Victor Auburtin
Das Ende des Odysseus
Victor Auburtin

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Medjidjeh

Eine wahrhaftige Geschichte

Als Arabi Pascha in der Versammlung fragte, wer den Mut habe, herauszugehen nach Ramleh und den Khediven zu ermorden, da erhoben sich fünfzehn Mann. Der Hauptmann Mustafa, die Sergeanten Selim und Fehim und zwölf Gemeine. Arabi Pascha ließ die fünfzehn vortreten und instruierte sie. Er ernannte Mustafa zum Führer der Expedition, Selim und Fehim zu seinem Generalstab. Und sprach dann folgendes zu ihnen: »Ihr wißt, daß der Khedive unser Vaterland Ägypten an die Fremden verkauft hat. Er hat die Engländer hergerufen und ihnen die Verwaltung der Gelder übergeben, obgleich wir Ägypter das selbst viel besser verstehen. Außerdem hat er neue Dampfmaschinen eingeführt, um unseren Boden zu pflügen; und die Straßen sollen gereinigt werden, und Ärzte sind ins Land gekommen, um uns gegen die Blattern zu impfen; was aber nichts als Zauberei ist. Deshalb habe ich Arabi, der Erwählte, einen Aufruhr gemacht durch ganz Ägypten hin und habe den Weg Allahs beschritten. Und deshalb muß der Khedive sterben. Sein Heer und seine Hauptstadt sind von ihm abgefallen, und er selbst ist in seinen Sommerpalast am Meer geflohen. Dorthin werdet ihr marschieren, den Palast stürmen und den Feind des Vaterlandes richten.«

Nachdem Arabi Pascha so gesprochen hatte, nahm er von seiner Seite sein Schwert, küßte es, gürtete es Mustafa um und sagte: »Es ist das Schwert Kaleds, mit dem er am Euphrat gegen die Heiden gefochten hat. Dann trug es Achmed ibn Talun, der Ägypten gemacht hat; und in unseren Tagen Ibrahim auf seinem Zuge gegen Mekka, wo der Prophet ruht. Von dessen Grabe habe ich es genommen, und du wirst es mir erst wieder bringen, wenn es mit dem Blute des Khediven befleckt ist, des Verräters.« Dann schworen Mustafa und die Seinen auf des Propheten Mantel und Bart, daß sie den Khediven ermorden würden, komme es, wie es wolle. Und machten sich zur Stunde auf und marschierten in einem Trupp auf die Straße hinaus in der Richtung auf die Sommerresidenz, wo der Khedive wohnte. Und auf dem Wege dahin schwangen sie die Waffen, schrien mordsmäßig durcheinander und sangen ein mutiges Lied, so daß die Leute in Haufen stehenblieben und sich sagten: Sie gehen hinaus nach Ramleh, um den Khediven zu töten, den Feind des Vaterlandes.

Der Khedive, gegen den diese Verschwörung ging, hieß Muhammed Tewsik von Ägypten und saß zu dieser Zeit in seinem Sommerpalaste zu Ramleh am Meere. Dorthin hatte er sich zurückgezogen und wartete ab, welchen Verlauf die Revolution und alle diese neuen Dinge nehmen würden. Denn es war ohne allen Zweifel eine große Revolution im ganzen Lande. Die hungrigen Bauern ermordeten die Vögte, der Pöbel in Alexandria ermordete die Christen; die Armee war abgefallen, und vor der Küste lagen die englischen Panzerschiffe und warteten auf den rechten Augenblick. Und weil es in der Stadt doch zu toll herging, deshalb war der Khedive Muhammed Tewsik in seinen Palast zu Ramleh gegangen, sah von dort auf das Meer und auf seine Gärten und auf die Springbrunnen darin und wunderte sich, wie rechtgläubige Menschen so unvernünftig sein könnten.

Den Rat seines Wesirs, den Aufruhr mit Feuer und Schwert zu unterdrücken, hatte er abgelehnt. Denn erstens liebte er es nicht, sich aufzuregen; zweitens muß ein frommer Mann überhaupt und immerdar demütig hinnehmen, was Allah schickt in seinem Zorn oder in seiner Milde. Und schließlich gedeihen noch stets die Dinge am besten, die man sich ruhig abwickeln läßt, ohne töricht und hastig dazwischenzufahren.

Was kann es denn mehr kosten als den Kopf, über dessen Schicksal Gott der Herr schon längst bestimmt hat, ohne daß wir Narren selbst daran das geringste ändern können.

