fassen und nicht zu bannen ist durch willkürliche Scheidungen.

Brosi überschritt jetzt auch oft die Grenzen vieler deutschen Länder. Die Eisenbahnen, deren Vollendung über alle Trennung hinweg eint, hatten schon bei ihrer Erbauung die Arbeitskräfte der verschiedenen Länder vereinigt und den Unterschied der Fremdheit wenig gelten lassen. Brosi zog mit seinem Dreigespann nach dem Niederrhein und brachte reichlichen Verdienst zurück. Im Auerhahn hatte er dann viel zu erzählen von den fremden Landen und besonders von einem Dunkelnel, den er auswölben half und der viele Stunden weit durch einen Berg führte. Severin ließ es sich nicht nehmen, den Vater zu berichtigen, daß es Tunnel und nicht Dunkelnel heiße.

Überhaupt muß man sagen, daß Severin nicht dem Beispiele Sems, des Sohnes Noah, folgte; wo sich sein Vater eine Blöße gab und etwas falsch erzählte oder unrichtig erklärte, konnte man sicher sein, daß Severin einfiel: das ist ganz anders, das ist so und so. Er hatte in der Regel recht und zeichnete mit Kreide alles zum besseren Verständnis auf den Tisch. Brosi kämpfte immer mit sich, ob er stolz darauf sein solle, einen so gescheiten Malefizbuben zu haben, oder, wie er berechtigt war, sich ärgern sollte, so hingestellt zu werden. Er wurde nicht darüber einig, aber so viel zeigte sich doch, daß er im Grund des Herzens keinen Haß auf den Severin hatte, denn er sagte stets: »Mein Kilian und mein Franz müssen ausheiraten, und mein Kleiner kriegt des Vaters Gut.« Seitdem Brosi noch mehr Wiesen und sogar einen Morgen Wald gekauft hatte, nannte er sein Besitztum stets halb spöttisch, halb ruhmredig sein Gut.

In dem Jahre, als Franz, der ebenfalls Soldat, und zwar Kanonier geworden war, den Abschied erhielt, mußte Severin zur Losung, und in diesem Herbste kam der Vater in voller Entzweiung mit dem jüngsten Sohne nach Hause. Keiner von beiden hatte je genaue Auskunft darüber gegeben, wie weit ihr Streit gediehen war, ja Severin schwieg ganz darüber; nur Brosi erzählte, sein Sohn habe gesagt, daß er lieber vorher desertiere, wenn er wüßte, daß er Soldat werden müsse, und darauf habe Brosi ihm gesagt und bewiesen, daß er ihn eher erwürge, ehe er sich durch ihn die Schande antun lasse, seinen ehrlichen Namen in die Zeitung und sogar in einen Steckbrief zu bringen.

Brosi geleitete seinen Severin selber in die Stadt zur Losung, und als dieser jubelnd berichtete, daß er sich freigelost habe, schüttelte der Vater den Kopf und sagte: »Ist mir nicht recht. Es wäre dir gesund gewesen, wenn sie dich unterm Militär ein bißle gezwiebelt hätten.«

Von nun an hatte Severin keine Ruhe mehr im Hause, er konnte nicht mehr auf einem Stuhle stillsitzen, sondern lief immer aus und ein, und wenn er mit dem Vater und den Brüdern beim Gipsmüller drasch, traf er oft im Selbstvergessen die Dreschflegel seiner Genossen, und in dem Hause, wo nie ein Zank gewesen war, gab es jetzt täglich einen Lärm, daß die Leute auf dem Gäßchen stehen blieben; denn der Brosi schalt seinen Severin, und war doppelt böse, weil dieser ihm meist gar keine Antwort gab.

Endlich brachte es Moni mit vieler Mühe dahin, daß Severin sich ein Wanderbuch holen und ein paar Jahre in die Fremde ziehen durfte. Ein neuer Ranzen wurde gekauft und ein dauerhafter Inhalt von Kleidern und Wäsche dafür hergerichtet; der Severin aber gab dem Vater noch immer kein gutes Wort.

Am Sonntagmorgen, als die ganze Familie beisammen war, die kaum die Stube fassen konnte, der Kaspar und das Rösle mit drei Kindern, die Mariann' und der Petersepp aus Endringen und Kilian und Franz mit den Eltern, da packte Severin alles Hergerichtete ein, und als er die letzte Schnalle zugezogen hatte und den Stechpalmenstock, den er sich auf dem Kappelberge geschnitten, in die Hand nahm, schnupfte Brosi schnell eine Prise, die er zwischen den Fingern hatte, und sagte, die Hand auf den Ranzen legend:

»Schad', schad' um das schöne gute Sach. Wie bald wirst du das verlumpen.«

»Ich will gar nichts von euch, gar nichts!« schrie Severin zornrot und warf dem Vater den Ranzen vor die Füße, »behaltet alles. B'hüt Gott, Mutter, b'hüt Gott, Geschwister.«

Und hinaus rannte er aus der Stube und über den Steg und nahm nichts mit, als den Stechpalmenstock in der Hand und das Wanderbuch in der Tasche.

Die Mutter und Geschwister schauten ihm nach und riefen ihm, aber er kehrte sich nicht um, und Brosi stand wie festgebannt und schaute immer auf den Ranzen vor seinen Füßen. Die Mutter wollte den Kilian und den Franz und ihre Schwiegersöhne dem Flüchtigen nachschicken, aber Brosi rief mit starker Stimme:

»Da bleibet ihr, keiner, kein Mensch, sag' ich, darf ihm nach. Er muß allein wiederkommen, und kommt er nicht, so soll er zum Teufel gehen; aber er kommt, sei ruhig, Moni, heul' nicht, er kommt schon wieder.«

Man harrte still, keines sprach ein Wort, es läutete zur Mittagskirche, aber niemand ging dahin, und Brosi tat, als ob er nicht merkte, daß der Petersepp mit einem verständigenden Blicke auf die Mutter sich davonschlich und bald über den Steg rannte.

Die Mittagskirche war schon zu Ende, aber weder Petersepp noch Severin waren zurückgekommen. Brosi zog seinen Rock an und ging nach dem Auerhahn, er wollte seine Frau walten lassen, und diese schickte den Kilian und bald nach ihm den Franz fort. Es wurde Nacht, als alle Ausgesandten wiederkamen, aber ohne den Severin, ja, sie hatten ihn nicht einmal gesehen; nur der Petersepp brachte die Kunde, die er von einem Endringer erfahren: dieser hatte den Severin bei der Bömleswiese betroffen, er sei ganz heiter gewesen und habe gesagt, er gehe in die Fremde, zuerst in die Schweiz zu seinen Basen.

 

Fünfzehntes Kapitel.

Es war nun wieder Ruhe und Stille im Haus, aber der Friede und die Freude wollten lange nicht in dasselbe einkehren. Moni merkte wohl, daß ihr Mann im stillen auch traurig über den so feindseligen Weggang ihres jüngsten Sohnes war, und er mußte es um so mehr sein, da er doch eigentlich schuld daran war; sie suchte daher nach den ersten jammervollen Tagen ihren lauten Schmerz zu bewältigen, aber den zurückgelassenen Ranzen konnte sie nie ohne Tränen ansehen, da war noch alles gepackt, und die neuen nägelbeschlagenen Stiefelsohlen kamen ihr so traurig vor, als läge ihr Sohn zu Boden geworfen und sie stehe vor seinen Füßen.

Am dritten Sonntag, während Brosi in der Morgenkirche war, packte sie endlich aus und legte es zu oberst in ihren Kasten; sie weinte viel dabei, war aber, als dies abgetan war, wieder heiterer. Sie hatte nach Basel an ihre Verwandten geschrieben, aber diese antworteten, daß sie nichts vom Severin gesehen hätten. Im Dorfe hieß es nur im allgemeinen, der Severin sei im Zorn von seinem Vater davongegangen; die Geschwister und die Tochtermänner hüteten sich wohl, etwas von der Familienstreitigkeit unter fremde Leute zu bringen. Man hörte lange nichts von Severin. Erst als Brosi selbst wieder in die Fremde zog, sagte ihm der Revierförster, der jetzt schon Auerhahnwirt war:

»Ich hab' sechs Wochen, nachdem dein Severin fort gewesen ist, Briefe von ihm gehabt aus Mainz.«

»So? und was schreibt er?«

»Er bittet mich als seinen Gevatter, ich soll bei dir anhalten, du mögest ihm doch was Geld schicken.«

»Hast ihm Antwort geschrieben?«

»Ja.«

»Ohne mein Wissen? Und was denn?«

»Was ich gewollt hab'. Ich hab' ihm geschrieben: wenn ein Mensch wie er sich nicht allein fortbringen kann, so soll er heimkommen und seinem Vater helfen Kartoffeln schälen.«

Es nützte nichts, daß Brosi den Gevatter über seine eigenmächtige Handlungsweise hart anließ, und er getröstete sich endlich, daß er seinen Sohn gewiß in Mainz oder beim Bau des »Dunkelnels« finden werde. Er machte sich schon im voraus das Verfahren zurecht, das er gegen ihn beobachten wolle, und war nur zweifelhaft, ob er den Ranzen gleich mitnehmen solle; aber es war besser, dies zu unterlassen, denn man konnte doch einander verfehlen, und Moni war wieder aufs neue aus ihrem eingeschlummerten Leidwesen geweckt.

Frohen Mutes zog Brosi mit seinen beiden Söhnen aus, er fand in Mainz richtig die Spur seines Severin, aber von da an war nichts mehr zu erkunden.

Der Schmerz um den verlorenen Sohn lebte noch in beiden Eltern fort, in Moni allerdings noch stärker, aber die alles heilende Zeit und noch mehr die lebendige Erfüllung der Tagespflicht, sowie die Sorge um Kinder und Enkel hüllte alles bald in einen sanften Dämmer. Am Namenstage des Severin sagte Moni einmal:

»Es ist mir wie vorbedeutend, mein Severin ist das einzige Kind gewesen, das an der Muttermilch nicht genug gehabt hat, ich hab' ihm schon mit zehn Tagen noch was dazu geben müssen, und so, mein' ich, wär' sein Wandern auch; er hat eben an der Muttermilch nicht genug gehabt. Aber hart ist's doch, daß er seine alten Eltern so in Jammer läßt und uns so ganz vergißt. Der Lehrer sagt auch, er begreife das nicht, und der hat ihm immer die Stang' gehalten.«

»Das versteh' ich so gut als der Lehrer und als der Pfarrer«, erwiderte Brosi. »Es ist schon so. Gott hat uns eben eine Anfechtung schicken müssen, daß wir zeigen, ob wir brav und lustig bleiben; auf ebenem Weg wär' das keine Kunst gewesen. Drum müssen wir das haben, weil wir, gottlob! sonst nichts zu klagen hätten.«

Brosi bewies es, daß er nicht nur brav, sondern auch lustig geblieben war. Bei der Hochzeit seines Erstgeborenen, der die Großmagd des Furchenbauern bei Endringen heiratete, die sich ein Erkleckliches verdient hatte, tanzte Brosi trotz des nicht vergessenen Kummers um seinen Severin wiederum so, daß er mit vollem Nachdruck sagen konnte: »Mein Mann ischt koanr.« Und dies zeigte er nicht nur in der Heiterkeit, sondern auch in der Arbeit; er zog im härtesten Winter beim Dreschen nie eine Jacke noch Handschuhe an, und wenn man ihn darob rühmte, konnte er ausrufen: »Ja, der Brosi, es ist nicht wahr, daß ich schon hinten in den sechzig bin, ich bin erst siebzehn Jahr alt, und sei es, wie es will, ich bleib' dabei, die schönsten Jahre sind die von sechzig bis neunzig. Ich bin Anno siebzig geboren, drüben wie man noch siebzehn geschrieben hat, ich muß es hüben auch schreiben, da wird nichts abgehandelt, ich will wenigstens noch vier Jahr Trinkgeld.« Wenn er so redete, hielt er immer seine Dose fest in der linken Hand, knickte ein wenig in die Knie und hob sich, als wollte er in die Höhe springen.

Die Auswanderung nach Amerika, die sich immer mehr auf dem Schwarzwalde ausbreitete, hatte auch Haldenbrunn ergriffen, und keiner ging fort, der nicht einen besonderen Abschied bei Brosi und Moni nahm, und Brosi trug getreulich alle ihre Namen in seinen Kalender ein. Diese Auswanderungen, so manchen Schmerz sie auch brachten, waren doch für Brosi und Moni trostreich: sie sagten jedem Davonziehenden, er solle sich nach dem Severin umschauen und von ihm berichten. In alle Weltgegenden gingen nun lebendige Botschaften, die doch etwas von dem verlorenen Sohne erkunden mußten, und die beiden Eheleute bestärkten sich darin, daß sie sich bedünken lassen mußten, ihr Sohn sei übers Meer gewandert, er lebe noch, und sie wußten nur nicht wo und wie, und dürften hoffen, ihn einst wiederzusehen.

»Aber weißt,« setzte dann Brosi hinzu, »ich möcht' ihn doch noch da auf der Bank sitzen sehen; droben auf dem Himmelsstuhl ist mir's doch ein bißle zu spät, und ich möcht' ihm doch auch noch sagen, daß ich ganz gut mit ihm bin und er auch mit mir, und wir könnten beide ruhiger sterben.«

Moni seufzte still, sie konnte ihrem Mann nicht sagen, wie ihr zumute ward, wenn auf Severin die Rede kam; daß er noch lebte, sagte ihr eine innerste Zuversicht, und sie zweifelte gar nicht an deren Wahrheit.

Die Ausgewanderten schrieben in ihren Briefen, daß sie nichts von dem Severin erfahren hätten; aber jedes schrieb einen besonderen Gruß an Brosi und Moni, und die Neuverheirateten setzten oft hinzu, daß sie weiter nichts wünschen, als sie möchten auch eine so gute Ehe haben wie Brosi und Moni.

»Siehst,« sagte dann Brosi, »in Amerika reden sie von uns. Moni, wie meinst? Wenn wir's erleben, halten wir goldene Hochzeit und lassen uns noch einmal zusammengeben, oder willst mich nimmer, und soll ich mir eine andere holen? Darfst's nur sagen, du hast das Jawort.«

Jedem Begegnenden erzählte Brosi, was die Ausgewanderten an ihn geschrieben hätten, und war allezeit wohlgemut. Wer ihn von fern sah, lächelte im voraus, denn er wußte, daß der Brosi ihm etwas Erheiterndes sagen würde, und er verrechnete sich nie, und Brosi ward dadurch selber immer heiterer; denn wie das Lied den fremden Hörer erfreut, so strömt es auch die Lust wieder auf den Singenden zurück. Im Erheitern anderer, in dieser allzeitigen Gewißheit eines jeglichen, daß der Brosi nichts anders als lustig sein könne, war er es auch und hob sich selber über jeden inneren Verdruß hinweg.

Infolge der Auswanderung hätte Brosi jetzt leicht ein anderes Haus bekommen können, aber er sagte stets: »Ich bleib' jetzt einmal auf meinem Gut«, und Moni setzte hinzu: »Da haben wir zu leben angefangen, und da wollen wir's auch beschließen.«

»Aber noch lang nicht, die ander Welt lauft mir nicht davon,« schloß dann Brosi, »und das sag' ich dir, Moni: wenn du mir das antust, daß du vor mir davongehst, bin ich dir mein Lebtag bös, und wenn ich 'nüber komm', red' ich nichts mit dir.«

Es gab in der Tat keine glücklicheren Menschen als Brosi und Moni, und dazu waren sie allezeit gesund. Wäre der Kummer um Severin nicht gewesen, sie hätten gar nicht gewußt, was Leid ist.

Im Jahre einundvierzig vollführte Brosi seine letzte Maurerarbeit, und zwar am Forlenbache. Dieser wurde von der Regierung zur sogenannten Wildflößerei eingerichtet; das Brennholz, das hier aus dem Walde fast ganz wertlos war und wofür man kaum die Aufbereitungskosten erlöste, wurde durch Schwellungen talabwärts geschwemmt und von dort auf der Achse nach dem holzarmen Unterlande gebracht. Als der Flußbau vollendet war, erhielt Brosi eine ihm genehme Anstellung: er wurde beeidigter Holzmesser. Der gekerbte Maßstab, den er nun immer bei sich führte, war ihm auch als Stock willkommen, denn er hatte sich immer dagegen gewehrt, sich einen anderen beizulegen.

Die großen Holzbeugen, die wir beim Eingang in das Dorf gesehen haben, sind noch von Brosi aufgerichtet. Dieses Aufschichten des Holzes betrieb er mit wahrer Kunstliebhaberei. Wenn er eine lange Gasse aufgestellt und Türen und Durchgänge darin gelassen, konnte er sich davor hinstellen und allein für sich oder zu anderen sagen: »Ja, der Brosi! Mein Mann ischt koanr.« Beim Ausmessen in Klafter war er äußerst gewissenhaft, und von seinem Handwerk her hatte er ein großes Geschick, die Scheite so zu legen, daß gerade das rechte herauskam; denn man berechnete ein Klafter auf hundertvierundvierzig Kubikfuß, davon werden vierundvierzig als Zwischenraum abgerechnet, so daß für die wirkliche Holzmasse, das was man Derbraum nennt, geradeaus hundert Kubikfuß verbleiben.

Diese Arbeit war Brosi um so willkommener, weil er nun auch im Sommer jeden Abend daheim sein konnte, und weil ihm Moni jeden Mittag das Essen in den Wald brachte. Wenn er sie so daherkommen sah, so strack aufrecht und in weißen Hemdärmeln wie ein junges Mädchen, jauchzte er ihr zu wie ein junger Bursche. Moni hatte nie vorher gegessen und wußte im Walde immer einen hübschen Platz auszufinden, wo sie sich mit ihrem Manne niedersetzte, mit ihm gemeinschaftlich aß und dann das Ruhestündchen mit ihm verplauderte, das aber immer sie zuerst abbrach. Oft sagte Brosi: »Weible, wir sollten eigentlich jetzt erst siebzehn Jahre alt sein. Jetzt sollten wir erst anfangen, und wenn ich's recht berechne, hab' ich eigentlich nur das halbe Leben mit dir gehabt.«

»Wir können Gott danken für das, was wir gehabt haben«, beschwichtigte Moni.

»Freilich, freilich,« stimmte Brosi bei, »aber weißt, ich kann eben gar nicht genug kriegen.«

»Jetzt ist's aber genug«, schloß Moni aufstehend und ging heimwärts, aber noch aus der Ferne rief sie: »Überschaff' dich nicht!«

Das tat Brosi nicht, er vollführte seine Arbeit genau, aber auch gemächlich und hielt streng darauf, daß alles gut verscheitert sei, denn das Heben und öftere Hin- und Herwenden der großen Scheite war ihm doch beschwerlich.

 

Sechzehntes Kapitel.

Im Winter auf siebenundvierzig, in dem Brosi sechsundsiebenzig Jahre alt wurde, fühlte er sich zum erstenmal in seinem Leben nicht geheuer; er behauptete, es habe ihn »ein Frost gestoßen«, er gönnte sich aber doch keine Ruhe, er war eben, was man einen Schaffmann nennt: solange er fortkonnte, entzog er sich keiner Arbeit; aber bald ließ er die Dose stehen und schnupfte nicht mehr, das war für Moni das sicherste Zeichen, daß es etwas Ernstliches war. Er mußte zu Bett, und bald zeigte sich, daß er einen mächtig geschwollenen Fuß bekam, und zum erstenmal kam ihm der Arzt über die Schwelle, aber noch jetzt erlustigte er sich an seiner Krankheit und sagte oft: »Es ist nicht mehr als billig, ich muß auf dem Kubikfuß leben, es geschieht mir recht. Verbind' mir meinen Kubikfuß!« rief er dann seiner Moni.

Alles hatte bei ihm ein heiteres Gepräge, und er lachte noch jetzt oft, daß man es die ganze Gasse hinab hörte. Er mußte wochenlang liegen, aber seine Heiterkeit schwand nicht, nur manchmal sagte er: »Der Severin muß doch auch wissen, daß ich jetzt ein guter Siebziger bin; wenn er kommen will, hat er nichts mehr zu versäumen.«

Eine große Freude hatte Brosi durch einen Gruß, den ihm die Gipsmüllerin sagen ließ; sie war auch krank und ließ Brosi sagen, in stillen schmerzlosen Stunden müsse sie immer daran denken, wie lustig sie auf der Hochzeit ihres Bruders, des Furchenbauern, den Bändelestanz mit ihm getanzt habe, und sie höre noch immer die Musik aufspielen.

Jedem, der ihm einen Krankenbesuch machte, erzählte Brosi diese freudige Botschaft, und als er wieder gesund war, wollte er seinen ersten Gang nach der Gipsmühle zu seiner Tänzerin machen; aber man hielt ihn davon ab, und ins Herz hinein fühlte Brosi die Nachricht, daß sie bereits gestorben und begraben sei. Eine Jugendfreundin und langjährige Genossin war ihm plötzlich entrückt, es waren ihm schon viele langgewohnte Gestalten dahingerafft worden, er hatte es leicht verwunden; aber jetzt mit einer gewissen Feinfühligkeit des Genesenden empfand er den Schmerz doppelt, es gemahnte ihn, daß der Tod doch immer näher rücke und ihm schon unentbehrlich scheinende Stücke aus dem Leben reiße. Er ging tagelang still den Kopf schüttelnd umher, und als er zum erstenmal nach der Gipsmühle kam, weinte er mit dem verlassenen Gevatter.

Er hatte die Freude eines anderen Hauses mitgenossen, er nahm auch dessen Leid auf sich.

Aber wieder und wieder erwachte der helle Frohsinn in Brosi, und als er einmal mit seiner Moni im Walde zu Mittag aß, sagte er:

»Du wirst nichts dagegen haben. Wenn ich 'nüber komm', bitt' ich mir's aus, daß mir die Posaunenengel einen Vortanz für mich und die Gipsmüllerin aufspielen.«

Die Lustigkeit schien in Brosi gar nicht abzutöten.