So saß Muhammed Tewsik in seinem Schloß und wartete. Und als er vom Fenster aus den Hauptmann Mustafa mit all den anderen Mördern auf der Straße herkommen sah, da dachte er sich gleich, was das zu bedeuten habe. Denn sie machten sehr wütende Gesichter, schwangen ihre Säbel, und ihre Gebärden waren wild und schrecklich. Sie schritten durch den Rosengarten auf das Schloß zu. Aber sie gingen nicht den Hauptweg entlang, denn dort hing an einer Kette ein Schildchen mit den Worten »Durchgang verboten«, sondern kamen mit einem Umweg unter den Kastanien entlang. Dann machten sie in dem großen Rondell halt, wo ihnen Hauptmann Mustafa noch einmal eine Rede hielt und sie zum letztenmal auf ihre Waffen schwören ließ, vor keinem Widerstand zurückzuschrecken, koste es soviel Blut es auch wolle.

Als der Khedive Muhammed Tewsik ihre mörderischen Klingen in der Sonne blitzen sah, klingelte er einen Diener herein und sagte ihm: »Ali, es kommen da einige Herren, die mich ermorden wollen. Führe sie in den grünen Salon und ersuche sie, gütigst einen Augenblick zu warten.«

Die Verschwörer waren sehr erstaunt, als ihnen am Palast das Tor geöffnet wurde. Sie hatten sich die Sache eigentlich so vorgestellt, daß sie die Türe mit Gewalt sprengen und die dort postierten Wachen massakrieren würden. Dann wären sie die Treppe hinaufgestürmt und hätten den Khediven, der sich feige verkrochen haben müßte, durch alle seine Gemächer hin gesucht.

»Wo steckst du, elende Memme?« hätte Hauptmann Mustafa gerufen. »Wo hast du dich mit deinem Sündengeld versteckt, um das du uns verkauft hast, hündischer Verräter!«

Und wenn sie ihn dann hinter einer Tapetentüre entdeckt und hervorgezogen hätten, so hätten sie wild durcheinander geschrien: »Bist du es, der das ägyptische Vaterland den Christen verkauft hat? Stirb denn und fahre zur Hölle.«

Worauf sie ihm gemeinsam die Säbel in die Brust gestoßen hätten.

Anstatt dessen sahen sie sich jetzt einem galonierten Diener gegenüber, der sie höflich empfing und sagte: »Wollen die Herren gütigst Schirme und Stöcke hier abgeben.«

Dann geleitete man sie die Treppe hinauf über einen dicken, weichen Teppich, der den Schall der Schritte dämpfte, so daß sie nur auf den Zehen zu gehen wagten. Im grünen Salon aber stellte man ihnen Sessel hin, die mit Seide bezogen waren, und bat sie, einen Augenblick zu warten. Seine Hoheit werde sich gleich die Ehre geben.

Es war das der kleine grüne Salon, von dessen Fenstern man auf das Meer sehen konnte. An der Wand hingen Bilder von Fürsten und von alten Prinzessinnen, die ernst und mild auf Hauptmann Mustafa herabsahen und auf seine Mörderschar. Marmorne Büsten standen schweigend in den Ecken, und zwischen den Fenstern war eine Figur aufgestellt, die die Muse Polyhymnia darstellte und mahnend den weißen Finger an den stummen Mund legte. Und die Tische waren von Gold und Lapis Lazuli, und auf dem Kamin aus lauter grünem Stein stand eine kleine Stutzuhr, die so leise flüsterte, daß man kaum zu atmen wagte.

Eine Weile saßen die fünfzehn Mörder ganz still auf ihren Seidenstühlen und sahen sich scheu um. »Sieh mal«, raunte dann Selim zu Fehim, »das ist echter Sammet.«

Dabei befühlte er den roten Sessel, der neben dem Kamine stand.

»Und der Kronleuchter aus Bergkristall«, flüsterte Fehim.

»Entzückend«, hauchte Hauptmann Mustafa.

»Ob wohl der Kamin aus Marmor ist«, lispelte Selim und befühlte den grünen Stein mit der Hand.

In diesem Augenblick ging hinter ihnen eine Türe, und erschreckt standen alle auf. Der Khedive stand unter ihnen.

Sie verneigten sich alle. Aber der Khedive sagte freundlich: »Wollen die Herren nicht Platz behalten?«

Er setzte sich selbst auf den roten Sessel am Kamin und winkte ihnen einladend mit der Hand, so daß sie als anständige Menschen nichts anderes tun konnten, als ebenfalls Platz zu nehmen. Dann sagte er zu dem Führer der Expedition: »Sie sind der Hauptmann Mustafa?«

»Zu Befehl, Hoheit«, antwortete dieser.