Der März achtundvierzig brachte dem abgelegenen Haldenbrunn seine Revolution so gut wie Berlin und Wien. Schultheiß und Gemeinderat wurden gestürzt und ein neuer gewählt, Brosi wurde einstimmig zum Gemeinderat erwählt, er wäre Schultheiß geworden, wenn er dies nicht abgelehnt und die Stimmen auf seinen verschwägerten Jörgtoni gelenkt hätte. Die verkümmerte Nutzung des Gemeindewaldes, den der Gemeinderat für sich ausbeutete, war wesentlicher Grund der Revolution, und auf Brosi, der allezeit ein gerechter Mann und niemand zulieb und niemand zuleid redete, setzten besonders die armen Häusler ihre Hoffnung. Er war mit einem Worte der Märzminister von Haldenbrunn und hörte es gern, wenn man ihn »Herr Gemeinderat« anredete. Auch Moni war diese neue Würde nicht unangenehm, sie ging am ersten Sonntag mit ihrem Mann in die Kirche und hatte sich noch dazu vom Näherlisle eine neue Jacke machen lassen, wozu sie das Zeug längst bereithielt, es aber für die Hochzeit ihres Franz aufbewahren wollte. Vor der Kirche grüßte Moni alle Leute doppelt freundlich, und in derselben schaute sie oft nach den vorderen Bänken. Da, wo der Gemeinderat sitzt, dort saß ja ihr Brosi; die arme verstoßene Tochter des Apothekerrösle hatte einen Mann, der auf der ersten Kirchenbank saß. Als man sich zu Tische setzte, sagte Brosi in sehr verbindlichem Ton, einen Kratzfuß machend:

»Frau Gemeinderätin, wollen Sie nicht auch gefälligst Platz nehmen?« und trieb noch allerlei mutwilligen Scherz mit ihr.

Moni sagte, ihr Mann müsse sich einen neuen Rock machen lassen, es schicke sich nicht mehr, daß er in dem alten Rock einhergehe, den er sich schon zur Taufe ihres jüngsten Sohnes (sie vermied, wie es schien, mitten in der Freude den Namen Severins) hatte machen lassen. Brosi schüttelte den Kopf und sagte: »Wenn nur meine Knochen solang halten, als der Rock noch hält; und man hat den Brosi im alten Rock gewählt, nicht den im neuen.«

Der noch immer unerklärte blinde Franzosenlärm brachte auch in Haldenbrunn eine Bürgerwehr zustande, die sich vorerst mit gestreckten Sensen bewaffnete. Der Revierförster Auerhahnwirt wurde natürlicherweise Leitmann, und Brosis Kilian wurde zum Obmann und Übungsmeister gewählt, er hielt seine Übungen auf der Straße, die nach Endringen führt.

Im Auerhahn war jetzt täglich große Zusammenkunft; die Tischordnung galt hier noch mitten in allen Wirrnissen, nur saß Brosi als Gemeinderat bei den Großbauern. Wenn manche erschraken über die wilden Reden, die geführt wurden, beschwichtigte er mit der klugen Einrede, daß man ja einander kenne und noch immer wisse, daß es nicht beim ersten Anbot bleibt, man ließe noch etwas abhandeln. Wenn die jüngeren Leute von deutscher Einheit sprachen, sagte er oft:

»Was wisset ihr davon? Da können wir mitreden, uns gedenkt es noch, daß Endringen und Haldenbrunn zusammengehört haben.«

Im Gemeinderat war Brosi ein eifriges und bedachtsames Mitglied, und er war es auch, der sich dem Andringen vieler entgegenstemmte, daß man den Gemeindewald verkaufe und den Erlös verteile. Er mußte sich deshalb manche üble Nachrede gefallen lassen, und es hieß, er sei eben auch wie die anderen, seitdem er da oben sitze; aber er ließ sich's nicht verdrießen, jedem einzelnen seine Gründe darzulegen, und die sich einer besseren Einsicht nicht verschlossen – und deren waren doch die Mehrzahl –, gaben ihm recht.

Brosi vollführte seine Arbeit nach wie vor. Er war kein großer Politiker und rühmte sich auch dessen nicht, aber er sagte doch immer: »Von der Freiheit kann man nicht essen, man muß arbeiten, sei die Regierung, welche sie woll'; das Holz spaltet sich in einer Republik auch nicht allein auf; aber freilich, schaffen und schaffen ist ein Unterschied, und der rechte Lohn gehört einem jeden.«

Die Revolution im Badischen brachte Brosi vielen Kummer, denn die Reibereien zwischen den Endringern und Haldenbrunnern gediehen aufs höchste, die Haldenbrunner wurden immer »faule Schwaben« geschimpft. Dazu lebte noch Brosis Schwiegersohn, der Petersepp, bei seinem Schwäher verborgen im Walde.

Die Reaktion brachte aber Brosi nicht minderen und noch weit tiefergehenden Kummer. Es war nicht der Schmerz um die vereitelten Hoffnungen des Vaterlandes, die ihm zu Herzen gingen, er hatte sie nie recht begriffen und nur immer gedacht, Haldenbrunn und Endringen sollten wieder eins werden. Es war ein ganz anderes, was Brosi tief betrübte: die Verordnung, daß am Sonntag nicht mehr auf der Straße gesungen werden durfte, die Einsetzung des Sittengerichts der Pfarrgemeinderäte, wozu man ihn auch wählen wollte, was er aber entschieden ablehnte, vor allem aber jene hochweise fürsorgliche Verordnung, daß fortan alle Kirchweihen im ganzen Lande auf einen Sonntag festgesetzt wurden, so daß aller nachbarliche Besuch abgeschnitten war. Zwar lag Haldenbrunn so an der Grenze, daß man meist badischen Besuch erwartete, und dieser kam auch reichlich, da jenseits im glückseligen Belagerungszustande keine Musik gehalten werden durfte, aber man stand doch auch mit Landesangehörigen in Verbindung; und wenn man auch das Verbot umging, daß man doch noch eine stille Feier veranstaltete und der hohen Fürsorge nun eine doppelte Kirchweih verdankte, es war und blieb doch mißlich.

Vom Gemeinderat in Haldenbrunn, in dem Brosi noch saß, ging eine Eingabe an die hohe Regierung um Aufhebung der Kirchweihordnung; aber sie ging nur bis in die Amtsstadt und ist dort selig entschlafen.

 

Siebzehntes Kapitel.

An der nächsten Kirchweih war Brosis fünfzigjähriger Hochzeitstag. Man redete ihm viel zu, daß er seine goldene Hochzeit feiere, aber besonders Moni hatte eine Scheu und einen Aberglauben davor, und ängstliche Freundinnen vermehrten dies noch mit der Erwähnung, daß man nach einem solchen Fest gewöhnlich nicht mehr lange lebe, und Brosi, dem eigentlich doch das Herz daran hing, wollte ihr nicht zureden.

So kam der Frühling des vorletzten Jahres heran, die beiden alten Leute hielten immer fester zusammen, und Moni war oft ganze Tage bei ihrem Mann und kochte im Walde. Einst sagte Brosi zu ihr:

»Wenn unser Severin käm', sag', tätest du da die goldene Hochzeit feiern?«

»Ja, wenn mein Severin käm', ja, da tu' ich's, da hab' ich genug gelebt.«

»Ich mein' auch,« sagte Brosi wieder, »ich mein', ich hab's einmal in einem Lied gehört: mit dem Blumenstrauß auf der Brust darf das Herz zu schlagen aufhören. So geht mir's auch. Ich möcht' lustig sterben.«

Und als er das sagte, war's ihm, als hörte er die Stimme seines Severin.

Moni ging heim, er schaute ihr lange unwillkürlich nach. Da kam ein Landjäger durch den Wald. Oft, wenn der Schultheiß und kein anderer Gemeinderat zu Hause war, kamen die Landjäger, die das Dorf passierten, zum Brosi, um sich die Stunde ihrer Anwesenheit in ihrem Dienstbuche bescheinigen zu lassen. Brosi war an ihren Anblick gewöhnt, und doch erschrak er heute, als er den Landjäger von ferne sah. Als er näher kam, erkannte er den Stationskommandanten, der ihn freundlich grüßte. Brosi schrieb ihm mit Bleistift die gewünschte Bescheinigung ein und sprach noch über allerlei, da sagte der Landjäger:

»Habt Ihr nicht einen Sohn gehabt, der Wilhelm Severin heißt?«

»Ja, ja, warum? was ist?«

»Im Verordnungsblatt, das ich wegen der Steckbriefe halten muß –«

»Was? was? Was steht da?«

»Nichts Böses, da ist ein Wilhelm Severin Heller von Haldenbrunn zum Oberbaurat ernannt.«

»Ihr habt mich zum Narren, das ist nicht recht. Wenn Ihr einen Narren wollt, lasset Euch einen drechseln.«

»Tut mir leid, daß ich das Verordnungsblatt nicht bei mir hab', es steht deutlich darin.«

»Aber er wird nicht von Haldenbrunn sein, es gibt viele mit Namen Heller, und es kann noch ein anderer Wilhelm Severin heißen.«

»Auf mein Wort, es steht deutlich: von Haldenbrunn. Ich bin nicht der Mann, der Spaß macht«, sagte der Stationskommandant etwas bitter.

Brosi stand da und hielt die leeren Hände vor sich hingestreckt, als ob er noch ein Scheit holte; er starrte wie verloren drein, und als ihm der Landjäger die Hand auf die Schulter legte, zuckte er zusammen und fuhr sich in die weißen Haare, die sich emporsträubten. Der Landjäger wollte weggehen, aber Brosi bat ihn, bei ihm zu bleiben und ihn nach Haus zu geleiten. Als sie gegen das Dorf kamen, hörten sie ein lautes Schreien, und Brosi sah, wie seine Moni ihm entgegensprang, aber ihr voraus eilte ein großer Mann und warf sich Brosi an den Hals, küßte ihn und weinte; Brosi küßte ihn wieder und weinte mit ihm – es war sein Severin.

Brosi mußte sich auf einen Steinhaufen am Wege setzen, die Knie wollten ihm brechen, Moni kam langsam des Weges, geführt von einer Dame mit wehendem Schleier.

»Agy, that is my father«, sagte Severin, und die Dame warf sich Brosi an den Hals, und es war ihm, als ob ein Engel ihn in die Arme nehme, der ihn selig aus der Welt mit fortnehmen wolle. Es kam wirklich eine leichte Ohnmacht über ihn, aber bald erholte er sich wieder, und er faßte seine Moni, und so breit als die Straße war, gingen Moni und Brosi und Severin und seine Agnes Hand in Hand in das Dorf hinein. Brosi schaute immer wie verwirrt umher, wenn die schöne Frau ihm und seiner Moni die rauhen Hände küßte.

»Gott hat es doch gutgemeint zu mir, daß ich euch noch im Leben finde, wie oft habe ich daran gedacht«, sagte Severin und übersetzte das seiner Frau ins Englische, seine Eltern bedeutend, daß seine Frau fast gar kein Deutsch verstehe.

»Wo hast denn du ihn zuerst gesehen?« fragte Brosi seine Frau.

»O lieber Gott, denk' nur, wie ich heimkomm', ist die Haustür offen, ich geh' in die Stub', da sitzt er mit dem goldigen Engel da auf der Bank; ich hab' nicht gewußt, wo ich bin, ob noch auf dem Boden oder im Himmel, da ruft er: Mutter! Und weiter kann ich dir nichts berichten.«

»Der Severin hätt' uns doch vorher Nachricht geben sollen«, sagte Brosi halb zu seiner Frau, halb zu seinem Sohne; »so ein Überfall kann ja einen auf dem Platz töten.«

Severin erklärte, daß er schon vor mehreren Tagen geschrieben habe, sich aber, wie er sehe, im deutschen Postgang verrechnet hätte.

Als man am elterlichen Hause angelangt war, sagte die junge Frau auf das Gäßchen deutend:

»Gässle not go.«

»Hast ihr das schon gesagt?« schmunzelte Brosi und rief mit starker Stimme zu seiner Schwiegertochter: »Ist recht, ist brav«, er meinte, wenn er recht schreie, müsse sie ihn gewiß verstehen.

Um das Haus versammelte sich alles, was im Dorfe war, und selbst in die Stube und in die Hausflur drangen sie, und die draußen standen, schauten zu den Fenstern herein und teilten sich ihre Bemerkungen über Severin und seine Frau mit. Das Rösle, das mit seinen Kindern laut schreiend und weinend daherkam, hatte Mühe, sich zu dem Bruder hindurchzuarbeiten, um ihm an den Hals zu fallen. Es schickte sogleich seinen ältesten Sohn zu dem Vater, der draußen auf der Bömleswiese mähte, und Moni bat die Versammelten um einen Boten nach Endringen, um die Mariann' und den Petersepp zu holen. Drei Boten stellten einen Wettlauf an. Die junge Engländerin äußerte gegen ihren Mann ihre Freude, daß das ganze Dorf so umherstehe und alles die Freude des einen Hauses teile. Severin schien aber nicht dieser Meinung, er bat die Leute zuerst in freundlichem Ton, sich zu entfernen, und als dies nicht geschah, drückte er die Türe zu und schob einige Widerwillige nicht eben sanft hinaus.

»Mit welcher Gelegenheit seid ihr ankommen?« fragte Brosi, als ob das das Wichtigste wäre.

»Mit einem Hauderer«, antwortete Severin kurz.

»Du bist nicht versteckt, sie ist sauber,« sagte Brosi auf die junge Frau winkend, die die Hand der Mutter nicht losließ, »ihre Haare glänzen ja wie Gold, und was sie ein paar Augen im Kopf hat und das helle Gesicht, die ist gewiß gut. Hat sie auch brav Batzen?«

»Nicht viel, ich bin überhaupt nicht reich, hab' aber mein gutes Auskommen.«

»Wieso hast die Anstellung kriegt? Du bist doch der im Blättle?«

»Freilich. Ich hab' einen besonderen Vorteil im Brückenbau erfunden, habe ein Modell in die große Ausstellung in London gegeben; der anwesende Landeskommissär erkundigte sich nach mir, und darauf bin ich angestellt worden.«

Im Reden mit seinem Vater im Dialekte sprach Severin ganz geläufig, während er im Hochdeutschen, in dem er seine ersten Worte anbrachte, etwas Anfremdendes hatte und aus dem Englischen übertrug.

Moni holte sich ihre Sonntagsjacke und mahnte auch ihren Mann, doch einen ordentlichen Rock anzuziehen; als aber Agy das merkte, bat sie ihren Mann, solches zu verhindern; es mute sie so sehr an, daß die Eltern in Hemdärmeln seien. Severin dolmetschte das lächelnd, und Brosi willfahrte zu bleiben, wie er war. Wir dürfen überhaupt nicht verschweigen, daß er sich seiner vornehmen Schwiegertochter recht freute, aber minder befangen war und weniger Umstände machte, seitdem er erfahren hatte, daß sie nicht reich sei.

»Wie lang bleibet ihr bei uns?« fragte Brosi.

»Bis nächsten Montag. Ich habe viel zu tun. Ich komme aber zum Herbst wieder.«

Die Mutter jammerte über diese kurze Zeit, aber Brosi sagte: »Geschäft geht vor allem.«

»Du logierst mit deiner Frau im Auerhahn bei deinem Gevatter.«

»Nicht gern. Er hat mir den bösen Brief von Euch geschrieben.«

»Von mir? Ich hab' nichts davon gewußt, kein Sterbenswörtle.«

Und nun stellte sich heraus, daß der Auerhahnwirt die Antwort so gestellt hatte, als ob der Vater dem Severin die harten Worte sagen ließ, und das Verhältnis zwischen Vater und Sohn, das trotz aller Freude des Wiedersehens ein unausgeglichenes war, ebnete sich jetzt erst, denn Severin erkannte die Unschuld seines Vaters, und trotzdem Severin noch mehr als sonst etwas Gehaltenes und Herbes hatte, ließ er sich doch herbei, seinen Vater förmlich um Verzeihung zu bitten, und reichte ihm zuletzt eine silberne Dose, darauf die Worte eingegraben waren: »Mein Mann ischt koanr.«

Anfangs stutzig, freute sich Brosi dann kindisch mit dieser Dose und sagte immer: »In England drüben haben sie mein' Red' in Silber gegraben.«

Nun wendete sich der Zorn von Vater und Sohn gegen den hinterhältigen Auerhahnwirt. Severin wollte ihm gar nicht mehr über die Schwelle gehen; aber Brosi sagte:

»Laß aus sein. Ein Mann wie du, was kann dem am Auerhahnwirt liegen? Aber man kann sich nicht mit ihm verfeinden, er hat das einzige Wirtshaus im Ort.«

Bald kam auch des Jörgtonis Kaspar, die Mariann' und der Petersepp. Moni wollte einen Boten an Kilian und Franz schicken, die sechs Stunden von Haldenbrunn arbeiteten und erst Sonntags heimkamen, aber Severin verhinderte dies, man könne nun schon warten, da es einmal solange gedauert habe, und der Vater habe es ja auch gesagt, Geschäft geht vor allem. Moni drückte es auf der Brust, ihr Severin hatte sich doch sehr verändert seit den vierzehn Jahren seiner Wanderschaft, er war freundlich und gut, aber er hatte doch etwas Schroffes, und als sie mit ihrem Manne allein war, sagte sie:

»Ich mein', der Severin hat sich doch ganz ausgeartet (sich verändert), er ist doch nie Soldat gewesen, und er hat doch so was von einem alten Soldaten, weißt? so kurz angebunden. Er ist so steif wie sein Hemdkragen, der ihm fast das Ohrläpple absägt.«

»Das macht sein großer Titel, und du wirst's nicht übelnehmen, das Stück Apothekerrösle, was in ihm ist, ich hab's ja immer gesagt«, bedeutete Brosi.

»Aber ein gar prächtig Weible hat er, die ist ja wie aus einem Büchsle 'raus. Wenn sie nur auch recht mit einem reden könnt'!«

»Ja, das Weible ist nicht unrecht, 's ist ein gattigs (passendes) Weible, sie ist gewiß viel bräver weder er. Die Kinder von seinen Schwestern hat er ja fast gar nicht angesehen. Nun, es ist mir ein Trost, daß ich ihn gut versorgt und in Ehren weiß, und weiter brauchen wir einander nicht.«

Eine Verfremdung und Bitterkeit, die viele Jahre lang sich im Gemüt eingewurzelt hat, scheint nicht mit einemmal und plötzlich ausgestockt werden zu können; wenigstens war dies bei Brosi und Severin der Fall.

 

Achtzehntes Kapitel.

Severin hatte nie die kleinen gemütlichen Anhänglichkeiten an die Menschen und Umgebungen seiner Heimat in sich empfunden; er zeigte andern Morgens seiner Frau die Bömleswiese und den Busch, woraus er sich den Stechpalmenstock geschnitten, und gab den Begegnenden nur kurze Antworten. Die junge Frau entwarf schnell eine Skizze von dem Waldgrunde bei der Bömleswiese und nahm sich vor, dieselbe in den kommenden Tagen weiter auszuführen.

Wenn Severin mit seiner Frau durch das Dorf ging, liefen oft viele Kinder hinter ihm drein, andere stellten sich in Haufen zusammen, und wenn die beiden vorüber waren, riefen sie kecklich: Grüß' Gott! andere bildeten eine Kette, faßten sich an die Hand und rannten ihnen vorauf mit jener eigenen barfüßigen Behendigkeit und warteten immer, bis sie in ihrer Nähe waren, um zu wiederholen. Agy wehrte ihrem Mann ab, der diese kindische Freudenbezeigung nicht dulden wollte.

Ein Zwischenfall, der selbst den Severin lächeln machte, ereignete sich mit der Tochter des Auerhahnwirts. In langen Kleidern und am Sonntag mit dem aufgespannten Sonnendach ging das Mädchen oft im Dorfe umher mit dem stolzen Selbstgefühle einer für diese Umgebung zu hoch gebildeten Seele. Der Gevatter Auerhahnwirt hatte seinen Paten gefragt, ob seine Frau Französisch könne, und mit der bejahenden Antwort eilte er zu seinem Töchterchen und befahl ihm, sich an die Engländerin anzuschließen und dem Dorfe zu zeigen, was sie könne. Das Mädchen mochte endlich weinend gestehen, daß es ja noch gar keine Übung habe, der Vater ließ aber nicht ab und sagte immer: »Dann üb' dich, jetzt hast du die beste Gelegenheit dazu. Du mußt, üb' dich jetzt.« Zur Verlegenheit aller zeigte sich aber, daß das Mädchen weder ein Wort Französisch verstand noch sprechen konnte; der Revierförster fluchte über den Lehrer von Endringen, dem man noch jedesmal, wenn er Stunde gab, ein Glas Wein einschenkte, aber das half nichts mehr, und Brosi war nicht wenig stolz, als er eines ungeahnten Reichtums inne wurde: er kannte vom Elsaß her einige französische Brocken, und seine Söhnerin klatschte darüber vor Freude in die Hände.