»Ich erinnere mich Ihrer; Sie haben bis vor zwei Jahren in Alexandria beim zweiten Bataillon gestanden; dann kamen Sie, wenn ich nicht irre, nach Nubien.«

Hauptmann Mustafa atmete schwer. Er blickte auf seine Gefährten, dann auf das über seinen Knien liegende Schwert, das Kaled in der Schlacht am Euphrat gezückt hatte und Ibrahim gegen die Heiden. Er fand den passenden Übergang nicht. Wie soll man zu einem Manne, mit dem man auf Sammetstühlen sitzend konversierte, sagen: Ich habe übrigens die Ehre, Sie jetzt ermorden zu müssen.

Auch nach Selims und Fehims Verhältnissen erkundigte sich der Khedive. Und als Selim bei der Antwort aufspringen und stramm stehen wollte, sagte er freundlich: »Bitte, bleiben Sie nur ruhig sitzen. Sie müssen einen anstrengenden Marsch gehabt haben«, fügte er hinzu, indem er sich im Kreis umsah. »Es ist doch schon recht heiß; und auf der Straße ein Staub! Das Spritzen nützt gar nichts, es ist ja doch im nächsten Augenblicke schon wieder ausgetrocknet.«

Die anderen erwiderten nichts, und es gab eine Pause. Man hörte nur das Flüstern der kleinen Uhr auf dem Kamine, die so leise, so leise, so leise war, und die doch die Kraft hatte, einem wackeren Mann das rechte Wort im Munde zu ersticken.

Dann stand der Khedive auf und sagte zu Mustafa: »Herr Hauptmann, es freut mich aufrichtig, daß Sie sich die Mühe machten, zu mir heraus zu kommen. Ich habe nämlich schon lange auf die Gelegenheit gewartet, Ihnen den Medjidjeh-Orden zu verleihen.«

Mustafa sprang auf und war knallrot im Gesicht geworden. Er nahm Haltung an, zog den Bauch herein und streckte die Brust vor, genau so, wie es die preußischen Instrukteure einexerziert hatten. Der Khedive langte in seine Rocktasche, holte den bunten Ordensstern hervor und heftete ihn eigenhändig an die treue Brust, die sich ihm bot. »Ich ernenne Sie zum Oberst«, sagte er leise und feierlich. »Tragen Sie den Orden in Ehren und bewahren Sie sich Ihr schlichtes, gerades Soldatenherz.«

Dann wandte er sich zu den anderen Mordskerlen, nahm eine ernste Miene an und sagte streng: »Euch kommandiere ich zu meiner Leibwache. Die Wache, die ich bisher hatte, ist ... hm ... nun kurz und gut: ich habe augenblicklich keine Leibwache. Und gerade in diesen unruhigen Zeiten brauche ich wackere und mutige Männer mehr als sonst. Deshalb werdet ihr jetzt gleich euren Dienst antreten. Wendet euch an den Zahlmeister und laßt euch den Sold für die nächsten drei Monate pränumerando geben.« Damit grüßte er militärisch und entließ seine Getreuen.

Aber da zog endlich Oberst Mustafa das Schwert Kaleds aus der Scheide, schwang es und rief: »Allah yutauil umr al-chediwi sinan adida«, was auf deutsch heißt: Allah erhalte unseren gnädigen Khediven viele Jahre. Und alle anderen riefen es ihm nach und ließen ihre Waffen mutig durch die Luft sausen.

In derselben Stunde noch bezog des Khediven neue Leibwache ihr Quartier im Palaste zu Ramleh, in den kühlen Sälen des Erdgeschosses, die nach dem Garten hinausgehen und nach seinen Springbrunnen. Auch bekamen sie gleich ein gutes Mittagessen vorgesetzt, das zwar mit englischem Gelde bezahlt war, das ihnen aber trotzdem sehr gut schmeckte; denn bei Arabi Pascha hatten sie kein Mittagessen bekommen. Es gab Hammelfleisch mit Reis und Eierkuchen mit Tomaten, in Scheiben geschnitten. Dazu fränkischen Champagnerwein, der ganz kalt war, weil man ihn mit Eis gekühlt hatte.

Und so rettete sich der Khedive Muhammed Tewsik von Ägypten sein Leben und seinen Thron. Allerdings nahmen ihm die Engländer das ganze Land weg und richteten sich darin ein, um nie wieder fortzugehen. Aber schließlich behielt er doch eben sein Leben und konnte noch elf Jahre lang im Winter in Kairo, im Sommer im Meeresschloß zu Ramleh wohnen in allem Frieden. Er konnte essen und trinken und sich des Abends ein syrisches Mädchen mit ins Bett nehmen, oder ein armenisches, oder ein griechisches, wie ihm nun der Wille stand. Und das ist, bei Licht besehen, doch die Hauptsache, auf die es einzig und allein ankommt.


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