Am Nachmittag war große Gasterei bei der Schwester Rösle, es wurde sehr satziger Kaffee aus kleinen Tassen getrunken und dazu »Sträuble« (Spritzkrapfen) gegessen; das Rösle, das von der Hitze und der Bereitung des Schmalzgebäckes glänzte, ließ sich nicht bewegen, mit an den Tisch zu seinen Gästen zu sitzen, es lief mit seiner ältesten Tochter immer ab und zu und bediente mit Kilians Frau die Eltern, den Bruder und die Schwägerin. Severin hatte sich bald entfernt, da er einen Bauriß zu vollenden habe, und bestimmte seine Frau, nur unter den Angehörigen zu verbleiben. Er verrechnete sich nicht. Agnes wagte es, wenn Severin nicht dabei war, ihr weniges Deutsch zum besten zu geben, und lernte noch manches dazu von den Eltern und der Schwägerin, und die Art, wie sie das bereits Gekannte aussprach und das Neuerlernte nachbuchstabierte und dabei so treuherzig vertrauend lächelte und alles nachmachte, erregte große Heiterkeit und oft lautes Lachen. Mit Beihilfe vieler Pantomimen erklärte ihr Brosi, sie sei ihm wie ein kleines liebes Kind, das erst sprechen lerne, und das sei ja die schönste Zeit der Kinder, das sei die Zeit der Apfelblüte. Das letzte verstand die junge Frau nicht, aber das erste begriff sie, und mit einer das tiefste Herz ansprechenden Innigkeit ahmte sie nun die Weise eines kleinen Kindes nach, so daß Brosi oft mit beiden Händen auf die Lederhosen schlug und hoch beteuerte:

»Sie sind mir tausendmal lieber als der Severin, das ist ja was Herziges, er ist Sie gar nicht wert.«

Die Hühner Rösles waren auch zu Gaste in die Stube gekommen, man wollte sie schnell hinausscheuchen, aber Agy verstand ihre Bitte deutlich zu machen, daß man sie da ließe. Ihren Zusatz: daß dieses Gemeinleben der Menschen mit den Tieren sie freue, begriffen die Hörer nicht; aber Brosi hatte eine Ahnung davon, denn er sagte:

»Sie hat ein gutes Herz, sie ist auch gegen die Tiere gut. Der Severin muß doch das Herz auf dem rechten Fleck haben, daß er so ein Frauele genommen hat.«

Als sie ihm zuletzt noch den Rock auszog und teils mit Worten, teils mit Zeichen ihm sagte: es sei viel schöner, wenn er in Hemdärmeln sei, und er brauche sich vor ihr nicht einen Zwang antun, da rief Brosi:

»Moni, wenn du nicht mit mir goldene Hochzeit machst, da geh' ich nach England und hol' mir auch so eine.« Er sprang in die Höhe, seine Hand, die sich wie Tannenrinde anfühlte, faßte die Hand der jungen Frau, und mit großer Beschwerde erklärte er ihr, daß sie auf seine goldene Hochzeit kommen und mit ihm tanzen müsse. Die junge Frau, die von dieser bevorstehenden Feier schon wußte, ahmte zur Bekundung ihres Verständnisses den Geistlichen und den Bräutigam und die Braut und die Musikanten nach. Brosi schnupfte nochmal so viel vor Freude, aber putzte sich die Hand schnell ab und faßte immer wieder die Hand seiner Söhnerin und sagte zu den Umstehenden:

»Das Händle ist wie lauter Seide und Baumwoll', o, wie muß das einen streicheln«, er führte sich die Hand über seine Backen und machte die Gebärden des höchsten Entzückens.

Am Abend konnte der Brosi seinem Severin gar nicht genug erzählen, welch eine liebe Frau er habe, und er schaute den Sohn viel freundlicher an. In ihrem Hause sang Brosi für seine Söhnerin, die um einen Sang gebeten hatte, mit seiner Frau, dem Rösle, der Schwiegertochter und dem Kaspar allerlei Lieder. Severin saß still dabei und spaltete den Mund nicht, die junge Frau aber versuchte mitzusingen, und Brosi nickte ihr ermunternd zu.

Als man endlich spät endigte, ging Agnes auf Brosi zu, legte die Hand auf dessen Schulter und sagte mit fremdelnder Betonung, aber ganz deutlich: »Mein Mann ischt koanr.«

»Es ist ein' Blitzhex«, rief Brosi und jauchzte hellauf: »Juhu«, daß die junge Frau doch zusammenschrak.

Am zweiten Tage ging es nach Endringen zur Gasterei, denn Kilians Frau wollte die Heimkunft ihres Mannes abwarten. Brosi und Moni fuhren zum erstenmal in ihrem Leben in einer Kutsche nach Endringen. Moni saß neben ihrer Söhnerin und Brosi ihr gegenüber. Brosi lüpfte gnädig den Hut vor allen Begegnenden, welche die Insassen auf diese Art begrüßten, und manche, die es vor Staunen vergaßen, lehrte er es durch zuvorkommenden Gruß.

Als man gegen das Haus des Petersepp kam, sagte Brosi:

»Da drüben in den Garten hinein hab' ich immer ein netts Häusle gewünscht, das ist der höchste Wunsch gewesen, den ich in meinem ganzen Leben gehabt hab'.«

Das Auge Brosis leuchtete bei diesen Worten, und doch sprach Severin kein Wort und nickte nur still vor sich hin. Nur Agy sagte durch den Mund ihres Mannes, daß ihr Endringen noch besser gefiele als Haldenbrunn, und Brosi war darob überaus glücklich.

Beim Petersepp und der Mariann' war's nicht minder gastfreundlich als gestern beim Rösle. Alle Endringer, die kamen, ließ Brosi eine Prise nehmen und seine Spruchdose bewundern.

Solange der Severin da war, machte Agy viel weniger Späße und war stiller; aber auch heute ging Severin fort, und als man heimkehren wollte, mußte man ihn vom Bürgermeister, wie man im Badischen den Schultheiß nennt, holen.

Am dritten Tage ging Brosi an seine Arbeit, er sagte: er halte diese Gastereien nicht aus; er hatte einst den Ausspruch getan, man könne nicht von der Freiheit essen, und jetzt sagte er: »Ich kann von der Freud' allein nicht leben.«

Agy vollendete ihre Zeichnung vom Bömlesgrund, und Brosi arbeitete unweit davon. Severin war allein nach Endringen gegangen.

In den folgenden Tagen vollführte Agy zum Staunen aller Haldenbrunner noch eine weitere Zeichnung; sie saß jenseits des Baches und nahm das elterliche Haus Severins auf. Das Haus mit dem Strohdache und den Pflanzen, die sich darauf festgewurzelt hatten, nahm sich auf dem Papiere sehr gut aus, und als Agy gegen Severin die Einfachheit und Ursprünglichkeit dieser Bauart lobte, war dieser strenger Fachmann genug, um ihr zu beweisen, daß in dieser Bauart gar kein Stil liege und gar keiner anzuwenden sei, es sei eben nichts als die rohe Notdürftigkeit. Agy biß bei dieser Darlegung auf ihren Bleistift; aber sie schaute bald wieder hell auf, sie kannte ihren Mann, bei dem die strenge rücksichtslose Wahrhaftigkeit alles beherrschte und der deshalb keinen liebgewordenen oder anmutenden Schein verschonte.

Von der kleinen, vor fünfzig Jahren aufgeführten Ufermauer sah man wenig mehr. Weiden und Erlen bedeckten das Ufer und bildeten einen ansprechenden Vordergrund mit dem Bachstege. An der Stelle des ehemaligen Zaunes von fuchsig gewordenen Tannenzweigen grünte ein lebendiger und kurz gehaltener Buchenhag.

Moni hatte trotz der Abwehr doch ihren Söhnen Kunde von der Ankunft des Bruders zukommen lassen, und diese hatten solche zu gleicher Zeit auch von anderer Seite erhalten; sie kamen nun auch schon am Samstag Morgen, und Severin schüttelte ihnen wacker die Hände und gab jedem einen silberbeschlagenen Ulmerkopf, die sie nur nach vieler Einsprache mit lautem Dank annahmen, denn sie hatten Größeres erwartet.

Mit Kilian, der ihm immer der Liebste gewesen war, hatte Severin viel zu geheimnissen, und man sah diesen oft zufrieden lächeln, während Kilian sich vor Lachen bog. Einmal indes hörte man Kilian auch rufen:

»Du wirst aber sehen, er tut's nicht. Denk' an mich. Es ist nur so geredt. Er kann's nicht, und wenn er auch möcht'.«

Severin winkte ihm hierauf mit Heftigkeit Schweigen zu.

Mit Franz verkehrte Severin nur sehr wenig.

»Hast dir ein' Saubere 'rausgelesen«, sagte Franz einmal zu seinem Bruder, mit seiner neuen Pfeife auf Agy deutend.

»Warum bist denn du noch ledig?«

»Weiß nicht, ich hab's versäumt, und jetzt ist's fast gar zu spät. Wenn du mir eine geschickte Witfrau wüßtest, ich ließ mich noch überreden. Aber ich denk' wohl, ich bleib' ledig. Wir haben so ein' große Familie, und es soll auch einmal was zu erben geben.«

Franz war eine zufriedene stille Natur, die sich mit Denken nicht viel zu plagen hatte. Dabei war er äußerst karg und hatte seine Hauptfreude an barem Gelde.

Am Sonntagmorgen saß alles schön geschmückt und zum Kirchgange bereit lange vor Beginn desselben im elterlichen Hause. Brosi schnitt von den Stockscherben, die ein unberührbares Heiligtum waren, die schönsten Nelken ab und schenkte sie seiner englischen Söhnerin. Es läutete zum erstenmal zur Kirche, und man wollte sich auf den Weg machen, um sich noch vorher gehörig bewundern und begaffen zu lassen. Brosi freute sich besonders darauf, seiner Söhnerin auch zu zeigen, daß er in der Gemeinderatsbank sitze; da sagte Severin:

»Meine Frau geht nicht mit uns.«

»Warum?«

»Sie ist evangelisch.«

Alles zuckte zusammen, und eine Weile war es so still in der Stube, daß man nichts hörte, als das Picken der Wanduhr und ein schnelles Atmen Brosis.

Endlich sagte er aufstehend und sich vor Frost die Hände reibend:

»Kommet in Gottes Namen. So gehen wir allein. Oder hast du auch deinen Glauben abtan?«

»Nein«, sagte Severin und ging mit dem Vater, der nach der Söhnerin, die er so sehr geliebt hatte, nicht mehr umschaute.

In das seligste Glück riß die Spaltung über Glaubensmeinungen, die der ganzen Menschheit schon so viel Unheil bereitet, einen tiefen Riß.

Brosi, der allen Menschen triumphierend ins Auge hatte sehen wollen, ging mit niedergeschlagenem Blick nach der Kirche. »Nicht katholisch und nicht einmal reich«, sprach es in ihm, und er zuckte zusammen.

In der Kirche sang er wiederum laut mit, als müßte er seinen eigenen Glauben doppelt festhalten und verkünden, dann saß er still niederschauend und drückte manchmal mit der Hand fest die Augen zu.

Er mußte aber doch eine Beruhigung gefunden haben, denn als er neben dem nachdenklichen Severin aus der Kirche ging, sagte er:

»Das hast nicht recht gemacht, du hättest nicht über den Sonntag bei uns bleiben sollen. Es hätten's nicht alle Leute zu wissen brauchen.«

Als er heimkam, sah er Agy aus einem schwarz eingebundenen Buche lesen, er schaute hinein und erblickte schöne heilige Bilder. Agy las nur noch wenige Zeilen, dann stand sie auf und machte eine tiefe Verbeugung. Brosi reichte ihr die Hand und fühlte den warmen Druck von der Hand seiner Söhnerin. Seine Finger waren kalt, und sie erwärmten sich.

In dieser stillen Handreichung lag in diesem Augenblicke eine Verständigung und ein Religionsfriede, der der ganzen Welt zu wünschen wäre.

Am Mittag nahm Brosi alle seine Kinder mit nach der Gipsmühle. Er stand einmal am Wege und ließ Kinder und Enkel an sich vorbeiziehen, um zu überschauen, wie reich sich sein Leben ausgezweigt hatte. Wie oft war er diesen Weg einsam gewandert. Auf den Wunsch Agys wurden helle Lieder angestimmt, die im Walde widerhallten. Noch fühlte Brosi eine leichte Bedrückung von dem überwundenen Schmerz, den er heute empfunden, und auch laut und das letzte abschließend, sagte er:

»Es ist doch nur ein Gott, der die Sonne scheinen und die Bäume wachsen läßt, und er weiß doch, wie es gemeint ist, ob man so oder so zu ihm betet.«

Er sang dann so laut mit, daß seine Stimme alle übertönte.

Severin sah allein bis auf den Grund der mächtigen Bewegung, die in seinem Vater vorgegangen war; er freute sich, dessen, aber ihm solches kundzugeben, fand er die rechten Worte nicht und hielt es schließlich auch nicht für nötig.

Der Gipsmüller, der krank in einem großen Armsessel saß, freute sich hoch über die Ankömmlinge. Severin und Agy mußten sich zu ihm setzen, daß er sie genau sehe, denn er litt auch an schwachen Augen.

Beim Gipsmüller traf man zufällig »die geschickte Witwe«, die sich Franz schon längst gewünscht, die ihm aber einen förmlichen Korb gegeben hatte. War es das eifrige Zureden des Gipsmüllers, oder war es die stolze Anwartschaft, einen Oberbaurat zum Schwager zu haben: die Witwe, die zwei Kinder hatte und ein schönes Vermögen besaß, gab ihr Jawort, und Franz wurde unversehens Bräutigam.

Brosi war darob glückselig, und er sagte einmal:

»Jetzt sind alle meine Kinder versorgt, mein Altbackener auch. Gott gibt mir recht, er zeigt mir's, daß ich die rechten Gedanken hab', sonst hätt' er mich heut das nicht erleben lassen.«

Es wurde ausgemacht, daß die Hochzeit des Franz an der Kirchweih sein solle, an welchem auch Brosi seinen goldenen Ehrentag feiern wollte. Dabei blieb er, wenn auch Moni noch schüchtern Einsprache tat; er sagte stets, er habe es seiner englischen Söhnerin versprochen, und faßte oft deren Hand.

Als man gegen Abend heimkehrte, wartete man nicht erst die Aufforderung der Agy ab, und singend zog man in das elterliche Haus.

Im Auerhahn war heute große Versammlung, alles erwartete die Ankunft Severins, aber dieser sagte, daß er nicht hingehe, und wunderbarerweise – Brosi gab ihm recht und sagte, er bleibe auch daheim. Es schien indes nur wunderbar, es hatte alles seinen guten, wenn auch geheimen natürlichen Grund. Brosi wußte, daß die Menschen, immerdar neidisch auf ein unantastbares Glück, fast eine Genugtuung darin empfinden werden, daß der andere Glaube der Söhnerin einen Schatten darauf werfe; er wollte sie das in gemeinsamer Versammlung auskosten lassen und hoffte, daß sie dann damit fertig seien.

Mit den Seinen saß er in seiner Stube, schnupfte vergnüglich und plauderte allerlei; Severin erzählte viel von seinem Leben, und wie er so schnell zu der Berufung und der raschen Heirat gekommen sei, daß er nicht vorher schreiben gekonnt. Man holte den sehr steif gewordenen Ranzen, den Severin ehemals so trotzig zurückgelassen hatte, er bestimmte ihn jetzt für den ältesten Sohn seiner Schwester Rösle, der als Schuster in der Lehre stand und bald auf die Wanderschaft ziehen wollte. Der Franz, der später in den Familienrat nachgekommen war, wollte auch ein Wort dazu tun und sagte:

»Severin, du bist jetzt Oberbaurat, was kannst denn jetzt auch noch werden? Kannst auch noch höher 'nauf?«

»Freilich, ich kann Oberbaudirektor werden.«

»Und dann?«

»Weiter nichts mehr als – Engel«, antwortete Brosi. Ein schallendes Gelächter erfüllte die Stube, und Brosi lachte nochmals mit, als Severin seiner Frau alles verdolmetscht hatte und diese herzlich lachte.

Franz ließ sich aber nicht so bald von seinen Erforschungen abbringen, sie waren nicht bloß Neugier; er bat seinen Bruder, ihm auch eine feste Anstellung zu verschaffen, das Amt eines Weginspektors sei jetzt frei, und das könne er wohl versehen. Severin erklärte ihm, daß er keine Stellen zu vergeben habe, und auch Kilian fragte jetzt:

»Sollen wir denn bloß noch die alten Maurer sein, wenn du unser Oberbaurat bist?«

Severin erklärte, daß das nichts ändere, und wie das leicht geht: nach großer, anhaltender Freude tut sich plötzlich unversehens eine Verstimmung auf; so geschah es auch hier. Die Brüder fühlten sich zurückgesetzt; aber Brosi verstand es, ihnen die Sache deutlich zu machen, und schloß damit:

»Es bleibt ein jedes, was es ist. Im geraden Weg braucht eines das andere nicht, und im ungeraden wird euch der Severin schon beistehen. Haltet nur getreulich zusammen, wenn eure Eltern auch nimmer da sind.«

Diese Mahnung verfehlte ihre Wirkung nicht, und wenn auch nicht in heller Freude, so doch in stiller gesättigter Beruhigung ging man auseinander, zumal da Severin noch kurz versprach, stets der Seinigen eingedenk zu bleiben. Am anderen Morgen, als Severin und Agy nach der Residenz abgereist waren, sagte Brosi immer:

»Ich weiß nicht, wie mir ist, mir fehlen die Kinder in allen Ecken, ich kann mir's gar nimmer denken, wie's einmal gewesen ist, wo wir noch gar nichts von ihnen gewußt haben.«

Jetzt, da Severin fort war, hatte Brosi im Gedanken an ihn fast noch mehr Freude von ihm, als während seiner Anwesenheit. Er gab Moni recht, als sie sagte:

»Er ist doch ein prächtiger Mensch, er redet nicht viel, aber jedes Wort von ihm ist wie ein Eid, da kann man Häuser darauf bauen.«

 

Neunzehntes Kapitel.

Severin kam während des Sommers mehrmals, aber er hielt sich meist in Endringen auf, wo er, wie er sagte, mit dem Bürgermeister Geschäfte habe. Als Severin seinem Vater eine frohe Hoffnung mitteilte, erwiderte dieser kein Wort, er wollte lieber nichts wissen, als daß er durch eine Frage Auskunft darüber erhielt, in welcher Religion die Kinder erzogen werden.

Es verging kein Tag, an dem nicht Brosi seine »gesetzte Arbeit«, wie er sie selbst scherzweise nannte, vollführte. Moni schien sich wahrhaft zu verjüngen, seitdem ihr Severin und ihre Agy dagewesen, und sie war es auch, die zu jeder Zeit schöne Geschenke von ihrer Söhnerin, der Oberbaurätin, erhielt; besonders ein handfester Armsessel, der auf Rollen ging, machte großes Aufsehen im Ort, und schon nach zwei Monaten empfing sie einen sauberen, deutsch geschriebenen Brief von der englischen Söhnerin. Wie lohnte sich's ihr jetzt auf ihre alten Tage, daß sie selber noch so spät deutsch schreiben und lesen gelernt hatte. Die beiden alten Leute, die nie viel über Religion nachgedacht hatten, sprachen jetzt im Walde viel über die Unterschiede derselben, die Nähe des Grabes mochte einiges dazu beitragen, aber erweckt zu solchen Erörterungen wurden sie doch nur durch Agy; die Agy war so lieb und gut, die konnte doch nicht auf ewig verdammt sein. Moni hatte großes Zutrauen zu dem Geistlichen; sie wünschte, daß man sich seines Rates erhole, aber Brosi wehrte ab, indem er sagte:

»Was kann er für Auskunft geben? Er ist geistlich und darf sei' Sach' nicht verunehren. Und was könnt' am Ende dabei herauskommen? Daß wir Unfriede machen in unseres Severins guter Ehe? Nein, das will unser Herrgott nicht, und seit jenem Sonntag ist mir's so, daß kein Mensch den anderen verdammen darf, wenn nur jeder aufrichtig und wahrhaftig bei dem seinigen ist. Wenn die Agy einmal 'rüber in Himmel zu uns kommt, muß sie unser Herrgott zu uns lassen, ich will's schon sagen, und unser Herrgott weiß es ja auch, daß sie nichts dafür kann; sie ist so geboren und erzogen, sie kann nichts dafür.«

»Die Vögel im Wald, da pfeift ein jedes anders, und es heißt doch, daß alle Gott lobsingen«, bestätigte Moni.

»Das ist ein gescheites Wort, so muß des Brosis Frau reden«, schloß der Eheherr. »Das hat sein Meß«, setzte er hinzu und hob die obere Querstange aus einem geschichteten Klafter. Es war unklar, ob er die letzten Worte buchstäblich auf das Holz oder bildlich auf das Religionsgespräch bezog.

Die Tage wurden bald immer kürzer, und es ist eine alte Erfahrung, daß man deren Abnehmen viel mehr merkt als das Zunehmen. Je weiter es dem Herbste zuging, je mehr empfand Moni ein eigentümliches bräutliches Bangen, während Brosi mit Jubel seiner goldenen Hochzeit entgegensah. Mehrmals äußerte Moni ihre Beklommenheit, aber ihr Bräutigam, wie sich Brosi nannte, redete ihr solche aus und suchte sie mit seiner eigenen Freudigkeit zu erfüllen; sie gab sich um Brosis willen Mühe, allem heiter entgegenzusehen, und in dieser Bemühung ward sie von selbst freudig.

Endlich waren es nur noch wenige Tage bis zur Kirchweih, da kam Severin, und diesmal ging er nicht allein nach Endringen, Vater und Mutter mußten ihn begleiten. Brosi fuhr sich mehrmals rechts und links über die Augenbrauen, als er unweit des Petersepp Haus in dem Grasgarten, dort, wo er sich's gewünscht hatte, ein Haus stehen sah, zierlicher und feiner, als er sich's je wünschen konnte, und Severin darauf deutend sagte:

»Vater, das ist Euer. Da sollet Ihr mit der Mutter wohnen, solang Euch Gott das Leben erhält, und ich wünsch' nur, daß es recht lang sei. Das schenkt Euch mein Agy als Hochzeitsgeschenk.«

Starr mit offenem Munde betrachtete Brosi bald seinen Sohn, bald das Haus, und endlich sagte er mit unvermutetem Lachen:

»Das Haus da? Das ist mir viel zu schlecht. Nicht geschenkt nehm' ich's.«

»Ich bitt' Euch, Vater, macht keinen Spaß«, entgegnete Severin in seltsamer Gereiztheit.

»So? Meinst du, du darfst allein Spaß machen und noch dazu mit deinem Vater?«

»Ich mache nie Spaß. Ich meine es im völligen Ernst. Das Haus ist Euer. Mutter, saget Ihr, wie gefällt's Euch?«

»Wohl, ganz wohl, aber das ist nichts für uns.«

»Ich gebe Euch mein Wort. Es ist für Euch. Es ist auf Euern Namen hier beim Bürgermeisteramt eingetragen.«

»Das ist zu vornehm. Das ist für dein Weible, für die paßt's.«

»Dafür ist es allerdings auch hergerichtet. Meine Frau wünscht nichts sehnlicher, als die Sommermonate hier oben zu wohnen. Sie will bei Euch sein.«

»Wir wollen all' Woch zu ihr auf Besuch kommen, sie soll nur allein hier wohnen und, will's Gott, mit dem Kind.«

Der Bürgermeister, zu dem Severin geschickt hatte, kam aus dem Dorfe und übergab Brosi die Schlüssel und einen neuen Bürgerbrief. Brosi nahm beides unwillkürlich in die Hand, schaute nach dem Hause und schüttelte unwillkürlich mit dem Kopf.

Das Landhaus war schön, im Stil der englischen Cottages und doch in freier Umbildung nach dem landschaftlichen Charakter und Bedürfnis.

Nur mit Mühe brachten es Severin und der Bürgermeister dahin, daß die Eltern in das Haus eintraten.

Die Räume waren hell und bequem. Brosi fühlte oft an die Wände und nickte, da er sie trocken gewahrte.

»Du bist ein Hexenmeister«, sagte er zu seinem Sohne, als dieser erzählte, wie er den Bau so geheim hatte ausführen lassen, und wie ihm alle darin beigestanden, das Geheimnis zu bewahren.

»Aber für uns ist's nicht«, beharrte Brosi.

Fast zornig erklärte Severin, daß der Vater ihm seinen liebsten Lebenswunsch ausgesprochen habe, daß er als Sohn ihn nach Kräften erfüllte, daß ein Mann von Ehre nicht spiele und auch ausführe, was er sich im Wunsche vorgesetzt habe. Auch der Bürgermeister redete eifrig zu, dem Sohne seine Freude nicht zu verderben.

»Ich erkenn' die Gutheit, ich erkenn' sie rechtschaffen«, stotterte Brosi. »Was meinst, Moni? Red' auch du, dich geht's soviel an wie mich.«

»Ich hab' den Wunsch nicht gehabt.«

»So? Alles soll auf mir liegen? Und wenn ich nun sag': wir ziehen da her?«

»Dann zieh' ich mit dir, das weißt ungefragt.«

»Aber diesen Winter nicht mehr, Severin,« wendete sich Brosi an diesen, »den Winter dürfen wir noch in Haldenbrunn in unserem alten Nest bleiben?«

»Vater, ich will Euch nicht zwingen.«

»Beim Teufel! in so ein Schlößle einzuziehen, braucht man einen nicht zwingen,« polterte der Bürgermeister, »der Herr Oberbaurat haben sich's eben ausgedacht gehabt, daß ihr auf eure goldene Hochzeit einziehen solltet, und die Endringer holen euch ein, wie ein junges Paar. Das ist alles schon ausgemacht.«

»So? Nun ja, ja«, schloß Brosi und rieb sich den Mund.

Er ließ sich nicht bewegen, in Endringen einzukehren, er eilte gleich heim nach Haldenbrunn, als entfliehe er einer Gefangenschaft, und zum erstenmal in seinem Leben freute er sich, als er den württembergischen Grenzpfahl sah, und schnaufte erst jetzt aus, als er ihn im Rücken hatte.

Das Jahresfest der Kirchweih kam und mit ihm die Feier einer Doppelhochzeit, denn auch Franz sollte heute mit seiner geschickten Witwe getraut werden. Von allen Ecken und Enden kamen Gäste und Schaulustige herbei, und manche Landesangehörige ließen ihre eigene Kirchweih, die ja auch durch oberamtliche Bekanntmachung auf denselben Tag festgesetzt war, dem zuliebe im Stich.

Als es zum zweitenmal in die Kirche läutete, kam eine große Menschenmenge mit Musik herangezogen und holte das alte Brautpaar ab. Brosi trug wiederum wie vor fünfzig Jahren einen Rosmarinstrauß mit flatternden Bändern auf dem Hute und im Knopfloch und schaute frei umher, während Moni sich unter der Schappel demütig beugte. Brosi lächelte, als er sah, daß die Hochzeitlader, um das Verbot der Regierung zu umgehen, hölzerne mit Kränzen umwundene Säbel trugen. In langer Reihe gingen schön geschmückt die Kinder und Enkel des alten Paares hinterdrein. Hierauf holte man das junge Brautpaar ab, und es war eine erhebende Feier, als der Geistliche das Doppelpaar einsegnete, er konnte nichts Besseres tun, als den Neuvermählten den Segen der Eltern wünschen.

Im Auerhahn ging es heute hoch her. Brosi bedauerte nur oft, daß seine englische Söhnerin nicht da sein könne, das sei das einzige, was ihm auf der glückseligen Welt fehle, und er habe ihr versprochen, mit ihr zu tanzen, und sie sollte doch auch sehen, welch ein junger Bursch er sei, und seine Moni sei erst siebzehn Jahre alt.

Wirklich konnte man das fast glauben, wenn man nun die beiden alten Leute den Hoppetvogel, den Siebensprung und den Bändelestanz ausführen sah. Ja, Brosi tanzte noch außerdem mit seinen Töchtern und Schwiegertöchtern und zweimal mit der erwachsenen Tochter Rösles, die auch Monika hieß. Er befahl ihr, recht bald zu heiraten, damit er auch noch Urenkel erlebe, und der jüngste Sohn des Gipsmüllers schien diese Mahnung gern zu hören.

Es ging wild her auf dem Tanze, und Severin staunte, als sein Vater ihm sagte:

»Jetzt ist mir's eigentlich lieb, daß dein Weible nicht hat kommen können, so ein englisch Frauele paßt nicht in das Getrampel und in den Tubak hinein.«

Man sprach auf der Hochzeit viel davon, daß Brosi seinem Severin versprochen habe, morgenden Tages nach Endringen zu ziehen; Brosi tat meist, als ob er das nicht hörte, und wenn man ihn geradezu darum befragte, sagte er: »Ja, ja«, aber das in einem Tone, der unentschieden ließ, ob er damit sagen wollte, ich denk' nicht daran, oder ob er einfach bejahte.

In einem merkte es Brosi doch, daß er seine fünfzigjährige Hochzeit feierte, er schlief mitten unter der Musik auf der Bank hinter dem Tisch ein. Er wurde geweckt, und die halbe Musik, denn viele tanzten noch währenddessen, gab ihm und Moni das Geleite bis an ihr Haus.

Brosi und Moni schliefen lange nicht, und noch im Bett sagte Brosi:

»Ich fürcht' mich so vor dem neuen Haus, ich kann's gar nicht sagen.«

»Aber wir müssen's tun, wenn nur auf eine Weile, du hast's dem Severin versprochen.«

»Ich bin ja gezwungen gewesen, mehr als gezwungen, ich hab' ihm sein' Freud nicht verderben wollen. Und, lieber Gott, das ist ja so ein kalts Haus, das ist nichts für alte Leut'.«

»Du hast unrecht. Es ist gut warm und hat prächtige Öfen, da kann man mit einem Schwefelhölzle einheizen.«

»Ja, das kann alles sein, aber weißt, es ist mit Ziegel gedeckt, das hält gar nicht warm, so ein Strohdach ist wie ein' gute Pelzkapp, und die Stubendecken sind so hoch, und nach Endringen mag ich auch nicht mehr. Ich sterb', wenn ich da 'nein muß. Lieber Gott! Man wünscht viel, was einem nicht recht wär', wenn's nachher in Erfüllung ging'.«

»Ja, was aber machen?« erwiderte Moni dem in die Kissen hinein Schluchzenden. »Sag's ihm frei, er wird das nicht wollen, wenn dich's so hart ankommt. Du hast ihm das nie so gesagt.«

»Weil ich nicht kann; wenn er mich ansieht, bleibt mir's immer im Hals stecken. Aber halt! Juchhe! Ich hab' was.« Er sprang aus dem Bett, machte Licht und holte die Nagelschachtel mit dem Hammer vom Himmelbett.

»Was willst? Was willst machen?« fragte Moni.

»Was ich von dir gelernt hab'«, sagte Brosi lachend. »Es hat einmal ein Mädle geben, das hat einem jungen Burschen einen Riegel vorgeschoben und hat ihn zum Haus 'nausgeschwätzt. Jetzt wird einem draußen ein Riegel vorgeschoben, und der darf nicht herein.«

Während vom Auerhahn die Musik herabtönte, erschollen laute Hammerschläge im Hause Brosis, denn er nagelte die Haustüre, die Stalltüre und die Schuppentüre zu und legte sich dann fröhlich ins Bette, im voraus lange ausmalend, was das morgen für ein Spaß sein werde.

Die Kinder und Enkel, die am Morgen nach dem Hause Brosis kamen, fanden dasselbe verschlossen, und auch auf Klopfen wurde nicht geantwortet.

Endlich kam Severin, auch er klopfte, aber niemand antwortete. Die Endringer kamen mit Schießen und Musik, um das Brautpaar zu holen. Brosi und Moni hörten, wie draußen viele Leute standen und auf allerlei rieten, und einige sagten sogar, Brosi und Moni seien gewiß an der Freude gestorben, das käme davon, wenn alte Leute solche Feste mitmachten.

Drinnen drang Moni in ihren Mann, er solle doch Antwort geben, das sei ja sündlich, die Leute so hinzuhalten; Brosi aber sagte, er möchte gern hören, was die Leute nach seinem Tode ihm nachsagten. Moni wollte auf wiederholtes Klopfen schreien, da hielt ihr Brosi den Mund zu.

Jetzt hörte man den Schlosser mit dem Dietrich an den Schlössern arbeiten, sie gingen auf und zu, aber keine Türe öffnete sich, und Brosi lachte in sich hinein. Da rief Severin: »Wenn wir keine Antwort erhalten, schlagen wir die Türe mit dem Beil ein. Vater, hört Ihr nicht?«

»Ja, ich höre«, antwortete Brosi, der sich an die Türe gestellt hatte und nun erklärte, daß er nicht aufmache, wenn ihm Severin nicht sein Wort zurückgebe, und daß er in seinem alten Hause bleiben dürfe, lieber bliebe er ewig mit seiner Moni eingeschlossen.

Ein Jubel erscholl von der Straße, und Brosi öffnete endlich und reichte seinem Severin die Hand.

 

Zwanzigstes Kapitel.

Mancher Aberglaube ist nur eine Erfahrungswahrheit, die zu sicherer Überlieferung von Geschlecht zu Geschlecht in feste Form gebunden ist, und die Furcht regiert viele Gemüter leichter als die Einsicht. Man hält es für gefahrbringend vor den allezeit lauernden bösen Schicksalsmächten, solch ein Fest zu feiern, wie Brosi und Moni getan, das den langen stillen Fortgang des Lebens in mächtigem Zusammenfassen spannt und höher hebt, und in der Tat erschließt sich leicht hinter solch einem Hochpunkte die Kahlheit des Alltagslebens, und der unterbrochene stille Fortgang verwandelt sich nun in Ödigkeit und Abspannung. Es ist etwas anderes, zur Zeit der aufstrebenden Kraft einen Jubeltag sich zu setzen, als da, wo die Ruhe und das stille Walten allein Erquickung bietet. Wo sich Moni unter der Schappel demütig gebeugt hatte, so war sie den ganzen Tag in sich still und ruhig geblieben, Brosi aber hatte im jauchzenden Austoben sich erlustigt, und schon am anderen Tage, nachdem Severin abgereist war, schlief Brosi nach dem Essen unwillkürlich auf der Bank ein.

Das Gäßchen war heute besonders widerwärtig, denn die Vorübergehenden sprachen da draußen so laut, man hörte jedes Wort, als ob sie in der Stube wären. Moni wollte hinausgehen und die Leute zur Ruhe gemahnen, aber als sie sich erhob, merkte es Brosi und erwachte, sich verwundernd, daß er am Tage schlafe; er fühlte sich neu gestärkt, da er das Versäumte von gestern nacht nachgeholt habe. Brosi war wie immerdar heiter und aufgeräumt; nur als Moni bemerkte, der Franz sei mit seiner Frau dagewesen und habe nachsehen wollen, wie es dem Vater gehe, da sagte dieser:

»Jetzt sind alle unsere Kinder fort, jetzt sind wir doch wie ein entlaubter Baum«, als aber während dieser Worte des Rösles Monika eintrat, die nun bei den Großeltern wohnen wollte, sagte er: »Richtig, da kommt ja unsere Wurzelbrut. Weißt, Alte, es gibt Bäum', die wieder an der Wurzel ausschlagen. Recht so, bleib du bei deiner Ahne und gib acht, daß du so wirst wie sie, und leid's nicht, daß sie zuviel schafft.«

Brosi hatte nun drei eigene Familien im Orte, die er besuchen konnte, und war nun auch mit dem größten Teile des Dorfes verwandt, und wenn sich hier auf dem Walde alles Vetter nennt, so hatte das bei Brosi noch eine besondere Berechtigung. Er ließ sich's aber auch nicht nehmen, noch diesen Winter regelmäßig zu dreschen, und wenn ihm auch weh dabei geschah, gestand er es weder sich noch seinen Genossen. Wenn ihm die Leute sagten, er solle sich doch zur Ruhe setzen, er sei ja vermöglich, habe seine Kinder alle versorgt, und wenn er etwas Übriges brauche, werde sich der Oberbaurat eine Freude daraus machen, ihm solches zu geben, da sagte er:

»Mein' größte Freud' ist, daß ich's haben könnt' und nicht brauch'!«

Um Neujahr zeigte Severin die Geburt eines Töchterchens an, und der Winter ging still und heiter vorüber, nur war es eine traurige Botschaft, daß um Lichtmeß der Gipsmüller starb. Der Brosi ließ es sich nicht nehmen, seinem Leichenbegängnisse sich anzuschließen, aber er ging, wie er sagte, des schlüpfrigen Weges halber am Stocke über Feld und stand oft still und verschnaufte. Als er von Endringen, wo der Gipsmüller begraben wurde, zurückkam, sagte er:

»Das Sterben sollt' nicht sein, aber es ist einmal so Gottes Ordnung. Aber, Moni, unser Haus dadrüben ist doch schön, es müßt' sich doch gut drin wohnen.«

Noch oft kam Brosi auf sein Gelüste, in dem schönen Hause zu wohnen, aber es war doch nie weiter, als eine gewisse flüchtige Unbefriedigtheit des Alters, das leicht in allerlei Planen und Wünschen sich ergeht und dem schließlich doch am liebsten ist, wenn es beim Altgewohnten sein Verbleiben hat.

Im Frühling ging Brosi wieder in den Wald an seine Arbeit, des Jörgtonis Kaspar half ihm, und Brosi sah es gern, daß dieser sich in seine Stelle setzte, für den Fall, daß er sie nicht mehr versehen könne. Beim Ausgehen und bei der Heimkehr verweilte Brosi da und dort bei Altersgenossen, die in Leibgedingstuben wohnten, und ließ sich von ihnen lang und breit ihre Gebresten erzählen, er selber klagte nicht und sagte nur oft:

»Wenn ich's in meiner Jugend besser gehabt hätt' und mich nicht so hätt' schinden und plagen müssen, ich wär' hundert Jahr alt geworden.«

Auch daheim kam er oft hierauf zu reden. Das Gehen wurde ihm immer schwerer, aber solange er nur fortkriechen konnte, ging er seiner Arbeit nach, und man sah es, wie er sich gewaltsam aufrecht hielt und für jeden noch immer eine Scherzrede hatte.

Es war am Tage nach Jakobi – noch gestern war Brosi im Auerhahn gewesen und hatte viel davon gesprochen, wie leid es ihm tue, daß seine Söhnerin in ein Bad gemußt habe und nicht nach Endringen käme, er wäre ihr zuliebe doch dahin gezogen – heute konnte Brosi nicht mehr gehen, sein Kubikfuß stellte sich wieder ein, er mußte zu Bette bleiben oder in dem großen Armstuhl sitzen, den Agy geschickt hatte.

Die beiden älteren Söhne waren weit in der Fremde, aber Severin kam einmal und besuchte seinen Vater, und zum erstenmal hatten seine starren Züge etwas Lindes. Brosi behauptete, daß es gar keine Gefahr habe, und des Rösles Monika mußte ihm oft stundenlang die Geschichten aus den alten zerlesenen Kalendern vorlesen, durfte aber nicht in die Einzeichnungen von seiner Hand sehen. Die Frau saß schon jetzt im Sommer an der Kunkel und spann; Brosi tat einmal die seltsame Frage:

»Was spinnst?«

»Tuch zur Aussteuer für unsere Monika.«

»So? Das ist recht«, sagte Brosi und war lange still; er mochte an sein Totenhemd gedacht haben.

Die Hühner kamen jeden Mittag vor den Stuhl Brosis, und er bröckelte ihnen Brot; aber auch viele befreundete Menschen kamen, ihn aufzuheitern, dessen bedurfte es aber nicht, denn er war noch immer der Lustigste von allen.

Schon als Brosi das Bett nicht mehr verlassen konnte, war er noch immer ein säuberlicher Kranker. Der Bader mußte jeden Samstag kommen und ihm den Bart abnehmen, und war es schon an sich schwer, aus den vielen Falten des eingefallenen Gesichtes die Bartstoppeln herauszukriegen, so erschwerte es noch Brosi durch die vielen Späße, die er machte, so daß der Bader oft vor Lachen absetzen mußte.

Eines Tages sagte Brosi mitten im Gespräche zu seiner Frau:

»Ja, daß ich's nicht vergeß. Ich dank' dir tausend und tausendmal für all die Liebe und Güte, die du mir angetan, und wenn ich jetzt oft krittlig bin, denk' nur, das bin ich nicht, ich kann nicht anders. Es wird schon wieder besser, wenn ich wieder gesund bin. Und wenn ich sterb', laß mich nicht zu lang auf dich warten, aber diesmal nimmt's mich noch nicht. Wart' nur, bis es wieder Winter ist, im Winter bin ich immer besonders wohlauf.«

Moni setzte sich an die Kunkel, daß es ihr Mann nicht sehen konnte, und die Tränen fielen ihr auf die Hand, und sie benetzte den Faden damit, den sie spann. Sie sagte es nicht, aber sie bestimmte dieses Tuch zu ihrem eigenen Totengewand.

Brosi verlangte selbst nach dem Geistlichen und seiner letzten Wegzehrung; er konnte es doch nicht lassen, wegen Agys zu beichten, aber der Geistliche war mild genug, ihn zu trösten.

Auch den Gemeinderat ließ Brosi zu sich kommen und befahl, daß man bei seinem Begräbnisse lustige Tanzmusik aufspielen solle, er sei lustig in der Welt gewesen und wolle auch lustig hinaus. Man versprach nach seinem Willen zu tun.

Des Rösles Monika war eine rüstige Pflegerin, denn die Großmutter wußte sich vor Herzbrechen gar nicht zu helfen.

Es kamen Tage, in denen Brosi überaus lustig war, seine Enkelin mußte singen, und er sang mit und ermahnte auch Moni dazu.

Einmal in der Nacht, als die junge Monika bei ihm wachte, rief er mit starker Stimme:

»O lieber, guter Gott! Laß mich doch noch leben. Ich will noch alles Holz messen bis an den Rhein, ich will den Kappelberg ganz allein durch und durch graben, laß mich leben, oder wie du willst, aber nur nicht lang leiden. Mach's kurz.«

Als man in der Ferne den Nachtwächterruf hörte, summte er gegen die Wand gekehrt vor sich hin:

Alle Sternlein müssen schwinden,
Und der Tag wird sich einfinden …

Der jungen Monika wurde es schwer angst, aber sie wagte es nicht, nach jemand zu rufen und jetzt den Kranken zu verlassen, und einmal wendete er sich wieder um und sang mit geschlossenen Augen:

Weil Scheiden bitter ist
Und 's Lieben süß …

Gegen Morgen tat er einen mächtigen Schrei, die Frau sank von dem Stuhl, auf dem sie eingeschlafen war, und in den Armen seiner Moni starb Brosi. –

Es war am Freitagmorgen, am Tage Himmelfahrt Mariä, als Brosi starb, und als der Uribasche – die Totenglocke – läutete, betete ein jedes still im Dorfe, jedes wußte, wer verschieden war.

Erst am Montagmorgen wurde Brosi begraben, man hatte nach den Söhnen geschrieben, und sie kamen und gingen hinter seiner Leiche. Auf dem Sarge lag Hammer und Kelle und der Maßstab, der Brosi als Stütze gedient. Die polizeiliche Ordnung duldete es nicht, daß man den Wunsch des Verstorbenen erfüllte und ihm Tanzmusik zu seinem Leichenbegängnisse aufspielte, aber weil Brosi Gemeinderat gewesen war, wurden eine Stunde lang in dreimaligen Absätzen alle Glocken geläutet. Es war ein heller Sommermorgen voll Lerchensang und Sonnenschein, und soweit man die Glocken in den Bergen vernahm, standen die Waldarbeiter still, legten die Äxte hin und beteten für den, den man begrub, ein Vaterunser; und wer mit Genossen arbeitete, sprach mit ihnen davon, wie gern ein jedes dem Brosi die letzte Ehre erwiesen hätte, daß man aber keines Taglohnes ermangeln könne.

Nur noch dreimal war Moni in der Kirche, als man ihrem Manne die Totenmessen las; sie lebte ruhig, aber fast wortlos, dazu war sie noch fast stocktaub geworden. Und als das Tuch von der Bleiche kam, das sie in diesem Sommer gesponnen, entschlummerte auch sie.

Als die erste Trauer vorüber war, lebten Brosi und Moni in der Erinnerung aller Menschen wie der Nachhall einer Tanzweise, die sich von selber fortsingt, nachdem man den Ort der Lustbarkeit weit hinter sich hat.

Das Jahr darauf heiratete der jüngste Sohn des Gipsmüllers wirklich des Rösles Monika, und als die ganze Familie im Auerhahn beisammen war und zum erstenmal wieder der Bändelestanz aufgespielt wurde, stand alles still, und eines sagte dem anderen: »Ach, Gott, das war sein Leibstück.« Aber des Jörgtonis Kaspar sprang mit beiden Füßen in die Mitte des Saals und rief: »Jetzt bin ich der Brosi!« und zeigte sich als dessen gelehriger Schüler. Noch lange, wenn der Hoppetvogel, der Siebensprung und der Bändelestanz ausgeführt wird, wird man den Namen Brosis nennen, und »Mein Mann ischt koanr, sagt der Brosi« ist noch immerdar Sprichwort.


Druck und Einband von Hesse & Becker
in Leipzig.

 


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